Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Apr. 2015 - 1 StR 112/15
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
I.
- 1
- Der Angeklagte wurde am 16. Mai 2013 vom Landgericht München I wegen Diebstahls und anderem zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte zu Protokoll der Geschäftsstelle am 22. Mai 2013 Revision eingelegt; dem Verteidiger des Angeklagten wurde das landgerichtliche Urteil am 26. Juni 2013 zugestellt. Mit Schreiben vom 26. Juli 2013 erklärte der Verteidiger, er nehme nach Rücksprache mit seinem Mandanten namens und in dessen Auftrag die von diesem eingelegte Revision zurück.
- 2
- Mit Beschluss vom 30. Juli 2013 legte das Landgericht dem Angeklagten die Kosten der von ihm eingelegten und wieder zurückgenommenen Revision auf.
- 3
- Mit Schreiben vom 28. Mai 2014 ersuchte der Angeklagte um Übersendung einer Ablichtung der Verfügung des Vorsitzenden Richters über die von ihm angeordneten Urteilszustellungen, weil er diese zur Einlegung des zulässigen Rechtsmittels benötige.
- 4
- Mit Schreiben vom 4. Juli 2014 erhob der Angeklagte gegen das Urteil vom 16. Mai 2013 „Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines absoluten Revisionsgrunds“ und beantragte insbesondere, die Revision gegen das Urteil vom 16. Mai 2013 zuzulassen und den Beschluss des Landgerichts vom 30. Juli 2013 aufzuheben. Er erhob die allgemeine Sachrüge und führte u.a. aus, dass das Urteil nur an seinen Verteidiger zugestellt worden sei und keine Unterschriften der Richter enthalte; dieser Umstand führe zwingend zur Urteilsaufhebung. Der Zustellungsmangel habe ihn an der Einlegung des zulässigen Rechtsmittels gehindert. Außerdem sei der Beschluss über die Kostentragungspflicht unzulässig , weil die von ihm eingelegte Revision von ihm selbst nicht zurückgenommen worden sei.
- 5
- Die „Nichtzulassungsbeschwerde“ des Angeklagtenhat das Landgericht als erneute Revision gegen das Urteil vom 16. Mai 2013 ausgelegt und mit Beschluss vom 10. November 2014 als unzulässig verworfen. Die vom Angeklagten am 22. Mai 2013 eingelegte Revision sei durch den Verteidiger wirksam zurückgenommen worden; die Rücknahme enthalte einen Verzicht auf die Wiederholung des Rechtsmittels. Jedenfalls aber sei die Frist zur Begründung der Revision versäumt und die Form nicht gewahrt worden.
- 6
- Diese Entscheidung wurde dem Verteidiger des Angeklagten am 2. Dezember 2014 zugestellt. Mit einem am 1. Dezember 2014 eingegangenen Schreiben vom 26. November 2014 legte der Angeklagte gegen den Beschluss vom 10. November 2014 Rechtsmittel ein und führte „ergänzend“ zu seiner „Rechtsmittelschrift vom 4. Juli 2014“aus, er habe seinem Verteidiger zu keinem Zeitpunkt eine Rücknahmeermächtigung erteilt; er sei in seiner Entscheidung , Rechtsmittel einzulegen, frei.
- 7
- Mit Schreiben vom 23. März 2015 beantragte der Angeklagte, seinem Verteidiger aufzugeben, die schriftliche Rechtsmittelverzichtserklärung vorzulegen.
II.
- 8
- Die Anträge des Angeklagten haben keinen Erfolg.
- 9
- 1. Die am 22. Mai 2013 eingelegte Revision ist wirksam gemäß § 302 Abs. 1 StPO zurückgenommen.
- 10
- Der Verteidiger hatte im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten. Für diese Ermächtigung ist keine bestimmte Form vorgeschrieben. Sie kann auch mündlich erteilt werden. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 302 Rn. 33). Eine solche anwaltliche Versicherung des Verteidigers liegt in seiner Erklärung vom 26. Juli 2013, er nehme die Revision nach Rücksprache mit seinem Mandanten namens und in dessen Auftrag zurück.
- 11
- An diese Rücknahme ist der Angeklagte gebunden. Denn eine wirksame Rücknahmeerklärung ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr. vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 5 StR 314/14).
- 12
- Da vom Angeklagten die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme in Zweifel gezogen wurde, ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Sache des Revisionsgerichts, hierüber eine deklaratorische Feststellung zu treffen (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2014 – 3 StR 421/14).
- 13
- 2. Die Befugnis des Tatrichters, eine Revision als unzulässig zu verwerfen , ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen ein Beschwerdeführer die für die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels vorgeschriebenen Formen oder Fristen nicht gewahrt hat (vgl. § 346 Abs. 1 StPO). Soweit die Revision dagegen aus einem anderen Grund als unzulässig zu verwerfen oder die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme festzustellen ist, steht die Befugnis hierzu allein dem Revisionsgericht zu. Das gilt auch dann, wenn ein solcher Grund mit Mängeln der Form- oder Fristeinhaltung zusammentrifft (vgl. MeyerGoßner /Schmitt aaO § 346 Rn. 2 mwN). Der Beschluss des Landgerichts vom 10. November 2014, mit dem die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen worden ist, war daher aufzuheben.
- 14
- 3. Selbst wenn man davon ausginge, der Angeklagte hätte erneut Revision eingelegt, hätte diese keinen Erfolg. Einer erneut eingelegten Revision steht die zuvor erklärte Rechtsmittelrücknahme entgegen (vgl. MeyerGoßner /Schmitt aaO § 302 Rn. 12). Die Revision richtet sich dann gegen ein rechtskräftiges Urteil und ist folglich unzulässig. VRiBGH Dr. Raum ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Radtke Fischer
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Referenzen - Gesetze
Strafprozeßordnung - StPO | § 346 Verspätete oder formwidrige Einlegung
Strafprozeßordnung - StPO | § 302 Zurücknahme und Verzicht
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBundesgerichtshof Beschluss, 15. Apr. 2015 - 1 StR 112/15 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).
Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juli 2014 - 5 StR 314/14
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Okt. 2014 - 3 StR 421/14
Bundesgerichtshof Beschluss, 27. März 2019 - 4 StR 597/18
Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Okt. 2019 - 1 StR 327/19
Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Aug. 2016 - 1 StR 380/16
Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Feb. 2017 - 1 StR 552/16
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat mit Urteil vom 10. April 2014 erneut die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, nachdem der Senat mit Beschluss vom 9. April 2013 (5 StR 120/13) eine frühere Unterbringungsanordnung aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hatte. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Beschuldigten zunächst fristgerecht Revision eingelegt und das Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 5. Mai 2014 wieder zurückgenommen. Hierzu hat der Verteidiger, der den Beschuldigten auch schon im ersten Verfahrensdurchgang vertreten hatte, mit Schriftsatz vom 14. Mai 2014 ergänzend erklärt, der Beschuldigte habe der angeratenen Rücknahme der Revision nach ausführ- licher Erörterung zugestimmt. Dabei habe der Beschuldigte einen „geistig recht stabilen Eindruck“ gemacht, wie er ihn auch während des Laufs der Hauptverhandlung gezeigt habe. Mit Schreiben vom 28. und 31. Mai 2014 an das Landgericht bat der Beschuldigte darum, „die Revision noch zuzulassen“ und beantragte eine Überprüfung der Unterbringung. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt: „Die Revision des Beschuldigten ist durch dessen Verteidiger wirksam zurückgenommen worden (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Er- mächtigung durch den Beschuldigten, die keiner besonderen Form bedarf (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 6), lag vor, wie sich aus dem Schriftsatz des Verteidigers vom 14. Mai 2014 ergibt. Die Revisionsrücknahme ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. BGHSt 46, 257, 258; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Rücknahme 6). Ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall (vgl. BGHSt 45, 51, 53 m.w.N.) liegt nicht vor. Insbesondere kann aufgrund der Erklärung des Verteidigers ausgeschlossen werden, dass die Zustimmung des Beschuldigten auf krankheitsbedingten Willensmängeln beruht.“
- 2
- Dem folgt der Senat. Die hierzu erfolgte Stellungnahme des Beschuldigten hat keine neuen Gesichtspunkte ergeben. Im Übrigen hat der Senat das Urteil des Landgerichts vom 10. April 2014 zur Kenntnis genommen und dagegen sachlich-rechtlich keine Bedenken.
Berger Bellay
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die rechtzeitig eingelegte Revision hat sein Verteidiger mit am 27. Juni 2014 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz "nach eingehender Beratung mit dem Angeklagten in dessen Auftrag" zurückgenommen. Hiergegen hat sich der Angeklagte mit Schreiben vom 5. Juli 2014 gewandt und vorgetragen, er habe die Erklärungen seines Verteidigers falsch verstanden. Durch die Rücknahme des Revisionsantrages entstünden ihm keine Vorteile. Insbesondere ließen sich mögliche Gründe für eine Revision erst dem schriftlichen Urteil entnehmen.
- 2
- Wird die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten bestritten, so ist in der Regel eine feststellende Klärung durch förmliche Entscheidung des Rechtsmittelgerichts angezeigt (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2000 - 3 StR 257/00, NStZ 2001, 104). Dies führt hier zu der deklaratorischen Feststellung des Senats, dass die vom Angeklagten eingelegte Re- vision durch seinen Verteidiger mit dem am 27. Juni 2014 eingegangenen Schriftsatz wirksam zurückgenommen worden ist.
- 3
- Die für die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme durch den Verteidiger gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten lag vor, nachdem der Verteidiger erklärt hatte, nach Rücksprache und im Auftrag seines Mandanten zu handeln. An diese Rücknahme ist der Angeklagte gebunden. Denn eine wirksame Rücknahmeerklärung ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. KK-Paul, StPO, 7. Aufl., § 302 Rn. 15 mwN). Dass der Angeklagte bei der Erteilung der Ermächtigung zur Revisionsrücknahme einem Motivirrtum unterlegen ist, vermag eine Anfechtung des Rechtsmittelverzichts auch nicht ausnahmsweise zu begründen.
- 4
- Das Revisionsverfahren ist daher durch wirksame Rücknahme des Rechtsmittels abgeschlossen (BGH aaO).
(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.