Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Apr. 2019 - 2 StR 545/18

bei uns veröffentlicht am30.04.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 545/18
vom
30. April 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt
ECLI:DE:BGH:2019:300419B2STR545.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziff. 1 und 3. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 30. April 2019 gemäß §§ 44, 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen :
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. Mai 2018 auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. September 2018, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. Mai 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 6. April 2017 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 82 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, eine Kompensationsentscheidung getroffen und ein Berufsverbot von vier Jahren angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 7. Februar 2018 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Revision im Übrigen verworfen. Daraufhin hat das Landgericht den Angeklagten mit Urteil vom 17. Mai 2018 erneut zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten führt – nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision, mit der der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 12. September 2018 gegenstandslos wird – zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2
Dem Angeklagten war – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Damit ist der Beschluss des Landgerichts, mit dem dieses die Revision als unzulässig verworfen hatte, gegenstandslos.

II.

3
Die Revision des Angeklagten hat nur im Hinblick auf die versagte Strafaussetzung zur Bewährung Erfolg.
4
1. Die Verfahrensrüge hinsichtlich einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen Nichtbeendigung des Strafverfahrens innerhalb angemessener Frist ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
5
2. Die Überprüfung des Strafausspruchs hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hinsichtlich der festgesetzten Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs nicht ergeben.
6
3. Hingegen hält die landgerichtliche Entscheidung, soweit die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
a) Das Landgericht hat dem Angeklagten keine günstige Legalprognose gestellt. Die Begründung, mit der die Strafkammer die Erwartung verneint hat, der Angeklagte werde sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
aa) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte im Jahr 2004 bereits einmal wegen Steuerhinterziehung als Geschäftsführer einer im Baubereich tätigen Gesellschaft zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und kurze Zeit nach Ablauf der dortigen Bewährungszeit, aber vor dem Erlass der Strafe vier der hier zur Verurteilung gelangten Taten begangen habe. Soweit das Landgericht daraus folgert, dies zeige, dass sich der Angeklagte durch die bloße Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht ausreichend beeindrucken lasse, sondern hierzu der Vollzug der Strafe erforderlich sei, lässt dies bereits besorgen, dass die Strafkammer insoweit von einem unzutreffenden Prognosezeitpunkt ausgegangen ist. Dies gilt im Übrigen auch für die weitere Erwägung des Landgerichts, die (negative) Einschätzung durch die Strafkammer bestätige sich auch in dem rechtskräftig angeordneten Berufsverbot , dessen Anordnung die Annahme einer weiter bestehenden Gefahr der Begehung von Straftaten durch den Angeklagten voraussetze.
9
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen einer Prognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB ist der der jetzigen Entscheidung (vgl. BGH, NJW 2003, 2841), nicht derjenige eines länger zurückliegenden Ereignisses oder einer vorangegangenen Entscheidung. Die Strafkammer durfte die genannten Umstände zwar in die erforderliche Gesamtwürdigung einbeziehen, aber nur in ihrer (eingeschränkten) Bedeutung für die vom Landgericht im Urteilszeitpunkt anzustellende Prüfung, ob der Angeklagte jetzt auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde. Es liegt insoweit auf der Hand, dass allein der Umstand der Begehung von Straftaten im Jahre 2007 angesichts des langen Zeitablaufs nur geringe Aussagekraft für eine Legalprognose im Jahr 2018 besitzt und nicht – wie das Landgericht aber ausführt – „zeigt, dass sich der Angeklagte durch die bloße Verhängung einer Freiheits- strafe nicht ausreichend beeindrucken lässt, sondern hierzu der Vollzug der Strafe erforderlich ist.“ Dies mag im Jahre 2007 so gewesen sein, hätte indes für den maßgeblichen Zeitpunkt der im Jahre 2018 zu treffenden Entscheidung näherer Erläuterung bedurft.
10
bb) Das Landgericht hat sich ferner im Rahmen der Legalprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB weder erkennbar damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte die Bewährungszeit aus der im Jahr 2004 erfolgten Verurteilung ohne die Begehung neuer Straftaten überstanden hat, noch hat es ausdrücklich in den Blick genommen, dass sich der Angeklagte nach den letzten Taten im hiesigen Verfahren im März 2009 nicht mehr strafbar gemacht hat. Vor allem mit dem Umstand, dass sich der Angeklagte damit seit mehr als neun Jahren straffrei geführt hat, hätte sich die Strafkammer ausdrücklich befassen müssen. Denn Zeiten längerer Straffreiheit zwischen Tat und Aburteilung sind als „Ver- halten nach der Tat“ – neben den vom Landgericht zu Recht in den Blick genommenen aktuellen Lebensumständen des Angeklagten – bedeutsame Prognoseindizien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2016 – 5 StR 425/16; Senat Beschluss vom 8. Februar 2012 – 2 StR 136/11, NStZ-RR 2012, 170).
11
cc) Schließlich hätte das Landgericht die möglichen positiven Wirkungen des mit Urteil vom 6. April 2017 rechtskräftig angeordneten Berufsverbots bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen. So wie mit einer Bewährungsaussetzung verbundene flankierende Maßnahmen die Voraussetzungen für eine günstige Legalprognose schaffen können (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 – 4 StR 445/14, NStZ-RR 2015, 107 f.), kann sich auch aus einem (angeordneten) Berufsverbot eine günstige Prognose ergeben (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 216): Dies gilt insbesondere dann, wenn sich – wie offenbar hier – keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass der Angeklagte das Berufsverbot missachtet, und die ansonsten negative Legalprognose Verhalten im Zusammenhang mit vom Berufsverbot erfassten Tätigkeiten betrifft.
12
b) Die aufgezeigten Begründungsmängel wirken sich auch bei der Überprüfung der landgerichtlichen Annahme aus, es lägen keine besonderen Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vor.
13
Zu den nach § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigenden Umständen können auch solche gehören, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen waren. Zudem kann auch die (mögliche) Erwartung, der Angeklagte werde sich künftig straffrei führen, für die Beurteilung, ob „besondere Umstände“ vorliegen, von Bedeutung sein (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 4 StR 25/16). Hat der Tatrichter – wie hier das Landgericht – Umstände von Gewicht bei seiner Legalprognose unberücksichtigt gelassen (s. oben 3.a) bb) u. cc)), erweist sich damit auch die unter Außerachtlassung dieser Aspekte begründete Annahme, es fehle an „besonderen Umständen“, als durchgreifend rechtsfehlerhaft (vgl. etwa zur fehlenden Berücksichtigung eines angeordneten Berufsverbots BGH, NStZ 1997, 434).
14
Hinzu kommt, dass die Strafkammer weitere Aspekte, die in die insoweit vorzunehmende Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit einzubeziehen waren, nicht in den Blick genommen hat, etwa den erheblichen Abstand zwischen Tat und Aburteilung (vgl. BGHR, StGB § 56 Abs. 2 Besondere Umstände 13; BGH, NStZ 2009, 441) oder eine überlange Verfahrensdauer (BGH, NStZ-RR 2016, 9). Franke Appl Krehl Zeng Grube

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


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Strafprozeßordnung - StPO | § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung


War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1

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War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 425/16
vom
9. November 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
ECLI:DE:BGH:2016:091116B5STR425.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2016 beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 15. April 2016 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten bei Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung ist nicht rechtsfehlerfrei begründet.
3
a) Das Landgericht hat bei dem Angeklagten eine günstige Legalprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB verneint. Zur Begründung hat es lediglich angeführt , er habe trotz seiner Verurteilung im Jahr 1996 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern „erneut einschlägige Straftaten“ begangen, zudem sei in einem – gleichzeitig mit dem vorliegenden Strafverfahren durchgeführten – Berufungsverfahren die Begehung weiterer Sexualstraftaten durch ihn festgestellt worden.
4
b) Die Verneinung einer günstigen Legalprognose mit dieser Begründung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Bedenken begegnet bereits, dass das Landgericht mit Blick auf das vorliegende Verfahren die Begehung „einschlägiger Straftaten“ anführt, obwohl es den Angeklagten lediglich wegen einer einzi- gen Straftat schuldig gesprochen hat. Soweit die Strafkammer darüber hinaus auf die Feststellung weiterer Taten im parallel verhandelten – denselben Geschädigten und denselben Zeitraum betreffenden – Berufungsverfahren verweist , lässt sie außer Betracht, dass jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB der Schuldspruch in jenem Verfahren noch nicht in Rechtskraft erwachsen war.
5
Des Weiteren hat sich das Landgericht im Rahmen der Legalprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB nicht erkennbar damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte weder in den Jahren seit seiner Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe im Jahr 1996 bis zum nunmehr verfahrensgegenständlichen Zeitraum von Anfang 2012 bis August 2013 noch in den Jahren seither strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.
6
Schließlich hat sich das Landgericht auch nicht – was indes geboten gewesen wäre – mit der Frage befasst, inwieweit insbesondere durch die Erteilung von Therapieweisungen sowie Weisungen nach § 56c Abs. 2 Nr. 3 StGB die Voraussetzungen für eine günstige Legalprognose geschaffen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 – 4 StR 445/14, NStZ-RR 2015, 107 f.).
7
2. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Sander Schneider König
Bellay Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR445/14
vom
13. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. Januar 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 11. Juli 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung ist nicht rechtsfehlerfrei begründet.
3
Das Landgericht hat dem Angeklagten eine günstige Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB versagt und auch keine „besonderen Umstän- de“ gemäß § 56 Abs. 2 StGB zu erkennen vermocht.
4
a) Die Verneinung einer günstigen Sozialprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist von einer Neigung des Angeklagten zu sexuellen Übergriffen auf Mädchen im Kindesalter ausgegangen, „die bisher weder von ihm noch im Familienverbund aufgearbeitet“ worden sei. Es hat dem Angeklagten angelastet, „keine professionelle Hilfe bei der Aufarbeitung des Tatgeschehens“ gesucht zu haben. Der – die Tat in Abrede nehmende – Angeklagte hätte sich indes zu seinem Recht, den Tatvorwurf zu bestreiten , in Widerspruch setzen müssen, wenn er diese Neigung zugegeben und z.B. vorgetragen hätte, er habe bereits an einer fachkundigen Behandlung teilgenommen. Im Hinblick auf die Verteidigungsrechte des Angeklagten durfte ihm der Tatrichter diesen Vorwurf nicht machen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 1997 – 2 StR 44/97, NStZ 1997, 434).
5
Die Strafkammer hat sich an dieser Stelle auch nicht – wie erforderlich – mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit insbesondere durch die Erteilung von Therapieweisungen sowie Weisungen nach § 56c Abs. 2 Nr. 3 StGB die Voraussetzungen für eine günstige Kriminalprognose geschaffen werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1991 – 4 StR 440/91, BGHRStGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 21, und vom 19. März 2013 – 5 StR 41/13, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 5).
6
b) Auf diesen Rechtsfehlern kann die Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung beruhen.
7
Es ist nicht auszuschließen, dass der Tatrichter dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt hätte, da dieser nicht vorbestraft und sozial integriert ist.
8
Hätte die Strafkammer eine günstige Prognose gestellt, so wäre sie auch bei der Prüfung des Vorliegens „besonderer Umstände“ (§ 56 Abs. 2 StGB) möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt. Denn nach ständiger Rechtsprechung kann die Frage einer günstigen Sozialprognose auch für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Februar1994 – 2 StR 623/93, StV 1995, 20, vom 28. Juni 1995 – 2 StR 284/95, und vom 9. April 1997, aaO; Urteil vom 20. Januar 2000 – 4 StR 365/99).
9
2. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
10
3. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass der Vorwurf, der Angeklagte habe auch S. im Kindesalter missbraucht, bisher nur durch Zeugnis vom Hörensagen in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 25/16
vom
10. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:100516B4STR25.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 7. September 2015 aufgehoben, soweit dem Angeklagten die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.
2
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils, soweit dem Angeklagten die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung versagt worden ist. Im Übrigen erweist sich die Revision als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 4. Februar 2016 zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung ausgeführt: „a) Grundsätzlich gilt, dass - wie überhaupt bei der Rechtsfolgenbemes- sung - dem Tatrichter für die Entscheidung über die Strafaussetzung ein weiter Beurteilungsspielraum zuerkannt ist, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (BGH, Urteil vom 13. Februar 2001, 1 StR 519/00 = NStZ 2001, 366). Hat das Gericht die für und gegen eine Aussetzung sprechenden Umstände gesehen und gewürdigt und ist - namentlich aufgrund seines in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks - zu dem Ergebnis gekommen, dass die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens nicht größer ist als diejenige neuer Straftaten (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 1997, 2 StR 363/97 = NStZ 1997, 594), so ist dessen Entscheidung grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn auch eine andere Bewertung denkbar gewesen wäre.
b) Erforderlich ist aber - wie der BGH in ständiger Rechtsprechung immer wieder betont hat (BGH, 1 StR 519/00, aaO; Beschluss vom 10. Januar 2007, 5 StR 542/06) -, dass das Gericht die für und gegen eine Aussetzung sprechenden Umstände vollständig erfasst und würdigt und dabei - was vorliegend angesichts der bisherigen Unbestraftheit von besonderer Bedeutung ist - auch und gerade die Wirkung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auf den Angeklagten in den Blick zu nehmen hat. Gerade weil die Kammer ihre negative Sozialprognose entscheidend auf die ungünstigen Lebensverhältnisse stützt, war es unabdingbar zu erörtern, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung mit entsprechender Begleitung durch einen Bewährungshelfer und eventuelle weitere Weisungen (§ 56c StGB) nicht eine stabilisierende Wirkung auf das Leben des Angeklagten haben könnte. Da die Kammer dies nicht erkennbar berücksichtigt hat, ist ihre Würdigung unvollständig und deshalb ermessensfehlerhaft.
c) Zwar vermochte die Kammer auch keine ‚besonderen Umstände‘ im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB festzustellen. Es ist jedoch nicht ausge- schlossen, dass die Kammer auch insoweit ‚besondere Umstände‘ namentlich in der Person des Angeklagten festgestellt hätte, wenn sie die möglichen Auswirkungen einer unter strengen Auflagen zur Bewährung ausgesetzten Strafe bedacht hätte, zumal das Gericht seine negative Wertung insoweit ganz entscheidend auf die unveränderten Lebensumstände gestützt hat (UA S. 25). Es ist anerkannt, dass zu den nach § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigenden Umständen auch solche gehören können, die schon für die Prognose nach Abs. 1 zu berücksichtigen waren (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2009, 2 StR 520/09 m.w.N.) und die Erwartung, der Angeklagte werde sich künftig straffrei führen, auch für die Beurteilung, ob ‚be- sondere Umstände‘ vorliegen, von Bedeutung ist (Senat, Beschluss vom 21. September 2006, 4 StR 323/06). Über eine eventuelle Aussetzung der verhängten Strafe zur Bewäh- rung ist daher neu zu befinden.“
4
Dem schließt sich der Senat an. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Ergänzende Feststellungen des neu zur Entscheidung berufenen Tatrichters dürfen den bisherigen nicht widersprechen.
Sost-Scheible Franke Mutzbauer
Bender Quentin

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.