Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Mai 2018 - 2 StR 132/18

bei uns veröffentlicht am16.05.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 132/18
vom
16. Mai 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Nötigung
ECLI:DE:BGH:2018:160518B2STR132.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Mai 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten Nötigung in drei Fällen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Urteilsfeststellungen berührte der Angeklagte am 24. August 2016 in einem Schwimmbad mehrere Mädchen im Alter zwischen elf und 14 Jahren, indem er ihnen jeweils kurzzeitig unter Wasser an den Oberschenkel griff und versuchte, seine Hand in Richtung der Genitalien zu bewegen (Geschädigte B. ), versuchte, sie zu umklammern und ihnen an den Oberschenkel zu greifen (Geschädigte L. und B. ) bzw. sie umarmte und an sich zog (Geschädigte E. ). Darüber hinaus tauchte er zwischen den Beinen eines der Mädchen hindurch, ohne dass hierzu genauere Feststellun- gen getroffen werden konnten. Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der an einem schizophrenen Residuum leidende Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung „nicht oder wesentlich weniger in der Lage gewesen sei, den Tatanreizen Widerstand entgegen zu setzen“ und seine Steuerungsfähigkeit daher erheblich eingeschränkt oder sogar – jedenfalls nicht ausschließbar – ganz aufgehoben gewesen sei.
3
2. Der Maßregelausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Der erforderliche symptomatische Zusammenhang besteht, wenn der festgestellte, für die Schuldfähigkeit bedeutsame Zustand des Täters für die Anlasstat kausal geworden ist, wobei Mitursächlichkeit genügt (BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 658/16, NStZ-RR 2017, 272 f.). In den Urteilsgründen ist darzulegen, wie sich die festgestellte psychische Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, juris Rn. 11; Beschluss vom 26. Juli 2016 – 3 StR 211/16, R&P 2016, 268 f.; Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76; Senat, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
5
b) Das Landgericht hat den für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzten symptomatischen Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der psychischen Erkrankung des Angeklagten nicht tragfähig belegt.
6
aa) Dem Sachverständigen Dr. Ba. folgend ist es davon ausgegangen , dass der Angeklagte an einer „schizophrenen Spektrumserkrankung“ nach ICD-10: F20 leidet, die sich – in Ermangelung feststellbaren Wahnerlebens – als ein „schizophrenes Residuum“ (ICD-10: F20.5) darstelle. Die beim Angeklagten zu beobachtende „ausgeprägte Negativsymptomatik“ sei durch eine affektive Nivellierung, eine Simplifizierung der Gedankengänge, durch Apathie, Sprachverarmung sowie „ein Gedankenabreißen und bisan die Zerfahrenheit […] heranreichende[n] assoziative Lockerungen“ gekennzeichnet und das Störungsbild durch eine starke emotionale Nivellierung und „Versandung der Persönlichkeit“ des Angeklagten geprägt. Nach den Ausführungen desSach- verständigen setze die Diagnose eines schizophrenen Residuums wenigstens eine eindeutige psychotische Episode voraus; angesichts eines biographisch beschriebenen „Leistungsknicks“ könne eine Erstepisode zu Studienzeiten „unterstellt“ werden. Abweichend von den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Ba. hat das Landgericht die Angaben des Angeklagten, die Mädchen im Schwimmbad hätten ihn gestisch und mimisch zur Kontaktaufnahme aufgefordert , nicht als ein „paranoides Uminterpretieren von Begebenheiten“ gedeutet, welches „die Charakteristik einer paranoid-halluzinatorischen Symptomatik in sich trage“;vielmehr ist es zu der Überzeugung gelangt, dass diese Äußerung eine erdachte Rechtfertigung des Angeklagten für sein Handeln sei. Insoweit hat das Landgericht auf die Ausführungen der Sachverständigen Dr. Eu. verwiesen, die den Angeklagten während der vorläufigen Unterbringung behandelte und während der mehrmonatigen Dauer der Unterbringung keinerlei Wahnerleben festzustellen vermochte. Auf der Grundlage beider sachverständiger Ausführungen ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte zur Tatzeit aufgrund der „Versandung“ seiner Persönlichkeit in seiner Fähigkeit, seiner (sexuellen) Begierde etwas entgegen zu setzen, erheblich eingeschränkt gewesen sei.
7
bb) Damit ist der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem zum Tatzeitpunkt bestehenden psychischen Defekt und den Anlasstaten nicht tragfähig belegt. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung den Tatanreizen wesentlich weniger oder gar keinen Widerstand entgegen setzen konnte, erscheint dies insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass das Landgericht den sachverständigen Ausführungen des Dr. Ba. nicht gefolgt ist, wonach der Angeklagte sich durch Mimik und Gestik der Mädchen zur Kontaktaufnahme aufgefordert fühlte, nicht nachvollziehbar und entbehrt in Ermangelung näherer, die soziale Leistungsfähigkeit des Angeklagten und die Einschränkungen in der Affektregulation umfassend in den Blick nehmenden Ausführungen einer tragfähigen Tatsachengrundlage.
8
Bei dieser Sachlage kann dahin stehen, dass die beschriebenen Symptome des psychischen Defekts in einem nicht aufgelösten Spannungsverhältnis zum Verhalten des Angeklagten während des Tatgeschehens sowie zu den – etwa durch die Bezugsbetreuerin des Angeklagten beschriebenen – sonstigen Aktivitäten des Angeklagten stehen.
9
3. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf – naheliegender Weise unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung.
10
Mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeits- prognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten ergeben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2018 – 5 StR 54/18, juris Rn. 7). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13, BeckRS 2013, 21437).
11
Der Senat sieht von der Aufrechterhaltung der für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen ab, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt eine neue und widerspruchsfreie Sachentscheidung zu ermöglichen. Schäfer Krehl Bartel Grube Schmidt

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 658/16
vom
9. Mai 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:090517U1STR658.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Mai 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung – , Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – , Rechtsanwältin – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 9. August 2016 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB abgelehnt. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.
2
Das Rechtmittel hat weitgehend Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der Beschuldigte leidet jedenfalls seit 2013 an einer wahnhaften Störung (ICD-10 F 22.0) mit Verfolgungs-, Vergiftungs- und Größenwahn. Krankheitsbedingt zog er sich weitgehend sozial isoliert in seine damalige Wohnung zurück. Dort entwickelte der Beschuldigte „Konzepte“, u.a. für eine „vertikale Windenergieanlage“, die er an Investoren veräußern wollte. Als Ausfluss seines Verfolgungswahns bildete sich bei ihm die Überzeugung, dass Mitglieder einer von ihm als „Organisation“ bezeichneten Gruppe seine „Konzepte“ ausspionie- ren wollten.
5
Am Tattag im Juli 2015 befand der Beschuldigte sich in einer akuten wahnhaften Phase. Es hatte sich bei ihm die Überzeugung gebildet, dass er nunmehr von Mitgliedern der „Organisation“ nicht lediglich über das Internet ausspioniert, sondern tatsächlich verfolgt würde. Um sich dieser Verfolgung und Bedrohung zu entziehen, wandte sich der Beschuldigte zweimal in kurzem zeitlichen Abstand an die Beamten einer Polizeidienststelle mit dem Wunsch, ihn in „Schutzhaft“ zu nehmen. Dies wurde abgelehnt, weil die Beamten die vom Beschuldigten angegebene Bedrohung durch Personen, die ihn von einem gegenüber der Dienststelle gelegenen Café aus beobachten würden, nicht ausmachen konnten.
6
Da der Beschuldigte sich krankheitsbedingt weiterhin durch Mitglieder der „Organisation“ verfolgt wähnte, verschaffte er sich Einlass in ein teilsge- werblich und teils zu Wohnzwecken genutztes Haus. Er hatte den Entschluss gefasst, dieses in Brand zu setzen, damit die deshalb eintreffenden Einsatzkräfte ihn retten und so dem Zugriff der „Organisation“ entziehen würden. In Umsetzung dieses Plans beschädigte er im Keller des Anwesens zunächst ei- nen Gaszähler so, dass Gas ausströmte. Dieses entzündete er mittels eines Feuerzeugs. Es entstand jedoch erwartungswidrig lediglich eine Stichflamme. Ein Übergreifen auf Gegenstände im Keller oder das Gebäude selbst blieb aus.
7
Anschließend ließ der Beschuldigte aus einem vorgefundenen Kanister Benzin im Keller auslaufen und entzündete das Benzin wiederum mit dem Feuerzeug. Wie von ihm beabsichtigt, breitete sich das Feuer im Keller des Hauses rasch aus; u.a. wurden eine dort befindliche Holztür vom Feuer erfasst und elektrische Versorgungsleitungen zerstört. Der Brand weitete sich auch über den Kellerbereich hinaus aus und erreichte u.a. das hölzerne Treppengeländer der zum ersten Obergeschoss führenden Treppe. Sogar der Dachstuhl wurde derart stark verrußt, dass Sanierungsbedarf entstand. Hätte der Brand nicht durch die Feuerwehr gelöscht werden können, wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Übergreifen des Feuers sowohl auf das gesamte Treppenhaus als auch den Dachstuhl gekommen. Es entstand ein Sachschaden von insgesamt rund 180.000 Euro.
8
Während des Brandgeschehens hielt sich der Beschuldigte im Keller versteckt. Dabei erlitt er eine schwere Rauchvergiftung. Aufgrund der vom Landgericht als krankhafte seelische Störung i.S.v. § 20 StGB gewerteten wahnhaften Störung war die Fähigkeit des Beschuldigten, das Unrecht seines Handelns einzusehen, nicht ausschließbar vollständig aufgehoben. Nach der Wertung des Tatgerichts ist der Beschuldigte krankheitsbedingt davon ausgegangen , sich in einem rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstand zu befinden. Deshalb habe ihm die Unrechtseinsichtsfähigkeit – nicht ausschließbar – gefehlt.
9
2. Das Landgericht hat die Anlasstat als schwere Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit Sachbeschädigung (§ 303 StGB) gewertet. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nicht angeordnet worden. Es fehle bereits an dem von § 63 StGB vorausgesetzten „länger andauernden Zustand“. Darüber hinaus hat das Land- gericht auch die erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Beschuldigte in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, nicht anzunehmen vermocht. Es bestehe lediglich die Möglichkeit zukünftiger Verwirklichung solcher Delikte.

II.

10
Das Urteil hält materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
Die Ablehnung der Maßregelanordnung gemäß § 63 StGB weist durchgreifende Bedenken auf. Auf der Grundlage der getroffenen tatgerichtlichen Feststellungen erweisen sich die zur Verneinung der Unterbringungsvoraussetzungen angeführten Gründe als rechtsfehlerhaft.
12
1. Das Landgericht ist zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass eine Unterbringung gemäß § 63 StGB lediglich dann in Frage kommt, wenn eine länger andauernde Beeinträchtigung der geistigen oder seelischen Gesundheit vorliegt, vorübergehende Defekte dagegen nicht ausreichen (BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341; Beschluss vom 29. August 2012 – 4 StR 205/12, NStZ-RR 2012, 367; MükoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 63 Rn. 31 mwN). Die Erwägungen, mit denen es einen länger andauernden Zustand verneint hat, gehen jedoch von einem fehlerhaften Verständnis dessen aus und halten rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand.
13
a) Für einen länger andauernden Defekt als solchen kommt es nicht da- rauf an, ob die Anlasstat in einer „Ausnahmesituation“ (UA S. 13)des über einen längeren Zeitraum an einer für die Schuldfähigkeit bedeutsamen psychischen Störung leidenden Täters erfolgt. Ein länger dauernder Zustand verlangt keine ununterbrochene Befindlichkeit. Entscheidend und für die Maßregelanordnung ausreichend ist vielmehr, dass der Zustand der Grunderkrankung länger andauert, sofern er dazu führt, dass schon alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können (vgl. BGH, Urteile vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 375 f., juris Rn. 32; vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, BGHR StGB § 63 Ablehnung 2, juris Rn. 17 und vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15, juris Rn. 25; Beschlüsse vom 14. Januar 2009 – 2 StR 565/08, NStZ-RR 2009, 136, juris Rn. 9; vom 21. November 2012 – 4 StR 257/12, juris Rn. 7 und vom 21. Juni 2016 – 4 StR 161/16, juris Rn. 10 [NStZ-RR 2017, 108 nur redaktioneller Leitsatz] jeweils mwN). Das Erfordernis des länger andauernden Defekts resultiert aus dem Zweck der Maßregel des § 63 StGB, den an einer andauernden Störung leidenden Straftäter zu heilen oder ihn zumindest bei diesem Zustand zu pflegen , selbst wenn die Behandlung mit dem Ziel der Heilung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 1986 – 3 StR 274/86, BGHR StGB § 63 Zustand 1). Ist der Defektzustand lediglich vorübergehender Natur, ist der mit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbundene erhebliche Eingriff in das Freiheitsrecht dagegen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
14
b) Die getroffenen Feststellungen belegen das Bestehen eines länger andauernden Defekts im vorgenannten Sinne bei dem Beschuldigten. Dieser litt bereits ab dem Jahr 2013, mithin rund zwei Jahre vor der Anlasstat, an einer wahnhaften Störung. Diese zeigte sich sowohl in Verfolgungs- und Vergiftungswahn als auch in Größenwahn (UA S. 4). Letzterer drückte sich ausweislich des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe in der Überzeugung des Beschuldigten aus, wirtschaftlich erfolgreich zu vermarktende „Konzepte“ wie etwa eine „vertikale Windenergieanlage“ entwickeln zu können. Der Verfol- gungswahn bezog sich zunächst auf das Ausspionieren seiner Pläne durch die „Organisation“ über das Internet und spitzte sich im Tatzeitraum in der Vorstellung konkreter persönlicher Verfolgung durch Mitglieder der „Organisation“ zu (vgl. UA S. 4 und 5). Wie das Landgericht festgestellt hat, ist der Beschuldigte nach wie vor sowohl von der Existenz der „Organisation“ als auch davon überzeugt , dass diese weiterhin hinter seinen „brillanten Ideen her wären“ (UA S. 14). Damit beschreibt das Tatgericht das Bestehen eines über einen Zeitraum von wenigstens drei Jahren bestehenden Wahnsystems, das als wahnhafte Störung gemäß ICD-10 F 22.0 klassifiziert ist.
15
Bei dem Beschuldigten ist aus den dargelegten Gründen eine bereits seit mehreren Jahren bestehende wahnhafte Störung gegeben, die behandlungsbedürftig ist (UA S. 14). Auch wenn das Landgericht einen konkreten Anlass für die (angebliche) „Ausnahmesituation“ nicht hat aufzuklären vermocht, legen die getroffenen Feststellungen einen Zustand des Beschuldigten nahe, bei dem in dem vorgenannten Sinne alltägliche Ereignisse, etwa die Wahrnehmung von Besuchern eines Cafés als vermeintliche Verfolger, eine Anlasstat auslösen können, bei der die Schuldfähigkeit wenigstens erheblich eingeschränkt ist.
16
2. Sollte das Landgericht – entgegen dem Wortlaut derUrteilsgründe – nicht das Vorliegen einer länger andauernden Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit, sondern den ebenfalls erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Zustand und der Anlasstat verneint haben, wäre dies ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei. Dieser symptomatische Zusammenhang be- steht, wenn der festgestellte, für die Schuldfähigkeit bedeutsame Zustand des Täters kausal für die Anlasstat geworden ist (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2011 – 4 StR 654/10, WuM 2011, 295 f. und vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725 f.), wobei Mitursächlichkeit genügt (van Gemme- ren aaO § 63 Rn. 47 mwN).
17
Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen konnte eine solche kausale Verknüpfung zwischen der wahnhaften Störung des Beschuldigten in ihrer konkreten Ausprägung und der Begehung der Brandstiftungstat nicht verneint werden. Denn das Verursachen des Feuers diente gerade dazu, Rettungskräfte zum Einsatz zu veranlassen, weil der Beschuldigte von diesen erwartete, gerettet zu werden, um dadurch der vermeintlichen Verfolgung durch Mitglieder der „Organisation“ zu entkommen (UA S. 5).
18
3. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung weiterer erheblicher Straftaten des Beschuldigten – entgegen der Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen – verneint hat, halten revisionsrechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand.
19
a) Zwar hat das Landgericht, im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden , angenommen, eine Unterbringung gemäß § 63 StGB dürfe nur erfolgen , wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, juris Rn. 9 mwN). Die zur Beurteilung dieser Voraussetzung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm began- genen Anlasstat(en) zu entwickeln (BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13, NStZ-RR 2014, 42; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15 und vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724; Urteile vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16, juris Rn. 15 und vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, juris Rn. 10) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, juris Rn. 10). Dabei hat der Tatrichter die für die Entscheidung über die Unterbringung maßgeblichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzulegen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, juris Rn. 3 aE; vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, juris Rn. 9 und vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, juris Rn. 10; siehe auch Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN).
20
b) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
21
Das Landgericht hat nicht sämtliche von ihm festgestellten prognoserelevanten Umstände in die Gefährlichkeitsprognose eingestellt. Es hat eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades der zukünftigen Begehung erheblicher Straftaten vor allem deshalb verneint, weil nicht festzustellen gewesen sei, aus welchem Grund der Beschuldigte in die zur Begehung der Anlasstat führende „Ausnahmesituation“ geraten war (UA S. 15).Angesichts dessen spreche gegen die zukünftige Gefährlichkeit, dass der Beschuldigte bereits seit wenigstens zwei Jahren vor der Anlasstat an der wahnhaften Störung gelitten und sozial isoliert in L. gelebt habe, ohne dass es zur Begehung einer Straftat gekommen sei. Damit knüpft das Landgericht insoweit zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend an die indizielle Bedeutung längerer Phasen trotz vorhandenen psychischen Defekts ausgebliebener Straftatbegehung an (siehe nur BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337 f.; Urteil vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ 2015, 387, 388). Im Rahmen der gebotenen umfassenden Würdigung der prognoserelevanten Umstände nimmt es aber nicht erkennbar in den Blick, dass sich ausweislich der Urteilsgründe die konkrete Erscheinungsform jedenfalls des Verfolgungswahns des Beschuldigten im Verlaufe der Zeit erheblich verändert hat. Umfasste der Wahn zunächst lediglich die Vorstellung, die „Organisation“ würde seine „Konzepte“ über das Internet ausspionieren, glaubte er sich (spätestens) ab dem der Tat vorausgehenden Tag von Mitgliedern der „Organisation“ unmittelbar persönlich verfolgt und bedroht (UA S. 4). Von der Existenz der „Organisation“ und Zugehörigkeit sehr vieler Personen zu ihr, ist der Beschuldigte weiterhin ebenso überzeugt wie davon, die Mitglieder der „Organisation“ wollten weiterhin an seine „brillanten Ideen“ gelangen (UA S. 14). Ob der Beschuldigte auch zukünftig, jedenfalls für den Fall der geplanten Rückkehr in seine L. er Wohnung (UA S. 15), seine Verfolgung fürchtet, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Die Gefährlichkeitsprognose ist daher nicht aus einer umfassenden Gesamtwürdigung entwickelt worden.
22
c) Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Begehung zukünftiger erheblicher Straftaten durch den Beschuldigten ist auch nicht aus anderen Gründen von vornherein ausgeschlossen. Abgesehen von dem Fortbestehen der Wahnvorstellungen fehlt es bei ihm an jeglicher Krankheitseinsicht. Er verweigert zudem die Einnahme der ärztlicherseits für erforderlich gehaltenen Medikamente (UA S. 14). Die psychiatrische Sachverständige ist von einer „hohen Rückfallge- schwindigkeit“ für die Begehung der Anlasstat gleichartiger Taten ausgegan- gen, wenn der Beschuldigte wieder in eine soziale Isolation gerate, wie in den Jahren vor der Anlasstat. Wie sich aus der Beweiswürdigung des Landgerichts ergibt, plant der Beschuldigte, in die Wohnsituation zurückzukehren, aus der heraus es zu der Zuspitzung seiner Wahnvorstellungen, insbesondere seines Verfolgungswahns, gekommen ist.
23
4. Angesichts des Gewichts der möglichen zukünftigen Straftaten (schwere Brandstiftung) wäre die Anordnung der Maßregel des § 63 StGB auch nicht von vornherein unverhältnismäßig. Das angefochtene Urteil beruht damit auf den dargelegten Rechtsfehlern.
24
5. Diese führen zur Aufhebung der getroffenen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Geschehen der Anlasstat.
25
a) Von der Aufhebung nicht betroffen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO) sind die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen der Anlasstat. Diese können ausnahmsweise bestehen bleiben, weil sie auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten beruhen. Die teilweise Aufrechterhaltung bedingt die Verwerfung der weitergehenden Revision der Staatsanwaltschaft.
26
b) Der neue Tatrichter wird sorgfältig zu prüfen haben, ob – wovon die psychiatrische Sachverständige ausgegangen ist – krankheitsbedingt die Steuerungsfähigkeit sicher (zumindest) erheblich eingeschränkt war oder die Einsichtsfähigkeit vollständig aufgehoben war, was das Landgericht nicht auszuschließen vermocht hat. Der Senat weist darauf hin, dass eine Unterbringung gemäß § 63 StGB lediglich dann rechtlich zulässig ist, wenn die Anlasstat im Zustand sicher wenigstens erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen worden ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 4 StR 161/16, juris Rn. 10 [NStZ-RR 2017, 108 nur redaktioneller Leitsatz]) und es für die Gefährlichkeitsprognose regelmäßig der Klärung bedarf, ob die Einsichtsfähigkeit oder die Steuerungsfähigkeit in relevanter Weise beeinträchtigt war (BGH, Beschluss vom 23. März 2001 – 3 StR 59/01, juris Rn. 6).
27
Im Rahmen der jeweils auf den Zeitpunkt der tatrichterlichen Hauptverhandlung zu beziehenden Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2010 – 5 StR 243/10, NStZ-RR 2011, 41, 42; van Gemmeren aaO § 63 Rn. 61 mwN) wird die bis dahin eingetretene Entwicklung bei dem Beschuldigten , vor allem hinsichtlich der wahnhaften Störung und ihrer eventuellen Behandlung sowie der sonstigen prognoserelevanten Lebensumstände, ebenso in den Blick zu nehmen sein wie bei Vorliegen der dafür gemäß § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB auch erforderlichen „besonderen Umstände“ eine Aussetzung des Vollzugs der Maßregel.
Raum Cirener Radtke Fischer Bär
11
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 6. Juli 2016, BGBl. I 1610). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 - 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 211/16
vom
26. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:260716B3STR211.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 25. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte am 4. Juni 2013 der Geschädigten, seiner damaligen Lebensgefährtin, in der gemeinsamen Wohnung mit einer Kleiderstange gegen deren Arme, Beine und Hinterkopf. Im Anschluss hieran erwirkte die Geschädigte eine einstweilige Anordnung, nach der es dem Angeklagten untersagt war, sich der Geschädigten zu nähern oder sonst mit ihr in Kontakt zu treten. Trotz Kenntnis von diesen Verboten nahm der Angeklagte danach in der Zeit bis zum 26. September 2013 in insgesamt 23 Fällen Kontakt zu der Geschädigten auf. In einem dieser Fälle äußerte er am Telefon, er werde das Haus der Zeugin und ihres Vaters anzünden , wenn er die Kinder nicht sehen dürfe. In einem weiteren Fall trat oder schlug er, einen Schreckschussrevolver in der Hand haltend, gegen die Hauseingangstür und schrie: "Komm raus, sonst bring' ich Dich um!"
3
Die - sachverständig beratene - Strafkammer hat angenommen, der Angeklagte sei bei allen Taten wegen einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen. Er habe die wahnhafte Vorstellung entwickelt, der seinerzeit dreijährige Sohn der Geschädigten trage die Schuld an einer Fehlgeburt der Geschädigten und habe somit sein ungeborenes Kind getötet. Aufgrund der Art seiner Einlassung stehe fest, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten während der Taten aufgehoben gewesen sei. Zudem wäre er nicht in der Lage gewesen, sein Handeln selbst bei vorhandener Unrechtseinsicht zu steuern.
4
1. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn unter anderem zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne einer der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76; vom 21. Juni 2016 - 5 StR 214/16, juris Rn. 4).
6
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht; diese belegen einen für die festgestellten Straftaten ursächlichen Zustand im Sinne des § 63 StGB nicht.
7
Zur Begründung der Annahme, der Angeklagte sei von Anfang Juni bis Ende September 2013 aufgrund der jeweils aktuell ausgeprägten wahnhaften Störung schuldunfähig gewesen, hat das Landgericht maßgeblich auf den Eindruck abgestellt, den der Angeklagte in den vom Sachverständigen mit ihm geführten Explorationsgesprächen im September 2015 und Januar 2016 sowie in der Hauptverhandlung im Februar 2016 gemacht hat. Aus dem geschilderten Verhalten erschließt sich aber nicht der Zustand des Angeklagten während des etwa zwei bis zweieinhalb Jahre zurückliegenden Tatzeitraums. Hierzu hätte es näherer Ausführungen bedurft, welche die Urteilsgründe nicht enthalten. Betreffend den Zustand des Angeklagten im Tatzeitraum hat das Landgericht wesentlich nicht auf eine psychotische Erkrankung, sondern den damaligen Alkoholund Drogenkonsum des Angeklagten abgestellt. In diesem Zusammenhang hat es dem Sachverständigen folgend ausgeführt, beim Angeklagten liege ein Missbrauch und eine Abhängigkeit von Drogen und Alkohol vor. Das Verhältnis zwischen diesem Befund und der diagnostizierten Wahnerkrankung zur Tatzeit wird durch die Urteilsgründe jedoch nicht näher dargelegt. Daneben hat das Landgericht lediglich pauschal ausgeführt, die Taten des Angeklagten stünden in ursächlichem Zusammenhang mit der bei ihm festgestellten wahnhaften Störung und der darauf beruhenden fehlenden Einsichtsfähigkeit sowie der fehlenden Selbstkontrolle. Auch dies genügt hier nicht. Eine nähere Begründung wäre insoweit u.a. deshalb erforderlich gewesen, weil nach der Aussage der Ge- schädigten diese und der Angeklagte sich gegen Ende des Jahres 2013, mithin nach den hier festgestellten Anlasstaten, wieder versöhnten, und in der Folgezeit erneut zusammen wohnten. Somit liegt es nicht fern, dass jedenfalls die Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz möglicherweise nicht auf die Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen, sondern maßgeblich von seiner Motivation getragen waren, die Beziehung mit der Geschädigten fortzusetzen. Mit diesem Gesichtspunkt hätte sich die Strafkammer auseinandersetzen müssen.
8
2. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I, S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann. Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 8; vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
9
3. Die Sache bedarf nach alldem neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei es sich empfehlen dürfte, einen neuen Sachverständigen hinzuzuziehen. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG voraussetzt, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt (BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13, BGHSt 59, 94). Das neue Tatgericht wird schließlich auch die Neufassung des § 63 StGB durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften (BGBl. I, S. 1610 f.) in den Blick zu nehmen haben, das am 1. August 2016 in Kraft treten wird.
Becker Schäfer Mayer
Spaniol Tiemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 265/15
vom
10. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:101115B1STR265.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26. März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten des Diebstahls in acht Fällen, davon in einem Fall versucht, in Tatmehrheit mit Computerbetrug in 16 tatmehrheitlichen Fällen, davon in drei Fällen versucht, unter Einbeziehung weiterer Strafen zu den Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und von zehn Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet der Angeklagte an „einer schizophrenen Psychose vom paranoid- halluzinatorischen Typ mit einer Wahn- und Residualsymptomatik, welche sein seelisches Gefüge tiefgreifend veränderte, die Sinngesetzlichkeit seiner seelischen Vorgänge und Handlungsabläufe zerriss und die Wirksamkeit seiner normalen rationalen Kontrollmechanismen aufhob“ (UA S. 4). Aufgrund dieser seit 2001 bekannten Erkrankung befand sich der Angeklagte regelmäßig in psychiatrischer Behandlung; er nimmt Medikamente ein. Alkohol konsumierte der Angeklagte bis zu seiner Inhaftierung gelegentlich und „spielte an Automaten , wenn er Geld zur Verfügung hatte“ (UA S. 4).
3
Im Zeitraum von März 2012 bis Juni 2014 entwendete der Angeklagte in sechs Fällen die Geldbörsen älterer Damen in Supermärkten und nahm anschließend mit den darin enthaltenen EC-Karten unter Verwendung der zugehörigen PIN-Nummer Abhebungen an nahegelegenen Geldautomaten vor oder versuchte dies. Feststellungen zum Zustand des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten hat das Landgericht nicht getroffen, in den Gründen des Urteils aber ausgeführt, dass „zwar kein Zusammenhang zwischen der Wahnsympto- matik und den Taten besteht, jedoch aufgrund der chronischen Residualsymptomatik der Schizophrenie die allgemeine Lebensbewältigung des Angeklagten stark eingeschränkt ist, was sich in allgemeiner Unbekümmertheit, Ziel- und Haltlosigkeit und mangelnder Kontrolle des Angeklagten über seine Handlun- gen auswirkt“ (UA S. 11). Vor diesem Hintergrund sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten erhalten, seine Steuerungsfähigkeit jedoch erheblich vermindert gewesen.

II.


4
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung deshalb nicht stand.
5
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts - oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15; Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170; vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 und vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Februar 2015 – 2 StR 420/14; vom 15. Juli 1997 – 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; Urteil vom 2. April 1997 – 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383).
6
Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften Zustand von einiger Dauer leidet. Das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Wahnsymptomatik und den Anlasstaten hat es jedoch abgelehnt und die bei dem Angeklagten krankheitsbedingt eingetretene Grundbeeinträchtigung in seiner Lebensführung als ausreichend für die Anordnung der Maßregel gehalten. Dies ist rechtsfehlerhaft (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei Psychosen aus dem Formenkreis der Schizophrenie etwa BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 und vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZRR 2012, 306, 307 jeweils mwN).
7
Das Landgericht war zur Begründung der Unterbringung gehalten, in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und weshalb zwischen dem Zustand des Angeklagten und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Hierauf konnte angesichts der äußeren Umstände des Falles nicht verzichtet werden. Anhand des Tatbilds ist nicht erkennbar , dass den Handlungen eine schizophrene Psychose vom paranoidhalluzinatorischen Typ zugrunde lag. Denn der Angeklagte lebte in beengten finanziellen Verhältnissen und verwendete das durch die Taten erlangte Geld zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Er war nach den getroffenen Feststellungen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg in der Lage, zu seinem Tatmuster passende Opfer sorgfältig auszuwählen und die jeweilige Tathandlung zielorientiert und unbemerkt auszuführen. In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten erheblich vermindert gewesen sein soll. Schließlich lässt auch die Feststellung, der Angeklagte habe an Spielautomaten gespielt, sobald er Geld zur Verfügung gehabt habe, eine rechtsfehlerhafte Anwendung des anzulegenden Maßstabs besorgen. Die Prüfung, ob in der Person und den Taten des Angeklagten letztlich nur Eigenschaften hervorgetreten sind, die sich im Rahmen des bei schuldfähigen Menschen regelmäßig anzutreffenden Ursachenspektrums für die Begehung von Straftaten halten oder ob die Taten auf einen psychischen Defekt zurückzuführen sind, ist dem Senat anhand der Urteilsgründe nicht möglich.
8
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Soweit das Landgericht in für das Revisionsgericht nicht nachprüfbarer Weise die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Anwendung des vertypten Strafmilderungsgrundes alle Einzelstrafen den jeweils gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gesenkten Strafrahmen der § 242 Abs. 1 StGB und § 263a Abs. 1 StGB entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2015 – 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138 und vom 23. Oktober 2007 – 4 StR 358/07, insoweit in NStZ-RR 2008, 70 nicht abgedr.). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen.

9
3. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird sich unter Heranziehung eines Sachverständigen erneut mit der Erkrankung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei der Begehung der Taten auseinanderzusetzen haben.
Graf Jäger Mosbacher
RinBGH Dr. Fischer ist erkrankt und daher an einer Unterschriftsleistung gehindert. Graf Bär

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

7
Mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstat ergeben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 5 StR 432/17). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13, NStZ-RR 2014, 89, und vom 26. Juli 2016 – 3 StR 211/16).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 349/13
vom
24. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 27. Juni 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die gegen die Unterbringung gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts zerrte der Angeklagte Mitte Januar 2013 die als Aufsicht in einer Spielhalle tätige Nebenklägerin an den Haaren und drückte ihren Kopf auf die Kassentheke. Unter dem Eindruck der schmerzhaften Einwirkungen entsprach diese seinem Verlangen nach Heraus- gabe von Geld und gab die offene Kassette mit dem Bargeld heraus. Der Angeklagte entnahm daraus 545 Euro; zudem steckte er das Mobiltelefon und die Zigaretten der Nebenklägerin ein. Nachdem er sich auch noch deren Führerschein hatte geben lassen, bedrohte er die Frau, deren Anschrift er ja nun kenne , mit dem Tode, falls sie die Polizei alarmiere, und verließ die Spielhalle.
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Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit seinem 26. Lebensjahr an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine langjährige Polytoxikomanie (ICD-10 F19) besteht, bei der Tatbegehung aufgehoben war. Von der zumindest erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit war sie ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig gleichartige Taten erneut begehen wird.
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2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforder- liche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
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b) Durch die angefochtene Entscheidung wird weder die vom Landgericht angenommene erhebliche Verminderung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tat hinreichend belegt. Die Feststellungen beschränken sich auf die Wiedergabe der Diagnosen und auf die Mitteilung, der Angeklagte sei immer wieder in psychiatrische Krankenhäuser eingewiesen worden und habe während einer seit Ende 2012 andauernden akut psychotischen Phase die notwendigen Psychopharmaka nicht mehr regelmäßig eingenommen (UA S. 7 und 8). Im Rahmen der Beweiswürdigung wird das Gutachten des Sachverständigen referiert. Danach habe es beim Angeklagten "im Tatvorfeld akustische Halluzinationen und auch Beeinträchtigungserleben gegeben". Der Angeklagte habe dem Sachverständigen "von Impulsdurchbrüchigkeit , Insomnie, Größenvorstellungen, Leichtfertigkeit ohne Risikoabwägung, Sprunghaftigkeit, Inkohärenz und Ideensturm berichtet". Von diesen "deutlichen Symptomen einer manischen Symptomatik" sei der Angeklagte "noch immer nicht vollständig entaktualisiert" (UA S. 12 und 13). Mit diesen im Allgemeinen verbleibenden Darlegungen ist nicht ausreichend erklärt, dass sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Tat sicher in einem Zustand erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit befand. Aus welchem Anlass und auf welcher Grundlage der Angeklagte eine gute Woche vor der Tat für eine Nacht in einem psychiatri- schen Krankenhaus "untergebracht" war, wird ebenso wenig erläutert wie das Erscheinungsbild und die Verhaltensweise des Angeklagten in der Hauptverhandlung. Zudem weist die Tat alle Anzeichen eines alltäglichen Raubüberfalls auf eine Spielhalle auf: Der Angeklagte wartete mit der Tatbegehung längere Zeit ab, bis sich in der Spielhalle neben ihm und dem Opfer keine weiteren Personen mehr aufhielten. Er nahm der Nebenklägerin das Mobiltelefon weg, um eine Information der Polizei zu verhindern, und verschaffte sich Kenntnis von den Personalien der Frau, um seine Drohung mit späterer Gewalt für den Fall der Unterrichtung der Polizei zu verstärken. Zur Motivation des Angeklagten enthält das Urteil keine Angaben. Damit bleibt auch offen, ob die Tat in einem inneren Zusammenhang mit der angenommenen psychischen Störung stand.
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c) Auch eine zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten ist nicht ausreichend dargetan. Das Landgericht hat sich insoweit dem Sachverständigen angeschlossen , der aufgrund einer "Gesamtschau der hier zusammentreffenden ungünstigen Faktoren wie brüchiger Kompliance, Doppeldiagnose mit Sucht, Fehlen eines Betreuers, Fehlen eines sozialen Unterstützungsnetzwerks und Gewaltbereitschaft als Krankheitssymptom" (UA S. 15) dem Anlassdelikt vergleichbare Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostiziert hat. Damit fehlt die notwendige umfassende Erörterung unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten. Seit dem Ausbruch der Erkrankung im Jahr 1996 ist der Angeklagte wenige Male zu geringen Geldstrafen verurteilt worden. Zweimal wurde auf eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr erkannt, die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die Strafe sodann jeweils erlassen. Zuletzt wurde der Angeklagte im Jahr 2000 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und Anfang 2013 wegen Diebstahls zu Geldstrafen verurteilt. Gegenstand und Hintergründe der Verurteilungen teilt das Landgericht ebenso wenig mit wie nähere Einzelheiten zu den im Jahr 2004 gegenüber der Ehefrau begangenen "Gewalttätigkeiten" und dem Ergebnis der daraufhin durchgeführten forensischpsychiatrischen Untersuchung. Damit stellt sich die verfahrensgegenständliche Tat jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen als das erste gravierende Delikt dar, für das sich der Angeklagte zu verantworten hatte. Angesichts der langen Zeitspanne, in der der Angeklagte bereits erkrankt ist, fehlt der Gefahrenprognose daher die erforderliche Tatsachenfundierung.
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3. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. KK-Gericke, 7. Aufl.; § 358 Rn. 24). Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhän- gen (vgl. BT-Drucks. 16/1344 S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 - juris; vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFo 2011,

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