Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2010 - 4 StR 180/10

bei uns veröffentlicht am22.07.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 180/10
vom
22. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes in drei tateinheitlichen Fällen u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen sowie mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und zur Schuldfähigkeit bestehen,
b) im Rechtsfolgenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen sowie mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt; außerdem hat es eine Maßregelanordnung nach §§ 69, 69a StGB getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
Die Verfahrensrüge ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, unbegründet. Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bezüglich der versuchten Tötung der Zeugin K. begegnet schon in objektiver Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
a) Beweggründe zu einem Tötungsverbrechen sind "niedrig", wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen; die Beurteilung dieser Frage hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1987 - 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 127; Beschluss vom 21. Dezember 2000 - 4 StR 499/00, StV 2001, 571).
5
b) Das Landgericht begründet die Annahme, der Angeklagte habe die Zeugin K. aus niedrigen Beweggründen töten wollen, damit, dass der Angeklagte in erster Linie aus krankhaft übersteigerter Eifersucht gehandelt habe. Er habe die Zeugin "als ihm gehörend, als sein Eigentum und damit lediglich als Objekt" betrachtet, "das er bestrafen und lieber tot sehen wollte, als zuzulassen, dass sie ihn noch einmal verließ" (UA 82, 83).
6
Das Landgericht hat dabei nicht bedacht, dass Gefühlsregungen wie Eifersucht , aber auch Rache, Wut und Hass nach ständiger Rechtsprechung nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht kommen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grund entbehren (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1992 - 2 StR 551/91, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 22; Beschluss vom 21. Dezember 2000 - 4 StR 499/00 aaO, jeweils m.w.N.; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 211 Rn. 19 m.w.N.).
7
Die vom Landgericht zum Verhalten der Zeugin K. gegenüber dem Angeklagten getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Bewertung der Eifersucht als "krankhaft übersteigert" nicht, denn danach bestand für den Angeklagten mehrfach begründeter Anlass zur Eifersucht, weil die Zeugin Kontakte zu anderen Männern suchte und sich zweimal wegen einer neuen Bekanntschaft kurzzeitig vom Angeklagten getrennt hatte. Auch während des der Tat vorangegangenen Diskothekenbesuchs, für dessen Kosten - wie stets - der Angeklagte aufkam, flirtete sie intensiv mit dem Zeugen R. , außerdem verursachte sie eine ungewöhnlich hohe Zeche, die nahezu zwei Fünftel des monatlichen Einkommens des Angeklagten betrug. Im Rahmen der Strafzumessung bezeichnet das Landgericht die Empörung des Angeklagten über das Verhalten seiner Verlobten als nachvollziehbar und hält dem zur Tatzeit alkoholisierten Angeklagten zugute, dass dieser sich in einer in gewisser Weise sogar noch verständlichen Aufwallung von Jähzorn, Enttäuschung, Wut aber auch Angst davor, verlassen zu werden, zur Tat entschlossen habe.
8
Diese Erwägungen hätte das Landgericht auch in die Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe einbeziehen müssen. Dies wird der neue Tatrichter nachzuholen haben.
9
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes zum Nachteil des Zeugen R. hat keinen Bestand, weil die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts durch das Landgericht rechtlicher Prüfung nicht standhält.
10
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte seine damalige Verlobte, die Zeugin K. , die nach einem gemeinsamen Diskothekenbesuch infolge einer Kreislaufschwäche auf einem Parkplatzgelände lag, sowie die Zeugen S. und R. , die ihr helfen wollten und neben ihr knieten, mit seinem Kastenwagen vorsätzlich an, wobei er schwere, auch tödliche Verletzungen der drei Personen in Kauf nahm. Die Zeugen K. und S. wurden von dem Fahrzeug überrollt und erlitten schwere Verletzungen, der Zeuge R. wurde lediglich "streifend am Arm" erfasst und nur geringfügig verletzt. Bevor sich der Angeklagte vom Tatort entfernte, betrachtete er die beiden Schwerverletzten. Er unternahm weder einen weiteren Angriff noch sorgte er für ärztliche Hilfe.
11
Zur Frage eines strafbefreienden Rücktritts hat das Landgericht ausgeführt , dass es aus der Sicht des Angeklagten nicht nötig gewesen sei, seinen Opfern weitere Verletzungen beizubringen, "da N. K. bereits offenbar schwer verletzt und vor Schmerzen laut schreiend auf dem Boden lag und er also sein Ziel, N. K. für ihr Verhalten ihm gegenüber zu bestrafen, schon erreicht hatte. Die Frage eines etwaigen Rücktritts stellt sich damit nicht, der Tötungsversuch war bereits beendet" (UA 83).
12
b) Dies hält, soweit es die Tat zum Nachteil des Zeugen R. betrifft, rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die Urteilsfeststellungen nicht belegen, dass insoweit ein beendeter Versuch vorlag.
13
aa) Für die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 - 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 299; Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227) oder sich keine Gedanken darüber macht, ob sein bisheriges Verhalten ausreicht, um den Erfolg herbeizuführen (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304).
14
Hält er den Erfolgseintritt für möglich, so ist der Versuch beendet. In diesem Fall setzt ein strafbefreiender Rücktritt voraus, dass der Täter den Erfolgseintritt durch eigene Tätigkeit verhindert oder sich, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt, darum bemüht.
15
Rechnet der Täter dagegen nach der letzten Ausführungshandlung (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus Sicht des Täters noch möglich war. In diesem Fall genügt das bloße Aufgeben weiterer Tatausführung, um die straf- befreiende Wirkung des Rücktritts zu erlangen. Dies gilt auch dann, wenn der Täter von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel erreicht hat.
16
bb) Dafür, dass der Angeklagte den Tod des Zeugen R. , der von dem Fahrzeug nicht wie die anderen Geschädigten überrollt, sondern nur am Arm leicht erfasst worden ist, für möglich hielt, ergeben sich aus den Urteilsgründen keine hinreichenden Anhaltspunkte.
17
Das Urteil verhält sich zwar nicht ausdrücklich dazu, wo sich dieser Zeuge befand, als der Angeklagte die beiden Schwerverletzten betrachtete und ob der Angeklagte dessen vergleichsweise geringe Verletzungen bemerkte. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist aber zu entnehmen, dass der Angeklagte sowohl im Augenblick des Überrollens als auch beim Anblick der beiden Schwerverletzten erkannte, dass er nur zwei und nicht drei Personen überfahren hat. Entsprechend äußerte er sich zudem unmittelbar nach der Tat gegenüber seinen Eltern (UA 29).
18
cc) Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen treffen lassen, die der Annahme eines strafbefreienden Rücktritts entgegenstehen könnten. Deshalb sieht er von einer eigenen Entscheidung in der Sache, wie sie vom Generalbundesanwalt angeregt wurde, ab.
19
3. Hinsichtlich der versuchten Tötungsdelikte zum Nachteil der Zeugen K. und S. ist das Landgericht dagegen zu Recht von einem beendeten Versuch ausgegangen. Die getroffenen Feststellungen belegen, dass der Angeklagte nach dem Überfahren dieser beiden Opfer deren Tod für möglich hielt. Er hat beide mit einem relativ schweren Fahrzeug und einer Anstoßgeschwindigkeit von etwa 30 km/h überrollt, wodurch ein deutlicher Ruck in der Fahrbewegung und sogar ein Querversatz des Fahrzeugs ausgelöst wurden. Nachdem er sein Fahrzeug angehalten hatte, erkannte er an dem Zustand der beiden Geschädigten, dass diese offenbar erheblich verletzt waren. Vor dem Hintergrund der vom Angeklagten wahrgenommenen Auswirkungen seiner äußerst gefährlichen Vorgehensweise ist die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Angeklagte habe mit tödlichen Verletzungen der Zeugen K. und S. gerechnet, nicht zu beanstanden.
20
Da der Angeklagte keine Bemühungen unternommen hat, den Erfolgseintritt zu verhindern, hat das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt insoweit im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Die zum Teil missverständlichen Formulierungen in den Ausführungen zum Rücktritt stehen dem nicht entgegen.
21
4. Die festgestellten Rechtsfehler zwingen zur Aufhebung der - für sich genommen rechtsfehlerfrei festgestellten - tateinheitlich mit den beiden Mordversuchen begangenen Taten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
22
5. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und zur Schuldfähigkeit können aufrechterhalten werden, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen sind. Ergänzende Tatsachenfeststellungen, die hierzu nicht in Widerspruch stehen, sind möglich.
23
6. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob hinsichtlich des versuchten Tötungsdelikts zum Nachteil der Zeugin K. das Mordmerkmal der Heimtücke in Betracht kommt, das dem Angeklagten in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage auch hinsichtlich dieser Geschädigten zur Last gelegt worden war. Zwar war die Zeugin K. selbst nicht auf Grund ihrer Arglosigkeit wehrlos, sondern infolge der erlittenen Kreislaufschwäche. Das Mordmerkmal der Heimtücke kann, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift, auf die der Senat insoweit Bezug nimmt, hingewiesen hat, auch dadurch erfüllt sein, dass ein Täter die Arglosigkeit einer schutzbereiten Person zur Tatausführung ausnutzt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 1997 - 4 StR 158/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 24 m.w.N.).
Ernemann Solin-Stojanović Ri'inBGH Roggenbuck befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann RiBGH Dr. Mutzbauer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Bender

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Strafgesetzbuch - StGB | § 69a Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis


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(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.

(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c),
1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d),
2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),
3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder
4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.

(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.

(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.

(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 499/00
vom
21. Dezember 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. Dezember 2000 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 7. Juli 2000 1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des Totschlags schuldig ist, 2. im Strafausspruch aufgehoben. II. Die Sache wird zur Neufestsetzung der Strafe und zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision , mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur Ä nderung des Schuldspruchs und Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verfahrensbeschwerden, mit denen sich die Revision insbesondere gegen die Verneinung einer die Tat rechtfertigenden Notwehrlage und die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit durch das Landgericht wendet, greifen nicht durch. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. November 2000, die durch das Vorbringen im Schriftsatz der Verteidigung vom 18. Dezember 2000 nicht entkräftet werden. 2. Dagegen hat die Revision zum Schuldspruch mit der Sachrüge Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, begegnet - wie die Revision zu Recht geltend macht - schon in objektiver Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Beweggründe zu einem Tötungsverbrechen sind "niedrig", wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen; die Beurteilung dieser Frage hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212). Das Landgericht begründet die Annahme , der Angeklagte habe Patrick E. aus "niedrigen Beweggründen" getötet, wie folgt: "Er hat ihn ... getötet, weil er sich an E. dafür rächen wollte, daß dieser ihm die langjährige Freundin ausgespannt hatte. Er fühlte sich durch E. hintergangen, weil dieser mit ihm befreundet gewesen ist und er ihm finanziell geholfen hatte. Der Angeklagte wußte, daß eine Wiederauf-
nahme seiner Beziehung zu .... Katja P. nicht mehr möglich war. Bei der Tötung des Patrick E. ging es ihm in erster Linie um seine eigenen egoistischen Belange; er wollte den Patrick E. bestrafen. Nachdem er bereits einen im Ergebnis tödlichen Schuß auf Patrick E. abgegeben hatte, verfolgte er diesen und gab auf den verzweifelt um sein Leben kämpfenden Patrick E. einen zweiten tödlichen Schuß von hinten in den Rücken ab. Wer unter solchen Umständen einem Menschen das Lebensrecht abspricht, handelt zutiefst verwerflich." Diese Erwägungen rechtfertigen die Wertung der Beweggründe für die Tötung als "niedrig" im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB nicht. Gefühlsregungen wie Rache, aber auch Wut, Haß und Eifersucht, kommen nach der Rechtsprechung nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 211 Rdn. 5 a m. Nachw.). Das ist am ehesten der Fall, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8, 16, 22; BGH, Urt. vom 3. Februar 1993 - 2 StR 389/92). So verhält es sich hier jedoch nicht: Nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der Intimpartner vom Täter abwenden will oder abgewandt hat, beruht deshalb zwangsläufig schon auf niedrigen Beweggründen. Vielmehr können in einem solchen Fall tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Enttäuschung und "ungerechter" Behandlung sein, die einer Wertung als "niedrig" entgegenstehen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 18, 32 m.w.N.). Davon geht die Rechtsprechung auch dann aus, wenn der Täter den Grund für die Trennung selbst herbeigeführt hat (BGH StV 2000, 20 f). Um so mehr gilt dies, wenn - wie hier - die Trennung von dem Partner ausgegangen ist, die der Täter - wie das Land-
gericht in bezug auf den Angeklagten ausdrücklich feststellt - nicht "verkraftet" (UA 4). Zwar kommt auch in solch einem Fall die Bewertung der Beweggründe als "niedrig" in Betracht, wenn der Täter den Partner oder den "Nebenbuhler" aus krasser, übersteigerter Eifersucht tötet, weil er sie einander nicht gönnt (vgl. BGHSt 22, 12, 13; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 211 Rdn. 5 a m.w.N.). Davon kann hier aber schon deshalb keine Rede sein, weil der Angeklagte nach der Trennung von Katja P. eine neue Beziehung eingegangen war. Bei der Bewertung des den Angeklagten beherrschenden Motivbündels (vgl. BGH NJW 1981, 1382; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 20) kam deshalb dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, daß der Angeklagte sich von dem Tatopfer "verraten" (UA 4) fühlte. Dieses Gefühl der Kränkung erhielt sein besonderes Gewicht zudem dadurch, daß es sein Freund gewesen war, der ihn in dieser Weise "hintergangen" hatte (UA 10). Wenn der Angeklagte hiernach "sauer" auf Patrick E. war, weil dieser seine Beziehung zu Katja P. "auseinandergebracht hatte" (UA 9), so fehlt es ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung eines anderen innewohnt, nicht an jeglichem menschlichen Verständnis für die den Angeklagten zur Tat bestimmenden Motive, wie dies deren Qualifikation als "niedrig" im Sinne des Mordtatbestandes voraussetzen würde. Hinzukommt, daß das Landgericht im Zusammenhang mit den für die Beurteilung bedeutsamen persönlichen Beziehungen zwischen Täter und Opfer (vgl. Eser NStZ 1983, 433, 435 m.N.) hier auch die im Vorfeld der Tat gegenseitig ausgesprochenen Morddrohungen im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung nicht unberücksichtigt lassen durfte. Daß der Angeklagte dem Tatopfer "das Lebensrecht abgesprochen" hat, ist Gegenstand jeden vorsätzlichen Tötungsdelikts und rechtfertigt deshalb die Einstufung der Beweggründe als "niedrig" für sich nicht. Nichts anderes ergibt sich hier daraus, daß der Angeklagte nach dem ersten Schuß Patrick E. noch
verfolgte und ihm einen weiteren tödlichen Schuß versetzte; denn dies belegt hier lediglich seinen - wie das Landgericht zutreffend annimmt - "unbedingten Tötungswillen" (UA 10). 3. Der Senat schließt aus, daß sich auf Grund neuer Hauptverhandlung noch weitere Feststellungen treffen lassen, die ein Handeln aus "niedrigen Beweggründen" ergeben könnten. Anhaltspunkte für weitere mordqualifizierende Merkmale bestehen nicht; solche werden auch in der zugelassenen Anklage nicht angenommen. Der Senat ändert deshalb den Schuldspruch von sich aus dahin, daß der Angeklagte des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) schuldig ist. Die Schuldspruchänderung macht die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlich. Dagegen sind die der Festsetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe zugrundeliegenden Feststellungen – namentlich diejenigen zur vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten, die das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht hat – von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Dies schließt ergänzende Feststellungen durch den neuen Tatrichter, die dazu nicht in Widerspruch stehen, nicht aus. Meyer-Goßner Maatz Athing

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.