Bundesgerichtshof Beschluss, 26. März 2015 - 2 StR 539/14

26.03.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 5 3 9 / 1 4
vom
26. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Körperverletzung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. März 2015 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 9. September 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Strafaussetzung zur Bewährung abgesehen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer Kör1 perverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnte der 20 Jahre alte
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Angeklagte zur Tatzeit bei seiner Mutter, während sein Vater ein eigenes Haus bewohnte. Der Angeklagte litt an einer Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und schizoiden Anteilen sowie einer Störung des Sozialverhaltens. Am 23. Dezember 2013 stritt er sich während einer Autofahrt mit seinem Vater um die Auszahlung von Kindergeld. Der Vater gab ihm zu verstehen, dass er sich aus den finanziellen Angelegenheiten der Eltern herauszuhalten habe. Dies empfand der Angeklagte als Demütigung. Er beschloss sich zu rächen. Dazu bastelte er sich ein Messer, packte eine Sprühdose mit Raumspray, eine Zeltstange, einen Wischlappen, ein Feuerzeug, Essig-Essenz und eine chlorhaltige Reinigungsflüssigkeit sowie eine leere Flasche zusammen, nahm außerdem in einem Rucksack eine Matte, einen Schlafsack, eine Wolldecke, eine Thermoskanne, Lebensmittel und Bekleidungsstücke mit und begab sich zum Haus des Vaters. Dort mischte er Essig-Essenz und Chlorreiniger in der Flasche zusammen, so dass Chloroform entstehen sollte. Damit wollte er seinen ihm körperlich überlegenen Vater im Schlaf betäuben, um ihm anschließend mit dem Messer so die Unterschenkel zu zerschneiden, dass er nicht mehr gehen könne. Dadurch sollte der Vater arbeitsunfähig werden. Gegen 03.15 Uhr am 31. Dezember 2013 verschaffte sich der Ange3 klagte, der sich maskiert und einen Spanngurt um eine Hand geschlungen hatte , Zutritt zum Haus des Vaters und begab sich zu dessen Schlafzimmer. Sein Versuch, den schlafenden Vater mit dem flüssigkeitsgetränkten Wischlappen zu betäuben, schlug fehl. Den anschließenden Angriff des Angeklagten mit dem Raumspray, das er direkt in das Gesicht des Vaters sprühte und anschließend mit einem Feuerzeug zu entzünden versuchte, konnte der inzwischen wach gewordene Vater abwehren, indem er die Bettdecke vor sein Gesicht hielt. Nach einem Gerangel, bei dem der Vater eine Schürfwunde davontrug, konnte dieser den Angeklagten überwältigen.
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Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte sei bei der Begehung der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt gewesen. Die schizoide Persönlichkeitsstörung habe sich darauf nicht ausgewirkt.

II.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne von § 349
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Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und die verhängte Jugendstrafe richtet. Jedoch begegnet die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat ausgeführt, eine "Phase des Wohlverhaltens" habe
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der Angeklagte durch die Tat beendet. Angesichts der komplexen Persönlichkeitsproblematik sei von einer ungünstigen Legalprognose auszugehen. Befinde er sich in Freiheit, so sei mit Körperverletzungsdelikten, aber auch mit sexuell aggressiven Verhaltensweisen zu rechnen. Frühere Übergriffe seien vor allem durch Gewalt- und Sexualfantasien verursacht worden. Es sei zu befürchten , dass es künftig zu ähnlichen, vor allem sexuell getönten oder sadistischen Handlungen gegenüber Frauen, kommen werde. Diese Ausführungen sind nicht nachzuvollziehen, weil das Landgericht
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die früheren Übergriffe nicht beschrieben und die Annahme von Gewalt- und Sexualfantasien sowie deren Inhalt nicht erläutert hat. Zwei Strafverfahren wegen Körperverletzung und Beleidigung sind nach § 45 JGG beziehungsweise § 47 JGG ohne förmliche Sanktion beendet worden. Feststellungen zu den dort zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen hat das Landgericht nicht getroffen. Ein Verfahren wegen Verbreitung pornographischer Schriften ist gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt worden. Auch zu dessen Gegenstand hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen. Die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, die sich möglicherweise auf diese Vorfälle be- ziehen, hat die Jugendkammer im Urteil nicht erläutert. Danach kann der Senat nicht prüfen, ob aus dem bisherigen Verhalten des nicht vorbestraften Angeklagten der behauptete Grund zur Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Gewalthandlungen rechtsfehlerfrei angenommen wurde. RiBGH Dr. Appl ist Krehl Eschelbach an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Ott Zeng

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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 45 Absehen von der Verfolgung


(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen. (2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits dur

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 47 Einstellung des Verfahrens durch den Richter


(1) Ist die Anklage eingereicht, so kann der Richter das Verfahren einstellen, wenn 1. die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen,2. eine erzieherische Maßnahme im Sinne des § 45 Abs. 2, die eine Entscheidung durch Urteil entbehrl

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.

(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.

(1) Ist die Anklage eingereicht, so kann der Richter das Verfahren einstellen, wenn

1.
die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen,
2.
eine erzieherische Maßnahme im Sinne des § 45 Abs. 2, die eine Entscheidung durch Urteil entbehrlich macht, bereits durchgeführt oder eingeleitet ist,
3.
der Richter eine Entscheidung durch Urteil für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine in § 45 Abs. 3 Satz 1 bezeichnete Maßnahme anordnet oder
4.
der Angeklagte mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist.
In den Fällen von Satz 1 Nr. 2 und 3 kann der Richter mit Zustimmung des Staatsanwalts das Verfahren vorläufig einstellen und dem Jugendlichen eine Frist von höchstens sechs Monaten setzen, binnen der er den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nachzukommen hat. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Kommt der Jugendliche den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nach, so stellt der Richter das Verfahren ein. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden.

(2) Die Einstellung bedarf der Zustimmung des Staatsanwalts, soweit er nicht bereits der vorläufigen Einstellung zugestimmt hat. Der Einstellungsbeschluß kann auch in der Hauptverhandlung ergehen. Er wird mit Gründen versehen und ist nicht anfechtbar. Die Gründe werden dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind.

(3) Wegen derselben Tat kann nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel von neuem Anklage erhoben werden.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.