Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 336/13
vom
28. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
hier: Nebenklägerin C.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 28. August 2013 gemäß
§ 46 Abs. 1, § 346 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Antrag der Nebenklägerin C. , ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 16. August 2012 zu gewähren, wird als unzulässig verworfen. 2. Der Antrag der Nebenklägerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 19. November 2012 wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen dieses Urteil hat die Vertreterin der Nebenklägerin fristgerecht Revision eingelegt. Nachdem bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO eine Rechtsmittelbegründung nicht eingegangen war, verwarf das Landgericht die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig. Hiergegen hat die Nebenklägerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts angetragen und zugleich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revi- sionsbegründungsfrist ersucht. Die versäumte Prozesshandlung hat sie nachgeholt.
2
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist unzulässig; dementsprechend erweist sich der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO als unbegründet.
3
1. Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten ist dem Nebenkläger , der nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung beantragt, nach dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. Dezember 1981 - 2 StR 221/81, BGHSt 30, 309; vom 17. März 2010 - 2 StR 27/10; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 44 Rn. 19). Deshalb erfordert die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumung gekommen ist; zu dem erforderlichen Tatsachenvortrag gehört dabei auch, dass der Antragsteller einen Sachverhalt vorträgt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt (BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 27/10 mwN).
4
2. Daran fehlt es.
5
Nach dem Vortrag der Nebenklägervertreterin oblag es ihrer Rechtsanwaltsgehilfin , Fristen zu überwachen und ihr die Akten rechtzeitig vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vorzulegen. Dass hier - zum ersten Mal - die Revisi- onsbegründungsfrist versäumt wurde, habe daran gelegen, dass die Rechtsanwaltsgehilfin die Frist nicht eingetragen habe.
6
Damit ist ein Verschulden der Nebenklägervertreterin selbst nicht ausgeschlossen. Zwar darf ein Rechtsanwalt in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung einer Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2000 - 1 StR 103/00, BGHR StPO § 44 Verschulden 7; vom 6. Juli 2004 - 5 StR 204/04, jeweils mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt aber schon das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 mwN). Weist er seine Bürokraft im Einzelfall mündlich an, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass diese Anweisung nicht in Vergessenheit gerät (BGH aaO S. 1080 f.; Beschluss vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083).
7
Diesen Anforderungen genügende Maßnahmen hat die Nebenklägervertreterin nicht vorgetragen. Insbesondere hat sie weder dargelegt, dass sie ihre Angestellte ausdrücklich angewiesen hat, die Revisionsbegründungsfrist einzutragen , noch waren unter Zugrundelegung ihres Vortrags in der Kanzlei Vorkehrungen , z.B. durch eine allgemeine Weisung, Aufträge zur Eintragung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen sofort und vorrangig zu erledigen , dagegen getroffen, dass die Ausführung einer entsprechenden mündlich erteilten Weisung unterblieb (BGH aaO mwN). Auch zu einer Überwachung der Fristennotierung durch ihre Angestellte fehlt jeglicher Vortrag.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Mutzbauer

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2013 - 4 StR 336/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2013 - 4 StR 336/13

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2013 - 4 StR 336/13 zitiert 6 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Strafprozeßordnung - StPO | § 345 Revisionsbegründungsfrist


(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn d

Strafprozeßordnung - StPO | § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung


War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1

Strafprozeßordnung - StPO | § 346 Verspätete oder formwidrige Einlegung


(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß a

Strafprozeßordnung - StPO | § 46 Zuständigkeit; Rechtsmittel


(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre. (2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung. (3) Gegen die den Antrag verwerfende E

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2013 - 4 StR 336/13 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2013 - 4 StR 336/13 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2010 - VI ZB 58/09

bei uns veröffentlicht am 02.02.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZB 58/09 vom 2. Februar 2010 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 Fc, Fd Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis nur unterzeichnen und zurückgeben , wen

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2004 - 5 StR 204/04

bei uns veröffentlicht am 06.07.2004

5 StR 204/04 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 6. Juli 2004 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Freiheitsberaubung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2004 beschlossen: 1. Der Nebenklägerin wird Wiedereinsetzung in de

Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Jan. 2009 - II ZB 6/08

bei uns veröffentlicht am 26.01.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS II ZB 6/08 vom 26. Januar 2009 in der Rechtsbeschwerdesache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 233 Fc, Fd, 574 Abs. 2 Nr. 2; a) Die Verletzung des Anspruchs des Rechtsbeschwerd

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2000 - 1 StR 103/00

bei uns veröffentlicht am 30.05.2000

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 103/00 vom 30. Mai 2000 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Körperverletzung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2000 gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1, 46 Abs. 1 und 2 StPO beschlossen:
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2013 - 4 StR 336/13.

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Apr. 2016 - 4 StR 474/15

bei uns veröffentlicht am 28.04.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 474/15 vom 28. April 2016 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2016:280416B4STR474.15.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts , des

Referenzen

(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre.

(2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung.

(3) Gegen die den Antrag verwerfende Entscheidung ist sofortige Beschwerde zulässig.

(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.

(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 103/00
vom
30. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2000 gemäß § 346
Abs. 2 Satz 1, 46 Abs. 1 und 2 StPO beschlossen:
Der Nebenklägerin U. wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung ihrer Revision gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 18. August 1999 gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt die Nebenklägerin. Der Beschluß des Landgerichts München II nach § 346 Abs. 1 StPO vom 7. Dezember 1999 ist gegenstandslos.

Gründe:

Das Landgericht hat mit Beschluß vom 7. Dezember 1999 die Revision der Nebenklägerin gegen das landgerichtliche Urteil vom 18. August 1999 mit der Begründung als unzulässig verworfen, das Rechtsmittel sei nicht innerhalb der in § 345 Abs. 1 StPO bestimmten Frist begründet worden. Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin mit Anträgen auf Entscheidung des Revisionsgerichts und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Anträge haben Erfolg.
1. Der Senat hat folgenden Verfahrensgang festgestellt: Rechtsanwalt G. legte als Vertreter der Nebenklägerin am 24. August 1999 gegen das vom Landgericht am 18. August 1999 verkündete Urteil Revision ein. Das Urteil wurde am 24. September 1999 an den Rechtsanwalt zugestellt. Dieser begründete die Revision - gestützt auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde - im Schriftsatz vom 26. Oktober 1999, eingegangen beim Landgericht am 27. Oktober 1999. Die Strafkammer teilte dem Rechtsanwalt am 28. Oktober 1999 mit, das Rechtsmittel sei verspätet.
Rechtsanwalt G. bestritt im Schriftsatz vom 4. November 1999 die Zustellung des Urteils am 24. September 1999. Ein Umschlag, auf dem die Zustellung vermerkt worden sei, befinde sich nicht bei seinen Akten. Wenn die Zustellungsurkunde das Datum ausweise, handele es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Schreibfehler. Sein Eingangsstempel auf der ersten Seite der ihm zugestellten landgerichtlichen Urteilskopie trage das Datum des 27. September 1999.
Gleichzeitig beantragte der Rechtsanwalt wegen der Versäumung der Frist zur formgerechten Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu führte er aus, eine eventuelle Fehlstempelung beim Posteingang sei ihm nicht zurechenbar, denn es liege kein von ihm zu vertretenes organisatorisches Verschulden vor. Der Anwalt dürfe den Posteingang durch ausgebildete, erfahrene und zuverlässige Kräfte in eigener Verantwortung erledigen lassen. Bei seinen beiden Angestellten handele es sich um ausgebildete Anwaltsekretärinnen, die langjährige
Praxiserfahrung hätten. Aufgrund seiner Anweisung hätten sie die eingehende Post am Tage des Eingangs zu stempeln. Es sei in der täglichen Praxis noch nie vorgekommen, daß ein Schriftstück mit einem falschen Eingangsdatum gestempelt worden sei.
2. Die Anträge haben Erfolg. Die Nebenklägerin hat glaubhaft gemacht , daß sie aufgrund eines unabwendbaren Ereignisses gehindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Ihr ist deshalb wegen der Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Verwerfungsbeschluß nach § 346 Abs. 1 StPO hat keinen Bestand.

a) Aus der mit der Rechtsmittelschrift vorgelegten Zustellungsurkunde ergibt sich, daß das landgerichtliche Urteil am 24. September 1999 an Rechtsanwalt G. zugestellt worden ist. Die vom Landgericht veranlaßten Anfragen bei der Post ergeben auch nach Auffassung des Senats nichts anderes.

b) Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist war jedoch für die Nebenklägerin unabwendbar, weil auch ihren Prozeßbevollmächtigten daran kein Verschulden trifft. Der Rechtsanwalt darf in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung der Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschl. v. 12. Februar 1965 – IV ZR 231/63 = BGHZ 43, 148, 153; Beschluß v. 13. Januar 2000 – VII ZB 20/99; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 44 Rdn. 20). Die Nebenklägerin hat durch ergänzenden
Vortrag ihres Rechtsanwalts im Schriftsatz vom 4. November 1999, durch Vorlage der Kopie der ersten Seite des landgerichtlichen Urteils, das als Eingangsstempel den 27. September 1999 trägt, und durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, daß ein solcher Fall vorliegt.
Der Rechtsanwalt hat vorgetragen, daß er die Anweisung erteilt hat, die eingehende Post sei am Tage des Eingangs zu öffnen und mit dem Eingangsstempel zu versehen. In der täglichen Praxis sei es nie vorgekommen , daß ein Schriftstück mit einem falschen Eingangsdatum gestempelt worden sei. Er habe sich daher für die Überwachung der Fristen auf die Richtigkeit des Eingangsstempels 27. September 1999 verlassen können. Danach bestehen keine Bedenken, daß der Rechtsanwalt die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung herkömmlicher Fristen den Büroangestellten überlassen konnte. Es liegt kein Fall vor, der ihn veranlassen mußte, selbst eine weitergehende Kontrolle der Zustellung und des Beginns der Frist vorzunehmen. Das Anbringen des falschen Eingangsstempels, der Grundlage für die Berechnung der Revisionsbegründungsfrist war, beruht nicht auf einem Organisationsverschulden, sondern auf einem Einzelversehen einer Angestellten.

c) Einer Nachholung der versäumten Revisionsbegründung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO bedarf es hier nicht, weil die Revision im Schriftsatz vom 26. Oktober 1999 bereits vorher – wenn auch nicht fristgerecht – begründet und der Anwalt im Wiedereinsetzungsantrag vom 4. November 1999 zumindest stillschweigend darauf Bezug genommen hat (Maul in KK
StPO 4. Aufl. § 45 Rdn. 9 m. w. Nachw.). Das Vorbringen der Nebenklägerin bedarf daher revisionsrechtlicher Überprüfung.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Kolz

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

5 StR 204/04

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 6. Juli 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Freiheitsberaubung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2004

beschlossen:
1. Der Nebenklägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung ihrer Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. November 2003 auf ihre Kosten gewährt.
Der Beschluß des Landgerichts nach § 346 Abs. 1 StPO vom 10. Februar 2004 ist damit gegenstandslos.
2. Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. November 2003 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dadurch den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e z u 1.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 19. Mai 2004 ausgeführt: „Der zulässige, insbesondere rechtzeitig (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) gestellte Wiedereinsetzungsantrag muss auch in der Sache Erfolg haben.
Zwar kann einem Nebenkläger keine Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn der von ihm bevollmächtigte Rechtsanwalt schuldhaft gehan- delt hat (vgl. BGHSt 30, 309; BGH, Urteil vom 13. August 2002 – 4 StR 263/02 –). Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist war jedoch für die Nebenklägerin unabwendbar, weil auch ihre Prozessbevollmächtigte daran kein Verschulden trifft.
Ein Rechtsanwalt darf in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung einer Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (vgl. BGHR StPO § 44 Verschulden 7 m. w. N.; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 44 Rdn. 19 f.). Die Nebenklägerin hat durch ergänzendes Vorbringen ihrer Anwältin im Schriftsatz vom 2. Februar 2004, durch Vorlage von Kopien aus deren Bürokalender für den 30. Januar und 6. Februar 2004 und durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht, daß ein solcher Fall vorliegt.
Diese hat vorgetragen, daß sie die Notierung der Fristen einer bereits examinierten Mitarbeiterin übertragen und diese die berechneten Fristen ihr gegenüber korrekt benannt hatte. Es habe sich bei dieser Mitarbeiterin um eine gut ausgebildete Fachkraft der Kanzlei gehandelt, die alle ihr zugewiesenen Aufgaben stets mit besonderer Sorgfalt erledigt habe. Insbesondere die Fristenkontrolle sei bis zuletzt immer wieder überprüft worden, ohne daß es zu Beanstandungen gekommen sei. Danach bestehen keine Bedenken, daß die Rechtsanwältin sowohl die Feststellung des Fristbeginns als auch die Berechnung der Frist der von ihr damit betrauten Büroangestellten überlassen durfte. Es liegt kein Fall vor, der sie veranlassen musste, selbst eine weitergehende Kontrolle der Fristen vorzunehmen. Die fälschliche Eintragung des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist unter dem 6. Februar 2004 beruht nicht auf einem Organisationsverschulden, sondern auf einem Einzel- versehen der Angestellten.“ Dem schließt sich der Senat an.
Harms Häger Raum Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 58/09
vom
2. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis nur unterzeichnen und zurückgeben
, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten
und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.
BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - VI ZB 58/09 - OLG Hamm
LG Bochum
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen, den
Richter Pauge und die Richterin von Pentz

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. Juli 2009 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen. Beschwerdewert: 221.312,00 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 18. Februar 2009 teilweise stattgegeben. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 13. März 2009 zugestellt worden. Eine vollstreckbare Urteilsausfertigung ist ihm am 24. März 2009 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 23. April 2009, der am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 19. Juni 2009, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 26. Juni 2009 zugestellt worden ist, hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass die Berufungsfrist bereits am 14. April 2009 abgelaufen und die Berufung deshalb verspätet eingelegt worden sei. Daraufhin hat die Klägerin mit einem am 3. Juli 2009 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung u.a. ausgeführt, im Büro ihres Prozessbevollmächtigten gebe es die Anweisung, dass dann, wenn ein Urteil mit dem unterzeichneten Empfangsbekenntnis in das Sekretariat zurückgelange, die (Berufungs -)Fristen zu berechnen und im Fristenkalender sowie auf dem Urteil zu notieren seien. Hier liege der Fehler darin, dass nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses zwar dieses, nicht aber das Urteil selbst zur Akte gelangt sei, was sich trotz höchster Sorgfalt nicht habe vermeiden lassen.
2
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Dieser habe den gebotenen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt, weil er das Empfangsbekenntnis unterzeichnet habe, ohne selbst das Datum der Zustellung auf dem Urteil zu vermerken, eine Wiedervorlagefrist zu bestimmen und die Fristnotierung sicherzustellen. Zudem habe er es pflichtwidrig versäumt , anlässlich der Zustellung der vollstreckbaren Urteilsausfertigung zu prüfen , ob die (Berufungs-)Fristen richtig erfasst und festgehalten waren.
3
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach im Ergebnis zutreffend entschieden hat.
5
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das Versäumnis beruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das sie sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
6
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (Senatsbeschlüsse vom 26. März 1996 - VI ZB 1/96 und VI ZB 2/96 - VersR 1996, 1390 und vom 12. Januar 2010 - VI ZB 64/09 - z.V.b.; BGH, Beschluss vom 30. November 1994 - XII ZB 197/94 - BGHR ZPO § 233 - Empfangsbekenntnis 1 m.w.N.). Bescheinigt der Rechtsanwalt den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich damit die Gefahr, dass die Fristnotierung unterbleibt und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um dieses Risiko auszuschließen, muss der Anwalt, falls er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen. Auf allgemeine Anordnungen darf er sich in einem solchen Fall nicht verlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 1992 - XII ZR 268/91 - VersR 1992, 1536; vom 16. September 1993 - VII ZB 20/93 - VersR 1994, 371 und vom 30. November 1994 - XII ZB 197/94 - aaO). Weist er seine Bürokraft im Einzelfall mündlich an, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass diese Anweisung nicht in Vergessenheit gerät (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. September 2002 - VI ZR 419/01 - VersR 2003, 792, 793 und vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - VersR 2005, 94, 95; BGH, Beschlüsse vom 5. November 2002 - VI ZR 399/01 - BGHR ZPO § 233 [Empfangsbekenntnis 6] und vom 27. September 2007 - IX ZA 14/07 - AnwBl 2008, 71).
7
Durch welche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gewährleistet ist, dass bei Urteilszustellungen nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch Rechtsanwalt H. die Eintragung der Berufungsfrist erfolgt und nicht in Vergessenheit gerät , zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Sie macht auch nicht geltend, dass Rechtsanwalt H. am 13. März 2009 eine Einzelanweisung zur Fristnotierung erteilt habe und die Ausführung einer solchen Anweisung durch allgemeine organisatorische Maßnahmen sichergestellt gewesen sei. Mithin hat Rechtsanwalt H. die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt, als er am 13. März 2009 das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und zurückgegeben hat, ohne ausreichende Vorkehrungen für die Notierung der Rechtsmittelfrist getroffen zu haben.
8
Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob Rechtsanwalt H. auch im Rahmen der Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist.
9
3. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
10
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Galke Zoll Diederichsen Pauge von Pentz
Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 18.02.2009 - 6 O 368/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 24.07.2009 - I-26 U 65/09 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 6/08
vom
26. Januar 2009
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 233 Fc, Fd, 574 Abs. 2 Nr. 2;

a) Die Verletzung des Anspruchs des Rechtsbeschwerdeführers auf Gewährung
rechtlichen Gehörs führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unabhängig davon
, ob sie sich auf das Ergebnis auswirkt.

b) Die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist und ihre Eintragung im Fristenkalender
müssen nicht in jedem Fall auf dem Handaktenbogen notiert werden.
Auch die Anbringung entsprechender Vermerke auf dem jeweiligen Schriftstück
genügt den an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens zu stellenden
Anforderungen.

c) Ein Rechtsanwalt darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass eine ausgebildete
und bisher zuverlässig arbeitende Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung
, auch wenn sie nur mündlich erteilt wird, befolgt und ordnungsgemäß ausführt
(st.Rspr., vgl. z.B. Sen.Beschl. v. 3. Dezember 2007 - II ZB 20/07,
NJW 2008, 576). Betrifft jedoch die mündlich erteilte Einzelweisung die Notierung
einer Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist, müssen in der Rechtsanwaltskanzlei
ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein,
dass eine solche nur mündlich erteilte Weisung in Vergessenheit gerät und die
Eintragung der Frist unterbleibt (st.Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 4. April 2007
- III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430, 1431).
BGH, Beschluss vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08 - OLG Celle
LG Stade
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 26. Januar 2009 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Caliebe, Dr. Reichart und Dr. Drescher

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 13. Februar 2008 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Beschwerdewert: 60.614,94 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin nimmt den Beklagten als Gesellschafter und früheren Geschäftsführer auf Zahlung und Feststellung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen das ihr am 15. Oktober 2007 zugestellte Urteil vom 11. Oktober 2007 durch ihre erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 14. November 2007 fristgerecht Berufung eingelegt. Am 11. Januar 2008 hat die Klägerin durch die mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragte "S. Rechtsanwaltsgesellschaft MBH", die mit Schriftsatz vom 27. November 2007 dem Berufungsgericht die Vertretung der Klägerin angezeigt hatte, die Berufung begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die am 17. Dezember 2007 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist beantragt.
2
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin vorgetragen :
3
Nach telefonischer Erteilung des Mandats für die Durchführung des Berufungsverfahrens am 22. November 2007 habe der in der Anwaltskanzlei S. mit der Sache befasste Rechtsanwalt Dr. F. am Vormittag des folgenden Tages die ihm zu diesem Vorgang übersandten Unterlagen, darunter das erstinstanzliche Urteil und die Berufungsschrift, auf den Schreibtisch der in der Kanzlei für die Fristennotierung zuständigen Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten Frau D. gelegt und erklärt, dass in dieser Sache zunächst eine Berufungsbegründungsfrist notiert und dann eine neue Akte angelegt werden müsse. Zwar habe die Sekretärin des Rechtsanwalts Dr. F. , Frau G. , noch an diesem Tag eine Akte angelegt; die Notierung der Berufungsbegründungsfrist sei jedoch unterblieben. Bei Frau D. handele es sich um eine sehr zuverlässige Mitarbeiterin mit mehrjähriger Berufserfahrung , die seit September 2007 mit der Fristennotierung und Fristenkontrolle betraut gewesen sei und diese Tätigkeit beanstandungsfrei erledigt habe. Warum sie die Berufungsbegründungsfrist nicht notiert habe, sei nicht mehr nachvollziehbar, weil sie sich an den Vorgang nicht erinnern könne.
4
Ebenfalls am 23. November 2007 habe Rechtsanwalt Dr. F. ein kurz nach 12.00 Uhr im Büro seiner Sekretärin eingegangenes Telefax der Klägerin , in dem sie - wie bei der telefonischen Mandatierung am Vortag angekündigt - das vorläufige Aktenzeichen des Berufungsgerichts mitgeteilt habe, vom Faxgerät in sein Büro mitgenommen und habe den Bestellungsschriftsatz an das Berufungsgericht diktiert. Er habe das Schreiben zusammen mit der diktierten Kassette seiner Sekretärin mit der Weisung übergeben, die neue Akte nach dem Schreiben des Diktats vorzulegen. Entgegen der erteilten Weisung habe Frau G. das einige Tage später gefertigte Schreiben ohne die Handakte zur Unterschrift vorgelegt. Die Gründe hierfür seien nicht mehr aufklärbar. Die Handakte sei Rechtsanwalt Dr. F. von einer Kanzleimitarbeiterin erstmals am 28. Dezember 2007 vorgelegt worden, nachdem die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts an diesem Tag durch einen Anruf in der Kanzlei darauf hingewiesen habe, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Berufungsbegründung eingegangen sei.
5
Das Mandat ihrer erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten habe die Klägerin mit Schreiben vom 28. November 2007 beendet.

II.

6
1. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
7
Die Fristversäumung sei auf ein Organisationsverschulden im Büro der mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragten Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen. Es könne offen bleiben, ob die Klägerin dargelegt und glaubhaft gemacht habe, dass der Fristenkalender ordnungsgemäß geführt werde. Die Büroorganisation ihrer Prozessbevollmächtigten genüge jedenfalls deshalb den an eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle zu stellenden Anforderungen nicht, weil die Fristwahrung nicht nur durch Führen eines Fristenkalenders, sondern auch durch Notieren der Fristen auf den Handakten zu sichern sei. Wie sich aus dem auf Anforderung vorgelegten Handaktenbogen ergebe, sei dies im vorliegenden Fall unterblieben. Wären Rechtsanwalt Dr. F. die Handakten wieder vorgelegt worden, hätte er bemerkt oder bemerken müssen, dass die erforderliche Gegenkontrolle zur Sicherung der Fristwahrung unterblieben sei.
8
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
9
2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO. Auch wenn über die Zulässigkeit der Berufung noch nicht entschieden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werden (BGH, Beschl. v. 17. März 2004 - IV ZB 41/03, NJW-RR 2004, 1150; Musielak/Grandel, ZPO 6. Aufl. § 238 Rdn. 7). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
10
a) Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde ist dies allerdings nicht schon deshalb der Fall, weil der angefochtene Beschluss keine Darstellung des Sachverhalts enthält. Zwar müssen Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand sowie die Anträge der Parteien erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den erforderlichen gesetzmäßigen Gründen versehen (Sen.Beschl. v. 28. April 2008 - II ZB 27/07, NJW-RR 2008, 1455 Tz. 4; BGH, Beschl. v. 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670, 1671 Tz. 4 m.w.Nachw.). Das Fehlen einer Sachdarstellung bleibt hier jedoch folgenlos , weil sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel mit noch hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben.
11
b) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist jedoch deshalb erforderlich, weil der angefochtene Beschluss den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung ausschließlich darauf gestützt, dass die Fristenkontrolle im Büro ihrer mit der Durchfüh- rung des Berufungsverfahrens beauftragten Prozessbevollmächtigten jedenfalls deshalb unzureichend organisiert gewesen sei, weil die Wahrung der Berufungseinlegungs - und begründungsfristen nur durch Führung eines Fristenkalenders und nicht auch durch Eintragung der Fristen auf den Handakten gesichert werde. Mit dieser Erwägung hat das Berufungsgericht übergangen, dass nach der - von der Klägerin vorgelegten und in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch zur Darstellung der Fristenkontrolle in Bezug genommenen - eidesstattlichen Versicherung der mit der Fristenkontrolle beauftragten Rechtsanwaltsfachangestellten Frau D. in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Fristen nebst Vorfristen gerade nicht nur im Fristenkalender notiert werden, sondern zur Gegenkontrolle auf dem jeweiligen Dokument vermerkt wird, dass die Fristen notiert wurden. Die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beruht auf dem Gehörsverstoß. Hätte das Berufungsgericht diesen Vortrag berücksichtigt, hätte es ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht darin sehen können, dass ihre Büroorganisation keine Sicherung der Fristwahrung durch Eintragung der Fristen auf bzw. in den Handakten vorsehe. Die Frist und ihre Eintragung im Fristenkalender muss nicht in jedem Fall auf dem Handaktenbogen notiert werden. Auch die Anbringung entsprechender Vermerke auf dem jeweiligen Schriftstück genügt den an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens zu stellenden Anforderungen (vgl. Sen.Beschl. v. 19. Juni 2006 - II ZB 25/05, DStR 2006, 1614; BGH, Beschl. v. 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 ff.).
12
Selbst wenn man die Darstellung der Büroorganisation in der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleimitarbeiterin D. für erläuterungsbedürftig halten wollte, weil sich aus ihr nicht mit hinreichender Deutlichkeit ergebe, dass auf dem betreffenden Schriftstück auch vermerkt wird, welche Frist im Fristenkalender notiert wurde, gilt nichts anderes. In diesem Fall hätte das Berufungsgericht die Klägerin, die - wie aus der Begründung ihres Wiedereinsetzungsge- suchs ersichtlich - diesem Gesichtspunkt mangels Kausalität für die Fristversäumung keine maßgebende Bedeutung beigemessen hatte, nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf seine Bedenken hinweisen und ihr Gelegenheit zur Äußerung geben müssen (vgl. Sen.Beschl. v. 19. Juni 2006 aaO S. 1615).
13
Die Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob sie sich auf das Ergebnis auswirkt (vgl. BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368; Zöller/Heßler, ZPO 27. Aufl. § 574 Rdn. 13 a).
14
3. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt, weil sie nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO). Sie muss sich das Verschulden ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.
15
Der Senat kann unentschieden lassen, ob es schon ein Verschulden des Rechtsanwalts Dr. F. darstellt, dass er sich die nach Mandatsübernahme angelegte Akte nicht zur eigenen Kontrolle der Notierung der Fristen hat vorlegen lassen (vgl. BGH, Beschl. v. 22. November 2000 - XII ZB 28/00, FamRZ 2001, 1143, 1145). Die Fristversäumung beruht jedenfalls deshalb auf einem (Organisations-)Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, weil die Befolgung der an Frau D. mündlich erteilten Weisung, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen, nicht hinreichend abgesichert war.
16
Allerdings darf sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf verlassen, dass eine ausgebildete Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung, auch wenn sie mündlich erteilt wird, befolgt und ordnungsgemäß ausführt (st.Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00, NJW 2000, 2823; Beschl. v. 17. September 2002 - VI ZR 419/01, VersR 2003, 792, 793; Sen.Beschl. v. 3. Dezember 2007 - II ZB 20/07, NJW-RR 2008, 576 Tz. 15). Wird aber ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist nur mündlich vermittelt, müssen nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine solche nur mündlich erteilte Anweisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist unterbleibt (vgl. BGH, Beschl. v. 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91, NJW 1992, 574; Beschl. v. 17. September 2002 aaO; Beschl. v. 5. November 2002 - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435, 436; Beschl. v. 4. April 2007 - III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430, 1431 Tz. 9; Beschl. v. 9. Oktober 2007 - XI ZB 14/07, NJOZ 2008, 2162, 2163 f. Tz. 6).
17
Abgesehen davon bestand im konkreten Fall besondere Veranlassung, die nur mündlich angeordnete Eintragung der Berufungsbegründungsfrist durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen. Denn aus den Frau D. - mit der Weisung, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen - übergebenen Unterlagen war nicht ohne weiteres erkennbar, dass eine solche Frist eingetragen werden musste. Es war ihnen schon nicht zu entnehmen, dass die Klägerin die Kanzlei S. mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt hatte, wie dies nach Übersendung der Unterlagen tatsächlich geschehen war. Ebenso wenig war ihren zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das landgerichtliche Urteil zugestellt worden. Hinzu kommt, dass nur aus einem genauen Studium der Unterlagen ersichtlich war, dass eine Berufungsbegründungsfrist lief und dass in einer bei den Unterlagen befindlichen E-Mail der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten an die Klägerin vom 17. Oktober 2007 zudem das Fristende unzutreffend mitgeteilt war.
18
Den oben näher geschilderten Anforderungen sind die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht gerecht geworden. Der mit der Sache befasste Rechtsanwalt Dr. F. hat die Fachangestellte Frau D. weder im konkreten Fall ausdrücklich angewiesen, seine Anordnung , die Berufungsbegründungsfrist einzutragen, sofort auszuführen, noch waren unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten Vorkehrungen, z.B. durch eine allgemeine Weisung, Aufträge zur Eintragung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen sofort und vorrangig zu erledigen, dagegen getroffen, dass die Ausführung einer entsprechenden mündlich erteilten Weisung unterblieb (BAG, Beschl. v. 10. Januar 2003 - 1 AZR 70/02, NJW 2003, 1269, 1270; Roth in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 233 Rdn. 38 Stichwort "Büroverschulden", lit. e a.E.).
19
Die von Rechtsanwalt Dr. F. - nach Mitteilung des vorläufigen gerichtlichen Aktenzeichens am Nachmittag des gleichen Tages - seiner Sekretärin erteilte mündliche Anweisung, ihm nach dem Schreiben des Diktats die Handakte vorzulegen, stellt keine hinreichende Absicherung der gegenüber Frau D. am Vormittag mündlich angeordneten Eintragung einer Berufungsbegründungsfrist dar. Rechtsanwalt Dr. F. konnte sich nicht darauf verlassen, dass in dieser Sache am gleichen Tag ein Fax der Klägerin eintreffen würde. Abgesehen davon hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag seine Sekretärin nicht deshalb zur Vorlage der Handakte angewiesen, um die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist zu kontrollieren, sondern um die schriftliche Mandatsbestätigung zu diktieren.
20
Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, dass die Vorlage der Handakten durch die Sekretärin wiederum als Folge eines eigenen (Organisations-)Verschuldens unterblieben ist. Denn das Wiedereinsetzungsgesuch enthält zur Zuverlässigkeit von Frau G. keinerlei Angaben.
Im Wiedereinsetzungsantrag ist nur vorgetragen, dass "aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen" die Vorlage der Akte unterblieben ist, obwohl das diktierte Schreiben dem Anwalt zur Unterschrift vorgelegt worden ist.
Goette Kurzwelly Caliebe Reichart Drescher
Vorinstanzen:
LG Stade, Entscheidung vom 11.10.2007 - 8 O 5/07 -
OLG Celle, Entscheidung vom 13.02.2008 - 9 U 190/07 -