Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 329/18
vom
18. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:180918B3STR329.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. September 2018 einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil desLandgerichts Osnabrück vom 18. April 2018 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei von der Anordnung abgesehen, einen Teil der Strafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollstrecken. 1. Gemäß der gesetzlichen Grundregel des § 67 Abs. 1 StGB ist die Maßregel der Besserung und Sicherung vor der Strafe zu vollziehen. Das Gericht bestimmt jedoch, dass die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn deren Zweck dadurch leichter erreicht wird (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StGB). Ist - wie hier - die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verhängt worden, so "soll" das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vorab zu vollstrecken ist (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB). Der Gesetzgeber hat diese Regelung bewusst als Soll-Vorschrift ausgestaltet. Sie dient insbesondere auch der Sicherung des Therapieerfolgs, der bei einer Rückverlegung in eine Justizvollzugsanstalt gefährdet sein kann (vgl. BT-Drucks. 16/1110, S. 14; BGH, Beschlüsse vom 22. September 2011 - 2 StR 322/11, StV 2012, 723; vom 9. November 2017 - 1 StR 456/17, NJW 2018, 714). Das Tatgericht kann es indes beim Vorwegvollzug der Maßregel nach § 67 Abs. 1 StGB belassen, wenn diese Vollstreckungsreihenfolge aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eher die Erreichung des Therapieerfolgs erwarten lässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2008 - 1 StR 644/07, NStZ-RR 2008, 142; vom 16. Februar 2016 - 1 StR 624/15, StV 2016, 735). Als gewichtiger Grund kommt namentlich eine aktuelle dringende Therapiebedürftigkeit des Suchtkranken in Betracht (vgl. BT-Drucks. 16/1110, aaO; BGH, Beschlüsse vom 9. August 2007 - 4 StR 283/07, NStZ-RR 2007, 371, 372; vom 22. September 2011 - 2 StR 322/11, aaO; vom 9. November 2017 - 1 StR 456/17, aaO). 2. Diese rechtlichen Vorgaben hat die Strafkammer beachtet. Sie hat im Einzelnen beanstandungsfrei dargetan, dass der seit 30 Jahren heroin- bzw. substitutionsmittelsüchtige Angeklagte, der bereits dreimal mit jeweils nur vorübergehendem Erfolg nach § 64 StGB untergebracht war, zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung dringend therapiebedürftig war. Dabei hat sie darauf abstellen dürfen, dass bei einem zu erwartenden fortdauernden Betäubungsmittelkonsum während eines zunächst vollstreckten Teils der Strafhaft "alsbald gravierende gesundheitliche Einbußen" zu besorgen wären, die einen Therapieerfolg voraussichtlich vereiteln würden, und damit allein im Fall des Vorwegvollzugs der Maßregel die physischen Voraussetzungen für deren hinreichend konkrete Erfolgsaussicht vorlagen (UA S. 9 f.).
Den Erwägungen der Strafkammer steht der Beschluss des 5. Strafsenats vom 22. Januar 2008 (5 StR 624/07, juris Rn. 2) nicht entgegen. Aus dieser Entscheidung ergibt sich lediglich, dass die dringende Therapiebedürftigkeit in den Urteilsgründen eindeutig festgestellt sein muss und nicht ohne weiteres durch die Mitteilung belegt wird, aufgrund einer jahrelangen Drogenabhängigkeit seien bereits körperliche Folgen eingetreten (s. auch MüKoStGB/Maier, 3. Aufl., § 67 Rn. 87). Anders als der Beschwerdeführer meint, argumentiert das Urteil nicht "geradezu zirkelschlüssig", indem es einerseits einen zu erwartenden fortdauernden Betäubungsmittelkonsum während eines vorab vollstreckten Teils der Strafhaft als Umstand bewertet, der einem Therapieerfolg entgegenstünde, andererseits in der an eine gelungene Behandlung anschließenden Vollstreckung der Haftstrafe einen Faktor sieht, der es dem Angeklagten für eine Übergangszeit erleichtert, drogenabstinent zu leben und nicht rückfällig zu werden ("stationäres Setting"). Denn die - sachverständig beratene - Strafkammer ist nachvollziehbar davon ausgegangen, dass sich die Wirkungen des Strafvollzugs auf den akut Betäubungsmittelabhängigen nicht mit denjenigen auf den jedenfalls einstweilen von seinem Hang Befreiten vergleichen lassen. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Gericke Spaniol Berg Hoch Leplow

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2018 - 3 StR 329/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2018 - 3 StR 329/18

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2018 - 3 StR 329/18 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 67 Reihenfolge der Vollstreckung


(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2018 - 3 StR 329/18 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2018 - 3 StR 329/18 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Sept. 2011 - 2 StR 322/11

bei uns veröffentlicht am 22.09.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 322/11 vom 22. September 2011 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Be

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2008 - 5 StR 624/07

bei uns veröffentlicht am 22.01.2008

5 StR 624/07 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 22. Januar 2008 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Januar 2008 beschlossen: 1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zu

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2008 - 1 StR 644/07

bei uns veröffentlicht am 08.01.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 644/07 vom 8. Januar 2008 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2008 beschlossen: 1. Die Revision des Angeklagten gegen das Ur

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2017 - 1 StR 456/17

bei uns veröffentlicht am 09.11.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 456/17 vom 9. November 2017 BGHSt: nein BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ________________________ StGB §§ 64, 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 Wird nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitss

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Feb. 2016 - 1 StR 624/15

bei uns veröffentlicht am 16.02.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 624/15 vom 16. Februar 2016 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2016:160216B1STR624.15.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2018 - 3 StR 329/18.

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juni 2019 - 1 StR 81/19

bei uns veröffentlicht am 04.06.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 81/19 vom 4. Juni 2019 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2019:040619B1STR81.19.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des .

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 322/11
vom
22. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. September 2011
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 8. April 2011 aufgehoben, soweit das Landgericht die Anordnung eines Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen Sachbeschädigung , wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Die Strafkammer hat jedoch rechtsfehlerhaft von der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung abgesehen.
3
1. Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist; dabei ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach einer Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist. Diese Vorschrift hat der Gesetzgeber bewusst als "SollVorschrift" ausgestaltet. Nur wenn aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt, namentlich bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit des Betreffenden (vgl. NStZ-RR 2007, 371, 372; BT-Drucks. 16/1110, S. 14), darf von der Anordnung abgesehen werden (BGH, NStZ-RR 2008, 142 und 182). Liegen solche Gründe nicht vor, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr (BGH, NStZ-RR aaO).
4
2. Diesem Maßstab wird das Landgericht nicht gerecht.
5
Die Nichtanordnung des Vorwegvollzugs hat das Landgericht mit der Besonderheit begründet, es sei derzeit nicht sicher vorhersehbar, ob die zur Bewährung ausgesetzte Vollstreckung zweier früherer gegen den Angeklagten verhängter Freiheitsstrafen widerrufen werde und in welcher Reihenfolge die Vollstreckung der Freiheitsstrafen in diesem Fall erfolge. Gegebenenfalls seien die früheren Freiheitsstrafen erst nach der Maßregel zu vollstrecken, weshalb die Anordnung des Vorwegvollzugs vorliegend keinen Sinn mache. In jedem Fall aber habe es die Strafvollstreckungskammer in der Hand, gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 StGB die in diesem Urteil festgelegte Vollstreckungsreihenfolge zu ändern (UA S. 29).
6
Diese von der Kammer erwogenen, möglicherweise in der Zukunft eintretenden Umstände rechtfertigen indes keine Abweichung von der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB. Für die Beurteilung des Vorliegens wichtiger, eine Abweichung rechtfertigender Gründe ist allein der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeblich. Das Erreichen des Therapieerfolgs wird dadurch auch im Falle später eintretender neuer Umstände nicht gefährdet, denn diesen kann die Strafvollstreckungskammer durch eine Anordnung, Änderung oder Aufhebung des Vorwegvollzugs jederzeit gerecht werden.
7
Der Angeklagte ist schon durch die Nichtanwendung des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB beschwert, weil die von § 67 Abs. 1 StGB abweichende Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolgs dient und bei dessen Eintritt die Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte unter Anrechnung der Unterbringungsdauer schon zum Halbstrafenzeitpunkt entlassen wird (BGH, Beschluss vom 21. August 2007 - 3 StR 263/07; Beschluss vom 13. August 2009 - 3 StR 224/09; vgl. Fischer StGB 58. Aufl. § 64 Rn. 10). Die Beschwer besteht ungeachtet einer der Strafvollstreckungskammer in § 67 Abs. 3 Satz 1 StGB eröffneten Möglichkeit der nachträglichen Anordnung, denn eine spätere Anordnung steht lediglich in deren Ermessen und darf überdies nur auf Umstände gestützt werden, die erst nach Rechtskraft der Unterbringungsanordnung (typischerweise: während des Vollzugs) in Erscheinung getreten sind; verwehrt ist es dem nachträglich entscheidenden Gericht, bei gleicher tatsächlicher Beurteilungsgrundlage die Urteilsfeststellungen des erkennenden Gerichts nach Art eines Rechtsmittelgerichts zu "berichtigen" (Schöch LK 12. Aufl. StGB § 67 Rn. 105).
8
3. Über die Frage des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe ist daher unter Heranziehung eines Sachverständigen neu zu befinden. Stehen der Anordnung keine gewichtigen Gründe entgegen, wird die Kammer auch die erforderliche Therapiedauer festzustellen haben.
Fischer Appl Berger Krehl Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 456/17
vom
9. November 2017
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
Wird nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet, dass eine nach
§ 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte
Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus
dem Maßregelvollzug führen würde, kann von der Entscheidung über einen
Vorwegvollzug abgesehen werden.
BGH, Beschluss vom 9. November 2017 - 1 StR 456/17 - LG Heidelberg
in der Strafsache
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:091117B1STR456.17.0


wegen besonders schweren Raubes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. November 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 14. Juni 2017 aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug der Strafe angeordnet worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen unter Einbeziehung anderer rechtskräftiger Strafen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Neben einer Einziehung hat es die in einem anderen rechtskräftigen Urteil angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten und angeordnet, dass vor der Maßregel ein Jahr und neun Monate Freiheitsstrafe einschließlich der im Verfahren beim Landgericht Würzburg erlittenen Untersuchungshaft zu vollstrecken sind. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.
2
Das auf den Ausspruch über den Vorwegvollzug der Strafe beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.
3
1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Anordnung des Vorwegvollzugs beschränkt.
4
a) Nachdem der Verteidiger des Angeklagten am 15. Juni 2017 die Revision unbeschränkt eingelegt hatte, hat der Angeklagte noch innerhalb der Einlegungsfrist eigenhändig ebenfalls Revision eingelegt. Diese stützt er darauf, dass seine erneute Inhaftierung und die damit einhergehende Unterbrechung der Therapie seine „Resozialisierung“ gefährde. Er hat ausgeführt: „Aus diesen Gründen bitte ich Sie Ihr Urteil betreffs des Vorwegvollzugs noch einmal zu überdenken“. Damit hat der Angeklagte aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er das Urteil nur im Hinblick auf den Vorwegvollzug von der Rechtsmittelinstanz überprüfen lassen möchte.
5
Dieser erklärte Wille des Angeklagten geht dem Willen des Verteidigers, das Urteil umfassend überprüfen lassen zu wollen, vor (vgl. Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 297 Rn. 3). Denn nach der gesetzlichen Wertung des § 297 StPO ist der einer umfassenden Nachprüfung entgegenstehende Wille des Angeklagten über den auf die Einlegung des Rechtsmittels abstellenden Wortlaut hinaus auch bei einem später eintretenden Widerspruch zu beachten (vgl. SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 297 Rn. 14), z.B. für die nachträgliche Beschränkung des Rechtsmittels (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juli 2015 – III – 2 Ws 300/15; KK-StPO/Paul, 7. Aufl., § 297 Rn. 3).
6
b) Die Beschränkung ist auch wirksam. Eine Revisionsbeschränkung ist nur möglich, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. August 2017 – 3 StR 275/17; Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 StR 531/13, NStZ-RR 2014, 107 mwN). Dies setzt bei der Anfechtung des Vorwegvollzugs einer Unterbringung voraus, dass die Maßregel als solche rechtsfehlerfrei angeordnet worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2014 – 1 StR 531/13, NStZ-RR 2014, 107 und vom 14. Februar 2012 – 3 StR 7/12, NStZ 2012, 587).
7
Die Voraussetzungen der Maßregel nach § 64 StGB sind hinreichend belegt, auch die von der sachverständig beratenen Strafkammer angenommene Therapiedauer von zwei Jahren ist nicht zu beanstanden.
8
2. Das so beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob entgegen der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB auf eine Anordnung des Vorwegvollzugs verzichtet werden kann.
9
a) Die Strafkammer hat zutreffend die im Urteil des Landgerichts Würzburg vom 13. März 2017 angeordnete Maßregel aufrechterhalten. Denn die jetzt abgeurteilte Tat wurde vor der früheren, die Maßregel anordnenden Verurteilung des Angeklagten begangen, weswegen die Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung Vorrang vor der Regelung des § 67f StGB haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. September 2016 – 5 StR 417/16, StV 2017, 575 mwN und vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105; Urteil vom 11. September 1997 – 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4).
10
b) Die Strafkammer ist jedoch rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein auf die neue Gesamtstrafe zugeschnittener Vorwegvollzug vor der Maßregelvollstreckung erfolgen „muss“. Sie hat dabei außer Acht gelassen, dass die Vorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, um dem Gericht im Einzelfall, namentlich bei aktuell dringender Therapiebedürftig- keit des Betreffenden, die Möglichkeit zu eröffnen, es beim Vorwegvollzug der Maßregel zu belassen (vgl. BT-Drucks. 16/1110, S. 14; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. August 2007 – 4 StR 283/07, NStZ-RR 2007, 371). Ob Anlass besteht, ausnahmsweise von der Anordnung abzusehen, ist von der Strafkammer danach nicht geprüft worden.
11
Dazu hätte aber vorliegend Anlass bestanden. Ausweislich der Urteilsfeststellungen ist gegen den Angeklagten zum Zeitpunkt des Urteils bereits die Maßregel vollstreckt worden. Durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist eine Gesamtstrafe in einer Höhe gebildet worden, dass eine – wie vorliegend geschehen – nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen würde. Unter diesen Voraussetzungen kann aber von der Entscheidung über einen Vorwegvollzug abgesehen werden (hierzu neigend schon BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105; vgl. auch Beschluss vom 27. September 2016 – 5 StR 417/16, StV 2017, 575: keinen Vorwegvollzug wegen vollstreckungsrechtlicher Besonderheiten). Denn eine bereits begonnene Behandlung in der Entziehungsanstalt kann aktuell dringende Therapiebedürftigkeit begründen, um die bereits angelaufenen therapeutischen Maßnahmen durch eine Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt nicht wieder zunichte zu machen (vgl. hierzu BT-Drucks. 16/1110, S. 14). Da die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge aber auch der Sicherung des Therapieerfolgs dienen (BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2014 – 1 StR 162/14, NStZ-RR 2014, 368 und vom 21. August 2007 – 3 StR 263/07) muss diese vollstreckungsrechtliche Folge bei der Entscheidung über die Anordnung des Vorwegvollzugs bedacht werden, woran es vorliegend fehlt.
12
3. Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht vorliegend auch unter Einbeziehung der drohenden Herausnahme aus dem bereits begonnenen Maßregelvollzug auf eine Entscheidung über einen Vorwegvollzug nicht verzichtet hätte , sind dem Urteil nicht zu entnehmen, weswegen ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist.
13
Der Senat kann schon deswegen nicht selbst über die Anordnung eines Vorwegvollzugs entscheiden, da dem Tatgericht vorbehaltene Wertungen und Beurteilungen zu treffen sind. Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es angesichts des reinen Wertungsfehlers nicht. Das neu zuständige Tatgericht kann ergänzende Feststellungen insbesondere zum Stand der Therapie treffen.
Raum Jäger Cirener
Radtke Hohoff

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 644/07
vom
8. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2008 beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25. Juli 2007 wird mit der Maßgabe verworfen , dass die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe entfällt. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit zwei tateinheitlich begangenen Bedrohungen und einer Nötigung sowie wegen Freiheitsberaubung und wegen Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat darüber hinaus die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie einen teilweisen Vorwegvollzug der Strafe von zwei Jahren sechs Monaten angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat nur hinsichtlich des angeordneten teilweisen Vorwegvollzugs Erfolg.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Verfahrensrüge, das Gericht habe die Vernehmung eines Zeugen zu Unrecht abgelehnt, bemerkt der Senat ergänzend: Ohne dass es auf weiteres ankäme, kann das Urteil angesichts der sonstigen Beweislage nicht auf der unterbliebenen Vernehmung des Zeugen T. beruhen.
3
2. Allerdings kann die vom Landgericht vorgenommene Anordnung über die Vollstreckungsreihenfolge von Strafe und Maßregel nicht bestehen bleiben. Das Landgericht verweist bei seiner Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge auf § 67 Abs. 2 StGB nF (Gesetz vom 16. Juli 2007, BGBl I 1327). Es geht davon aus, dass unter Berücksichtigung des Vorwegvollzugs (auf den die zum Urteilszeitpunkt etwa drei Monate andauernde Untersuchungshaft anzurechnen ist, vgl. BGH NJW 1991, 2431; Fischer, StGB 55. Aufl. § 67 Rdn. 9 m.w.N.) und einer Dauer des Maßregelvollzugs von etwa zwei Jahren sowie einer erfolgreichen Beendigung der Therapie „eine Reststrafe von etwa einem Jahr verbleiben (würde), die zur Bewährung ausgesetzt werden könnte“. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
4
Gemäß § 67 Abs. 1 StGB ist die Maßregel vor der Strafe zu vollstrecken. Das Gericht bestimmt jedoch, dass die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StGB). Ist - wie hier - eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verhängt, „soll“ das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB); dies also dann, wenn nicht aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt (vgl. näher Fischer aaO Rdn. 10, 12 m.w.N.). Liegen - wie hier - keine Gründe vor, die gegen eine Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe sprechen, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr. „Dieser Teil ist so zu berechnen, dass nach seiner Vollstreckung und einer anschließenden Unterbringung eine Bewährungsentscheidung [nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB nF] möglich ist“ (vgl. BTDrucks. 16/1110 S. 11). Hier hat die Strafkammer dagegen den Vorwegvollzug so bemessen, dass nach Erledigung der Maßregel nur noch ein Jahr zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. Eine solche Bemessung des teilweisen Vorwegvollzugs ist dem Tatrichter im Erkenntnisverfahren nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers versagt.
5
Der Senat hat davon abgesehen, die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Im Hinblick auf die bisher verbüßte und auf den Vorwegvollzug anzurechnende Untersuchungshaft von etwa neun Monaten würde jede weitere Untersuchungshaft der Möglichkeit einer Halbstrafenentlassung zuwiderlaufen. Der Senat erkennt daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Anordnung über den Vorwegvollzug.

6
3. Der nur geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Beschwerdeführer - teilweise - von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen. Wahl Boetticher Hebenstreit Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 624/15
vom
16. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:160216B1STR624.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 16. September 2015 im Ausspruch über den Vorwegvollzug sowie über die Reihenfolge der Vollstreckung der Maßregeln mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und der Entziehungsanstalt angeordnet. Zudem hat es bestimmt, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung nach der Gesamtfreiheitsstrafe zu vollstrecken ist und nach dem Vollzug der Sicherungsverwahrung die Unterbringung in der Entziehungsanstalt. Die Revision ist unzulässig, soweit der Angeklagte eine nicht nä- her ausgeführte „allgemeine Verfahrensrüge“ erhoben hat (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der nicht näher ausgeführten Sachrüge erzielt das Rechtsmittel den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
2
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift ausgeführt: „I. Die Anordnung des vollständigen Vorwegvollzugs der Gesamt- freiheitsstrafe kann keinen Bestand haben, da die Kammer die Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 StPO nicht beachtet hat. Nach der in § 67 Abs. 1 StGB normierten Grundentscheidung des Gesetzgebers soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Eine Abweichung von der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge ist - unbeschadet der Regelung in § 67 Abs. 2 S. 2 und 3 StGB - nur zulässig, wenn hierdurch der Zweck der Maßregel leichter erreicht werden kann (§ 67 Abs. 2 S. 1 StGB). Das Urteil muss in einem solchen Fall auf der Grundlage einer eingehenden, die Persönlichkeit des Angeklagten berücksichtigenden Beurteilung darlegen, wegen welcher besonderen Umstände der Vorwegvollzug der Strafe die Therapie günstiger beeinflussen wird und dass dieses Ziel im Maßregelvollzug nicht in gleicher Weise erreicht werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 1998 - 2 StR 291/98; Fischer, 63. Auflage, § 67 Rn. 5f., 8). Hingegen soll das Gericht bei einer verhängten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB); dies also dann, wenn nicht aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt. Liegen keine Gründe vor, die gegen eine Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe sprechen, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr. Dieser Teil ist so zu berechnen, dass nach seiner Vollstreckung und einer anschließenden Unterbringung eine Bewährungsentscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2008 - 1 StR 644/07 m.w.N.). Dies gilt auch in Fällen, in denen neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 5 StR 473/14). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht im Ansatz gerecht. Die Kammer hat den Vorwegvollzug als zwingend angesehen , nachdem sie angeordnet hatte, dass die Sicherungsverwahrung vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollziehen ist (UA S. 81). Die Strafkammer hätte bedenken müssen, dass es gerade bei längeren Freiheitsstrafen darum gehen muss, den Betroffenen schon frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er in der Vollzugsanstalt an der Verwirklichung des Vollzugszieles der Strafe mitarbeiten kann. Dies gilt hier umso mehr als eine erfolgreiche Therapie in die spätere Prüfung einzubeziehen ist, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung noch erfordert oder die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§§ 72 Abs. 3 Satz 2, 67c, 67e StGB). Die Erwägung der Kammer, dass die bisherige mangelnde Therapiemotivation durch einen längeren Haftaufenthalt geschaffen werden könne, vermag den vollständigen Vorwegvollzug nicht zu begründen. Darüber hinaus hat es die Strafkammer unterlassen, in dem Urteil mitzuteilen, wie lange die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt voraussichtlich erforderlich sein wird (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 4 StR 409/12).

II. Daneben begegnet die angeordnete Reihenfolge der Vollstreckung der Maßregeln durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Kammer hat ihre Anordnung damit begründet, dass der Angeklagte 'derzeit als sehr gefährlich einzustufen ist, [und es nicht] verantwortet [werden] kann, ihm im Rahmen der Maßregel der Unterbringung in der Entziehungsanstalt die Lockerungen zu gewähren, welche für eine erfolgreiche Absolvierung dieser Maßregel erforderlich sind' (UA S. 81). Die Kammer hat dabei nicht beachtet, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Zweifel grundsätzlich vor der Sicherungsverwahrung zu vollstrecken ist, weil eine erfolgreiche Entziehungskur die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung (§ 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) oder jedenfalls günstigere Voraussetzungen für die Resozialisierung in der Sicherungsverwahrung schaffen kann (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 5 StR 473/14). Die Frage einer Gefahr für die Allgemeinheit bei Vollzugslockerungen im Maßregelvollzug kann demgegenüber keine Rolle spielen (BGH, Beschluss vom 27. Juli 1999 - 4 StR 328/99).“
3
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Der Rechtsfehler betrifft auch die zugehörigen Feststellungen, die deshalb ebenfalls aufzuheben sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
Raum Jäger Mosbacher Fischer Bär

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

2
Das Landgericht hat es – ohne weitere Ausführungen – bei der in § 67 Abs. 1 StGB vorgesehenen Reihenfolge belassen, wonach im Falle einer neben einer Freiheitsstrafe getroffenen Unterbringungsanordnung die Maßregel regelmäßig vor der Strafe zu vollstrecken ist. Dies war zum Entscheidungszeitpunkt rechtsfehlerfrei. Wenige Tage nach der landgerichtlichen Entscheidung ist jedoch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) in Kraft getreten, das hinsichtlich der Vollstreckungsreihenfolge eine neue Regelung enthält, welche das Revisionsgericht anzuwenden hat (§ 354a StPO). Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB n. F. soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist; dabei ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist. Daran fehlt es hier. Zwar hat das Gericht bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit weiterhin die Möglichkeit, es beim Vorwegvollzug der Maßregel nach § 67 Abs. 1 StGB zu belassen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2007 – 2 StR 392/07; BT-Drucks 16/1110 S. 14). Eine derartige dringende Therapiebedürftigkeit hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Sie wird auch nicht ohne Weiteres durch die nach den Urteilsgründen beim Angeklagten infolge seiner jahrelangen Drogenabhängigkeit bereits eingetretenen körperlichen Folgen belegt. Auf die Revision des Angeklagten bedarf es daher einer neuen tatrichterlichen Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge von Strafe und Maßregel. Gemäß § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte durch die Nichtanwendung des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB n. F. beschwert sein kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2007 – 3 StR 263/07 – und vom 29. August 2007 – 1 StR 378/07).