Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Feb. 2017 - 1 StR 627/16
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. Februar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
a) im Schuldspruch hinsichtlich der Fälle I.1., II., III.2., III.3.b und III.3.c der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen ,
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, Anstiftung zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in vier Fällen sowie wegen versuchter Anstiftung zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamt- freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Gleichzeitig hat das Landgericht gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet.
- 2
- Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung des Verfahrens und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. Januar 2017 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 3
- Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 4
- 1. a) Am 24. August 2012 (Fall I.1. der Urteilsgründe) betreute der Angeklagte den vierjährigen B. in Absprache mit dessen Mutter in deren Wohnung. Während das Kind fest schlief, begab sich der Angeklagte zu dem schlafenden Kind, drehte es auf den Rücken und zog mit seiner Hand die Schlafanzughose nach unten, so dass dessen Penis zu sehen war. Anschließend schob er den Bund der Hose ein wenig nach oben, so dass sich der Penis auf dem dunklen Untergrund der Hose deutlich abhob. Davon fertigte der Angeklagte insgesamt mindestens 22 Bilder mit seiner Digitalkamera.
- 5
- b) Am 23. September 2012 (Fall I.2. der Urteilsgründe) war der Angeklagte für den dreijährigen P. in Absprache mit der Mutter in deren Wohnung als Betreuer tätig, während diese zur Arbeit ging. Der Angeklagte begab sich zu dem schlafenden Kind, zog dessen Schlafanzughose aus, so dass der Penis des Kindes vollständig zu sehen war. Anschließend legte er ei- nen Zettel mit der Aufschrift „J. “ neben den Unterleib des Kindes und fertigte insgesamt sechs Bilder mit seiner Digitalkamera. Danach hob der Angeklagte das Kind auf seine Knie und fertigte von hinten vom nackten Gesäß sowie vom erwachten, auf dem nackten Gesäß sitzenden und später vom vollständig ausgezogenen Kind weitere Bilder.
- 6
- 2. Unter Vortäuschung, er unterstützte eine Werbekampagne für Pflegeprodukte und suche dafür geeignete Kleinkinder, versuchte der Angeklagte, Kontakt zu den Eltern kleiner Jungen zu gewinnen. Unter dem Vorwand, er müsse die Eignung der Kinder für die Pflegeprodukte prüfen, wollte er sich nach seiner Vorstellung gefertigte Fotos mit sexuellen Handlungen an den Jungen schicken lassen, um sich hierdurch sexuelle Befriedigung zu verschaffen. In Ausführung dieses Tatentschlusses nahm der Angeklagte im Dezember 2013 (Fall II. der Urteilsgründe) per E-Mail Kontakt zu der Mutter des fast dreijährigen E. auf, die ihm mindestens drei Nacktbilder ihres Sohnes von vorne und von hinten schickte und nach weiterer Aufforderung des Angeklagten mindestens 31 weitere Bilder des Kindes, bei denen dieses u.a. nackt sitzend, auf dem Bauch liegend oder stehend abgebildet war.
- 7
- 3. Der Angeklagte entschloss sich unter Nutzung verschiedener auf ihn angemeldeter E-Mail-Adressen über Internetportale Personen zu kontaktieren, die in finanziellen Schwierigkeiten waren und einen privaten Kredit benötigten. Auf diese Weise wollte er insbesondere Mütter mit kleineren Kindern zum Fertigen von Bildern mit sexuellen Handlungen an Kindern und deren Übersendung an ihn gegen Aussicht auf Zahlung von Geld bringen.
- 8
- a) So nahm der Angeklagte am 24. Oktober 2015 (Fall III.1. der Urteilsgründe ) per E-Mail Kontakt mit der Mutter der zweijährigen L. auf, die ihm für die Vergabe eines Kleinkredits mindestens zwei Bilddateien ihrer Tochter zuschickte. Im weiteren Verlauf drohte der Angeklagte der Mutter mit einer An- zeige bei der Polizei und beim Jugendamt, um weitere Bilddateien mit sexuellen Handlungen an dem Kind zu fordern, und gab wahrheitswidrig an, nicht alleine zu handeln. Die Mutter sollte dabei auch Fotos machen, auf denen sie ihrer Tochter an das Geschlechtsteil fasst. Dem kam die Mutter nach und versandte weitere Bilder per E-Mail an den Angeklagten, auf denen der nackte Unterleib der Tochter mit gespreizten Beinen und dem Fokus auf die Schamlippen gerichtet zu sehen ist. Bei einem Teil der Bilder befindet sich der Zeigefinger der Mutter zwischen den Schamlippen des Kindes.
- 9
- b) Im Oktober 2015 (Fall III.2. der Urteilsgründe) kam es auf deren Anzeige im Internet hin zum Kontakt des Angeklagten per E-Mail mit der Mutter des siebenjährigen F. , wobei der Angeklagte dieser mindestens 300 Euro für Bilder ihres Sohnes anbot, die ihn unbekleidet und bei sexuellen Handlungen zeigen. Nach der ersten Übersendung von Bildern vom Gesicht und von Ausflügen ihres Sohnes durch die Mutter, bot der Angeklagte für 370 Bilder 1.000 Euro an, wenn er vom Sohn Nacktbilder in verschiedenen Posen bekomme. Dem kam die Mutter nach und schickte mindestens vier Bilder, die den Sohn dabei zeigen, wie dieser auf dem Rücken liegend mit einer Hand die Unterhose nach unten schiebt und mit der anderen Hand selbst an seinem Penis zieht.
- 10
- 4. Der Angeklagte meldete sich im August 2014 (Fall III.3.a der Urteilsgründe ) per E-Mail auf eine Anzeige für einen Kleinkredit in einem Internetportal bei der Mutter des dreijährigen S. und versprach dieser für Bilder ihres Sohnes nackt und in sexuellen Posen 1.000 Euro. Angelockt von dem Geld, fertigte die Mutter daraufhin, wie vom Angeklagten nach seinen Vorgaben gewollt , mindestens 170 Bilder von ihrem Sohn. Bei diesen Bildern berührte die Mutter u.a. den Penis ihres nackten Sohnes, zog den Schlüpfer nach unten und ließ das Kind die Beine spreizen, so dass sein nackter Penis in den Vorder- grund rückte. Nach Versendung der Bilder an den Angeklagten erfolgte, wie von diesem von Anfang an geplant, keine Bezahlung.
- 11
- Um weitere Bilder zu erhalten, drohte der Angeklagte (Fall III.3.b der Urteilsgründe) der Mutter in der Folge mit der Einschaltung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendamt, um diese dazu zu veranlassen, weitere Bilder von ihrem Kind in den gewünschten sexuellen Posen zu übermitteln. Um die Mutter in Angst um ihr Umgangsrecht mit den Kindern zu versetzen, forderte der Angeklagte von der Mutter binnen einer Frist von einem Tag die Zahlung von 30.000 Euro oder ersatzweise die Fertigung und Übermittlung weiterer kinderpornographischer Bilder von ihrem Sohn. Zu weiteren sexuellen Handlungen der Mutter gegenüber ihrem Sohn kam es jedoch nicht, da die Mutter selbst Anzeige bei der Polizei erstattete. Infolge seiner Festnahme hatte auch der Angeklagte keine Gelegenheit mehr, die Mutter zu kontaktieren und auf die Einhaltung des Ultimatums zu drängen.
- 12
- Nach seiner Entlassung aus der Haft gelang es dem Angeklagten im Oktober 2015 (Fall III.3.c der Urteilsgründe) an die neue Anschrift der Mutter des S. zu gelangen. Er drohte via Facebook und per E-Mail der Mutter mehrfach mit der Veröffentlichung der im Jahr 2014 von ihrem Sohn gefertigten Bilder , um sie so dazu zu veranlassen, weitere Nacktbilder sowie Bilder vom Geschlechtsteil ihres Sohnes nach seinen Vorgaben zu fertigen. Da sich die Mutter aber erneut an die Polizei wandte, die einen verdeckten Ermittler einschaltete , kam es in der Folge nur zu weiterem E-Mail-Kontakt mit dem verdeckten Ermittler, in der Annahme es handele sich um die Mutter. Eine Herstellung oder Übersendung von weiteren Bildern erfolgte aber nicht.
- 13
- 5. Der Angeklagte war bereits am 9. Februar 2004 vom Landgericht Hildesheim wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in achtzehn Fäl- len und sexuellen Missbrauchs in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden und befand sich unter vollständiger Verbüßung dieser Gesamtfreiheitsstrafe bis zum 26. Januar 2010 in Haft.
II.
- 14
- Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben - auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung des Angeklagten - aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 2. Januar 2017 näher dargelegten Gründen keinen Erfolg.
III.
- 15
- Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch in den drei Fällen I.2., III.1. und III.3.a der Urteilsgründe.
- 16
- In den übrigen fünf Fällen I.1., II., III.2., III.3.b und III.3.c der Urteilsgründe hat der Schuldspruch aber keinen Bestand und ist auf die Sachrüge hin aufzuheben. Auch der Rechtsfolgenausspruch weist durchgreifende Rechtsfehler auf und unterliegt insgesamt der Aufhebung.
- 17
- 1. Im Fall I.1. der Urteilsgründe ist der Schuldspruch wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern rechtsfehlerhaft, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 StGB nach den Feststellungen des Landgerichts nicht vorliegen.
- 18
- Als Tatbestandsvariante des § 176 Abs. 1 StGB kommt hier allein die Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind in Betracht. Das vom Landgericht festgestellte Drehen auf den Rücken und Herunterziehen der Schlafanzughose des Geschädigten, das in diesem Fall die einzige Handlung darstellt, bei der ein Körperkontakt mit dem Kind hergestellt wurde, erfüllt diese tatbestandlichen Voraussetzungen indes noch nicht. Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung "an" dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung führt nicht zu dem körperlichen Kontakt, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 3 StR 72/16, StV 2017, 39; Urteil vom 17. August 1988 - 2 StR 346/88, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 2; Beschlüsse vom 19. April 1990 - 3 StR 87/90, NStZ 1990, 490 und vom 17. Juli 1991 - 5 StR 279/91, NStE Nr. 8 zu § 178 StGB; Urteil vom 24. November 1993 - 3 StR 517/93, juris Rn. 17). Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 392/84), kann hier dahinstehen, da das Landgericht entsprechende Feststellungen nicht getroffen hat. Nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die auf Sinneslust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553 mwN). Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen und Drehen üblichen hinausgehen, ergeben die Feststellungen nicht. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184g Nr. 1 StGB aF bzw. § 184h Nr. 1 StGB nF nicht (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 3 StR 72/16, StV 2017, 39).
- 19
- 2. Der Schuldspruch in den Fällen II. und III.2. der Urteilsgründe wegen Anstiftung zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern kann keinen Bestand haben, da es zu keinem sexuellen Übergriff mit Körperkontakt im Sinne von § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB auf das jeweilige Kind kam, was für eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 176a Abs. 1 StGB erforderlich wäre.
- 20
- a) Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 11) wurden im Fall II. der Urteilsgründe vom geschädigten Kind lediglich Nacktbilder und Aufnahmen erstellt, in denen das Kind sexualisierte Posen einnimmt. Dass daneben an dem Kind auch sexuelle Handlungen vorgenommen wurden, ist den Feststellungen aber nicht zu entnehmen.
- 21
- b) Auch im Fall III.2. der Urteilsgründe (UA S. 13) belegen die Feststellungen des Landgerichts nur, dass das geschädigte Kind - entsprechend den Vorgaben des Angeklagten - dazu veranlasst wurde, im entkleideten Zustand unterschiedliche Posen einzunehmen, in denen das Kind von seiner Mutter fotografiert wurde. Soweit dabei auch ein Bild erstellt wurde, auf dem das geschädigte Kind mit einer Hand seine Unterhose nach unten schiebt und mit der anderen Hand an seinem Penis zieht, werden keine sexuellen Handlungen an dem Kind vorgenommen. Vielmehr führt das Kind allenfalls sexuelle Handlungen an sich selbst aus, was aber keine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 1 StGB, sondern allenfalls nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB zu begründen vermag. Damit fehlt es auch hier an einem Anknüpfungspunkt für den vom Landgericht vorgenommenen Schuldspruch nach § 176a Abs. 1 StGB.
- 22
- 3. Der Schuldspruch in den Fällen III.3.b und III.3.c der Urteilsgründe wegen versuchter Anstiftung zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern hat bereits aus rechtlichen Gründen keinen Bestand, weil das Landgericht die Bedeutung von § 28 Abs. 2 StGB bei der versuchten Anstiftung verkannthat.
- 23
- a) Für die rechtliche Einordnung der beabsichtigten Tat als Vergehen oder Verbrechen kommt es nicht nur für die vollendete, sondern auch für die im Sinne des § 30 StGB in Aussicht genommene Anstiftung nicht auf die Person des Anstifters, sondern auf diejenige des Anzustiftenden an (BGH, Urteile vom 4. Februar 2009 - 2 StR 165/08, BGHSt 53, 174 und vom 12. August 1954 - 1 StR 148/54, BGHSt 6, 308). Maßgeblich ist damit, ob die Tat - würde sie verwirklicht - nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 StGB für die Person des präsumtiven Haupttäters ein Verbrechen wäre. Von diesen durch die Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 12. August 1954 - 1 StR 148/54, BGHSt 6, 308) bereits zu § 49a StGB aF entwickelten Grundsätzen abzurücken, besteht auch für die Nachfolgeregelung des § 30 StGB keine Veranlassung. Für sie spricht vor allem auch der Wortlaut und der Strafgrund des § 30 StGB, der nicht gefährliche Täter, sondern besonders gefährliche Taten erfassen soll (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2009 - 2 StR 165/08, BGHSt 53, 174). Da der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts jeweils versuchte, die Mutter des Kindes zur Tat anzustiften, der aber das besondere persönliche Merkmal der Rückfalleigenschaft im Sinne des § 176a Abs. 1 StGB (LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176a Rn. 16; MüKo-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 176a Rn. 39 aE mwN) fehlte, liegt keine versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen vor.
- 24
- b) Im Übrigen belegen die bisherigen Feststellungen des Landgerichts auch in tatsächlicher Hinsicht nur, dass der Angeklagte die Mutter des Kindes im Fall III.3.b der Urteilsgründe dazu veranlassen wollte, "ihm weitere Bilder von ihrem Kind in sexuellen Posen zu übermitteln" (UA S. 14 f.). Auch im Fall III.3.c der Urteilsgründe sollten nur "weitere Nacktbilder sowie Bilder von dem Ge- schlechtsteil von S. nach seinen Vorgaben" (UA S. 15) gefertigt werden. Auf Grund dieser vom Angeklagten von der Mutter des Kindes angeforderten Bilder erschließt sich für den Senat auch nicht, dass die Anstiftungshandlungen des Angeklagten bei diesen beiden Fällen auf Taten nach § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB gerichtet waren.
- 25
- 4. Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen I.1., II., III.2.,III.3.b und III.3.c der Urteilsgründe hat auch den Wegfall der dafür verhängten Einzelstrafen zur Folge.
- 26
- Aber auch die in den übrigen Fällen I.2., III.1. und III.3.a der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen haben keinen Bestand. Obwohl das Landgericht bei allen Fällen auf Grund der Vorahndung des Angeklagten die Qualifikation des § 176a Abs. 1 StGB (Wiederholungstaten) bejaht hat, wurde im Rahmen der Strafzumessung rechtsfehlerhaft unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB die "einschlägige Vorstrafe und die damit verbundene sechseinhalbjährige Haftstrafe" (UA S. 33) nochmals strafschärfend berücksichtigt (BGH, Beschlüsse vom 26. August 2003 - 1 StR 344/03, NStZ-RR 2004, 71 und vom 13. September 2001 - 3 StR 269/01, NStZ 2002, 198).
- 27
- Damit entfallen auch der Gesamtstrafenausspruch sowie die Anordnung der Sicherungsverwahrung. In Bezug auf Letztere lässt sich nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die Rechtsfehler zu den Schuld- und Strafaussprüchen zu einer anderen Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen gelangt wäre.
- 28
- 5. Die zu Grunde liegenden Feststellungen in den Fällen I.1., II., III.2., III.3.b und III.3.c der Urteilsgründe werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen.
IV.
- 29
- Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgende Punkte hin:
- 30
- 1. Im Fall III.2. der Urteilsgründe kommt eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB in Betracht, soweit von Seiten des Angeklagten auch subjektiv entsprechende Bilder mit sexuellen Handlungen des Kindes an sich selbst gefordert wurden. Die Anweisungen der Mutter an ihr Kind zur Vornahme einer sexuellen Handlung in Form des nach unten Schiebens der Unterhose und zum Ziehen am Penis (UA S. 13) stellen grundsätzlich eine nicht unerhebliche sexuelle Handlung dar, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2016 - 3 StR 72/16, StV 2017, 39 und vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366). Im Übrigen wird das neue Tatgericht zu prüfen haben, inwieweit auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen der Herstellung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b StGB bzw. der entsprechenden Anstiftung dazu in Betracht kommt.
- 31
- 2. Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2016 - 1 StR 285/16; Urteil vom 1. Juli 2015 - 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu wird das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen sein. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu , in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 f. und vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146), um eine revisionsgerichtliche Überprüfung zu ermöglichen.
- 32
- Wenn - wie hier - bei dem Angeklagten bereits seit 2003 eine homosexuelle Pädophilie diagnostiziert wurde, genügt es daher im Rahmen der Prüfung einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten nicht, allein festzustellen, dass der Sachverständige beim Angeklagten keine Eingangskriterien zur strafrechtlichen Schuldminderung erkannt habe und insoweit dem "nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen" (UA S. 31 f.) zu folgen sei, ohne dies näher zu begründen. Damit wird den dargestellten revisionsgerichtlichen Anforderungen nicht genügt und dem Senat keine Prüfung dahingehend ermöglicht, ob die Erwägungen des Landgerichts auf einer tragfähigen Grundlage beruhen. Raum Cirener Radtke Fischer Bär
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 14. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2015 im Schuldspruch in den Fällen B. 1. - 4., 6. und 8. - 14. der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte jeweils tateinheitlich nicht wegen Herstellens, sondern wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften verurteilt wird. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften , sowie wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat lediglich den aus dem Tenor ersichtlichen (Teil-)Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
- 2
- 1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fotografierte oder filmte der Angeklagte in 12 Fällen die nackte Scheide und das nackte Gesäß seiner im Tatzeitraum neun und zehn Jahre alten Nichte, wobei er in drei Fällen ihren Schambereich bzw. ihre Pobacken mit den Fingern spreizte (B. 1., 2. und 4. der Urteilsgründe), sie in fünf Fällen entkleidete und anwies, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken (B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe), sowie je zweimal veranlasste, sein erigiertes Geschlechtsteil in die Hand und dann in den Mund zu nehmen (B. 3. und 12. der Urteilsgründe), bzw. mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog (B. 8. und 10. der Urteilsgründe). In zwei Fällen (B. 5. und 7. der Urteilsgründe) leitete er die Fotografien per Email oder SMS an einen Freund weiter.
- 3
- 2. Diese Feststellungen tragen in den Fällen B. 3., 8., 10. und 12. die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB, in den Fällen B. 1., 2. und 4. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB sowie in den Fällen B. 5. und 7. wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften an einen Dritten nach § 184b Abs. 2 StGB aF (nunmehr: § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB). Im Übrigen erweist sich die rechtliche Bewertung hingegen als rechtsfehlerhaft.
- 4
- a) Soweit der Angeklagte in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe die Geschädigte entkleidete und bezüglich der Pose anwies, bevor er ihren Schambereich bzw. ihr nacktes Gesäß fotografierte, ist der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zwar im Ergebnis zutreffend. Doch hat der Angeklagte insoweit nicht den Tatbestand des § 176 Abs. 1 StGB, sondern den des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB erfüllt.
- 5
- aa) Als Tatbestandsvariante des § 176 Abs. 1 StGB kommt hier allein die Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind in Betracht. Das vom Landgericht festgestellte Entkleiden der Geschädigten, das in den genannten Fällen die einzige Handlung darstellt, bei der ein Körperkontakt mit dem Kind hergestellt wurde, erfüllt diese tatbestandlichen Voraussetzungen indes nicht.
- 6
- Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung "an" dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung stellt nicht den körperlichen Kontakt her, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 1988 - 2 StR 346/88, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 2; Beschlüsse vom 19. April 1990 - 3 StR 87/90, NStZ 1990, 490; vom 17. Juli 1991 - 5 StR 279/91, NStE Nr. 8 zu § 178 StGB; Urteil vom 24. November 1993 - 3 StR 517/93, juris Rn. 17). Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich - wie vorliegend festgestellt - schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 392/84), kann hier dahinstehen. Denn nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die auf Sinnenlust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553 mwN). Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen üblichen hinausgehen, ergeben die Feststellungen nicht. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184g Nr. 1 StGB aF bzw. § 184h Nr. 1 StGB nF nicht.
- 7
- bb) Der Angeklagte hat sich aber in diesen Fällen gleichwohl des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig gemacht. Denn die Anweisungen an die Geschädigte, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken, erfüllt den Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB, weil der Angeklagte damit das Kind zur Vornahme einer sexuellen Handlung bestimmt hat. Beide Posen, zu deren Vornahme er das Kind aufgefordert hat, enthalten eine - nicht unerhebliche (§ 184g Nr. 1 StGB aF) - sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368). Damit hat der Angeklagte sich nach dieser Vorschrift wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes strafbar gemacht, so dass es insoweit einer Schuldspruchänderung nicht bedarf.
- 8
- b) Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Herstellens kinderpornographischer Schriften in den Fällen B. 1. - 4., 6., 8. - 14. der Urteilsgründe erweist sich als rechtsfehlerhaft. Insoweit hat sich der Angeklagte lediglich des Sichverschaffens solcher Schriften nach § 184b Abs. 4 StGB aF schuldig gemacht.
- 9
- Mit den Aufnahmen der Missbrauchshandlungen hat der Angeklagte zwar tatsächlich kinderpornographische Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) hergestellt. Doch war die Herstellung solcher Schriften nach der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB (Fassung vom 31. Oktober 2008, BGBl. I, 2149) nur dann strafbar, wenn diese im Sinne von Nr. 1 und Nr. 2 der Vorschrift - Verbreitung oder öffentliches Zugänglichmachen - Verwendung finden sollten. Eine solche Verwendungsabsicht des Angeklagten ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Die frühere Gesetzesfassung stellt sich daher als die für den Angeklagten günstigere dar (§ 2 Abs. 3 StGB). Das Verhalten des Angeklagten erfüllt indes die Voraussetzungen des § 184b Abs. 4 StGB aF, weil er sich Lichtbilder und Filme, die einen sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB zum Gegenstand haben und die auch ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, durch Anfertigen verschafft hat (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368).
- 10
- Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch deshalb dahin, dass der Angeklagte in den genannten Fällen des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften schuldig ist. § 265 Abs. 1 StPO steht einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
- 11
- 3. Einer Aufhebung der festgesetzten Jugendstrafe bedarf es nicht. Zwar sieht der in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe zur Anwendung kommende § 176 Abs. 4 StGB im Vergleich zu § 176 Abs. 1 StGB einen milderen Strafrahmen vor. Auch ist der teilweise tateinheitlich verwirklichte § 184b Abs. 4 StGB aF mit einer milderen Strafe als Taten nach § 184b Abs. 1 StGB aF bedroht. Es ist jedoch auszuschließen, dass die Jugendkammer, die die Schwere der Schuld zutreffend festgestellt und die Dauer der Jugendstrafe mit fehlerfreien Erwägungen bemessen hat, bei Zugrundelegung der vom Senat vorgenommenen geringfügigen Änderungen in der rechtlichen Bewertung eine niedrigere Strafe verhängt hätte. RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Becker Gericke Spaniol Tiemann
Verursacht der Täter durch den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177) wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
Wer der Prostitution
- 1.
in der Nähe einer Schule oder anderen Örtlichkeit, die zum Besuch durch Personen unter achtzehn Jahren bestimmt ist, oder - 2.
in einem Haus, in dem Personen unter achtzehn Jahren wohnen,
Im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind, - 2.
sexuelle Handlungen vor einer anderen Person nur solche, die vor einer anderen Person vorgenommen werden, die den Vorgang wahrnimmt.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 14. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2015 im Schuldspruch in den Fällen B. 1. - 4., 6. und 8. - 14. der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte jeweils tateinheitlich nicht wegen Herstellens, sondern wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften verurteilt wird. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften , sowie wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat lediglich den aus dem Tenor ersichtlichen (Teil-)Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
- 2
- 1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fotografierte oder filmte der Angeklagte in 12 Fällen die nackte Scheide und das nackte Gesäß seiner im Tatzeitraum neun und zehn Jahre alten Nichte, wobei er in drei Fällen ihren Schambereich bzw. ihre Pobacken mit den Fingern spreizte (B. 1., 2. und 4. der Urteilsgründe), sie in fünf Fällen entkleidete und anwies, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken (B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe), sowie je zweimal veranlasste, sein erigiertes Geschlechtsteil in die Hand und dann in den Mund zu nehmen (B. 3. und 12. der Urteilsgründe), bzw. mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog (B. 8. und 10. der Urteilsgründe). In zwei Fällen (B. 5. und 7. der Urteilsgründe) leitete er die Fotografien per Email oder SMS an einen Freund weiter.
- 3
- 2. Diese Feststellungen tragen in den Fällen B. 3., 8., 10. und 12. die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB, in den Fällen B. 1., 2. und 4. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB sowie in den Fällen B. 5. und 7. wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften an einen Dritten nach § 184b Abs. 2 StGB aF (nunmehr: § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB). Im Übrigen erweist sich die rechtliche Bewertung hingegen als rechtsfehlerhaft.
- 4
- a) Soweit der Angeklagte in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe die Geschädigte entkleidete und bezüglich der Pose anwies, bevor er ihren Schambereich bzw. ihr nacktes Gesäß fotografierte, ist der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zwar im Ergebnis zutreffend. Doch hat der Angeklagte insoweit nicht den Tatbestand des § 176 Abs. 1 StGB, sondern den des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB erfüllt.
- 5
- aa) Als Tatbestandsvariante des § 176 Abs. 1 StGB kommt hier allein die Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind in Betracht. Das vom Landgericht festgestellte Entkleiden der Geschädigten, das in den genannten Fällen die einzige Handlung darstellt, bei der ein Körperkontakt mit dem Kind hergestellt wurde, erfüllt diese tatbestandlichen Voraussetzungen indes nicht.
- 6
- Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung "an" dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung stellt nicht den körperlichen Kontakt her, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 1988 - 2 StR 346/88, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 2; Beschlüsse vom 19. April 1990 - 3 StR 87/90, NStZ 1990, 490; vom 17. Juli 1991 - 5 StR 279/91, NStE Nr. 8 zu § 178 StGB; Urteil vom 24. November 1993 - 3 StR 517/93, juris Rn. 17). Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich - wie vorliegend festgestellt - schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 392/84), kann hier dahinstehen. Denn nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die auf Sinnenlust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553 mwN). Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen üblichen hinausgehen, ergeben die Feststellungen nicht. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184g Nr. 1 StGB aF bzw. § 184h Nr. 1 StGB nF nicht.
- 7
- bb) Der Angeklagte hat sich aber in diesen Fällen gleichwohl des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig gemacht. Denn die Anweisungen an die Geschädigte, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken, erfüllt den Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB, weil der Angeklagte damit das Kind zur Vornahme einer sexuellen Handlung bestimmt hat. Beide Posen, zu deren Vornahme er das Kind aufgefordert hat, enthalten eine - nicht unerhebliche (§ 184g Nr. 1 StGB aF) - sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368). Damit hat der Angeklagte sich nach dieser Vorschrift wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes strafbar gemacht, so dass es insoweit einer Schuldspruchänderung nicht bedarf.
- 8
- b) Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Herstellens kinderpornographischer Schriften in den Fällen B. 1. - 4., 6., 8. - 14. der Urteilsgründe erweist sich als rechtsfehlerhaft. Insoweit hat sich der Angeklagte lediglich des Sichverschaffens solcher Schriften nach § 184b Abs. 4 StGB aF schuldig gemacht.
- 9
- Mit den Aufnahmen der Missbrauchshandlungen hat der Angeklagte zwar tatsächlich kinderpornographische Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) hergestellt. Doch war die Herstellung solcher Schriften nach der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB (Fassung vom 31. Oktober 2008, BGBl. I, 2149) nur dann strafbar, wenn diese im Sinne von Nr. 1 und Nr. 2 der Vorschrift - Verbreitung oder öffentliches Zugänglichmachen - Verwendung finden sollten. Eine solche Verwendungsabsicht des Angeklagten ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Die frühere Gesetzesfassung stellt sich daher als die für den Angeklagten günstigere dar (§ 2 Abs. 3 StGB). Das Verhalten des Angeklagten erfüllt indes die Voraussetzungen des § 184b Abs. 4 StGB aF, weil er sich Lichtbilder und Filme, die einen sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB zum Gegenstand haben und die auch ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, durch Anfertigen verschafft hat (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368).
- 10
- Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch deshalb dahin, dass der Angeklagte in den genannten Fällen des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften schuldig ist. § 265 Abs. 1 StPO steht einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
- 11
- 3. Einer Aufhebung der festgesetzten Jugendstrafe bedarf es nicht. Zwar sieht der in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe zur Anwendung kommende § 176 Abs. 4 StGB im Vergleich zu § 176 Abs. 1 StGB einen milderen Strafrahmen vor. Auch ist der teilweise tateinheitlich verwirklichte § 184b Abs. 4 StGB aF mit einer milderen Strafe als Taten nach § 184b Abs. 1 StGB aF bedroht. Es ist jedoch auszuschließen, dass die Jugendkammer, die die Schwere der Schuld zutreffend festgestellt und die Dauer der Jugendstrafe mit fehlerfreien Erwägungen bemessen hat, bei Zugrundelegung der vom Senat vorgenommenen geringfügigen Änderungen in der rechtlichen Bewertung eine niedrigere Strafe verhängt hätte. RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Becker Gericke Spaniol Tiemann
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder - 3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder - 3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
(1) Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
(2) Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt das nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem sie vorliegen.
(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.
(2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.
(3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.
(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.
(1) Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
(2) Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt das nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem sie vorliegen.
(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder - 3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder - 3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 14. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2015 im Schuldspruch in den Fällen B. 1. - 4., 6. und 8. - 14. der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte jeweils tateinheitlich nicht wegen Herstellens, sondern wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften verurteilt wird. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften , sowie wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat lediglich den aus dem Tenor ersichtlichen (Teil-)Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
- 2
- 1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fotografierte oder filmte der Angeklagte in 12 Fällen die nackte Scheide und das nackte Gesäß seiner im Tatzeitraum neun und zehn Jahre alten Nichte, wobei er in drei Fällen ihren Schambereich bzw. ihre Pobacken mit den Fingern spreizte (B. 1., 2. und 4. der Urteilsgründe), sie in fünf Fällen entkleidete und anwies, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken (B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe), sowie je zweimal veranlasste, sein erigiertes Geschlechtsteil in die Hand und dann in den Mund zu nehmen (B. 3. und 12. der Urteilsgründe), bzw. mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog (B. 8. und 10. der Urteilsgründe). In zwei Fällen (B. 5. und 7. der Urteilsgründe) leitete er die Fotografien per Email oder SMS an einen Freund weiter.
- 3
- 2. Diese Feststellungen tragen in den Fällen B. 3., 8., 10. und 12. die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB, in den Fällen B. 1., 2. und 4. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB sowie in den Fällen B. 5. und 7. wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften an einen Dritten nach § 184b Abs. 2 StGB aF (nunmehr: § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB). Im Übrigen erweist sich die rechtliche Bewertung hingegen als rechtsfehlerhaft.
- 4
- a) Soweit der Angeklagte in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe die Geschädigte entkleidete und bezüglich der Pose anwies, bevor er ihren Schambereich bzw. ihr nacktes Gesäß fotografierte, ist der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zwar im Ergebnis zutreffend. Doch hat der Angeklagte insoweit nicht den Tatbestand des § 176 Abs. 1 StGB, sondern den des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB erfüllt.
- 5
- aa) Als Tatbestandsvariante des § 176 Abs. 1 StGB kommt hier allein die Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind in Betracht. Das vom Landgericht festgestellte Entkleiden der Geschädigten, das in den genannten Fällen die einzige Handlung darstellt, bei der ein Körperkontakt mit dem Kind hergestellt wurde, erfüllt diese tatbestandlichen Voraussetzungen indes nicht.
- 6
- Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung "an" dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung stellt nicht den körperlichen Kontakt her, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 1988 - 2 StR 346/88, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 2; Beschlüsse vom 19. April 1990 - 3 StR 87/90, NStZ 1990, 490; vom 17. Juli 1991 - 5 StR 279/91, NStE Nr. 8 zu § 178 StGB; Urteil vom 24. November 1993 - 3 StR 517/93, juris Rn. 17). Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich - wie vorliegend festgestellt - schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 392/84), kann hier dahinstehen. Denn nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die auf Sinnenlust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553 mwN). Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen üblichen hinausgehen, ergeben die Feststellungen nicht. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184g Nr. 1 StGB aF bzw. § 184h Nr. 1 StGB nF nicht.
- 7
- bb) Der Angeklagte hat sich aber in diesen Fällen gleichwohl des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig gemacht. Denn die Anweisungen an die Geschädigte, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken, erfüllt den Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB, weil der Angeklagte damit das Kind zur Vornahme einer sexuellen Handlung bestimmt hat. Beide Posen, zu deren Vornahme er das Kind aufgefordert hat, enthalten eine - nicht unerhebliche (§ 184g Nr. 1 StGB aF) - sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368). Damit hat der Angeklagte sich nach dieser Vorschrift wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes strafbar gemacht, so dass es insoweit einer Schuldspruchänderung nicht bedarf.
- 8
- b) Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Herstellens kinderpornographischer Schriften in den Fällen B. 1. - 4., 6., 8. - 14. der Urteilsgründe erweist sich als rechtsfehlerhaft. Insoweit hat sich der Angeklagte lediglich des Sichverschaffens solcher Schriften nach § 184b Abs. 4 StGB aF schuldig gemacht.
- 9
- Mit den Aufnahmen der Missbrauchshandlungen hat der Angeklagte zwar tatsächlich kinderpornographische Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) hergestellt. Doch war die Herstellung solcher Schriften nach der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB (Fassung vom 31. Oktober 2008, BGBl. I, 2149) nur dann strafbar, wenn diese im Sinne von Nr. 1 und Nr. 2 der Vorschrift - Verbreitung oder öffentliches Zugänglichmachen - Verwendung finden sollten. Eine solche Verwendungsabsicht des Angeklagten ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Die frühere Gesetzesfassung stellt sich daher als die für den Angeklagten günstigere dar (§ 2 Abs. 3 StGB). Das Verhalten des Angeklagten erfüllt indes die Voraussetzungen des § 184b Abs. 4 StGB aF, weil er sich Lichtbilder und Filme, die einen sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB zum Gegenstand haben und die auch ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, durch Anfertigen verschafft hat (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368).
- 10
- Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch deshalb dahin, dass der Angeklagte in den genannten Fällen des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften schuldig ist. § 265 Abs. 1 StPO steht einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
- 11
- 3. Einer Aufhebung der festgesetzten Jugendstrafe bedarf es nicht. Zwar sieht der in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe zur Anwendung kommende § 176 Abs. 4 StGB im Vergleich zu § 176 Abs. 1 StGB einen milderen Strafrahmen vor. Auch ist der teilweise tateinheitlich verwirklichte § 184b Abs. 4 StGB aF mit einer milderen Strafe als Taten nach § 184b Abs. 1 StGB aF bedroht. Es ist jedoch auszuschließen, dass die Jugendkammer, die die Schwere der Schuld zutreffend festgestellt und die Dauer der Jugendstrafe mit fehlerfreien Erwägungen bemessen hat, bei Zugrundelegung der vom Senat vorgenommenen geringfügigen Änderungen in der rechtlichen Bewertung eine niedrigere Strafe verhängt hätte. RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Becker Gericke Spaniol Tiemann
(1) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
einen kinderpornographischen Inhalt verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; kinderpornographisch ist ein pornographischer Inhalt (§ 11 Absatz 3), wenn er zum Gegenstand hat: - a)
sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren (Kind), - b)
die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder - c)
die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes,
- 2.
es unternimmt, einer anderen Person einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zugänglich zu machen oder den Besitz daran zu verschaffen, - 3.
einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder - 4.
einen kinderpornographischen Inhalt herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 oder der Nummer 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist.
(2) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt der Inhalt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen.
(3) Wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.
(4) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 strafbar.
(5) Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen:
- 1.
staatlichen Aufgaben, - 2.
Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder - 3.
dienstlichen oder beruflichen Pflichten.
(6) Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 und Satz 2 gilt nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wenn
- 1.
die Handlung sich auf einen kinderpornographischen Inhalt bezieht, der kein tatsächliches Geschehen wiedergibt und auch nicht unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist, und - 2.
die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
(7) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder 3 oder Absatz 3 bezieht, werden eingezogen. § 74a ist anzuwenden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 14. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Angeklagte, der seit dem Jahr 2008 unter Betreuung steht, am 1. Juli 2015 gegen 5.00 Uhr in der von ihm allein bewohnten Mietwohnung im Erdgeschoß eines Mehrfamilienhauses verbarrikadiert , indem er hinter die abgeschlossene Eingangstüre eine Waschmaschine stellte, alle Rollläden vollständig herunterließ und deren Zugbänder durchschnitt. Anschließend legte er Haufen von Kleidern und anderen leicht brennbaren Kleinteilen in verschiedenen Zimmern der Wohnung aus und tränkte diese jeweils mit Brennspiritus. Diese Haufen setzte er dann in Brand, nahm Schlaftabletten sowie eine geringe Menge Wodka ein und begab sich ins Badezimmer. Dort verbarrikadierte er sich ebenfalls, indem er einen Badezimmerschrank hinter die Türe stellte, legte sich in die Badewanne und schnitt sich in Suizidabsicht die Pulsadern auf.
- 3
- Wie vom Angeklagten vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen, griff das Feuer jedenfalls im Wohnzimmer so auf die Bausubstanz über, dass Teile der Tapete und der fest verlegte Teppichboden bereits selbstständig brannten. Das dreistöckige Gebäude, in dem insgesamt vierundzwanzig Personen lebten und durch die Brandlegung erheblich gefährdet waren, geriet letztlich nur deshalb nicht vollständig in Brand, weil eine Nachbarin bereits kurze Zeit später aus dem Rollladenkasten des Angeklagten austretenden Rauch wahrnahm und die Feuerwehr alarmierte, welche den Brand löschen konnte. Die Wohnung des Angeklagten war auf Grund der starken Ruß- und Hitzebildung , welche bereits zum Anschmelzen der Deckenpaneele geführt hatte, unbenutzbar geworden. Es wurde ein Sachschaden von ca. 20.000 Euro verursacht.
- 4
- 2. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Dieser war nach Auswertung der vorhandenen Arztberichte, des im Rahmen des Verfahrens zur Bestellung des Betreuers erstellten Gutachtens sowie dem persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung, jedoch – mangels Einwilligung – ohne Exploration des Angeklagten, zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte im Zustand verminderter Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB gehandelt hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte seit dem Jahr 2000 unter einer nunmehr verfestigten kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und histrionischen Anteilen (UA S. 12). Der Anfang 2015 erforderlich gewordene Umzug der Mutter von der Wohnung in ein Pflegeheim habe noch einmal für eine Verschlimmerung gesorgt, so dass seit diesem Zeitpunkt beim Angeklagten eine kognitive Einengung festzustellen sei, welche diesen in seinem Erleben massiv einschränke. Das Landgericht sieht daher die Voraussetzungen für eine schwere andere seelische Abartigkeit als Eingangsmerkmal i.S.d. § 20 StGB als gegeben an und führt unter Bezugnahme auf eine schriftliche „Erklärung“ des Angeklagten vom 27. Juni 2015 weiter aus, dass „der Angeklagte auf Grund seiner psychischen Verfassung sich offensichtlich nicht mehr in der Lage sah, seinen Suizid- und Brandlegungsimpuls zu wider- stehen“ (UA S. 13). Auch sei bei der Einlieferung ins Klinikum Augsburg unmit- telbar nach der Tat ein Delir- bzw. Verwirrtheitszustand festgestellt worden (UA S. 8). Im Hinblick auf das über einen längeren Zeitraum geplante und zielgerichtete Vorgehen sowie das situationsspezifische Verhalten des Angeklagten, das sich auch in einem am 30. Juni 2015 verfassten Nachsatz zur „Erklärung“ zeige, schließt das Landgericht aber eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus.
II.
- 5
- Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon dadurch werden auch die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
- 6
- 1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat weder die Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausgeschlossen noch ob es eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht hat.
- 7
- a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens ei- nes der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 f. und vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146). Das gilt besonders dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung" der Fall ist (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 StR 547/15, NStZ-RR 2016, 135 mwN).
- 8
- b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nicht gerecht, da das Vorliegen eines Eingangsmerkmals i.S.d. § 20 StGB nicht hinreichend belegt ist.
- 9
- Zwar ist das Landgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die beim Angeklagten durch den Sachverständigen diagnostizierte kombinierte Persönlichkeitsstörung nur dann unter das vierte Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“, eingeordnet werden kann, wenn diese nach ihrem Ausprägungsgrad Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit hat, es also im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 4 StR 120/12, StraFo 2012, 275 und Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. jeweils mwN). Die weiteren Ausführungen des Landgerichts zum Vorliegen dieses erforderlichen Schweregrades der Persönlichkeitsstörung, die sich im Wesentlichen auf eine Wiedergabe der Überlegungen des Sachverständigen beschränken, sind aber rechtsfehlerhaft. So wird einerseits aus der schriftlichen Erklärung des Angeklagten abgeleitet, dass dieser bei der Tatbegehung auf Grund seiner psychischen Verfassung bereits nicht mehr in der Lage gewesen sei, seinem Suizidund Brandlegungsimpuls zu widerstehen, wofür auch der durch die behandelnde Ärztin bei der Einlieferung ins Klinikum festgestellte Delir- und Verwirrtheitszustand des Angeklagten unmittelbar nach der Tat spricht. Anderseits soll aber auf Grund der länger dauernden und sorgfältigen Planung der Tat eine völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ausgeschlossen sein. Damit bleibt letztlich unklar, in welchem Umfang sich die vom Sachverständigen attestierte Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
- 10
- 2. Da der Senat deshalb nicht auszuschließen vermag, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat einschließlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus insgesamt neu verhandelt und entschieden werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen.
- 11
- 3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen beruhen aber auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen , die den bisherigen nicht widersprechen. Raum Graf Cirener Radtke Bär
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Nach Aufhebung eines ersten Urteils durch Senatsbeschluss vom 17. April 2014 - 2 StR 405/12 (NJW 2014, 2738), wobei aber die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten wurden, hat das Landgericht den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil wegen Betrugs in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ausgesprochen, dass davon zwei Monate als bereits vollstreckt gelten. In den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis von eins zu eins angerechnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, der das Rechtsmittel in der Revisionshauptverhandlung auf den Strafausspruch beschränkt hat. Die Revision hat in diesem Umfang Erfolg.
I.
- 2
- Nach den bindend gewordenen Feststellungen zur Tat beschloss der Angeklagte im Herbst 2005 noch während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen gleichartiger Taten, Kunden in schwierigen finanziellen Verhältnissen eine Leasingfinanzierung anzubieten und dabei Vorschusszahlungen zu verlangen. Im Februar 2006 gründete er mit dem gesondert verfolgten S. die H. mit Sitz in M. . Das Unternehmen unterbreitete Interessenten jeweils Angebote für eine Finanzierung, wobei eine Vorausgebühr ab Erteilung einer Darlehenszusage in Höhe von fünf vom Hundert der Darlehenssumme verlangt wurde. Unmittelbar nach Erbringung dieser "Sonderzahlung" übernahm eine "Refinanzierungsabteilung" des Unternehmens die Sachbearbeitung und forderte umfangreiche Bonitätsauskünfte sowie die Vorlage weiterer Unterlagen ein. Danach wurde der Vertrag jeweils mit Hinweis auf ein Verschulden des Kunden gekündigt, und die H. machte gegen die Kunden auch Schadensersatzansprüche geltend, bis diese einer Aufhebungsvereinbarung unter Verzicht auf die Rückzahlung der Vorausgebühr zustimmten. Über ausreichende Mittel oder Refinanzierungsmöglichkeiten zur Darlehensgewährung an die Kunden verfügte die H. nicht.
- 3
- Gegenstand der Verurteilung sind Sonderzahlungen von Kunden aufgrund von Darlehenszusagen durch Mitarbeiter der H. . In einem Teil der Fälle hatte der Angeklagte, der als faktischer Geschäftsführer des Unternehmens aufgetreten war, neben anderen Personen selbst am Vertragsabschluss mitgewirkt. Andere Fälle hat ihm das Landgericht als uneigentliches Organisationsdelikt zugerechnet.
II.
- 4
- Die Rechtsmittelbeschränkung in der Revisionshauptverhandlung, welcher der Generalbundesanwalt zugestimmt hat, ist wirksam.
- 5
- Der Senat schließt - unbeschadet des Vorliegens eines Rechtsfehlers bei der Prüfung der §§ 20, 21 StGB (dazu sogleich unter III.) - aus, dass ein neues Tatgericht zu der Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit gelangen würde. Dagegen sprechen unter anderem die Vorausplanung der Tat bereits in der Haft und die lange Dauer des komplexen Tatgeschehens.
III.
- 6
- Die Revision hat im verbleibenden Umfang Erfolg; sie führt zur Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind, auch soweit sie doppelrelevant wirken , bereits bindend geworden, was der Senat klargestellt hat.
- 7
- 1. In dem vom Senat aufgehobenen ersten Urteil war das Fehlen der Fähigkeit des Angeklagten zur Einsicht in das Unrecht der Betrugshandlungen nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen worden. Nunmehr hat das Landgericht angenommen, zur Tatzeit habe der Angeklagte mit Unrechtseinsicht gehandelt. Seiner Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung nach dieser Einsicht habe keine schwere andere seelische Abartigkeit entgegengestanden. Seine Feststellung vorhandener Unrechtseinsicht ist rechtsfehlerfrei. Jedoch unterliegt die Verneinung einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 8
- 2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der heute 62jährige Angeklagte unter einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Anteilen. Schon als Kind hatte er Geld entwendet, um sich mit Zuwendungen Freundschaften zu erkaufen. Nie nahm er später eine intime Beziehung auf. Sein gesamtes Streben als Erwachsener war darauf gerichtet, die Mitarbeiter seiner Unternehmungen an sich zu binden, die er als „Ersatzfamilie“ betrachtete und in eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten einbezog. Er unterstützte nicht nur seine Mitarbeiter finanziell, sondern sogar die Eltern der zum Personal der H. gehörenden Brüder S. . Der Angeklagte reagierte "indigniert bis beleidigt", wenn sich die Mitarbeiter seinem Wunsch nach engem Kontakt verschlossen.
- 9
- Das Landgericht hat ausgeführt, zwar liege das Vollbild einer Persönlichkeitsstörung vor; jedoch habe diese Störung nicht dasselbe Belastungsgewicht wie eine seelische Krankheit. Sie erfülle nicht das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB.
- 10
- Die Störung habe allerdings dazu geführt, dass der Angeklagte sich in der gesamten Tatstruktur ein Konstrukt geschaffen habe, in welchem er nicht nur beruflich, sondern auch im Persönlichen der "Chef" gewesen sei. Die Störung sei in seiner Persönlichkeit absolut prägend. Aufgrund einer Selbstwertstö- rung habe er eine Rolle eingenommen, die ihn besonders „großartig“ erschie- nen ließ. In Fantasien über einen Finanzierungserfolg und der Behandlung des gesondert verfolgten S. als seinen künftigen "Nachfolger" im Sinne dynastischer Großkonzerne seien narzisstische Züge zu erkennen. Er habe sich in Beziehungen verstrickt, über deren Motivation man nur spekulieren könne und die scheitern mussten, weil er seine "Ziehsöhne" stets nach seinen Vorstellungen "umzugestalten" versucht habe.
- 11
- Gleichwohl habe die Störung das Leben des Angeklagten nicht vergleichbar schwer und mit ähnlichen sozialen Folgen beeinträchtigt, wie eine krankhafte seelische Störung. Sein "soziales Funktionsniveau" sei dafür zu hoch gewesen. Eine stereotype Lebensgestaltung wie bei einem Drogenabhängigen habe nicht vorgelegen, sondern ein unauffällig strukturierter Tagesablauf, der sowohl Arbeit als auch Freizeitverhalten eingeschlossen habe. Beruflich wie privat habe der Angeklagte ein Maß an Flexibilität gezeigt, das von einem Menschen mit einer krankhaften seelischen Störung nicht erwartet werden könne. Er sei auch grundsätzlich in einer Weise kontaktfähig gewesen, wie sie "von einem Patienten mit einer krankhaften seelischen Störung - etwa mit einem psychotischen Residualsyndrom - keinesfalls zu erwarten" gewesen sei. Probleme bei der Affektregulation und ähnliche störungsbedingte Beeinträchtigungen seien nicht zu beobachten gewesen. Vor diesem Hintergrund sei festzustellen , dass die Einsicht des Angeklagten in das Unrecht der Serientaten nicht ausgeschlossen gewesen sei.
- 12
- b) Gegen diese Beurteilung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Sie lenken den Blick auf die Unrechtseinsicht des Angeklagten und vernachlässigen die Frage einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens.
- 13
- aa) Richtig ist zwar, dass nicht bereits die gesicherte Diagnose einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Anteilen mit einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" in § 20 StGB gleichzusetzen ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52). Jedoch kann das Eingangsmerkmal im Einzelfall bei einem solchen Befund erfüllt sein. Dabei sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit von Bedeutung.
- 14
- Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist im Allgemeinen maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des Delikts zu Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (BGH aaO). Insoweit ist die Unterscheidung von beruflichen und privaten Aktivitäten des Angeklagten dadurch erschwert, dass seine vielfältigen "privaten" Aktivitäten - "durchgängig" unter Einbeziehung der Mitglieder seiner "Ersatzfamilie" - gerade Ausdruck seiner Persönlichkeitsstörung waren. Im Vordergrund der Prüfung müssten daher die Wahrnehmung der eigenen und anderer Personen, die emotionalen Reaktionen , die konkrete Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Impulskontrolle stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, BGHR StGB § 20 seelische Abartigkeit 6). Damit hat sich das Landgericht unter einem falschen Blickwinkel beschäftigt.
- 15
- So wäre etwa auch die Unfähigkeit des Angeklagten, eine intime Partnerschaft einzugehen und deren vollständige Ersetzung durch die intensive berufliche wie private Beziehung zu den Mitarbeitern als Ausdruck der Störung in die Gesamtschau einzubeziehen. Deshalb grenzt die landgerichtliche Annahme des Vorliegens eines normalen Sozialverhaltens mit "hohem Funktionsniveau" ein nur scheinbar intaktes Privatleben in unzutreffender Weise von Störungssymptomen ab. Zumindest hat das Landgericht die Bedeutung dieses Aspekts im Unklaren gelassen, indem es angemerkt hat, über die Gründe dafür, dass der Angeklagte zweifelhafte Beziehungen mit Personen aufgenommen hat, die ihn - wie er wusste - stets ausgenutzt haben, können "nur spekuliert" werden.
- 16
- bb) Das Landgericht hat die Zielrichtung der Prüfung, ob ein Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB vorliegt und die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war, im Hinblick auf die Frage des Hemmungsvermögens vernachlässigt, weil es sich auf die Frage der Unrechtseinsicht konzentriert hat. Auch deshalb hat es eine fragwürdige Gewichtung der Störung vorgenommen.
- 17
- Die Entscheidung, ob das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, StV 2013, 694); jedoch sind die Prüfungspunkte miteinander verzahnt (vgl. zur Problematik Fischer, StGB 62. Aufl. § 20 Rn. 5, 5a m.w.N.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine Störung im psychiatrischen Sinn vorliegt, was hier mit dem "Vollbild einer Persönlichkeitsstörung" eindeutig der Fall ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung im Hinblick auf das Vorliegen eines Eingangsmerkmals und anschließend die Erheblichkeit des Einflusses auf das Hemmungsvermögen gemäß § 21 StGB zu untersuchen. Hierzu ist der Richter jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befundes wie bei der Prüfung erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um Rechtsfragen. Diese Fragen hat das Landgericht nicht in einer nachvollziehbaren Weise beantwortet.
- 18
- Sein Vergleich der Bedeutung der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit der Beeinträchtigung eines Drogensüchtigen wirkt unpassend. Jedenfalls hat die Strafkammer nicht näher überprüft, inwieweit die störungsbedingte Sucht des Angeklagten danach, die Mitglieder seiner Ersatzfamilie an sich zu binden, sein Sozialverhalten und das hiermit auf das Engste verknüpfte Tatverhalten beherrscht hat. In diese Prüfung wäre zudem der festgestellte Konsum des angstlösenden Medikaments Lorazepam (Tavor) als konstellativer Faktor einzubeziehen gewesen.
- 19
- Schließlich liegt der Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe die Abläufe in dem - ausschließlich auf Betrug ausgerichteten - Unternehmen zu organisieren und dabei auch Verträge zu entwerfen vermocht, was ein Mensch im Residualsyndrom einer Psychose nicht hätte leisten können, ein fehlerhafter Vergleich zu Grunde. Die Fähigkeit zu einem bestimmten Handeln des Täters enthält keine abschließende Aussage über seine Möglichkeit, ausreichende Hemmungen gegen dieses Handeln aufzubauen. Fischer Krehl Eschelbach Zeng Bartel
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Fall II. 1 der Urteilsgründe sowie
b) im gesamten Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen und wegen sexueller Nötigung (Vergewaltigung) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 2
- 1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB im Fall II. 1 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 3
- a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin im Zuge einer zunächst nur verbalen Auseinandersetzung zu Boden stieß und sie dort mit beiden Händen am Hals würgte, bis diese keine Luft mehr bekam, was der Angeklagte auch erkannte. Diese Feststellungen belegen eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht.
- 4
- b) Zwar muss die Tathandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; die jeweilige Einwirkung muss lediglich abstrakt geeignet sein, eine solche Gefährdung herbeizuführen. Danach kommt festes Würgen am Hals zwar grundsätzlich als geeignete Tathandlung in Betracht; von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit jedoch Dauer und Stärke der Einwirkung, zu denen sich die Urteilsfeststellungen je nach Lage des Falles verhalten müssen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2004 – 4 StR 403/04, NStZ-RR 2005, 44 mwN). Zu den näheren Umständen der konkreten Tatausführung , etwa dazu, ob der Nebenklägerin durch die Einwirkung des Angeklagten die Halsschlagader abgeschnürt wurde, enthalten die Urteilsgründe indes keine Feststellungen. Dies gilt auch für die hier möglicherweise bedeutsame Zeitspanne zwischen dem Eintritt der Atemnot bei der Nebenklägerin und dem Nichtweiterhandeln des Angeklagten.
- 5
- 2. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts hält der Senat es nicht für sicher ausgeschlossen, dass zu Art und Dauer der Einwirkung noch weitere Feststellungen getroffen werden können. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
II.
- 6
- 1. Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat sich die Strafkammer sachverständig beraten lassen und angenommen, dass der Angeklagte bei der Begehung der abgeurteilten Taten einerseits unter einem Syndrom der Abhängigkeit von Stimulanzien und Cannabinoiden und andererseits unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mit emotional instabilen, dissozialen und narzisstischen Anteilen litt. Das Abhängigkeitssyndrom habe indes nicht zu einer „derart erheblichen krankhaften seelischen Störung“ geführt , dass die „psychische Befindlichkeit“ des Angeklagten dadurch wesentlich beeinträchtigt worden sei. Eine „andere schwere seelische“ Abartigkeit liege insoweit nicht vor, weil das Syndrom keine tatdeterminierenden Konsequenzen gehabt habe und eine Persönlichkeitsdepravation, ein Verfall oder eine Verwahrlosung des Angeklagten ebenso wenig festgestellt werden könne wie eine akute Intoxikationspsychose zu den jeweiligen Tatzeitpunkten. Auch die beim Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung habe nicht das Gewicht einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“, da sie weder mit schweren überdauernden Störungen der Affektregulation einhergegangen sei, noch zu einer Stereotypisierung des Verhaltens des Angeklagten geführt habe und schwere Störungen des Selbstwertgefühls sowie der sozialen Bindungsfähigkeit ebenfalls nicht festzustellen seien. Der Angeklagte sei daher bei Begehung aller Taten uneingeschränkt schuldfähig gewesen. Den Darlegungen des Sachverständigen hat sich das Landgericht angeschlossen; seine Würdigung hat es dabei auf die Bemerkung beschränkt, sie seien überzeugend. Dies hält hier rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 7
- a) Als stoffgebundene Suchterkrankung kann die Abhängigkeit von Drogen wegen der Vielzahl möglicher Ursachen, Ausprägungen sowie körperlicher und psychischer Folgen sowohl die Voraussetzungen des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB als auch – vor allem bei körperlicher Abhängigkeit – jene einer krankhaften seelischen Störung erfüllen (SSW-StGB/Schöch, § 20 Rn. 46; vgl. auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 41). Unabhängig von dieser Einordnung begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sich allein noch nicht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Diese Folge ist bei einem Rauschgiftabhängigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa dann, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rausches verübt (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. August 2001 – 1 StR 470/00, NJW 2002, 150, 152 mwN). Dabei erfolgt die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert war, in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im Einzelnen Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Aus- prägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (BGH, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 281/00, BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 14; Beschluss vom 3. September 2004 – 1 StR 359/04, NStZ-RR 2004, 360). Der Tatrichter hat bei der Entscheidung über die Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 3 StR 52/06, NStZ-RR 2007, 74). Das abschließende Urteil über die Erheblichkeit der Verminderung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist als Rechtsfrage ausschließlich Sache des Richters (BGH, Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12; Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12, jeweils mwN).
- 8
- b) Gemessen daran sind die im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen schon für sich genommen nicht bedenkenfrei , soweit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen wird.
- 9
- aa) So legen die Urteilsgründe schon nicht dar, ob der Sachverständige beim Angeklagten die allgemeinen psychiatrischen Kriterien einer Substanzabhängigkeit gemäß ICD-10 oder DSM-IV als erfüllt angesehen hat. Zwar besagt das Vorliegen eines bestimmten Zustandsbildes nach einer der beiden Klassifikationen noch nichts über das Ausmaß drogeninduzierter Störungen. Gleichwohl weist eine solche Zuordnung in der Regel auf eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung hin, der der Tatrichter mit Hilfe des Sachverständigen nachgehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2000 – 1 StR 310/00, NStZ 2001, 83, 84 mwN). Die Urteilsgründe beschränken sich in diesem Zusammenhang auf die Wiedergabe der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen , wonach beim Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom vorliege, die drogeninduzierte Beeinflussung aber nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der „psychischen Befindlichkeit“ des Angeklagten geführt habe. Der Senat kann daher nicht nachprüfen, ob sich der Tatrichter insoweit von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab hat leiten lassen.
- 10
- bb) Die Urteilsgründe lassen ferner besorgen, dass die Strafkammer die für das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit einerseits und der krankhaften seelischen Störung andererseits erforderlichen unterschiedlichen Voraussetzungen und deren Verhältnis zueinander nicht hinreichend in den Blick genommen hat; dies kann die Beurteilung der Schuldfähigkeit hier zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst haben. So erörtert die Strafkammer vor dem Hintergrund der entsprechenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen das Vorliegen einer akuten Intoxikationspsychose in unmittelbarem Zusammenhang mit der Prüfung des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit, nicht aber in Bezug auf eine mögliche krankhafte seelische Störung, was näher liegt. Ob das Landgericht die Vernachlässigung anderer Interessen durch den Angeklagten neben seinem starken Wunsch nach Betäubungsmittelkonsum zutreffend als Anzeichen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit eingeordnet hat (vgl. Fischer aaO), vermögen die Urteilsgründe ebenfalls nicht zu vermitteln; Erwähnung findet die- ser Gesichtspunkt bei der Erörterung des Eingangsmerkmals der krankhaften seelischen Störung.
- 11
- c) Die Erörterung der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten erweist sich zudem als lückenhaft.
- 12
- So findet der Umstand, dass der Angeklagte, wie vom Landgericht ausdrücklich festgestellt (UA S. 4), während einer auf eigene Initiative durchgeführten Entgiftung im April 2011, also zu Beginn des verfahrensgegenständlichen Tatzeitraums, unter intensiven und quälenden akustischen Halluzinationen litt und erst zwei bis drei Wochen vor der letzten Tat seinen Rauschgiftkonsum wieder aufnahm, bei der Erörterung der Eingangsmerkmale des § 20 StGB keine Erwähnung. Der Senat kann daher nicht überprüfen, ob der Sachverständige diesen gewichtigen Umstand bei seiner Begutachtung berücksichtigt und in welcher Weise die Strafkammer dessen Äußerungen bewertet hat. Die bloße Erwähnung eines zeitlich nicht näher eingegrenzten Entzugssyndroms (UA S. 9) ist in diesem Zusammenhang unzureichend. Die Urteilsgründe lassen ferner nicht erkennen, ob die Strafkammer in einer umfassenden Gesamtwürdigung berücksichtigt hat, dass der Sachverständige neben dem Abhängigkeitssyndrom beim Angeklagten auch eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat. Dies lässt besorgen, dass diese Prüfung hier nicht oder nur unzureichend vorgenommen wurde und das Landgericht seine Beurteilung lediglich isoliert auf die vom Sachverständigen angesprochenen Gesichtspunkte gestützt hat.
- 13
- 2. Die Frage der Schuldfähigkeit muss daher umfassend neu geprüft werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen. Da der Senat auszuschließen vermag, dass beim Angeklagten bei allen Taten Schuldunfähigkeit vorlag, führt der Rechtsfehler lediglich zur Aufhebung der Strafaussprüche.
III.
- 14
- Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird in den Blick nehmen müssen, dass vor dem Hintergrund der neuen Feststellungen zur Schuldfähigkeit gegebenenfalls die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu prüfen sein wird.
- 15
- Im Hinblick auf die diesbezüglichen Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 6. Februar 2012 merkt der Senat an, dass die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB die Betätigung tatrichterlichen Ermessens voraussetzt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14. Dezember 1999 – 4 StR 554/99, NStZ-RR 2000, 364).
Bender Quentin
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 28. Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz , der Körperverletzung in Tateinheit mit einer Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz sowie der Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig und ihn im Übrigen freigesprochen. Es hat wegen eines Teils der De- likte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und wegen der übrigen Straftaten auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten erkannt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen und der Unterbringung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
- 2
- 1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen leidet der Angeklagte an einer paranoid-psychotischen Störung bei affektiver Grunderkrankung mit umschriebener Wahnbildung. Die affektive Grunderkrankung verursacht überwiegend manische, teils auch depressive Phasen. In der Zeit vom 20. November 2010 bis zum 22. September 2013 beging er die abgeurteilten Übergriffe gegen Polizeibeamte, einen Bekannten und Familienangehörige. Die Strafkammer hat dem gehörten Sachverständigen folgend für den gesamten Tatzeitraum nicht auszuschließen vermocht, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Grunderkrankung erheblich eingeschränkt war; bei einem Teil der Taten hat sie eine solche Einschränkung positiv festgestellt. Bei zwei Vorfällen hat sie nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben und seine Einsichtsfähigkeit erheblich eingeschränkt war.
- 3
- 2. Der Schuldspruch kann insgesamt nicht bestehen bleiben; denn die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft. Letzteres bedingt auch die Aufhebung des Strafausspruchs und der Unterbringungsanordnung.
- 4
- a) Wenn sich das Tatgericht - wie hier - darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht:
- 5
- Das Landgericht hat es bereits unterlassen, das vom Sachverständigen diagnostizierte Störungsbild einem der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen. Sodann fehlt die Darlegung, wie die paranoid-psychotische Störung auf den Angeklagten und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen eingewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 274/14, juris Rn. 4). Die §§ 20, 21 StGB setzen voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit "bei Begehung der Tat" aufgehoben bzw. erheblich vermindert sind. Die Schuldfähigkeit ist deshalb in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146). Hierauf kann allein unter Hinweis auf die allgemeine Diagnose nicht verzichtet werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. August 2013 - 2 StR 128/13, NStZ-RR 2013, 368, 369; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 2. Oktober 2007, aaO), denn deren Feststellung ist insbesondere auch bei bipolaren Störungen, bei denen eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden besteht, für die Frage der Schuldfähigkeit nicht ausreichend aussagekräftig. In manischen Phasen kann es, je nach Ausprägung und Schwere, zur Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, aber auch der Ein- sichtsfähigkeit kommen. Vor diesem Hintergrund genügen die Ausführungen in den Urteilsgründen nicht, die sich in den Verurteilungsfällen insoweit im Wesentlichen in der Mitteilung im Rahmen der Beweiswürdigung erschöpfen, der Sachverständige habe bei vier Taten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit positiv festgestellt und im Übrigen auf der Grundlage der festgestellten Grunderkrankung nicht ausschließen können, dass der Angeklagte im gesamten Tatzeitraum krankheitsbedingt in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei.
- 6
- b) Da deshalb weder auszuschließen ist, dass der Angeklagte in den Verurteilungsfällen voll schuldfähig war, noch dass er im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Aufhebung auch des freisprechenden Teils des Urteils nicht; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 29. Juli 2015 - 4 StR 293/15, NStZ-RR 2015, 315, 316; vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1). Die jeweiligen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bei den einzelnen Taten beruhen auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Der Adhäsionsausspruch unterliegt ebenfalls nicht der Aufhebung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 406a Rn. 8 mwN).
- 7
- 3. Im Übrigen ist das neue Tatgericht auf Folgendes hinzuweisen:
- 8
- a) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz verurteilt hat, belegen die bisherigen Feststellungen in den Fällen II. 2. und II. 3. der Urteilsgründe bereits die Voraussetzungen des § 4 GewSchG nicht. Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG setzt u.a. voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden (BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13, BGHSt 59, 94). Tragfähige diesbezügliche Ausführungen enthalten die bisherigen Urteilsgründe - auch in ihrem Gesamtzusammenhang - nicht.
- 9
- b) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5). Hieran gemessen erscheinen die bisherigen, eher knappen Urteilsausführungen nicht bedenkenfrei.
- 10
- c) Sollte das neue Tatgericht für die einzelnen Taten ebenfalls Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten verhängen, wird es § 47 StGB und die diesbezüglichen Darlegungsanforderungen zu beachten haben.
Spaniol Tiemann
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Nachstellung, in drei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri- schen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.
I.
- 2
- Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 3
- 1. Der Angeklagte leidet an einer schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), die sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren entwickelt hat und seit dem Jahr 2009 ausgeprägt vorliegt. Neben formalen und inhaltlichen Denkstörungen treten massive Affektstörungen und paranoide Symptome auf. Die Persönlichkeit des Angeklagten weist dar- über hinaus autistische Züge auf. Auf Grund eines sog. „Liebeswahns“nimmt er die Beziehung zu einer Frau vollkommen irreal wahr. Deren für jedermann ersichtliche Abwehrhaltung deutet er als ein Zeichen von Zuneigung. Die paranoide Symptomatik kommt darin zum Ausdruck, dass er sich sehr leicht angegriffen fühlt und dann aggressiv reagiert. Im Affekt zeigen sich Auffälligkeiten im Sinne einer situativ auslösbaren Aggressivität und Explosivität. Es kommt zu unangemessenen affektiven Reaktionen. Kritikfähigkeit, Realitätsprüfung und Empathiefähigkeit fehlen völlig. Insgesamt bietet er das Bild eines hochgradig verschrobenen, bizarr wirkenden, autistischen und chronischen Schizophrenen (UA S. 23). Das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB ist erfüllt. Nach Auffassung des sachverständig beratenen Landgerichts war der Angeklagte bei Begehung der verfahrensgegenständli- chen Taten „bei abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ in seiner Steuerungs- fähigkeit erheblich vermindert. Bei den Taten zum Nachteil der Zeugin V. (Nebenklägerin) beruhe dies auf dem stark ausgeprägten Liebeswahn, hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Zeugin B. und der Polizeibeamten auf paranoidem Erleben und Störungen des Affekts.
- 4
- Taten im Zusammenhang mit der Nebenklägerin (Fälle III. 1 a und b)
- 5
- a) Tatzeitraum vom 20. Mai 2009 bis 3. März 2011
- 6
- In einer Vielzahl von Fällen parkte der Angeklagte seinen Pkw in der Nähe der Wohnung der Nebenklägerin und beobachtete diese. Als die Nebenklägerin an einem Tag zur Bank fahren wollte, verfolgte sie der Angeklagte mit seinem Pkw über einen Zeitraum von ca. einer Stunde, wobei er immer wieder dicht und bedrängend auffuhr. In dem Tatzeitraum warf der Angeklagte mindestens 22 Briefe persönlich in den Briefkasten der Nebenklägerin ein, in denen er in konfuser und zum Teil bedrohlicher Art zum Ausdruck brachte, dass die Zeugin und er füreinander bestimmt seien. Sie habe sich seinem Willen unterzuordnen. Er habe ein moralisches Recht auf die Nebenklägerin, die sein Lebenselixier sei. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 untersagte das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung, sich der Nebenklägerin, ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Der Angeklagte empfand den Antrag auf Anordnung eines Näherungsverbotes nicht als Ablehnung seiner Person, sondern reagierte erfreut , weil ihm dies aus seiner Sicht zeigte, dass die Nebenklägerin sich mit ihm beschäftigte. Fortan war er nahezu ständig präsent. Unter anderem wartete er am Bahnsteig, als die Nebenklägerin von einer Geschäftsreise zurückkehrte. Anlässlich einer Fahrradfahrt, die die Nebenklägerin unternahm, stellte sich der Angeklagte auf einsamer Strecke plötzlich und unerwartet in den Weg. Ab Februar 2011 begann der Angeklagte, auch den Bereich der Arbeitsstelle der Ne- benklägerin aufzusuchen, schrieb einen Brief an deren Arbeitgeber und beobachtete stundenlang das Firmengebäude.
- 7
- Am 9. Oktober 2010 trafen die Polizeibeamten K. und D. den Angeklagten in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Nebenklägerin an und wollten eine Personalienfeststellung durchführen. Als der Polizeibeamte K. den eine ablehnende Haltung einnehmenden Angeklagten am Arm fasste, drehte sich dieser abrupt um und holte mit dem Arm zum Schlag aus. Er wurde daraufhin fixiert und zur Wache verbracht. Als die Polizeibeamtin D. versuchte , dem Angeklagten die Schuhe auszuziehen, trat er ihr gegen den linken Unterarm. Dabei erlitt die Beamtin Hautabschürfungen.
- 8
- b) Tatzeitraum vom 11. August 2011 bis 27. November 2011
- 9
- Wegen Zuwiderhandlung gegen das mit Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 28. Oktober 2010 angeordnete Näherungsverbot wurde gegen den Angeklagten am 1. März 2011 Ordnungshaft verhängt, die er in dem Zeitraum vom 18. Juli 2011 bis zum 7. August 2011 verbüßte. Nach Vollzug der Ordnungshaft intensivierte er seine Annäherungshandlungen gegenüber der Nebenklägerin. Bis zu der am 2. Dezember 2011 beginnenden erneuten Ordnungshaft erhielt sie nahezu täglich Briefe des Angeklagten, deren Inhalte zunehmend bizarrer wurden. Am 15. August 2011 verfolgte er die Nebenklägerin mit dem Fahrrad, als diese einen Bekannten aufsuchte. Am 16. und 18. August 2011 stand er gut sichtbar vor ihrem Wohnhaus und am 24. August 2011 hielt er sich auf dem Gelände des Arbeitgebers der Nebenklägerin auf, so dass diese ihn wahrnehmen musste. Mit Briefen vom 31. August und 4. September 2011 übersandte er eine Damenquarzuhr bzw. drei Musik-CDs als Geschenke. Ebenfalls am 4. September 2011 warf er einen ausführlichen Brief, dem Glüh- birnen für die Kfz-Beleuchtung beigefügt waren, in den Briefkasten der Arbeitsstelle der Nebenklägerin. In einem Brief vom 7. September 2011 pries er – wie häufig – das Aussehen der Nebenklägerin und entwickelte eine abstruse For- mel, in der er den „Schönheitsfinanzierungsidealwert“ ihrer „Emanzipationsfeminisierungsautoselbstfahrfreizeitlichkeitsrealitätsperson“ zu dem Gesamtge- wicht der Erde in „imaginären 1039 DM-Scheinen“ in Relation setzte. Ferner teilte er mit, dass er „das Recht“ habe,sie und ihren Sohn J. „entlästigend umsonst zu erhalten“ (UA S. 17).
- 10
- Am 10. September 2011 begab sich der Angeklagte wiederum zum Wohnhaus der Nebenklägerin, die daraufhin die Polizei benachrichtigte. Die Polizeibeamten Kl. und S. trafen den Angeklagten ca. 150 Meter von der Wohnung der Nebenklägerin entfernt an und forderten ihn auf, sich zu entfernen. Dies verweigerte der Angeklagte. Er wurde aggressiv und fing zu schreien an, wobei er den Polizeibeamten S. als „dämlich“ bezeichnete. Nach Ingewahrsamnahme des Angeklagten weigerte er sich, in den Zellentrakt zu gehen und sperrte sich dagegen, indem er sich wegdrehte und stehen blieb. Die Polizeibeamten brachten ihn schließlich „gegen seinen Widerstand“ in eine Zelle und zogen dem sich sträubenden Angeklagten die Schuhe aus. Am 21. September 2011 trafen ihn die Polizeibeamten Kl. und D. beim Einwerfen eines Briefes in den Hausbriefkasten der Nebenklägerin an. Zur Durchsetzung des ausgesprochenen Platzverweises wurde der aggressiv reagierende Angeklagte auf die Polizeiwache Wanne-Eickel verbracht. Dort spuckte er auf das Hemd des Polizeibeamten Kl. .
- 11
- Zu den Tatfolgen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
- 12
- Die Nebenklägerin ist durch die Handlungen des Angeklagten psychisch und physisch erheblich beeinträchtigt (Schlafstörungen, Panikattacken, Unruhezustände , Atemnot, schwere Magen-Darmprobleme, Tinnitus). Sie nimmt seit ca. Oktober 2009 in akuten Phasen Anti-Depressiva ein und hat sich in therapeutische Behandlung begeben. Auf Grund psychosomatischer Beschwerden entwickelte sie Essstörungen, die zu einer Gewichtsabnahme führten. Zeitweise konnte sie auf Grund ihres Gesundheitszustandes ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen und war in drei Fällen für mehrere Tage arbeitsunfähig. Bevor sie abends nach Hause zurückkehrte, erkundigte sie sich zunächst telefonisch bei Nachbarn, ob der Angeklagte ihr in seinem Pkw in Wohnungsnähe auflauerte. Aus Angst vor dem Angeklagten konnte sie nicht mehr allein spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Sie hat das Grundvertrauen, sicher zu sein, wenn sie ihre Wohnung verlässt, verloren (UA S. 13 und S. 20). Dieser Zustand hat sich nach der erneuten Inhaftierung des Angeklagten am 3. Dezember 2011 nur eingeschränkt gebessert. Bei Fortsetzung seines Tuns ist davon auszugehen , dass die Nebenklägerin an einer schweren Depression erkranken werde (UA S. 21).
- 13
- Taten zum Nachteil der Zeugin B. (Fälle III. 2 a und b)
- 14
- Als die Nachbarin B. am 17. Juni 2011 gegen 23.25 Uhr in den Kellerräumen des Wohnanwesens des Angeklagten diesen höflich fragte, ob er seine Wohnung wegen der austretenden Gerüche künftig gelegentlich lüften könnte, nahm er dies auf Grund „seiner paranoiden Vorstellungswelt und seiner Affektstörungen“ zum Anlass, die Zeugin gegen eine Wand des Kellerraums zu sto- ßen (schmerzhafte Prellung am linken Arm).
- 15
- Bei einem erneuten Zusammentreffen mit der Zeugin B. am 30. Juni 2011 gegen 23.00 Uhr wiederholte diese ihre Bitte um bessere Lüftung der Wohnung. Der Angeklagte drückte die Zeugin daraufhin mit der flachen Hand gegen eine Wand (starke Schwellung und Hämatom am Unterarm).
- 16
- 2. Das Landgericht geht – sachverständig beraten – davon aus, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Der keine Krankheitseinsicht zeigende Angeklagte werde in Freiheit mit größter Wahrscheinlichkeit erneut ähnliche Handlungen, insbesondere Nachstellungen und Körperverletzungen, begehen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er auch Straftaten von höherem Gewicht begehen könnte. Erheblichere Körperverletzungen seien möglich. Sollte er sich künftig von der Nebenklägerin fernhalten, sei ein Wechsel des Stalkingopfers zu erwarten (UA S. 24).
II.
- 17
- Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 18
- 1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Tatbestand der Nachstellung in zwei Fällen erfüllt ist.
- 19
- Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen. Der Begriff des Nachstellens umschreibt Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (BGH, Beschlüsse vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 193, und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 654/10, WuM 2011, 295, 296). Die Handlungen des Angeklagten erfüllen in beiden Tatzeiträumen die Voraussetzungen des Nachstellens in den Tatvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB. Auch das tatbestandlich vorausgesetzte beharrliche Handeln des Täters ist hier gegeben. Da der Tatbestand vom Gesetzgeber jedoch als Erfolgsdelikt ausgestaltet worden ist, muss die Tathandlung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen (BT-Drucks. 16/575 S. 7). Sie wird beeinträchtigt, wenn durch die Handlung des Täters eine Veränderung der äußeren Lebensumstände erzwungen wird. Die Beeinträchtigung muss zudem schwerwiegend sein (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 196 f.; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 238 Rn. 22 ff.).
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- Insofern zeigen die Urteilsgründe nicht hinreichend auf, dass dieser Erfolg bereits durch die verfahrensgegenständlichen einzelnen Handlungen des Angeklagten eingetreten ist. Denn das Landgericht stellt im Rahmen des Grundtatbestandes des § 238 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft in erster Linie auf die erheblichen psychischen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin und deren psychosomatische Auswirkungen ab. Zu der entscheidenden Frage, ob und inwieweit die Nebenklägerin zu gravierenden, nicht mehr hinzunehmenden Modifikationen ihrer äußeren Lebensgestaltung gezwungen war (z.B. Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes, Treffen besonderer Schutzvorkehrungen beim Verlassen der Wohnung bzw. in den Nachtstunden, Aufgeben erheblicher Teile von Freizeitaktivitäten), werden ohne jede zeitliche Einordnung nur knappe und pauschale Feststellungen getroffen, die sich konkreten Nachstellungs- handlungen – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei einer sukzessiven Tatbegehung einzelne Handlungen des Täters erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen können – nicht zuordnen lassen. Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob das Tatgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen in zwei tatmehrheitlich begangenen Fällen jeweils zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der äußeren Lebensgestaltung geführt haben, ist somit nicht möglich.
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- 2. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen verurteilt hat, fehlt jegliche rechtliche Subsumtion. Angesichts der Vielzahl von möglicherweise strafbaren Verhaltensweisen des Angeklagten , die in dem Urteil geschildert werden (UA S. 9 – 22), ist unklar, welche Handlungen des Angeklagten – über die beiden Taten zum Nachteil der Nachbarin B. hinaus – das Landgericht als tatbestandsmäßig im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB gewertet hat. Gleiches gilt, soweit das Landgericht von einer tateinheitlich verwirklichten Beleidigung ausgegangen ist. Auch hier ist unklar, welche Verhaltensweise des Angeklagten dem Schuldspruch zu Grunde liegt.
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- 3. Die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei Fällen (§ 113 Abs. 1, § 53 StGB) begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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- Hinsichtlich der Tat vom 9. Oktober 2010 sind die Feststellungen widersprüchlich und tragen die Verurteilung nicht. Auf UA S. 14 wird ausgeführt, dass dem Angeklagten der „Inhalt des Beschlusses des Amtsgerichts Herne-Wanne“ bekannt gewesen sei und er gewusst habe, „dass die Beamten zur Durchsetzung des Beschlusses berechtigt waren“. Demgegenüber stellt das Landgericht auf UA S. 11 fest, dass das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten erst mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 verboten hat, sich der Nebenklägerin bzw. ihrer Wohnung oder Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Danach ist ausgeschossen, dass die Polizeibeamten zur Durchsetzung dieses Näherungsverbots tätig geworden sind.
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- Bei der Tat vom 10. September 2011 ist die Tathandlung des „Widerstandleistens“ nicht hinreichend mit Tatsachen belegt. Indem der Angeklagte sich weigerte, in den Zellentrakt zu gehen, und sich lediglich wegdrehte, hat er noch nicht „mit Gewalt“ Widerstand geleistet. Es fehlt an einem auf körperlicher Kraftentfaltung beruhenden, tätigen Handeln gegen die Polizeibeamten (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 113 Rn. 23). Soweit die Polizeibeamten den Angeklagten „gegen seinen Widerstand“ in die Zelle brachten und „dem sich sträu- benden Angeklagten“ die Schuhe auszogen, lassen sich dem Urteil keine kon- kreten Feststellungen zur Art und Weise der Tathandlung entnehmen.
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- Zur Tat vom 21. September 2011 teilt das Landgericht lediglich mit, dass der „aggressiver werdende Angeklagte“ zur Durchsetzung des Platzverweises auf die Polizeiwache verbracht wurde. Ein im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges Widerstandleisten ist nicht ersichtlich.
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- 4. Die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft.
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- Die Strafkammer kommt nach sachverständiger Beratung zu dem Ergebnis , der Angeklagte sei bei der Tatbegehung, wenn auch erheblich vermin- dert, schuldfähig gewesen; bei „abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ sei seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Woraus sich die (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt, ist jedoch nicht dargelegt. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte seit vielen Jahren an einer unbehandelten schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), wobei es zu massiven formalen und inhaltlichen Denkstörungen sowie zu erheblichen Affektstörungen und paranoidem Erleben kommt. Seit dem Jahr 2009 ist eine stetige Steigerung seines krankhaften Verhaltens zu beobachten. Er wirkte hochgradig verschroben und bizarr. Dieses schizophrene Krankheitsbild war auch während der Hauptverhandlung offen erkennbar (UA S. 27/28). Unter diesen Umständen hätte die Strafkammer konkret darlegen müssen, woraus sich (nach der von ihr geteilten Meinung des Sachverständigen) trotz der chronischen Schizophrenie des Angeklagten seine (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt. Jedenfalls bei akuten Schüben einer Schizophrenie und in der „Endphase“ einer Schizophrenie – die Erkrankung des Angeklagten besteht seit geraumer Zeit – ist in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene schuldunfähig ist. Häufig wird bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/95, MDR 1995, 1090; Beschluss vom 16. Januar 2003 – 1 StR 531/02, bei Theune NStZ-RR 2004, 161, 166; Beschluss vom 16. Mai 2007 – 2 StR 96/07; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 9a). Der Tatrichter wäre daher gehalten gewesen , unter Würdigung des gesamten Beweisergebnisses und unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Gutachters sich mit der Frage auseinanderzusetzen , ob der Angeklagte die Taten während akuter Schübe (oder während eines lang dauernden Schubes) begangen hat. Nach dem mitgeteilten Ergebnis der Beweisaufnahme liegen deutliche Anzeichen dafür vor, dass die Taten während akuter Schübe begangen wurden. Denn der Angeklagte wurde ab dem Jahr 2009 zunehmend aggressiver und steigerte sich immer weiter in seine wahnhafte Vorstellung hinein, die Nebenklägerin und er seien auf ewige Zeiten füreinander bestimmt.
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- § 20 StGB setzt voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit „bei Begehung der Tat“ aufgehoben sind. Die Schuldfähigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung , in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 47). Dies verkennt die Straf- kammer, indem sie – dem Sachverständigen folgend – allein auf die „abstrakt bestehende Einsichtsfähigkeit“ abstellt.
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- Nach alledem kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Hiervon unberührt bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin (§ 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. . Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.
III.
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- Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat keinen Bestand.
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- 1. Da das Landgericht die Voraussetzungen von § 20 StGB oder § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bedarf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12). Eine Unterbringungsanordnung kann nicht auf die Prognose des Revisionsgerichts gestützt werden, dass die erneute Hauptverhandlung keinesfalls volle Schuldfähigkeit ergeben und daher in jedem Falle wieder ein Ergebnis haben wird, das eine Unterbringung erfordert (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/05, MDR 1995, 1090).
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- 2. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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- Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Dies muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt regelmäßig voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen. Die gebotene Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Die bislang getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten belegen die wegen des gravierenden Eingriffs in die persönliche Freiheit erforderliche Tatschwere nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als sich die Kammer bei der Feststellung der Tatfolgen der Nachstellungen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10). Wesentliche Grundlage der Entscheidung des Landgerichts zu § 63 StGB ist zudem die Prognose, dass erheblichere Körper- verletzungen lediglich „möglich“ seien und Straftaten von höherem Gewicht „nicht ausgeschlossen“ werden könnten (UA S. 24). Damit fehlen Feststellun- gen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades.
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- Die Sache bedarf daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Zur Vorbereitung der erforderlichen umfassenden und gründlichen Exploration des Angeklagten, die bislang unterblieben ist, wird das Tatgericht die Beauftragung eines anderen Sachverständigen zu erwägen haben.
Quentin Reiter