Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2012 - 2 StR 98/12
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei weiteren Fällen zu einer Jugendstrafe verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Gegen die Angeklagte E. hat es - unter Freisprechung im Übrigen - wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren erkannt. Daneben hat das Landgericht gegen beide Angeklagten eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen. Die Rechtsmittel haben jeweils auf die Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Die im Adhäsionsverfahren gegen den Angeklagten K. getroffenen Entscheidungen haben schon deshalb keinen Bestand, weil dieser Angeklagte zur Tatzeit Jugendlicher war. Eine Anwendung der Vorschriften über eine Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406c StPO) kam daher gemäß § 81 JGG nicht in Betracht.
- 3
- 2. a) Hinsichtlich der Angeklagten E. hält der Strafausspruch sachlich -rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 4
- Das Landgericht hat es unterlassen, schon bei der Bemessung der beiden Einzelfreiheitsstrafen von jeweils fünf Jahren die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten und daraus resultierend die Wirkung der Strafe für deren zukünftiges Leben in die Abwägung miteinzubeziehen; es hat zu ihren Gunsten lediglich ihre bisherige Unbestraftheit berücksichtigt. Nach den ohnehin knappen Feststellungen des Landgerichts zu ihren (offensichtlich desolaten) Lebensverhältnissen fühlte sich die Angeklagte, die zur Tatzeit erst 23 Jahre alt war und von ihrem Ehemann getrennt lebte, mit der Erziehung ihrer damals 6jährigen Tochter, der hier geschädigten Nebenklägerin, überfordert. Sie hatte sich deshalb an das Jugendamt gewendet und um Hilfe zur Erziehung gebeten, nachdem sie zuvor bereits eine weitere Tochter zur Adoption freigegeben und ihren Sohn in die Betreuung der Schwiegereltern übergeben hatte (UA S. 7). Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Berücksichtigung dieser nach § 46 Abs. 2 StGB bedeutsamen Umstände im Ergebnis auf mildere Strafen erkannt hätte.
- 5
- Die Feststellungen zum Strafausspruch können bestehen bleiben; einer Aufhebung bedarf es nicht, weil sie von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler unberührt bleiben. Ergänzende, nicht widersprechende Feststellungen insbesondere zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten sind möglich.
- 6
- b) Auch die im Adhäsionsverfahren gegen die Angeklagte E. getroffenen Entscheidungen haben keinen Bestand, da es an einem wirksamen Adhäsionsantrag fehlt, was eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 2004 - 2 StR 37/04, StrFo 2004, 386, 387). Der Adhäsionsantrag wurde außerhalb der Hauptver- handlung gestellt, jedoch ausweislich der Verfahrensakten entgegen § 404 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht zugestellt. Auch eine Heilung durch die nochmalige Antragstellung in der mündlichen Verhandlung ist nicht eingetreten, weil diese erst nach dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft und damit nach § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO verspätet erfolgte.
- 7
- 3. Da sich das Verfahren nunmehr ausschließlich gegen eine Erwachsene richtet, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (BGHSt 35, 267, 269).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2012 - 2 StR 98/12
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2012 - 2 StR 98/12
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2012 - 2 StR 98/12 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Die Vorschriften der Strafprozeßordnung über das Adhäsionsverfahren (§§ 403 bis 406c der Strafprozeßordnung) werden im Verfahren gegen einen Jugendlichen nicht angewendet.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubs, Vergewaltigung und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat des weiteren festgestellt, daß der Schmerzensgeldanspruch der Nebenklägerin wegen der erlittenen Vergewaltigung dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatlediglich Erfolg, soweit sie sich gegen den Adhäsionsausspruch richtet. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat schließt sich hinsichtlich des Adhäsionsverfahrens den Ausführungen des Generalbundesanwalts an, der zutreffend ausgeführt hat: "Keinen Bestand kann das Urteil jedoch haben, soweit der Angeklagte dem Grunde nach zu Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin verurteilt wurde. Der Adhäsionsantrag wurde außerhalb der Hauptverhandlung gestellt (Bd. I Bl. 111 d.A.) jedoch ausweislich der Verfahrensakten entgegen § 404 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht zugestellt. Damit fehlt es, was von Amts wegen zu prüfen ist, an einem wirksamen Adhäsionsantrag (KK-Engelhardt StPO 5. Aufl. § 404 Rdn. 8; Thomas/Putzo ZPO 25. Aufl. § 253 Rdn. 21; Baumbach /Lauterbach/Hartmann/Albers ZPO 62. Aufl. § 253 Rdn. 7, 8). Auch eine Heilung durch die nochmalige Antragstellung in der mündlichen Verhandlung ist nicht eingetreten, weil diese erst nach Beginn des Schlußvortrags der Staatsanwaltschaft und damit nach § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO verspätet erfolgte (Bd. I Bl. 143, 144 d.A.). Die Gegenansicht, die für den Eintritt der Rechtshängigkeit die bloße Antragstellung bei Gericht genügen läßt (Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 404 Rdn. 6; LR-Hilger StPO 25. Aufl. § 404 Rdn. 7 jeweils m.w.N.) berücksichtigt nicht hinreichend, daß § 404 Abs. 2 StPO der Antragstellung dieselben Wirkungen wie die Erhebung der Klage im Zivilprozeß zuerkennt und nach § 404 Abs. 1 Satz 3 StPO im Fall der Antragstellung außerhalb der mündlichen Verhandlung - ebenso wie nach § 253 ZPO - die Zustellung an den Beschuldigten zwingend erforderlich ist. Unbeschadet dessen wäre auch bei Annahme des Eintritts von Rechtshängigkeit die Zustellung an den Beschuldigten eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Adhäsionsantrages, was sich aus der entsprechend § 253 ZPO aus-
gestalteten zwingenden Regelung des § 404 Abs. 1 Satz 3 StPO ergibt. Als solche ist sie von Amts wegen zu prüfen, zumal nicht ersichtlich ist, weshalb die Rechtzeitigkeit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen ist (BGHR StPO § 404 Abs. 1 Antragstellung 3), die Zustellung nach § 404 Abs. 1 Satz 3 StPO jedoch nicht. " Eine Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung allein über den Entschädigungsanspruch kommt nicht in Betracht (BGH NStZ 2003, 321, 322). Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, § 472 Abs. 1, § 472 a Abs. 2 StPO. Bode Detter Otten Rothfuß Ri'inBGH Roggenbuck ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Bode
(1) Der Antrag, durch den der Anspruch geltend gemacht wird, kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten, in der Hauptverhandlung auch mündlich bis zum Beginn der Schlußvorträge gestellt werden. Er muß den Gegenstand und Grund des Anspruchs bestimmt bezeichnen und soll die Beweismittel enthalten. Ist der Antrag außerhalb der Hauptverhandlung gestellt, so wird er dem Beschuldigten zugestellt.
(2) Die Antragstellung hat dieselben Wirkungen wie die Erhebung der Klage im bürgerlichen Rechtsstreit. Sie treten mit Eingang des Antrages bei Gericht ein.
(3) Ist der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt, so wird der Antragsteller von Ort und Zeit der Hauptverhandlung benachrichtigt. Der Antragsteller, sein gesetzlicher Vertreter und der Ehegatte oder Lebenspartner des Antragsberechtigten können an der Hauptverhandlung teilnehmen.
(4) Der Antrag kann bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen werden.
(5) Dem Antragsteller und dem Angeschuldigten ist auf Antrag Prozeßkostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, sobald die Klage erhoben ist. § 121 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung gilt mit der Maßgabe, daß dem Angeschuldigten, der einen Verteidiger hat, dieser beigeordnet werden soll; dem Antragsteller, der sich im Hauptverfahren des Beistandes eines Rechtsanwalts bedient, soll dieser beigeordnet werden. Zuständig für die Entscheidung ist das mit der Sache befaßte Gericht; die Entscheidung ist nicht anfechtbar.