Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2010 - 4 StR 9/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung unter Einbeziehung einer rechtskräftig erkannten Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie ferner wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und verschiedene Gegenstände eingezogen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch mit der Sachrüge Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch sowie zur Anordnung der Einziehung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 13. Januar 2010.
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- 2. Dagegen hat die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus keinen Bestand.
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- Die Anordnung setzt nach ständiger Rechtsprechung die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet, sowie ferner, dass der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist (vgl. nur BGHSt 34, 22, 27). Die Voraussetzungen zumindest des § 21 StGB zum Zeitpunkt der Anlasstat müssen danach zweifelsfrei festgestellt sein (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 63 Rdn. 11 m.w.N.). Daran fehlt es.
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- a) Das Landgericht hat zur Schuldfähigkeit des Angeklagten - darin der gehörten Sachverständigen folgend - angenommen, der Angeklagte habe sich "aufgrund unterstellten permanenten Alkoholkonsums und einer weiteren seelischen Erkrankung (...) in einem Zustand (befunden), in dem seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert war". Hierzu hat es näher ausgeführt, bei dem Angeklagten liege eine lang- jährige Alkoholabhängigkeit vor, er habe "keine ausreichende Fähigkeit zur Normachtung, Empathie oder Respektaufbringung gegenüber Dritten". Gerade der Umstand, dass sich der Angeklagte während der JVA-Aufenthalte nach eigenem Bekunden sogar 'wohl fühlte', deute - so die Sachverständige - auf eine massive Persönlichkeitsstörung des Angeklagten hin. Ferner habe die Sachverständige bei dem Angeklagten "eine (nicht ausschließliche) Pädophilie festgestellt". Abschließend heißt es: Jedenfalls habe der Angeklagte, "was seine pädophilen Neigungen angeht, nach den Ausführungen der Sachverständigen nahezu durchgängig, jedenfalls unter Einfluss von Alkohol, Probleme, seine Steuerungsfähigkeit zu kontrollieren. Die Kammer ist daher in Anwendung des Zweifelssatzes auch diesbezüglich von dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB ausgegangen".
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- b) Die Anwendung des Zweifelssatzes steht der für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzten positiven Feststellung eines dauerhaften Zustandes vom Schweregrad zumindest des § 21 StGB entgegen. Schon dies zwingt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Die bisher getroffenen Feststellungen belegen nur, dass der Angeklagte auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur "jedenfalls unter Einfluss von Alkohol" in einen Zustand geraten kann, der die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB rechtfertigt. Damit ist aber der für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche positive Nachweis eines andauernden Defekts vom Schweregrad zumindest des § 21 StGB nicht erbracht (vgl. BGH, Beschl. vom 26. Juli 2005 - 5 StR 230/05). Der Senat schließt auch aus, dass es sich bei dem Hinweis auf die „Anwendung des Zweifelssatzes“ lediglich um einen Missgriff im Ausdruck handelt. Dagegen spricht bereits, dass das Landgericht auch einen „permanenten Alkoholkonsum“ lediglich „unterstellt“. Die Ausführungen im Urteil zu der „(nicht ausschließlichen) Pädophilie“ und der angenommenen Persönlichkeitsstörung lassen auch nicht erkennen, dass diese Störungsbilder etwa schon für sich genommen den Schweregrad des § 21 StGB begründen. Davon ist nach den in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätzen jedenfalls nicht ohne weiteres auszugehen (vgl. BGH NStZ 1999, 610 f.; NStZ-RR 2004, 201; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 32, 33 und § 63 Zustand 23, 28). Zudem lässt die Beschreibung der als Persönlichkeitsstörung gewerteten Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten jegliche nachvollziehbare Zuordnung nach einem der in der forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-IV) vermissen.
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- c) Die Sache bedarf daher zum Maßregelausspruch insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung. Insoweit wird sich empfehlen, für das weitere Verfahren einen neuen Sachverständigen hinzuzuziehen. Sofern der neue Tatrichter die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 63 StGB nicht festzustellen vermag, wird mit Blick auf die festgestellte Alkoholabhängigkeit des Angeklagten auch dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) zu prüfen sein. Tepperwien Maatz Athing Solin-Stojanović Ernemann
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.