Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juni 2012 - 4 ARs 5/12

bei uns veröffentlicht am19.06.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 ARs 5/12
vom
19. Juni 2012
in dem Auslieferungsverfahren
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Die ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 IRG, wonach bei zu
erwartender lebenslanger Freiheitsstrafe eine Überprüfung der Vollstreckung
der verhängten Strafe spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss, ist durch die
nach Art. 560 ff. der polnischen Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit
einer Begnadigung erfüllt.
BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 - 4 ARs 5/12 - OLG Düsseldorf
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Verfolgten am 19. Juni 2012 gemäß § 42 IRG beschlossen:
Die ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 IRG, wonach bei zu erwartender lebenslanger Freiheitsstrafe eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss, ist durch die nach Art. 560 ff. der polnischen Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit einer Begnadigung erfüllt.

Gründe:


I.


1
1. a) Die Strafverfolgungsbehörden der Republik Polen haben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in S. vom 11. März 2008 um Auslieferung des am 10. März 2011 in Deutschland festgenommenen polnischen Staatsangehörigen M. G. zur Strafverfolgung ersucht. Dem Europäischen Haftbefehl liegt der Beschluss des Amtsgerichts in S. vom 13. November 2007 über die vorläufige Festnahme des Verfolgten zugrunde.
2
Dem Verfolgten werden ein versuchtes Tötungsdelikt gemäß Art. 13 § 1, Art. 148 § 2 des polnischen Strafgesetzbuchs und unerlaubter Schusswaffenbesitz gemäß Art. 263 § 2 des polnischen Strafgesetzbuchs zur Last gelegt.
Ihm wird vorgeworfen, am 24. Juni 2007 um ca. 22.30 Uhr in einer Bar in S. mit einer automatischen Pistole, für deren Führen er nicht die erforderliche Erlaubnis besaß, in Tötungsabsicht mehrere Schüsse auf P. B. abgegeben und diesen dadurch verletzt zu haben.
3
Die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf hat beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären. Mit einer vereinfachten Auslieferung hat sich der Verfolgte in diesem Verfahren einverstanden erklärt; auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität hat er nicht verzichtet.
4
Nach der zur Zeit des Erlasses jenes Haftbefehls geltenden Fassung des Art. 148 § 2 Nr. 4 des polnischen Strafgesetzbuchs wurde die Tötung eines Menschen unter Verwendung einer Schusswaffe mit Freiheitsstrafe nicht unter zwölf Jahren, mit 25 Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Da in der derzeit geltenden Fassung von Art. 148 des polnischen Strafgesetzbuchs die Qualifikationsalternative der Verwendung einer Schusswaffe entfallen ist (vgl. Schwierskott-Matheson, Polnisches Strafgesetzbuch [polnisch-deutsche Ausgabe], 2011, S. 103), würde die Tat bei Anwendung dieser Fassung des polnischen Strafgesetzbuchs nach Art. 148 § 1 mit Freiheitsstrafe nicht unter acht Jahren, mit 25 Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. Die Strafe für den Versuch wird dem Strafrahmen für die vollendete Straftat entnommen (Art. 14 § 1 des polnischen Strafgesetzbuchs). Bei Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann gemäß Art. 78 § 3 2. Alt. des polnischen Strafgesetzbuchs eine vorläufige Entlassung frühestens nach Verbüßung von 25 Jahren Freiheitsstrafe erfolgen. Für das Waffendelikt sieht das polnische Strafgesetzbuch Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu acht Jahren vor.
5
b) Aufgrund eines weiteren Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in S. vom 16. September 2008 ist der Verfolgte inzwischen zur Vollstreckung einer durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts in S. vom 10. April 2007 wegen Einbruchsdiebstahls verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren an die Republik Polen ausgeliefert worden. Auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität hat er auch in diesem Verfahren nicht verzichtet.
6
2. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 24. März 2011 die Auslieferung des Verfolgten an die polnische Regierung allein zur Strafvollstreckung, nicht aber zur Strafverfolgung angeordnet. Es beabsichtigt, dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf insofern - also hinsichtlich der Auslieferung auch zur Strafverfolgung - nicht zu entsprechen.
7
Es ist - in weiten Teilen seiner schon im Beschluss vom 5. Oktober 2009 (Az.: III 4 AuslA 145/09 - 609/09 III) vertretenen Ansicht folgend - der Auffassung , dass die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 IRG nicht erfüllt sei, wonach dann, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe auf Antrag oder von Amts wegen spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss. Art. 78 § 3 des polnischen Strafgesetzbuches sehe eine solche Überprüfung erst nach Ablauf von 25 Jahren vor. Die bereits vorher bestehende Möglichkeit des Verfolgten, ein Gnadengesuch gemäß Art. 560 ff. der polnischen Strafprozessordnung zu stellen , sei nicht ausreichend, weil § 83 Nr. 4 IRG eine gerichtliche oder jedenfalls der gerichtlichen Kontrolle zugängliche Überprüfung verlange. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, mit der der Gesetzgeber Art. 5 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – 2002/584/JI(im Folgenden: RB-EUHb) in nationales Recht umgesetzt habe. Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb differenziere zwischen der "Überprüfung" und "Gnadenakten" und stelle es dem ersuchten Mitgliedstaat frei, eine gerichtliche Überprüfung als Bedingung für die Auslieferung zu fordern oder die Möglichkeit eines Gnadenaktes ausreichen zu lassen. Der Bundesgesetzgeber habe sich für das Erfordernis einer gerichtlichen Überprüfung entschieden, mit der das polnische Gnadenverfahren, das keine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung des Präsidenten der Republik Polen vorsehe, nicht vergleichbar sei.
8
3. An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht Düsseldorf durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. Juni 2007 (1 Ausl-III-41/05) und des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Oktober 2009 (1 ARs 40/09 Ausl) gehindert. Diese Gerichte vertreten die Auffassung, dass das polnische Gnadenverfahren eine Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 4 IRG darstelle; ähnlich haben das Oberlandesgericht Köln (Beschluss vom 27. April 2009 - 6 AuslA 25/08) für eine Auslieferung nach Ungarn und das Oberlandesgericht Celle (Beschluss vom 10. Oktober 2008 - 1 ARs 40/08 Ausl) für eine Auslieferung nach Lettland entschieden. Darüber hinaus sieht das Oberlandesgericht Düsseldorf in der aufgeworfenen Frage eine solche von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 42 Abs. 1 1. Alt. IRG und hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt: "Ist die ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 IRG, wonach bei lebenslanger Freiheitsstrafe eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss, durch die nach Art. 560 ff. der polnischen Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit einer – gemäß Art. 139 der polnischen Verfassung dem Präsidenten der Republik vorbehaltenen – Begnadigung erfüllt?"
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4. Der Generalbundesanwalt hat die Vorlegungsfrage geringfügig abgeändert (Einfügung von "zu erwartender" lebenslanger Freiheitsstrafe und Weg- lassung des Einschubs „gemäß Art. 139 der polnischen Verfassung dem Präsi- denten der Republik vorbehaltenen“) und beantragt zu entscheiden: "Die ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 IRG, wonach bei zu erwartender lebenslanger Freiheitsstrafe eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss, ist durch die nach Art. 560 ff. der polnischen Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit einer Begnadigung erfüllt."
10
5. Der anwaltliche Vertreter des Verfolgten hat beantragt, den Antrag des Generalbundesanwalts zurückzuweisen. Zur Begründung hat er auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf in dem Vorlagebeschluss vom 10. August 2011 verwiesen und ergänzend unter anderem ausgeführt, dass Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb einen "Gnadenakt" erfordere, also eine Gnade gewährende Entscheidung, ein Anspruch allein auf die Durchführung eines Gnadenverfahrens mithin nicht ausreiche.

II.


11
1. Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 42 Abs. 1 IRG sind erfüllt.
12
a) Das Oberlandesgericht Düsseldorf kann - wie es zutreffend dargelegt hat - nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von der in den Beschlüssen der Oberlandesgerichte Koblenz und Celle vertretenen Rechtsansicht abzuweichen (§ 42 Abs. 1 2. Alt. IRG), zumal sich inzwischen auch das Oberlandesgericht Dresden der von diesen Gerichten vertretenen Rechtsansicht angeschlossen hat (Beschluss vom 19. Dezember 2011 - OLG Ausl 219/11).
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Darüber hinaus ist die aufgeworfene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 42 Abs. 1 1. Alt. IRG); denn sie kann sich im deutsch-polnischen Auslieferungsverkehr über den vorgelegten Einzelfall hinaus jederzeit wieder stellen (vgl. Senatsbeschluss vom 15. April 2008 – 4 ARs 22/07, BGHSt 52, 191, 199 mwN), was dadurch belegt wird, dass das Oberlandesgericht Dresden eine Entscheidung über einen Auslieferungsantrag nach Polen, in dem sich dieselbe Problematik wie im vorliegenden Fall stellt, zurückgestellt hat (Beschluss vom 19. Dezember 2011 - OLG Ausl 219/11 [juris - Tz. 10 ff.]).
14
b) Die Rechtsfrage ist für die Entscheidung auch erheblich.
15
Zwar hat sich der Verfolgte im vorliegenden Verfahren mit einer vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt. Dies steht aber einer entsprechenden - hier von der Generalstaatsanwaltschaft allerdings allein auf § 29 Abs. 1 IRG gestützten - Antragstellung nicht entgegen (vgl. § 29 Abs. 2 IRG) und verpflichtet das Gericht, da sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen ersichtlich nicht in Frage stehen, über den Antrag in der Sache zu entscheiden. Hinzu kommt, dass das vorlegende Oberlandesgericht bereits in seinem Beschluss vom 24. Mai 2011 darauf hingewiesen hat, dass seiner Ansicht nach bei der richterlichen Anhörung des Verfolgten am 11. März 2011 eine ordnungsgemäße Belehrung nach § 79 Abs. 2 Satz 4 IRG unterblieben ist, was zur Folge hätte, dass sein dort erklärtes Einverständnis mit der vereinfachten Auslieferung nicht wirksam wäre (vgl. Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 79 Rn. 18). Zudem hat sich das der Generalstaatsanwaltschaft in § 29 Abs. 2 IRG eingeräumte Ermessen im Hinblick auf die gegensätzlichen Entscheidungen der Oberlandesgerichte zur Auslegung von § 83 Nr. 4 IRG ohnehin auf Null reduziert (vgl. auch Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner aaO § 29 Rn. 7; ferner Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 27. April 2009 - 6 AuslA 25/08 [juris - Tz. 4, 6]; zum Schutzzweck des § 29 Abs. 2 IRG: Lagodny aaO § 29 Rn. 5).
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Die Auslieferung ist auch nicht bereits auf Grundlage des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 (im Folgenden: EuAlÜbk), des 2. Zusatzprotokolls von 1978 (im Folgenden: 2. ZP EuAlÜbk) oder des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Ergänzung des EuAlÜbk von 2003 (im Folgenden: PL-ErgV EuAlÜbk) zulässig. Denn diese Regelungen sind nicht mehr anwendbar. Nach § 78 Abs. 2 IRG gehen die Bestimmungen des 8. Teils des IRG den in § 1 Abs. 3 IRG genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen vor, soweit dieser – wie bei dort enthaltenen speziellen Bestimmungen zum Schutz des Verfolgten (Böse in Grützner/ Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, § 78 IRG Rn. 1), mithin auch im Falle des § 83 Nr. 4 IRG – abschließende Regelungen enthält. Dies entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der zu den nach Art. 31 Abs. 2 RB-EUHb weiterhin anwendbaren bilateralen oder multilateralen Abkommen nicht die in Art. 31 Abs. 1 RB-EUHb aufgeführten Abkommen – also auch nicht das in Art. 31 Abs. 1 a) genannte EuAlÜbk und das 2. ZP EuAlÜbk – zählen, die durch den Rahmenbeschluss ersetzt wurden (EuGH, Urteil vom 12. August 2008 [Goicoechea] - C 296/06, NJW 2009, 657, 658; dazu auch Hackner aaO § 78 Rn. 7 f.).

III.


17
Der Senat bejaht die (vom Generalbundesanwalt geringfügig abgeänderte ) Vorlegungsfrage.
18
1. Nach § 83 Nr. 4 IRG ist eine Auslieferung nur dann unzulässig, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt. Eine Beschränkung auf gerichtliche oder der gerichtlichen Überprüfung unterliegende Entscheidungen lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen; ebenso wenig schließt der Wortlaut Gnadenentscheidungen von vorneherein aus.
19
2. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist ein Gnadenverfahren jedenfalls dann als Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 4 IRG anzusehen, wenn es die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ermöglicht und es dem Verfolgten einen Anspruch auf eine sachliche Kriterien berücksichtigende Entscheidung über sein Gnadengesuch einräumt.
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a) Zwar benennen sowohl Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb, der durch den am 2. August 2006 in Kraft getretenen § 83 Nr. 4 IRG in nationales Recht umgesetzt wurde, als auch die Gesetzesmaterialien zur ersten, mit Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 (2 BvR 2236/04, NJW 2005, 2289) für nichtig erklärten Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 21. Juli 2004 (BGBl. I, S. 1748) in § 83b Nr. 4 IRG sowohl einerseits die "Überprüfung" als auch andererseits "Gnadenakte" bzw. die "Möglichkeit der Begnadigung".
21
Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb lautet: "Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde kann nach dem Recht dieses Staates an eine der folgenden Bedingungen geknüpft werden: 1. (…) 2. Ist die Straftat, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht, so kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls an die Bedingung geknüpft werden, dass die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaates eine Überprüfung der verhängten Strafe – auf Antrag oder spätestens nach 20 Jahren – oder Gnadenakte zulässt, die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder der Maßregel führen können und auf die die betreffende Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaates Anspruch hat.
3. (…)"
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In der Gesetzesbegründung zum damals fakultativ ausgestalteten Bewilligungshindernis - im hier relevanten Teil mit der jetzigen Fassung des § 83 Nr. 4 IRG aber textidentischen - § 83b Nr. 4 IRG heißt es: "Eine Auslieferung kann abgelehnt werden, wenn nicht sichergestellt ist, dass spätestens 20 Jahre nach Beginn der Vollstreckung eine Überprüfung der weiteren Vollstreckung erfolgt. Ob die Überprüfung auf Antrag des Verfolgten oder von Amts wegen erfolgt, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass ein Rechtsanspruch auf Überprüfung besteht. Die immer bestehende Möglichkeit einer Begnadigung ist jedoch hierfür nicht ausreichend. Der Rechtsanspruch kann sich aus einer gesetzlichen Vorschrift des ersuchenden Staates, aus seiner Rechtspraxis oder, im Falle der Zusicherung einer Überprüfung im Auslieferungsverfahren, aus der allgemeinen Pflicht zur Einhaltung bindender völkerrechtlicher Zusagen ergeben. Zweifel im Einzelfall, ob diese Zulässigkeitsvoraussetzung vor- liegt, können durch Einholung einer Rechtsauskunft oder einer Zusiche- rung ausgeräumt werden“ (BT-Drucks. 15/1718, S. 21).
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b) Die Gesetzesbegründung zum zweiten Entwurf eines Europäischen Haftbefehlsgesetzes benennt dagegen den "Gnadenweg" ausdrücklich als Beispiel einer "Überprüfung" im Sinne des gegenüber der Erstfassung unveränderten § 83b Nr. 4 IRG. Dort ist ausgeführt: "Bei lebenslanger Freiheitsstrafe (…) kann die Auslieferung nach § 83b Nr. 4 verweigert werden, wenn eine Überprüfung der Vollstreckung nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt. Ist die Überprüfung nicht schon auf Grund des Rechts des ersuchenden Staates gesichert, so kann von diesem Bewilligungshindernis kein Gebrauch gemacht werden, wenn über eine Bedingung bei der Auslieferung die Einhaltung einer fristgerechten Überprüfung, beispielsweise im Gnadenweg, sichergestellt und auf die Einhaltung der Bedingung vertraut werden kann“ (BT-Drucks. 16/1024, S. 13; ebenso bereits BT-Drucks. 16/544, S. 10).
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Von diesen Erwägungen ist der Gesetzgeber ersichtlich nicht mehr abgerückt. Vielmehr wurde auf Empfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages lediglich die Ausgestaltung als Bewilligungshindernis zugunsten einer Zulässigkeitsvoraussetzung in § 83 Nr. 4 IRG abgeändert (BT-Drucks. 16/2015, S. 4, 13).
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Dies belegt, dass der Gesetzgeber ein Gnadenverfahren, in dem der Verfolgte einen Anspruch auf Entscheidung über die weitere Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe bereits vor Ablauf von 20 Jahren hat, als Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 4 IRG ausreichen lassen wollte. Nach der Gesetzesbegründung zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz sollte zwar die „immer bestehende Möglichkeit der Begnadigung“ nicht genügen,um zur Auslieferung zu verpflichten. Indes fordern weder Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb noch die Gesetzesbegründung zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz ein gerichtliches oder der gerichtlichen Kontrolle unterliegendes Verfahren, sondern stellen maßgeblich auf einen Rechtsanspruch des Verfolgten auf Überprüfung der weiteren Vollstreckung ab. Dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb ermögliche es ihm, die Auslieferung entweder an die Bedingung einer gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit oder an die Bedingung eines möglichen Gnadenaktes zu knüpfen, und dass er der Ansicht war, dass ein gesetzlich geregeltes Gnadenverfahren generell als Bedingung für die Auslieferung nicht ausreiche, lässt sich den Materialien nicht entnehmen. Die Begründung zum Entwurf des zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetzes benennt vielmehr eine "Überprüfung … im Gnadenweg", auf die der Verfolgte einen Anspruch hat, als ausreichende Bedingung für die Auslieferung. Zwar bezieht sich dies - der Konzeption des Entwurfs des § 83b Nr. 4 IRG als eines Bewilligungshindernisses folgend - unmittelbar nur auf eine im Einzelfall aufgestellte Bedingung. Gleichwohl ist diesen Ausführungen - und der Umsetzung der vom Rechtsauschuss empfohlenen Änderung durch den Gesetzgeber - zu entnehmen , dass ein Gnadenverfahren jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen als ausreichende Überprüfung der weiteren Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe angesehen werden kann.
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3. Jedenfalls zwingt aber eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung dazu , in einem Gnadenverfahren, das die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ermöglicht und dem Verfolgten einen Anspruch auf eine sachliche Kriterien berücksichtigende Entscheidung über sein Gnadengesuch einräumt, die von § 83 Nr. 4 IRG aufgestellte Voraussetzung einer Überprüfung als erfüllt anzusehen.
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a) Dem - auch weiterhin geltenden (vgl. Suhr in Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, 4. Aufl., Art. 67 AEUV Rn. 41) - Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl kommt zwar der Anwendungsvorrang des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts nicht zu; auch ist seine unmittelbare Anwendbarkeit durch Art. 34 Abs. 2 Buchst. b Satz 3 EUV a.F. weiterhin ausgeschlossen (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13. August 2009 - 2 BvR 471/09, BVerfGK 16, 131). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs besteht jedoch die Pflicht der mitgliedstaatlichen Gerichte zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts, die sich so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses auszurichten hat (vgl. Urteil vom 16. Juni 2005 [Pupino] - C 105/03, NJW 2005, 2839, 2841 [Tz. 43]; ferner BVerfG, Beschluss vom 13. August 2009 - 2 BvR 471/09; BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 – 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 [Tz. 28]; Hecker, Europäisches Strafrecht, 3. Aufl., S. 360 f.; Hackner aaO Vor § 78 Rn. 10; Suhr aaO Art. 67 AEUV Rn. 21 ff.).
28
b) Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb beinhaltet - anders als das vorlegende Oberlandesgericht meint - nicht zwei voneinander unabhängige, sondern nur eine Bedingung, die es dem ersuchten Mitgliedstaat erlaubt, die Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe zu verweigern, wenn das Recht des Ausstellungsmitgliedstaates - jeweils unter den im Rahmenbeschluss näher genannten Voraussetzungen - eine Reststrafenaussetzung weder aufgrund einer "Überprüfung" noch aufgrund eines "Gnadenaktes" zulässt (so auch Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union, S. 132).
29
Das ergibt sich bereits aus der sprachlichen Fassung des Rahmenbeschlusses. Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb spricht von “der Bedingung“ (auch die engli- sche und die französische Fassung verwenden den Singular, „the condition“ bzw. „la condition“), dass die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaates eine Überprüfung oder Gnadenakte zulässt. Der daran anknüpfende Relativsatz , „die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder der Maßregel führen können und auf die die betroffene Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaates Anspruch hat“, bezieht sich dabei sowohl auf „Überprüfung“ als auch auf „Gnadenakte“. Zwar ist inso- weit auch ein Bezug lediglich auf die „Gnadenakte“ denkbar (ebenso in der französischen und der italienischen Fassung, wo sich der Femininum Plural „auxelles“ bzw. „alle quali“ sowohl allein auf „mesures de clémence“ bzw. „misure di clemenza“ als auch zusätzlich auf „révision“ bzw. „revisione“ bezie- hen kann). Verstünde sich der Relativsatz aber so, dass er nur auf „Gnadenak- te“bezogen wäre, wäre die in Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb vorgesehene „Überprü- fung“ nichtan die Voraussetzung geknüpft, dass sie zur Aussetzung der Vollstreckung führen kann und der Verfolgte auf eine Entscheidung hierüber einen Anspruch hat, was nach dem Zweck und dem Gesamtzusammenhang der Regelung ersichtlich aber ebenso wenig gewollt ist, wie der Bezug der Paranthese "auf Antrag oder spätestens nach 20 Jahren" allein auf die "Überprüfung", nicht aber auf "Gnadenakte" (die Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Rahmenbeschlusses ist in diesem Zusammenhang unergiebig, weil sich die Begründung der Europäischen Kommission zum Entwurf des Rahmenbeschlusses vom 19. September 2001 - KOM [2001] 522 endgültig [vgl. dort S. 22, 44] - auf einen insofern vom letztlich verabschiedeten Text abweichenden Entwurf bezieht

).


30
Gegen das vom vorlegenden Oberlandesgericht vorgebrachte Verständnis zweier voneinander unabhängiger Bedingungen spricht weiter, dass es der Intention von Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb offensichtlich widersprechen würde, wenn es dem nationalen Gesetzgeber überlassen wäre, etwa einzig ein Gnadenverfahren als Voraussetzung für die Auslieferung als ausreichend zu erachten, bei nicht vorgesehenem Gnadenverfahren aber trotz eines gesetzlich sachgerecht geregelten gerichtlichen Überprüfungsverfahrens nicht auszuliefern.
31
c) Dabei fordert Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb - entgegen der Ansicht des anwaltlichen Vertreters des Verfolgten - nicht, dass schon im Zeitpunkt der Entscheidung über die Auslieferung ein Gnadenakt im Sinne einer Gnade gewährenden Entscheidung vorliegt. Schon nach dem Wortlaut der Regelung ist vielmehr nur geboten, dass "die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaates [des Europäischen Haftbefehls] … Gnadenakte zulässt".
32
d) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb ist nicht geboten.
33
Es ist vorrangig Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob sein Recht in einer rahmenbeschlusskonformen Weise ausgelegt werden kann (EuGH, Urteil vom 16. Juni 2005 [Pupino] - C 105/03, NJW 2005, 2839, 2841 [Tz. 47]; vgl. ferner BVerfG, Beschluss vom 13. August 2009 - 2 BvR 471/09, BVerfGK 16, 131). Das nationale Gericht trägt auch die wesentliche Verantwortung für die Einhaltung der Grenzen einer solchen Auslegung (Suhr aaO Art. 67 AEUV Rn. 25; Wegner in Calliess/Ruffert aaO Art. 267 AEUV Rn. 21). Kommt es bei der mithin zunächst ihm obliegenden Auslegung zu dem Ergebnis, die Voraussetzungen für die Erholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (hier: nach Art. 267 Buchst. b AEUV) seien nicht gegeben, weil die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum ist ("acte claire-Doktrin"; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 2109/09; Wegner aaO Art. 267 AEUV Rn. 32 jeweils mwN), so ist es - auch als letztinstanzliches Gericht - zur Erholung dieser Vorabentscheidung nicht verpflichtet.
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Dies ist vorliegend der Fall. Der Senat ist - wie sich aus obigen Ausführungen ergibt - auch bei Berücksichtigung insbesondere der verschiedenen Sprachfassungen und der besonderen Begrifflichkeiten des Gemeinschaftsrechts , seiner Ziele und seines Entwicklungsstandes der Überzeugung, dass weder der Gerichtshof der Europäischen Union noch Gerichte anderer Mitgliedstaaten Art. 5 Abs. 2 RB-EUHb anders auslegen würden, als der Senat dies oben getan hat.
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4. Die auch - unter bestimmten Voraussetzungen - Gnadenverfahren in die "Überprüfung" im Sinne des § 83 Nr. 4 IRG einbeziehende Auslegung führt schließlich dazu, dass Wertungswidersprüche zwischen Fällen der dem IRG unterfallenden Auslieferung und denen der Auslieferung an einen Drittstaat (vgl. dazu unten 6.) weitgehend vermieden werden.
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5. Das polnische Gnadenverfahren erfüllt die Anforderungen des - in obigem Sinne ausgelegten - § 83 Nr. 4 IRG.
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a) Gemäß Art. 560 § 1 der polnischen Strafprozessordnung können - abgesehen von Fällen einer Verurteilung durch den Staatsgerichtshof (Art. 139 der polnischen Verfassung) - der Verurteilte und nahe Angehörige ein Gnadengesuch stellen, das beim Gericht des ersten Rechtszuges anzubringen ist (Art. 561 § 1 der polnischen Strafprozessordnung). Dieses soll gemäß Art. 561 § 2 der polnischen Strafprozessordnung innerhalb von zwei Monaten entscheiden , wobei die Entscheidungskriterien – insbesondere das Verhalten des Verurteilten nach der Entscheidung, das Ausmaß der bereits vollzogenen Strafe, der Gesundheitszustand des Verurteilten und seine Familienverhältnisse, geleisteter Schadensersatz für den durch die Straftat verursachten Schaden und vor allem nach der Verurteilung eingetretene Ereignisse – von Art. 563 der polnischen Strafprozessordnung vorgegeben sind. Hat in der Sache nur das Gericht des ersten Rechtszuges entschieden und befürwortet es das Gnadengesuch, so leitet es die Akten dem Generalstaatsanwalt zu, anderenfalls ist das Gnadenverfahren beendet. Wenn in der Sache ein Rechtsmittelgericht entschieden hat, leitet das Gericht des ersten Rechtszuges diesem die Akten mit seiner Stellungnahme weiter (Art. 564 § 1 und § 2 der polnischen Strafprozessordnung). Ist die Stellungnahme des Erstgerichts negativ und befürwortet auch das Rechtsmittelgericht das Gnadengesuch nicht, ist das Gnadenverfahren beendet ; in allen anderen Fällen leitet das Rechtsmittelgericht die Akten dem Generalstaatsanwalt zu (Art. 564 § 3 der polnischen Strafprozessordnung). Hat mindestens ein Gericht das Gnadengesuch positiv bewertet, legt dieser es gemäß Art. 565 § 1 der polnischen Strafprozessordnung dem Präsidenten der Republik Polen, der nach Art. 139 der polnischen Verfassung das Gnadenrecht ausübt, mit einer eigenen Stellungnahme vor. Er oder der Generalstaatsanwalt können ein Gnadenverfahren auch von Amts wegen einleiten (Art. 567 § 1 und § 2 der polnischen Strafprozessordnung). Eine Mindestverbüßungsdauer vor der Einleitung des Gnadenverfahrens sehen die Art. 560 ff. der polnischen Strafprozessordnung nicht vor.
38
Dass der Verurteilte einen gesetzlichen Anspruch auf Verbescheidung seines Gnadengesuchs und damit auf Überprüfung der Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat, ergibt sich insbesondere aus Art. 566 der polnischen Strafprozessordnung. Denn nur wenn vor Ablauf eines Jahres ab der negativen Verbescheidung eines vorherigen ein neues Gnadengesuch gestellt wird, muss über dieses nicht entschieden werden. Hieraus folgt, dass in allen anderen Fällen der Verurteilte einen Anspruch auf Durchführung des Gnadenverfahrens und auf Verbescheidung seines Antrags hat. Dementsprechend hat - ähnlich der Mitteilung des polnischen Justizministeriums an den Generalbundesanwalt (vgl. Seiten 21/22 der Antragsschrift vom 19. Januar 2012; ferner OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Juni 2007 - 1 Ausl-III-41/05 [juris - Tz. 36]) - die Kreisstaatsanwaltschaft in B. auf Anfrage des Generalstaatsanwalts in Hamm in anderer Sache (dortiges Az.: 4 AuslA 124/11) mit Schreiben vom 14. Oktober 2011 ausgeführt: "Die einzige Grundlage für die Ablehnung des Gnadengesuchs aus formellen Gründen ist die Stellung des Gnadengesuchs vor Ablauf eines Jahres ab der Stellung des vorherigen Gesuchs. In allen sonstigen Fällen muss jederzeit ein Begnadigungsverfahren eingeleitet und die Sache meritorisch entschieden werden."
39
b) Das polnische Gnadenverfahren erfüllt die Anforderungen des - in obigem Sinne ausgelegten - § 83 Nr. 4 IRG, obwohl für die abschließende Entscheidung des Staatspräsidenten keine bindenden (materiellen) Kriterien vorgegeben sind und seine Entscheidung keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Juni 2007 - 1 Ausl-III-41/05 [juris - Tz. 35]; a.A. z.B. Hackner aaO § 83 Rn. 16). Ein insgesamt justizförmiges Verfahren fordern weder - wie dargelegt - § 83 Nr. 4 IRG noch europäisches Recht oder deutsches Verfassungsrecht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [Tz. 38], BVerfGE 113, 154, 167). Vielmehr genügt jedenfalls, wenn - wie im polnischen Gnadenrecht - für die Gnadenentscheidung keinerlei tatbestandliche Einschränkungen vorgesehen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [Tz. 35 ff.], BVerfGE 113, 154, 166 f.), sondern - sogar durch ein justizförmiges Verfahren - gewährleistet ist, dass sachgerechte Kriterien bei der Entscheidung berücksichtigt werden können, also hierzu erforderlichenfalls Ermittlungen angestellt und Feststellungen getroffen werden, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der zur Gnadenentscheidung Berufene diese bei seiner Entscheidung außer Betracht lässt (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Juni 2007 - 1 Ausl-III-41/05 [juris - Tz. 38]; zum ungarischen Gnadenrecht auch Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 27. April 2009 - 6 AuslA 25/08 [juris - Tz. 24 f.]; zum Gnadenrecht der Vereinigten Staaten von Amerika: OLG Dresden, Beschluss vom 14. Januar 2011 - OLG Ausl 179/10 [juris - Tz. 33 ff.]; dazu auch VerfG-Sachsen, Beschluss vom 11. März 2011 - Vf. 25-IV-11 HS, Vf. 26-IV-11 e.A. [juris - Rn. 15 ff.]). Mit der Berücksichtigung des Verhaltens des Verurteilten nach der Entscheidung, des Ausmaßes der bereits vollzogenen Strafe, des Gesundheitszustandes des Verurteilten und seiner Familienverhältnisse, geleisteten Schadensersatzes für den durch die Straftat verursachten Schaden und vor allem nach der Verurteilung eingetretener Ereignisse eröffnet das polnische Gnadenrecht dem Verurteilten die nicht nur vage Hoffnung auf ein späteres selbstbestimmtes Leben in Freiheit (vgl. zu diesem Erfordernis auch BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09 [Tz. 28 f.], BVerfGK 16, 491, 499).
40
6. Die Subsumtion des polnischen Gnadenverfahrens unter das Tatbestandsmerkmal der "Überprüfung" in § 83 Nr. 4 IRG verstößt schließlich nicht gegen allgemeine (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 – 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 [Tz. 28]), insbesondere nicht gegen verfassungs- oder völkerrechtliche Rechtsgrundsätze.
41
Die deutschen Gerichte sind von Verfassungs wegen gehalten, im Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar ist, zu denen das Gebot der Verhältnismäßigkeit, das insbesondere unerträglich harte und unter jedem Gesichtspunkt unangemessene Strafen verbietet , und das aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG folgende Verbot grausamen , unmenschlichen oder erniedrigenden Strafens zählen (BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [Tz. 22 f.], BVerfGE 113, 154, 162; vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09 [Tz. 18 f.], BVerfGK 16, 491, 495 f. mwN).
42
Im Zusammenhang mit der (möglichen) Verhängung einerlebenslangen Freiheitsstrafe sind diese Mindeststandards im Auslieferungsverfahren in Bezug auf deren Vollstreckung gewahrt, wenn für den Verfolgten jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht (BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [Tz. 31], BVerfGE 113, 154, 164 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. November 2005 - 2 BvR 1090/05, NStZ-RR 2006, 149, 150 f.). Eine solche kann auch aufgrund eines grundsätzlich erfolgversprechenden Gnadenverfahrens bestehen (BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [Tz. 31]; vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09 [Tz. 23], BVerfGK 16, 491, 498).
43
Diese Mindeststandards sind vorliegend nicht nur durch das mögliche Gnadenverfahren, sondern auch durch die nach Art. 78 § 3 des polnischen Strafgesetzbuches vorgesehene gerichtliche Überprüfung der Reststrafenaussetzung nach 25 Jahren gewahrt (vgl. dazu auch EGMR, Beschluss vom 3. November 2009 - 26958/07 [M. ./. Deutschland], EuGRZ 2010, 283, 284), zumal nach deutschem Recht in Fällen der versuchten vorsätzlichen Tötung eines Menschen ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden kann. Eine lebenslange Freiheitsstrafe stellt selbst ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung als solche aber keine unerträglich harte oder unmenschliche Strafe dar, die der Auslieferung von vorneherein entgegensteht (BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [Tz. 25], BVerfGE 113, 154, 163; vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09 [Tz. 20], BVerfGK 16, 491, 496).
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 ARs 22/07 vom 15. April 2008 BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichungen: ja GG Art. 16 Abs. 2; EuAlÜbk Art. 6 Abs. (1) a, Art. 10; EuAlÜbkErgV POL Art. 4; RbEuHb Art. 4 Nr. 4, Art. 31; IRG §§ 1, 9 Nr. 2, 78 ff. Die nach de

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(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann,
2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder
3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder
4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.

(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn

1.
die verurteilte Person
a)
rechtzeitig
aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder
bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder
3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.

(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils

1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder
2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
Die verurteilte Person muss zuvor ausdrücklich über ihr Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem sie teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden sein.

(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.

(1) Hält das Oberlandesgericht eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes für geboten, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, oder will es von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder einer nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts über eine Rechtsfrage in Auslieferungssachen abweichen, so begründet es seine Auffassung und holt die Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die Rechtsfrage ein.

(2) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird auch eingeholt, wenn der Generalbundesanwalt oder die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht dies zur Klärung einer Rechtsfrage beantragt.

(3) Der Bundesgerichtshof gibt dem Verfolgten Gelegenheit zur Äußerung. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung.

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann,
2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder
3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder
4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.

(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn

1.
die verurteilte Person
a)
rechtzeitig
aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder
bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder
3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.

(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils

1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder
2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
Die verurteilte Person muss zuvor ausdrücklich über ihr Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem sie teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden sein.

(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.

(1) Hält das Oberlandesgericht eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes für geboten, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, oder will es von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder einer nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts über eine Rechtsfrage in Auslieferungssachen abweichen, so begründet es seine Auffassung und holt die Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die Rechtsfrage ein.

(2) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird auch eingeholt, wenn der Generalbundesanwalt oder die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht dies zur Klärung einer Rechtsfrage beantragt.

(3) Der Bundesgerichtshof gibt dem Verfolgten Gelegenheit zur Äußerung. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 ARs 22/07
vom
15. April 2008
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichungen: ja
EuAlÜbk Art. 6 Abs. (1) a, Art. 10;
EuAlÜbkErgV POL Art. 4;
RbEuHb Art. 4 Nr. 4, Art. 31;
Die nach deutschem Recht eingetretene Verfolgungsverjährung
einer Tat, für die auch die deutsche Gerichtsbarkeit
begründet ist, steht der Auslieferung eines deutschen
Staatsangehörigen auf Grund eines Europäischen
Haftbefehls an die Republik Polen entgegen, selbst wenn
nach polnischem Recht die Strafverfolgung noch nicht
verjährt ist.
BGH, Beschluss vom 15. April 2008 – 4 ARs 22/07 – OLG Bamberg
in dem Auslieferungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. April 2008 durch die Vorsitzende
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein und Athing, die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović und den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann beschlossen
:
Die nach deutschem Recht eingetretene Verfolgungsverjährung
einer Tat, für die auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet
ist, steht der Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen
auf Grund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Polen
entgegen, selbst wenn nach polnischem Recht die Strafverfolgung
noch nicht verjährt ist.

Gründe:


I.


1
1. Die polnischen Strafverfolgungsbehörden haben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Legnica vom 9. März 2007 um Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen Georg B. zur Strafverfolgung ersucht. In dem dem Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegenden nationalen Haftbefehl des Amtsgerichts Jawor vom 6. Dezember 2004 wird dem Verfolgten eine Straftat gegen die Verkehrssicherheit gemäß Art. 177 § 2 des polnischen Strafgesetzbuchs (bzw. Art. 145 § 2 des polnischen Strafgesetzbuchs aF) vorgeworfen. Er soll am 14. August 1992 in Polen auf der Autobahn A-4 bei Kilometer 105,1 mit seinem in Deutschland zugelassenen Pkw Opel Ascona infolge Nichtbeachtung der erforderlichen Vorsicht auf die linke Fahrspur gekommen und mit dem ihm entgegenkommenden, von Elzbieta J. - K. gesteuerten Fahrzeug Peugeot, amtl. Kennzeichen SCL , zusammengestoßen sein. Dabei seien seine Mitfahrer Jadwiga und Eugeniusz B. getötet und die drei Insassen im Pkw Peugeot schwer verletzt worden. An dem polnischen Fahrzeug sei ein erheblicher Sachschaden entstanden. Nach den Auslieferungsunterlagen verjährt die Strafverfolgung nach polnischem Recht erst am 14. August 2017; nach deutschem Recht trat - soweit ersichtlich - Verfolgungsverjährung bereits im August 1997 ein.
2
Der Verfolgte wurde am 22. Mai 2007 in Coburg vorläufig festgenommen und zu dem Europäischen Haftbefehl vom 9. März 2007 richterlich vernommen. Einer vereinfachten Auslieferung hat er nicht zugestimmt. Der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Bamberg hat deshalb beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären.
3
2. Das Oberlandesgericht Bamberg beabsichtigt, dem Antrag nicht zu entsprechen. Die Auslieferung sei gemäß § 9 Nr. 2 IRG unzulässig. Der Verfolgte , der deutscher Staatsangehöriger sei, unterliege nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Tat (auch) der deutschen Strafgewalt. Nach deutschem Recht sei aber Verfolgungsverjährung eingetreten. Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (RbEuHb) vom 13. Juni 2002 habe dem nationalen Gesetzgeber in Art. 4 Nr. 4 die Möglichkeit eingeräumt, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zu verweigern, wenn die Strafverfolgung nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Staates verjährt ist und hinsichtlich der Tathandlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand. Aus der Gesetzesbegründung zum deutschen Europäischen Haftbefehlsgesetz ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, dass § 9 Nr. 2 IRG auch dann anzuwenden sei, wenn dem Auslieferungsverfahren ein Europäischer Haftbefehl zu Grunde liege. § 1 Abs. 4 Satz 3 IRG stehe dem nicht entgegen; denn in § 82 IRG, der die Nichtanwendung von Vorschriften des IRG im Falle des Vorliegens eines Europäischen Haftbefehls regele, sei § 9 IRG nicht aufgeführt. Daraus folge, dass § 9 IRG anzuwenden sei.
4
An der beabsichtigten Entscheidung, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, sieht sich das Oberlandesgericht Bamberg durch Beschlüsse des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. November 2006 (= NStZ-RR 2007, 113 f.) und des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 1. Juni 2007 (Az.: 1 OLG Ausl. 169/06) gehindert. Diese Gerichte vertreten die Auffassung, § 9 Nr. 2 IRG trete nach § 1 Abs. 3 und 4 IRG gegenüber “auslieferungsfreundlicheren“ anders lautenden völkerrechtlichen Vereinbarungen zurück.
5
Das Oberlandesgericht Bamberg hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt: "Steht im Rechtshilfeverkehr mit der Republik Polen die Verfolgungsverjährung nach deutschem Recht der Auslieferung zur Strafverfolgung auf Grund eines Europäischen Haftbefehls entgegen, wenn nach polnischem Recht keine Verfolgungsverjährung eingetreten ist?"
6
3. Für die Entscheidung der Vorlegungsfrage sind folgende nationale und völkerrechtliche Regelungen von Bedeutung:
a) Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl S. 1) [GG], in Kraft getreten am 24. Mai 1949.
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt - als Grundrecht -, dass kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf.
Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 16) vom 29. November 2000 (BGBl I 1633), in Kraft getreten am 2. Dezember 2000, wurde der Bestimmung folgender Satz angefügt:
Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.
Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG fordert, dass, soweit nach dem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz eingeschränkt werden kann, das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen muss.
Die Nichtbeachtung des Zitiergebots (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) führt regelmäßig zur Nichtigkeit des grundrechtseinschränkenden Gesetzes (vgl. BVerfGE 5, 13, 15 f.; 113, 348, 366; Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 7. Aufl. Art. 19 Rdn. 45).

b) Das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (BGBl 1964 II 1369) [EuAlÜbk], das für Deutschland am 1. Januar 1977 (BGBl 1976 II 1778) und für Polen am 13. September 1993 (BGBl 1994 II 299) in Kraft getreten ist.
Art. 6 Abs. (1) a dieses Abkommens bestimmt, dass jede Vertragspartei berechtigt ist, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen. Nach Art. 10 wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn nach den Rechtsvorschriften des ersuchenden oder des ersuchten Staates die Strafverfolgung verjährt ist. Art. 28 Abs. 3 EuAlÜbk regelt, dass die Parteien berechtigt sind, die Auslieferung auf der Grundlage - neuer - einheitlicher Rechtsvorschriften stattfinden zu las-
sen. Wird die Anwendung des Übereinkommens dann ausgeschlossen , haben die Vertragsparteien dies dem Generalsekretär des Europarats zu notifizieren.
Deutschland hat eine Erklärung nach Art. 28 Abs. 3 EuAlÜbk mit Wirkung vom 18. August 2004 abgegeben (BGBl 2005 II 369) und dem Generalsekretär des Europarats mitgeteilt, dass die Bestimmungen zum Europäischen Haftbefehl die entsprechenden Bestimmungen im Europäischen Auslieferungsabkommen vom 13. Dezember 1957 in den wechselseitigen Beziehungen zwischen Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ersetzen, dass das Abkommen aber hilfsweise anwendbar bleibt, soweit es die Möglichkeit bietet, über die Ziele des Europäischen Haftbefehls hinauszugehen, es zu einer Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren beiträgt und der betreffende Mitgliedstaat es insoweit ebenfalls weiter anwendet. Entsprechendes gelte für die von Deutschland mit einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschlossenen bilateralen Vereinbarungen.

c) Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung vom 17. Juli 2003 [PL-ErgV EuAlÜbk = EuAlÜbkErgV POL] (BGBl 2004 II 523), in Kraft seit dem 4. September 2004 (BGBl II 1339).
Der Vertrag modifiziert zur Erleichterung der Auslieferung zwischen beiden Staaten nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen u.a. einige Artikel des EuAlÜbk. Er enthält jedoch keine abweichende Regelung zu Art. 6 Abs. 1 (a) EuAlÜbk (Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger

).


Art. 4 des Vertrages bestimmt zu Art. 10 EuAlÜbk, dass zur Beurteilung der Verjährung ausschließlich das Recht der ersuchenden Vertragspartei maßgebend ist.
Art. 21 Abs. 2 Satz 3 des Vertrages legt fest, dass dieser auch ohne besondere Kündigung in dem Zeitpunkt außer Kraft tritt, in dem das Übereinkommen [EuAlÜbk] zwischen den Vertragsparteien unwirksam wird.

d) Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) - RbEuHb - (ABl. EG Nr. L 190 S.1 vom 18. Juli 2002).
Art. 4 Nr. 4 des Rahmenbeschlusses bestimmt (entsprechend Art. 8 Abs. 2 des EUAuslÜbk vom 27. September 1996), dass die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verweigert werden kann, wenn die Strafverfolgung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt ist und hinsichtlich der Handlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand. In Artikel 31 Abs. 1 ist festgelegt, dass der Rahmenbeschluss am 1. Januar 2004 - soweit es die Mitgliedstaaten betrifft - u.a. die entsprechenden Bestimmungen über die Auslieferung in dem EuAlÜbk ersetzt. Nach Absatz 2 dieses Artikels steht es den Mitgliedstaaten frei, auch weiterhin die zum Zeitpunkt der Annahme des Rahmenbeschlusses geltenden bilateralen oder multilateralen Abkommen oder Übereinkünfte anzuwenden, sofern diese die Möglichkeit bieten, über die Ziele des Rahmenbeschlusses hinauszugehen, und zu einer weiteren Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt. Auch steht es den Mitgliedstaaten frei, nach Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses entsprechende bilaterale oder multilaterale Abkommen oder Übereinkünfte zu schließen (Art. 31 Abs. 2 Unterabsatz 2). Unterabsatz 4 des Art. 31 Abs. 2 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten den Rat und die Kommission binnen drei Monaten nach Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses von den bestehenden Abkommen oder Übereinkünften, die sie auch weiterhin anwenden wollen, unterrichten.
Der Rahmenbeschluss ist sowohl für Deutschland als auch - mit seinem Beitritt zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 - für Polen verbindlich. Deutschland hat am 18. August 2004 zu Art. 31 Abs. 2 Unterabsatz 4 des Rahmenbeschlusses erklärt, dass die in Art. 31 Abs. 1 genannten multilateralen und bilateralen Übereinkommen hilfsweise anwendbar bleiben, sofern sie die Möglichkeit bieten, über die Ziele des Europäischen Haftbefehls hinauszugehen, zu einer Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren beitragen und der betreffende Mitgliedstaat sie insoweit ebenfalls weiter anwendet (Ratsdokument Nr. 12180/04 vom 8. September

2004).



e) Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) vom 23. Dezember 1982 (BGBl I 2071) in der Fassung des am 2. August 2006 in Kraft getretenen Europäischen Haftbefehlsgesetzes - EuHbG - vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1721).
Der Achte Teil des IRG (§§ 78 ff.) regelt – auch rückwirkend (vgl. Vogel in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen 3. Aufl. § 1 IRG Rdn. 39 m.w.N.) - die Unterstützung von Mitgliedstaaten der Europäischen Union. In § 78 ist festgelegt, dass, soweit der Achte Teil keine besonderen Regelungen enthält, die übrigen Bestimmungen des Gesetzes auf die u.a. im Zweiten Teil (Auslieferung an das Ausland) geregelten Ersuchen eines Mitgliedstaates Anwendung finden. § 79 Abs. 1 Satz 1 bestimmt , dass zulässige Ersuchen eines Mitgliedstaates um Auslieferung nur abgelehnt werden können, soweit dies im Achten Teil vorgesehen ist. § 82 legt fest, dass die §§ 5, 6 Abs. 1, 7 und, soweit ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, § 11 keine Anwendung finden. Im Zweiten Teil - in § 9 Nr. 2 - ist bestimmt, dass, wenn für die Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist, die Auslieferung nicht zulässig ist, wenn die Verfolgung nach deutschem Recht verjährt ist. § 1 Abs. 3 IRG legt fest, dass Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des IRG vorgehen.
§ 1 Abs. 4 IRG lautet:
Die Unterstützung für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union richtet sich nach diesem Gesetz. Absatz 3 wird mit der Maßgabe angewandt, dass der Achte Teil dieses Gesetzes den dort genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen vorgeht. Die in Absatz 3 genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen und die Regelungen über die vertragslose Rechtshilfe dieses Gesetzes bleiben hilfsweise anwendbar, soweit nicht der Achte Teil abschließende Regelungen enthält.
Zu Verjährungsfragen finden sich im Achten Teil des IRG keine gesonderten Bestimmungen.
7
4. Das Bundesministerium der Justiz hat zu der Vorlegungsfrage im Wesentlichen wie folgt Stellung genommen:
8
Über die §§ 78, 82 IRG sei § 9 Nr. 2 IRG auf das polnische Auslieferungsersuchen anzuwenden. Zwar sehe Art. 4 PL-ErgV EuAlÜbk abweichend von Art. 10 EuAlÜbk vor, dass zur Beurteilung der Verjährung ausschließlich das Recht der ersuchenden Vertragspartei maßgebend sein solle. Diese Bestimmung sei jedoch nicht anwendbar, weil nach Art. 21 PL-ErgV EuAlÜbk der Vertrag zwischen Deutschland und Polen vom 17. Juli 2003 ohne besondere Kündigung außer Kraft trete, wenn das EuAlÜbk zwischen den Vertragsparteien unwirksam werde. Deutschland habe mit Wirkung vom 18. August 2004 zu Art. 28 Abs. 3 EuAlÜbk erklärt, dass die Bestimmungen zum Europäischen Haftbefehl grundsätzlich die entsprechenden Bestimmungen des EuAlÜbk ersetzten. Die Republik Polen habe am 24. Februar 2005 gegenüber dem Europarat in Übereinstimmung mit Art. 28 Abs. 3 EuAlÜbk erklärt, dass Polen mit Wirkung zum 1. Mai 2004 im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 anwende, soweit dieser im Verhältnis zwischen Polen und diesen Staaten anwendbar sei. Der Rahmenbeschluss sei im März 2004 in polnisches Recht umgesetzt worden.
9
Nach Auffassung des Bundesministeriums der Justiz ist der Erklärung Polens zu entnehmen, dass die Republik Polen von einer abschließenden Anwendbarkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften ausgeht, soweit der Rahmenbeschluss zwischen den EU-Mitgliedstaaten Anwendung findet. Dem entspreche auch, dass Polen keine Erklärung nach Art. 31 RbEuHb abgegeben habe. Da Deutschland in seiner Erklärung zu Art. 31 RbEuHb die hilfsweise Anwendbarkeit multilateraler oder bilateraler Übereinkommen davon abhängig gemacht habe, dass der betreffende Mitgliedstaat sie ebenfalls weiter anwendet , die Republik Polen aber die gegenseitige Anwendbarkeit des deutschpolnischen Vertrages vom 17. Juli 2003 nicht zugesichert habe, sei der Vertrag nicht anzuwenden.
10
Ein Schreiben des Bundesministeriums der Justiz an das polnische Justizministerium mit der Bitte um Stellungnahme zu der Auffassung des Bundesministeriums der Justiz, die Erklärung Polens zu Art. 28 EuAlÜbk sei in dem Sinne zu verstehen, dass damit sämtliche bilaterale Auslieferungsverträge im Verhältnis der Republik Polen zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union außer Kraft getreten sind, hat das polnische Justizministerium dahin beantwortet , dass es nicht davon ausgehe, dass der Vertrag vom 17. Juli 2003 durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses außer Kraft getreten sei.
11
5. Der Generalbundesanwalt hat in Präzisierung der Vorlegungsfrage auf solche Taten, für die (auch) die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist, beantragt zu entscheiden: "Die nach deutschem Recht eingetretene Verfolgungsverjährung einer Tat, für die die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist, steht der Auslieferung auf Grund eines Europäischen Haftbefehls der Republik Polen entgegen, auch wenn nach polnischem Recht keine Verfolgungsverjährung eingetreten ist."

II.


12
1. Die Vorlegung ist zulässig (§ 42 Abs. 1 IRG).
13
a) Das Oberlandesgericht Bamberg kann nicht wie beabsichtigt entscheiden , ohne von der in den Beschlüssen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Nürnberg vertretenen Rechtsansicht abzuweichen (§ 42 Abs. 1 2. Alt. IRG). Die aufgeworfene Rechtsfrage ist auch von grundsätzlicher Bedeutung (§ 42 Abs. 1 1. Alt. IRG); denn sie kann sich im deutsch-polnischen Auslieferungsverkehr über den vorgelegten Einzelfall hinaus jederzeit wieder stellen (vgl. BGHSt 34, 256, 258 f.; 42, 243, 247; 47, 120, 122 f.).
14
b) Die Rechtsfrage ist auch für das anhängige Auslieferungsverfahren von Bedeutung (vgl. BGHSt 34, 256, 259; 47, 120, 123), da von ihrer Beantwortung die vom Oberlandesgericht zu treffende Entscheidung abhängt.
15
2. Die Vorlegungsfrage ist jedoch zu weit gefasst, weil es zum einen allein um die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an die Republik Polen geht und zum anderen um eine Tat, für die auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist. Die Vorlegungsfrage ist daher wie folgt zu fassen: Steht der Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an die Republik Polen auf Grund eines Europäischen Haftbefehls die nach deutschem Recht eingetretene Verfolgungsverjährung einer Tat, für die auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist, entgegen, wenn nach polnischem Recht die Strafverfolgung noch nicht verjährt ist?

III.


16
Der Senat bejaht die Vorlegungsfrage. Der Auslieferung steht § 9 Nr. 2 IRG entgegen. Selbst wenn der deutsch-polnische Vertrag vom 17. Juli 2003 anwendbar wäre, wäre die Auslieferung nicht zulässig, weil der Vertrag nicht die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zum Gegenstand hat.
17
1. Das vorlegende Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, dass sich die Auslieferung nach Polen als Mitgliedstaat der Europäischen Union nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) richtet (§ 1 Abs. 4 Satz 1 IRG), und zwar in erster Linie nach dessen Achten Teil (§§ 78 ff.). Nach § 1 Abs. 4 Satz 2 IRG gehen die Regelungen im Achten Teil des IRG auch völkerrechtlichen Vereinbarungen vor. Da die §§ 79 ff. IRG keine besonderen Regelungen zur Verjährungsfrage enthalten, finden die übrigen Bestimmungen des IRG auf das Auslieferungsersuchen Anwendung (§ 78 IRG), somit auch – nach Ausübung des gemäß Art. 4 Nr. 4 RbEuHb eingeräumten Ermessens (BTDrucks. 16/1024 S. 11 i.V.m. BTDrucks. 15/1718 S. 11: aufgrund der “Vorgaben des RbEuHb“) - § 9 Nr. 2 IRG (vgl. § 82 IRG, der bei den Bestimmungen zur Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union [§§ 80 ff. IRG] den § 9 IRG im Hinblick auf nicht anzuwendende Vorschriften nicht nennt). § 9 Nr. 2 IRG bestimmt, dass die Auslieferung nicht zulässig ist, wenn für die Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet und die Strafverfolgung nach deutschem Recht verjährt ist. Beides liegt hier vor: Die deutsche Gerichtsbarkeit ist nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB gegeben, weil der Verfolgte Deutscher ist; Strafverfolgungsverjährung nach deutschem Recht ist eingetreten. Somit müsste - nach der Gesetzessystematik des IRG - das Auslieferungsersuchen abgelehnt werden.
18
2. Dieses eindeutige und rechtlich leicht nachvollziehbare Ergebnis wird jedoch dadurch in Frage gestellt, dass bei Auslieferungen an Mitgliedstaaten der Europäischen Union "hilfsweise" völkerrechtliche Vereinbarungen anwendbar bleiben (§ 1 Abs. 4 Satz 3 IRG). Dabei ist streitig, ob § 9 Nr. 2 IRG bilaterale Abkommen verdrängt, welche die Auslieferung auch dann zulassen, wenn für die Tat die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben, die Tat aber nach deutschem Recht verjährt ist (vgl. Böse in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen 3. Aufl. § 82 IRG Rdn. 8 m.w.N.). Zum Teil wird - wie vom vorlegenden Gericht (zustimmend Ahlbrecht StRR 2007, 284, 288 f.; Rosenthal DAR 2007, 596, 597) - aus § 1 Abs. 4 (bzw. § 78) IRG ein Vorrang des § 9 Nr. 2 IRG abgeleitet, zum Teil wird im Hinblick auf Art. 31 Abs. 2 RbEuHb in Verbindung mit § 1 Abs. 3 IRG die Meinung vertreten, dass es sich bei § 9 Nr. 2 IRG nicht um eine abschließende Regelung handelt und die Vorschrift durch bilaterale Verträge verdrängt wird, in denen - wie im vorliegenden Fall - ohne Einschränkung auf die Verjährung nach dem Recht des ersuchenden Staates abgestellt wird (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2007, 113 f.; Böse aaO § 82 IRG Rdn. 8 aE m.w.N.).
19
3. Ob - wie das vorlegende Gericht im Ergebnis meint - ein für den Vertragspartner günstigerer völkerrechtlicher Vertrag einseitig durch eine nationale Regelung (hier: § 1 Abs. 4 Sätze 2 und 3 IRG) ignoriert werden darf, erscheint dem Senat zweifelhaft (vgl. BGHSt 33, 310, 315 f.; 35, 67, 71 [unter Hinweis auf die Wiener Übereinkunft über das Recht der Verträge]).
20
a) § 1 Abs. 4 Satz 2 IRG idF des – vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 18. Juli 2005 für nichtig erklärten (BVerfGE 113, 273 = NJW 2005, 2289 = StV 2005, 505) – EuHbG vom 21. Juli 2004 (BGBl I 1748) hatte noch “vertrags- und auslieferungsfreundlich“ bestimmt, dass § 1 Abs. 3 IRG (Vorrang der Regelungen in völkerrechtlichen Verträgen [die Bestimmung wurde durch das EuHbG aF/nF nicht geändert]) “mit der Maßgabe angewandt wird, dass der Achte Teil [des IRG] den dort genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen, welche jedoch … hilfsweise anwendbar bleiben, vorgeht“. Nach der Gesetzesbegründung waren, wenn die Auslieferung nach dem Achten Teil des IRG nicht möglich war, bestehende völkerrechtliche Verträge, welche die Auslieferung zuließen, anzuwenden (BTDrucks. 15/1718 S. 13 f.).
21
Im vorgelegten Fall wäre danach - da die Auslieferung wegen § 9 Nr. 2 i.V.m. § 78 IRG nach dem Achten Teil des IRG nicht möglich wäre – die Anwendbarkeit des deutsch-polnischen Vertrages vom 17. Juli 2003 zu prüfen.
22
b) Nach den Gesetzesmaterialien zu dem EuHbG (nF) vom 20. Juli 2006 wurde § 1 Abs. 4 Satz 2 IRG aF - der inhaltlich den Sätzen 2 und 3 des § 1 Abs. 4 IRG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum EuHbG nF entsprach (vgl. BTDrucks. 16/1024 S. 5) – der “Klarstellung“ wegen geändert. In der zu dem Gesetzentwurf durchgeführten öffentlichen Anhörung sei nämlich die Sorge geäußert worden, dass im Achten Teil enthaltene Regelungen, obwohl sie lex spe- cialis seien, durch eine hilfsweise Anwendung der sonstigen Teile des IRG umgangen werden könnten. Der klarstellende Zusatz in § 1 Abs. 4 Satz 3 IRG, “soweit nicht der Achte Teil abschließende Regelungen enthält“, solle eine solche Fehlinterpretation des Regelungsinhaltes des § 1 Abs. 4 IRG vermeiden (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 16/2015 S. 11 f.; vgl. hierzu Böse aaO § 78 IRG Rdn. 1).
23
Da das EuHbG nF vom EuHbG aF nur abweichen sollte, soweit das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 Änderungen und Ergänzungen gebot - sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber zu § 1 Abs. 4 IRG nicht geäußert hat - und zur Vermeidung von Wiederholungen die Gesetzesbegründung zu dem EuHbG aF zugrunde gelegt wurde (BTDrucks. 16/1024 S. 10, 11), ist unklar, ob auch für das EuHbG nF das auslieferungsfreundliche “Stufensystem“ des EuHbG aF zur Prüfung eingehender Ersuchen gelten soll (erste Stufe: Erledigung nach dem Achten Teil des IRG; zweite Stufe [wenn eine Erledigung mangels Zulässigkeit auf der ersten Stufe nicht in Betracht kommt]: Zulässigkeit auf Grund einer bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarung ; dritte Stufe: Zulässigkeit auf Grund von Regelungen über die vertragslose Rechtshilfe – vgl. BTDrucks. 15/1718 S. 14, 15 [zum EuHbG aF]). Dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 IRG ist dies jedenfalls nicht zu entnehmen, sondern eher das Gegenteil (vgl. Böhm NJW 2006, 2592, 2594; Hackner/Schomburg/Lagodny /Gleß NStZ 2006, 663, 665: gegenüber dem EuHbG aF werde nunmehr durch § 1 Abs. 4 Satz 3 IRG [nF] ausdrücklich klargestellt, dass es keine allumfassende Meistbegünstigung des ersuchenden Staates gebe).
24
Es läge allerdings nahe, den völkerrechtlichen Vereinbarungen entsprechend der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 IRG aF Geltung zu verschaffen.
25
4. Der Senat muss dies jedoch nicht entscheiden. Dem vorlegenden Oberlandesgericht ist nämlich im Ergebnis darin zuzustimmen, dass § 9 Nr. 2 IRG im vorliegenden Fall nicht durch Art. 4 PL-ErgV EuAlÜbk verdrängt wird. Hierfür ist letztlich nicht ausschlaggebend, ob der deutsch-polnische Vertrag vom 17. Juli 2003 auch nach der Umsetzung des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 durch beide Staaten in nationales Recht weiter gilt; denn der Vertrag ist auf die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger nicht anwendbar.
26
a) Art. 6 Abs. (1) a EuAlÜbk berechtigt jede der Vertragsparteien - also auch Deutschland und Polen -, die Auslieferung eigener Staatsangehöriger abzulehnen. Im Hinblick auf den uneingeschränkten Auslieferungsschutz, den das Grundgesetz allen Deutschen bis zur Änderung des Art. 16 Abs. 2 GG durch das Gesetz vom 29. November 2000 gewährte, hat Deutschland einen entsprechenden Vorbehalt gemacht (BGBl 1976 II 1778). Auch die Verfassung der Republik Polen (Art. 55) verbot die Auslieferung eigener Staatsangehöriger. Polen hat daher von dem Vorbehalt ebenfalls Gebrauch gemacht (BGBl II 1994, 299). Die polnische Verfassung wurde erst im Jahre 2006 - also nach dem deutschpolnischen Vertrag vom 17. Juli 2003 - dahin geändert, dass die Auslieferung polnischer Staatsangehöriger möglich ist (vgl. Nalewajko ZIS 2007, 113, 115).
27
b) Der Vertrag zwischen Deutschland und Polen (PL-ErgV EuAlÜbk) diente lediglich der Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens und der Erleichterung seiner Anwendung. Art. 6 EuAlÜbk wurde nicht modifiziert. Auch sonst ist dem Vertrag nicht zu entnehmen, dass auf Grund des Vertrages auch die Auslieferung von Staatsangehörigen des jeweils ersuchten Staates möglich sein sollte. Die Denkschrift zu dem Vertrag (BRDrucks. 753/03 S. 14 ff.) enthält ebenfalls keinen Hinweis darauf, dass die Vertragsparteien - in Abkehr von den erklärten Vorbehalten - den Anwendungsbereich des EuAlÜbk derart fundamental ausweiten wollten. Folgerichtig sah das deutsche Gesetz zur Umsetzung dieses Vertrages vom 29. April 2004 (BGBl II 522) davon ab - wie andernfalls erforderlich (vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) -, die Auslieferungsfreiheit des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG als durch den Vertrag eingeschränkt zu benennen.
28
c) Der Anwendungsbereich des PL-ErgV EuAlÜbk hat auch nicht dadurch eine Ausweitung erfahren, dass mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 durch das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zum Zwecke der Strafverfolgung zulässig wurde (§ 80 IRG). Das IRG sieht zwar die "hilfsweise" Anwendung völkerrechtlicher Vereinbarungen vor, aber nur, "soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht" geworden sind (§ 1 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 1 Abs. 3 IRG), also nur so, wie sie getroffen und in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sind. Die Änderung des Art. 16 GG selbst hat sich - schon wegen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG (BVerfG StV 2005, 505, 508) - auf die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger nicht ausgewirkt. Das gleiche gilt für den Rahmenbeschluss (RbEuHb) vom 13. Juni 2002 (vgl. BVerfG aaO). Es finden sich auch keine Anhaltspunkte dafür , dass das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 - bei der gebotenen “grundrechtsschonenden Auslegung“ (vgl. BVerfG StV 2005, 505, 508) - die bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen - einseitig - inhaltlich erweitern sollte und konnte.
29
Da der deutsch-polnische Vertrag vom 17. Juli 2003 sich somit nicht auf die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger bezieht, scheidet eine Anwendung des Art. 4 PL-ErgV EuAlÜbk im vorliegenden Fall aus.
30
5. Die Auslieferung des Verfolgten ist daher bereits aus einfachrechtlichen Gründen nicht zulässig. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass die möglichen gesetzlichen Voraussetzungen für die Auslieferung, nämlich das Gesetz zu dem Vertrag vom 17. Juli 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen vom 29. April 2004 sowie das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 erst in Kraft getreten sind, als die Strafverfolgung der Tat nach deutschem Strafrecht - soweit ersichtlich - bereits absolut verjährt war (§§ 222, 229 i.V.m. §§ 78 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 4, 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB), und ob die Auslieferung deshalb gegen ein verfassungsrechtlich garantiertes Rückwirkungsverbot verstoßen würde (vgl. BVerfGE 25, 269, 286 ff.; BVerfG NJW 1983, 2757, 2759; BVerfG - Kammer -, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvQ 23/07).
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann

(1) Hat sich der Verfolgte nicht mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41) einverstanden erklärt, so beantragt die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht die Entscheidung des Oberlandesgerichts darüber, ob die Auslieferung zulässig ist.

(2) Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht kann die Entscheidung des Oberlandesgerichts auch dann beantragen, wenn sich der Verfolgte mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat.

(1) Zulässige Ersuchen eines Mitgliedstaates um Auslieferung oder Durchlieferung können nur abgelehnt werden, soweit dies in diesem Teil vorgesehen ist. Die ablehnende Bewilligungsentscheidung ist zu begründen.

(2) Vor der Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts entscheidet die für die Bewilligung zuständige Stelle, ob sie beabsichtigt, Bewilligungshindernisse nach § 83b geltend zu machen. Die Entscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, ist zu begründen. Sie unterliegt der Überprüfung durch das Oberlandesgericht im Verfahren nach § 29; die Beteiligten sind zu hören. Bei der Belehrung nach § 41 Abs. 4 ist der Verfolgte auch darauf hinzuweisen, dass im Falle der vereinfachten Auslieferung eine gerichtliche Überprüfung nach Satz 3 nicht stattfindet.

(3) Führen nach der Entscheidung nach Absatz 2 Satz 1 eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die geeignet sind, Bewilligungshindernisse geltend zu machen, nicht zu einer Ablehnung der Bewilligung, so unterliegt die Entscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, der Überprüfung im Verfahren nach § 33.

(1) Hat sich der Verfolgte nicht mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41) einverstanden erklärt, so beantragt die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht die Entscheidung des Oberlandesgerichts darüber, ob die Auslieferung zulässig ist.

(2) Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht kann die Entscheidung des Oberlandesgerichts auch dann beantragen, wenn sich der Verfolgte mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat.

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann,
2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder
3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder
4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.

(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn

1.
die verurteilte Person
a)
rechtzeitig
aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder
bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder
3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.

(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils

1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder
2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
Die verurteilte Person muss zuvor ausdrücklich über ihr Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem sie teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden sein.

(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.

(1) Hat sich der Verfolgte nicht mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41) einverstanden erklärt, so beantragt die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht die Entscheidung des Oberlandesgerichts darüber, ob die Auslieferung zulässig ist.

(2) Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht kann die Entscheidung des Oberlandesgerichts auch dann beantragen, wenn sich der Verfolgte mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat.

(1) Soweit dieser Teil keine besonderen Regelungen enthält, finden die übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes auf den Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Anwendung.

(2) Dieser Teil geht den in § 1 Abs. 3 genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen vor, soweit er abschließende Regelungen enthält.

(1) Der Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten richtet sich nach diesem Gesetz.

(2) Strafrechtliche Angelegenheiten im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verfahren wegen einer Tat, die nach deutschem Recht als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße oder die nach ausländischem Recht mit einer vergleichbaren Sanktion bedroht ist, sofern über deren Festsetzung ein auch für Strafsachen zuständiges Gericht entscheiden kann.

(3) Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften dieses Gesetzes vor.

(4) Die Unterstützung für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union richtet sich nach diesem Gesetz.

(5) Die Unterstützung für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit, die den Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit der Republik Island oder dem Königreich Norwegen betrifft, richtet sich nach diesem Gesetz.

(1) Soweit dieser Teil keine besonderen Regelungen enthält, finden die übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes auf den Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Anwendung.

(2) Dieser Teil geht den in § 1 Abs. 3 genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen vor, soweit er abschließende Regelungen enthält.

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann,
2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder
3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder
4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.

(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn

1.
die verurteilte Person
a)
rechtzeitig
aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder
bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder
3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.

(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils

1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder
2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
Die verurteilte Person muss zuvor ausdrücklich über ihr Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem sie teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden sein.

(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.

(1) Die Bewilligung der Auslieferung kann abgelehnt werden, wenn

1.
gegen den Verfolgten wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, im Geltungsbereich dieses Gesetzes ein strafrechtliches Verfahren geführt wird,
2.
die Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, abgelehnt wurde oder ein bereits eingeleitetes Verfahren eingestellt wurde,
3.
dem Auslieferungsersuchen eines dritten Staates Vorrang eingeräumt werden soll,
4.
nicht aufgrund einer Pflicht zur Auslieferung nach dem Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl, aufgrund einer vom ersuchenden Staat gegebenen Zusicherung oder aus sonstigen Gründen erwartet werden kann, dass dieser einem vergleichbaren deutschen Ersuchen entsprechen würde.

(2) Die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, kann ferner abgelehnt werden, wenn

1.
bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs. 1 und 2 nicht zulässig wäre,
2.
bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung er dieser nach Belehrung zu richterlichem Protokoll nicht zustimmt und sein schutzwürdiges Interesse an der Strafvollstreckung im Inland überwiegt; § 41 Abs. 3 und 4 gelten entsprechend.

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann,
2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder
3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder
4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.

(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn

1.
die verurteilte Person
a)
rechtzeitig
aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder
bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder
3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.

(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils

1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder
2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
Die verurteilte Person muss zuvor ausdrücklich über ihr Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem sie teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden sein.

(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.

(1) Die Bewilligung der Auslieferung kann abgelehnt werden, wenn

1.
gegen den Verfolgten wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, im Geltungsbereich dieses Gesetzes ein strafrechtliches Verfahren geführt wird,
2.
die Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, abgelehnt wurde oder ein bereits eingeleitetes Verfahren eingestellt wurde,
3.
dem Auslieferungsersuchen eines dritten Staates Vorrang eingeräumt werden soll,
4.
nicht aufgrund einer Pflicht zur Auslieferung nach dem Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl, aufgrund einer vom ersuchenden Staat gegebenen Zusicherung oder aus sonstigen Gründen erwartet werden kann, dass dieser einem vergleichbaren deutschen Ersuchen entsprechen würde.

(2) Die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, kann ferner abgelehnt werden, wenn

1.
bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs. 1 und 2 nicht zulässig wäre,
2.
bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung er dieser nach Belehrung zu richterlichem Protokoll nicht zustimmt und sein schutzwürdiges Interesse an der Strafvollstreckung im Inland überwiegt; § 41 Abs. 3 und 4 gelten entsprechend.

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann,
2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder
3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder
4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.

(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn

1.
die verurteilte Person
a)
rechtzeitig
aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder
bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder
3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.

(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils

1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder
2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
Die verurteilte Person muss zuvor ausdrücklich über ihr Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem sie teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden sein.

(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.

(1) Die Bewilligung der Auslieferung kann abgelehnt werden, wenn

1.
gegen den Verfolgten wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, im Geltungsbereich dieses Gesetzes ein strafrechtliches Verfahren geführt wird,
2.
die Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, abgelehnt wurde oder ein bereits eingeleitetes Verfahren eingestellt wurde,
3.
dem Auslieferungsersuchen eines dritten Staates Vorrang eingeräumt werden soll,
4.
nicht aufgrund einer Pflicht zur Auslieferung nach dem Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl, aufgrund einer vom ersuchenden Staat gegebenen Zusicherung oder aus sonstigen Gründen erwartet werden kann, dass dieser einem vergleichbaren deutschen Ersuchen entsprechen würde.

(2) Die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, kann ferner abgelehnt werden, wenn

1.
bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs. 1 und 2 nicht zulässig wäre,
2.
bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung er dieser nach Belehrung zu richterlichem Protokoll nicht zustimmt und sein schutzwürdiges Interesse an der Strafvollstreckung im Inland überwiegt; § 41 Abs. 3 und 4 gelten entsprechend.

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann,
2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder
3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder
4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.

(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn

1.
die verurteilte Person
a)
rechtzeitig
aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder
bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder
3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.

(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils

1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder
2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
Die verurteilte Person muss zuvor ausdrücklich über ihr Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem sie teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden sein.

(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 277/09
vom
3. Dezember 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________________
1. Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 24. Oktober 2008
zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität führt nicht zu einer Änderung der
bisherigen Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinigung im Sinne des
2. Verfolgen die Mitglieder einer Gruppierung durch koordiniertes Handeln nicht nur
kurzfristig ein gemeinsames Ziel, das über die Begehung der konkreten Straftaten
hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, so
belegt dies regelmäßig den für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB notwendigen
übergeordneten Gemeinschaftswillen.
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09 - LG Dresden
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
8. Oktober 2009 in der Sitzung am 3. Dezember 2009, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Peter W.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Tom W.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. August 2008 mit den Feststellungen aufgehoben mit Ausnahme des Teilfreispruchs der Angeklagten T. und Tom W. vom Vorwurf der Volksverhetzung ; jedoch werden die Feststellungen zu dem jeweiligen objektiven Tatgeschehen in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe bezüglich aller Angeklagten aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Der Antrag des Angeklagten T. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer Verfahrensrüge wird zurückgewiesen.
3. Die Revisionen der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen. Diese Angeklagten haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten Tom W. der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen sowie die Angeklagten T. und Peter W. jeweils der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, schuldig gesprochen. Es hat folgende Jugendstrafen verhängt: gegen den Angeklagten Tom W. eine solche von drei Jahren und sechs Monaten, gegen den Angeklagten Peter W. eine solche von drei Jahren sowie gegen den Angeklagten T. eine solche von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Übrigen hat es die Angeklagten Tom W. und T. vom Vorwurf der Volksverhetzung sowie die Angeklagten G. und R. insgesamt freigesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision, die sich auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt, wendet sich die Staatsanwaltschaft insbesondere dagegen, dass die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind; das Rechtsmittel hat insoweit Erfolg. Der Angeklagte T. begehrt Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer Verfahrensrüge und beanstandet ebenso wie die Angeklagten Tom und Peter W. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Diese Rechtsmittel sind unbegründet.
2
A. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf sich ab dem Jahre 2005 eine Gruppe politisch rechtsorientierter Jugendlicher aus M. , die sich den Namen "Division Sächsischer Sturm" gegeben hatte und zu der auch die Angeklagten gehörten. Im Herbst 2005 wurde eine Halle in einem Bauhof zum festen täglichen Treffpunkt. Man spielte Musik mit rechtsradikalen Texten und stattete die Räumlichkeiten u. a. mit Reichskriegsflaggen aus. Zwischen dieser Gruppe und anderen Personen in der Umgebung kam es häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei sich die Angriffe der Gruppenmitglieder bevorzugt gegen Punker, "Linke" und "Kiffer" richteten.
3
Anfang 2006 kam innerhalb der Gruppe die Idee auf, eine Kameradschaft zu gründen. Im Januar 2006 trafen sich etwa 20 ausgewählte Personen, darunter auch die Angeklagten Tom W. , T. und R. . Es wurde besprochen , dass die Kameradschaft einen Namen und ein Abzeichen bekommen sollte; man dachte auch über eine einheitliche Kleidung nach, um nach außen Geschlossenheit zu demonstrieren. Im Bauhof sollte Ordnung geschaffen und die Teilnahme an rechtsorientierten Veranstaltungen organisiert werden. Hauptziel der Kameradschaft war jedoch, M. durch die Schaffung einer sog. nationalbefreiten Zone "zeckenfrei" und "braun" zu machen. Dies bedeutete , dass gegen alle Personen, die keine rechtsorientierte politische Gesinnung hatten, mit Gewalt vorgegangen werden sollte. Der Angeklagte Tom W. beabsichtigte , ein "Sammelbecken von Nationalisten" zu schaffen, in dem er Hooligans und Skinheads zusammenführen wollte. Es sollten weiterhin sog. Skinheadkontrollrunden durchgeführt werden, bei denen die Teilnehmer nach missliebigen Personen Ausschau hielten. Wurden solche angetroffen, organisierte und formierte man eine größere Einheit und ging gewalttätig gegen sie vor. An diesen Aktionen sollten nach Möglichkeit alle im Bauhof anwesenden Männer teilnehmen.
4
Nach dieser Vorbesprechung entwickelte der Angeklagte G. nach Recherchen in der Geschichte des Nationalsozialismus den Namen "Kameradschaft Sturm 34". Am ersten Wochenende im März 2006 wurde eine der üblichen Zusammenkünfte im Bauhof spontan zur Gründungsveranstaltung genutzt. Neben anderen Personen hielt der Angeklagte G. eine Rede und erklärte den 30 bis 50 anwesenden Personen den vorherigen Absprachen ent- sprechend, wie eine Kameradschaft zu funktionieren habe, wie es zu dem Namen "Kameradschaft Sturm 34" komme und welche gemeinsamen Ziele verfolgt werden sollten. Die Anwesenden taten ihre Zustimmung kund und waren sich einig, dass damit die "Kameradschaft Sturm 34" gegründet war. Der Vorschlag , eine Mitgliederliste aufzulegen, wurde u. a. deshalb nicht umgesetzt, weil der Angeklagte R. einwandte, dass eine solche Liste im Falle polizeilicher Ermittlungen nachteilig wäre.
5
Der Angeklagte Tom W. nahm in der Folgezeit in der Gruppierung eine Anführerstellung ein. Er bildete mit den Angeklagten Peter W. , T. und G. sowie weiteren Personen den "harten Kern" der Kameradschaft. Die Beteiligten waren sich einig, dass ihre Ziele nur mittels Gewaltanwendung durchgesetzt werden konnten. Lediglich dem Angeklagten G. schwebte eine gewaltfreie Kameradschaft vor; er schied später aus der Gruppierung aus. Bei einer Veranstaltung am 27. Juni 2006 wurde ein Vorstand gewählt; dieser bestand aus dem Angeklagten Tom W. und drei weiteren Personen, unter denen sich mit H. auch ein weibliches Mitglied befand. Eine schriftliche Satzung wurde in der Folgezeit nicht niedergelegt, einheitliche Kleidung nicht angeschafft. Offizielle Regeln, nach denen die Entscheidungen getroffen werden sollten, wurden nicht aufgestellt. Man legte auch nicht ausdrücklich fest, wer als Mitglied der Kameradschaft anzusehen war. Die Teilnahme an den Aktionen gegen "Zecken" und andere war den im Bauhof Anwesenden freigestellt. Der Angeklagte Tom W. gab in der Regel den Ton an; seine Anweisungen wurden indes nicht allgemein akzeptiert. Der Austritt aus der Kameradschaft war ohne Weiteres möglich; auch das Ausscheiden des Angeklagten G. wurde ohne Diskussion hingenommen.
6
Dem Angeklagten R. waren die ständigen Gewalttaten zuwider; er fürchtete, es könnten Personen zu Tode kommen. Um dies zu verhindern, nahm er Kontakt zu den Polizeibehörden auf und verfasste als Informant Berichte über den Verband. Durch Verfügung vom 22. April 2007 verbot das Sächsische Staatsministerium des Innern die "Kameradschaft Sturm 34" und löste diese auf, weil ihre Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten.
7
Nach Gründung der "Kameradschaft Sturm 34" kam es zu folgenden Straftaten:
8
Am 12. Mai 2006, dem Himmelfahrtstag, stellten der Angeklagte Tom W. und der gesondert Verfolgte He. bei einer "Skinheadkontrollrunde" fest, dass sich an der Torfgrube M. eine Gruppe sog. Ökos aufhalte. Fast alle am Bauhof Anwesenden, darunter die Angeklagten Tom und Peter W. , machten sich daraufhin mit Handschuhen, die mit Quarzsand gefüllt waren, sowie Springerstiefeln auf den Weg zu der Torfgrube. Eingedenk entsprechender früherer Aktionen gingen sie in unausgesprochenem Einvernehmen davon aus, dass die dort befindliche Gruppe - bei der es sich um acht Schüler und Studenten handelte - zunächst gemeinsam provoziert und sodann gewaltsam vertrieben werden sollte. In Ausführung dieses Vorhabens schlugen und traten sie auf zwei Opfer ein; einem der beiden Jugendlichen wurde zudem eine Bierflasche in das Gesicht geschlagen. Nach der Rückkehr in den Bauhof wurde die Aktion gemeinsam ausgewertet (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
9
In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 2006 nahmen zahlreiche Mitglieder der Kameradschaft, darunter alle Angeklagten, an einer Feier teil, bei der ein präpariertes Holzkreuz angezündet wurde. Danach begaben sie sich zu einer Tankstelle, um dort eine Schlägerei mit einer Gruppe junger Leute anzuzetteln. Der Angeklagte G. wollte sich an den Gewalttätigkeiten nicht beteiligen und blieb außerhalb des Tankstellengeländes zurück. Die Teilnahme des Ange- klagten R. an den Tätlichkeiten hat das Landgericht ebenfalls nicht festzustellen vermocht. Mehrere sonstige Mitglieder der Kameradschaft schlugen den Geschädigten K. zusammen und traten mit Springerstiefeln auf das am Boden liegende Opfer mit "wie beim Fußball ausgeführten Tritten" ein. Die Angeklagten T. und Peter W. beschädigten zudem einen PKW (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
10
In der Nacht vom 3. zum 4. Juni 2006 fand in B. ein Dorffest statt. Unter den Gästen befanden sich auch drei Punker. Nach einem Streit wurde der Angeklagte Tom W. informiert, von dem bekannt war, dass man ihn jederzeit anrufen konnte, wenn es Probleme gab und man Verstärkung brauchte. Er befand sich auf dem Bauhof, wo sich schnell herumsprach, dass politisch Gleichgesinnte die "Kameraden vom Sturm 34" angefordert hatten. Mit mindestens sechs voll besetzten Fahrzeugen begaben sich die anwesenden Mitglieder der Kameradschaft, unter ihnen die Angeklagten Tom W. und T. , sodann nach B. , wo sie in militärischer Formation zum Festzelt zogen. Dort begannen sie eine Schlägerei, bei der elf Personen teilweise erheblich verletzt wurden. Nach dem Befehl "Geordneter Rückzug" entfernten sich die Täter, kehrten zum Bauhof nach M. zurück und werteten dort die Aktion aus (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
11
B. Revision der Staatsanwaltschaft
12
I. Zum Umfang der Anfechtung des landgerichtlichen Urteils durch die Revision der Staatsanwaltschaft gilt:
13
Den Angeklagten ist u. a. vorgeworfen worden, eine Vereinigung gegründet zu haben, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet waren, Straftaten zu begehen, und sich an dieser Vereinigung als Mitglied beteiligt zu haben (§ 129 Abs. 1 StGB), wobei der Angeklagte Tom W. Rädelsführer (§ 129 Abs. 4 StGB) gewesen sein soll. Mit ihrer Revision beantragt die Staatsanwaltschaft , das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben. Ausweislich der Begründung richtet sich das Rechtsmittel dagegen, dass die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind. Außerdem rügt die Beschwerdeführerin die Fassung des Urteilstenors , weil in diesem nicht zum Ausdruck gebracht werde, in wie vielen tateinheitlichen Fällen die jeweilige gefährliche Körperverletzung begangen worden sei. Sie meint, aus diesem Grunde sei auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft.
14
1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich somit in der Sache trotz des umfassenden Aufhebungsantrags nicht gegen den Freispruch der Angeklagten Tom W. und T. vom Vorwurf der Volksverhetzung. Die hierin liegende Beschränkung der Revision ist wirksam; denn ein Rechtsmittel kann auf solche Beschwerdepunkte beschränkt werden, die losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach deren innerem Zusammenhang rechtlich und tatsächlich selbstständig geprüft und beurteilt werden können, ohne dass eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich ist (st. Rspr.; s. BGHSt 47, 32, 35 m. w. N.). Dies ist bei dem gegen die Angeklagten Tom W. und T. erhobenen Vorwurf der Volksverhetzung der Fall, weil es sich hierbei nicht um eine Straftat handelt, die in Verfolgung der Ziele der Vereinigung begangen wurde, und die deshalb zu dem in Rede stehenden De likt der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB im Verhältnis der Tatmehrheit steht.
15
2. Die Staatsanwaltschaft erhebt zwar ebenfalls keine ausdrücklichen Einwände gegen den Freispruch des Angeklagten R. von dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch im Fall II. 2.
der Urteilsgründe. Insoweit kommt eine wirksame Beschränkung der Revision jedoch nicht in Betracht; denn zwischen der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeklagten R. an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und den im Fall II. 2. der Urteilsgründe angeklagten Delikten wäre Tateinheit im Sinne des § 52 StGB anzunehmen (vgl. BGHSt 29, 288, 290; BGH NStZ 1982, 517, 518). Bei tateinheitlich begangenen Straftaten ist eine beschränkte Nachprüfung des Schuldspruchs grundsätzlich nicht möglich (BGHSt 21, 256, 258; 24, 185, 189). Die Besonderheiten des § 129 StGB als Organisationsdelikt, das über lange Zeiträume ganz verschiedene Verhaltensweisen zu einer materiellrechtlichen Einheit zusammenfasst, führen jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht zu einer anderen Bewertung.
16
Es kann dahinstehen, ob der Umstand, dass die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und schwerer wiegende Straftaten trotz der Annahme materiellrechtlicher Tateinheit unter besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer getrennten Aburteilung zugänglich sind (BGHSt 29, 288, 292 ff.; BGH StV 1999, 352, 353), es rechtfertigen kann, eine Beschränkung der Revision auf in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt stehende schwerere Straftaten als wirksam anzusehen (Paul in KK 6. Aufl. § 318 Rdn. 6 a; zur Zulässigkeit der Revisionsbeschränkung auf einen Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung, wenn diese mit dem Dauerdelikt der Zuhälterei tateinheitlich zusammentrifft, s. BGHSt 39, 390). Dagegen könnte sprechen, dass sich der Schuldumfang des Organisationsdelikts ohne Berücksichtigung der damit im Zusammenhang begangenen Taten nicht beurteilen lässt und umgekehrt (Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 318 Rdn.

66).

17
Dies bedarf indes keiner näheren Betrachtung. Denn eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung käme danach allenfalls in Bezug auf ein mit dem Organisationsdelikt in Tateinheit stehendes schwereres Delikt in Betracht, dessen Strafklage mit der Aburteilung des Organisationsdelikts nicht verbraucht wäre. Im vorliegenden Fall steht aber nicht die Wirksamkeit der Beschränkung der Revision auf ein gewichtigeres, mit dem Organisationsdelikt in Tateinheit stehendes weiteres Delikt in Rede; denn die Staatsanwaltschaft greift mit ihrem Rechtsmittel nicht einen Freispruch vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch, sondern die unterbliebene Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung an. Die Beschränkung der Revision auf dieses Organisationsdelikt scheidet aus. Denn anders als im umgekehrten Fall wäre insoweit die Strafklage durch die Aburteilung des tateinheitlich verwirklichten schwereren Delikts verbraucht; damit entfällt der wesentliche Gesichtspunkt, der für die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auf das in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt gewichtigere Delikt sprechen könnte.
18
3. Aus denselben Gründen umfasst das Rechtsmittel schließlich auch den Schuldspruch der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. wegen gefährlicher Körperverletzung in den drei Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe (vgl. BGHR StGB § 129 Konkurrenzen 1). Auch diese Straftaten stünden in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt nach § 129 StGB. Damit steht ebenfalls die unterbliebene Verurteilung dieser Angeklagten in Bezug auf den Anklagevorwurf jeweils tateinheitlich mit den gefährlichen Körperverletzungen begangenen Landfriedensbruchs zur revisionsgerichtlichen Überprüfung.
19
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt hat. Die Wertung des Landgerichts, nach den - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen seien die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB nicht gegeben, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vielmehr ist die "Kameradschaft Sturm 34" nach den Feststellungen als kriminelle Vereinigung in diesem Sinne anzusehen. Im Einzelnen:
20
1. Die Strafkammer stützt ihre Beurteilung maßgeblich auf folgende Erwägungen :
21
Die Angeklagten hätten sich zwar mit anderen zu der "Kameradschaft Sturm 34" zusammengeschlossen, um einen Zusammenhalt herzustellen und ihre politische Gesinnung mittels der Begehung von Straftaten durchzusetzen. Die Kameradschaft sei jedoch allenfalls als Bande, nicht aber als kriminelle Vereinigung zu bezeichnen. Es habe an verbandsinternen Entscheidungsstrukturen zur Herausbildung eines Gruppenwillens gefehlt, dem sich die Mitglieder verbindlich zu unterwerfen gehabt hätten. Auch die Wahl eines Vorstandes ändere hieran nichts, zumal mit H. auch ein weibliches Vorstandsmitglied gewählt worden sei. Dies deute darauf hin, dass dieser Akt nicht in Verbindung mit den aus der Gruppe heraus begangenen Straftaten stehe; denn grundsätzlich sollten Mädchen in gewaltsame Aktionen nicht einbezogen werden. Eine Satzung sei zwar geplant gewesen, bis zu der Verbotsverfügung jedoch nicht konkret in Angriff genommen worden. Auch der Umstand, dass innerhalb der Kameradschaft eine gewisse Hierarchie erkennbar gewesen sei, kennzeichne die Gruppierung allenfalls als Bande. Trotz der genannten Strukturen habe sich das Kameradschaftsleben eher zwanglos gestaltet; es habe keine Mitgliedschaftsliste, Mitgliedsbeiträge, feste Veranstaltungstermine, Teilnahmepflichten , Verpflichtung zur einheitlichen Kleidung oder Tätowierung und insbesondere keine Verpflichtung gegeben, sich an den durchgeführten konkreten Straftaten zu beteiligen. Auch der "harte Kern" der Gruppe sei nicht als kriminelle Vereinigung aufgetreten.
22
2. Mit dieser Bewertung hat das Landgericht die Frage, ob die "Kameradschaft Sturm 34" die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung erfüllt, zumindest teilweise unter Heranziehung von Kriterien beurteilt, die für das Bestehen einer Vereinigung keine bzw. allenfalls eine untergeordnete Bedeutung haben. Außerdem hat es festgestellte, für das Bestehen einer Vereinigung sprechende Umstände nicht in seine Würdigung einbezogen. Damit hat sich die Strafkammer insgesamt den Blick dafür verstellt, welche Tatsachen für das Bestehen einer kriminellen Vereinigung relevant sind, und damit den festgestellten Sachverhalt rechtsfehlerhaft gewertet.
23
a) Das Vorliegen einer Vereinigung hängt nach bisher in der Rechtsprechung gebräuchlicher Definition von verschiedenen personellen, organisatorischen , voluntativen sowie zeitlichen Kriterien ab. Als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist danach der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen , die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; zuletzt BGH NJW 2009, 3448, 3459, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; s. auch BGHSt 28, 147; 31, 202, 204 f.; 31, 239 f.; 45, 26, 35; BGH NJW 2005, 1668; 2006, 1603; BGHR StGB § 129 Vereinigung 3).
24
Der Senat hält - mit gewissen Modifikationen beim Willenselement - an dieser Bestimmung des Begriffs der Vereinigung für den Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen nach § 129 StGB fest.
25
aa) Der Begriff der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung wird in mehreren europarechtlichen Regelungen näher definiert (vgl. etwa Art. 1 der bis zum 10. November 2008 gültigen Gemeinsamen Maßnahme des Rates der Eu- ropäischen Union vom 21. Dezember 1998, ABl. EG 1998 Nr. L 351 S. 1; Art. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, ABl. EG 2008 Nr. L 300 S. 42; Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung , ABl. EG 2002 Nr. L 164 S. 3, geändert durch den Rahmenbeschluss des Rates vom 28. November 2008, ABl. EG 2008 Nr. L 330 S. 21; jeweils i. V. m. EUV-Lissabon, Art. 9 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen ). Vor dem Hintergrund der dortigen Umschreibungen wird in der Literatur insbesondere für die terroristische Vereinigung (§§ 129 a, 129 b StGB) teilweise die Auffassung vertreten, der bisher verwendete Vereinigungsbegriff sei "europarechtsfreundlich" zu interpretieren; deshalb sei er dahin zu modifizieren, dass die Anforderungen an die organisatorischen und voluntativen Voraussetzungen herabgesetzt werden (Krauß in LK 12. Aufl. § 129 a Rdn. 26; Kress JA 2005, 220; v. Heintschel-Heinegg in FS für Schroeder S. 799; krit. Rudolphi/Stein in SK-StGB § 129 Rdn. 6 b). Diese Auffassung ist von den Instanzgerichten teilweise übernommen worden (OLG Düsseldorf, Urt. vom 5. Dezember 2007 - IIIVI 10/05).
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bb) Der Senat hat eine derartige Neubestimmung des Vereinigungsbegriffs für den Bereich der terroristischen Vereinigung ebenfalls zunächst grundsätzlich in den Blick genommen, ohne sich indes im Einzelnen hierzu zu verhalten (BGH NJW 2006, 1603). Insbesondere für die kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB hat er jedoch vor dem Hintergrund des abgestuften Systems der Strafbarkeit von Tatvollendung, Versuch und Vorbereitungshandlung, der erforderlichen Abgrenzbarkeit der Vereinigung von einer Bande oder nur mittäterschaftlichen Zusammenschlüssen, der prozessualen Folgewirkungen sowie des Strafzwecks der §§ 129 ff. StGB in späteren Entscheidungen erhebliche Bedenken geäußert (BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; s. auch für die terroristische Vereinigung BGH NJW 2009, 3448, 3460; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Der vorliegende Fall gibt Anlass klarzustellen, dass es für den hier relevanten Begriff der kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB für alle in Betracht kommenden Gruppierungen einheitlich bei der bisher in der Rechtsprechung gebräuchlichen Definition der Vereinigung zu verbleiben hat. Hierzu gilt:
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Nach Art. 1 Ziffer 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ABl. EG 2008 Nr. L 300 S. 42) bezeichnet der Ausdruck kriminelle Vereinigung einen auf Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die, um sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen, in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung im Höchstmaß von mindestens vier Jahren oder einer schwereren Strafe bedroht sind. Art. 1 Ziffer 2 des Rahmenbeschlusses umschreibt einen organisierten Zusammenschluss in diesem Sinne als einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung eines Verbrechens gebildet wird und der auch nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder , eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.
28
Diese Begriffsbestimmungen können nicht unmittelbar für die §§ 129 ff. StGB übernommen werden. Zwar sind bei der Auslegung des deutschen Rechts auch die in Rahmenbeschlüssen des Rates der Europäischen Union enthaltenen Vorgaben grundsätzlich zu berücksichtigen; denn die nationalen Gerichte haben ihre Auslegung des innerstaatlichen Rechts auch an deren Wortlaut und Zweck auszurichten (Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung, s. EuGH NJW 2005, 2839 - Pupino). Diese Verpflichtung der nationalen Gerichte besteht jedoch nicht uneingeschränkt; sie wird vielmehr durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grund- satz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt (EuGH aaO S. 2841). Einer Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB, die sich an den zitierten Begriffsbestimmungen des Rahmenbeschlusses orientiert, stehen derartige allgemeine Rechtsgrundsätze des deutschen Strafrechts entgegen:
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Die Übertragung der Definition einer kriminellen Vereinigung in Art. 1 des Rahmenbeschlusses vom 24. Oktober 2008 in das nationale Recht würde zu einem unauflösbaren Widerspruch zu wesentlichen Grundgedanken des Systems der Strafbarkeit mehrerer zusammenwirkender Personen führen, auf dem das deutsche materielle Strafrecht beruht. Die Umschreibung einer kriminellen Vereinigung nach Art. 1 des Rahmenbeschlusses vom 24. Oktober 2008 unterscheidet sich in ihrem inhaltlichen Gehalt allenfalls nur noch in unwesentlichen Randbereichen von derjenigen einer Bande, wie sie in der neueren Rechtsprechung (BGHSt 46, 321) vorgenommen wird. Eine Bande ist danach gekennzeichnet durch den Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten zu begehen; ein gefestigter Bandenwille und ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse sind demgegenüber nicht mehr erforderlich (BGHSt 46, 321, 325 ff.). Nach deutschem Recht ist indes allein die Mitgliedschaft in einer Bande nicht strafbar; vielmehr führt das Handeln als Bandenmitglied (lediglich) dazu, dass der Täter nicht nur einen strafrechtlichen Grundtatbestand erfüllt, sondern ein Qualifikationsmerkmal (s. etwa § 146 Abs. 2, § 244 Abs. 1 Nr. 2, § 244 a Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 2, § 263 Abs. 5, § 267 Abs. 4 StGB, § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 30 a Abs. 1 BtMG) bzw. ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall (s. etwa § 263 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 303 b Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB) verwirklicht. Die Mitgliedschaft in einer Bande ist deshalb kein strafbegründendes, sondern ein strafschärfendes Merkmal. Demgegenüber stellt § 129 Abs. 1 StGB mit Blick auf vereinigungsspezifische Gefährdungen gewichtiger Rechtsgüter bereits u. a. die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als solche unter Strafe. Dieser grundlegende Unterschied ginge bei einer Übernahme des europarechtlichen Begriffs der kriminellen Vereinigung verloren, denn in diesem Fall wäre bereits die Mitgliedschaft in einer Gruppierung strafbar, die lediglich die Voraussetzungen einer Bande erfüllt.
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Hieraus und aus den weiteren, bereits in den Entscheidungen des Senats vom 20. Dezember 2007 (BGHR StGB § 129 Vereinigung 3) sowie 14. August 2009 (BGH NJW 2009, 3448, 3460) näher dargelegten Gründen folgt, dass eine "europarechtsfreundliche" Modifikation des bisherigen Begriffs der kriminellen Vereinigung durch die Rechtsprechung nicht möglich ist. Sie wäre vielmehr allein Sache des Gesetzgebers (für die kriminelle Vereinigung im Ergebnis ebenso Krauß aaO § 129 Rdn. 49), der bei einer Neuregelung allerdings auch dafür Sorge zu tragen hätte, dass das deutsche materielle Strafrechtsgefüge insgesamt in sich stimmig bleibt.
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b) Nach den Feststellungen ist nicht zweifelhaft, dass sich in der "Kameradschaft Sturm 34" mindestens drei Personen für eine gewisse Dauer zusammenschlossen und somit die Anforderungen an eine Vereinigung in personeller und zeitlicher Hinsicht erfüllt sind.
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c) Zu den maßgebenden Gesichtspunkten bezüglich der Organisation der "Kameradschaft Sturm 34" gilt:
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aa) Eine Vereinigung ist in struktureller Hinsicht dadurch gekennzeichnet, dass ein Mindestmaß an fester Organisation mit einer gegenseitigen Verpflichtung der Mitglieder besteht (BGHSt 31, 202, 206; 31, 239, 242). Diese innere Organisation muss so stark sein, dass sich die Durchsetzung der Ziele der Ver- einigung nach bestimmten Gruppenregeln vollzieht und der individuelle Gestaltungseinfluss des Einzelnen dahinter zurücktritt. Die Straftaten und Aktionen, die von den Mitgliedern der Vereinigung geplant und begangen werden, müssen vor diesem Hintergrund stattfinden. Erforderlich ist dabei ein mitgliedschaftliches Zusammenwirken zu einem gemeinsamen Zweck mit verteilten Rollen und einer abgestimmten, koordinierten Aufgabenverteilung (BGH NJW 1992, 1518).
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bb) Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen gegeben; diesen ist zu entnehmen, dass innerhalb der "Kameradschaft Sturm 34" eine ausreichende organisatorische Struktur vorhanden war, um die gemeinsam verfolgten Ziele - Schaffung einer "national-befreiten Zone" in der Gegend um M. usw. - zu verwirklichen (zu den für einen ausreichenden organisatorischen Zusammenschluss sprechenden Indizien zusammenfassend Krauß aaO § 129 Rdn. 25 m. w. N.).
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Die Mittel, deren sich die Mitglieder der Kameradschaft hierfür bedienen wollten, waren von Beginn an festgelegt. Insbesondere die Durchführung der sog. Skinheadkontrollrunden und gegebenenfalls die sich unmittelbar an diese anschließenden Aktionen gegen missliebige Personen erforderten ein beachtliches Maß an Koordination zwischen den Beteiligten. Auch die mit einem nicht unerheblichen logistischen Aufwand verbundene Art und Weise, in der die konkreten Straftaten begangen wurden, belegt eine intensive vorherige Abstimmung zwischen den Mitgliedern der Organisation (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 300, 301). In dem Bauhof war ein ständiger Gruppentreff und damit ein räumlicher Fixpunkt eingerichtet (Krauß aaO § 129 Rdn. 25), von dem die gewalttätigen Aktionen ausgingen und zu dem die Teilnehmer an den konkreten Straftaten nach deren Begehung jeweils zurückkehrten. Die dort sodann - jedenfalls in den Fällen II. 1. und 3. der Urteilsgründe - vorgenommene gemeinsame Aus- wertung der gewalttätigen Aktionen lässt ein bemerkenswertes Maß an Planung und personeller Geschlossenheit erkennen; sie ist deshalb ebenfalls ein gewichtiges Indiz für den organisatorischen Zusammenhalt der Gruppenmitglieder. Hinzu kommt, dass die Bestimmung der Ziele der Gruppe und der zu deren Erreichung eingesetzten Mittel auf einer gemeinsamen politisch-ideologischen Grundhaltung der Beteiligten beruhte (vgl. zu diesem Kriterium auch den Sachverhalt , welcher der Entscheidung BGHSt 41, 47 zugrunde liegt). Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" einte eine politisch im extrem rechten Bereich zu verortende Überzeugung, welche Grundlage der Straftaten war, auf deren Begehung die Gruppierung gerichtet war. All diese Umstände belegen einen hohen Organisationsgrad der Gruppierung, der den Anforderungen genügt, die in organisationsspezifischer Hinsicht an eine Vereinigung zu stellen sind.
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d) Auch das erforderliche Willenselement der Vereinigung liegt nach den Feststellungen vor:
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aa) Nach bisher ständiger Rechtsprechung ist wesentlich für eine Vereinigung die subjektive Einbindung der Beteiligten in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung individueller Einzelmeinungen. Innerhalb der Vereinigung müssen deshalb grundsätzlich bestimmte, von ihren Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen bestehen; dieser organisierten Willensbildung müssen sich die Mitglieder als für alle verbindlich unterwerfen. Der bloße Wille mehrerer Personen, gemeinsam Straftaten zu begehen, verbindet diese noch nicht zu einer kriminellen Vereinigung , weil der Wille des Einzelnen maßgeblich bleibt und die Unterordnung unter einen Gruppenwillen unterbleibt. Die Art und Weise der Willensbildung ist allerdings gleichgültig; maßgeblich ist allein, dass sie von den Mitgliedern der Vereinigung übereinstimmend anerkannt wird. Die für alle Mitglieder verbindlichen Regeln können etwa dem Demokratieprinzip entsprechen oder auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein. Die Annahme einer Vereinigung scheidet indes aus, wenn die Mitglieder einer Gruppierung sich nur jeweils der autoritären Führung einer Person unterwerfen, ohne dass dies vom Gruppenwillen abgeleitet wird (BGHSt 31, 239, 240; 45, 26, 35; BGH NJW 1992, 1518; 2009, 3448, 3460, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
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Der Bundesgerichtshof hat in Anwendung dieser Grundsätze in mehreren , vor allem im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ergangenen Entscheidungen hohe Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen hinsichtlich des Zustandekommens des Gruppenwillens in einer Vereinigung gestellt und auf dieser Grundlage den jeweiligen Urteilsgründen ausreichende Tatsachen, die das voluntative Element einer Vereinigung belegen, nicht zu entnehmen vermocht (vgl. etwa BGHSt 31, 202; BGHR StGB § 129 Gruppenwille 3; BGH NJW 1992, 1518; NStZ 2004, 574; 2007, 31). Der Senat hat allerdings in Entscheidungen zum Staatsschutzstrafrecht im engeren Sinne im Hinblick auf die zugrunde liegenden besonderen, für den Staatsschutzbereich typischen Fallgestaltungen auch weniger detaillierte tatrichterliche Feststellungen zur Art und Weise der Willensbildung innerhalb einer Organisation als ausreichend bewertet. So hat er etwa in dem Urteil vom 10. März 2005 (NJW 2005, 1668), welches die Strafbarkeit der Mitglieder einer Musikgruppe zum Gegenstand hatte, die auf die Veröffentlichung von Liedern mit Texten strafbaren Inhalts ausgerichtet war, ausgeführt, das Tatgericht habe zwar nicht festgestellt, dass sich die Angeklagten verbindliche Regeln gegeben hätten, nach denen sämtliche Entscheidungen innerhalb der Gruppe zu treffen gewesen seien. Dies sei indessen auch nicht erforderlich gewesen; denn aus dem erfolgreichen Zusammenwirken über mehrere Jahre ergebe sich ohne Weiteres, dass sich jedes einzelne Gruppenmitglied dem vom gemeinsamen Willen getragenen Ziel untergeordnet haben müsse (BGH aaO S. 1670). In seinem Beschluss vom 28. November 2007 (NJW 2008, 86), bei dem es um politisch motivierte Brandstiftungen ging, hat er darauf hingewiesen, dass zwar die inneren Strukturen der Gruppe nicht aufgedeckt seien. Der Inhalt der veröffentlichten Schriften zeige jedoch hinreichend deutlich, dass die Mitglieder der Gruppe ihre Aktivitäten an den ideologischen Vorgaben und der daraus entwickelten Strategie der Organisation ausrichteten und sich somit dem aus der internen Meinungsbildung entspringenden Gruppenwillen unterordneten (BGH aaO S. 87). In dem Urteil vom 14. August 2009 (NJW 2009, 3448, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) hat der Senat auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen die Al Qaida als Vereinigung im Sinne der §§ 129 a, 129 b StGB gewürdigt. Bei der Bewertung des Willenselements hat er u. a. darauf abgestellt, deren Mitglieder hätten im dortigen Tatzeitraum die gemeinsame politisch-ideologische Grundhaltung des gewaltbereiten extremistischen Islamismus geteilt. Die Gruppierung habe mit dem "Jihad gegen Juden und Kreuzzügler" bis zur Zerstörung der USA und ihrer Verbündeten über eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausreichende , von allen Mitgliedern getragene Zielsetzung verfügt.
39
bb) An der in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Tendenz , bei der Beurteilung des notwendigen voluntativen Elements der Vereinigung den Schwerpunkt der Betrachtung weniger auf die Regeln zu legen, nach denen sich die Willensbildung vollzieht, vielmehr vor allem die Zielsetzung der Vereinigung und den Gemeinschaftswillen selbst in den Blick zu nehmen, hält der Senat fest; er präzisiert diesen Ansatz wie folgt:
40
Verfolgen die Mitglieder der Organisation nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, und handeln sie hierbei - etwa im Rahmen der Vorbereitung oder der Verwirklichung dieser Straftaten - koordiniert zusammen, so belegt dies regelmäßig für sich bereits hinreichend, dass innerhalb des Verbands der für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB notwendige übergeordnete Gemeinschaftswille besteht und von den Mitgliedern anerkannt wird; denn die nachhaltige, aufeinander abgestimmte gemeinsame Verfolgung einer derartigen übergeordneten Zielsetzung ist in der Regel nur dann möglich, wenn die Mitglieder der Gruppierung sich unter Zurückstellung ihrer individuellen Einzelmeinungen einem auf die Erreichung des gemeinsamen Ziels gerichteten Gruppenwillen unterordnen. In diesen Fällen ist das Bestehen ausdrücklicher, verbindlicher Regeln, nach denen die Entscheidungen innerhalb der Gruppierung zu treffen sind, für das voluntative Element der Vereinigung nicht konstitutiv; deshalb erübrigen sich nähere Feststellungen dazu, auf welche formale Art und Weise der gemeinschaftliche Wille gebildet wird. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Sachverhalt ausnahmsweise Besonderheiten aufweist, die aus der Verfolgung des gemeinsamen übergeordneten Ziels keinen ausreichenden Schluss auf die Existenz eines den individuellen Interessen der Einzelnen vorgehenden Gemeinschaftswillens zulassen.
41
Dieses Verständnis ergibt sich insbesondere aus einer an Sinn und Zweck des § 129 StGB orientierten Auslegung des Vereinigungsbegriffs; denn vor dem Hintergrund des Normzwecks der Vereinigungsdelikte kommt es - jedenfalls in den Fällen, in denen die Mitglieder der Organisation eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausreichende Zielsetzung verfolgen - wesentlich auf die Existenz dieses Gemeinschaftswillens, nicht aber darauf an, nach welchen verbindlichen Regeln sich die Willensbildung im Einzelfall vollzieht. § 129 StGB soll die erhöhte kriminelle Intensität erfassen, die in der Gründung oder Fortführung einer ausreichend festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet und die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51). Diese für größere Personenzusammenschlüsse typische Eigendynamik hat ihre besondere Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGHSt 28, 147, 148 f.; BGH NJW 1992, 1518). Für die so verstandene spezifisch vereinigungsbezogene Gefährlichkeit ist die konkrete Ausgestaltung der Art und Weise der Bildung des gemeinschaftlichen Willens jedenfalls in den Fallgestaltungen ohne erheblichen Belang, in denen die in Rede stehende Eigendynamik vor allem dadurch in Gang gesetzt werden kann, dass die Beteiligten sich in der Verfolgung eines gemeinsamen Zieles verbunden fühlen. Dies rechtfertigt es, in den Fällen, in denen die Beteiligten sich zusammengeschlossen haben und tätig werden, um ein über die Begehung konkreter Straftaten hinausgehendes Ziel zu erreichen, regelmäßig vom Bestehen eines für die Qualifikation des Zusammenschlusses als Vereinigung im Sinne des § 129 StGB ausreichenden Gruppenwillen auszugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Beteiligten bereits eine längere Zeit zusammengewirkt und sich dabei Verhaltensmuster herausgebildet haben, die einen jeweils neuen ausdrücklichen Prozess zur Bildung eines Gemeinschaftswillens - etwa im Zusammenhang mit der Vorbereitung oder Begehung vereinigungsspezifischer Straftaten - entbehrlich machen.
42
Ein derartiges übergeordnetes Ziel verfolgen die Mitglieder einer Gruppierung typischerweise etwa in den Fällen politisch, ideologisch, religiös oder weltanschaulich motivierter Kriminalität. Solche Fallgestaltungen erscheinen jedoch darüber hinaus auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität denkbar. Dort wird es indes regelmäßig an der Verfolgung eines übergeordneten gemeinschaftlichen Ziels fehlen; denn bei Wirtschaftsstraftaten steht typischerweise das persönliche Gewinnstreben des einzelnen Täters im Vordergrund. In diesen Fällen sind die hergebrachten Grundsätze zur Feststellung des Gruppenwillens weiterhin maßgebend; deshalb sind hier nach wie vor Feststellungen dazu erforderlich , nach welchen Regeln sich der gemeinschaftliche Wille der Gruppie- rung bildet, denen die einzelnen Mitglieder folgen, weil sie sie als verbindlich ansehen. Aus den dargelegten Gründen kommt es auch vor dem Hintergrund der Regelungen in dem Rahmenbeschluss des Rates vom 24. Oktober 2008, der ersichtlich vor allem wirtschaftskriminelle Gruppierungen in den Blick nimmt, nicht in Betracht, die inhaltlichen Anforderungen an eine kriminelle Vereinigung speziell für diesen Bereich zu mindern. Es verstieße im Übrigen gegen fundamentale Auslegungsgrundsätze, wollte man das Tatbestandsmerkmal der kriminellen Vereinigung abhängig von den tatsächlichen Feststellungen zu den Zielsetzungen des Personenzusammenschlusses unterschiedlich interpretieren; der Begriff der kriminellen Vereinigung kann deshalb nur insgesamt einheitlich verstanden werden.
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cc) Auch wenn man in den Fällen der koordinierten Verfolgung eines übergeordneten Ziels durch die Gruppenmitglieder bei der Bewertung des Willenselements der Vereinigung maßgeblich auf die Existenz eines Gruppenwillens als solchen und nicht auf die Art seines Zustandekommens abstellt, unterscheidet sich die Vereinigung hinreichend sicher von anderen Formen des strafbaren Zusammenwirkens mehrerer.
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Dies gilt zunächst im Verhältnis zu der Begehung von Straftaten durch die Mitglieder einer Bande. Der Senat verkennt nicht, dass bei einer Herleitung des maßgebenden Gemeinschaftswillens aus der gemeinsamen Verfolgung eines übergeordneten Ziels wesentlich auf ein tatsächliches Element abgestellt wird, das Ähnlichkeiten zu dem übergeordneten Interesse aufweist, welches die frühere Rechtsprechung als für eine Bande konstitutives Merkmal angesehen hatte (BGHSt 42, 255, 259; BGH NStZ 1997, 90, 91; BGHR BtMG § 30 a Bande 8). Mit diesem Erfordernis war die Bandentat allerdings ohnehin bereits in die Nähe des Organisationsdelikts nach § 129 StGB gerückt worden (BGHSt 46, 321, 327). Entscheidend ist jedoch, dass - wie bereits aufgezeigt - nach neue- rem Verständnis der Rechtsprechung ein derartiges übergeordnetes Interesse für eine Bande nicht mehr notwendig ist. Die Mitglieder einer Bande können - und werden regelmäßig - ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung sowie Beute- und Gewinnerzielung verfolgen (BGHSt 46, 321, 329 f.). Gerade hierin besteht - auch nach dem dargelegten Verständnis des Senats - neben den bedeutend geringeren Anforderungen an die Organisation der Gruppierung ein weiterer wesentlicher Unterschied zu einer Vereinigung.
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Die Abgrenzung zu mittäterschaftlichem Zusammenwirken ist ebenfalls weiterhin trennscharf möglich; denn diese ist von einem gemeinsamen Willen mehrerer Personen zur Tat und einer gemeinsamen Tatherrschaft gekennzeichnet. Darüber hinaus muss keines der für eine Vereinigung konstitutiven Elemente vorliegen (Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB § 129 a Rdn. 35).
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dd) Gemessen an den dargelegten Maßstäben wird hier der erforderliche Gruppenwille durch die Feststellungen hinreichend belegt. Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" verfolgten ein von einem gemeinschaftlichen Bestreben getragenes Ziel, das über die Begehung der einzelnen strafbaren Gewalttätigkeiten hinausging; sie einte das in gemeinsamer rechtsgerichteter politisch -ideologischer Überzeugung wurzelnde, von übereinstimmenden Vorstellungen getragene Vorhaben, M. und Umgebung durch die Vertreibung politisch Andersdenkender "zeckenfrei" und "braun" zu machen. Die Umsetzung dieses Ziels durch die Begehung gewalttätiger Straftaten war ebenfalls vom Gruppenwillen umfasst, ohne dass es insoweit einer jeweils ausdrücklichen Form des Willensbildungsprozesses bedurfte. Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" wirkten planvoll und zielgerichtet zusammen; ihr bereits längere Zeit vor der Gründung der Kameradschaft und nach diesem Zeitpunkt praktiziertes Vorgehen gegen missliebige Personen folgte einem einge- schliffenen Verhaltensmuster. Dies belegt ein nicht unbeträchtliches Maß an gemeinschaftlicher Willensbildung, der sich die einzelnen Mitglieder der Gruppierung unter Zurückstellung der jeweiligen Vorstellungen des Einzelnen unterordneten ; denn anderenfalls wäre die gemeinsame Durchführung der gewalttätigen Aktionen in der festgestellten Form nicht möglich gewesen. Unter diesen Umständen waren detaillierte Feststellungen zur Art und Weise der Bildung des Gemeinschaftswillens hier nicht erforderlich.
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Für das Bestehen eines verbindlichen übergeordneten Gruppenwillens spricht auch, dass der Angeklagte G. sein Ziel einer gewaltfreien Kameradschaft nicht durchsetzen konnte und später aus dem Verband ausschied. Die Strafkammer hat schließlich selbst im Rahmen der Strafzumessung sowohl dem Angeklagten T. als auch dem Angeklagten Peter W. ausdrücklich zu Gute gehalten, sie hätten sich der durch die "Kameradschaft Sturm 34" entstehenden Gruppendynamik nicht entziehen können.
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Dass bei den Mitgliedern der Kameradschaft das Bewusstsein bestand, einem organisatorisch ausreichend fest gefügten, auf die Begehung von Straftaten gerichteten Verband anzugehören, ergibt sich schließlich auch aus den Feststellungen zu Fall II. 3. der Urteilsgründe. Nach diesen hatten außerhalb der Gruppierung stehende, politisch gleichgesinnte Personen die "Kameraden vom Sturm 34" angefordert; dies löste bei den auf dem Bauhof anwesenden Personen keine Zweifel darüber aus, wer hiermit gemeint war.
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e) Soweit die Strafkammer demgegenüber zur Begründung ihrer Auffassung , die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung seien nicht gegeben, darauf abgestellt hat, dass eine Satzung noch nicht erstellt war, eine Mitgliederliste nicht geführt wurde, keine Mitgliedsbeiträge erhoben wurden und keine festen Veranstaltungstermine, Teilnahmepflichten sowie Verpflichtungen zur einheitlichen Kleidung oder Tätowierung bestanden, hat sie die Bedeutung dieser Kriterien verkannt. Diese Umstände sind zwar, wenn sie festzustellen sind, Indizien, die für das Vorliegen einer Vereinigung sprechen. Sie sind jedoch für eine kriminelle Vereinigung nicht konstitutiv; allein aus ihrem Fehlen kann deshalb nicht geschlossen werden, dass die Voraussetzungen einer Vereinigung nicht gegeben sind.
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Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht seine Beurteilung auf die Erwägung gegründet hat, dass die einzelnen Mitglieder der Kameradschaft nicht zur Beteiligung an den konkreten Gewalttätigkeiten verpflichtet waren. Auch dieser Umstand findet als Voraussetzung für das Bestehen einer Vereinigung im Gesetz keine Stütze. Die §§ 129 ff. StGB setzen als Vorfelddelikte nach ihrer Struktur nicht voraus, dass überhaupt von den Mitgliedern der Vereinigung konkrete Straftaten begangen werden, solche müssen noch nicht einmal konkret geplant oder vorbereitet sein (vgl. BGH NJW 2005, 80, 81). Erst recht ist es nicht notwendig, dass bei den einzelnen Taten alle oder jeweils dieselben Mitglieder der Vereinigung aktiv werden; vielmehr ist auch eine Begehung in wechselnder Besetzung möglich (BGHSt 31, 202, 206). Mit Blick auf den Strafzweck der Vereinigungsdelikte (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51) ist es erforderlich , aber auch ausreichend, dass die Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung solcher Delikte gerichtet ist.
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Ebenso wenig hängt die Bewertung der Kameradschaft als kriminelle Vereinigung davon ab, ob eine ausdrückliche Festlegung dahin existierte, wer als Mitglied der Kameradschaft gelten sollte. Nach den Feststellungen sind jedenfalls diejenigen als Mitglied der Kameradschaft - das heißt als Person, die sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung entfaltet - anzusehen , die regelmäßig die Treffen im Bauhof besuchten. Es liegt nahe, dass dies auch für diejenigen anzunehmen ist, die an der Gründungsveranstaltung teilnahmen oder sich an der Wahl des Vorstands beteiligten. Somit lassen sich die Mitglieder der Kameradschaft auch ohne ausdrückliche Regelung hinreichend sicher von solchen Personen abgrenzen, die nicht auf Dauer oder zumindest längere Zeit am "Kameradschaftsleben" teilnahmen. Im Übrigen ist im Randbereich die Abgrenzung von Mitgliedern, Unterstützern und Sympathisanten einer Vereinigung häufig im Einzelfall problematisch; dies stellt jedoch nicht per se deren Existenz in Frage.
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Zur Abgrenzung einer Vereinigung von sonstigem strafbaren Verhalten mehrerer Personen untauglich ist schließlich die Erwägung des Landgerichts, in dem gewählten Vorstand habe sich ein weibliches Mitglied befunden, Mädchen hätten jedoch an den Gewalttätigkeiten nicht teilnehmen sollen. Vor dem Hintergrund der aufgeführten Abgrenzungskriterien erschließt sich dem Senat der Sinn dieser Argumentation nicht.
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3. Einen weiteren Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) der Angeklagten deckt die Revision nicht auf.
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III. Für das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bedeutet dies:
55
1. Obwohl die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung belegen, kann der Senat nicht selbst in der Sache dahin entscheiden, dass die Angeklagten sich nach § 129 StGB strafbar gemacht haben.
56
Für die Angeklagten G. und R. folgt dies bereits daraus, dass diese vom Landgericht insgesamt freigesprochen worden sind. In solchen Fällen ist für eine entsprechende Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO regelmäßig kein Raum, wenn sich die Revision der Staatsanwaltschaft erfolgreich gegen den Freispruch eines Angeklagten wendet. Denn die auf einen Freispruch zugeschnittenen und daher bereits ihrer Natur nach ergänzungsbedürftigen Feststellungen bieten dem Revisionsgericht vor allem deshalb keine verlässliche Grundlage für eine den Angeklagten belastende Sachentscheidung, weil sie von Verfahrensfehlern betroffen sein können, die der Angeklagte nur aus dem Grund nicht rügen konnte, weil er durch sie nicht beschwert war. Ein Ausnahmefall , in dem die Aufhebung des Freispruchs durch das Revisionsgericht mit einem Schuldspruch verbunden werden kann, liegt hier nicht vor (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 354 Rdn. 13 m. w. N.).
57
Entsprechendes gilt auch für die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. . Da das Vergehen nach § 129 StGB mit den vom Landgericht abgeurteilten gefährlichen Körperverletzungen in Tateinheit stünde, hat die Strafkammer die genannten Angeklagten zwar zu Recht insoweit nicht formal - teilweise - freigesprochen. In der Sache konnten sich indes auch diese Angeklagten gegen die Feststellungen in dem sie nicht beschwerenden Teil des Urteils nicht angemessen zur Wehr setzen.
58
Hinzu kommt, dass allen Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft nicht nur die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, sondern auch deren Gründung zur Last gelegt worden ist. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB steht zu der weiteren Tatbestandsalternative der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Vereinigung jedenfalls dann im Verhältnis der Tateinheit, wenn sich die Beteiligung als Mitglied wie hier unmittelbar an das Gründen der Vereinigung anschließt. Seine frühere Auffassung , die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung umfasse auch die Beteiligung des Mitglieds an der Gründung der Vereinigung mit der Folge, dass in diesen Fällen der Schuldspruch nur wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der Vereinigung zu ergehen habe (BGH NStZ 2004, 385), gibt der Senat auf. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung weist einen im Verhältnis zur Beteiligung als Mitglied selbstständigen Unrechtsgehalt auf. Dieser ist nicht nur bei der Bewertung des Schuldumfangs im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Das Erfordernis der Rechtsklarheit gebietet es vielmehr, bereits im Schuldspruch zu verdeutlichen, dass der Angeklagte über die mitgliedschaftliche Beteiligung hinaus eine weitere, eigenständige Tathandlung des § 129 Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Zu den Einzelheiten des Gründungsvorgangs und dabei insbesondere den Tatbeiträgen der Angeklagten verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht in dem für eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts erforderlichen Umfang. Dies ist zwar vor dem Hintergrund der rechtlichen Auffassung des Landgerichts nachvollziehbar, die "Kameradschaft Sturm 34" sei nicht als kriminelle Vereinigung anzusehen und der Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB sei bereits aus diesem Grunde nicht verwirklicht. Dem Senat ist es auf dieser ungenügenden tatsächlichen Grundlage jedoch verwehrt, in der Sache durchzuerkennen.
59
2. Die somit auf die Revision der Staatsanwaltschaft gebotene Aufhebung des Urteils betrifft alle Angeklagten. Sie umfasst die angefochtene Entscheidung insoweit, als sie nicht wegen des Vergehens nach § 129 StGB verurteilt bzw. ausdrücklich freigesprochen worden sind. Miterfasst von der Aufhebung sind damit auch die abgeurteilten Taten (II. 1. bis 3. der Urteilsgründe); denn diese stünden im Falle einer Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Organisationsdelikt nach § 129 Abs. 1 StGB in Tateinheit (BGHR StGB § 129 Konkurrenzen 1). Hieraus folgt auch, dass der Freispruch des Angeklagten R. vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Überfall an der Esso-Tankstelle in S. ) keinen Bestand haben kann.
60
Bereits aufgrund der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft von der Aufhebung nicht umfasst ist demgegenüber der Freispruch der Angeklagten T. und Tom W. vom gegenüber § 129 StGB selbstständigen Tatvorwurf der Volksverhetzung.
61
3. Die Feststellungen zu den einzelnen Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies betrifft auch die Feststellungen, die dem Freispruch des Angeklagten R. im Fall II. 2. der Urteilsgründe zugrunde liegen. Die Würdigung der Einlassung des Angeklagten, der seine Beteiligung an dieser Tat bestritten hat, sowie der erhobenen Beweise lässt revisionsrechtlich relevante Rechtsfehler (vgl. BGH NJW 2005, 2322, 2326) nicht erkennen.
62
C. Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten T.
63
Der Angeklagte T. hat seine Revision form- und fristgerecht eingelegt und mit der Sachrüge und einer verfahrensrechtlichen Beanstandung begründet. Er beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Ziel, eine im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge nicht fristgerecht vorgelegte Seite eines Gerichtsbeschlusses nachreichen zu können.
64
Der Antrag hat keinen Erfolg. Die Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer bereits erhobenen Verfahrensrüge ist grundsätzlich ausgeschlossen (MeyerGoßner , StPO 52. Aufl. § 44 Rdn. 7 b m. w. N.). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) ist bereits deshalb nicht versäumt, weil das Rechtsmittel fristgerecht mit der Sachrüge begründet worden ist. Aber auch die in Rede stehende Verfahrensrüge ist nicht verspätet, sondern allein in einer der gesetzlichen Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügenden Weise erhoben worden, weil der Beschluss des Landgerichts vom 4. Juli 2008 nicht vollständig mitgeteilt worden ist. Es widerspricht im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens, in derartigen Fällen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur formgerechten Begründung der Revisionsrüge zuzulassen, nachdem der Beschwerdeführer durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts (vgl. § 349 Abs. 2 und 3 StPO) von der Formwidrigkeit seiner Verfahrensrüge erfahren hat (BGH, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 28/08 - Rdn. 3; Beschl. vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 - Rdn. 5). Eine besondere Verfahrenslage, bei der ausnahmsweise zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eine Wiedereinsetzung unerlässlich ist (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; Meyer-Goßner aaO § 44 Rdn. 7 ff.), liegt nicht vor.
65
Im Übrigen bliebe die Rüge gemäß den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts in der Sache ohne Erfolg.
66
D. Revisionen der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W.
67
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat aus den Gründen der jeweiligen Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben; deren Rechtsmittel sind deshalb unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
68
E. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
69
I. Die Feststellungen, die das neue Tatgericht insbesondere zum Tatvorwurf nach § 129 StGB zu treffen haben wird, dürfen die zu den Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe aufrecht erhaltenen Feststellungen ergänzen, diesen aber nicht widersprechen.
70
II. Das neue Tatgericht wird ggf. bei der Bestimmung der angemessen Sanktion für den Angeklagten Tom W. zu bedenken haben, ob nach den § 105 Abs. 1, § 31 JGG eine einheitliche Jugendstrafe in Betracht kommt. Dabei wird es erforderlich sein, ergänzend den Vollstreckungsstand hinsichtlich der mitgeteilten Vorverurteilungen dieses Angeklagten festzustellen; dieser lässt sich den bisherigen Feststellungen nicht entnehmen.
71
III. Die Würdigung des Landgerichts, die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. hätten sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu den Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, ist als solche rechtsfehlerfrei. Dies gilt ebenfalls für die Wertung der Strafkammer, ein Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichten Landfriedensbruchs (§§ 125, 125 a StGB) scheide aus. Schließlich lässt ihre Würdigung, auf der Grundlage der Feststellungen zur Tat II. 2. der Urteilsgründe sei der Angeklagte R. insoweit nicht wegen einer strafbaren Beteiligung an der gewalttätigen Auseinandersetzung zu verurteilen, Rechtsfehler nicht erkennen.
72
IV. Gelangt das neue Tatgericht zu der Auffassung, die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. seien der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, u. U. in Tateinheit mit deren Gründung, schuldig und hätten sich daneben in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, wären die Konkurrenzen wie folgt zu beurteilen:
73
Die mitgliedschaftliche Beteiligung der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. an der kriminellen Vereinigung und die von den Angeklagten begangenen gefährlichen Körperverletzungen stünden zueinander jeweils im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB); denn es handelte sich bei den Körperverletzungsdelikten um Straftaten, welche die Angeklagten als Mitglieder der kriminellen Vereinigung in Verfolgung von deren Zielen begingen (BGHSt 29, 288, 290). Da die gefährlichen Körperverletzungen nach § 224 StGB schwerer wiegen als das Vergehen nach § 129 Abs. 1 StGB, würden die einzelnen Gewalt- delikte nicht nach den Grundsätzen der Klammerwirkung durch die Organisationsstraftat zu einer materiellrechtlich insgesamt einheitlichen Tat verbunden (Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 52 Rdn. 28 ff.); sie stünden vielmehr zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB).
74
Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls, um das Konkurrenzverhältnis bei gleichartiger Tateinheit im Sinne des § 52 StGB kenntlich zu machen, in der Entscheidungsformel anzugeben haben, wie oft der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung jeweils verwirklicht wurde (vgl. Meyer-Goßner aaO § 260 Rdn. 26).
75
V. Mit Blick darauf, dass die Angeklagten G. und R. mit dem gewaltsamen Vorgehen der Kameradschaftsmitglieder nicht einverstanden waren und der Angeklagte R. sich den Polizeibehörden als Informant zur Verfügung stellte, erscheint jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen die Wertung nicht völlig unbedenklich, beide hätten sich als Mitglied an der Vereinigung beteiligt. Denn dies erfordert, dass der Täter sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Organisation entfaltet (BGHSt 18, 296, 299 f.; BGH NStZ 1993, 37, 38).
Sollte das neue Tatgericht diese Voraussetzungen feststellen und eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 129 Abs. 1 StGB bejahen, wird es bei der Bestimmung der Rechtsfolgen jedenfalls die in § 129 Abs. 5 und 6 StGB enthaltenen Regelungen bzw. die hinter diesen Vorschriften stehen Rechtsgedanken nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann,
2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder
3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder
4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.

(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn

1.
die verurteilte Person
a)
rechtzeitig
aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder
bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder
3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.

(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils

1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder
2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
Die verurteilte Person muss zuvor ausdrücklich über ihr Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem sie teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden sein.

(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 277/09
vom
3. Dezember 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________________
1. Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 24. Oktober 2008
zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität führt nicht zu einer Änderung der
bisherigen Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinigung im Sinne des
2. Verfolgen die Mitglieder einer Gruppierung durch koordiniertes Handeln nicht nur
kurzfristig ein gemeinsames Ziel, das über die Begehung der konkreten Straftaten
hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, so
belegt dies regelmäßig den für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB notwendigen
übergeordneten Gemeinschaftswillen.
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09 - LG Dresden
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
8. Oktober 2009 in der Sitzung am 3. Dezember 2009, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Peter W.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Tom W.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. August 2008 mit den Feststellungen aufgehoben mit Ausnahme des Teilfreispruchs der Angeklagten T. und Tom W. vom Vorwurf der Volksverhetzung ; jedoch werden die Feststellungen zu dem jeweiligen objektiven Tatgeschehen in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe bezüglich aller Angeklagten aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Der Antrag des Angeklagten T. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer Verfahrensrüge wird zurückgewiesen.
3. Die Revisionen der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen. Diese Angeklagten haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten Tom W. der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen sowie die Angeklagten T. und Peter W. jeweils der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, schuldig gesprochen. Es hat folgende Jugendstrafen verhängt: gegen den Angeklagten Tom W. eine solche von drei Jahren und sechs Monaten, gegen den Angeklagten Peter W. eine solche von drei Jahren sowie gegen den Angeklagten T. eine solche von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Übrigen hat es die Angeklagten Tom W. und T. vom Vorwurf der Volksverhetzung sowie die Angeklagten G. und R. insgesamt freigesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision, die sich auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt, wendet sich die Staatsanwaltschaft insbesondere dagegen, dass die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind; das Rechtsmittel hat insoweit Erfolg. Der Angeklagte T. begehrt Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer Verfahrensrüge und beanstandet ebenso wie die Angeklagten Tom und Peter W. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Diese Rechtsmittel sind unbegründet.
2
A. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf sich ab dem Jahre 2005 eine Gruppe politisch rechtsorientierter Jugendlicher aus M. , die sich den Namen "Division Sächsischer Sturm" gegeben hatte und zu der auch die Angeklagten gehörten. Im Herbst 2005 wurde eine Halle in einem Bauhof zum festen täglichen Treffpunkt. Man spielte Musik mit rechtsradikalen Texten und stattete die Räumlichkeiten u. a. mit Reichskriegsflaggen aus. Zwischen dieser Gruppe und anderen Personen in der Umgebung kam es häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei sich die Angriffe der Gruppenmitglieder bevorzugt gegen Punker, "Linke" und "Kiffer" richteten.
3
Anfang 2006 kam innerhalb der Gruppe die Idee auf, eine Kameradschaft zu gründen. Im Januar 2006 trafen sich etwa 20 ausgewählte Personen, darunter auch die Angeklagten Tom W. , T. und R. . Es wurde besprochen , dass die Kameradschaft einen Namen und ein Abzeichen bekommen sollte; man dachte auch über eine einheitliche Kleidung nach, um nach außen Geschlossenheit zu demonstrieren. Im Bauhof sollte Ordnung geschaffen und die Teilnahme an rechtsorientierten Veranstaltungen organisiert werden. Hauptziel der Kameradschaft war jedoch, M. durch die Schaffung einer sog. nationalbefreiten Zone "zeckenfrei" und "braun" zu machen. Dies bedeutete , dass gegen alle Personen, die keine rechtsorientierte politische Gesinnung hatten, mit Gewalt vorgegangen werden sollte. Der Angeklagte Tom W. beabsichtigte , ein "Sammelbecken von Nationalisten" zu schaffen, in dem er Hooligans und Skinheads zusammenführen wollte. Es sollten weiterhin sog. Skinheadkontrollrunden durchgeführt werden, bei denen die Teilnehmer nach missliebigen Personen Ausschau hielten. Wurden solche angetroffen, organisierte und formierte man eine größere Einheit und ging gewalttätig gegen sie vor. An diesen Aktionen sollten nach Möglichkeit alle im Bauhof anwesenden Männer teilnehmen.
4
Nach dieser Vorbesprechung entwickelte der Angeklagte G. nach Recherchen in der Geschichte des Nationalsozialismus den Namen "Kameradschaft Sturm 34". Am ersten Wochenende im März 2006 wurde eine der üblichen Zusammenkünfte im Bauhof spontan zur Gründungsveranstaltung genutzt. Neben anderen Personen hielt der Angeklagte G. eine Rede und erklärte den 30 bis 50 anwesenden Personen den vorherigen Absprachen ent- sprechend, wie eine Kameradschaft zu funktionieren habe, wie es zu dem Namen "Kameradschaft Sturm 34" komme und welche gemeinsamen Ziele verfolgt werden sollten. Die Anwesenden taten ihre Zustimmung kund und waren sich einig, dass damit die "Kameradschaft Sturm 34" gegründet war. Der Vorschlag , eine Mitgliederliste aufzulegen, wurde u. a. deshalb nicht umgesetzt, weil der Angeklagte R. einwandte, dass eine solche Liste im Falle polizeilicher Ermittlungen nachteilig wäre.
5
Der Angeklagte Tom W. nahm in der Folgezeit in der Gruppierung eine Anführerstellung ein. Er bildete mit den Angeklagten Peter W. , T. und G. sowie weiteren Personen den "harten Kern" der Kameradschaft. Die Beteiligten waren sich einig, dass ihre Ziele nur mittels Gewaltanwendung durchgesetzt werden konnten. Lediglich dem Angeklagten G. schwebte eine gewaltfreie Kameradschaft vor; er schied später aus der Gruppierung aus. Bei einer Veranstaltung am 27. Juni 2006 wurde ein Vorstand gewählt; dieser bestand aus dem Angeklagten Tom W. und drei weiteren Personen, unter denen sich mit H. auch ein weibliches Mitglied befand. Eine schriftliche Satzung wurde in der Folgezeit nicht niedergelegt, einheitliche Kleidung nicht angeschafft. Offizielle Regeln, nach denen die Entscheidungen getroffen werden sollten, wurden nicht aufgestellt. Man legte auch nicht ausdrücklich fest, wer als Mitglied der Kameradschaft anzusehen war. Die Teilnahme an den Aktionen gegen "Zecken" und andere war den im Bauhof Anwesenden freigestellt. Der Angeklagte Tom W. gab in der Regel den Ton an; seine Anweisungen wurden indes nicht allgemein akzeptiert. Der Austritt aus der Kameradschaft war ohne Weiteres möglich; auch das Ausscheiden des Angeklagten G. wurde ohne Diskussion hingenommen.
6
Dem Angeklagten R. waren die ständigen Gewalttaten zuwider; er fürchtete, es könnten Personen zu Tode kommen. Um dies zu verhindern, nahm er Kontakt zu den Polizeibehörden auf und verfasste als Informant Berichte über den Verband. Durch Verfügung vom 22. April 2007 verbot das Sächsische Staatsministerium des Innern die "Kameradschaft Sturm 34" und löste diese auf, weil ihre Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten.
7
Nach Gründung der "Kameradschaft Sturm 34" kam es zu folgenden Straftaten:
8
Am 12. Mai 2006, dem Himmelfahrtstag, stellten der Angeklagte Tom W. und der gesondert Verfolgte He. bei einer "Skinheadkontrollrunde" fest, dass sich an der Torfgrube M. eine Gruppe sog. Ökos aufhalte. Fast alle am Bauhof Anwesenden, darunter die Angeklagten Tom und Peter W. , machten sich daraufhin mit Handschuhen, die mit Quarzsand gefüllt waren, sowie Springerstiefeln auf den Weg zu der Torfgrube. Eingedenk entsprechender früherer Aktionen gingen sie in unausgesprochenem Einvernehmen davon aus, dass die dort befindliche Gruppe - bei der es sich um acht Schüler und Studenten handelte - zunächst gemeinsam provoziert und sodann gewaltsam vertrieben werden sollte. In Ausführung dieses Vorhabens schlugen und traten sie auf zwei Opfer ein; einem der beiden Jugendlichen wurde zudem eine Bierflasche in das Gesicht geschlagen. Nach der Rückkehr in den Bauhof wurde die Aktion gemeinsam ausgewertet (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
9
In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 2006 nahmen zahlreiche Mitglieder der Kameradschaft, darunter alle Angeklagten, an einer Feier teil, bei der ein präpariertes Holzkreuz angezündet wurde. Danach begaben sie sich zu einer Tankstelle, um dort eine Schlägerei mit einer Gruppe junger Leute anzuzetteln. Der Angeklagte G. wollte sich an den Gewalttätigkeiten nicht beteiligen und blieb außerhalb des Tankstellengeländes zurück. Die Teilnahme des Ange- klagten R. an den Tätlichkeiten hat das Landgericht ebenfalls nicht festzustellen vermocht. Mehrere sonstige Mitglieder der Kameradschaft schlugen den Geschädigten K. zusammen und traten mit Springerstiefeln auf das am Boden liegende Opfer mit "wie beim Fußball ausgeführten Tritten" ein. Die Angeklagten T. und Peter W. beschädigten zudem einen PKW (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
10
In der Nacht vom 3. zum 4. Juni 2006 fand in B. ein Dorffest statt. Unter den Gästen befanden sich auch drei Punker. Nach einem Streit wurde der Angeklagte Tom W. informiert, von dem bekannt war, dass man ihn jederzeit anrufen konnte, wenn es Probleme gab und man Verstärkung brauchte. Er befand sich auf dem Bauhof, wo sich schnell herumsprach, dass politisch Gleichgesinnte die "Kameraden vom Sturm 34" angefordert hatten. Mit mindestens sechs voll besetzten Fahrzeugen begaben sich die anwesenden Mitglieder der Kameradschaft, unter ihnen die Angeklagten Tom W. und T. , sodann nach B. , wo sie in militärischer Formation zum Festzelt zogen. Dort begannen sie eine Schlägerei, bei der elf Personen teilweise erheblich verletzt wurden. Nach dem Befehl "Geordneter Rückzug" entfernten sich die Täter, kehrten zum Bauhof nach M. zurück und werteten dort die Aktion aus (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
11
B. Revision der Staatsanwaltschaft
12
I. Zum Umfang der Anfechtung des landgerichtlichen Urteils durch die Revision der Staatsanwaltschaft gilt:
13
Den Angeklagten ist u. a. vorgeworfen worden, eine Vereinigung gegründet zu haben, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet waren, Straftaten zu begehen, und sich an dieser Vereinigung als Mitglied beteiligt zu haben (§ 129 Abs. 1 StGB), wobei der Angeklagte Tom W. Rädelsführer (§ 129 Abs. 4 StGB) gewesen sein soll. Mit ihrer Revision beantragt die Staatsanwaltschaft , das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben. Ausweislich der Begründung richtet sich das Rechtsmittel dagegen, dass die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind. Außerdem rügt die Beschwerdeführerin die Fassung des Urteilstenors , weil in diesem nicht zum Ausdruck gebracht werde, in wie vielen tateinheitlichen Fällen die jeweilige gefährliche Körperverletzung begangen worden sei. Sie meint, aus diesem Grunde sei auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft.
14
1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich somit in der Sache trotz des umfassenden Aufhebungsantrags nicht gegen den Freispruch der Angeklagten Tom W. und T. vom Vorwurf der Volksverhetzung. Die hierin liegende Beschränkung der Revision ist wirksam; denn ein Rechtsmittel kann auf solche Beschwerdepunkte beschränkt werden, die losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach deren innerem Zusammenhang rechtlich und tatsächlich selbstständig geprüft und beurteilt werden können, ohne dass eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich ist (st. Rspr.; s. BGHSt 47, 32, 35 m. w. N.). Dies ist bei dem gegen die Angeklagten Tom W. und T. erhobenen Vorwurf der Volksverhetzung der Fall, weil es sich hierbei nicht um eine Straftat handelt, die in Verfolgung der Ziele der Vereinigung begangen wurde, und die deshalb zu dem in Rede stehenden De likt der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB im Verhältnis der Tatmehrheit steht.
15
2. Die Staatsanwaltschaft erhebt zwar ebenfalls keine ausdrücklichen Einwände gegen den Freispruch des Angeklagten R. von dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch im Fall II. 2.
der Urteilsgründe. Insoweit kommt eine wirksame Beschränkung der Revision jedoch nicht in Betracht; denn zwischen der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeklagten R. an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und den im Fall II. 2. der Urteilsgründe angeklagten Delikten wäre Tateinheit im Sinne des § 52 StGB anzunehmen (vgl. BGHSt 29, 288, 290; BGH NStZ 1982, 517, 518). Bei tateinheitlich begangenen Straftaten ist eine beschränkte Nachprüfung des Schuldspruchs grundsätzlich nicht möglich (BGHSt 21, 256, 258; 24, 185, 189). Die Besonderheiten des § 129 StGB als Organisationsdelikt, das über lange Zeiträume ganz verschiedene Verhaltensweisen zu einer materiellrechtlichen Einheit zusammenfasst, führen jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht zu einer anderen Bewertung.
16
Es kann dahinstehen, ob der Umstand, dass die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und schwerer wiegende Straftaten trotz der Annahme materiellrechtlicher Tateinheit unter besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer getrennten Aburteilung zugänglich sind (BGHSt 29, 288, 292 ff.; BGH StV 1999, 352, 353), es rechtfertigen kann, eine Beschränkung der Revision auf in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt stehende schwerere Straftaten als wirksam anzusehen (Paul in KK 6. Aufl. § 318 Rdn. 6 a; zur Zulässigkeit der Revisionsbeschränkung auf einen Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung, wenn diese mit dem Dauerdelikt der Zuhälterei tateinheitlich zusammentrifft, s. BGHSt 39, 390). Dagegen könnte sprechen, dass sich der Schuldumfang des Organisationsdelikts ohne Berücksichtigung der damit im Zusammenhang begangenen Taten nicht beurteilen lässt und umgekehrt (Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 318 Rdn.

66).

17
Dies bedarf indes keiner näheren Betrachtung. Denn eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung käme danach allenfalls in Bezug auf ein mit dem Organisationsdelikt in Tateinheit stehendes schwereres Delikt in Betracht, dessen Strafklage mit der Aburteilung des Organisationsdelikts nicht verbraucht wäre. Im vorliegenden Fall steht aber nicht die Wirksamkeit der Beschränkung der Revision auf ein gewichtigeres, mit dem Organisationsdelikt in Tateinheit stehendes weiteres Delikt in Rede; denn die Staatsanwaltschaft greift mit ihrem Rechtsmittel nicht einen Freispruch vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch, sondern die unterbliebene Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung an. Die Beschränkung der Revision auf dieses Organisationsdelikt scheidet aus. Denn anders als im umgekehrten Fall wäre insoweit die Strafklage durch die Aburteilung des tateinheitlich verwirklichten schwereren Delikts verbraucht; damit entfällt der wesentliche Gesichtspunkt, der für die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auf das in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt gewichtigere Delikt sprechen könnte.
18
3. Aus denselben Gründen umfasst das Rechtsmittel schließlich auch den Schuldspruch der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. wegen gefährlicher Körperverletzung in den drei Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe (vgl. BGHR StGB § 129 Konkurrenzen 1). Auch diese Straftaten stünden in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt nach § 129 StGB. Damit steht ebenfalls die unterbliebene Verurteilung dieser Angeklagten in Bezug auf den Anklagevorwurf jeweils tateinheitlich mit den gefährlichen Körperverletzungen begangenen Landfriedensbruchs zur revisionsgerichtlichen Überprüfung.
19
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt hat. Die Wertung des Landgerichts, nach den - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen seien die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB nicht gegeben, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vielmehr ist die "Kameradschaft Sturm 34" nach den Feststellungen als kriminelle Vereinigung in diesem Sinne anzusehen. Im Einzelnen:
20
1. Die Strafkammer stützt ihre Beurteilung maßgeblich auf folgende Erwägungen :
21
Die Angeklagten hätten sich zwar mit anderen zu der "Kameradschaft Sturm 34" zusammengeschlossen, um einen Zusammenhalt herzustellen und ihre politische Gesinnung mittels der Begehung von Straftaten durchzusetzen. Die Kameradschaft sei jedoch allenfalls als Bande, nicht aber als kriminelle Vereinigung zu bezeichnen. Es habe an verbandsinternen Entscheidungsstrukturen zur Herausbildung eines Gruppenwillens gefehlt, dem sich die Mitglieder verbindlich zu unterwerfen gehabt hätten. Auch die Wahl eines Vorstandes ändere hieran nichts, zumal mit H. auch ein weibliches Vorstandsmitglied gewählt worden sei. Dies deute darauf hin, dass dieser Akt nicht in Verbindung mit den aus der Gruppe heraus begangenen Straftaten stehe; denn grundsätzlich sollten Mädchen in gewaltsame Aktionen nicht einbezogen werden. Eine Satzung sei zwar geplant gewesen, bis zu der Verbotsverfügung jedoch nicht konkret in Angriff genommen worden. Auch der Umstand, dass innerhalb der Kameradschaft eine gewisse Hierarchie erkennbar gewesen sei, kennzeichne die Gruppierung allenfalls als Bande. Trotz der genannten Strukturen habe sich das Kameradschaftsleben eher zwanglos gestaltet; es habe keine Mitgliedschaftsliste, Mitgliedsbeiträge, feste Veranstaltungstermine, Teilnahmepflichten , Verpflichtung zur einheitlichen Kleidung oder Tätowierung und insbesondere keine Verpflichtung gegeben, sich an den durchgeführten konkreten Straftaten zu beteiligen. Auch der "harte Kern" der Gruppe sei nicht als kriminelle Vereinigung aufgetreten.
22
2. Mit dieser Bewertung hat das Landgericht die Frage, ob die "Kameradschaft Sturm 34" die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung erfüllt, zumindest teilweise unter Heranziehung von Kriterien beurteilt, die für das Bestehen einer Vereinigung keine bzw. allenfalls eine untergeordnete Bedeutung haben. Außerdem hat es festgestellte, für das Bestehen einer Vereinigung sprechende Umstände nicht in seine Würdigung einbezogen. Damit hat sich die Strafkammer insgesamt den Blick dafür verstellt, welche Tatsachen für das Bestehen einer kriminellen Vereinigung relevant sind, und damit den festgestellten Sachverhalt rechtsfehlerhaft gewertet.
23
a) Das Vorliegen einer Vereinigung hängt nach bisher in der Rechtsprechung gebräuchlicher Definition von verschiedenen personellen, organisatorischen , voluntativen sowie zeitlichen Kriterien ab. Als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist danach der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen , die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; zuletzt BGH NJW 2009, 3448, 3459, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; s. auch BGHSt 28, 147; 31, 202, 204 f.; 31, 239 f.; 45, 26, 35; BGH NJW 2005, 1668; 2006, 1603; BGHR StGB § 129 Vereinigung 3).
24
Der Senat hält - mit gewissen Modifikationen beim Willenselement - an dieser Bestimmung des Begriffs der Vereinigung für den Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen nach § 129 StGB fest.
25
aa) Der Begriff der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung wird in mehreren europarechtlichen Regelungen näher definiert (vgl. etwa Art. 1 der bis zum 10. November 2008 gültigen Gemeinsamen Maßnahme des Rates der Eu- ropäischen Union vom 21. Dezember 1998, ABl. EG 1998 Nr. L 351 S. 1; Art. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, ABl. EG 2008 Nr. L 300 S. 42; Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung , ABl. EG 2002 Nr. L 164 S. 3, geändert durch den Rahmenbeschluss des Rates vom 28. November 2008, ABl. EG 2008 Nr. L 330 S. 21; jeweils i. V. m. EUV-Lissabon, Art. 9 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen ). Vor dem Hintergrund der dortigen Umschreibungen wird in der Literatur insbesondere für die terroristische Vereinigung (§§ 129 a, 129 b StGB) teilweise die Auffassung vertreten, der bisher verwendete Vereinigungsbegriff sei "europarechtsfreundlich" zu interpretieren; deshalb sei er dahin zu modifizieren, dass die Anforderungen an die organisatorischen und voluntativen Voraussetzungen herabgesetzt werden (Krauß in LK 12. Aufl. § 129 a Rdn. 26; Kress JA 2005, 220; v. Heintschel-Heinegg in FS für Schroeder S. 799; krit. Rudolphi/Stein in SK-StGB § 129 Rdn. 6 b). Diese Auffassung ist von den Instanzgerichten teilweise übernommen worden (OLG Düsseldorf, Urt. vom 5. Dezember 2007 - IIIVI 10/05).
26
bb) Der Senat hat eine derartige Neubestimmung des Vereinigungsbegriffs für den Bereich der terroristischen Vereinigung ebenfalls zunächst grundsätzlich in den Blick genommen, ohne sich indes im Einzelnen hierzu zu verhalten (BGH NJW 2006, 1603). Insbesondere für die kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB hat er jedoch vor dem Hintergrund des abgestuften Systems der Strafbarkeit von Tatvollendung, Versuch und Vorbereitungshandlung, der erforderlichen Abgrenzbarkeit der Vereinigung von einer Bande oder nur mittäterschaftlichen Zusammenschlüssen, der prozessualen Folgewirkungen sowie des Strafzwecks der §§ 129 ff. StGB in späteren Entscheidungen erhebliche Bedenken geäußert (BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; s. auch für die terroristische Vereinigung BGH NJW 2009, 3448, 3460; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Der vorliegende Fall gibt Anlass klarzustellen, dass es für den hier relevanten Begriff der kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB für alle in Betracht kommenden Gruppierungen einheitlich bei der bisher in der Rechtsprechung gebräuchlichen Definition der Vereinigung zu verbleiben hat. Hierzu gilt:
27
Nach Art. 1 Ziffer 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ABl. EG 2008 Nr. L 300 S. 42) bezeichnet der Ausdruck kriminelle Vereinigung einen auf Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die, um sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen, in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung im Höchstmaß von mindestens vier Jahren oder einer schwereren Strafe bedroht sind. Art. 1 Ziffer 2 des Rahmenbeschlusses umschreibt einen organisierten Zusammenschluss in diesem Sinne als einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung eines Verbrechens gebildet wird und der auch nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder , eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.
28
Diese Begriffsbestimmungen können nicht unmittelbar für die §§ 129 ff. StGB übernommen werden. Zwar sind bei der Auslegung des deutschen Rechts auch die in Rahmenbeschlüssen des Rates der Europäischen Union enthaltenen Vorgaben grundsätzlich zu berücksichtigen; denn die nationalen Gerichte haben ihre Auslegung des innerstaatlichen Rechts auch an deren Wortlaut und Zweck auszurichten (Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung, s. EuGH NJW 2005, 2839 - Pupino). Diese Verpflichtung der nationalen Gerichte besteht jedoch nicht uneingeschränkt; sie wird vielmehr durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grund- satz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt (EuGH aaO S. 2841). Einer Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB, die sich an den zitierten Begriffsbestimmungen des Rahmenbeschlusses orientiert, stehen derartige allgemeine Rechtsgrundsätze des deutschen Strafrechts entgegen:
29
Die Übertragung der Definition einer kriminellen Vereinigung in Art. 1 des Rahmenbeschlusses vom 24. Oktober 2008 in das nationale Recht würde zu einem unauflösbaren Widerspruch zu wesentlichen Grundgedanken des Systems der Strafbarkeit mehrerer zusammenwirkender Personen führen, auf dem das deutsche materielle Strafrecht beruht. Die Umschreibung einer kriminellen Vereinigung nach Art. 1 des Rahmenbeschlusses vom 24. Oktober 2008 unterscheidet sich in ihrem inhaltlichen Gehalt allenfalls nur noch in unwesentlichen Randbereichen von derjenigen einer Bande, wie sie in der neueren Rechtsprechung (BGHSt 46, 321) vorgenommen wird. Eine Bande ist danach gekennzeichnet durch den Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten zu begehen; ein gefestigter Bandenwille und ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse sind demgegenüber nicht mehr erforderlich (BGHSt 46, 321, 325 ff.). Nach deutschem Recht ist indes allein die Mitgliedschaft in einer Bande nicht strafbar; vielmehr führt das Handeln als Bandenmitglied (lediglich) dazu, dass der Täter nicht nur einen strafrechtlichen Grundtatbestand erfüllt, sondern ein Qualifikationsmerkmal (s. etwa § 146 Abs. 2, § 244 Abs. 1 Nr. 2, § 244 a Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 2, § 263 Abs. 5, § 267 Abs. 4 StGB, § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 30 a Abs. 1 BtMG) bzw. ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall (s. etwa § 263 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 303 b Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB) verwirklicht. Die Mitgliedschaft in einer Bande ist deshalb kein strafbegründendes, sondern ein strafschärfendes Merkmal. Demgegenüber stellt § 129 Abs. 1 StGB mit Blick auf vereinigungsspezifische Gefährdungen gewichtiger Rechtsgüter bereits u. a. die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als solche unter Strafe. Dieser grundlegende Unterschied ginge bei einer Übernahme des europarechtlichen Begriffs der kriminellen Vereinigung verloren, denn in diesem Fall wäre bereits die Mitgliedschaft in einer Gruppierung strafbar, die lediglich die Voraussetzungen einer Bande erfüllt.
30
Hieraus und aus den weiteren, bereits in den Entscheidungen des Senats vom 20. Dezember 2007 (BGHR StGB § 129 Vereinigung 3) sowie 14. August 2009 (BGH NJW 2009, 3448, 3460) näher dargelegten Gründen folgt, dass eine "europarechtsfreundliche" Modifikation des bisherigen Begriffs der kriminellen Vereinigung durch die Rechtsprechung nicht möglich ist. Sie wäre vielmehr allein Sache des Gesetzgebers (für die kriminelle Vereinigung im Ergebnis ebenso Krauß aaO § 129 Rdn. 49), der bei einer Neuregelung allerdings auch dafür Sorge zu tragen hätte, dass das deutsche materielle Strafrechtsgefüge insgesamt in sich stimmig bleibt.
31
b) Nach den Feststellungen ist nicht zweifelhaft, dass sich in der "Kameradschaft Sturm 34" mindestens drei Personen für eine gewisse Dauer zusammenschlossen und somit die Anforderungen an eine Vereinigung in personeller und zeitlicher Hinsicht erfüllt sind.
32
c) Zu den maßgebenden Gesichtspunkten bezüglich der Organisation der "Kameradschaft Sturm 34" gilt:
33
aa) Eine Vereinigung ist in struktureller Hinsicht dadurch gekennzeichnet, dass ein Mindestmaß an fester Organisation mit einer gegenseitigen Verpflichtung der Mitglieder besteht (BGHSt 31, 202, 206; 31, 239, 242). Diese innere Organisation muss so stark sein, dass sich die Durchsetzung der Ziele der Ver- einigung nach bestimmten Gruppenregeln vollzieht und der individuelle Gestaltungseinfluss des Einzelnen dahinter zurücktritt. Die Straftaten und Aktionen, die von den Mitgliedern der Vereinigung geplant und begangen werden, müssen vor diesem Hintergrund stattfinden. Erforderlich ist dabei ein mitgliedschaftliches Zusammenwirken zu einem gemeinsamen Zweck mit verteilten Rollen und einer abgestimmten, koordinierten Aufgabenverteilung (BGH NJW 1992, 1518).
34
bb) Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen gegeben; diesen ist zu entnehmen, dass innerhalb der "Kameradschaft Sturm 34" eine ausreichende organisatorische Struktur vorhanden war, um die gemeinsam verfolgten Ziele - Schaffung einer "national-befreiten Zone" in der Gegend um M. usw. - zu verwirklichen (zu den für einen ausreichenden organisatorischen Zusammenschluss sprechenden Indizien zusammenfassend Krauß aaO § 129 Rdn. 25 m. w. N.).
35
Die Mittel, deren sich die Mitglieder der Kameradschaft hierfür bedienen wollten, waren von Beginn an festgelegt. Insbesondere die Durchführung der sog. Skinheadkontrollrunden und gegebenenfalls die sich unmittelbar an diese anschließenden Aktionen gegen missliebige Personen erforderten ein beachtliches Maß an Koordination zwischen den Beteiligten. Auch die mit einem nicht unerheblichen logistischen Aufwand verbundene Art und Weise, in der die konkreten Straftaten begangen wurden, belegt eine intensive vorherige Abstimmung zwischen den Mitgliedern der Organisation (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 300, 301). In dem Bauhof war ein ständiger Gruppentreff und damit ein räumlicher Fixpunkt eingerichtet (Krauß aaO § 129 Rdn. 25), von dem die gewalttätigen Aktionen ausgingen und zu dem die Teilnehmer an den konkreten Straftaten nach deren Begehung jeweils zurückkehrten. Die dort sodann - jedenfalls in den Fällen II. 1. und 3. der Urteilsgründe - vorgenommene gemeinsame Aus- wertung der gewalttätigen Aktionen lässt ein bemerkenswertes Maß an Planung und personeller Geschlossenheit erkennen; sie ist deshalb ebenfalls ein gewichtiges Indiz für den organisatorischen Zusammenhalt der Gruppenmitglieder. Hinzu kommt, dass die Bestimmung der Ziele der Gruppe und der zu deren Erreichung eingesetzten Mittel auf einer gemeinsamen politisch-ideologischen Grundhaltung der Beteiligten beruhte (vgl. zu diesem Kriterium auch den Sachverhalt , welcher der Entscheidung BGHSt 41, 47 zugrunde liegt). Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" einte eine politisch im extrem rechten Bereich zu verortende Überzeugung, welche Grundlage der Straftaten war, auf deren Begehung die Gruppierung gerichtet war. All diese Umstände belegen einen hohen Organisationsgrad der Gruppierung, der den Anforderungen genügt, die in organisationsspezifischer Hinsicht an eine Vereinigung zu stellen sind.
36
d) Auch das erforderliche Willenselement der Vereinigung liegt nach den Feststellungen vor:
37
aa) Nach bisher ständiger Rechtsprechung ist wesentlich für eine Vereinigung die subjektive Einbindung der Beteiligten in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung individueller Einzelmeinungen. Innerhalb der Vereinigung müssen deshalb grundsätzlich bestimmte, von ihren Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen bestehen; dieser organisierten Willensbildung müssen sich die Mitglieder als für alle verbindlich unterwerfen. Der bloße Wille mehrerer Personen, gemeinsam Straftaten zu begehen, verbindet diese noch nicht zu einer kriminellen Vereinigung , weil der Wille des Einzelnen maßgeblich bleibt und die Unterordnung unter einen Gruppenwillen unterbleibt. Die Art und Weise der Willensbildung ist allerdings gleichgültig; maßgeblich ist allein, dass sie von den Mitgliedern der Vereinigung übereinstimmend anerkannt wird. Die für alle Mitglieder verbindlichen Regeln können etwa dem Demokratieprinzip entsprechen oder auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein. Die Annahme einer Vereinigung scheidet indes aus, wenn die Mitglieder einer Gruppierung sich nur jeweils der autoritären Führung einer Person unterwerfen, ohne dass dies vom Gruppenwillen abgeleitet wird (BGHSt 31, 239, 240; 45, 26, 35; BGH NJW 1992, 1518; 2009, 3448, 3460, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
38
Der Bundesgerichtshof hat in Anwendung dieser Grundsätze in mehreren , vor allem im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ergangenen Entscheidungen hohe Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen hinsichtlich des Zustandekommens des Gruppenwillens in einer Vereinigung gestellt und auf dieser Grundlage den jeweiligen Urteilsgründen ausreichende Tatsachen, die das voluntative Element einer Vereinigung belegen, nicht zu entnehmen vermocht (vgl. etwa BGHSt 31, 202; BGHR StGB § 129 Gruppenwille 3; BGH NJW 1992, 1518; NStZ 2004, 574; 2007, 31). Der Senat hat allerdings in Entscheidungen zum Staatsschutzstrafrecht im engeren Sinne im Hinblick auf die zugrunde liegenden besonderen, für den Staatsschutzbereich typischen Fallgestaltungen auch weniger detaillierte tatrichterliche Feststellungen zur Art und Weise der Willensbildung innerhalb einer Organisation als ausreichend bewertet. So hat er etwa in dem Urteil vom 10. März 2005 (NJW 2005, 1668), welches die Strafbarkeit der Mitglieder einer Musikgruppe zum Gegenstand hatte, die auf die Veröffentlichung von Liedern mit Texten strafbaren Inhalts ausgerichtet war, ausgeführt, das Tatgericht habe zwar nicht festgestellt, dass sich die Angeklagten verbindliche Regeln gegeben hätten, nach denen sämtliche Entscheidungen innerhalb der Gruppe zu treffen gewesen seien. Dies sei indessen auch nicht erforderlich gewesen; denn aus dem erfolgreichen Zusammenwirken über mehrere Jahre ergebe sich ohne Weiteres, dass sich jedes einzelne Gruppenmitglied dem vom gemeinsamen Willen getragenen Ziel untergeordnet haben müsse (BGH aaO S. 1670). In seinem Beschluss vom 28. November 2007 (NJW 2008, 86), bei dem es um politisch motivierte Brandstiftungen ging, hat er darauf hingewiesen, dass zwar die inneren Strukturen der Gruppe nicht aufgedeckt seien. Der Inhalt der veröffentlichten Schriften zeige jedoch hinreichend deutlich, dass die Mitglieder der Gruppe ihre Aktivitäten an den ideologischen Vorgaben und der daraus entwickelten Strategie der Organisation ausrichteten und sich somit dem aus der internen Meinungsbildung entspringenden Gruppenwillen unterordneten (BGH aaO S. 87). In dem Urteil vom 14. August 2009 (NJW 2009, 3448, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) hat der Senat auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen die Al Qaida als Vereinigung im Sinne der §§ 129 a, 129 b StGB gewürdigt. Bei der Bewertung des Willenselements hat er u. a. darauf abgestellt, deren Mitglieder hätten im dortigen Tatzeitraum die gemeinsame politisch-ideologische Grundhaltung des gewaltbereiten extremistischen Islamismus geteilt. Die Gruppierung habe mit dem "Jihad gegen Juden und Kreuzzügler" bis zur Zerstörung der USA und ihrer Verbündeten über eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausreichende , von allen Mitgliedern getragene Zielsetzung verfügt.
39
bb) An der in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Tendenz , bei der Beurteilung des notwendigen voluntativen Elements der Vereinigung den Schwerpunkt der Betrachtung weniger auf die Regeln zu legen, nach denen sich die Willensbildung vollzieht, vielmehr vor allem die Zielsetzung der Vereinigung und den Gemeinschaftswillen selbst in den Blick zu nehmen, hält der Senat fest; er präzisiert diesen Ansatz wie folgt:
40
Verfolgen die Mitglieder der Organisation nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, und handeln sie hierbei - etwa im Rahmen der Vorbereitung oder der Verwirklichung dieser Straftaten - koordiniert zusammen, so belegt dies regelmäßig für sich bereits hinreichend, dass innerhalb des Verbands der für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB notwendige übergeordnete Gemeinschaftswille besteht und von den Mitgliedern anerkannt wird; denn die nachhaltige, aufeinander abgestimmte gemeinsame Verfolgung einer derartigen übergeordneten Zielsetzung ist in der Regel nur dann möglich, wenn die Mitglieder der Gruppierung sich unter Zurückstellung ihrer individuellen Einzelmeinungen einem auf die Erreichung des gemeinsamen Ziels gerichteten Gruppenwillen unterordnen. In diesen Fällen ist das Bestehen ausdrücklicher, verbindlicher Regeln, nach denen die Entscheidungen innerhalb der Gruppierung zu treffen sind, für das voluntative Element der Vereinigung nicht konstitutiv; deshalb erübrigen sich nähere Feststellungen dazu, auf welche formale Art und Weise der gemeinschaftliche Wille gebildet wird. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Sachverhalt ausnahmsweise Besonderheiten aufweist, die aus der Verfolgung des gemeinsamen übergeordneten Ziels keinen ausreichenden Schluss auf die Existenz eines den individuellen Interessen der Einzelnen vorgehenden Gemeinschaftswillens zulassen.
41
Dieses Verständnis ergibt sich insbesondere aus einer an Sinn und Zweck des § 129 StGB orientierten Auslegung des Vereinigungsbegriffs; denn vor dem Hintergrund des Normzwecks der Vereinigungsdelikte kommt es - jedenfalls in den Fällen, in denen die Mitglieder der Organisation eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausreichende Zielsetzung verfolgen - wesentlich auf die Existenz dieses Gemeinschaftswillens, nicht aber darauf an, nach welchen verbindlichen Regeln sich die Willensbildung im Einzelfall vollzieht. § 129 StGB soll die erhöhte kriminelle Intensität erfassen, die in der Gründung oder Fortführung einer ausreichend festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet und die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51). Diese für größere Personenzusammenschlüsse typische Eigendynamik hat ihre besondere Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGHSt 28, 147, 148 f.; BGH NJW 1992, 1518). Für die so verstandene spezifisch vereinigungsbezogene Gefährlichkeit ist die konkrete Ausgestaltung der Art und Weise der Bildung des gemeinschaftlichen Willens jedenfalls in den Fallgestaltungen ohne erheblichen Belang, in denen die in Rede stehende Eigendynamik vor allem dadurch in Gang gesetzt werden kann, dass die Beteiligten sich in der Verfolgung eines gemeinsamen Zieles verbunden fühlen. Dies rechtfertigt es, in den Fällen, in denen die Beteiligten sich zusammengeschlossen haben und tätig werden, um ein über die Begehung konkreter Straftaten hinausgehendes Ziel zu erreichen, regelmäßig vom Bestehen eines für die Qualifikation des Zusammenschlusses als Vereinigung im Sinne des § 129 StGB ausreichenden Gruppenwillen auszugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Beteiligten bereits eine längere Zeit zusammengewirkt und sich dabei Verhaltensmuster herausgebildet haben, die einen jeweils neuen ausdrücklichen Prozess zur Bildung eines Gemeinschaftswillens - etwa im Zusammenhang mit der Vorbereitung oder Begehung vereinigungsspezifischer Straftaten - entbehrlich machen.
42
Ein derartiges übergeordnetes Ziel verfolgen die Mitglieder einer Gruppierung typischerweise etwa in den Fällen politisch, ideologisch, religiös oder weltanschaulich motivierter Kriminalität. Solche Fallgestaltungen erscheinen jedoch darüber hinaus auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität denkbar. Dort wird es indes regelmäßig an der Verfolgung eines übergeordneten gemeinschaftlichen Ziels fehlen; denn bei Wirtschaftsstraftaten steht typischerweise das persönliche Gewinnstreben des einzelnen Täters im Vordergrund. In diesen Fällen sind die hergebrachten Grundsätze zur Feststellung des Gruppenwillens weiterhin maßgebend; deshalb sind hier nach wie vor Feststellungen dazu erforderlich , nach welchen Regeln sich der gemeinschaftliche Wille der Gruppie- rung bildet, denen die einzelnen Mitglieder folgen, weil sie sie als verbindlich ansehen. Aus den dargelegten Gründen kommt es auch vor dem Hintergrund der Regelungen in dem Rahmenbeschluss des Rates vom 24. Oktober 2008, der ersichtlich vor allem wirtschaftskriminelle Gruppierungen in den Blick nimmt, nicht in Betracht, die inhaltlichen Anforderungen an eine kriminelle Vereinigung speziell für diesen Bereich zu mindern. Es verstieße im Übrigen gegen fundamentale Auslegungsgrundsätze, wollte man das Tatbestandsmerkmal der kriminellen Vereinigung abhängig von den tatsächlichen Feststellungen zu den Zielsetzungen des Personenzusammenschlusses unterschiedlich interpretieren; der Begriff der kriminellen Vereinigung kann deshalb nur insgesamt einheitlich verstanden werden.
43
cc) Auch wenn man in den Fällen der koordinierten Verfolgung eines übergeordneten Ziels durch die Gruppenmitglieder bei der Bewertung des Willenselements der Vereinigung maßgeblich auf die Existenz eines Gruppenwillens als solchen und nicht auf die Art seines Zustandekommens abstellt, unterscheidet sich die Vereinigung hinreichend sicher von anderen Formen des strafbaren Zusammenwirkens mehrerer.
44
Dies gilt zunächst im Verhältnis zu der Begehung von Straftaten durch die Mitglieder einer Bande. Der Senat verkennt nicht, dass bei einer Herleitung des maßgebenden Gemeinschaftswillens aus der gemeinsamen Verfolgung eines übergeordneten Ziels wesentlich auf ein tatsächliches Element abgestellt wird, das Ähnlichkeiten zu dem übergeordneten Interesse aufweist, welches die frühere Rechtsprechung als für eine Bande konstitutives Merkmal angesehen hatte (BGHSt 42, 255, 259; BGH NStZ 1997, 90, 91; BGHR BtMG § 30 a Bande 8). Mit diesem Erfordernis war die Bandentat allerdings ohnehin bereits in die Nähe des Organisationsdelikts nach § 129 StGB gerückt worden (BGHSt 46, 321, 327). Entscheidend ist jedoch, dass - wie bereits aufgezeigt - nach neue- rem Verständnis der Rechtsprechung ein derartiges übergeordnetes Interesse für eine Bande nicht mehr notwendig ist. Die Mitglieder einer Bande können - und werden regelmäßig - ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung sowie Beute- und Gewinnerzielung verfolgen (BGHSt 46, 321, 329 f.). Gerade hierin besteht - auch nach dem dargelegten Verständnis des Senats - neben den bedeutend geringeren Anforderungen an die Organisation der Gruppierung ein weiterer wesentlicher Unterschied zu einer Vereinigung.
45
Die Abgrenzung zu mittäterschaftlichem Zusammenwirken ist ebenfalls weiterhin trennscharf möglich; denn diese ist von einem gemeinsamen Willen mehrerer Personen zur Tat und einer gemeinsamen Tatherrschaft gekennzeichnet. Darüber hinaus muss keines der für eine Vereinigung konstitutiven Elemente vorliegen (Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB § 129 a Rdn. 35).
46
dd) Gemessen an den dargelegten Maßstäben wird hier der erforderliche Gruppenwille durch die Feststellungen hinreichend belegt. Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" verfolgten ein von einem gemeinschaftlichen Bestreben getragenes Ziel, das über die Begehung der einzelnen strafbaren Gewalttätigkeiten hinausging; sie einte das in gemeinsamer rechtsgerichteter politisch -ideologischer Überzeugung wurzelnde, von übereinstimmenden Vorstellungen getragene Vorhaben, M. und Umgebung durch die Vertreibung politisch Andersdenkender "zeckenfrei" und "braun" zu machen. Die Umsetzung dieses Ziels durch die Begehung gewalttätiger Straftaten war ebenfalls vom Gruppenwillen umfasst, ohne dass es insoweit einer jeweils ausdrücklichen Form des Willensbildungsprozesses bedurfte. Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" wirkten planvoll und zielgerichtet zusammen; ihr bereits längere Zeit vor der Gründung der Kameradschaft und nach diesem Zeitpunkt praktiziertes Vorgehen gegen missliebige Personen folgte einem einge- schliffenen Verhaltensmuster. Dies belegt ein nicht unbeträchtliches Maß an gemeinschaftlicher Willensbildung, der sich die einzelnen Mitglieder der Gruppierung unter Zurückstellung der jeweiligen Vorstellungen des Einzelnen unterordneten ; denn anderenfalls wäre die gemeinsame Durchführung der gewalttätigen Aktionen in der festgestellten Form nicht möglich gewesen. Unter diesen Umständen waren detaillierte Feststellungen zur Art und Weise der Bildung des Gemeinschaftswillens hier nicht erforderlich.
47
Für das Bestehen eines verbindlichen übergeordneten Gruppenwillens spricht auch, dass der Angeklagte G. sein Ziel einer gewaltfreien Kameradschaft nicht durchsetzen konnte und später aus dem Verband ausschied. Die Strafkammer hat schließlich selbst im Rahmen der Strafzumessung sowohl dem Angeklagten T. als auch dem Angeklagten Peter W. ausdrücklich zu Gute gehalten, sie hätten sich der durch die "Kameradschaft Sturm 34" entstehenden Gruppendynamik nicht entziehen können.
48
Dass bei den Mitgliedern der Kameradschaft das Bewusstsein bestand, einem organisatorisch ausreichend fest gefügten, auf die Begehung von Straftaten gerichteten Verband anzugehören, ergibt sich schließlich auch aus den Feststellungen zu Fall II. 3. der Urteilsgründe. Nach diesen hatten außerhalb der Gruppierung stehende, politisch gleichgesinnte Personen die "Kameraden vom Sturm 34" angefordert; dies löste bei den auf dem Bauhof anwesenden Personen keine Zweifel darüber aus, wer hiermit gemeint war.
49
e) Soweit die Strafkammer demgegenüber zur Begründung ihrer Auffassung , die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung seien nicht gegeben, darauf abgestellt hat, dass eine Satzung noch nicht erstellt war, eine Mitgliederliste nicht geführt wurde, keine Mitgliedsbeiträge erhoben wurden und keine festen Veranstaltungstermine, Teilnahmepflichten sowie Verpflichtungen zur einheitlichen Kleidung oder Tätowierung bestanden, hat sie die Bedeutung dieser Kriterien verkannt. Diese Umstände sind zwar, wenn sie festzustellen sind, Indizien, die für das Vorliegen einer Vereinigung sprechen. Sie sind jedoch für eine kriminelle Vereinigung nicht konstitutiv; allein aus ihrem Fehlen kann deshalb nicht geschlossen werden, dass die Voraussetzungen einer Vereinigung nicht gegeben sind.
50
Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht seine Beurteilung auf die Erwägung gegründet hat, dass die einzelnen Mitglieder der Kameradschaft nicht zur Beteiligung an den konkreten Gewalttätigkeiten verpflichtet waren. Auch dieser Umstand findet als Voraussetzung für das Bestehen einer Vereinigung im Gesetz keine Stütze. Die §§ 129 ff. StGB setzen als Vorfelddelikte nach ihrer Struktur nicht voraus, dass überhaupt von den Mitgliedern der Vereinigung konkrete Straftaten begangen werden, solche müssen noch nicht einmal konkret geplant oder vorbereitet sein (vgl. BGH NJW 2005, 80, 81). Erst recht ist es nicht notwendig, dass bei den einzelnen Taten alle oder jeweils dieselben Mitglieder der Vereinigung aktiv werden; vielmehr ist auch eine Begehung in wechselnder Besetzung möglich (BGHSt 31, 202, 206). Mit Blick auf den Strafzweck der Vereinigungsdelikte (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51) ist es erforderlich , aber auch ausreichend, dass die Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung solcher Delikte gerichtet ist.
51
Ebenso wenig hängt die Bewertung der Kameradschaft als kriminelle Vereinigung davon ab, ob eine ausdrückliche Festlegung dahin existierte, wer als Mitglied der Kameradschaft gelten sollte. Nach den Feststellungen sind jedenfalls diejenigen als Mitglied der Kameradschaft - das heißt als Person, die sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung entfaltet - anzusehen , die regelmäßig die Treffen im Bauhof besuchten. Es liegt nahe, dass dies auch für diejenigen anzunehmen ist, die an der Gründungsveranstaltung teilnahmen oder sich an der Wahl des Vorstands beteiligten. Somit lassen sich die Mitglieder der Kameradschaft auch ohne ausdrückliche Regelung hinreichend sicher von solchen Personen abgrenzen, die nicht auf Dauer oder zumindest längere Zeit am "Kameradschaftsleben" teilnahmen. Im Übrigen ist im Randbereich die Abgrenzung von Mitgliedern, Unterstützern und Sympathisanten einer Vereinigung häufig im Einzelfall problematisch; dies stellt jedoch nicht per se deren Existenz in Frage.
52
Zur Abgrenzung einer Vereinigung von sonstigem strafbaren Verhalten mehrerer Personen untauglich ist schließlich die Erwägung des Landgerichts, in dem gewählten Vorstand habe sich ein weibliches Mitglied befunden, Mädchen hätten jedoch an den Gewalttätigkeiten nicht teilnehmen sollen. Vor dem Hintergrund der aufgeführten Abgrenzungskriterien erschließt sich dem Senat der Sinn dieser Argumentation nicht.
53
3. Einen weiteren Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) der Angeklagten deckt die Revision nicht auf.
54
III. Für das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bedeutet dies:
55
1. Obwohl die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung belegen, kann der Senat nicht selbst in der Sache dahin entscheiden, dass die Angeklagten sich nach § 129 StGB strafbar gemacht haben.
56
Für die Angeklagten G. und R. folgt dies bereits daraus, dass diese vom Landgericht insgesamt freigesprochen worden sind. In solchen Fällen ist für eine entsprechende Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO regelmäßig kein Raum, wenn sich die Revision der Staatsanwaltschaft erfolgreich gegen den Freispruch eines Angeklagten wendet. Denn die auf einen Freispruch zugeschnittenen und daher bereits ihrer Natur nach ergänzungsbedürftigen Feststellungen bieten dem Revisionsgericht vor allem deshalb keine verlässliche Grundlage für eine den Angeklagten belastende Sachentscheidung, weil sie von Verfahrensfehlern betroffen sein können, die der Angeklagte nur aus dem Grund nicht rügen konnte, weil er durch sie nicht beschwert war. Ein Ausnahmefall , in dem die Aufhebung des Freispruchs durch das Revisionsgericht mit einem Schuldspruch verbunden werden kann, liegt hier nicht vor (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 354 Rdn. 13 m. w. N.).
57
Entsprechendes gilt auch für die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. . Da das Vergehen nach § 129 StGB mit den vom Landgericht abgeurteilten gefährlichen Körperverletzungen in Tateinheit stünde, hat die Strafkammer die genannten Angeklagten zwar zu Recht insoweit nicht formal - teilweise - freigesprochen. In der Sache konnten sich indes auch diese Angeklagten gegen die Feststellungen in dem sie nicht beschwerenden Teil des Urteils nicht angemessen zur Wehr setzen.
58
Hinzu kommt, dass allen Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft nicht nur die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, sondern auch deren Gründung zur Last gelegt worden ist. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB steht zu der weiteren Tatbestandsalternative der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Vereinigung jedenfalls dann im Verhältnis der Tateinheit, wenn sich die Beteiligung als Mitglied wie hier unmittelbar an das Gründen der Vereinigung anschließt. Seine frühere Auffassung , die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung umfasse auch die Beteiligung des Mitglieds an der Gründung der Vereinigung mit der Folge, dass in diesen Fällen der Schuldspruch nur wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der Vereinigung zu ergehen habe (BGH NStZ 2004, 385), gibt der Senat auf. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung weist einen im Verhältnis zur Beteiligung als Mitglied selbstständigen Unrechtsgehalt auf. Dieser ist nicht nur bei der Bewertung des Schuldumfangs im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Das Erfordernis der Rechtsklarheit gebietet es vielmehr, bereits im Schuldspruch zu verdeutlichen, dass der Angeklagte über die mitgliedschaftliche Beteiligung hinaus eine weitere, eigenständige Tathandlung des § 129 Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Zu den Einzelheiten des Gründungsvorgangs und dabei insbesondere den Tatbeiträgen der Angeklagten verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht in dem für eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts erforderlichen Umfang. Dies ist zwar vor dem Hintergrund der rechtlichen Auffassung des Landgerichts nachvollziehbar, die "Kameradschaft Sturm 34" sei nicht als kriminelle Vereinigung anzusehen und der Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB sei bereits aus diesem Grunde nicht verwirklicht. Dem Senat ist es auf dieser ungenügenden tatsächlichen Grundlage jedoch verwehrt, in der Sache durchzuerkennen.
59
2. Die somit auf die Revision der Staatsanwaltschaft gebotene Aufhebung des Urteils betrifft alle Angeklagten. Sie umfasst die angefochtene Entscheidung insoweit, als sie nicht wegen des Vergehens nach § 129 StGB verurteilt bzw. ausdrücklich freigesprochen worden sind. Miterfasst von der Aufhebung sind damit auch die abgeurteilten Taten (II. 1. bis 3. der Urteilsgründe); denn diese stünden im Falle einer Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Organisationsdelikt nach § 129 Abs. 1 StGB in Tateinheit (BGHR StGB § 129 Konkurrenzen 1). Hieraus folgt auch, dass der Freispruch des Angeklagten R. vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Überfall an der Esso-Tankstelle in S. ) keinen Bestand haben kann.
60
Bereits aufgrund der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft von der Aufhebung nicht umfasst ist demgegenüber der Freispruch der Angeklagten T. und Tom W. vom gegenüber § 129 StGB selbstständigen Tatvorwurf der Volksverhetzung.
61
3. Die Feststellungen zu den einzelnen Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies betrifft auch die Feststellungen, die dem Freispruch des Angeklagten R. im Fall II. 2. der Urteilsgründe zugrunde liegen. Die Würdigung der Einlassung des Angeklagten, der seine Beteiligung an dieser Tat bestritten hat, sowie der erhobenen Beweise lässt revisionsrechtlich relevante Rechtsfehler (vgl. BGH NJW 2005, 2322, 2326) nicht erkennen.
62
C. Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten T.
63
Der Angeklagte T. hat seine Revision form- und fristgerecht eingelegt und mit der Sachrüge und einer verfahrensrechtlichen Beanstandung begründet. Er beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Ziel, eine im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge nicht fristgerecht vorgelegte Seite eines Gerichtsbeschlusses nachreichen zu können.
64
Der Antrag hat keinen Erfolg. Die Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer bereits erhobenen Verfahrensrüge ist grundsätzlich ausgeschlossen (MeyerGoßner , StPO 52. Aufl. § 44 Rdn. 7 b m. w. N.). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) ist bereits deshalb nicht versäumt, weil das Rechtsmittel fristgerecht mit der Sachrüge begründet worden ist. Aber auch die in Rede stehende Verfahrensrüge ist nicht verspätet, sondern allein in einer der gesetzlichen Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügenden Weise erhoben worden, weil der Beschluss des Landgerichts vom 4. Juli 2008 nicht vollständig mitgeteilt worden ist. Es widerspricht im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens, in derartigen Fällen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur formgerechten Begründung der Revisionsrüge zuzulassen, nachdem der Beschwerdeführer durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts (vgl. § 349 Abs. 2 und 3 StPO) von der Formwidrigkeit seiner Verfahrensrüge erfahren hat (BGH, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 28/08 - Rdn. 3; Beschl. vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 - Rdn. 5). Eine besondere Verfahrenslage, bei der ausnahmsweise zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eine Wiedereinsetzung unerlässlich ist (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; Meyer-Goßner aaO § 44 Rdn. 7 ff.), liegt nicht vor.
65
Im Übrigen bliebe die Rüge gemäß den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts in der Sache ohne Erfolg.
66
D. Revisionen der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W.
67
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat aus den Gründen der jeweiligen Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben; deren Rechtsmittel sind deshalb unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
68
E. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
69
I. Die Feststellungen, die das neue Tatgericht insbesondere zum Tatvorwurf nach § 129 StGB zu treffen haben wird, dürfen die zu den Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe aufrecht erhaltenen Feststellungen ergänzen, diesen aber nicht widersprechen.
70
II. Das neue Tatgericht wird ggf. bei der Bestimmung der angemessen Sanktion für den Angeklagten Tom W. zu bedenken haben, ob nach den § 105 Abs. 1, § 31 JGG eine einheitliche Jugendstrafe in Betracht kommt. Dabei wird es erforderlich sein, ergänzend den Vollstreckungsstand hinsichtlich der mitgeteilten Vorverurteilungen dieses Angeklagten festzustellen; dieser lässt sich den bisherigen Feststellungen nicht entnehmen.
71
III. Die Würdigung des Landgerichts, die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. hätten sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu den Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, ist als solche rechtsfehlerfrei. Dies gilt ebenfalls für die Wertung der Strafkammer, ein Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichten Landfriedensbruchs (§§ 125, 125 a StGB) scheide aus. Schließlich lässt ihre Würdigung, auf der Grundlage der Feststellungen zur Tat II. 2. der Urteilsgründe sei der Angeklagte R. insoweit nicht wegen einer strafbaren Beteiligung an der gewalttätigen Auseinandersetzung zu verurteilen, Rechtsfehler nicht erkennen.
72
IV. Gelangt das neue Tatgericht zu der Auffassung, die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. seien der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, u. U. in Tateinheit mit deren Gründung, schuldig und hätten sich daneben in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, wären die Konkurrenzen wie folgt zu beurteilen:
73
Die mitgliedschaftliche Beteiligung der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. an der kriminellen Vereinigung und die von den Angeklagten begangenen gefährlichen Körperverletzungen stünden zueinander jeweils im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB); denn es handelte sich bei den Körperverletzungsdelikten um Straftaten, welche die Angeklagten als Mitglieder der kriminellen Vereinigung in Verfolgung von deren Zielen begingen (BGHSt 29, 288, 290). Da die gefährlichen Körperverletzungen nach § 224 StGB schwerer wiegen als das Vergehen nach § 129 Abs. 1 StGB, würden die einzelnen Gewalt- delikte nicht nach den Grundsätzen der Klammerwirkung durch die Organisationsstraftat zu einer materiellrechtlich insgesamt einheitlichen Tat verbunden (Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 52 Rdn. 28 ff.); sie stünden vielmehr zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB).
74
Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls, um das Konkurrenzverhältnis bei gleichartiger Tateinheit im Sinne des § 52 StGB kenntlich zu machen, in der Entscheidungsformel anzugeben haben, wie oft der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung jeweils verwirklicht wurde (vgl. Meyer-Goßner aaO § 260 Rdn. 26).
75
V. Mit Blick darauf, dass die Angeklagten G. und R. mit dem gewaltsamen Vorgehen der Kameradschaftsmitglieder nicht einverstanden waren und der Angeklagte R. sich den Polizeibehörden als Informant zur Verfügung stellte, erscheint jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen die Wertung nicht völlig unbedenklich, beide hätten sich als Mitglied an der Vereinigung beteiligt. Denn dies erfordert, dass der Täter sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Organisation entfaltet (BGHSt 18, 296, 299 f.; BGH NStZ 1993, 37, 38).
Sollte das neue Tatgericht diese Voraussetzungen feststellen und eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 129 Abs. 1 StGB bejahen, wird es bei der Bestimmung der Rechtsfolgen jedenfalls die in § 129 Abs. 5 und 6 StGB enthaltenen Regelungen bzw. die hinter diesen Vorschriften stehen Rechtsgedanken nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. Juni 2009 - (2) 4 Ausl. A 22/08 (152 und 153/09) OLG Hamm - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit in ihm die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung für zulässig erklärt wird. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. September 2009 - (2) 4 Ausl. A 22/08 (338/09) OLG Hamm - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die Zulässigkeit der Auslieferung zurückgewiesen worden sind. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulässigkeit der Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung an die Republik Türkei wegen Staatsschutzdelikten bei drohender Verurteilung zu einer sogenannten erschwerten lebenslänglichen Freiheitsstrafe.

I.

2

Der Beschwerdeführer besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Unter Bezugnahme auf einen Haftbefehl des Schwurgerichts zu D. vom 28. November 2007 ersuchte die türkische Regierung um seine Auslieferung. Ihm wird vorgeworfen, als Gebietsverantwortlicher der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) für die Region E. die Ausführung eines Bombenanschlags auf den Gouverneur von B. am 5. April 1999 durch ein Mitglied der PKK, den T..., beschlossen und angeordnet zu haben. Bei diesem Bombenattentat kamen T... und eine weitere Person ums Leben; weitere 14 Personen, darunter Polizeibeamte, wurden verletzt.

3

1. Mit Beschluss vom 13. Januar 2009 ordnete das Oberlandesgericht Hamm die förmliche Auslieferungshaft gegen den Beschwerdeführer an. Dieser wurde am 2. April 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Auslieferungshaft. Der Beschluss wurde dem Verfolgten am 2. April 2009 durch den Richter des Amtsgerichts Bochum verkündet.

4

2. Mit Beschluss vom 2. Juni 2009 erklärte das Oberlandesgericht Hamm die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihm mit Anklage der Oberstaatsanwaltschaft der Republik bei dem staatlichen Sicherheitsgericht zu D. vom 28. November 2007 und dem hierauf gestützten Haftbefehl des Schwurgerichts zu D. vom 28. November 2007 zur Last gelegten Straftaten für zulässig und ordnete die Fortdauer der Auslieferungshaft an. Bedenken gegen das in der Türkei zu erwartende Strafverfahren gegen den Verfolgten ergäben sich nicht. Die türkischen Behörden hätten zugesichert, dass die Rechte und Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention gewahrt würden. Die gemäß Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards sowie die unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung stünden einer Auslieferung nicht entgegen.

5

3. Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2009 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag nach § 33 Abs. 1 IRG und verband damit die Anhörungsrüge. Er rügte unter anderem mit näheren Ausführungen die Verletzung rechtlichen Gehörs dadurch, dass ihm das Oberlandesgericht Hamm den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 19. Mai 2009 vor seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht habe, in dem diese beantragt hatte, die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei für zulässig zu erklären.

6

4. Mit Beschluss vom 24. August 2009 wies das Oberlandesgericht Hamm einen Antrag des Beschwerdeführers, den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht R... wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, als unbegründet zurück.

7

5. Mit Beschluss vom 17. September 2009 wies das Oberlandesgericht Hamm die Anhörungsrüge sowie die Einwendungen des Verfolgten gegen die Zulässigkeit der Auslieferung zurück. Aus der fehlenden Übersendung der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 19. Mai 2009 zur Kenntnisnahme und eventuellen Stellungnahme ergebe sich keine Gehörsverletzung. Der Verfolgte habe im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Bochum am 29. April 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme und damit hinreichend rechtliches Gehör gehabt. Überdies sei es, so das Oberlandesgericht Hamm wörtlich: "im Auslieferungsverfahren - wie in jedem anderen Haftbefehlsverfahren - nicht vorgesehen, dass den Verfolgten die jeweiligen Antragsschriften der Generalstaatsanwaltschaft vor der Beschlussfassung durch den Senat zur Kenntnisnahme und eventuellen Stellungnahme übermittelt werden".

8

Der von dem Verfolgten erhobene Einwand, ihm drohe im Falle seiner Verurteilung eine sogenannte erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe bis zum Tod, ohne dass die Möglichkeit einer bedingten Strafaussetzung beziehungsweise vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug bestünde, greife nicht durch. Die Auslieferung verstoße nicht gegen unabdingbare Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung. Nach der Auskunft des Bundesamtes für Justiz vom 30. Juni 2009 habe die Botschaft der Republik Türkei mitgeteilt, dass nach Art. 104 der türkischen Verfassung der Präsident der Republik als Oberhaupt des Staates das Gnadenrecht ausübe und Strafen aus Gründen dauernder Krankheit, Behinderung und altersbedingt mindern oder erlassen könne.

II.

9

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG.

10

Das Oberlandesgericht habe seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es den Antrag der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft vom 19. Mai 2009 nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt habe.

11

Wesentliches Zulässigkeitshindernis sei, dass nach einer Auslieferung das Verfahren gegen ihn nach Maßgabe von Art. 302 des türkischen Strafgesetzbuches durchgeführt werde. Im Falle einer Verurteilung werde er daher zu einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Erschwerung bedeute, dass eine Umwandlung in eine befristete Freiheitsstrafe nicht zulässig sei, eine bedingte Entlassung sei danach ausgeschlossen. Die Gefangenen blieben bis zu ihrem physischen Ableben im Strafvollzug. Diese Form der lebenslangen Freiheitsstrafe sehe das Gesetz bei Vergehen gegen die Staatssicherheit (Art. 302 - 304, 307 und 308 des türkischen Strafgesetzbuches) und gegen die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 309 - 315 des türkischen Strafgesetzbuches) vor.

12

2. Das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium der Justiz und das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

13

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang statt.

14

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, das gilt namentlich für den Umfang der fachgerichtlichen Pflicht zu prüfen, inwieweit Auslieferungen mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 50, 205 <214 f.>; 75, 1 <16>; 113, 154 <162 ff. > stRspr).

I.

15

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen die Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft im Beschluss des Oberlandesgerichts vom 2. Juni 2009 sowie gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 24. August 2009 richtet. Der Vortrag des Beschwerdeführers genügt insoweit nicht den Darlegungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG, da ihm keine substantiierte Begründung beigegeben ist.

16

2. Die angegriffene Entscheidung über die Anhörungsrüge im Beschluss vom 17. September 2009 ist vorliegend kein tauglicher Beschwerdegegenstand. Die Entscheidung, mit der das Oberlandesgericht die Anhörungsrüge zurückweist, schafft keine eigenständige Beschwer, sondern lässt eine durch die Ausgangsentscheidung eingetretene Verletzung rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine "Selbstkorrektur" durch das Fachgericht unterbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07 -, NStZ-RR 2007, S. 381 f.).

II.

17

Die Auslieferung bei drohender Verhängung einer sogenannten erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe verstößt gegen unabdingbare Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, soweit diese erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe so ausgestaltet ist, dass sie nicht lediglich eine Strafaussetzung zur Bewährung gesetzlich ausschließt, sondern auch die bloß theoretische Möglichkeit einer späteren Begnadigung unter die rechtliche Bedingung dauernder Krankheit, Behinderung oder des Alters stellt.

18

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die deutschen Gerichte von Verfassungs wegen gehalten, im Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136>; 113, 154 <162>).

19

a) Zu den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen zählt der Kernbereich des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es danach verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die ihm im ersuchenden Staat droht, unerträglicher Art ist, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheint. Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 50, 205 <214 f.>; 75, 1 <16>; stRspr). Ebenso zählt es wegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf. Die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland sind deshalb gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken, wenn dieser eine solche Strafe zu gewärtigen oder zu verbüßen hat (vgl. BVerfGE 75, 1 <16 f.>; 108, 129 <136 f.>; 113, 154 <162>).

20

Die unabdingbaren Grundsätze sind allerdings noch nicht verletzt, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Der Schutz eines rechtsstaatlichen, von der Achtung der Würde des Menschen bestimmten Kernbereichs kann im völkerrechtlichen Verkehr nicht identisch sein mit den innerstaatlichen Rechtsauffassungen. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus. Es gebietet damit, insbesondere im Rechtshilfeverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl. BVerfGE 75, 1 <16 f.>; 108, 129 <137>; 113, 154 <162 f.>), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Sofern der in gegenseitigem Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben soll, dürfen deutsche Gerichte nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung zugrunde legen. Deshalb lässt sich das Gericht im Hinblick auf die Verhängung und den Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht von der inzwischen in Deutschland gesetzlich ausgeprägten Verfahrenspraxis der regelmäßigen Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe nach fünfzehn Jahren verbüßter Strafe (§ 57a StGB) leiten. Eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung stellt als solche keine unerträglich harte oder unmenschliche Strafe dar, die einer Auslieferung entgegensteht, wie das Bundesverfassungsgericht für den Fall einer Auslieferung an die Vereinigten Staaten von Amerika bei dort drohender Verurteilung zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe ("imprisonment in the state prison for life without the possibility of parole") entschieden hat (vgl. BVerfGE 113, 154 <163 f.>).

21

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört es zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden (BVerfGE 45, 187 <229 und Leitsatz 3 Satz 1>; 113, 154 <164>). Es ist danach mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar, wenn ein Verurteilter in der Strafhaft ungeachtet seiner persönlichen Entwicklung jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben muss (vgl. BVerfGE 45, 187 <245>). Dies gilt auch im Falle einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe und der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, wenngleich im Einzelfall - verfassungsrechtlich unbedenklich - lebenslange Freiheitsstrafen tatsächlich auch bis zum Lebensende vollstreckt werden können (vgl. BVerfGE 64, 261 <272>). Fallgestaltungen, die es strikt verwehrten, dem innerlich gewandelten, für die Allgemeinheit ungefährlich gewordenen Gefangenen auch nach sehr langer Strafverbüßung, selbst im hohen Lebensalter, die Wiedergewinnung der Freiheit zu gewähren, und ihn damit auch von vornherein zum Versterben in der Haft verurteilten, sind dem Strafvollzug unter der Herrschaft des Grundgesetzes allerdings grundsätzlich fremd (vgl. BVerfGE 64, 261 <272>; 113, 154 <164>; zu den besonderen Umständen der Sicherungsverwahrung und den aus dem hohen Rang des Freiheitsrechts folgenden besonderen Anforderungen an das regelmäßige Überprüfungsverfahren des Fortbestands des Sicherungsinteresses, vgl. BVerfGE 117, 71 <102 f.>).

22

Für den Strafvollzug im Geltungsbereich des Grundgesetzes genügt zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Institut der Begnadigung allein nicht, um die verfassungsrechtlich unaufgebbare Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit in einer Weise abzusichern, die rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht. Vielmehr folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip für die Strafvollstreckung in Deutschland das Erfordernis einer gerichtlich kontrollierbaren und kontrollierten Entlassungspraxis. Die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren sind gesetzlich zu regeln (vgl. BVerfGE 45, 187 <243 ff. und Leitsatz 3 Satz 2>). Im Auslieferungsverkehr mit dem ersuchenden Staat kommt es demgegenüber nur darauf an, dass in dessen Rechtssystem jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht. Verfahrensrechtliche Einzelheiten, mit denen diese praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit in Deutschland verstärkt und gesichert wird, müssen dafür nicht erfüllt werden. Sie gehören nicht zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen Verfassungsordnung (vgl. BVerfGE 113, 154 <165>).

23

b) Eine Strafe ist allerdings auch unter Berücksichtigung des im völkerrechtlichen Verkehr grundsätzlich gebotenen Respekts vor einer fremden Rechtsordnung dann grausam und erniedrigend, wenn sie ohne hinreichende praktische Aussicht - sei es in einem den Gerichten anvertrauten oder in einem grundsätzlich erfolgversprechenden Gnadenverfahren - auf Wiedererlangung der Freiheit regelmäßig bis zum Tod vollstreckt wird. Die aus der Würde des Menschen und dem Rechtsstaatsprinzip folgenden unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze können insofern auch dann verletzt sein, wenn in einer Rechtsordnung nur bei schweren Gebrechen oder bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Häftlings von der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe bis zum Tod abgesehen werden kann. Die gilt jedenfalls, wenn auch bei Vorliegen dieser Umstände die Wiedererlangung der Freiheit ungewiss bleibt, weil der Häftling nur auf den Gnadenweg hoffen kann.

24

2. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den menschenwürdigen Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist die Auslieferung des Beschwerdeführers wegen drohender erschwerter lebenslanger Freiheitsstrafe unzulässig, jedenfalls bei einer Ausgestaltung und Handhabung dieser Strafe, die nach den bisherigen Feststellungen des Oberlandesgerichts möglich ist. Die Auslieferung des Beschwerdeführers würde gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze für die Vollziehung einer lebenslangen Freiheitsstrafe verstoßen.

25

a) Das Oberlandesgericht hat zu dem Gesichtspunkt der fehlenden Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, dass der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte zumindest die Chance haben müsse, wieder die Freiheit erlangen zu können. Dies sei beim Beschwerdeführer der Fall. Nach Auskunft des Bundesamtes für Justiz vom 30. Juni 2009 habe die Botschaft der Republik Türkei mitgeteilt, dass nach Art. 104 der türkischen Verfassung der Präsident der Republik als Oberhaupt des Staates das Gnadenrecht ausübe und Strafen aus Gründen dauernder Krankheit, Behinderung und altersbedingt mindern oder erlassen könne. Damit habe der Verfolgte grundsätzlich die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug. Dass dies nur unter eingeschränkten Voraussetzungen möglich sei, müsse als der türkischen Rechtsordnung immanent hingenommen werden und führe zu keiner anderen Beurteilung.

26

b) Diese Ausführungen halten verfassungsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

27

Das Oberlandesgericht hat zwar mit Blick auf die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen an den menschenwürdigen Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe geprüft, ob für den Beschwerdeführer eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht. Es hat dies aber zu Unrecht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bejaht. Dies führt zu einem Verfassungsverstoß, auch wenn berücksichtigt wird, dass sowohl die Ermittlung des Sachverhalts als auch Anwendung des einfachen Rechts Aufgaben des zuständigen Fachgerichts sind (vgl. BVerfGE 108, 129 <137>; 113, 154 <166>).

28

Soweit das Oberlandesgericht die praktische Möglichkeit auf Wiedererlangung der Freiheit darin sieht, dass nach Art. 104 der türkischen Verfassung der Präsident der Republik als Oberhaupt des Staates das Gnadenrecht ausüben und Strafen aus Gründen dauernder Krankheit, Behinderung und altersbedingt mindern oder erlassen könne, vermag dies keine Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit im Sinne der unabdingbaren Grundsätze der deutschen Verfassungsordnung zu begründen. Die Frage, ob eine solche praktische Chance eröffnet ist, lässt sich nicht schematisch damit beantworten, dass irgendeine Form von Gnadenrecht vorgesehen ist. Vielmehr kommt es in jedem Einzelfall auf eine Gesamtbeurteilung der Ausgestaltung des jeweiligen Strafvollzugs an. Von entscheidender Bedeutung sind mögliche persönlichkeitszerstörende Wirkungen der Strafhaft, denen durch einen menschenwürdigen Strafvollzug begegnet werden muss (vgl. BVerfGE 35, 202 <235 f.>; 36, 174 <188>; 40, 276 <284>; 45, 187 <245>). Prinzipiell mildert dabei die - wenn auch nur unsichere - Hoffnung auf eine möglicherweise vorzeitige Entlassung die mit der Strafhaft verbundenen psychischen Belastungen ab (vgl. BVerfGE 113, 154 <167>). Vorliegend ist insoweit ausschlaggebend, dass die bisherigen Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht ausschließen, dass der Ausübung des Gnadenrechts nach Art. 104 der türkischen Verfassung in jedem Fall ein unumkehrbarer physischer Verfallsprozess vorauszugehen hat. Diese spezifische Bedingung nimmt einem Verurteilten - ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit - jegliche Hoffnung auf ein späteres selbstbestimmtes Leben in Freiheit (vgl. BVerfGE 45, 187 <245>). Das konkret in Rede stehende Gnadenrecht eröffnet damit keine wenigstens vage Aussicht auf ein Leben in Freiheit, die den Vollzug der lebenslangen Strafe nach dem Verständnis der Würde der Person überhaupt erst erträglich macht (dazu BVerfGE 45, 187 <245>), mithin den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen Verfassungsordnung genügt: Es lässt den Verurteilten günstigstenfalls darauf hoffen, in Freiheit zu sterben.

29

c) Der Unzulässigkeit der Auslieferung steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 6. Juli 2005 (BVerfGE 113, 154), auf den sich das Oberlandesgericht bezieht, die Auslieferung bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung für mit dem Grundgesetz vereinbar hielt. Der dort entschiedene Fall lag insoweit anders, als das einschlägige Gnadenrecht keinerlei tatbestandliche Einschränkungen enthielt. Die praktische Chance des Verurteilten, seine Freiheit wiederzuerlangen, war damit - anders als in der vorliegenden Konstellation - nicht von vornherein in hoffnungsloser Weise versperrt (vgl. BVerfGE 113, 154 <167>).

III.

30

Da die angegriffenen Beschlüsse vom 2. Juni 2009 und 17. September 2009 den Beschwerdeführer bereits in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzen, kann die Frage, ob auch die anderen vom Beschwerdeführer gerügten Grundrechtsverletzungen vorliegen, unbeantwortet bleiben. Indes hält die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Hamm, wonach es genüge, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen der amtsrichterlichen Vernehmung (§ 21, § 23 IRG bzw. § 28 IRG) rechtliches Gehör gewährt wurde, verfassungsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG scheidet nicht deshalb aus, weil der Beschwerdeführer sich in einem früheren Stadium des Verfahrens hat äußern können und geäußert hat. Denn das Grundrecht auf rechtliches Gehör erschöpft sich nicht darin, einem Betroffenen die Gelegenheit zu gewährleisten, dass er im Verfahren überhaupt gehört wird, sondern gewährleistet die Gelegenheit, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern, also grundsätzlich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite (vgl. BVerfGE 19, 32 <36>; 49, 325 <328>). Daraus folgt unter anderem, dass ein am Verfahren Beteiligter nicht verpflichtet ist, von sich aus nachzuforschen, ob von den übrigen Verfahrensbeteiligten Schriftsätze eingereicht oder Anträge gestellt worden sind (vgl. BVerfGE 17, 194 <197>; 50, 381 <385>; 64, 135 <144>). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet die Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, dass das Gericht dem Beteiligten Gelegenheit geben muss, sich zum Gegenstand des Verfahrens sowie zum Verfahren selbst - insbesondere auch zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen, zum Vortrag der übrigen Beteiligten, zu Ergebnissen sowie entscheidungserheblichen Rechtsfragen - sachgemäß, zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären (vgl. BVerfGE 50, 280 <284>; 50, 381 <384>; 89, 28 <35>).

IV.

31

Die Beschlüsse sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben.

V.

32

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 Alternative 1, Abs. 3 BVerfGG.