Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der nach eigenen Angaben am ... März 1982 in Ch. geborene Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger vom Volk der Gurage. Er gibt an, am 20. Mai 2015 mit dem Flugzeug von T. A. kommend über den Flughafen F./Main in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Am 27. Mai 2015 stellte er einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung am 27. Mai 2015 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) und seiner Befragung zum Einreisebegehren durch die Bundespolizeidirektion Flughafen F./Main am 22. Mai 2015 gab der Kläger an, Ende 2006 von seinem Heimatort in den Sudan ausgereist zu sein. Probleme mit staatlichen Stellen habe er nicht gehabt. Grund für die Ausreise seien Morddrohungen und Gewalttätigkeiten seiner Familie wegen einer Liebesbeziehung zu seiner Nichte - seine jetzige Ehefrau - gewesen. Nachdem ihn der Bruder seiner Ehefrau körperlich angegriffen habe, sei er für sechs Monate im Gefängnis gewesen. Etwa drei Monate nach seiner Haftentlassung sei er mit seiner Ehefrau in den Sudan ausgereist. Weil dort das Leben als Christ nicht einfach sei und weil sie befürchteten, dass die Eltern seiner Frau nachreisen könnten, seien sie im Jahr 2009 illegal nach Israel weitergereist und hätten dort erfolglos Asyl beantragt. In Israel hätten sie in T. A. gelebt und im Jahr 2013 geheiratet; ihre beiden Kinder seien dort geboren worden. Ab August 2014, kurz vor der Ausreise seiner Ehefrau, sei er wegen illegalen Aufenthalts inhaftiert gewesen. Freigänge am 13. und 19. Mai 2015 habe er zum Kauf eines Flugtickets bzw. zur Ausreise nach Deutschland genutzt.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag (Nr. 2) des Klägers sowie seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurden verneint (Nr. 4). Die Abschiebung nach Äthiopien wurde angedroht, sollte keine Ausreise innerhalb von 30 Tagen erfolgen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, der Kläger sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, der mit Frau und Kindern problemlos in jedem Landesteil, insbesondere in Addis Abeba, leben könne. Nicht erkennbar sei, dass er das Existenzminimum nicht erreichen könne.

Am 4. März 2016 erhob der Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 30. August 2017 übergab er eine Bescheinigung der EPPFG (Ethiopian People Patriotic Front Guard) vom 6. März 2016; hiernach sei der Kläger seit 1. September 2015 ein aktiver Teilnehmer an zahlreichen Treffen der äthiopischen Opposition.

Das Verwaltungsgericht Ansbach hat die Klage mit Urteil vom 31. August 2017 abgewiesen. Der Kläger habe sich in Äthiopien nicht politisch betätigt und ausschließlich innerfamiliäre Probleme als Ausreisegrund angegeben. Anknüpfungspunkt für seine Inhaftierung sei eine Schlägerei mit dem Bruder seiner jetzigen Ehefrau gewesen, also eine strafbare Handlung. Auch sein (geringes) exilpolitisches Engagement lasse nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten, dass ihm in Äthiopien eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Januar 2018 zugelassene Berufung. Zur Begründung macht der Kläger geltend, weiterhin als Mitglied der EPPFG politisch aktiv zu sein, an Versammlungen teilzunehmen, dort mitzudiskutieren und bei den Protest- und Informationsveranstaltungen der äthiopischen Exilopposition mitzuwirken. Allein aus diesem Grund drohten ihm in Äthiopien mindestens Haft auf unbestimmte Zeit und Misshandlung. Die sechsmonatige Frist für die Inanspruchnahme der Amnestie sei inzwischen abgelaufen. Abgesehen davon greife die Amnestie in der Praxis nicht gegenüber Personen, die aufgrund ihrer früheren politischen Aktivitäten im Verdacht stünden, sich für die nach wie vor auch gewaltsam bekämpfte amharische Opposition einzusetzen. Trotz der Einladung des Ministerpräsidenten an die Oppositionsgruppen zur Rückkehr und Zusammenarbeit unter Aufhebung des Terrorismusverdikts für die OLF und Ginbot 7 greife eine Entwarnung deutlich zu kurz. Neue Massenverhaftungen fänden statt. Die Öffnungspolitik Abiy Ahmeds sei in der EPRDF hoch umstritten. Unter dem Eindruck einer Zurücknahme der Macht der Zentralregierung seien regionale Herrschaftsapparate erstarkt; ethnische Konflikte hätten zur Vertreibung von Millionen Menschen geführt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. August 2017 und unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 16. Februar 2016 zu verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm subsidiären Schutz zu gewähren sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat durch Beschluss vom 26. März 2018 zu verschiedenen Fragen Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts bzw. schriftlicher Gutachten von Amnesty International, des GIGA-Instituts für Afrika-Studien und der Schweizerische Flüchtlingshilfe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten und auf die Gerichtsakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Ablehnung der in der Berufungsinstanz noch geltend gemachten Ansprüche im Bescheid des Bundesamts vom 16. Februar 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es kann offen bleiben, ob dem Kläger die Ansprüche im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung zustanden. Der Kläger hat jedenfalls in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. I.) noch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. II.). Auch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. unten Ziff. III.) oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. unten Ziff. IV.) steht dem Kläger nicht zu.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten - hier nicht einschlägigen - besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 - im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).

Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).

2. Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.

a) Der Kläger hat keine staatliche Verfolgung dargelegt. Soweit er sich auf eine strafrechtliche Ahndung seiner inzestuösen Beziehung zu seiner Nichte beruft, ist nicht erkennbar, dass es sich dabei um eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG handelt. Die Bestrafung inzestuöser Handlungen dient dem - grundsätzlich legitimen - staatlichen Rechtsgüterschutz (vgl. auch § 173 Strafgesetzbuch - StGB, vgl. zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG, B.v. 26.2.2008 - 2 BvR 392/07 - BVerfGE 120, 224). Dass der äthiopische Straftatbestand offenbar - über das deutsche Strafrecht hinausgehend - auch sexuelle Handlungen zwischen Onkel und Nichte unter Strafe stellt, ändert daran nichts. Dem legitimen staatlichen Rechtsgüterschutz dienende Strafverfolgungsmaßnahmen schlagen erst dann in eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung um, wenn sie diskriminierenden Charakter besitzen, indem sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die dadurch gerade wegen eines asylerheblichen persönlichen Merkmals getroffen werden sollen (vgl. BVerfG, B.v. 4.12.2012 - 2 BvR 2954/09 - NVwZ 2013, 500 = juris Rn. 24; BVerwG, B.v. 3.8.2006 - 1 B 20.06 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 5.2.2018 - 11 ZB 18.30185 - juris Rn. 6). Der Kläger behauptet nicht, dass er wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Bestrafung erlitten hat bzw. bei seiner Rückkehr erleiden würde (sog. „Politmalus“, vgl. BVerfG, B.v. 4.12.2012, a.a.O.) bzw. dass das Vorgehen des äthiopischen Staates darüber hinausgeht, was erforderlich ist, damit dieser sein legitimes Recht auf staatlichen Rechtsgüterschutz ausüben kann (vgl. EuGH, U.v. 26.2.2015 - C-472/13 - NVwZ 2015, 575 = juris Rn. 50). Er hat nicht vorgetragen, in Äthiopien politisch tätig gewesen zu sein oder - abgesehen von seiner Gefängnisstrafe - Probleme mit staatlichen Stellen gehabt zu haben (vgl. S. 44 der Bundesamtsakte). Eine diskriminierende Wirkung der Strafe kann sich auch nicht aus sozialer Ächtung und Benachteiligung ergeben, die lediglich als Folgen der Bestrafung eintreten (vgl. EuGH, U.v. 26.2.2015 - C-472/13 - NVwZ 2015, 575 = juris Rn. 55). Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten für die Ahndung sexueller Handlungen zwischen nahen Familienangehörigen unverhältnismäßig im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylG wäre; der - enger gefasste - Straftatbestand des § 173 Abs. 1 und 2 StGB sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei bzw. drei Jahren vor.

Den Vortrag des Klägers, in der Haft gefoltert worden zu sein, erachtet der Senat als unglaubhaft. Der Kläger hat insoweit sein Vorbringen erheblich gesteigert; er hat eine Folterung im Gefängnis weder bei seiner Bundesamtsanhörung noch bei seiner informatorischen Anhörung vor dem Verwaltungsgericht erwähnt. Im Übrigen enthalten auch die Schilderungen des Klägers zum Grund seiner Inhaftierung Ungereimtheiten. Sein diesbezüglicher Vortrag gegenüber dem Bundesamt beinhaltete - anders als die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - keine Aussage zu einer Haftentlassung mit der Auflage, die inzestuöse Beziehung zu beenden. Vielmehr schilderte der Kläger eine tätliche Auseinandersetzung mit dem Bruder seiner Nichte bzw. Ehefrau, die nicht nur zu seiner, sondern auch zu dessen Verhaftung geführt hat (vgl. S. 41 der Bundesamtsakte); letzterer sei aber erheblich früher entlassen worden (vgl. erstinstanzliche Klagebegründung, S. 15 der VG-Akte).

Auch aus den allgemein prekären Haftbedingungen in äthiopischen Gefängnissen einschließlich Berichten von Misshandlungen (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 16) kann der Kläger keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 19) herleiten. Die harten Bedingungen und die Behandlung in den Gefängnissen Äthiopiens treffen potentiell alle äthiopischen Staatsangehörigen gleichermaßen. Nicht dargelegt oder sonst erkennbar ist, dass dem Kläger wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals im Verhältnis zu anderen Straftätern schlechtere Haftbedingungen („Politmalus“) drohten (vgl. auch OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 - 4 Bf 186/18.A - juris Rn. 59).

b) Infolge des den in das Berufungsverfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen zu entnehmenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch nicht angenommen werden, dass dem Kläger infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht. Die exilpolitische Betätigung des Klägers in Deutschland für die der Ginbot7 nahestehenden EPPFG (Ethiopian People Patriotic Front Guard) ist infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine darauf gerichtete Furcht zu begründen.

aa) Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Anfang des Jahres kündigte der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 gab er bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Democratic Front) niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Dennoch verhängte die äthiopische Regierung am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People's Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar - Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).

Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1; „Focus Äthiopien - Der politische Umbruch 2018“ vom 16. Januar 2019 der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Staatssekretariat für Migration SEM [im Folgenden: SEM] S. 8 f.). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6; SEM S. 7). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10; SEM S. 6).

Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.), weiterhin der Anführer von Ginbot7, Berghane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war, und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6). Am 26. Mai 2018 wurde Andargachew Tsige, ein Führungsmitglied von Ginbot7, begnadigt, der sich kurz nach seiner Entlassung öffentlichwirksam mit Premierminister Abiy Ahmed getroffen hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 10). Neben führenden Politikern befinden sich unter den Freigelassenen auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13).

Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).

Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 15; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 17, 19). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen (SEM S. 17). Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand und unterzeichnete am 21. Oktober 2018 ein Friedensabkommen mit der äthiopischen Regierung (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22; SEM S. 24 f.). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 17.9.2018 - Äthiopien; SEM S. 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). So wurde etwa die Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa, die Anfang November 2018 nach sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, am 23. November 2018 zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission gewählt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 23; SEM S. 7).

Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).

Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihm angegebenen exilpolitischen Tätigkeit noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass die EPPFG der Ginbot7 nahesteht (der Armeeflügel der EPPF wurde 2006 mit Ginbot7 verschmolzen, vgl. AA, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 2; im Jahr 2015 haben sich Ginbot7 und EPPF zum Bündnis „Arbegnoch - Ginbot7 for Unity and Democracy Movement (AGUDM)“ zusammengeschlossen, vgl. GIGA - Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, Stellungnahme vom 19.5.2018 an den Verwaltungsgerichtshof S. 5) und Ginbot7 von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.

bb) Zwar haben die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten. So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei fünf Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; SEM S. 20). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien; vgl. auch SEM S. 21 f.).

Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.; SEM S. 30 ff.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).

Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen (vgl. AA, Auskunft vom 7.2.2019 gegenüber dem Verwaltungsgericht Dresden, S. 2). Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20). Am 20. Dezember 2018 hat das äthiopische Repräsentantenhaus als Reaktion auf die ethnischen Konflikte zudem beschlossen, auf Bundesebene eine Kommission für Verwaltungsgrenzen und Identitätsfragen zu schaffen (vgl. SEM S. 32 f.).

cc) Insgesamt gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass aufgrund der jüngsten gesetzlichen Regelungen und der Maßnahmen der Regierung unter Führung von Premierminister Abiy Ahmed, insbesondere der Streichung der Ginbot7 von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker, nicht (mehr) angenommen werden kann, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie der Kläger - (einfaches) Mitglied der EPPFG sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. BayVGH, U.v. 12.3.2019 - 8 B 18.30252 - juris Rn. 40; ebenso VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris Leitsatz und Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 13.12.2018 - 6 K 4004/17.A - juris Rn. 54). Dies bestätigt auch die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019 S. 2). Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Britischen Botschaft, nach dessen Einschätzung es Mitgliedern der Diaspora, die sich entscheiden, nach Äthiopien zurückzukehren, erlaubt ist, sich wieder als Bürger in die Gesellschaft zu integrieren und etwa auch Privatunternehmen zu gründen (vgl. The Danish Immigration Service S. 19).

dd) Dem Vorbringen des Klägers, die Situation in Äthiopien sei trotz des politischen Umbruchs noch nicht stabil, kommt vorliegend keine rechtliche Bedeutung zu. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass trotz der tiefgreifenden Veränderungen in Äthiopien seit der Machtübernahme von Premierminister Abiy Ahmed die Verhältnisse noch nicht als gefestigt gewertet werden können. Dafür dürfte vor allem der Umstand sprechen, dass sich nach dem Machtantritt des neuen Premierministers, der vor allem mit den Stimmen aus Oromia und Amhara, aber gegen die Stimmen der Tigray und der Vertreter der Region der südlichen Nationen gewählt wurde, die Spannungen zwischen der regierenden EPRDF, die bislang von der Ethnie ihrer Gründungsgruppe TPLF dominiert wurde, welche die Tigray repräsentiert, und der Region Tigray in jüngster Zeit verschärft haben, offenbar nachdem die Regierung gegen Mitglieder der TPLF vorgegangen war. Als Folge der veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Führung der EPDRF sind neue Formen der ethnisch motivierten Gewalt aufgetreten (vgl. The Danish Immigration Service S. 9, 11; SEM S. 8 ff., 26), die vor allem in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle sind. Hierdurch ist die Zahl der Binnenflüchtlinge erheblich gestiegen und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 7; Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“). Auch auf Premierminister Abiy Ahmed selbst wurde bereits ein Anschlag verübt (SEM S. 9; nordbayern.de vom 18.11.2018 „Für eine Rückkehr nach Äthiopien ist es viel zu früh“; vgl. SWP-Aktuell Nr. 32 von Juni 2018, „Abiy-Superstar - Reformer oder Revolutionär“) und gegen ihn ein Putschversuch unternommen (vgl. SEM S. 29).

Da der Kläger mangels Vorverfolgung die Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht in Anspruch nehmen kann, ist die Rechtsfrage, ob für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, erforderlich ist, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit entkräften, nicht nur vorübergehend beseitigt sind, vorliegend nicht entscheidungserheblich (vgl. dazu grundlegend BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645 - juris Rn. 40 f.). Dem von der Klägerseite gestellten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens und Vorlage dieser Rechtsfrage an den Europäischen Gerichtshof war bereits deshalb nicht zu entsprechen.

ee) Auch der Hinweis des Klägers auf regionale (ethnische) Konflikte rechtfertigt keine andere Einschätzung. Dass es in letzter Zeit nach ethnischen Auseinandersetzungen zu gewalttätigen Zusammenstößen von Oppositionsgruppen - insbesondere der OLF - mit der Regierung gekommen ist (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien), liegt nach der Überzeugung das Bestreben der Regierung zugrunde, bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien zu bekämpfen und durch hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften und gegebenenfalls durch militärisches Eingreifen die Lage zu beruhigen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9; BFA Länderinformationsblatt S. 11, 15; BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Insoweit handelt es sich nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und die Abwehr allgemeiner Gefahren.

Der Umstand, dass nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed weiterhin zahlreiche Personen ohne Anklage in Haft verblieben sind (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 6, 9), rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, dass Rückkehrer aus dem Exil mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, zumal nach Angaben eines nationalen Beobachters eine Reihe von Gefangenen schlichtweg „vergessen wurde“ (vgl. The Danish Immigration Service S. 13 f.). Es sind auch keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch die äthiopischen Behörden inhaftiert oder misshandelt wurden (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.2018 S. 4; AA, Ad-hoc-Bericht S. 25). Auch wenn die sechsmonatige Frist zur Beantragung der Amnestie inzwischen abgelaufen ist, worauf der Kläger hinweist, ist angesichts des unter Abiy Ahmed eingeleiteten Dialogs zur Rückkehr und zum Dialog von Oppositionsangehörigen (vgl. oben Rn. 31) grundsätzlich nicht mit Verfolgungsmaßnahmen gegen im Ausland exilpolitisch tätig gewordenen Asylbewerbern zu rechnen. Die Mutmaßung des Klägers, die Amnestie greife in der Praxis nicht gegenüber Personen, die aufgrund ihrer früheren politischen Tätigkeiten im Verdacht stehen, sich für die gewaltsam bekämpfte amharische Opposition einzusetzen, ist durch nichts belegt.

II.

Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

1. Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht er selbst nicht geltend.

2. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass dem Kläger in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen.

2.1 Selbst wenn der Kläger wegen der Beziehung zu seiner Nichte noch mit einer Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in Äthiopien zu rechnen hätte - woran aus Sicht des Senats wegen der Legitimation der Beziehung durch kirchliche Heirat (vgl. Heiratsurkunde, S. 30 der Bundesamtsakte), der seit der Ausreise im Jahr 2006 vergangenen erheblichen Zeitspanne und der alleinigen Rückkehr infolge der Trennung von seiner Ehefrau erhebliche Zweifel bestehen -, wäre im Falle einer Verurteilung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung zu erwarten. Zwar sind die Haftbedingungen in äthiopischen Gefängnissen und Untersuchungshaftzentren mit europäischen Standards nicht zu vergleichen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 16). Zu den größten Problemen zählen massive Überbelegung und unzureichende Nahrungsmittel-, Wasser- und medizinische Versorgung sowie mangelhafte sanitäre Anlagen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24). Es gibt Berichte von Folter und Misshandlungen, insbesondere während der Untersuchungshaft und gegenüber Häftlingen, die verdächtigt werden, mit Terrororganisationen in Verbindung zu stehen (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.2018 an den Verwaltungsgerichtshof S. 4). Auch unter Berücksichtigung dieser zweifellos harten Haftbedingungen erscheint es aber nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei der Vollstreckung einer relativ kurzen Freiheitsstrafe wegen Inzests eine menschenrechtswidrige Behandlung droht. Bei dieser Einschätzung legt der Senat zugrunde, dass sich die Kehrtwende Abiy Ahmeds Weg von der repressiven Politik seiner Vorgänger auch bei der Behandlung inhaftierter Gefangener positiv auswirken wird. Hierfür spricht z.B., dass die für Folter berüchtigten Gefängnisse „Maekelawi“ in Addis Abeba und „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 17, BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.).

2.2 Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (zu diesem Erfordernis vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.

Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.)

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei dem Kläger, der keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Dies gilt auch für die Region Gurage, aus der der Kläger stammt (vgl. SEM S. 32; BFA Länderinformationsblatt S. 8, 12). Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 20; BFA Länderinformationsblatt S. 8). Für die Region Gurage, aus der der Kläger stammt und wo er sich bis zu seiner Ausreise in den Sudan Ende 2006 aufgehalten hat, lässt sich deshalb nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

III.

Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund schlechter humanitärer Bedingungen liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U. v. 28.6.2011 - 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG U.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 9 unter Verweis auf BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.).

Dass sich der Kläger in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, macht er weder geltend noch ist dies sonst ersichtlich. Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f.).

Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Nach der Trennung von seiner Ehefrau ist bei der Prognose, welche Gefahren dem Kläger im Fall einer Abschiebung in seinen Heimatstaat drohen, unter Anwendung der gebotenen realitätsgerechten Sichtweise (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 10; U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = juris Rn. 11 f.) davon auszugehen, dass er alleine nach Äthiopien zurückkehren wird. Der Kläger ist seinen Angaben zufolge 37 Jahre alt, hat in Äthiopien die Schule besucht und ist gesund und arbeitsfähig. In Deutschland arbeitet er seit März 2017 als Lagerarbeiter. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Auch wenn eine Rückkehr in seine Heimtatregion infolge fortbestehender innerfamiliärer Konflikte unzumutbar sein sollte, ist davon auszugehen, dass der Kläger sein Existenzminimum ohne familiäre Unterstützung an einem anderen Ort im ganzen Land bzw. am Zielort der Abschiebung in Addis Abeba (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146,12 = juris Rn. 38) sicherstellen kann.

IV.

Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

Nach diesen Maßstäben ist bei dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben III.).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

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(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

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(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3c Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann


Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 28 Nachfluchttatbestände


(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss

Strafgesetzbuch - StGB | § 173 Beischlaf zwischen Verwandten


(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstra

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 29. März 2019 - 8 B 18.30276 zitiert oder wird zitiert von 10 Urteil(en).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 29. März 2019 - 8 B 18.30276 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Endurteil, 12. März 2019 - 8 B 18.30252

bei uns veröffentlicht am 12.03.2019

Tenor I. Die Berufung wird zurückgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. IV. Die Revision wird

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Endurteil, 13. Feb. 2019 - 8 B 17.31645

bei uns veröffentlicht am 13.02.2019

Tenor I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. August 2017 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. II

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2018 - 11 ZB 18.30185

bei uns veröffentlicht am 05.02.2018

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zula

Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 31. Okt. 2018 - B 7 K 17.32826

bei uns veröffentlicht am 31.10.2018

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. 3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Der Kläger ist äthiopischer St

Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 13. Nov. 2018 - RO 2 K 17.32132

bei uns veröffentlicht am 13.11.2018

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sich

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 21. Sept. 2018 - 4 Bf 186/18.A

bei uns veröffentlicht am 21.09.2018

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 8. Mai 2018 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhob

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 04. Dez. 2012 - 2 BvR 2954/09

bei uns veröffentlicht am 04.12.2012

Tenor Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2009 - M 22 K 07.50683 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbi
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 29. März 2019 - 8 B 18.30276.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2019 - 8 ZB 19.30631

bei uns veröffentlicht am 11.04.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gründe Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. 1. Der vom Kläg

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 8 ZB 19.32392

bei uns veröffentlicht am 04.07.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gründe Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. 1. Der allein

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 8 ZB 19.32389

bei uns veröffentlicht am 04.07.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gründe Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. 1. Der allein g

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2009 - M 22 K 07.50683 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bayerische Verwaltungsgericht München zurückverwiesen.

Damit wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2009 - 21 ZB 09.30109 - gegenstandslos.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer, ein 39jähriger syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste im August 2006 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner Anhörung gab er an, als Aktivist für die kurdische Sache in das Blickfeld syrischer Sicherheitskräfte geraten zu sein. Er habe sich mehr als zehn Jahre im Irak aufgehalten. Als er im April 2004 nach Syrien zurückgekehrt sei, habe man ihn festgenommen und anschließend bis Mai 2005 inhaftiert; in der Haft sei er erheblich gefoltert worden. Ihm sei die Zugehörigkeit zu einer geheimen Organisation vorgeworfen worden, die Syrien teilweise annektieren wolle. Am 3. März und 29. Mai 2005 habe es Verhandlungen beim Obersten Staatssicherheitsgericht gegeben; dabei sei er von einem Anwalt begleitet worden, den ihm seine gut bemittelte Familie besorgt habe. Ende Mai 2005 sei er wegen gesundheitlicher Gründe gegen Kaution freigelassen worden. Er habe Syrien Anfang September 2005 verlassen und sei über Jordanien nach Ägypten gereist, wo er sich bis zu seiner Ausreise nach Deutschland illegal aufgehalten habe. Dort habe er erfahren, dass er am 25. September 2005 in Abwesenheit zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Bei einem weiteren Verbleib in Syrien habe er mit seiner erneuten Verhaftung und Misshandlung rechnen müssen.

3

Zur Glaubhaftmachung seines Vorbringens legte der Beschwerdeführer mehrere Unterlagen vor, darunter zwei Ausweise einer irakischen Menschenrechtsorganisation, ein Anwalts- und Gerichtsschreiben vom 9. Juni 2005 und einen Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls.

4

2. Mit Bescheid vom 29. Mai 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die bei der Anhörung gemachten Angaben und vorgelegten Unterlagen hätten zur Überzeugung des Einzelentscheiders geführt, dass der Beschwerdeführer in Syrien eine asyl- oder abschiebungsverbotsrelevante Verfolgung weder erlitten noch bei Rückkehr zu gewärtigen habe. Das Anwalts- und Gerichtsschreiben sowie der Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls wiesen erhebliche Fälschungsmerkmale auf. Einer Korrespondenzbestätigung des früheren Anwalts des Beschwerdeführers komme demgegenüber keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Auch einen politischen Hintergrund, der die Annahme zuließe, er könnte ernsthaft in das Blickfeld des syrischen Geheimdienstes geraten sein, vermöge der Beschwerdeführer nicht darzutun. Schließlich liege kein Abschiebungsverbot mit Blick auf die geltend gemachten Erkrankungen vor.

5

3. Mit seiner Klage machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, dass die Feststellung des Bundesamts, bei den vorgelegten Urkunden handele es sich um Fälschungen, nicht nachvollziehbar begründet worden sei. Zum Haftbefehl finde sich keine konkrete Aussage. Im Übrigen werde lediglich die Ungewöhnlichkeit der Formulierungen moniert, was nicht genüge, nachdem der frühere Anwalt die Echtheit und Authentizität des anwaltlichen Schreibens sowie die Vertretung des Beschwerdeführers vor dem Obersten Sicherheitsgericht bestätigt habe.

6

Für den Termin zur mündlichen Verhandlung kündigte der Beschwerdeführer an, zum Beweis der von ihm behaupteten Verurteilung und Inhaftierung sowie der Echtheit der vorgelegten Urkunden die Vernehmung des in England lebenden Anwalts zu beantragen. Zudem legte er weitere Unterlagen vor, darunter eine gutachtliche Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien (EZKS) vom 6. Dezember 2008, die das Anwalts- und Gerichtsschreiben und den Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls als echt bewertete und die Angaben des Beschwerdeführers auf der Grundlage eigener Recherchen bestätigte, sowie zwei ärztlich-psychologische Stellungnahmen, die eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierten.

7

Im Verhandlungstermin stellte der Beschwerdeführer jeweils hilfsweise den schriftsätzlich angekündigten Beweisantrag sowie den Antrag, zum Beweis der Tatsache, dass er vom Staatssicherheitsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde, ein Gutachten des EZKS oder einer anderen fachkundigen Stelle einzuholen.

8

4. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. Februar 2009 ab. Eine Asylanerkennung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer für die behauptete Einreise auf dem Luftweg beweisfällig geblieben sei. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft könne der Beschwerdeführer nicht beanspruchen, weil er weder vorverfolgt eingereist sei noch eine politische Nachfluchtaktivität dargetan habe. Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot bestehe aus den vom Bundesamt genannten Gründen ebenfalls nicht.

9

Das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG begründete das Gericht damit, dass es dem Beschwerdeführer den Vortrag zu seinen Fluchtgründen nicht glaube. Seine Angaben zu den beim Bundesamt vorgelegten Ausweisen einer irakischen Menschenrechtsorganisation seien ungereimt. Der eigentliche Verfolgungsvortrag weise, insbesondere was den zehnjährigen Aufenthalt im Irak und die Umstände der Rückkehr nach Syrien angehe, schwere Widersprüche auf. Vor dem Hintergrund dieser Widersprüche seien auch die Angaben zu Folter und Misshandlung während der Untersuchungshaft unglaubhaft. Auskünfte von offizieller Seite seien nicht zu erwarten; der damalige Anwalt könne keinen Erkenntnisgewinn über die Behandlung des Beschwerdeführers in der Haft erbringen; die in den vorgelegten ärztlichen Gutachten beschriebenen Symptome seien für die behaupteten Misshandlungen nicht spezifisch, sondern könnten auch andere Ursachen haben. Selbst die behauptete Verurteilung und Inhaftierung seien nicht frei von Zweifeln. Das Auswärtige Amt weise in seiner Auskunft vom 23. Januar 2007 auf mehrere Fälschungsmerkmale in den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen hin und bezeichne die Freilassung gegen Kaution als ungewöhnlich. Diese gewichtigen Zweifel habe der Beschwerdeführer durch das Gutachten des EZKS vom 6. Dezember 2008, das seinem Wesen nach überdies parteiisch sei, nicht substantiiert erschüttern können. Deshalb und weil nicht dargelegt worden sei, dass bessere Erkenntnisse zu erwarten seien, sei der Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Gutachtens einer anderen fachkundigen Stelle abzulehnen gewesen. Über die konkrete Verurteilung und die Dauer der Haft gäben auch die sonst vorgelegten Unterlagen keine Aufschlüsse. Der gewichtigste Einwand gegen eine Verurteilung liege schließlich in dem Umstand, dass der Beschwerdeführer das Urteil selbst nicht vorgelegt habe, obwohl die syrische Strafprozessordnung Möglichkeiten der Mitteilung an Abwesende vorsehe.

10

Ergänzend führte das Gericht an, dass, selbst wenn man eine Verhaftung des Beschwerdeführers und seine Verurteilung vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht als wahr unterstellte - was das Gericht nicht tue -, darin keine politische Verfolgung gesehen werden könnte. Die Bestrafung wegen hochverräterischen Verhaltens stelle keine solche dar, sondern sei Ausfluss des legitimen Interesses jedes Staates auf Achtung seiner territorialen Integrität. Der Anwalt des Beschwerdeführers könne allenfalls diesen Umstand belegen, nicht jedoch eine politisch motivierte unangemessene Behandlung in der Haft oder sonstige politische Mali während und beim Ergebnis des Verfahrens. Die hilfsweise beantragte Zeugenvernehmung sei deshalb unerheblich, zumal sich der Anwalt schriftlich geäußert habe und die Vernehmung entsprechend § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO habe unterbleiben können.

11

5. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung machte der Beschwerdeführer neben den Zulassungsgründen der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz geltend, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei.

12

Das Verwaltungsgericht sei den hilfsweise gestellten Beweisanträgen pflichtwidrig nicht nachgekommen. Den Antrag auf Vernehmung des früheren Anwalts des Beschwerdeführers habe es mangels Vorliegens der Voraussetzungen weder als unerheblich übergehen noch aus Gründen des Prozessrechts ablehnen dürfen. Entsprechendes gelte für den weiteren Hilfsbeweisantrag. Das Auswärtige Amt habe die Echtheit der vorgelegten Unterlagen nicht abschließend verifiziert, sondern lediglich auf mögliche Fälschungsmerkmale hingewiesen. Diesen Zweifeln habe der Beschwerdeführer durch Vorlage des Gutachtens des EZKS vom 6. Dezember 2008 Rechnung getragen, weshalb die Behauptung des Verwaltungsgerichts, es fehle eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, ins Leere gehe. Die Beweiserhebung sei auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil das vorgelegte Gutachten, wie vom Verwaltungsgericht behauptet, seinem Wesen nach parteiisch sei; das EZKS werde von vielen Gerichten und auch vom Bundesamt als Gutachter herangezogen.

13

Des Weiteren sei die Unterstellung des Verwaltungsgerichts, die posttraumatische Belastungsstörung des Beschwerdeführers könne andere als die behaupteten Ursachen haben, aus der Luft gegriffen und objektiv nicht begründet. Dem Gericht fehle die erforderliche Sachkunde, um dies beurteilen zu können. Zur Gewährung rechtlichen Gehörs sei weitere Sachaufklärung notwendig gewesen, wie ein aktueller psychologischer Befundbericht bestätige.

14

Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 20. November 2009, der in Anwendung von § 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG nicht begründet worden ist, ab.

15

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Ablehnung seines Schutzbegehrens durch das Verwaltungsgericht erweise sich als willkürlich. Die fachgerichtliche Beweiswürdigung stütze sich auf Indizien, die unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs und unter Missachtung von Beweisanträgen in das Urteil eingeführt worden seien mit der Folge, dass die restlichen Indizien möglicherweise anders gewertet worden wären.

16

Insbesondere die Ablehnung der Hilfsbeweisanträge verstoße gegen Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Das Verwaltungsgericht sei nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gehalten, den Sachverhalt, solange sich ein so genannter Politmalus nicht von vornherein ausschließen lasse, in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären; dies gelte entsprechend, wenn Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt werde. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Folterungen seien Indizien für einen Politmalus, der sich nicht nur an der Strafhöhe festmachen lasse. Der Beschwerdeführer habe dargelegt, dass sein Anwalt nicht nur zur Frage der Inhaftierung und Verurteilung, sondern auch zur Frage der Folter sachgerechte Angaben hätte machen können. Das Verwaltungsgericht habe den Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung des Anwalts deshalb nicht wegen Unerheblichkeit oder unter Verweis auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO und das Vorliegen einer schriftlichen Äußerung ablehnen dürfen. Auch dem weiteren Hilfsbeweisantrag habe das Verwaltungsgericht stattgeben müssen, um sich hinreichende Überzeugungsgewissheit zu verschaffen; das Vorliegen oder Nichtvorliegen der unter Beweis gestellten Verurteilung wegen eines politischen Delikts beeinflusse die Glaubhaftigkeitsbewertung insgesamt und habe deshalb nicht dahinstehen können.

17

Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG liege darin begründet, dass das Verwaltungsgericht sich mit den eingeführten ärztlichen Stellungnahmen nicht hinreichend auseinandergesetzt und es unterlassen habe, zu der vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung und deren Ursachen ein weiteres Gutachten einzuholen.

18

7. Das Bayerische Staatsministerium des Innern und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

19

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.

20

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Beschwerdeführer vor ihrer Erhebung den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft.

21

a) Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs keine Anhörungsrüge erhoben hat, obgleich er mit der Verfassungsbeschwerde Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht. Die Anhörungsrüge wäre offensichtlich unzulässig gewesen, weil sich der Beschwerdeführer mit ihr auf keine neue und eigenständige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Verwaltungsgerichtshof hätte berufen können (vgl. BVerfGK 13, 496 <499 f.>).

22

b) Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 95, 96 <127>; 112, 50 <60 ff.>) liegt nicht vor. Ein solcher folgt insbesondere nicht daraus, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit, die beiden Beweisanträge unbedingt zu stellen (§ 86 Abs. 2 VwGO), nicht wahrgenommen hat. Um sich mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz rechtliches Gehör zu verschaffen, kann nicht die Stellung eines durch Beschluss zu bescheidenden unbedingten Beweisantrags verlangt werden. Die hilfsweise Stellung des Beweisantrags reicht aus, da sie das Gericht nicht von der Verpflichtung enthebt, die Erheblichkeit des Beweisangebots zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 1992 - 2 BvR 633/91 -, NVwZ 1992, S. 659 <660>).

23

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Das Verwaltungsgericht hat die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG ergebenden Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG verfehlt.

24

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16a Abs. 1 GG ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfGE 80, 315 <335>). Dies gilt indes dann nicht, wenn die staatliche Maßnahme allein dem - grundsätzlich legitimen - staatlichen Rechtsgüterschutz, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung, dient (vgl. BVerfGE 80, 315 <339>) oder sie nicht über das hinausgeht, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird (vgl. BVerfGE 81, 142 <151>). Das Asylgrundrecht gewährt keinen Schutz vor drohenden (auch massiven) Verfolgungsmaßnahmen, die keinen politischen Charakter haben (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, NVwZ-RR 2004, S. 613 <614>). Auch eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann freilich in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (so genannter Politmalus; vgl. BVerfGE 80, 315 <336 ff.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>). Solange sich ein solcher "Politmalus" nicht von vornherein ausschließen lässt, haben die Fachgerichte den diesbezüglichen Sachverhalt in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, NVwZ-RR 2004, S. 613 <614> und Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>).

25

Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtlichen Ermittlungen darauf, ob sie einen hinreichenden Grad an Verlässlichkeit aufweisen und auch dem Umfang nach, bezogen auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sind (vgl. BVerfGE 76, 143 <162>; 83, 216 <234>). Eine fachgerichtliche Wertung beanstandet es, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist und/oder nicht auf einer verlässlichen Grundlage beruht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644> m.w.N.).

26

b) Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Asylgrundrecht, sondern auch für Verfahren, die auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG gerichtet sind (aus einfachrechtlicher Sicht ebenso BVerwG, Beschluss vom 3. August 2006 - 1 B 20/06 -, juris Rn. 2 f.; vgl. auch zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 10. Januar 1995 - 9 C 276/94 -, NVwZ 1996, 86 <88 f.>). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ergeben sich insoweit aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.

27

Den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen muss auch im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wirksam Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGK 10, 108 <112 f.>). Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>), hier des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit und des Freiheitsgrundrechts. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben dem hohen Wert dieser Rechte Rechnung zu tragen (vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG BVerfGE 117, 71<106 f.>). Jedenfalls in Fällen, in denen es um die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Verneinung einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG muss daher, solange ein politischer Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen nicht von vornherein auszuschließen ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen.

28

c) Diesen Anforderungen werden die tragenden Erwägungen des angegriffenen Urteils zur Verneinung einer vom Beschwerdeführer erlittenen politischen Verfolgung nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht ist der Frage, ob die vom Beschwerdeführer dargelegte und unter Beweis gestellte Verurteilung durch das Staatssicherheitsgericht härter als diejenige zur Verfolgung ähnlicher nicht politischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit (vgl. BVerfGE 80, 315 <338>) und damit eine Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG gewesen sein könnte, nicht im verfassungsrechtlich gebotenen Umfang nachgegangen.

29

aa) Mit dem Gebot zureichender richterlicher Sachaufklärung nicht zu vereinbaren ist bereits, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen hat, Feststellungen zum Vorliegen der strafrechtlichen Verurteilung zu treffen. In den Urteilsgründen findet sich hierzu lediglich die ungenügende Aussage, die Verurteilung sei "keineswegs frei von Zweifeln".

30

(1) Wie die Verfassungsbeschwerde zu Recht ausführt, können aus dem Feststehen der Verurteilung wegen eines Staatsschutzdeliktes als solcher Schlüsse auf die Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu deren politischem Charakter gezogen werden. Eine Bestätigung der vom Beschwerdeführer im Einzelnen dargelegten und unter Beweis gestellten Tatsache hätte insbesondere die vom Verwaltungsgericht gewonnene Auffassung, dass dessen Angaben zu Folter und Misshandlung während der Untersuchungshaft unglaubhaft seien, in Frage stellen und Anlass für eine andere Einschätzung der weiteren Aufklärungsmöglichkeiten, vor allem der mit dem ersten Beweisantrag angebotenen Zeugenvernehmung, geben können. Da das Verwaltungsgericht davon abgesehen hat, hierzu nachvollziehbare Feststellungen zu treffen, fehlt es an einer hinreichend verlässlichen Grundlage für die Beurteilung der Asylrelevanz der Strafverfolgungsmaßnahme.

31

(2) Das Absehen von weiterer Sachaufklärung zum Vorliegen der strafrechtlichen Verurteilung war auch nicht aus der Erwägung heraus gerechtfertigt, dass das Klagevorbringen hierzu keinen tatsächlichen Anlass bot (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Oktober 2000 - 2 BvR 941/99 -, juris Rn. 5). Der Beschwerdeführer hatte in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragt, zum Beweis seiner Verurteilung und Inhaftierung ein Gutachten des EZKS oder einer anderen fachkundigen Stelle einzuholen, und damit eine weitere Aufklärungsmöglichkeit benannt. Diese durfte das Verwaltungsgericht nicht mit der Begründung übergehen, dass der Beschwerdeführer nicht in detailliierter Auseinandersetzung mit der hohen Beweiswert genießenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Januar 2007 dargetan habe, warum an dessen Feststellungen Zweifel bestehen und eine andere Organisation bessere Erkenntnisse erbringen sollte. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes enthielt nämlich zur behaupteten Verurteilung überhaupt keine Aussage, sondern befasste sich lediglich mit der Frage, ob ein vor dieser datiertes Schreiben echt sei.

32

bb) Darüber hinaus entbehrt die hypothetische Annahme des Verwaltungsgerichts, bei unterstellter Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Oberste Staatssicherheitsgericht zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen Separatismus könne hierin keine politische Verfolgung gesehen werden, jeder tatsächlichen Grundlage.

33

Bei einer strafrechtlichen Verurteilung durch ein syrisches Staatssicherheitsgericht bedurfte es einer Auseinandersetzung mit dem Einzelfall, um festzustellen, ob in der Anwendung der Strafgesetze durch das Gericht eine Maßnahme politischer Verfolgung zu erblicken war (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>). Das Verwaltungsgericht hätte erwägen und darlegen müssen, weshalb die Strafvorschrift als solche und nach der Strafverfolgungspraxis keinen Verfolgungscharakter aufweist, sowie Feststellungen dazu treffen müssen, dass die gegen den Betroffenen verhängte Strafe keine unverhältnismäßige, (auch) an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Sanktion darstellt (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 3. August 2006 - 1 B 20/06 -, juris Rn. 3). In diesem Zusammenhang wäre auch der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei im Zuge der Ermittlungen gefoltert worden, als Indiz für das Bestehen eines "Politmalus" nachzugehen gewesen.

34

Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Urteilsgründe keine dieser Erwägungen angestellt. Was die behauptete strafrechtliche Verurteilung angeht, hat es sich auf die - lediglich den Ausgangspunkt der gebotenen Befassung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers bildende - Feststellung beschränkt, dass die Pönalisierung und Bestrafung hochverräterischen Verhaltens als solche keine politische Verfolgung darstelle. Auf die vom Beschwerdeführer vorgetragene Folter und Misshandlung ist es nur insoweit eingegangen, als seiner Auffassung nach die Einvernahme des früheren Anwalts des Beschwerdeführers hierzu keinen Erkenntnisgewinn bringen könne und die vorgelegten ärztlich-psychologischen Stellungnahmen insoweit keinen eindeutigen Aussagegehalt aufwiesen. Damit hat es seiner Aufklärungspflicht nicht genügt. Der Beschwerdeführer hatte klar zu erkennen gegeben, dass er einen Zusammenhang zwischen der Behandlung in der Haft und dem anschließenden Strafverfahren für gegeben erachte. Das Verwaltungsgericht hätte deshalb seinen Schilderungen über die erlittene Folter durch eigene Sachverhaltsermittlungen weiter nachgehen müssen. Da es hiervon abgesehen hat, entbehrt seine Wertung, dass die unterstellte Strafverfolgungsmaßnahme keinen politischen Charakter aufweise, jeder tatsächlichen Grundlage.

35

3. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf der Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Februar 2009 auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Auf das Vorliegen der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen kommt es nicht an.

36

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2009 wird damit gegenstandslos.

III.

37

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht hinreichend dargelegt ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).

Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Bei einer auf die tatsächlichen Verhältnisse in einem Herkunftsland gestützten Grundsatzrüge genügt es nicht, die gerichtlichen Feststellungen zu den Gegebenheiten im Herkunftsland des Asylsuchenden bloß in Zweifel zu ziehen oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 609 ff.). Ferner sind die Voraussetzungen von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht erfüllt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 18.5.2017 – 1 B 98/17 – juris Rn. 3 m.w.N.).

Der Frage, „welche Staatsangehörigkeit bei dem Kläger anzunehmen ist“, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn es handelt sich schon dem Wortlaut nach um eine Frage, die allein in seinem konkreten Einzelfall entscheidend sein kann. Sie ließe sich nur unter Berücksichtigung der konkreten Einzelumstände, insbesondere der Staatsangehörigkeit seiner Eltern, des Geburtsorts und etwaiger Verlusttatbestände (vgl. Art. 7 f., 17 ff. ukrainisches Staatsbürgerschaftsgesetz vom 18. Januar 2001 in der Fassung vom 16. Juni 2005 – StGB –, abgedruckt in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht XIX, Stand: 30.6.2016, Ukraine) klären. Der Kläger greift in diesem Zusammenhang die Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht an, das seine eigene Darstellung im Verwaltungsverfahren vom 13. Juni 2016, wonach er sowohl die ukrainische als auch die syrische Staatsangehörigkeit besitze, seine Mutter aus der Ukraine und sein Vater aus Syrien stamme und er Inhaber eines ukrainischen Passes gewesen sei, für glaubhafter erachtet hat als die nachfolgende Behauptung seiner Bevollmächtigten im Schreiben vom 15. Mai 2017, dass er ausschließlich syrischer Staatsangehöriger sei. Damit macht er der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend, was nach der abschließenden Sonderregelung des § 78 AsylG nicht zur Zulassung der Berufung führen kann. Eine fehlerhafte Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25/14 – juris Rn. 13, B.v. 12.3.2014 – 5 B 48/13 – juris Rn. 22, B.v. 23.12.2011 – 5 B 24/11 – juris Rn. 2 jeweils m.w.N.) nur mit Erfolg gerügt werden, wenn sie verfahrensfehlerhaft ist, d.h. auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich oder offensichtlich aktenwidrig ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet. Derartige Verstöße zeigt der Zulassungsantrag jedoch nicht auf.

Auch die weiter aufgeworfenen Fragen, „ob dem Kläger zuzumuten ist, aufgrund seiner Homosexualität in die Ukraine abgeschoben werden zu können“, „ob das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, Art. 4 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 9 EMRK, dem Kläger ein Aufenthaltsrecht in Deutschland“ gebe und „ob dem Kläger aufgrund seiner schlimmen Erkrankungen ein Aufenthaltsrecht für Deutschland zusteht“, beziehen sich allein auf seinen Einzelfall und formulieren keine fallübergreifenden Fragen.

Legt man die erste dieser Fragen unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens dahin aus, dass er die Klärung begehrt, ob homosexuelle Männer in der Ukraine wegen ihrer sexuellen Orientierung in asylrechtlich erheblicher Weise diskriminiert bzw. verfolgt werden, ist die grundsätzliche Bedeutung nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt. Denn die Behauptungen im Zulassungsantrag, dass in der Ukraine „mindestens“ ein Notstand im Sinne von Art. 15 EMRK herrsche, in dem die normalen zivilen Mechanismen nicht existierten, und dass der Kläger wegen der erstarkten Nationalisten und Rechtsextremisten damit rechnen müsse, in die Ostukraine zurückgeschickt zu werden, werden nicht ansatzweise belegt. Ebenso wenig setzt sich das Zulassungsvorbringen mit den dem erstinstanzlichen Urteil zugrunde gelegten Erkenntnismitteln (darunter der Lagebericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 7.2.2017, S. 10) auseinander oder nennt Anhaltspunkte oder Erkenntnisse, die die Einschätzungen des Verwaltungsgerichts zweifelhaft erscheinen ließen.

Soweit der Kläger sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine staatliche Reaktion auf eine Verweigerung des Wehrdienstes als asylrelevante Verfolgung zu qualifizieren wäre, ist dies geklärt und somit nicht klärungsbedürftig. Verfolgungshandlung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung sein sowie nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung stellen – was der Kläger hier geltend macht – die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit zusammenhängenden Sanktionen weder schlechthin eine politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG dar noch ist eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung stets als unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG anzusehen. Dahin schlagen derartige Maßnahmen erst dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die dadurch gerade wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen persönlichen Merkmals getroffen werden sollen (BVerwG, B.v. 10.9.1999 – 9 B 7/99 – juris Rn 3; BayVGH, B.v. 13.1.2017 – 11 ZB 16.31051 – juris Rn. 4, B.v. 15.2.2016 – 11 ZB 16.30012 – juris Rn. 13). Beruft sich der Betreffende auf eine Gewissensentscheidung, kann eine unverhältnismäßige Bestrafung wegen einer Wehrdienstentziehung regelmäßig nur angenommen werden, wenn er durch die fehlende Möglichkeit der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und die daraus folgende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung in seinem Recht aus Art. 9 EMRK verletzt wird. Dabei kommt es insbesondere auch darauf an, ob der Betreffende eine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung gegen den Wehr- oder Kriegsdienst glaubhaft machen kann (BayVGH, B.v. 13.1.2017, a.a.O., B.v. 15.2.2016, a.a.O. Rn. 13 m.w.N.). Mit diesen rechtlichen Maßgaben, die bereits in dem angefochtenen Bescheid dargelegt sind und die sich das Verwaltungsgericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zu eigen gemacht hat, setzt sich der Zulassungsantrag nicht auseinander. Im Übrigen ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger nach seinen Angaben noch nicht zum Wehrdienst eingezogen worden ist und im Rahmen des Art. 35 Abs. 3 der ukrainischen Verfassung die Möglichkeit hat, den Wehrdienst zu verweigern.

Soweit nach Auslegung des Zulassungsvorbringens geklärt werden soll, ob HIV-Infizierte in der Ukraine eine ausreichende medizinische Behandlung erreichen können und in asylrelevanter Weise diskriminiert werden, erschöpft sich der Zulassungsantrag in der Wiedergabe des Klägervortrags und der Ausführungen des Verwaltungsgerichts, ohne die gerichtliche Einschätzung durch dieser widersprechende Anhaltspunkte oder Erkenntnismittel substantiiert in Zweifel zu ziehen.

Die weitere Frage, „ob bereits im vorliegenden Verfahren Aspekte der Zuwanderung zu berücksichtigen sind“, ist auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht entscheidungserheblich. Denn sie setzt, wie der Kläger selbst vorträgt, zunächst eine „Weiterentwicklung“ des Rechts voraus.

Schließlich werden auch die für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen nach der Bewertung der Lage und des Bürgerkrieges in der Ukraine nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere setzt sich der Zulassungsantrag nicht mit der gemäß § 77 Abs. 2 AsylG in die Urteilsgründe einbezogenen Einschätzung der Beklagten und den angegebenen Erkenntnissen zu den aktuellen Verhältnisse in den unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung stehenden Landesteilen (vgl. Bescheid vom 1.9.2016, S. 3 ff.) auseinander. Für die undifferenzierte Behauptung, dass in der Ukraine ein Bürgerkrieg herrsche und dass ohne Aufklärung der Hintergründe der Ausschreitungen bzw. des Brandanschlags in Odessa vom 2. Mai 2014 keine Abschiebungen in die Ukraine erfolgen könnten, werden keine nachprüfbaren Anhaltspunkte oder Erkenntnisse angegeben. Die aus den Ereignissen von Odessa gezogenen Schlussfolgerungen sind schon im Ansatz nicht nachvollziehbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 8. Mai 2018 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt - über den von der Beklagten bereits zuerkannten subsidiären Schutz hinaus - die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die 1995 geborene Klägerin ist eritreische Staatsangehörige tigrinischer Volks- und christlich-orthodoxer Religionszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben verließ sie Eritrea im Alter von 13 Jahren zusammen mit ihrer Schwester, die nach Abbruch der Schule zum Nationaldienst einberufen worden sei, und lebte bis April 2015 in Äthiopien. Von dort reiste sie über den Sudan, Libyen und Italien im Februar 2016 in das Bundesgebiet ein und stellte am 7. Juni 2016 einen Asylantrag. Am 8. Juni 2016 wurde die Klägerin von der Beklagten zu ihren Asylgründen angehört.

3

Mit Bescheid vom 21. Juli 2016 erkannte die Beklagte der Klägerin subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Zur Begründung führte sie aus, dass aufgrund des ermittelten Sachverhalts davon auszugehen sei, dass der Klägerin in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG drohe. Die Klägerin sei aber kein Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG. Sie habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass - entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in ihrem Heimatland - in ihrem Falle die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung erfüllt seien.

4

Am 5. August 2016 hat die Klägerin gegen den Bescheid Klage erhoben, soweit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wurde. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass sie in Eritrea aufgrund ihres Lebensalters - auch als Frau - der Nationaldienstpflicht unterliege. Ihrer illegalen Ausreise sowie der Entziehung vom Nationaldienst komme maßgebliche Bedeutung dafür zu, dass die eritreischen Staatsorgane sie bei einer Rückkehr als Regimegegnerin ansehen würden. Die ihr insoweit drohende strafrechtliche Sanktionierung diene nicht nur der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern auch der Bekämpfung von politischen Gegnern.

5

Mit Schreiben vom 7. Juli 2017 hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihrem Verlobten, einem eritreischen Staatsangehörigen, mit Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Mit diesem habe sie ein gemeinsames, am 24. Januar 2017 in Deutschland geborenes Kind.

6

Das Verwaltungsgericht hat der Klageschrift vom 5. August 2016 den sinngemäßen Antrag entnommen,

7

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 21. Juli 2016 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

8

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung hat sie sich auf den angefochtenen Bescheid bezogen und ergänzend ausgeführt, dass nach den ihr vorliegenden Informationen keine Anhaltspunkte dafür existierten, dass allein die illegale Ausreise der Klägerin im Alter von 13 Jahren eine Verfolgungsgefahr begründe. Zwar sanktioniere der eritreische Staat die Entziehung und Desertion vom Nationaldienst. Allerdings fehle es an eindeutigen Erkenntnisquellen für die Annahme, dass die Sanktionierung von Nationaldienstverpflichteten, die sich durch Ausreise dem Dienst entzogen hätten, aus politischen Gründen erfolge. Die durch die Rechtsprechung und von ihr, der Beklagten, eingeholten Informationen zur Bestrafung von Rückkehrern bei vorangegangener Entziehung oder Desertion vom Wehr- und Nationaldienst belegten eine generelle Zuschreibung einer Regimegegnerschaft von Rückkehrern nicht. Daher könne der erforderliche Verknüpfungszusammenhang zwischen Verfolgungshandlung und einer (vermuteten) missliebigen politischen Überzeugung im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG nicht festgestellt werden.

11

Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten hat das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 8. Mai 2018 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hat den insoweit entgegenstehenden Bescheid vom 21. Juli 2016 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die derzeit nationaldienstpflichtige Klägerin habe im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die dortigen Behörden gegen sie aufgrund der Umgehung der nationalen Dienstpflicht außergerichtlich und willkürlich eine Haftstrafe vollstrecken würden, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit unmenschlicher und erniedrigender Behandlung einhergehe. Aus den Berichten des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea ergebe sich, dass der eritreische Staat neben einer illegalen Ausreise auch jede Form der Umgehung des Nationaldienstes bestrafe. Insofern sei es beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin als Deserteurin bzw. Nationaldienstverweigerin behandelt werden würde. Die Verfolgung als Deserteur bzw. Nationaldienstverweigerer drohe allen Personen, die Eritrea im oder kurz vor dem - nach dem Aussehen der Person bestimmten - dienstpflichtigen Alter verlassen hätten, nach Eintritt der Dienstpflicht unfreiwillig wieder einreisten oder sich ihrer Dienstpflicht durch einen Aufenthalt im Ausland dauerhaft entzögen. Die Möglichkeit, in bestimmten Fällen durch Zahlung einer zweiprozentigen Aufbausteuer sowie Unterzeichnung eines Reueformulars einen „Diaspora-Status“ zu erlangen, schütze nicht mit hinreichender Sicherheit vor der drohenden Bestrafung mit Haft unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen. Die drohende Bestrafung wegen Umgehung des Nationaldienstes sei auch flüchtlingsschutzrechtlich relevant. Soweit § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vorsehe, dass eine Bestrafung für die Verweigerung des Militärdienstes dann eine Verfolgungshandlung darstelle, wenn diese in einem Konflikt erfolge und der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fielen, sei die Regelung nicht abschließend. Vielmehr handele es sich um ein Regelbeispiel, dessen Zweck nicht ein Ausschluss von Militärdienst-Fällen sei, die - wie im Fall der Bestrafung von eritreischen Dienstverweigerern - nicht die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erfüllten. Die der Klägerin drohende Verfolgungshandlung erfolge schließlich auch aus Gründen der politischen Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Dies ergebe sich aus dem ideologischen Stellenwert, den der Nationaldienst als „Schule der Nation“ im eritreischen Staat einnehme und wie er in der Nationaldienst-Proklamation von 1995 zum Ausdruck komme. Wer sich dem Nationaldienst entziehe, werde ausweislich verschiedener Erkenntnisquellen als politischer Gegner des Regimes und Verräter angesehen. Gründe, die gemäß § 3 Abs. 2 bis 4 AsylG zum Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft führten, seien ebenso wenig ersichtlich wie Akteure, die der Klägerin Schutz bieten könnten (§ 3d AsylG), oder eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylG).

12

Gegen diesen ihr am 11. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 16. Mai 2018 die Zulassung der Berufung beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht entscheidungstragend die allgemeine Tatsachenannahme zugrunde gelegt habe, eritreischen Staatsangehörigen, die illegal das Land verlassen oder nicht in Eritrea gelebt und zuvor den Nationaldienst nicht abgeleistet hätten, drohe bei Rückkehr Verfolgung in Anknüpfung an einen der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe, weil die eritreischen Behörden eine Verweigerung der Ableistung des Nationaldienstes zum Anlass nähmen, auf eine Regimegegnerschaft der betroffenen Person zu schließen, so dass strafrechtliche Sanktionen nicht nur der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern auch der Bekämpfung von politischen Gegnern dienten. Der darin liegenden Tatsachenfrage komme grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu. Die Quellenlage sei keineswegs eindeutig im Sinn der Interpretation des Verwaltungsgerichts zu werten. Vielmehr sei diese Einschätzung in der Rechtsprechung umstritten und dürften dabei die überzeugenderen Gründe für die gegenteilige Sicht sprechen. Anders als das Verwaltungsgericht Hamburg kämen unter Bewertung derselben bzw. in ihrem Aussagegehalt identischen Quellen etwa das Verwaltungsgericht Ansbach, das Verwaltungsgericht Augsburg und das Verwaltungsgericht Regenburg zu dem Ergebnis, dass wegen des hier allein zugrunde gelegten Risikoprofils drohende Verfolgungshandlungen nicht in Anknüpfung an eine unterstellte politische Gegnerschaft (oder einen anderen Verfolgungsgrund) zu befürchten seien. Dass die Praxis der Bestrafung von illegaler Ausreise und Wehrdienstentzug mit willkürlichen Inhaftierungen unter menschenunwürdigen Bedingungen, körperlichen Misshandlungen und Folter massiv elementare Rechtsgrundsätze und Menschenrechte verletze, stehe außer Zweifel. Dieser Umstand führe jedoch nicht zu einem Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling, sondern zur Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.

13

Mit Beschluss vom 30. Mai 2018, der Beklagten zugestellt am 5. Juni 2018, hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

14

Am 6. Juni 2018 hat die Beklagte ihre Berufung begründet und sich hierzu insbesondere auf ihren Antrag auf Zulassung der Berufung bezogen.

15

Die Beklagte beantragt,

16

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 8. Mai 2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.

17

Die Klägerin beantragt,

18

die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und vertieft ihre Auffassung, dass ihr bei einer Rückkehr nach Eritrea Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG drohe. Die Beklagte stütze ihre Auffassung, dass eine Verfolgung durch das eritreische Regime nicht an flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfe, unzutreffenderweise auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Minden und begründe sie im Übrigen mit Verweisen auf Erkenntnisquellen, die teilweise auf rechtliche Bedenken stießen bzw. deren Aussagekraft näher beleuchtet werden müsse. Dies gelte insbesondere für Berichte über sogenannte „Fact Finding Missions“ in Eritrea, in deren Rahmen größtenteils nur Interviews mit eritreischen Regierungsvertretern, ausländischen Diplomaten in Asmara sowie mit anderen, direkt oder indirekt von der eritreischen Regierung abhängigen Akteuren, hätten geführt werden können. Eine Überprüfung durch unabhängige Quellen sei in Eritrea nicht möglich. Die meisten Menschenrechtsorganisationen erhielten keine Einreisebewilligung und internationalen Beobachtern werde kein Zugang zu Gefängnissen und Haftanstalten gewährt. Es widerspreche asylrechtlichen Verfahrensgrundsätzen, sich insoweit auf Angaben und Äußerungen des Verfolgerstaates zu stützen. Der Verweis auf die Möglichkeit, einer Verfolgung wegen illegaler Ausreise und Wehrdienstentziehung durch Zahlung der „2 %-Steuer“ und Unterzeichnung eines Reuebekenntnisses zu entgehen, überzeuge nicht. Von einem Asylsuchenden könne nicht verlangt werden, Gelder an einen mit UN-Sanktionen belegten Staat zu leisten, der damit auch Repressionsmittel finanziere. Zudem betreffe die Möglichkeit, den Diaspora-Status zu erlangen, nur Personen, die sich bereits seit drei Jahren im Ausland befänden und sich nur temporär in Eritrea aufhalten wollten. Eine Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlungen und asylerheblichen Merkmalen im Sinne des § 3 AsylG bestehe deshalb, weil die Flucht vor dem Militärdienst sowie die illegale Ausreise als Hochverrat angesehen würden. Dies ergebe sich aus der zentralen gesellschaftlichen Rolle des Nationaldienstes, weshalb jedwedes Verhalten gegen die Ausübung der Nationaldienstverpflichtung als kritische Abweichung und oppositionelles Verhalten gewertet werde. Dies legten auch Ausführungen in einer Masterarbeit zu dem Thema „Tigrinya-Dolmetscher in Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Sprich nicht so über Dein Land“ nahe. Danach müssten, wie sich auch aus einer Stellungnahme von Amnesty International an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 2. August 2018 ergebe, Eritreer im Ausland, bevor sie die Dienste eritreischer Botschaften in Anspruch nehmen könnten, ein schriftliches Bekenntnis abgeben, dass sie mit ihrer Flucht vor dem Nationaldienst Hochverrat begangen hätten. Im Übrigen deute auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 25.6.1991, 9 C 131.90, juris) die Härte der Strafe wegen illegaler Ausreise und Nationaldienstverweigerung darauf hin, dass es dem eritreischen Staat nicht nur um eine Disziplinierung, sondern um die Bekämpfung politischer Gegner gehe. Mehrere Erkenntnisquellen legten den Schluss nahe, dass Rückkehrern grundsätzlich misstraut und eine Regimegegnerschaft unterstellt werde. Einzelne Verlautbarungen der eritreischen Regierung seien nicht so zu verstehen, dass sie inzwischen generell von einer Verfolgung von Rückkehrern absehe. Im Übrigen stelle sich nach den vom Bundesverwaltungsgericht in Fällen so genannter Republikflucht angelegten Maßstäben (Urt. v. 3.11.1992, 9 C 23.92, juris) schon allein die drohende Bestrafung wegen illegaler Ausreise als politische Verfolgung dar. Bedrohungen des eritreischen Staates endeten zudem nicht an der eritreischen Grenze, sondern erfolgten auch in Deutschland durch einzelne Dolmetscher oder durch Bedrohungen von noch im Heimatland befindlichen Familienmitgliedern. Wie verschiedene Quellen belegten, führe dies dazu, dass sich eritreische Flüchtlinge auch in der Diaspora nicht trauten, offen zu reden. Das United Kingdom Home Office habe in einer „Operational Guidance Note“ zu Eritrea aus Februar 2014 die Auffassung vertreten, dass eine illegale Ausreise und Wehrdienstentziehung - auch vor der Einziehung zum Wehrdienst - den Flüchtlingsschutz auslöse. Die Unterscheidung, Flüchtlingsschutz erst zu gewähren, wenn die betroffene Person aus dem aktiven Militärdienst fliehe, sei nicht mit den Rechtsgrundlagen der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Asylgesetz vereinbar, da unabwendbar die Einberufung erfolge. Nach den UNHCR-Richtlinien stellten Kriegsdienstverweigerer eine bestimmte soziale Gruppe dar, da sie eine Überzeugung teilten, die für ihre Identität grundlegend sei, und sie auch von der Gesellschaft als eine bestimmte Gruppe angesehen werden könnten.

20

Schließlich habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass ihr, der Klägerin, sowohl im Falle der Inhaftierung als auch innerhalb des Nationaldienstes, insbesondere im militärischen Teil, geschlechtsspezifische Verfolgung drohe. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention und den UNHCR-Richtlinien werde geschlechtsspezifische Verfolgung als Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe anerkannt. Da geschlechtsspezifische Gewalt in Haft und beim Militär in Eritrea weit verbreitet sei, sei nichts dafür ersichtlich, dass es sich um sogenannte Amtswalterexzesse, die ausnahmsweise nicht dem Staat zuzuordnen wären, handele.

21

Der Versuch eines Friedens zwischen Eritrea und Äthiopien könne an der Lage der eritreischen Flüchtlinge derzeit nichts Entscheidendes ändern, da noch nicht absehbar sei, wie sich der Friedensprozess weiter entwickeln werde. Unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Maßstäbe zur Ermittlung des Wahrheitsgehalts einer vorgetragenen Verfolgung (Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109.84, juris) sei festzustellen, dass der Vorwurf, eritreische Flüchtlinge würden übertreiben, um eine bessere Asylsituation in Europa zu erhalten, dadurch erschüttert werde, dass zahlreiche Erkenntnismittel die gleichen Verfolgungsschicksale darstellten und dass die berechtigten Ängste vor dem eritreischen Staat keine „Erfindung“ eritreischer Asylsuchender in Deutschland seien, sondern sich über die europäischen Staaten zögen und auch in Israel anzutreffen seien.

22

Der Senat hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Die Klägerin hat unter anderem angegeben, inzwischen nicht mehr mit ihrem (früheren) Verlobten zusammen zu leben. Wegen der weiteren Ergebnisse der Anhörung sowie hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 21. September 2018 Bezug genommen. Die das Asylverfahren der Klägerin betreffende Akte sowie die Ausländerakte der Klägerin sind vom Senat beigezogen worden. Sie sind ebenso wie die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnisquellen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

23

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

I.

24

Die vom Senat mit Beschluss vom 30. Mai 2018 zugelassene Berufung der Beklagten ist zulässig.

25

Die am 6. Juni 2018 eingegangene Berufungsbegründung genügt den inhaltlichen Mindestanforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO. Danach muss die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Vorliegend enthält der Begründungsschriftsatz der Beklagten den wörtlichen Antrag, „die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts (Az.: 19 A 3719/16) zu ändern und die Klage abzuweisen.“ Damit bringt die Beklagte hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sie die Änderung des Gerichtsbescheids vom 8. Mai 2018 begehrt und in der Sache ihr erstinstanzliches Begehren vollumfänglich weiterverfolgt. Der Schriftsatz vom 6. Juni 2018 erfüllt auch die Anforderung, die Berufungsgründe anzuführen. Zwar enthält er selbst keine inhaltlichen Ausführungen dazu, weshalb der angegriffene Gerichtsbescheid zu ändern sei, sondern verweist auf die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung vom 16. Mai 2016, in dem die Beklagte eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht hat, allerdings kann auch eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Zulassungsvorbringen oder ein erschöpfender Verweis auf die Begründung im Zulassungsverfahren nach den Umständen des Einzelfalls für eine ordnungsgemäße Begründung im Sinne des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO genügen (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 354 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Dabei ist der Verweis auf Ausführungen zu einer Grundsatzrüge dann ausreichend, wenn deutlich wird, dass und warum die verwaltungsgerichtliche Entscheidung aus Sicht des Berufungsführers keinen Bestand haben kann (vgl. Seibert, a.a.O., § 124a Rn. 358). Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat in der Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung nicht nur dargelegt, dass die von ihr aufgeworfene Tatsachenfrage, ob die eritreischen Behörden einer Person, die illegal aus Eritrea ausgereist ist und sich dadurch der Ableistung des Nationaldienstes entzieht, allein aufgrund dieser Umstände eine Regimegegnerschaft unterstellen, klärungsbedürftig ist. Vielmehr hat sie dort auch ausgeführt, dass diese Frage aus ihrer Sicht anders als in dem angegriffenen Urteil, nämlich negativ, zu beantworten sei, da die überzeugenderen Gründe für die von ihr vertretene Sicht sprächen (vgl. S. 3 des Zulassungsantrags v. 16.5.2018).

II.

26

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet.

27

1. Die Klage, mit welcher die Klägerin unter teilweiser Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 21. Juli 2016 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehrt, ist als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 2, 2. Var. VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere fehlt der Klägerin nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Bei der auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gerichteten Verpflichtungsklage ist dieses ungeachtet eines bereits zuerkannten subsidiären Schutzstatus im Hinblick auf die unterschiedliche Ausgestaltung des nachfolgenden Aufenthaltsstatus (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 1, 1. und 2. Alt. AufenthG; § 26 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG) sowie dessen Verfestigungsmöglichkeiten (vgl. § 26 Abs. 3 und 4 AufenthG) unzweifelhaft gegeben (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 81/17.A., juris Rn. 20; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 24).

28

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die vor dem Hintergrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus durch die Beklagte allein streitgegenständliche Versagung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 21. Juli 2016 ist rechtmäßig. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht zu, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

29

a) Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht für die Klägerin zunächst nicht unabhängig von einer eigenen Verfolgung unter Gesichtspunkten des internationalen Schutzes für Familienangehörige. Insoweit kann die Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht gemäß § 26 Abs. 1, 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AsylG von ihrem in Deutschland geborenen Kind ableiten, selbst wenn man davon ausgeht, dass Vater des Kindes der frühere Verlobte der Klägerin ist, dem die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juni 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Denn auch unter der weiteren Annahme, dass dem Kind bereits unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, setzt § 26 Abs. 3 Nr. 2 AsylG für die Ableitung der Flüchtlingseigenschaft von einem minderjährigen Kind weiter voraus, dass die Familie im Sinne des Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der anerkannte Flüchtling - hier das Kind - politisch verfolgt wird. Dies ist hier indes nicht der Fall. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass zwischen der Klägerin und ihrem (früheren) Verlobten eine familiäre Lebensgemeinschaft bereits im gemeinsamen Heimatland Eritrea, aus dem die heute 23-jährige Klägerin schon vor rund 10 Jahren ausgereist ist, bestanden hat (vgl. zu dieser Fallkonstellation auch VGH München, Urt. v. 26.4.2018, 20 B 18.30332, juris Rn. 26, m.w.N.).

30

b) Der Klägerin ist die Flüchtlingseigenschaft auch nicht aufgrund einer ihr bei Rückkehr in ihr Herkunftsland drohenden flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung zuzuerkennen. Dabei ist von Eritrea als Herkunftsland auszugehen, da an der eritreischen Staatsangehörigkeit der Klägerin nach dem Inhalt der Niederschrift über deren Anhörung bei der Beklagten keine Zweifel bestehen; auch die Beklagte geht von der eritreischen Staatsangehörigkeit der Klägerin aus. Aufgrund des der Klägerin gewährten subsidiären Schutzstatus ist eine Rückkehr nach Eritrea zum hier gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nur gedanklich bzw. hypothetisch zu unterstellen.

31

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Vorbehaltlich der Ausschlussregelungen des § 3 Abs. 2 und 3 AsylG ist ein Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

32

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung, welche Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung, ABl. L 337 S. 9; im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzt, erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine nähere Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Dabei setzt die Annahme einer Verfolgungshandlung einen gezielten Eingriff in ein nach § 3a Abs. 1 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 11).

33

§ 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe, wobei es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich ist, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsschutzrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

34

Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere dieser Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine Verfolgungshandlung „wegen“ eines der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989, 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 92 BvR 961/86, BVerfGE 80, 315, juris Rn. 44). Die Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 13; Urt. v. 19.1.2009, 10 C 52.07, BVerwGE 133, 55, juris Rn. 22; Beschl. v. 21.11.2017, 1 B 148.17, juris Rn. 17). Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf nicht selten komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 13 m.w.N.).

35

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 14; Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 19; Beschl. v. 15.8.2017, 1 B 120.17, juris Rn. 8). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen relevanten Tatsachen unter anderem das maßgebliche Vorbringen des Antragstellers und dessen individuelle Lage zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, NVwZ 2018, 140, juris Rn. 14; Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 32 m.w.N.). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 14 m.w.N.).

36

Die Tatsache, dass ein Asylsuchender bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29/17, NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 15; vgl. Dörig, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Art. 4 Asylum Qualification Directive 2011/95/EU Rn. 30). Die den früheren Handlungen oder Bedrohungen zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (EuGH, Urt. v. 2.3.2010, C-175/08 u.a., NVwZ 2010, 505, juris Rn. 94). Fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung, so greift die Beweiserleichterung nicht ein (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 15). Die widerlegliche Vermutung entlastet den Vorverfolgten von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Sie ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29/17, NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 15; Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377, juris Rn. 23).

37

Grundsätzlich obliegt es dem Asylsuchenden bzw. dem um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass er bei verständiger Würdigung einer Verfolgung im oben genannten Sinne ausgesetzt war bzw. eine solche im Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen unter anderem Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden (vgl. OVG Münster, Urt. v. 14.2.2014, 1 A 1139/13.A, juris Rn. 35, m.w.N.).

38

Von den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, zu unterscheiden sind die in den allgemeinen Verhältnissen des Herkunftslandes liegenden Umstände, die eine begründete Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1983, 9 C 68.81, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44, juris Rn. 5). Hinsichtlich dieser Verhältnisse reicht es wegen seiner zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse aus, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen sich - ihre Wahrheit unterstellt - hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1983, 9 C 68.81, a.a.O., juris Rn. 5). Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsstaat aufzuklären und darauf aufbauend eine von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (OVG Hamburg, Urt. v. 18.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris Rn. 41, m.w.N.).

39

In Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsland sind die Gerichte dabei regelmäßig darauf angewiesen, sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnismittel gleichsam mosaikartig ein Bild zu machen und die Prognose, ob bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu treffen. Führt diese Betrachtung zu keinem für den Schutzsuchenden günstigen Ergebnis, verbleibt es bei allgemeinen Beweislastregeln. Die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts gebietet weder eine Umkehr der objektiven Beweislast noch eine Folgenabwägung im Sinne eines „better safe than sorry“ (so auch OVG Hamburg, Urt. v. 18.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris Rn. 45, m.w.N.). Eine solche Folgenabwägung scheidet schon deshalb aus, weil es vorliegend allein um die genaue Ausprägung des Schutzstatus, nicht aber um das Ob der Schutzgewährung geht. Eine denkbare gerichtliche Fehlbeurteilung bei der Frage der Gewährung des Flüchtlingsstatus birgt kein persönliches Risiko für den Schutzsuchenden, weil er infolge des zuerkannten subsidiären Schutzes bereits nachhaltigen Schutz genießt (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 18.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris Rn. 45).

40

Nach diesen Maßstäben lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Eritrea sowie den eigenen Angaben der Klägerin nicht zur Überzeugung des Senats feststellen, dass der Klägerin, die nicht vorverfolgt aus Eritrea ausgereist ist (dazu unter aa)), im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht. Dies gilt zunächst im Hinblick auf eine Heranziehung der Klägerin zum Nationaldienst als solchem (dazu unter bb)). Auch soweit die Klägerin geltend macht, dass ihr im Rahmen des Nationaldienstes geschlechtsspezifische Gewalt in Anknüpfung an ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen als bestimmte soziale Gruppe drohe, ist eine entsprechende Verfolgung aufgrund der persönlichen Umstände der Klägerin nicht beachtlich wahrscheinlich (dazu unter cc)). Schließlich erfüllt auch die von der Klägerin befürchtete Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Nichtableistung des Nationaldienstes nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie jedenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolgen würde (dazu unter dd)).

41

aa) Die Klägerin ist nicht vorverfolgt im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU aus Eritrea ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den eritreischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben könnte, hat die Klägerin weder gegenüber der Beklagten noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht. Sie sind insbesondere im Hinblick darauf, dass die Klägerin bereits im Alter von 13 Jahren und insofern noch weit vor Beginn ihrer Nationaldienstpflicht ausgereist ist, auch sonst nicht ersichtlich.

42

bb) Eine der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea drohende Einberufung zum Nationaldienst stellt für sich genommen keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG dar.

43

Nach der Proklamation Nr. 82/1995 über den Nationaldienst (vgl. Gesetzesblatt Eritrea Nr. 11 v. 23.10.1995 [englische Übersetzung einsehbar in der Bibliothek des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, Bibliothekssignatur: G 1/95]) ist in Eritrea der Nationaldienst für Männer und Frauen vom 18. bis zum 50. Lebensjahr verpflichtend. Er unterteilt sich gemäß Art. 2 Abs. 3 und 4 der Proklamation Nr. 82/1995 in einen aktiven Nationaldienst („active national service“) und einen Reservistendienst („reserve military service“). Den aktiven Nationaldienst von offiziell 18 Monaten müssen gemäß Art. 8 der Proklamation Nr. 82/1995 alle eritreischen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 40 Jahren absolvieren. In der Praxis werden Eritreer bereits ab dem Alter von etwa 16 Jahren als dienstpflichtig behandelt, wobei teilweise auch noch jüngere Eritreer rekrutiert werden. Die Rekrutierung findet häufig durch Razzien („giffas“) statt. Maßgeblich ist insoweit nicht das tatsächliche Alter, sondern häufig eine Alterseinschätzung aufgrund des Aussehens der Person (vgl. European Asylum Support Office (EASO), Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 37 [G 1/15]; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen, 21.1.2015, S. 2 ff. [G 3/15]). Der aktive Nationaldienst besteht aus einer sechs Monate dauernden militärischen Ausbildung („training“) und einem sich daran anschließenden zwölfmonatigen Dienst im Militär oder in Entwicklungsarbeiten („active military service and developmental works“). Ausgenommen vom Nationaldienst sind lediglich Personen, die ihre Dienstpflicht bereits vor Inkrafttreten der Proklamation Nr. 82/1995 erfüllt haben, sowie ehemalige Unabhängigkeitskämpfer (Art. 12 der Proklamation Nr. 82/1995). Gesundheitliche Beeinträchtigungen führen in der Regel nur dazu, dass die militärische Ausbildung oder der aktive Nationaldienst erlassen sind (Art. 13 ff. der Proklamation Nr. 82/1995), nicht jedoch die Dienstverpflichtung als solche (vgl. zur Nationaldienstverpflichtung insgesamt: EASO, Bericht über Herkunftsländerinformationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 32 ff. [G 1/15]; Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 11 f. [G 8/16]; SFH, Eritrea: Nationaldienst, 30.6.2017, S. 4 f. [G 3/17]; Amnesty International (AI), Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 18 [G 2/15]).

44

Ungeachtet der in der Proklamation Nr. 82/1995 festgelegten Dauer und Altersobergrenzen ist der Nationaldienst in Eritrea in der Praxis grundsätzlich unbefristet, wobei die Dienstverpflichteten entweder für eine zivile oder eine militärische Verwendung eingeteilt werden (vgl. Kibreab, The Open-Ended Eritrean National Service: The Driver of Forced Migration, 2014, S. 4, 10 [G 3/14]). Im Jahr 2002 verlängerte die eritreische Regierung die Nationaldienstpflicht faktisch auf unbestimmte Zeit. Diese Maßnahme wurde bislang mit der proklamierten „no war no peace“-Situation im Verhältnis zu Äthiopien begründet und trotz mehrfacher Bekundungen, die Dauer des Nationaldienstes wieder auf 18 Monate zu beschränken, weiter aufrechterhalten (vgl. EASO, Bericht über Herkunftsländerinformationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 40 f. [G 1/15]; Human Rights Council (HRC), Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 50 f. (Nr. 200, 205) [G 6/16]; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 18 [G 2/15]; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 45 ff. [G 8/16]). Inwieweit die jüngste Entspannung zwischen Eritrea und Äthiopien zu Veränderungen beim Nationaldienst, insbesondere bei der unbefristeten Dienstpflicht, führen wird, lässt sich nach gegenwärtiger Erkenntnisquellenlage nicht verlässlich beurteilen (vgl. auch United Kingdom Home Office (UKHO), Country Policy and Information Note - Eritrea: National service and illegal exit, Version 5.0, Juli 2018, S. 16 (Nr. 4.3.4) [G 13/18]).

45

Ob in der Heranziehung der inzwischen 23-jährigen und damit grundsätzlich dienstverpflichteten Klägerin zum unbefristeten Nationaldienst für sich genommen eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu sehen ist, kann offen bleiben. Denn die Nationaldienstpflicht knüpft jedenfalls nicht - wie es § 3a Abs. 3 AsylG fordert - an einen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe an. Wie bereits ausgeführt, trifft die Verpflichtung zur Ableistung des Nationaldienstes im Wesentlichen alle eritreischen Staatsangehörigen (vgl. Art. 6 und 8 der Proklamation Nr. 82/1995: „any Eritrean citizen“, „all Eritrean citizens“). Eine Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe findet insoweit nicht statt (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand November 2016, 21.11.2016, S. 11 f. [2016/2]; EASO, Bericht über Herkunftsländerinformationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 33 f. [G 1/15]; so im Ergebnis auch: VG Arnsberg, Urt. v. 4.5.2018, 12 K 5098/16.A, juris Rn. 53; VG Potsdam, Urt. v. 10.10.2017, 3 K 2609/16.A, juris Rn. 23; Urt. v. 17.2.2016, 6 K 1995/15.A, juris Rn. 17; VG Berlin, Urt. v. 1.9.2017, 28 K 166.17 A, juris Rn. 25; VG Münster, Urt. v. 23.8.2017, 9 K 325/15.A, juris Rn. 25; Urt. v. 22.7.2015, 9 K 3488/13.A, juris Rn. 101; VG Düsseldorf, Urt. v. 23.3.2017, 6 K 7338.16.A, juris, Rn. 61; VG Regensburg, Urt. v. 27.10.2016, RN 2 K 16.31289, juris Rn. 24; VG München, Urt. v. 13.7.2016, M 12 K 16.31184, juris Rn. 23).

46

cc) Soweit die Klägerin geltend macht, dass ihr im Rahmen des Nationaldienstes geschlechtsspezifische Verfolgungshandlungen, insbesondere sexualisierte Gewalt, in Anknüpfung an das Merkmal „Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe“ (§§ 3 Abs. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG) drohen, ist eine entsprechende Verfolgung aufgrund der persönlichen Umstände der Klägerin nicht beachtlich wahrscheinlich. Zwar dürfte davon auszugehen sein, dass es im Nationaldienst Eritreas verbreitet zu sexueller Gewalt gegen Frauen in unterschiedlicher Form kommt (siehe etwa EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 34, 39 [G 1/15]; AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand November 2016, 21.11.2016, S. 12 [2016/2]; AI, Report Eritrea 2017/18, 22.2.2018 [G 8/18]; SFH, Eritrea: Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, 13.2.2018 [G 3/18]; Kibreab, Sexual Violence in the Eritrean National Service, 2017 [G 21/17]; UN Human Rights Council (HRC), Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015 [G 6/15]; United States Department of State (USDOS), Eritrea 2017, Human Rights Report, 20.04.2018 [G 4/18]; Human Rights Watch: World Report 2018 - Eritrea, 18.1.2018 [G 7/18]). Nach übereinstimmender Darstellung in den Erkenntnisquellen erfolgen entsprechende Gewalthandlungen im Rahmen des Nationaldienstes allerdings durch Militärangehörige gegenüber Rekrutinnen im Ausbildungslager Sawa und in der militärischen Grundausbildung sowie gegenüber Dienstverpflichteten im militärischen Teils des Nationaldienstes (siehe hierzu eingehend Kibreab, Sexual Violence in the Eritrean National Service, 2017, S. 7 ff. [G 21/17]; ders., The Eritrean National Service, 2017, S. 132 ff.; HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, Nr. 709, 714, 1202, 1312 ff. [G 6/15]; USDOS, Eritrea 2017, Human Rights Report, 20.4.2018, S. 3 [G 4/18]. Dass die Klägerin als Mutter eines im Jahr 2017 geborenen Kleinkindes im Falle einer Rückkehr nach Eritrea in den militärischen Teil (einschließlich der militärischen Grundausbildung) des Nationaldienstes einberufen werden würde, ist indes bei zusammenfassender Würdigung im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen feststellbaren Umstände zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich. Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen müssen verheiratete Frauen sowie Frauen mit Kindern ihre Nationaldienstverpflichtung in aller Regel nicht im militärischen Teil, sondern (allenfalls) im zivilen Teil des Nationaldienstes erfüllen. Im Einzelnen:

47

Das Auswärtige Amt führt in seinem Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 25. Februar 2018 aus (S. 13, [2018/1]), dass Frauen in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Militär bzw. dem „national service“ entlassen würden. Viele Mädchen und junge Frauen versuchten daher bewusst früh zu heiraten, um aus dem Militär/national service entlassen zu werden und hätten aufgrund dessen geringe Ausbildungs- und Erwerbstätigkeitschancen. Im vorangegangenen Lagebericht vom 21. November 2016 wird darüber hinaus ausgeführt (S. 12 [2016/2]), dass eine Schwangerschaft während des Militärdienstes, auch wenn sie das Resultat einer Vergewaltigung oder sexueller Übergriffe durch Vorgesetzte sei, zum Ausschluss aus dem Militär führe. Nach Amnesty International (Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 28 [G 2/15]) werden Frauen und Mädchen, die verheiratet oder schwanger sind bzw. die Kinder haben, üblicherweise vom Nationaldienst befreit, wobei dies eine ungeschriebene Regel sei, welche willkürlich angewendet werde. Das European Asylum Support Office (EASO) beschreibt im Länderfokus Eritrea (Mai 2015, S. 33 f. [G 1/15]), dass verheiratete oder verlobte Frauen, Frauen mit Kindern, Schwangere sowie muslimische Frauen aus konservativen, ländlichen Gegenden normalerweise faktisch vom militärischen Teil des Nationaldiensts ausgenommen würden. Es könne aber vorkommen, dass sie im Rahmen einer „giffa“ trotzdem zum Dienst eingezogen würden oder Aufgaben im zivilen Nationaldienst übernehmen müssten. Frauen, die während des Nationaldienstes ein Kind bekämen, würden in der Regel demobilisiert. Ebenso heißt es im EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen - Eritrea: Nationaldienst und illegale Ausreise (November 2016, S. 21 [4/16]), dass muslimische Frauen sowie Schwangere, verheiratete Frauen und Frauen mit Kindern in der Praxis meist vom Nationaldienst ausgenommen seien. Da dies aber gesetzlich nicht vorgesehen sei, erhielten sie im Gegensatz zu Entlassenen keine Papiere, die ihren Status außerhalb des Nationaldiensts legalisierten.

48

Weitere Quellen stützen ebenfalls die Annahme, dass Frauen mit Kindern jedenfalls faktisch nicht zum militärischen Teil des Nationaldienstes herangezogen werden. So weist etwa der international anerkannte Experte für Eritrea Professor Kibreab (in: The Open-Ended Eritrean National Service: The Driver of Forced Migration, 2014, S. 10 f. [G 3/14]) darauf hin, dass bei Einwanderungsbehörden und Gerichten eine Tendenz bestehe, unzutreffend den Nationaldienst mit Militärdienst gleichzusetzen. Obwohl es keine Richtlinie gebe, wonach verheiratete Frauen vom Militärdienst im Rahmen des Nationaldienstes befreit wären, könnten verheiratete Frauen, insbesondere Frauen mit Kindern, unter bestimmten Umständen im zivilen Teil des Nationaldienstes eingesetzt werden. Dies bedeute allerdings nicht, dass sie vom Nationaldienst befreit seien. Nach einer Heirat seien sie möglicherweise - abhängig vom willkürlich ausgeübten Ermessen ihrer Vorgesetzten - nicht verpflichtet, in der Armee zu dienen. Sie seien jedoch höchstwahrscheinlich verpflichtet, den Nationaldienst im zivilen Teil abzuleisten. In vergleichbarer Weise hat sich Professor Kibreab als sachverständiger Zeuge in einem Verfahren vor dem Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) des Vereinigten Königreiches geäußert (MST and Others (national service – risk categories) Eritrea CG [2016] UKUT 00443 (IAC), Appendix III d. Urt. v. 7.10.2016, S. 211 (Nr. 54) [G 7/16]). Die UN-Untersuchungskommission zu Menschenrechten in Eritrea weist darauf hin (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, Nrn. 395 ff., 1201 [G 6/15]), dass die Proklamation Nr.11/1991, welche Regelungen zum Nationaldienst vor der Verkündung der Nationaldienstproklamation Nr. 82/1995 enthielt, eine Befreiung vom Nationaldienst für verheiratete Frauen und alleinerziehende Mütter vorsah. Obwohl diese Befreiungsmöglichkeiten durch die Nationaldienstproklamation von 1995 de jure entfallen seien, würden verheiratete Frauen und alleinerziehende Mütter weiter de facto nach Ermessen der für die Einziehung zuständigen Beamten vom Nationaldienst befreit. Auch vor diesem Hintergrund würden viele eritreische Frauen und Mädchen versuchen, durch Heirat oder Mutterschaft den Nationaldienst sowie das insbesondere im militärischen Training bestehende Risiko von sexuellem Missbrauch zu vermeiden. Dies entspricht auch der von Dr. David Bozzini (in: National Service and State Structures in Eritrea (agreed minutes of presentation at the Federal Office for Migration, Bern), 16.2.2012, S. 9 [G 3/12]) geäußerten Einschätzung, wonach Ehe oder Schwangerschaft ein weiterer Weg zur Vermeidung einer Einberufung sei. Zu diesem Zweck würden viele Ehen arrangiert. Insbesondere in Sawa würden Frauen häufig schwanger, um „demobilisiert“ bzw. entlassen zu werden. Solche „Demobilisierungen“ seien fragil, da diese Frauen nicht sofort Entlassungspapiere erhielten, was sie bei Polizeikontrollen angreifbar mache. Mütter würden zwar üblicherweise nicht remobilisiert, aber vor dem Hintergrund der allgemeinen Willkür in Eritrea könnten solche Fälle nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Es gebe aber sicherlich keine systematische Praxis dahingehend, Mütter zu remobilisieren. Die Praxis der (faktischen) Befreiung von verheirateten Frauen sowie Müttern wird schließlich auch von diplomatischen Quellen in Eritrea geschildert. Nach Darstellung des Innenministeriums des Vereinigten Königreichs (in: Country Policy and Information Note Eritrea: National service and illegal exit, October 2016, S. 16 (Nr. 7.3.7) m.w.N. [G 18/16]) habe die britische Botschaft in Asmara bestätigt, dass schwangere Frauen vom militärischen Nationaldienst befreit werden könnten und befreit worden seien. Auch verheiratete Frauen und Frauen mit Kindern seien vom militärischen Nationaldienst befreit.

49

dd) Eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Vorbringen der Klägerin, ihr drohe im Falle der Rückkehr nach Eritrea eine menschenrechtswidrige Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Nichtableistung des Nationaldienstes. Dies gilt sowohl für eine (etwaige) Bestrafung als solche (dazu unter (1)), als auch für die von der Klägerin als weitere bzw. eigenständige Verfolgungshandlung geltend gemachte sexualisierte Gewalt im Rahmen einer Inhaftierung wegen illegaler Ausreise und Nichtableistung des Nationaldienstes (dazu unter (2)).

50

(1) Nach den gesetzlichen Bestimmungen Eritreas werden Verstöße gegen die Nationaldienst-Proklamation Nr. 82/1995 mit Haftstrafen von zwei Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet (Art. 37 Abs. 1), sofern sich aus dem eritreischen Strafgesetzbuch von 1991 nicht härtere Strafen ergeben. Hiernach kann Desertion mit anschließender Flucht ins Ausland mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. In Kriegszeiten liegt das Strafmaß zwischen fünf Jahren und lebenslänglicher Haftstrafe, wobei in schweren Fällen auch die Todesstrafe verhängt werden kann. Ein zwischenzeitlich neu erlassenes Strafgesetzbuch wird in der Praxis noch nicht angewandt (vgl. zum Ganzen EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 41 f. [G 1/15]; Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 17, 22, 32 [G 8/16]).

51

Gemäß Art. 29 Abs. 2 der Proklamation Nr. 24/1992 wird die - auch nur versuchte - illegale Ausreise aus Eritrea, welche insbesondere dann vorliegt, wenn der Ausreisewillige kein gültiges Ausreisevisum besitzt, mit einem Strafmaß von bis zu fünf Jahren Haft und/oder Geldstrafe bestraft (vgl. EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 55 [G 1/15]; englische Übersetzung der Proklamation Nr. 24/1992 abrufbar unter http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf?reldoc=y&docid=54c0d9d44).

52

Allerdings ist auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisquellen davon auszugehen, dass in der Praxis Strafen nicht den zuvor aufgeführten gesetzlichen Regelungen entsprechend, sondern außergerichtlich und willkürlich verhängt werden (vgl. EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 42 [G 1/15]; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 21, 24 u. 31 [G 8/16]; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 40 [G 2/15]; AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand November 2016, 21.11.2016, S. 19 [2016/2]). Mehrere Quellen deuten darauf hin, dass die Strafen für Verstöße sowohl gegen die Nationaldienst- als auch gegen die Ausreisebestimmungen in jüngerer Vergangenheit geringer ausfallen, insbesondere Haftdauern sich verkürzt haben. Laut Amnesty International (Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 44 [G 2/15]) ist dies zum einen auf den Umstand zurückzuführen, dass immer mehr Eritreer versuchten, das Land zu verlassen, und dabei aufgegriffen würden, was in einer beträchtlichen Zahl von Inhaftierten resultiere. Zum anderen liege der Grund für kürzere Haftdauern möglicherweise auch darin, die betroffenen Personen schnell wieder dem Nationaldienst zuzuführen, da die große Anzahl von Deserteuren dort Lücken hinterlasse. Ebenso berichtet die UN-Untersuchungskommission davon, dass sich die Haftstrafen für eine (versuchte) illegale Ausreise von Personen im Nationaldienst bzw. im dienstpflichtigen Alter in der Praxis von zwei bis sieben Jahren auf sechs Monate bis zwei Jahre reduziert hätten, was mit einem generellen Mangel an Nationaldienstleistenden erklärt werden könne (vgl. HRC, Report of the Detailed Findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 113 (Nr. 422) [G 6/15]).

53

Die Haftbedingungen sind prekär; Zellen sind häufig überbelegt. Die hygienischen Bedingungen sind schlecht; teilweise sind keine Sanitäreinrichtungen vorhanden. Die Versorgung mit Trinkwasser ist ebenso wie eine medizinische Versorgung nicht gewährleistet. Essensrationen sind knapp und wenig nahrhaft. Folter und Misshandlungen werden sowohl zur Beschaffung von Informationen und Geständnissen als auch als Teil der Bestrafung eingesetzt. Teilweise werden die Gefangenen in unterirdischen Zellen oder auch in Schiffscontainern eingesperrt (vgl. EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 45 ff. [G 1/15]; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 48 [G 2/15]; HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 65 f. (Nr. 260 ff.) [G 6/16]).

54

Ob Personen, die - wie die im Alter von 13 Jahren ausgereiste Klägerin - bereits längere Zeit vor Beginn ihrer Nationaldienstpflicht aus Eritrea ausgereist sind und sich im nationaldienstpflichtigen Alter noch nie in Eritrea aufgehalten haben, bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit überhaupt eine Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Nichtableistung des Nationaldienstes droht, kann offen bleiben (verneinend VG Münster, Urt. v. 22.7.2015, 9 K 3488/13.A, juris Rn. 93). Denn sowohl eine Bestrafung der illegalen Ausreise als auch eine Sanktionierung der Umgehung des Nationaldienstes durch illegale Ausreise würden jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an einen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund - insbesondere nicht an die politische Überzeugung - anknüpfen (dazu unter (a)). Der Strafbarkeit einer Ausreise entgegen den Bestimmungen der Proklamation Nr. 24/1992, insbesondere ohne gültiges Ausreisevisum, kommt auch nicht für sich genommen unter dem von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkt der „Republikflucht“ politischer Charakter zu (dazu unter (b)).

55

(a) Eine Bestrafung von eritreischen Staatsangehörigen allein wegen illegaler Ausreise und damit einhergehender Umgehung des Nationaldienstes knüpft nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an die politische Überzeugung der Betroffenen an.

56

Ein Ausländer wird wegen einer politischen Überzeugung verfolgt, wenn dies geschieht, weil er eine bestimmte Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, und zwar in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG), wobei gemäß § 3b Abs. 2 AsylG genügt, dass dem Ausländer diese Überzeugung von seinem Verfolger zugeschrieben wird (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, juris Rn. 21). Die politische Überzeugung wird in erheblicher Weise unterdrückt, wenn ein Staat mit Mitteln des Strafrechts oder in anderer Weise auf Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des Einzelnen schon deshalb zugreift, weil dieser seine mit der Staatsraison nicht übereinstimmende politische Meinung nach außen bekundet und damit notwendigerweise eine geistige Wirkung auf die Umwelt ausübt und meinungsbildend auf andere einwirkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, juris Rn. 21; Urt. v. 19.5.1987, 9 C 184.86, BVerwGE 77, 258, juris Rn. 19, m.w.N.). Hiervon kann insbesondere auszugehen sein, wenn er eine Behandlung erleidet, die härter ist als sie sonst zur Verfolgung ähnlicher - nichtpolitischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat üblich ist (sogenannter „Politmalus“, vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29.17, juris Rn. 22, mit Verweis auf BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989, 2 BvR 502/86 u.a., BVerfGE 80, 315, juris Rn. 53; Kammerbeschl. v. 4.12.2012, 2 BvR 2954/09, NVwZ 2013, 500, juris Rn. 24). Demgegenüber liegt grundsätzlich keine Sanktionierung einer politischen Überzeugung vor, wenn die staatliche Maßnahme allein der Durchsetzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht dient. So liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Sanktionen, die an eine Wehrdienstentziehung anknüpfen, nicht schon für sich allein politische Verfolgung, selbst wenn diese von totalitären Staaten verhängt werden (siehe BVerwG, Urt. v. 19.8.1986, 9 C 322.85, DVBl 1987, 47, juris Rn. 11; Urt. v. 6.12.1988, 9 C 22.88, BVerwGE 81, 41, juris Rn. 8). Solche Maßnahmen begründen nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Furcht vor Verfolgung, wenn sie den Betroffenen über die Ahndung des allgemeinen Pflichtverstoßes hinaus wegen asylerheblicher Merkmale, insbesondere wegen einer wirklichen oder vermuteten, von der herrschenden Staatsdoktrin abweichenden politischen Überzeugung treffen sollen, wofür Indizien ein unverhältnismäßiges Ausmaß der Sanktionen oder deren diskriminierender Charakter sein können (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2018, 1 C 29/17, juris Rn. 22, m.w.N.). Dabei kommt es stets darauf an, ob der Staat seine Bürger in den genannten Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechtzuerhalten trachtet und dabei die Überzeugung seiner Staatsbürger unbehelligt lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System eines fremden Staates seiner Bevölkerung allgemein auferlegt, vermögen für sich allein einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen. Das bloße Aufrechterhalten oder Wiederherstellen „staatsbürgerlicher Disziplin“, also des Gehorsams der „Gewaltunterworfenen“ gegenüber Gesetzen, die nicht ihrerseits flüchtlingsschutzrelevanten Inhalt haben, ist daher für sich allein - auch wenn hierbei mit großer Härte vorgegangen wird - keine politische Verfolgung (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.5.1986, 9 C 35.86 u. 9 C 36.9 C 36.86, BVerwGE 74, 226, juris Rn. 15; Urt. v. 17.5.1983, 9 C 36.83, BVerwGE 67, 184, juris Rn. 34). Unter diesen Gesichtspunkten ist daher auch der Zweck konkret angedrohter oder befürchteter Sanktionen festzustellen. Von gleicher Bedeutung können auch die konkreten Umstände staatlichen Vorgehens und die praktische Handhabung der Sanktionsnorm sein. Insoweit sind sowohl etwaige Manipulationen des Strafvorwurfs wie auch die formellen Kriterien zu würdigen, nach denen ein staatlicher Eingriff stattfindet. Es macht einen Unterschied, ob die Entscheidung durch unabhängige, nur einem bereits vorliegenden Gesetz unterworfene allgemeine Gerichte erfolgt oder staatlichen Organen wie Polizei, Militär, Sondergerichten überantwortet wird bzw. gar ohne rechtliche Grundlage und ohne Durchführung eines geordneten Verfahrens erfolgt. Eine insoweit bestehende Bindungslosigkeit der staatlichen Strafgewalt spricht in erheblichem Maße für eine politische Verfolgung (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.5.1983, 9 C 36.83, BVerwGE 67, 184, juris Rn. 35 f.).

57

Ein Staat kann eine politisch motivierte Verfolgung schließlich auch ohne Rücksicht auf das Vorhandensein einer (zugeschriebenen) Überzeugung betreiben. Davon ist in der Regel auszugehen, wenn der Staat an sich belanglose äußere Verhaltensweisen seiner Bürger, wie z.B. das illegale Verlassen des Heimatstaates oder einen im Ausland gestellten Asylantrag, pauschal zum Anlass für eine Gesinnungsverfolgung nimmt. Eine solche Verfolgungssituation kommt aber nur in Ausnahmefällen in Betracht und setzt ein in besonderem Maße unduldsames Regime voraus, das aufgrund einer alle Lebensbereiche umfassenden ideologisch einseitig ausgerichteten totalitären Struktur zu Überreaktionen neigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.1986, 9 C 28.85, juris Rn. 26).

58

Nach diesen Maßstäben ist nicht festzustellen, dass in Eritrea die strafrechtliche Sanktionierung von illegaler Ausreise und Umgehung des Nationaldienstes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zielgerichtet eingesetzt wird, um betroffene Personen wegen ihrer - auch nur zugeschriebenen - politischen Überzeugung zu treffen. Bei zusammenfassender, qualitativer Würdigung der vorliegenden Erkenntnisquellen überwiegen zur Überzeugung des Senats die Tatsachen, die dagegen sprechen, dass der eritreische Staat jedem eritreischen Staatsbürger, der illegal ausgereist ist und dadurch den Nationaldienst umgeht, generell eine Regimegegnerschaft bzw. oppositionelle politische Überzeugung unterstellt, die dafür sprechenden Umstände. Im Einzelnen:

59

Zunächst deutet die willkürliche und außergerichtliche Sanktionierungspraxis für die hier in Rede stehenden Delikte auf eine hinter der Bestrafung stehende politische Motivation des eritreischen Staates hin. Für eine entsprechende Zielrichtung der regelhaft unverhältnismäßig harten Bestrafung unter menschenrechtswidrigen Bedingungen spricht auch, dass der Nationaldienst in Eritrea als politisches Projekt neben der Verteidigung auch dem Wiederaufbau des Landes und als „Schule der Nation“ der Vermittlung einer nationalen Ideologie dienen soll (vgl. EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 32 [G 1/15]; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 11 [G 8/16]; SFH, Eritrea: Nationaldienst, 30.6.2017, S. 6 [G 3/17]). Allerdings spricht das relativ breite Spektrum von möglichen Sanktionen gegen die Annahme, dass ihnen generell ein politischer Charakter zukommt (so auch VG Regensburg, Urt. v. 27.10.2016, RN 2 K 16.31289, juris Rn. 31; VG Arnsberg, Urt. v. 4.6.2018, 12 K 3519/16.A, juris Rn. 85). Neben den Haftstrafen, die für sich genommen eine Spanne von wenigen Wochen bis zu mehreren Jahren umfassen können, kann die Bestrafung auch nur in einer Belehrung liegen (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 25.2.2018, S. 19 [2018/1]). Darüber hinaus wird über Fälle berichtet, in denen Betroffene einer Sanktionierung entgangen sind (vgl. United States Department of State (USDOS), Eritrea 2017, Human Rights Report, 20.4.2018, S. 14 [G 4/18]; Immigration and Refugee Board of Canada (IRB Canada), Eritrea: Situation of people returning to the country after they either spent time abroad, claimed refugee status, or were seeking asylum (July 2015 – May 2017), 14.6.2017 [G 22/17]). Würde der eritreische Staat allen Personen, die illegal ausgereist sind und dadurch die Ableistung des Nationaldienstes umgangen haben, generell eine Regimegegnerschaft unterstellen, wäre zu erwarten, dass er diesem Umstand in der Bestrafungspraxis auch Rechnung trägt und alle Betroffenen (im Wesentlichen gleichermaßen hart) bestraft. Gegen eine politische Zielrichtung spricht ferner der Zweck der Sanktionierungsmaßnahmen, die nach der UN-Untersuchungs-kommission der Erzwingung von Geständnissen, Informationsgewinnung, Bestrafung für angebliches Fehlverhalten sowie der Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst zur Aufrechterhaltung der Disziplin und völkerrechtswidrigen Kontrolle über die eigene Bevölkerung dienen, wobei die Anwendung von Folter einen integralen Bestandteil bildet (vgl. HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 25 (Nr. 97), S. 65 (Nr. 258, 260), S. 68 (Nr. 270) [G 6/16]). Damit zielen sie jedoch nicht individuell auf eine (unterstellte) politische Überzeugung der Betroffenen ab, sondern sind vielmehr Ausdruck des totalitären Herrschaftsanspruchs des eritreischen Regimes, dessen Durchsetzung gegenüber der Bevölkerung für sich genommen noch keine politische Verfolgung darstellt. Soweit für die Grenztruppen Eritreas ein Schießbefehl („shoot-to-kill order“) bezüglich Personen bestehen soll, die versuchen, illegal das Land zu verlassen, kommt diesem Indiz für eine generelle Unterstellung einer Regimegegnerschaft insofern keine durchgreifende Bedeutung zu, als der Befehl zumindest in den letzten Jahren wohl nicht mehr systematisch und weniger rigoros angewandt wird (vgl. SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 30 m.w.N. [G 8/16]). Hierzu wird von der UN-Untersuchungskommission unter anderem ausgeführt, dass Ausreisende nicht mehr getötet, sondern zwecks Festnahme verletzt werden sollen (vgl. HRC, Report of the Detailed Findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 319 (Nr. 1116) [G 6/15]; ders., Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 9.5.2016, S. 32 f. (Nr. 133) u. S. 78 f. (Nr. 315) [G 1/16]). Auch die unmenschlichen Haftbedingungen einschließlich Folter im Falle einer Inhaftierung wegen Verstößen gegen die Nationaldienstpflicht bzw. wegen (versuchter) illegaler Ausreise lassen nicht per se auf eine - im Verhältnis zu anderen Straftätern in Eritrea - außergewöhnlich harte Bestrafung wegen einer politischen Überzeugung („Politmalus“) schließen, da die Bedingungen und Behandlungen in den Gefängnissen Eritreas generell als extrem hart beschrieben werden und potentiell alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen treffen (vgl. HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 32 (Nr. 131) sowie, bezüglich der Anwendung von Folter, S. 65 f. (Nr. 260 ff.) [G 6/16]).

60

Soweit auch aktuellere Erkenntnisquellen wie etwa die Berichte der UN-Untersuchungskommission noch darauf hinweisen, dass Personen, die illegal ausreisen und/oder sich dem Nationaldienst entziehen, als „Verräter“ angesehen werden (vgl. etwa HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 9.5.2016, S. 13 [G 1/16]; ders., Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 59 (Nr. 240) [G 6/16]; ders., Report of the Detailed Findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 114 (Nr. 431) [G 6/15]), und damit auf die generelle Unterstellung einer Regimegegnerschaft hindeuten, bleibt zum einen teilweise unklar, ob sich diese Zuschreibung auf alle Formen der Nichtableistung des Nationaldienstes bezieht oder nur auf solche Personen, die desertiert sind oder sich sonst aus dem aktiven Dienst entfernt haben bzw. sich einer im Zeitpunkt der Ausreise bereits bestehenden Dienstpflicht entziehen. Zum anderen beziehen sich die Quellen insoweit nur auf zwangsweise zurückgeführte Eritreer (vgl. die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Stellungnahme von Amnesty International an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 2. August 2018, Anlage 1 zum Sitzungsprotokoll vom 21.9.2018, S. 3; siehe auch AI, Eritrea: 20 Years of Independence, But Still No Freedom, 2013, S. 30 ff., S. 37 [G 2/13]; IRB Canada, Eritrea: Situation of people returning to the country after they either spent time abroad, claimed refugee status, or were seeking asylum (September 2014 – June 2015), 18.11.2015 [G 5/15]; HRC Report of the Detailed Findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 114 (Nr. 431) [G 6/15]). Wie auch das UK Upper Tribunal (Urt. v. 7.10.2016, Eritrea CG [2016] UKUT 00443, S. 126, Rn. 337 [G 7/16]) zutreffend ausführt, ist jedoch hinsichtlich der Sicht des eritreischen Staates auf Rückkehrer zwischen denjenigen, die freiwillig zurückkehren (dazu näher unten, S. 29) und solchen, die zwangsweise - und damit öffentlichkeitswirksamer - zurückgeführt werden, zu unterscheiden.

61

Die Stellungnahme von Amnesty International an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 2. August 2018 geht zudem unzutreffend davon aus, dass das so genannte „Reueformular“, welches Eritreer im Ausland, die sich der Nationaldienstpflicht entzogen haben, unterzeichnen müssen, bevor sie Zugang zu - insbesondere konsularischen - Dienstleistungen von eritreischen Behörden erhalten, ein Geständnis dahingehend enthält, dass die Betroffenen „Verrat“ begangen hätten. Vielmehr heißt es in dem Formular lediglich, dass der Unterzeichnende bedauere, dadurch ein Vergehen begangen zu haben, den Nationaldienst nicht zu erfüllen, und dass er bzw. sie bereit sei, zu gegebener Zeit eine angemessene Bestrafung zu akzeptieren (vgl. die englische Übersetzung des „Immigration and Citizenship Services Request Form“ in: HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 477 [G 6/15]: „[...] I regret having committed an offence by not completing the national service and am ready to accept appropriate punishment in due course“).

62

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Berichte der UN-Untersuchungs-kommission überwiegend auf Aussagen von im Ausland vernommenen Zeugen beruhen, ohne diese Aussagen einer bestimmten Zeit innerhalb des 25 Jahre umfassenden Berichtszeitraums zuzuordnen und damit politische und gesellschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 21.11.2016, S. 6 [2016/2]). Überdies bezieht sich die UN-Untersuchungskommission hauptsächlich auf Fälle von Eritreern, die in den Jahren 2002 bis 2008 zwangsweise zurückgeführt wurden (vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 114 ff. (Nr. 427 ff.), S. 300 (Nr. 1070) [G 6/15]), berichtet aber auch darüber, dass im Jahr 2014 sieben ältere Männer freigelassen worden seien und eine weitere Gruppe rückgeführter Eritreer, die die Zahlung einer zweiprozentigen Steuer belegen konnten, nicht verhaftet und eingezogen worden sei (vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 115 f. (Nr. 436) [G 6/15]; vgl. auch UKHO, Country Policy and Information Note - Eritrea: National service and illegal exit, October 2016, S. 85 [G 18/16]).

63

Gerade die Möglichkeit, dass illegal ausgereiste Eritreer, nachdem sie sich drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, gegen Zahlung einer sogenannten Aufbau- bzw. Diasporasteuer („2 %-Steuer“) und - bei Nichterfüllung der Nationaldienstpflicht - Unterzeichnung eines sogenannten Reueformulars in der Regel unbehelligt nach Eritrea ein- und wieder ausreisen und sich dort jedenfalls vorübergehend, etwa zu Besuchszwecken, aufhalten können (vgl. SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 32 ff., 41, 43 [G 8/16]; AI, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea, 28.7.2017, S. 2 [G 8/17]) zeigt, dass der eritreische Staat von einer Bestrafung solcher Personen ohne Rücksicht auf deren (vermeintlich) abweichende politische Überzeugung zugunsten ökonomischer Interessen absieht (so auch VG Berlin, Urt. v. 1.9.2017, 28 K 166.17.A, juris Rn. 44; VG Düsseldorf, Urt. v. 23.3.2017, 6 K 7338/16.A, juris Rn. 202). Zwar ist dabei, worauf die Klägerin hinweist, zu berücksichtigen, dass die Berichte hierüber zum Teil auf Interviews mit Rückkehrern nach Eritrea beruhen, die von Mitarbeitern eritreischer Behörden begleitet und übersetzt wurden (vgl. SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 34 [G 8/16]; UKHO, Report of a Home Office Fact-Finding Mission, Eritrea: illegal exit and national service, Conducted 7-20 February 2016, Oktober 2016, S. 8, 107-114, 117, 214-220, 228 [G 13/16]). Allerdings bestätigen die in Eritrea geführten Gespräche jedenfalls, dass tatsächlich zahlreiche Eritreer von der Rückkehrmöglichkeit Gebrauch machen (vgl. SEM, a.a.O., S. 35 f.; UKHO, a.a.O., S. 101; vgl. auch AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 21.11.2016, S.17 [2016/2]). Wenngleich die mit dem Diaspora-Status verbundene freiwillige Rückkehrmöglichkeit - insbesondere vor dem Hintergrund des willkürlichen Agierens der eritreischen Behörden - keine hinreichende Sicherheit vor einer Bestrafung bieten und die Zahlung der zweiprozentigen Steuer den Betroffenen auch aus den von der Klägerin angestellten Erwägungen nicht zuzumuten sein dürfte, spricht gleichwohl die bloße Eröffnung der Rückkehrmöglichkeit durch den eritreischen Staat erheblich dagegen, dass rückkehrenden Personen, die illegal ausgereist sind und den Nationaldienst nicht abgeleistet haben, generell eine politische Gegnerschaft zugeschrieben wird (so auch VG Berlin, Urt. v. 1.9.2017, 28 K 166.17.A, juris Rn. 46, VG Düsseldorf, Urt. v. 23.3.2017, 6 K 7338/16.A, juris Rn. 190 ff.). Vielmehr scheint der eritreische Staat die Flucht seiner Angehörigen ins Ausland unter anderem bewusst dafür zu nutzen, sich finanzielle Einnahmequellen zu erschließen (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea Stand November 2016, 21.11.2016, S. 17 [2016/2]), und misst einer möglicherweise dahinter stehenden politischen Überzeugung jedenfalls keinen bedeutsamen Stellenwert mehr zu. Vor diesem Hintergrund kann ungeachtet der ideologisch ausgerichteten und totalitären Struktur des eritreischen Staats insbesondere nicht angenommen werden, dass er gegenüber allen illegal ausgereisten Nationaldienstpflichtigen zu Überreaktionen neigt und pauschal eine Gesinnungsverfolgung betreibt (so auch bereits VG Düsseldorf, Urt. v. 23.3.2017, 6 K 7338/16.A, juris Rn. 202).

64

Gegen die generelle Unterstellung einer Regimegegnerschaft durch den eritreischen Staat spricht schließlich auch, dass der Nationaldienst heute neben Verteidigungszwecken vor allem der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, der Steigerung der Gewinne der staatlich unterstützten Unternehmen und der Aufrechterhaltung der Kontrolle über die eritreische Bevölkerung dient (vgl. HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 58 (Nr. 234) [G 6/16]). Angehörige des militärischen Teils des Nationaldienstes leisten ihren Dienst nicht allein im eritreischen Militär, sondern auch beim Aufbau von Infrastruktur, wie dem Bau von Wohnungen, Dämmen, Straßen, Kliniken oder Schulen, und in der Landwirtschaft. Angehörige des zivilen Teils des Nationaldienstes arbeiten zudem in Schulen, Gerichten oder in der medizinischen Versorgung (vgl. SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 11 f. [G 8/16]; HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 22 f. (Nr. 88 ff.) [G 6/16]; SFH, Eritrea: Nationaldienst, 30.6.2017, S. 7 [G 3/17]). In einem Interview im Jahr 2008 erklärte der eritreische Präsident Isaias Afewerki, dass es aufgrund des jahrelangen Kriegszustandes erforderlich gewesen sei, die Mehrheit der Jugendlichen zu mobilisieren; diese Ressource werde nunmehr genutzt, um eine solide Grundlage für die Wirtschaft des Landes zu schaffen (vgl. Ausschnitt des Interviews wiedergegeben in: HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 52 (Nr. 208) [G 6/16]). Vor diesem Hintergrund wird angenommen, dass der ursprünglich mit „legitimen Zielsetzungen“ verbundene Nationaldienst wegen seines unbedingten und unbefristeten Charakters mittlerweile zu bloßer Zwangsarbeit „degeneriert“ sei (vgl. Kibreab, The Open-Ended Eritrean National Service: The Driver of Forced Migration, S. 16 [G 3/14]; vgl. auch AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 6, 12 [G 2/15]; HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 22, 52 f., 83 (Nr. 88, 208 ff., 345) [G 6/16]), welche letztlich die eritreische Wirtschaft stützt.

65

Letztlich kann aufgrund der zuletzt massenhaften Flucht von tausenden eritreischen Staatsangehörigen (vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 42 (Nr. 151) [G 6/15]; UKHO, Report of a Home Office Fact-Finding Mission, Eritrea: illegal exit and national service, Conducted 7-20 February 2016, Oktober 2016, S. 96 f. (Nr. 11.5.1, 11.5.2) [G 13/16]) nicht vernünftigerweise unterstellt werden, dass der eritreische Staat - jedenfalls weiterhin - jedem einzelnen Flüchtenden generell eine oppositionelle politische Haltung unterstellt. Denn auch dem eritreischen Staat muss bewusst sein, dass die übergroße Zahl der Emigranten Eritrea in erster Linie aufgrund der prekären Lebensbedingungen im Nationaldienst und aufgrund wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und nicht aufgrund einer regimefeindlichen Haltung verlässt (vgl. auch UK Upper Tribunal (IAC), Urt. v. 7.10.2016, Eritrea CG [2016] UKUT 00443, Rn. 337 [G 7/16]). Migrationsauslöser sind primär die Dauer des Nationaldienstes, die Bedingungen, unter denen dieser geleistet werden muss, die fehlende Gewährung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Rechte sowie fehlende weitergehende Bildungs- und privatwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten und der damit einhergehende Verlust an Lebensperspektiven. Vor diesem Hintergrund hat sich das Phänomen der Emigration insbesondere junger Personen aus Eritrea - wie auch dem eritreischen Regime bekannt ist - in letzter Zeit deutlich verstärkt (vgl. Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 30.1.2017, D-7898/2015 [G 6/17]; AI, Just Deserters: Why indefinite national Service in Eritrea has created a generation of refugees, S. 39 [G 2/15]; FAZ v. 21.3.2017, S. 3, „Auf gepackten Koffern“ [Presseordner]).

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Anhaltspunkte dafür, dass im Fall der Klägerin aufgrund individueller Umstände eine abweichende Betrachtung angezeigt wäre, liegen nicht vor. Vielmehr spricht der Umstand, dass sie Eritrea als 13-Jährige mehrere Jahre vor Beginn ihrer Nationaldienstpflicht verlassen hat und dieser insofern lediglich durch „Nichtanwesenheit“ nicht nachgekommen ist, ebenfalls dagegen, dass der eritreische Staat ihr bei einer (hypothetischen) Rückkehr eine oppositionelle politische Überzeugung zuschreiben und sie gerade wegen dieser zu inhaftieren suchen würde. Dass sich die Klägerin oppositionell oder sonst politisch betätigt hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

67

Schließlich begründet auch der Umstand, dass die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Eritrea von den dortigen Behörden eine Regimegegnerschaft zugeschrieben werden würde und damit Verfolgungshandlungen in Anknüpfung an eine (unterstellte) politische Überzeugung drohten. Eine dahingehende Überzeugung vermag der Senat aus den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht zu gewinnen. Soweit in der Stellungnahme von Amnesty International an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 2. August 2018 (Anlage 1 zum Sitzungsprotokoll vom 21.9.2018, S. 3) zum Ausdruck kommt, dass Berichte zurückgeführter Asylbewerber nahe legten, die Beantragung von Asyl im Ausland werde von der eritreischen Regierung als Kritik angesehen, wird dies zum einen ausdrücklich aus Erkenntnissen über die Behandlung von „Rückgeführten“ und „nur aus früheren Jahren“ abgeleitet (S. 2 der Stellungnahme; unter Bezugnahme u.a. auf AI, Eritrea: 20 Years of Independence, But Still No Freedom, 2013 [G 2/13]), zum anderen betreffen die in Bezug genommenen Erkenntnisse ersichtlich nicht Fälle, in denen allein eine Asylantragstellung Anknüpfungspunkt für Maßnahmen des eritreischen Staates gewesen sein konnte. Dementsprechend wird in einer früheren Stellungnahme von Amnesty International auch zutreffend darauf hingewiesen, dass es praktisch nicht vorkomme, dass ein Eritreer ein Asylgesuch gestellt habe, ohne zuvor unrechtmäßig aus Eritrea ausgereist zu sein oder sich dem Nationaldienst unrechtmäßig entzogen zu haben, so dass sich keine Aussage darüber treffen lasse, ob allein das Stellen eines Asylgesuchs - unter der Prämisse der rechtmäßigen Ausreise und der Freistellung vom nationalen Dienst - zu Reaktionen durch die eritreischen Behörden führen würde (vgl. AI, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea, 28.7.2017, S. 4 [G 8/17]; siehe auch UKHO, Country Policy and Information Note - Eritrea: National service and illegal exit (Version 5.0), Juli 2018, S. 53 f. [G 13/18], wo unter Wiedergabe einer Auskunft von Landinfo vom 27.4.2016 ausgeführt wird, dass keine empirische Grundlage für eine Aussage dazu bestehe, dass ein Asylantrag für sich genommen zu Reaktionen von eritreischen Behörden führt; vgl. dazu auch UK Upper Tribunal, Urt. v. 7.10.2016, Eritrea CG [2016] UKUT 00443, S. 126, Rn. 336 [G 7/16]). Dass einer Asylantragstellung neben bzw. nach der illegalen Ausreise und der Nichtableistung des Nationaldienstes - wie im Fall der Klägerin - keine entscheidende Bedeutung zukommt, zeigt insbesondere der oben beschriebene Umgang des eritreischen Staates mit freiwilligen Rückkehrern, zu denen auch anerkannte Asylbewerber zählen (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand November 2016, 21.11.2016, S. 17 [2016/2]; Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2017, 25.2.2018, S. 18 [2018/1]).

68

(b) Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt der Strafdrohung wegen illegaler Ausreise auch nicht für sich genommen unter dem Gesichtspunkt der Republikflucht politischer Charakter zu.

69

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich die Frage, ob eine Bestrafung wegen unerlaubten Verlassens des Heimatstaates kriminellen oder politischen Charakter hat, nicht allgemein beantworten, sondern entscheidet sich nach dem Strafzweck, dem Maß der Strafe sowie den Umständen der „Tatbegehung“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.1971, 1 C 30.68, BVerwGE 39, 27, juris Rn. 9), das heißt danach, ob die Bestrafung in Anknüpfung an die - jedenfalls vermutete - politisch-oppositionelle Überzeugung des Täters erfolgt (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.3.1994, 9 C 510.93, juris Rn. 14). Politische Verfolgung liegt dann vor, wenn die Strafdrohung der Abwehr und Ahndung des auf abweichender politischer Überzeugung beruhenden Wunsches dient, in einem anderen Lande leben zu können (BVerwG, Urt. v. 15.3.1994, 9 C 510.93, juris Rn. 14; Urt. v. 7.10.1975, 1 C 34.71, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 10). Asylberechtigt ist derjenige, der (auch) in einer von der herrschenden Staatsdoktrin abweichenden politischen Überzeugung getroffen werden soll, die sein Heimatstaat allein schon wegen des unerlaubten Aufenthalts im Ausland annimmt (BVerwG, Urt. v. 6.12.1988, 9 C 22.88, BVerwGE 81, 41, juris Rn. 11). Hingegen kommt Strafvorschriften, die der Durchsetzung ordnungsrechtlicher Aus- und Einreisebestimmungen dienen, kein politischer Charakter zu. Diese Unterscheidung kann grundsätzlich nicht getroffen werden, ohne die Eigenart des Staates in Betracht zu ziehen, von dem die Bestrafung ausgeht. Gestattet er seinen Staatsangehörigen die Ausreise und den Aufenthalt im Ausland, die grundsätzlich verhindert werden sollen, nur ausnahmsweise und unter politischen Gesichtspunkten, so erfüllt die Bestrafung der unerlaubten Ausreise in aller Regel dieselbe Funktion wie eine nach innen befestigte und bewachte Grenze: Sie soll eine „Abstimmung mit den Füßen“ verhindern (BVerwG, Urt. v. 26.10.1971, 1 C 30.68, BVerwGE 39, 27, juris Rn. 10; Urt. v. 24.4.1979, 1 C 49.77, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 13). Allein aus dem Inhalt der jeweiligen Strafvorschriften lässt sich daher noch nicht beantworten, ob drohender Bestrafung wegen unerlaubter Ausreise bzw. unerlaubten Verbleibens im Ausland asylerhebliche Bedeutung zukommt. Es müssen vielmehr die Gesamtverhältnisse im Herkunftsland berücksichtigt werden (BVerwG, Urt. v. 31.3.1981, 9 C 1.80, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 25; siehe zum Vorstehenden insgesamt BVerwG, Urt. v. 15.3.1994, 9 C 510.93, juris Rn. 14).

70

In Anwendung dieser Grundsätze lässt sich hinsichtlich der Bestrafung wegen illegaler Ausreise in Eritrea kein politischer Charakter im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts feststellen. Wie bereits oben ausgeführt, ist es ungeachtet des totalitären, willkürlich und menschenrechtswidrig agierenden Regimes in Eritrea nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Bestrafung (weiterhin) in Anknüpfung an eine - jedenfalls vermutete - politisch-oppositionelle Überzeugung der illegal Ausreisenden erfolgt, um sie in einer von der herrschenden Staatsdoktrin abweichenden politischen Überzeugung zu treffen. Bei Würdigung aller erkennbaren Umstände dient die Strafdrohung für illegale Ausreise auch nicht der Abwehr und Ahndung des auf abweichender politischer Überzeugung beruhenden Wunsches, in einem anderen Lande leben zu können, sondern vorrangig der Aufrechterhaltung des Nationaldienstregimes bzw. der hiervon abhängigen Wirtschaft. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass die - in der Praxis durchaus vorkommende (siehe HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 108 f. (Nr. 403 ff.) [G 6/15], wonach unter anderem auch (älteren) Familienmitgliedern von Oppositionellen Ausreisevisa ausgestellt wurden) - Erteilung von Ausreisevisa nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, sondern vor allem vom Alter der betroffenen Person bzw. vom Nachweis der Erfüllung der Nationaldienstpflicht (oder einer Befreiung hiervon) abhängig ist (vgl. UKHO, Country Policy and Information Note Eritrea: National service and illegal exit, version 5.0, Juli 2018, S. 45 [G 13/18]). Dies deckt sich mit der von Professor Kibreab geäußerten Auffassung, dass das eritreische Regime nicht diejenigen bestrafe, die illegal das Land verließen, sondern solche, die aus dem Nationaldienst desertierten oder sich der Einberufung entzögen; illegal ausgereiste Personen seien keinem (Bestrafungs)Risiko ausgesetzt, sofern sie nicht als der zweiten Gruppe zugehörig angesehen würden (vgl. UK Upper Tribunal, MST and Others (national service – risk categories) Eritrea CG [2016] UKUT 00443 (IAC), Appendix III d. Urt. v. 7.10.2016, S. 207 (Nr. 61) [G 7/16]).

71

(2) Soweit die Klägerin geltend macht, dass sie im Rahmen einer Inhaftierung in Eritrea sexualisierter Gewalt ausgesetzt sein würde, begründet dies ebenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Zwar formuliert die Schweizerische Flüchtlingshilfe (vgl. Schnellrecherche - Eritrea: Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, 13.2.2018, S. 3 [G 3/18]), auf die sich die Klägerin stützt, unter Verweis auf einen Bericht des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (Committee on the Elimination of Discrimination against Women, CEDAW) aus dem Jahr 2015 sowie auf den Bericht der Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats zur Menschenrechtslage in Eritrea aus 2015 sehr allgemein, dass sexualisierte Gewalt auch in der Haft häufig vorkomme. Konkretere Angaben hierzu enthält die Quelle jedoch ebenso wenig wie Anhaltspunkte dafür, dass entsprechende Formen von Gewalt zielgerichtet gegen Frauen eingesetzt werden. Vielmehr wird ausdrücklich auch auf sexualisierte Gewalt gegen Männer hingewiesen (vgl. insoweit auch HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 32 (Nr. 127) [G 6/16]). Auch die UN-Untersuchungskommission hält zu den Haftbedingungen für Frauen fest, dass diese nicht per se diskriminierend seien, wenngleich die Nichtberücksichtigung spezieller Bedürfnisse von - insbesondere schwangeren und stillenden - Frauen in einem System, welches vorrangig auf Männer ausgelegt sei, einen diskriminierenden Effekt habe (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 268 (Nr. 953) [G 6/15]; vgl auch HRC, Detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 31 (Nr. 125) [G 6/16]). Frauen würden in Übereinstimmung mit internationalen Standards grundsätzlich getrennt von Männern inhaftiert, seien aber nicht durchgehend unter der Verantwortung oder Aufsicht von weiblichen Beamten, was sie einem erhöhten Risiko von sexueller und geschlechtsbezogener Gewalt aussetze (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 5.6.2015, S. 273 (Nr. 967) [G 6/15]; vgl. auch EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 47 [G 1/15]). Während der Bericht der UN-Sonderberichterstatterin zur Menschenrechtslage in Eritrea vom 24. Juli 2017 (S. 13 [G 7/17], wiedergegeben auch in UKHO, Country Policy and Information Note - Eritrea: National service and illegal exit, Version 5.0, Juli 2018, S. 27 (Nr. 7.6.12 f.) [G 13/18] ) noch ausdrücklich Vorkommnisse von sexualisierter Gewalt in der Armee und in „detention centres“ aufführt, finden sich entsprechende Ausführungen im Bericht vom 25. Juni 2018 (S. 9 (Nr. 49) [G 12/18]) nicht mehr. Vielmehr heißt es dort lediglich, dass die Erfahrungen, die Frauen im Strafjustizsystem einschließlich des Strafvollzugs machten, sich substantiell von den Erfahrungen von Männern unterschieden. Daher sollten die Rahmenbedingungen, unter denen Frauen festgehalten würden, so ausgestaltet sein, dass sie die speziellen Bedürfnisse von Frauen erfüllten und sicherstellten, dass Voreingenommenheit auf jeder Ebene eliminiert werde. Im aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea wird über sexuelle Gewalt gegen Frauen ebenfalls primär im Rahmen des Militärdienstes berichtet (vgl. Bericht v. 25.2.2018, S. 13 [2018/1]), nicht jedoch über entsprechende Gewalthandlungen im allgemeinen Strafvollzug. Auch im speziellen Abschnitt „Geschlechtsspezifische Verfolgung“ (S. 14 [2018/1]) wird sexuelle Gewalt gegenüber Frauen im allgemeinen Strafvollzug nicht aufgeführt, was aber zu erwarten wäre, wenn auch dort entsprechende Gewalthandlungen zielgerichtet, d.h. um Frauen gerade wegen ihres Geschlechts zu treffen, erfolgten. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus den von der Klägerin im Schriftsatz vom 17. September 2018 zitierten Ausführungen von Dr. Asia Abdulkadir (Redebeitrag im Rahmen der Konferenz „Eritrea and the Ongoing Refugee Crisis“ am 19.10.2017 in Brüssel, veröffentlicht in der Broschüre „Eritrea: Ein Land im Griff einer Diktatur – Desertion, Flucht & Asyl“, 3.5.2018 [G 6/18]). Denn diese beziehen sich hinsichtlich sexueller Übergriffe auf inhaftierte Frauen ersichtlich ebenfalls allein auf den militärischen Kontext. So heißt es in dem übersetzten Redebeitrag wörtlich: „Nach Angaben der UN-Untersuchungskommission werden in den militärischen Ausbildungszentren, in der Armee und in Militärhaft weiterhin Vergewaltigungen von Militärangehörigen, Ausbildern wie auch von Gefängnisangestellten und Wächtern ungestraft begangen.“

72

Vor diesem Hintergrund vermag der Senat auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisquellen nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass der Klägerin bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sexuelle Gewalt im Rahmen einer Haft außerhalb des (militärischen) Nationaldienstes - bzw. das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen - droht bzw. solche Handlungen, soweit sie gleichwohl vorkommen sollten, zielgerichtet an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten soziale Gruppe bzw. an das Geschlecht im Sinne des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbsatz AsylG anknüpfen.

III.

73

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

74

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Die im Berufungsverfahren zu entscheidende Frage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), ob eritreische Behörden einer Person, die illegal aus Eritrea ausgereist ist und sich dadurch der Ableistung des Nationaldienstes entzieht, allein aufgrund dieser Umstände eine Regimegegnerschaft unterstellen, ist eine Tatsachenfrage. Tatsachenfragen unterfallen jedoch nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017, 1 B 22.17, NVwZ 2017, 1204, juris).

(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.

(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.

(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger mit oromischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 27.07.2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22.08.2016 einen Asylantrag.

Der religiös angetrauten Ehefrau des Klägers, …, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 10.11.2017 unter dem Az. … wegen drohender Genitalverstümmelung in Äthiopien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Den beiden Töchtern des Klägers, … und … …, wurde mit Bescheiden des Bundesamtes vom 13.11.2017 (Az. … bzw. …) im Rahmen des „Familienasyls“ nach § 26 AsylG ebenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 16.05.2017 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er stamme aus der Region J. und habe die Schule bis zur 5. Klasse besucht. Einen Beruf habe er nicht erlernt, aber einen Gemischtwarenladen in Äthiopien betrieben.

Zu seinen Fluchtgründen erklärte der Kläger, im Dorf, in dem seine Familie gelebt habe, seien etwa im Jahr 1998 des äthiopischen Kalenders Bodenschätze gefunden worden. Viele Bewohner seien deshalb umgesiedelt worden. Am Ort der Umsiedlung habe es aber keine Krankenversorgung, keine Schule und keine Infrastruktur gegeben. Deshalb sei er in ein anderes Dorf umgezogen und habe sich dort eine Existenz aufgebaut. Im Jahr 2007 des äthiopischen Kalenders sei der Abbau der Bodenschätze erweitert worden und habe auch das Dorf erfasst, in das der Kläger umgezogen sei. Die Bewohner hätten gegen die Erweiterung des Bodenschätzeabbaus protestiert, weil sie bereits einmal umgesiedelt worden seien und das Versprechen, eine funktionierende Infrastruktur zu schaffen, nicht eingehalten worden sei.

Man habe daher seitens der Bevölkerung Straßensperren errichtet und Demonstrationen veranstaltet. An diesen Aktionen habe er sich beteiligt, in dem er geholfen habe, Straßensperren mittels Bäume und großer Steine zu errichten. Er habe auch Parolen gerufen und gegen die Vertreibung und Verhaftung demonstriert. Am 16.07.2007 des äthiopischen Kalenders sei er deswegen verhaftet worden und für zwei Tage in Haft gekommen. Weil viele Bewohner gegen die Verhaftung demonstriert hätten, sei er entlassen worden. Seitens der Regierung habe man eine Lösung zugesichert. Es habe eine Versammlung gegeben, in alle Fragen besprochen hätten werden sollen. Viele Bewohner hätten sich in dieser Versammlung beschwert, aber keine Antwort erhalten. In der Folgezeit sei er bespitzelt worden, was er jedoch erst später erfahren habe.

Am 11.04.2008 des äthiopischen Kalenders sei er in der Schule verhaftet worden. Dabei habe man in einem seiner Schulhefte eine gezeichnete ABO-Fahne gefunden. Man habe ihn beschuldigt, mit der ABO zusammenzuarbeiten. Ferner sei ihm vorgeworfen worden, die Proteste und Demonstrationen gegen den Abbau der Bodenschätze angestiftet zu haben. Vom 11.04.2008 bis zum 16.07.2008 des äthiopischen Kalenders sei er deswegen inhaftiert gewesen. Sein Geschäft sei durchsucht und geschlossen worden. Aufgrund von Schmiergeldzahlungen seines Vaters und mit der Hilfe seines Cousins, einen Polizisten, sei er aus der Haft gekommen. Seine Freilassung gegen Schmiergeld habe man als Gefängnisausbruch dargestellt. Die Schmiergeldempfänger hätten von ihm verlangt, dass er das Land verlasse, damit bei einer evtl. erneuten Verhaftung nicht bekannt werde, dass diese ihn gegen Schmiergeld freigelassen hätten. Deswegen und weil er befürchtet habe, wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt zu werden und lebenslang in Haft bleiben zu müssen, habe er das Land am 22.08.2008 des äthiopischen Kalenders verlassen und sei über den Sudan, Libyen und Italien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Bei einer Rückkehr befürchte er wegen terroristischer Betätigung lebenslang ins Gefängnis zu kommen oder von den Personen getötet zu werden, die seine Freilassung gegen Schmiergeld ermöglicht hätten.

Mit Bescheid vom 04.08.2017, als Einschreiben zur Post gegeben am 08.08.2017, lehnte die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1) und den Antrag auf Asylanerkennung (Ziff. 2) ab. Der subsidiäre Schutz wurde ebenfalls nicht zuerkannt (Ziff. 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht (Ziff. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6).

Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Unabhängig von der Glaubhaftigkeit des Vortrages sei der Kläger jedenfalls auf internen Schutz nach § 3e AsylG zu verweisen. Staatliche Repressionen würden nicht im ganzen Land unterschiedslos praktiziert werden. Dem Kläger sei es zumutbar, sich in größeren Städten niederzulassen, wo ein wirtschaftlicher Neuanfang leichter möglich sei. Die ABO bestehe in dieser Form heute nicht mehr. Allerdings sei aus dieser die ONLF als Splittergruppe entstanden. Zu berücksichtigen sei zwar, dass der Kläger bei Wahrunterstellung vorverfolgt gewesen sei. Die zu treffende Rückkehrprognose führte jedoch dazu, dass der Kläger jedenfalls nicht derart exponiert für die ABO tätig gewesen sei, dass ihm eine landesweite Verfolgung drohe. Der Staat habe weder das Interesse, noch den Willen, den Kläger landesweit zu suchen.

Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gem. Art. 16a Abs. 1 GG seien ebenfalls nicht gegeben, da nicht einmal der weitergefasste Schutzbereich des § 3 AsylG einschlägig sei.

Dem Kläger sei auch kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Schutz gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG scheide aus, da eine dem Kläger drohende Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich sei. Ebenso wenig sei Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuzuerkennen. Die Gewährung subsidiären Schutzes setze stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos der Misshandlung voraus. Die bloße, wenn auch durch Präzedenzfälle bestätigte, Möglichkeit reiche nicht aus. Darüber hinaus sei der Kläger gem. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG auf internen Schutz zu verweisen. Ein Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG sei abzulehnen, da in Äthiopien kein innerstaatlicher Konflikt bestehe.

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG kämen ebenfalls nicht in Betracht. Eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bewertet werden. Die derzeitigen humanitären Bedingungen würden nicht zu der Annahme führen, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Selbst unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich.

Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.

Mit Schriftsatz vom 15.08.2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 16.08.2017, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragt,

  • 1.Der Bescheid der Beklagten vom 04.08.2017, Gz.: …, wird aufgehoben.

  • 2.Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen,

hilfsweise dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG,

hilfsweise dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.

Mit Schriftsatz vom 25.08.2017 beantragt die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.

Mit Schriftsatz vom 22.11.2017 führte der Klägerbevollmächtigte zur Begründung der Klage aus, der Kläger müsse im Rahmen des Familienasyls als Flüchtling anerkannt werden. Hinsichtlich seiner Ehefrau und seiner beiden Kinder sei die Flüchtlingseigenschaft festgestellt worden. Somit sei auch der Kläger im Rahmen des Familienasyls nach § 26 AsylG als Flüchtling anzuerkennen. Weiterhin sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger aufgrund politischer Verfolgung sein Heimatland habe verlassen müssen. Nur aufgrund der Tatsache, dass er seine demokratischen Rechte wahrgenommen und gegen Entscheidungen des Staates protestiert habe, sei er festgenommen und inhaftiert worden. Die Beklagte verkenne bei ihren Äußerungen die aktuell in Äthiopien bestehende Situation. Aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Äthiopien vom 06.03.2017 gehe hervor, dass es eine Opposition deshalb nicht gebe, weil sie systematischen Einschränkungen, Behinderungen und Diskriminierungen ausgesetzt sei. Oppositionelle Parteimitglieder würden inhaftiert werden. Hinzu komme, dass seit Oktober 2016 in Äthiopien der Ausnahmezustand herrsche, der der Regierung, aber vor allem den agierenden Kräften, wie der Polizei und der Armee, weitgehende Befugnisse einräume. Auf zahlreiche Proteste von Studenten, Schülern und Farmer habe die Regierung mit willkürlichen Massenverhaftungen reagiert. Seitdem seien zehntausende Demonstranten inhaftiert worden. Auch anderen Personen sei eine oppositionelle Tätigkeit unterstellt worden. Eine zumutbare inländische Fluchtalternative komme für den Kläger nicht in Betracht. Die Sicherheitsbehörden verfügten über ein gut funktionierendes Netz, welches in alle Lebensbereiche greife. Sobald die Identität des Klägers geklärt und seine Vergangenheit bekannt sei, sei er einer erheblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit ausgesetzt. Aufgrund der geschilderten Tatsachen komme eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gem. § 3b Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 AsylG in Betracht. Der gemeinsame Hintergrund bestehe nicht nur in der Zugehörigkeit des Klägers zum Volke der Oromo als angeborenes Merkmal, sondern auch in der (unterstellten) politischen Betätigung. Zudem falle auf, dass sich die Beklagte an keiner Stelle mit einer Gruppenverfolgung der Oromo auseinandergesetzt habe. Aufgrund der politischen Aktivität des Klägers und der Vorverfolgung sei eine weitere Verfolgung in indiziert, insbesondere in Anbetracht der aktuell verschärften Situation für Regimegegner.

Mit Schriftsatz vom 18.01.2018 führte die Beklagte aus, dem Kläger könne kein Familienflüchtlingsschutz gewährt werden. Eine Ableitung von den Töchtern komme nicht in Frage, da eine Ableitung nur vom ursprünglich Berechtigten und nicht von einer bereits erfolgten Ableitung möglich sei. Eine Ableitung von der Lebensgefährtin komme ebenfalls nicht in Betracht. Die Lebensgefährtin/Frau des Klägers habe bei ihrer Anhörung ausgeführt, sie seien nur nach muslimischem Ritus verheiratet. Die Anerkennung einer muslimischen Heirat sei nur möglich, wenn diese im Heimatland durch staatliche Behörden offiziell bestätigt bzw. registriert worden sei. Ein solcher Nachweis liege nicht vor.

Mit Schriftsatz vom 07.02.2018 führte der Klägerbevollmächtigte ergänzend aus, der Kläger könne die Heirat nicht mehr nachweisen, da seine Papiere auf der Flucht in Libyen verloren gegangen seien.

Mit Beschluss der Kammer vom 30.08.2018 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 31.10.2018 wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen. Die Behördenakte der Ehefrau des Klägers sowie die Behördenakten der beiden Töchter des Klägers wurden beigezogen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Gründe

I.

Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 31.10.2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).

II.

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG besteht ebenfalls nicht. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.

Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschl. internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).

Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:

Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 - juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris; VG Augsburg, U.v. 11.7.2016 - Au 5 K 16.30604 - juris).

Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Kläger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Kläger eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Kläger, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.

Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris).

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Obwohl die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid zur ABO als „Westsomalische Befreiungsfront“ bzw. zur ONLF offensichtlich neben der Sache liegen, da der Kläger lediglich mit der OLF sympathisiert hat, besteht unter der Berücksichtigung der Schilderungen des Klägers im Klageverfahren und in der mündlichen Verhandlung im Ergebnis kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

a) Die klägerischen Ausführungen sind vage, detailarm und zum Teil von massiven Widersprüchen geprägt, so dass das Gericht dem Vorfluchtgeschehen keinen Glauben schenkt.

Widersprüchlich sind bereits die klägerischen Angaben zur Ausreise aus Äthiopien. Bei der Anhörung beim Bundesamt am 16.05.2017 gab der Kläger zunächst an, Äthiopien am 22.04.2008 des äthiopischen Kalenders (entspricht dem 01.01.2016 des europäischen Kalenders) verlassen zu haben. Nachdem der Kläger vom anhörenden Entscheider im Rahmen der Reisezeit auf Widersprüchlichkeiten angesprochen wurde, korrigierte er seine Angaben zum Ausreisedatum und erklärte sodann, er habe Äthiopien am 22.08.2008 (entspricht dem 30.04.2016 des europäischen Kalenders) verlassen. Die Ehefrau des Klägers erklärte dem gegenüber in ihrem Asylverfahren, sie hätten Äthiopien am 23.08.2008 des äthiopischen Kalenders, was dem 01.05.2016 des europäischen Kalenders entspricht, verlassen. Befragt zur Ausreise in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger nunmehr, er habe am 25.04.2016 nach europäischer Zeitrechnung - zusammen mit seiner Frau und seiner großen Tochter - Äthiopien verlassen. Nach einer Umrechnung entspricht dies dem 17.08.2008 nach äthiopischer Zeitrechnung. Auf Vorhalt des Gerichts zu den widersprüchlichen Angaben im Verwaltungsverfahren bzw. zu den abweichenden Angaben seiner Ehefrau führte der Kläger lediglich aus, er habe beim Bundesamt die Daten in europäischer Zeitrechnung angegeben und dort zutreffend den 25.04.2016 genannt. Diese Einlassung ist aber ausweislich der Niederschrift über die persönliche Anhörung vom 16.05.2017 unrichtig. Der Kläger hat während der gesamten Anhörung und Befragung die maßgeblichen Daten anhand des äthiopischen Kalendersystems vorgetragen. Eine Umrechnung in das europäische Kalendersystem ist erst durch das Bundesamt erfolgt. Soweit der Kläger nach Angaben in der mündlichen Verhandlung dennoch am 25.04.2016 nach europäischer Zeitrechnung Äthiopien verlassen haben will, steht diese Einlassung wiederrum teilweise im Widerspruch zu den weiteren Ausführungen des Klägers gegenüber dem Gericht. Der Kläger erklärte dem Gericht nämlich im anderen Zusammenhang, sie hätten am 25.04.2016 J. verlassen. Danach habe es fünf Tage bis zur Grenze zum Sudan gedauert. An der Grenze zum Sudan hätten sie dann noch zwei Tage verweilt, bevor es drei Tage gedauert habe, bis sie Khartum im Sudan erreicht hätten. Dementsprechend hat der Kläger mit seiner Familie offensichtlich doch noch nicht am 25.04.2016 Äthiopien verlassen, sondern allenfalls die Stadt J.

Von zeitlichen Widersprüchen sind ferner die Angaben zum Aufenthalt der Familie im Sudan geprägt. Gegenüber dem Bundesamt und dem Gericht erklärte der Kläger, sie hätten sich vier Tage im Sudan aufgehalten. Die Ehefrau des Klägers führte hingegen bei ihrer Anhörung gegenüber dem Bundesamt aus, sie seien ungefähr zwei Wochen im Sudan gewesen, davon vier Tage in Khartum. Konfrontiert mit diesem Widerspruch lieferte der Kläger dem Gericht wiederrum keine plausible Erklärung. Der Kläger führte lediglich aus, seine Frau beziehe die 14 Tage offensichtlich auf die zehntägige Reise in den Sudan und den viertägigen Aufenthalt im Sudan. Diese Einlassung überzeugt das Gericht nicht. Die Ehefrau des Klägers sprach unmissverständlich von zwei Wochen Aufenthalt im Sudan, wovon vier Tage auf die Stadt Khartum entfallen sind. Im Gegensatz zu den klägerischen Ausführungen hinsichtlich Reise- und Aufenthaltszeiten sind zumindest die Angaben seiner Ehefrau insoweit weitgehend stimmig.

Als unglaubwürdig stuft das Gericht den Vortrag des Klägers zu Misshandlungen während der vom 11.04.2008 bis zum 16.07.2008 des äthiopischen Kalenders dauernden Haft ein. Auf Frage des Gerichts führte der Kläger aus, er und die anderen Gefangenen seiner Zelle seien ca. zweimal wöchentlich nachts mit einem Stock geschlagen worden. Von ihm habe man durch die Schläge erreichen wollen, dass er den Aufenthaltsort der unterstützten Mitglieder preisgebe. Bei der Anhörung beim Bundesamt war hingegen keine Rede von Misshandlungen im Gefängnis. Angesprochen auf diesen ergänzenden Vortrag in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger lediglich, man habe ihn beim Bundesamt nicht danach gefragt. Zudem habe der Entscheider zu ihm gesagt, man wisse um die Zustände in den Gefängnissen, als er angefangen habe über die Haftzustände zu berichten. Diese Einlassungen des Klägers stuft das Gericht als reine Schutzbehauptung ein. Der Kläger hat gegenüber dem Bundesamt bestätigt, dass ihm ausreichend Gelegenheit gegeben worden ist, seine Fluchtgründe umfassend darzustellen. Er wollte ausweislich der Niederschrift nichts Weiteres hinzufügen. In Anbetracht des Gesamteindrucks vom Kläger stuft das Gericht die nunmehr vorgetragenen Misshandlungen als unglaubwürdig gesteigertes Sachvorbringen des Klägers ein, zumal auch in der Anhörung der Ehefrau - bei einem anderen Entscheider - mit keinem Wort eine Misshandlung des Klägers im Gefängnis erwähnt wurde. Die Ehefrau des Klägers führte lediglich aus, ihr Mann sei durch Schmiergeldzahlungen freigelassen worden. Ihr Mann habe ihr erzählt, dass er mit dem Tod bedroht worden sei, falls er noch einmal in Erscheinung trete. Wäre der Kläger tatsächlich im Gefängnis misshandelt worden, ist davon auszugehen, dass der Kläger seiner Frau darüber berichtet hätte und die Ehefrau dies auch im Rahmen der Frage nach der Haft ihres Ehemanns erwähnt hätte.

Von massiven Widersprüchen sind letztlich die Ausführungen des Klägers zu seinem Aufenthalt nach der Haftentlassung geprägt. Der Kläger erklärte dem Gericht, zwei Tage nachdem er aus der Haft entlassen worden sei, sei er zu seiner Frau und deren Tante nach J. gegangen. Dementsprechend müsste der Kläger noch im Juli 2008 des äthiopischen Kalenders zu seiner Familie, die sich seit seiner Festnahme bei der Tante seiner Ehefrau in J. aufgehalten hat, gestoßen sein. Die Ehefrau des Klägers erklärte hingegen gegenüber dem Bundesamt, der Kläger sei erst am 17.08.2008 des äthiopischen Kalenders - und damit mehr als einen Monat nach seiner Freilassung - nach J. gekommen. Für diesen eklatanten zeitlichen Widerspruch lieferte der Kläger wiederrum keine plausible Erklärung. Der Kläger berief sich lediglich auf mögliche Fehler bei der Umrechnung der Kalenderdaten. Diese Argumentation läuft schon deswegen ins Leere, da sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau beim Bundesamt Angaben nach dem äthiopischen Kalender gemacht haben und eine Umrechnung erst durch das Bundesamt erfolgt ist. Die Unglaubwürdigkeit der klägerischen Ausführungen zu seinem Aufenthalt nach der Freilassung setzen sich sodann noch fort, indem der Kläger dem Gericht erklärte, er sei dann noch einen Monat zusammen mit seiner Familie bei der Tante der Ehefrau in J. gewesen, bevor sie gemeinsam Äthiopien verlassen hätten. Die Ehefrau des Klägers gab hingegen gegenüber dem Bundesamt an, die Familie sei noch in der gleichen Nacht, als der Kläger zu ihnen nach J. gekommen sei, aus J. aufgebrochen. Konfrontiert mit diesem Widerspruch suchte der Kläger wiederrum vage und unplausible Ausflüchte. Insbesondere will er mehrmals kurz aus J. weggewesen sein. J. will er mit seiner Familie aber erst einen Monat nach seiner dortigen Ankunft verlassen haben. Auch die Vermutung, seine Frau habe wohl gemeint, dass sie erst nach einem Monat in J. Äthiopien verlassen hätten, hält das Gericht für abwegig, da die Ehefrau eindeutig davon berichtet hat, dass noch in der Nacht der Ankunft des Klägers die Familie J. verlassen hat.

b) Lediglich ergänzend ist noch auszuführen, dass die entschädigungslose Enteignung des Hauses des Klägers - selbst wenn dieser Vortrag der Wahrheit entsprechen sollte - nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führt.

Die staatliche Enteignung des klägerischen Grundeigentums zur Gewinnung von Bodenschätzen stellt nach Auffassung des Gerichts keine konkret individuelle Verfolgungshandlung mit flüchtlingsrechtlicher Relevanz i.S.d. § 3 AsylG dar. Die Enteignung ist - selbst wenn diese entschädigungslos ist - keine Handlung, die aufgrund ihrer Art so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt. Auch andere Rechtsordnungen sehen das Institut der Enteignung vor. Allein die Tatsache, dass die „Verfahrensvorschriften“ nicht eingehalten worden sind bzw. dass der Kläger für den Landentzug die versprochene Entschädigung nicht erhalten hat, erfüllt mangels Intensität schon nicht die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG in Anknüpfungen an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG. Vielmehr handelt es sich - soweit dem Kläger hierfür eine Entschädigung zugestanden hätte - lediglich um staatliches Unrecht außerhalb der flüchtlingsrechtlichen Relevanz. Dies gilt vorliegend umso mehr, da es dem Kläger offensichtlich möglich war - nach der Enteignung des ersten Grundstückes - sich in Matoso eine neue Existenz aufzubauen. Die entschädigungslose Enteignung des ersten Grundstücks stellt damit keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des § 3 Abs. 1 AsylG dar (vgl. Unabhängiger Bundesasylsenat der Republik Österreich [UBAS], Entscheidung vom 22.07.1998 - 203.929/0-VIII/22/98; VG Bayreuth, U.v. 6.3.2018 - B 7 K 17.32889 - juris). Hinsichtlich des Hauses in …, in dem der Kläger zuletzt mit seiner Familie gelebt hat, konnte der Kläger hingegen in der mündlichen Verhandlung keine weiteren Angaben machen. Der Kläger berief sich nur auf Besprechungen zur Erweiterung des Abbaugebietes. Zum Zeitpunkt der Flucht hat der Abbau in diesem Bereich aber noch gar nicht begonnen. Der Kläger wusste nicht einmal, ob das zweite Wohngrundstück inzwischen zum Abbaugebiet gehört bzw. ob den Eigentümern für eventuelle weitere Enteignungen nicht eine Entschädigung zugestanden wird/wurde, da der Kläger inzwischen Äthiopien verlassen und keine weiteren Informationen hinsichtlich der Situation vor Ort hat.

c) Im Übrigen - und ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt - würde die die klägerische Fluchtgeschichte jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Verfolgung aus politischen Gründen führen. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG, wonach bei einem wegen politischer Oppositionstätigkeit vorverfolgten Asylbewerber die Verfolgungsfurcht weiterhin begründet ist bzw. er tatsächlich Gefahr läuft, bei einer Rückkehr ernsthaften Schaden zu erleiden, ist aufgrund der gegenwärtigen Auskunftslage und der aktuellen politischen Veränderungen, insbesondere im Juli, August und September 2018, gegenwärtig als widerlegt anzusehen (VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris). Als Folge des im Frühjahr 2018 eingeleiteten Umbruchs hat sich die Situation für Oppositionelle in Äthiopien grundlegend geändert. Unter dem neuen Premierminister Abiy Ahmed wurde insbesondere die Einstufung der OLF, ONLF und Ginbot 7 als terroristische Organisationen am 5.7.2018 durch das Parlament aufgehoben (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2018/06/ethiopia-olf-onlf-ginbot-7-terror-list1806301105016 97.html). Das Kabinett wurde umgebildet. Die Hälfte der Ministerposten ist zwischenzeitlich mit Frauen besetzt (http://www.africanews.com/2018/10/16/female-appointees-form-half-of-ethiopia-s-new-cabinet-reports/). Es ist gegenwärtig nicht ersichtlich, dass diese Neuerungen alsbald - durch „alte Strukturen im Hintergrund“ - wieder rückgängig gemacht werden (können).

Mit Gesetz vom 20.7.2018 wurde zudem allen Äthiopiern, die wegen Verrats, Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder bewaffneten Widerstands verurteilt wurden oder Objekt von Ermittlungen sind, Straffreiheit zugesichert. Durch die Amnestie für alle politische Vergehen soll den Oppositionellen ermöglicht werden, eine friedliche politische Karriere in Äthiopien zu verfolgen (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2018/07/ethiopian-grants-amnesty-political-prisoners-180720191811460.html). Daneben hat die äthiopische Regierung am 7.8.2018 in Asmara ein „Friedensabkommen“ mit der OLF geschlossen. Die OLF will ihre politischen Ziele danach künftig mit friedlichen Mitteln durchsetzen (https://www.aljazeera.com/ news/africa/2018/08/ethiopia-signs-deal-oromo-rebels-hostilities-180807184317117.html; http://www.africanews.com/2018/08/07/ethiopia-govt-agrees-peace-deal-with-ex-terror-group-based-in-eritrea). Am 15.09.2018 wurde die OLF offiziell in Äthiopien willkommen geheißen (http://www.africanews.com/2018/09/16/like-pg7-ethiopia-govt-welcomes-oromo-liberation-front-back-home/).

Auch die Ginbot 7 ist zwischenzeitlich von ihrem Stützpunkt im benachbarten Eritrea nach Äthiopien zurückgekehrt, weil deren Kämpfern und Unterstützern in Äthiopien keine Verfolgung mehr droht (http://www.africanews.com/2018/09/03/ethiopia-s-ex-rebel-group-ginbot-7-returns-from-eritrea-base/). Die Zahl der Oppositionellen, die nach Äthiopien zurückkehren, steigt stetig und rasant (http:// www. africanews.com/ 2018/09/03/photos-exiled-oromia-regional-president-returns-to-fanfare/).

Daher besteht für den Kläger, der die OLF nur (finanziell) unterstützt hat, keinerlei beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus politischen Gründen (mehr). Das Gericht verkennt nicht, dass die Arbeit des neuen Premierministers mit Rückschlägen und Gegenwind verbunden ist. Die weiterhin vereinzelten Anschläge und Gewaltakte in Äthiopien vermögen an der Einschätzung des Gerichts zur politischen Verfolgung nichts zu ändern. Die Gewaltakte finden zum einen im Wesentlichen in der „Somali-Region“ statt. Zum anderen wird vorwiegend von andauernden bzw. schwelenden ethnischen Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen berichtet (http://www.africanews.com/2018/09/16/brutal-ethnic-attacks-on-outskirts-of-ethiopia-capital-addis-ababa/), aber nicht von konkret-individuellen Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG wegen politischer Aktivitäten Einzelner (https://www.dw.com/de/%C3%A4thiopien-ethnische-konflikte-schwelen-weiter/a-45011266 und https://www.sueddeutsche.de/politik/aethiopien-abiy-ahmed-superstar-1.4187205).

Aufgrund der jüngsten Gesetze, Maßnahmen und Vereinbarungen, verbunden mit der Rückkehr namhafter Exilpolitiker, kann daher nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass oppositionelle Tätigkeiten in Äthiopien zu flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen führen (VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris; vgl. auch VG Regensburg, B.v. 19.6.2018 - RO 2 E 18.31617 - juris... VG Regensburg, B.v. 31.7.2018 - RO 2 K 17.33894 - juris). Es liegen insbesondere auch keinerlei Anhaltspunkte davor vor, dass die vom Parlament beschlossenen Veränderungen zugunsten der politischen Opposition in der (Vollzugs-) Praxis ignoriert würden. ... Dies gesteht der Kläger sogar letztlich in der mündlichen Verhandlung selbst ein, indem er dem Gericht erklärte, er habe bei einer Rückkehr nach Äthiopien keine Angst mehr vor der Regierung. Es habe in Äthiopien Veränderungen gegeben. Sogar die Oppositionellen seien inzwischen zurückgekehrt. Nach Äthiopien könne er jedoch nicht zurückkehren, weil er dort keine Bleibe und keinen Kontakt zu Verwandten mehr habe. Diese Ausführungen rechtfertigen aber im Ansatz schon, keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund, sondern werden allenfalls im Rahmen des Bestehens von Abschiebungsverboten relevant.

d) Entgegen der Behauptung des Klägerbevollmächtigten unterliegen Volkszugehörige der Oromo - auch nach der gegenwärtigen Auskunftslage - im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keiner sogenannten Gruppenverfolgung.

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Volkszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3b AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Ganzen: BVerwG. U.v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 - juris; VGH Mannheim, U.v. 5.10.2016 - A 10 S 332/12 - juris; VG Bayreuth, U.v. 7.3.2017 - B 3 K 16.31008 - juris). Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass diese mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur dann vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (VGH Mannheim, U.v. 5.10.2016 - A 10 S 332/12 - juris, VG Bayreuth, U.v. 7.3.2017 - B 3 K 16.31008 - juris; VG Augsburg, U.v. 7.11.2016 - Au 5 K 16.31853 - juris).

Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. (vgl. zu alledem BVerwG, U.v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 - juris; VGH Mannheim, U.v. 5.10.2016 - A 10 S 332/12 - juris).

Dies zugrunde gelegt, droht dem Klägerin wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo nicht die Gefahr einer landesweiten Gruppenverfolgung. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Volkszugehörige der Oromo verstärkt Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien ausgesetzt sind bzw. waren. Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite Verfolgungsdichte von oromischen Volkszugehörigen war schon bislang (VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 - RO 2 K 16.32411 - juris; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 06.03.2017 - Gz. 508-516.80/3 - ETH) und ist erst Recht nach den aktuellen politischen Veränderungen zugunsten des Oromo-Volkes gegenwärtig nicht zu erkennen.

e) Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt des „Familienasyls“ zu. Er kann einen Schutzanspruch weder von seiner Ehefrau noch von seinen Kindern ableiten.

aa) Der Ehefrau des Klägers wurde - nach Auffassung des Gerichts mehr als fragwürdig - mit Bescheid vom 10.11.2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 26 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 AsylG setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen des „Familienasyls“ u. a. voraus, dass die Ehe- oder Lebenspartnerschaft mit dem international Schutzberechtigten schon im Herkunftsland bestanden hat (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwar geben der Kläger und seine Ehefrau übereinstimmend an, bereits am 01.06.2014 - und damit vor der Ausreise aus Äthiopien - in Äthiopien nach religiösem Ritus geheiratet zu haben. Eine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist jedoch nur eine bereits im Verfolgerstaat eingegangene und von diesem als Ehe anerkannte und registrierte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau. Eine nur nach religiösem Ritus mit Eheschließungswillen eingegangene Verbindung, die im Heimatstaat nicht anerkannt worden ist, ist dagegen keine Ehe in diesem Sinne. So liegen die Dinge auch bei der vorliegenden Eheschließung zwischen dem Kläger und seiner Frau. Die ausschließlich nach islamischen Ritus geschlossene Ehe führt - ungeachtet ihrer langen Tradition, ihrer Verbreitung, ihrer staatlichen Tolerierung und ihres Ansehens - mit Blick auf die fehlende Rechtsgültigkeit einer solchen Eheschließung nicht zur Anwendbarkeit der Vorschriften über das Familienasyl (BVerwG, U. v. 22.02.2005 - 1 C 17/03 - juris; VG München, B. v. 21.08.2018 - M 9 E 18.52559 - juris; Marx, AsylG, 9. Auflage 2018, § 26 Rz. 27). Im Übrigen - und ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt - ist nicht einmal glaubhaft gemacht, dass der Kläger in Äthiopien eine traditionelle Ehe geschlossen hat. Die Belege für eine Eheschließung in Äthiopien sind angeblich auf der Flucht in Libyen verloren gegangen.

bb) Der Kläger kann einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht von seinen Kindern, die in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt sind, ableiten. Voraussetzung für einen Schutzanspruch aufgrund „Elternasyls“ ist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 1 AsylG eine originäre Statusberechtigung bei den Kindern. Ausweislich der Bundesamtsakten der Kinder (vgl. insbesondere die jeweiligen Bescheide vom 13.11.2017) verfügen diese jedoch über keinen originären Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG, sondern - eindeutig und unmissverständlich - nur über einen von ihrer Mutter abgeleiteten Schutzstatus. Von einem Kind, dass die Flüchtlingseigenschaft lediglich von seiner Mutter ableitet, kann der mit der Mutter nicht im staatlichen Sinne verheiratete Vater jedoch keinen Flüchtlingsschutz ableiten, da es ansonsten zu einer unüberschaubaren Folge von Kettenableitungen kommen würde (BVerwG U. v. 07.03.1995 - 9 C 389/94 - juris; BVerwG, U. v. 16.08.1993 - 9 C 7/93 - juris; vgl. Marx a. a. O., § 26 Rz. 34).

f) Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht.

2. Der Kläger hat auch keinen (originären oder abgeleiteten) Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG, da insbesondere nicht einmal die weitergefassten Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (i.V.m. § 26 AsylG) vorliegen.

3. Dem Kläger steht kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zu. Er kann sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG berufen.

a) Es gibt - insbesondere im Hinblick auf die obigen Ausführungen zum Flüchtlingsschutz - keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht.

b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen, hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 a.a.O.). Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, kann aber umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende möglicherweise belegen kann, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation liegenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 - C-465.7 - juris).

Ein innerstaatlicher Konflikt im obigen Sinne ist im Herkunftsland - und insbesondere in Herkunftsregion - des Klägers nicht ersichtlich (vgl. nur VG Ansbach, U.v. 19.9.2017 - AN 3 K 16.30505 - juris; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 - AN 3 K 16.31836 - juris; VG Bayreuth, U.v. 6.3.2018 - B 7 K 17.32889 - juris; VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris).

4. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 VwGO).

a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Äthiopien führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Der Kläger ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er hat in Äthiopien die Schule bis zur 5. Klasse besucht. Er hat zwar keinen Beruf erlernt; ihm war es aber ohne weiteres möglich, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie durch den Betrieb eines Gemischtwarenladens zu bestreiten. ... Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien an diese Verhältnisse nicht anknüpfen könnte. Selbst wenn der Kläger einer derartigen Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann, ist es ihm zur Sicherung seines Existenzminimums zumutbar, sämtliche Tätigkeiten - auch schlichte Hilfstätigkeiten - auszuüben. Weiterhin kann der Kläger nach Auffassung des Gerichts im Bedarfsfall auf Unterstützung im Rahmen des Familienverbundes zählen. Der Kläger gab gegenüber dem Bundesamt an, noch über einen Vater und eine Mutter sowie einen Bruder, eine Schwester und eine Großfamilie in Äthiopien zu verfügen. Zudem verfügt der Kläger über einen Bruder in Jemen. Auch in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, dass er noch Verwandte in Äthiopien habe. Der (ergänzenden) Unterstützung durch Verwandte steht auch nicht entgegen, dass der Kläger seit Verlassen des Landes keinen Kontakt mehr zu seinen Verwandten in Äthiopien gehabt hat. Solche Kontakte lassen sich ohne weiteres wiederherstellen. Im Übrigen ist das Gericht der Auffassung, dass der Kläger als junger erwerbsfähiger Mann auch ohne familiäre Unterstützung sich existenzsichernd in Äthiopien niederlassen kann.

b) Dem Kläger droht bei einer Abschiebung nach Äthiopien auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz führen würde. Derartige Umstände sind weder vorgetragen noch anderweitig für das Gericht ersichtlich.

c) Lediglich ergänzend sei in diesem Zusammenhang noch angemerkt, dass innerstaatliche Vollstreckungshindernisse, insbesondere aus Art. 6 GG, kein Gegenstand dieses Verfahrens sind.

5. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er ist, wie oben ausgeführt, nicht als Flüchtling anzuerkennen. Ihm steht auch kein subsidiärer Schutz oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Er besitzt zudem keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).

6. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der nach eigenen Angaben am ... 1993 in D. geborene Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger vom Volk der Amharen. Er gibt an, am 19. März 2014 auf dem Luftweg von Addis Abeba kommend über den Flughafen Frankfurt/Main in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Am 2. April 2014 stellte er einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für ... (im Folgenden: Bundesamt) am 13. Oktober 2015 gab der Kläger an, sein Vater habe für die EPPF Medikamente aus Dschibuti geschmuggelt und an verschiedenen Orten gelagert, wo sie der Kläger abgeholt und nahe der Stadt Bahadar an Leute der EPPF übergeben habe. Am 11. Januar 2014 sei sein Vater von der Polizei abgeholt worden. Der Kläger sei verdächtigt worden, Dokumente seines Vaters zu verstecken. Das Lager sei von der Ortsverwaltung mit der Begründung versiegelt worden, sein Vater unterstütze Terroristen. In der Folge sei der Kläger mehrmals bei Autofahrten angehalten worden; er habe Strafen zahlen müssen bzw. der Führerschein sei ihm entzogen worden. Am 22. Januar 2014 sei er zum Polizeirevier verbracht worden. Man habe ihm zwei Fotos gezeigt, auf denen er beim Verladen großer Pakete mit Medikamenten zu sehen sei. Der Hauptmann habe die Namen der Personen auf den Fotos wissen wollen. Als er gesagt habe, diese nicht zu kennen, sei er geschlagen worden; ein Zahn sei ihm ausgeschlagen worden. Am 24. Januar 2014 sei er freigelassen worden mit der Drohung, wenn er irgendetwas mache, ereile ihn das gleiche Schicksal wie seinen Vater. Am nächsten Tag sei er auf Anraten seines Bruders nach Addis Abeba gefahren und von dort am 19. März 2014 mithilfe eines Schleppers ausgereist.

Als Beleg für seine exilpolitischen Aktivitäten für die EPPFG legte der Kläger dem Bundesamt u.a. Bestätigungen vor, die eine Mitgliedschaft seit 9. August 2014 bescheinigen.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers (Nr. 2) sowie seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor (Nr. 4). Die Abschiebung nach Äthiopien wurde angedroht, sollte keine Ausreise innerhalb von 30 Tagen erfolgen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, bei der Polizeigewalt handle es sich um einen „Amtswalterexzess“, der durch äthiopische Sicherheitsbehörden häufiger verübt werde, sodass potenziell jeder Äthiopier damit rechnen müsse. Die exilpolitischen Tätigkeiten begründeten keinen Flüchtlingsschutz, weil sie nicht über Aktivitäten einfacher Mitglieder hinausgingen.

Am 30. Mai 2016 erhob der Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage. Mit Schriftsatz vom 6. September 2017 ließ er Teilnahmebescheinigungen der EPPFG und Kopien von Lichtbildern von exilpolitischen Veranstaltungen vorlegen.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Klage mit Urteil vom 29. September 2017 abgewiesen. Die Angaben des Klägers zu den Geschehnissen in Äthiopien und seiner Flucht seien nicht glaubhaft. Seine Angaben zu seinen Papieren bzw. die Tatsache, dass er keinerlei Papiere vorgelegt habe, erweckten erhebliche Zweifel an seiner Identität und Glaubwürdigkeit. Bei der Schilderung seines Verfolgungsschicksals sei ein gehäuftes und fast musterartiges Auftreten von Abweichungen festzustellen, sodass davon auszugehen sei, dass es sich nicht um selbst Erlebtes handle. Es sei auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger wegen seiner exilpolitischen Betätigung in Deutschland bei seiner Rückkehr eine Verfolgung drohe. Seine exilpolitische Tätigkeit übersteige nicht das übliche Maß, sodass er von den äthiopischen Behörden nicht als „gefährlicher Oppositioneller“ angesehen werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Januar 2018 zugelassene Berufung. Zur Begründung macht der Kläger geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vorverfolgt ausgereist zu sein. Jedenfalls drohe ihm aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten Verfolgung. Seit März 2017 übe er die Funktion „intelligence Regensburg and surrounded“ in der EPPFG aus und betätige sich im „Wiederaufbau-Komitee“. Als Beleg für seine exilpolitischen Aktivitäten legte er Bescheinigungen der EPPFG, EDFM sowie Lichtbilder über die Teilnahme an exilpolitischen Veranstaltungen vor. Das Verwaltungsgericht Würzburg gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass einem äthiopischen Staatsangehörigen, der sich - wie der Kläger für die EPPFG - in einem Mindestmaß für eine Organisation betätige, die einer als terroristisch eingestuften Vereinigung nahestehe, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung drohe. Ungeachtet der Streichung von OLF, Ginbot7 und ONLF von der Terrorliste sei es noch zu keiner vollständigen Änderung bei der Verfolgung Oppositioneller gekommen. Tausende politische Gefangene befänden sich weiter in Haft; im September 2018 sei es wieder zu Massenverhaftungen gekommen. Die positiven Veränderungen unter Abiy Ahmed bzw. dessen Handlungen seien in der EPRDF äußerst umstritten. Das Nachgeben Abiy Ahmeds gegenüber der Opposition habe der nicht mehr beherrschbaren Situation in Äthiopien gegolten, ohne dass dies zu einem vollständigen Umdenken in der EPRDF und insbesondere der TPLF geführt habe. Die Amnestieregelung sei hier nicht relevant, weil die sechsmonatige Antragsfrist inzwischen abgelaufen sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. September 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie hilfsweise festzustellen, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Äthiopien vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat durch Beschluss vom 26. März 2018 zu verschiedenen Fragen Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts bzw. schriftlicher Gutachten von Amnesty International, des GIGA-Instituts für Afrika-Studien und der Schweizerische Flüchtlingshilfe u.a. zu der Frage, ob nach der aktuellen innenpolitischen Lage in Äthiopien äthiopischen Staatsangehörigen, allein weil sie (einfaches) Mitglied einer in Deutschland exilpolitisch tätigen, von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation eingestuften oder einer ihr nahestehenden Organisation sind, ohne in dieser Organisation eine herausgehobene Stellung innezuhaben, bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien von staatlicher Seite schwere physische oder psychische Misshandlungen oder Haft auf bestimmte oder unbestimmte Zeit drohen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Ablehnung der in der Berufungsinstanz noch geltend gemachten Ansprüche im Bescheid des Bundesamts vom 12. Mai 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es kann offen bleiben, ob dem Kläger die Ansprüche im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung zustanden. Der Kläger hat jedenfalls in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. I.) noch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. II.). Auch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. unten Ziff. III.) oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. unten Ziff. IV.) steht dem Kläger nicht zu.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten - hier nicht einschlägigen - besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 - im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).

Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).

2. Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.

Infolge des den in das Berufungsverfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen zu entnehmenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder angenommen werden, dass dem Kläger aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (vgl. dazu unten a) noch infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (vgl. dazu unten b) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.

a) Es kann offen bleiben, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien im Jahr 2014 aufgrund der Geschehnisse, die er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt geschildert hat, bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war und ob er deshalb die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen kann. Denn selbst wenn man dies zu seinen Gunsten annimmt, sprechen infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, sodass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EG nicht greift. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Anfang des Jahres kündigte der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 gab er bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Democratic Front) niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Dennoch verhängte die äthiopische Regierung am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People's Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar - Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).

Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1; „Focus Äthiopien - Der politische Umbruch 2018“ vom 16. Januar 2019 der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Staatssekretariat für Migration SEM [im Folgenden: SEM] S. 8 f.). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6; SEM S. 7). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10; SEM S. 6).

Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.), weiterhin der Anführer von Ginbot7, Berghane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war, und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6). Am 26. Mai 2018 wurde Andargachew Tsige, ein Führungsmitglied von Ginbot7, begnadigt, der sich kurz nach seiner Entlassung öffentlichwirksam mit Premierminister Abiy Ahmed getroffen hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 10). Neben führenden Politikern befinden sich unter den Freigelassenen auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13).

Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).

Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 15; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 17, 19). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen (SEM S. 17). Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand und unterzeichnete am 21. Oktober 2018 ein Friedensabkommen mit der äthiopischen Regierung (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22; SEM S. 24 f.). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für ..., Briefing Notes vom 17.9.2018 - Äthiopien; SEM S. 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). So wurde etwa die Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa, die Anfang November 2018 nach sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, am 23. November 2018 zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission gewählt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 23; SEM S. 7).

Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).

Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihm angegebenen früheren oppositionellen Tätigkeit und Flucht noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren Unterstützung der EPPF durch die Beteiligung an einem Medikamentenschmuggel seines Vaters in Äthiopien verfolgt werden könnte. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass die EPPF der Ginbot7 nahesteht (der Armeeflügel der EPPF wurde 2006 mit Ginbot7 verschmolzen, vgl. AA, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 2; im Jahr 2015 haben sich Ginbot7 und EPPF zum Bündnis „Arbegnoch - Ginbot7 for Unity and Democracy Movement (AGUDM)“ zusammengeschlossen, vgl. GIGA - Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, Stellungnahme vom 19.5.2018 an den Verwaltungsgerichtshof S. 5) und Ginbot7 von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch der Kläger trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.

bb) Zwar haben die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten. So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei fünf Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; SEM S. 20). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien; vgl. auch SEM S. 21 f.).

Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.; SEM S. 30 ff.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).

Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen (vgl. AA, Auskunft vom 7.2.2019 gegenüber dem Verwaltungsgericht Dresden, S. 2). Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20). Am 20. Dezember 2018 hat das äthiopische Repräsentantenhaus als Reaktion auf die ethnischen Konflikte zudem beschlossen, auf Bundesebene eine Kommission für Verwaltungsgrenzen und Identitätsfragen zu schaffen (vgl. SEM S. 32 f.).

cc) Soweit der Kläger geltend macht, die Situation in Äthiopien sei trotz des politischen Umbruchs noch nicht stabil, ist dies tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Dem kommt nach Auffassung des Senats aber asylrechtlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass trotz der tiefgreifenden Veränderungen in Äthiopien seit der Machtübernahme von Premierminister Abiy Ahmed die Verhältnisse noch nicht als gefestigt gewertet werden können. Dafür dürfte vor allem der Umstand sprechen, dass sich nach dem Machtantritt des neuen Premierministers, der vor allem mit den Stimmen aus Oromia und Amhara, aber gegen die Stimmen der Tigray und der Vertreter der Region der südlichen Nationen gewählt wurde, die Spannungen zwischen der regierenden EPRDF, die bislang von der Ethnie ihrer Gründungsgruppe TPLF dominiert wurde, welche die Tigray repräsentiert, und der Region Tigray in jüngster Zeit verschärft haben, offenbar nachdem die Regierung gegen Mitglieder der TPLF vorgegangen war. Als Folge der veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Führung der EPDRF sind neue Formen der ethnisch motivierten Gewalt aufgetreten (vgl. The Danish Immigration Service S. 9, 11; SEM S. 8 ff., 26), die vor allem in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle sind. Hierdurch ist die Zahl der Binnenflüchtlinge erheblich gestiegen und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 7; Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“). Auch auf Premierminister Abiy Ahmed selbst wurde bereits ein Anschlag verübt (SEM S. 9; nordbayern.de vom 18.11.2018 „Für eine Rückkehr nach Äthiopien ist es viel zu früh“; vgl. SWP-Aktuell Nr. 32 von Juni 2018, „Abiy-Superstar - Reformer oder Revolutionär“) und gegen ihn ein Putschversuch unternommen (vgl. SEM S. 29).

Für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, ist es aber nicht erforderlich, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Vorverfolgung entkräften, dauerhaft beseitigt sind. Soweit in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung - ohne genauere Auseinandersetzung mit der insoweit einschlägigen Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU - die Auffassung vertreten wird, dass die nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU maßgebenden stichhaltigen Gründe keine anderen Gründe sein könnten als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU maßgebend sind (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 58; VGH BW, U.v. 27.8.2014 - A 11 S 1128/14 - Asylmagazin 2014, 389 = juris Rn. 34; U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 35; U.v. 30.5.2017 - A 9 S 991/15 - juris Rn. 28), vermag dem der Senat nicht zu folgen. Anders als im Rahmen der Prüfung eines nachträglichen Grundes für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU, bei der nach Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu untersuchen ist, ob die Veränderung der Umstände, aufgrund derer ein Drittstaatangehöriger oder ein Staatenloser als Flüchtling anerkannt wurde, erheblich und nicht nur vorübergehend ist, sieht die Regelung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU eine solche Untersuchung nicht vor.

Eine entsprechende Heranziehung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU im Rahmen der Prüfung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU scheidet nach Auffassung des Senats aus, weil die Sach- und Interessenlage in beiden Fällen nicht vergleichbar ist. Während es im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nämlich um eine Beweiserleichterung für die erstmalige Anerkennung eines Asylsuchenden als Flüchtling geht, betrifft Art. 11 RL 2011/95/EU, der seine Umsetzung in den §§ 72 ff. AsylG erfahren hat, die Beendigung und das Erlöschen des Flüchtlingsstatus nach einer bereits erfolgten Anerkennung. Im letzteren Fall hat der Betroffene also bereits einen gesicherten Rechtsstatus erhalten, der ihm nach dem Willen des Richtliniengebers aus Gründen des Vertrauensschutzes nur unter engen Voraussetzungen wieder entzogen können werden soll (vgl. zur gleichlautenden (Vorgänger-)Regelung des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, KOM(2001) 510 endgültig, S. 26 f., wonach „der Mitgliedstaat, der sich auf die Beendigungsklausel beruft, sicherstellen muss, dass Personen, die das Land aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen oder dem Erleiden eines ernsthaften nicht gerechtfertigten Schadens beruhenden Gründen nicht verlassen wollen, ein angemessener Status zuerkannt wird und sie die erworbenen Rechte behalten“; vgl. auch zum Erlöschen des subsidiären Schutzes nach Art. 16 RL 2011/95/EU die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 24.1.2019 zur Rechtssache C-720/17, wonach „nach dem Willen des Unionsgesetzgebers die Veränderung so wesentlich und nicht nur vorübergehend sein muss, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert“). An einem entsprechenden Vertrauensschutz fehlt es, wenn ein Kläger sein Heimatland zwar vorverfolgt im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU verlassen hat, ihm jedoch noch kein Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Etwas anderes lässt sich auch nicht dem von der zitierten Rechtsprechung und Literatur in Bezug genommenen Urteil des EuGH vom 2. März 2010 (Az. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdullah) entnehmen, zumal auch diese Entscheidung lediglich das Erlöschen des Flüchtlingsstatus betrifft.

b) Ebenso wenig ergibt sich nach aktueller Auskunftslage die Gefahr politischer Verfolgung aufgrund von Umständen nach der Ausreise des Klägers aus Äthiopien (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG). Insbesondere ist die exilpolitische Betätigung des Klägers in Deutschland für die der Ginbot7 nahestehenden EPPFG (Ethiopian People Patriotic Front Guard) infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine derartige Furcht zu begründen.

Insoweit gelten die obigen Ausführungen (vgl. unter Rn. 26 ff.) entsprechend. Aufgrund der jüngsten gesetzlichen Regelungen und der Maßnahmen der Regierung unter Führung von Premierminister Abiy Ahmed, insbesondere der Streichung der Ginbot7 von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker, kann nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie der Kläger - (einfaches) Mitglied der EPPFG sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. ebenso VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris Leitsatz und Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 13.12.2018 - 6 K 4004/17.A - juris Rn. 54). Dies bestätigt auch die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019 S. 2). Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Britischen Botschaft, nach dessen Einschätzung es Mitgliedern der Diaspora, die sich entscheiden, nach Äthiopien zurückzukehren, erlaubt ist, sich wieder als Bürger in die Gesellschaft zu integrieren und etwa auch Privatunternehmen zu gründen (vgl. The Danish Immigration Service S. 19).

Auch aufgrund seiner innerhalb der EPPFG übernommenen Funktion zur Werbung und Aufklärung von Mitgliedern („intelligence Regensburg and surrounded“ bzw. „Wiederaufbau-Komitee“) drohen dem Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlungen. Der Senat vermag aus den hierzu in der mündlichen Verhandlung gegebenen Schilderungen des Klägers (vgl. S. 3 f. der Sitzungsniederschrift vom 12.3.2019) schon nicht zu erkennen, inwieweit damit eine „Leitungsfunktion“ in der EPPFG wahrgenommen würde. Hinzu kommt, dass der Kläger nach eigener Darstellung seit etwa einem Jahr an keiner exilpolitischen Versammlung mehr teilgenommen hat (vgl. S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 12.3.2019). Abgesehen davon begründet infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 allein die Tatsache, dass sich äthiopische Asylbewerber in Deutschland exponiert (vgl. zu diesem Kriterium BayVGH, B.v. 14.11.2017 - 21 ZB 17.31340 - juris Rn. 2; B.v. 14.7.2015 - 21 ZB 15.30119 - juris Rn. 5; U.v. 25.2.2008 - 21 B 07.30363 - juris Rn. 16) exilpolitisch betätigt haben, grundsätzlich nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgungsgefahr; eine Rückkehrgefährdung erscheint auf Basis der aktuellen Auskunftslage allenfalls noch in besonders gelagerten Ausnahmefällen denkbar (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 18.30257 - noch nicht veröffentlicht; ebenso VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris Rn. 64; ähnlich VG Regensburg, B.v. 19.6.2018 - RO 2 E 18.31617 - juris Rn. 25; VG Ansbach, B.v. 11.10.2018 - AN 3 E 18.31175 - juris Rn. 36). Diese Einschätzung wird insbesondere dadurch belegt, dass inzwischen namhafte Vertreter der äthiopischen Exilopposition der Einladung des neuen Premierministers gefolgt und zurückgekehrt sind, um sich am politischen Diskurs in Äthiopien zu beteiligen (vgl. The Danish Immigration Service S. 5; BFA Länderinformationsblatt S. 5; SEM S. 15; vgl. eingehend hierzu oben Rn. 30).

Auch der Hinweis des Klägers auf regionale (ethnische) Konflikte rechtfertigt keine andere Einschätzung. Dass es in letzter Zeit nach ethnischen Auseinandersetzungen zu gewalttätigen Zusammenstößen von Oppositionsgruppen - insbesondere der OLF - mit der Regierung gekommen ist (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien), liegt nach der Überzeugung das Bestreben der Regierung zugrunde, bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien zu bekämpfen und durch hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften und gegebenenfalls durch militärisches Eingreifen die Lage zu beruhigen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9; BFA Länderinformationsblatt S. 11, 15; BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Insoweit handelt es sich nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und die Abwehr allgemeiner Gefahren.

Der Umstand, dass nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed weiterhin zahlreiche Personen ohne Anklage in Haft verblieben sind (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 6, 9), rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, dass Rückkehrer aus dem Exil mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, zumal nach Angaben eines nationalen Beobachters eine Reihe von Gefangenen schlichtweg „vergessen wurde“ (vgl. The Danish Immigration Service S. 13 f.). Der pauschale Einwand des Klägers, von dem gut aufgestellten äthiopischen National Intelligence and Security Service (NISS) werde niemand vergessen, weshalb eine Verfolgungsgefahr fortbestehe, solange aus politischen Gründen Festgenommene inhaftiert blieben, erweist sich als rein spekulativ. Es sind auch keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch die äthiopischen Behörden inhaftiert oder misshandelt wurden (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.2018 S. 4; AA, Ad-hoc-Bericht S. 25). Auch wenn die sechsmonatige Frist zur Beantragung der Amnestie inzwischen abgelaufen ist, worauf der Kläger hinweist, ist angesichts des unter Abiy Ahmed eingeleiteten Dialogs zur Rückkehr und zum Dialog von Oppositionsangehörigen (vgl. oben Rn. 30) grundsätzlich nicht mit Verfolgungsmaßnahmen gegen im Ausland exilpolitisch tätig gewordenen Asylbewerbern zu rechnen.

c) Angesichts der in das Verfahren eingeführten und aufgrund des Beweisbeschlusses vom 26. März 2018 eingeholten Erkenntnisquellen (insbesondere AA, Auskünfte vom 7.2.2019 an den Verwaltungsgerichtshof bzw. das Verwaltungsgericht Dresden und Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018; BFA Länderinformationsblatt vom 8.1.2018; The Danish Immigration Service, September 2018) verfügt der Senat über die erforderliche Sachkunde, ohne dass es der Einholung weiterer Sachverständigengutachten oder Auskünfte bedurfte (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2000 - 9 B 518.99 - NVwZ 2000, Beilage Nr. 9, 99 = juris Rn. 12; B.v. 11.2.1999 - 9 B 381.98 - DVBl 1999, 1206 = juris Rn. 4; OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 - OVG 3 B 27.17 - juris Rn. 45). Dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hilfsweise gestellten Beweisantrag zu der behaupteten Tatsache, dass äthiopische Staatsangehörige, die in Deutschland für die EPPFG politisch aktiv und dies gerade in einer Leitungsfunktion sind oder dies gewesen sind, im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten festgenommen, für unbestimmte Zeit in Haft gehalten wurden und werden und ihnen durch äthiopische Sicherheitskräfte Misshandlungen und Folterungen drohen, musste deshalb nicht entsprochen werden.

Der Kläger hat auch nicht substanziiert dargetan, dass die beantragte Beweiserhebung bessere oder andere Erkenntnisse bringen würde als die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Materialien (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2014 - 13a ZB 14.30073 - juris Rn. 8). Soweit er sich darauf beruft, die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 an den Verwaltungsgerichtshof sei widersprüchlich bzw. unzureichend, weil sie auf das Schreiben vom 14. Juni 2018 verweise, in dem es die Rückkehrgefährdung einfacher Mitlieder exilpolitischer Organisationen nicht abschließend bewertet habe und sich mit der Aussage des Ad-hoc-Berichts vom 17. Oktober 2018, der eine Rückkehrgefährdung dieser Personen für möglich halte, nicht auseinandersetze, kann dem nicht gefolgt werden. Die daraus gezogene Schlussfolgerung des Klägers, es sei nicht hinreichend geklärt, wie sich die Verfolgungssituation von Oppositionellen in Äthiopien aktuell darstelle, teilt der Senat nicht. Die Aussagekraft der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, es sei nicht davon auszugehen, dass eine (einfache) Mitgliedschaft einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist bzw. einer ihr nahestehenden Organisation, bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. S. 2 des Schreibens an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019) wird nicht dadurch geschmälert, dass sich die Auskunftsbehörde nicht ausdrücklich mit ihren früheren, hiervon teilweise abweichenden Einschätzungen auseinandersetzt. Im Übrigen hat das Auswärtige Amt seine aktuelle Einschätzung in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden vom 7. Februar 2019 bestätigt. Hiernach liegen dem Auswärtigen Amt, dessen Einschätzungen maßgeblich auf vor Ort gewonnenen Erkenntnissen der Auslandsvertretungen beruhen, keine Hinweise darauf vor, dass in jüngster Zeit Anhänger bzw. Unterstützer von der Terrorliste gestrichener oppositioneller Gruppierungen alleine aufgrund dieser Eigenschaft angeklagt oder angegriffen würden (vgl. AA, Auskunft vom 7.2.2019 an das Verwaltungsgericht Dresden, S. 2). Diese Bewertung steht auch im Einklang mit der Aussage des Dänischen Ministeriums für Immigration und Integration, wonach sich die Gesamtsituation für die Oppositionsparteien nach der Ernennung Abiy Ahmeds verbessert habe (vgl. The Danish Immigration Service S. 5); die letztgenannte Aussage beruht u.a. auf der Einschätzung der Britischen Botschaft, wonach Personen mit einer mutmaßlichen Verbindung zu Oppositionsgruppen nicht mehr festgenommen und die meisten politischen Gefangenen freigelassen würden (vgl. The Danish Immigration Service S. 23). Inwieweit die vom Kläger vorgelegte Veröffentlichung des SEM vom 16. Januar 2019 diesen u.a. auf Botschaftsinformationen beruhenden Lagebewertungen entgegenstünde, hat der Kläger nicht substanziiert dargelegt. Im Übrigen geht auch dieser Bericht davon aus, dass viele Oppositionsparteien - darunter Ginbot7 (vgl. SEM S. 16 f.) - inzwischen entkriminalisiert sind (vgl. SEM S. 33).

Im Übrigen trifft die in dem (bedingten) Beweisantrag aufgestellte Prämisse der Wahrnehmung einer „Leitungsfunktion“ für die EPPFG im Fall des Klägers - wie unter Rn. 41 bereits dargelegt - nicht zu, sodass sich die unter Beweis gestellte Tatsache als nicht entscheidungserheblich erweist. An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es zudem, soweit sich der Beweisantrag - in Abweichung von dem für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) - auf die Behauptung der Festnahme und Inhaftierung in der Vergangenheit bezieht („wurden“).

II.

Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

1. Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht er selbst nicht geltend.

2. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass dem Kläger in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (zu diesem Erfordernis vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.

Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.)

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei dem Kläger, der keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Konflikte zwischen Ethnien, wie sie etwa in der Südregion von Gambella oder im Grenzgebiet der Siedlungsgebiete von Oromo und Somali vorkommen, oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen, insbesondere Ogaden, haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 20). Jedenfalls lässt sich für die Stadt Desse, aus der der Kläger stammt und in der er sich bis Januar 2014 aufgehalten hat, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

III.

Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund schlechter humanitärer Bedingungen liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U. v. 28.6.2011 - 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG U.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 9 unter Verweis auf BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.).

Dass sich der Kläger in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, macht er weder geltend noch ist dies sonst ersichtlich. Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f.).

Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist aber nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Er ist seinen Angaben zufolge 25 Jahre alt, gesund und arbeitsfähig. In Deutschland ist er seit drei Jahren als Metallschweißer erwerbstätig und hat hieraus zuletzt einen Bruttoarbeitslohn von monatlich ca. 1.730 Euro erwirtschaftet. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass er über das für eine (bescheidene) Existenzgründung in Äthiopien notwendige Startkapital verfügt. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

IV.

Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

Nach diesen Maßstäben ist bei dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben III.).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger mit oromischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 27.07.2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22.08.2016 einen Asylantrag.

Der religiös angetrauten Ehefrau des Klägers, …, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 10.11.2017 unter dem Az. … wegen drohender Genitalverstümmelung in Äthiopien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Den beiden Töchtern des Klägers, … und … …, wurde mit Bescheiden des Bundesamtes vom 13.11.2017 (Az. … bzw. …) im Rahmen des „Familienasyls“ nach § 26 AsylG ebenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 16.05.2017 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er stamme aus der Region J. und habe die Schule bis zur 5. Klasse besucht. Einen Beruf habe er nicht erlernt, aber einen Gemischtwarenladen in Äthiopien betrieben.

Zu seinen Fluchtgründen erklärte der Kläger, im Dorf, in dem seine Familie gelebt habe, seien etwa im Jahr 1998 des äthiopischen Kalenders Bodenschätze gefunden worden. Viele Bewohner seien deshalb umgesiedelt worden. Am Ort der Umsiedlung habe es aber keine Krankenversorgung, keine Schule und keine Infrastruktur gegeben. Deshalb sei er in ein anderes Dorf umgezogen und habe sich dort eine Existenz aufgebaut. Im Jahr 2007 des äthiopischen Kalenders sei der Abbau der Bodenschätze erweitert worden und habe auch das Dorf erfasst, in das der Kläger umgezogen sei. Die Bewohner hätten gegen die Erweiterung des Bodenschätzeabbaus protestiert, weil sie bereits einmal umgesiedelt worden seien und das Versprechen, eine funktionierende Infrastruktur zu schaffen, nicht eingehalten worden sei.

Man habe daher seitens der Bevölkerung Straßensperren errichtet und Demonstrationen veranstaltet. An diesen Aktionen habe er sich beteiligt, in dem er geholfen habe, Straßensperren mittels Bäume und großer Steine zu errichten. Er habe auch Parolen gerufen und gegen die Vertreibung und Verhaftung demonstriert. Am 16.07.2007 des äthiopischen Kalenders sei er deswegen verhaftet worden und für zwei Tage in Haft gekommen. Weil viele Bewohner gegen die Verhaftung demonstriert hätten, sei er entlassen worden. Seitens der Regierung habe man eine Lösung zugesichert. Es habe eine Versammlung gegeben, in alle Fragen besprochen hätten werden sollen. Viele Bewohner hätten sich in dieser Versammlung beschwert, aber keine Antwort erhalten. In der Folgezeit sei er bespitzelt worden, was er jedoch erst später erfahren habe.

Am 11.04.2008 des äthiopischen Kalenders sei er in der Schule verhaftet worden. Dabei habe man in einem seiner Schulhefte eine gezeichnete ABO-Fahne gefunden. Man habe ihn beschuldigt, mit der ABO zusammenzuarbeiten. Ferner sei ihm vorgeworfen worden, die Proteste und Demonstrationen gegen den Abbau der Bodenschätze angestiftet zu haben. Vom 11.04.2008 bis zum 16.07.2008 des äthiopischen Kalenders sei er deswegen inhaftiert gewesen. Sein Geschäft sei durchsucht und geschlossen worden. Aufgrund von Schmiergeldzahlungen seines Vaters und mit der Hilfe seines Cousins, einen Polizisten, sei er aus der Haft gekommen. Seine Freilassung gegen Schmiergeld habe man als Gefängnisausbruch dargestellt. Die Schmiergeldempfänger hätten von ihm verlangt, dass er das Land verlasse, damit bei einer evtl. erneuten Verhaftung nicht bekannt werde, dass diese ihn gegen Schmiergeld freigelassen hätten. Deswegen und weil er befürchtet habe, wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt zu werden und lebenslang in Haft bleiben zu müssen, habe er das Land am 22.08.2008 des äthiopischen Kalenders verlassen und sei über den Sudan, Libyen und Italien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Bei einer Rückkehr befürchte er wegen terroristischer Betätigung lebenslang ins Gefängnis zu kommen oder von den Personen getötet zu werden, die seine Freilassung gegen Schmiergeld ermöglicht hätten.

Mit Bescheid vom 04.08.2017, als Einschreiben zur Post gegeben am 08.08.2017, lehnte die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1) und den Antrag auf Asylanerkennung (Ziff. 2) ab. Der subsidiäre Schutz wurde ebenfalls nicht zuerkannt (Ziff. 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht (Ziff. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6).

Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Unabhängig von der Glaubhaftigkeit des Vortrages sei der Kläger jedenfalls auf internen Schutz nach § 3e AsylG zu verweisen. Staatliche Repressionen würden nicht im ganzen Land unterschiedslos praktiziert werden. Dem Kläger sei es zumutbar, sich in größeren Städten niederzulassen, wo ein wirtschaftlicher Neuanfang leichter möglich sei. Die ABO bestehe in dieser Form heute nicht mehr. Allerdings sei aus dieser die ONLF als Splittergruppe entstanden. Zu berücksichtigen sei zwar, dass der Kläger bei Wahrunterstellung vorverfolgt gewesen sei. Die zu treffende Rückkehrprognose führte jedoch dazu, dass der Kläger jedenfalls nicht derart exponiert für die ABO tätig gewesen sei, dass ihm eine landesweite Verfolgung drohe. Der Staat habe weder das Interesse, noch den Willen, den Kläger landesweit zu suchen.

Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gem. Art. 16a Abs. 1 GG seien ebenfalls nicht gegeben, da nicht einmal der weitergefasste Schutzbereich des § 3 AsylG einschlägig sei.

Dem Kläger sei auch kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Schutz gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG scheide aus, da eine dem Kläger drohende Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich sei. Ebenso wenig sei Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuzuerkennen. Die Gewährung subsidiären Schutzes setze stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos der Misshandlung voraus. Die bloße, wenn auch durch Präzedenzfälle bestätigte, Möglichkeit reiche nicht aus. Darüber hinaus sei der Kläger gem. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG auf internen Schutz zu verweisen. Ein Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG sei abzulehnen, da in Äthiopien kein innerstaatlicher Konflikt bestehe.

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG kämen ebenfalls nicht in Betracht. Eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bewertet werden. Die derzeitigen humanitären Bedingungen würden nicht zu der Annahme führen, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Selbst unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich.

Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.

Mit Schriftsatz vom 15.08.2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 16.08.2017, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragt,

  • 1.Der Bescheid der Beklagten vom 04.08.2017, Gz.: …, wird aufgehoben.

  • 2.Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen,

hilfsweise dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG,

hilfsweise dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.

Mit Schriftsatz vom 25.08.2017 beantragt die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.

Mit Schriftsatz vom 22.11.2017 führte der Klägerbevollmächtigte zur Begründung der Klage aus, der Kläger müsse im Rahmen des Familienasyls als Flüchtling anerkannt werden. Hinsichtlich seiner Ehefrau und seiner beiden Kinder sei die Flüchtlingseigenschaft festgestellt worden. Somit sei auch der Kläger im Rahmen des Familienasyls nach § 26 AsylG als Flüchtling anzuerkennen. Weiterhin sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger aufgrund politischer Verfolgung sein Heimatland habe verlassen müssen. Nur aufgrund der Tatsache, dass er seine demokratischen Rechte wahrgenommen und gegen Entscheidungen des Staates protestiert habe, sei er festgenommen und inhaftiert worden. Die Beklagte verkenne bei ihren Äußerungen die aktuell in Äthiopien bestehende Situation. Aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Äthiopien vom 06.03.2017 gehe hervor, dass es eine Opposition deshalb nicht gebe, weil sie systematischen Einschränkungen, Behinderungen und Diskriminierungen ausgesetzt sei. Oppositionelle Parteimitglieder würden inhaftiert werden. Hinzu komme, dass seit Oktober 2016 in Äthiopien der Ausnahmezustand herrsche, der der Regierung, aber vor allem den agierenden Kräften, wie der Polizei und der Armee, weitgehende Befugnisse einräume. Auf zahlreiche Proteste von Studenten, Schülern und Farmer habe die Regierung mit willkürlichen Massenverhaftungen reagiert. Seitdem seien zehntausende Demonstranten inhaftiert worden. Auch anderen Personen sei eine oppositionelle Tätigkeit unterstellt worden. Eine zumutbare inländische Fluchtalternative komme für den Kläger nicht in Betracht. Die Sicherheitsbehörden verfügten über ein gut funktionierendes Netz, welches in alle Lebensbereiche greife. Sobald die Identität des Klägers geklärt und seine Vergangenheit bekannt sei, sei er einer erheblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit ausgesetzt. Aufgrund der geschilderten Tatsachen komme eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gem. § 3b Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 AsylG in Betracht. Der gemeinsame Hintergrund bestehe nicht nur in der Zugehörigkeit des Klägers zum Volke der Oromo als angeborenes Merkmal, sondern auch in der (unterstellten) politischen Betätigung. Zudem falle auf, dass sich die Beklagte an keiner Stelle mit einer Gruppenverfolgung der Oromo auseinandergesetzt habe. Aufgrund der politischen Aktivität des Klägers und der Vorverfolgung sei eine weitere Verfolgung in indiziert, insbesondere in Anbetracht der aktuell verschärften Situation für Regimegegner.

Mit Schriftsatz vom 18.01.2018 führte die Beklagte aus, dem Kläger könne kein Familienflüchtlingsschutz gewährt werden. Eine Ableitung von den Töchtern komme nicht in Frage, da eine Ableitung nur vom ursprünglich Berechtigten und nicht von einer bereits erfolgten Ableitung möglich sei. Eine Ableitung von der Lebensgefährtin komme ebenfalls nicht in Betracht. Die Lebensgefährtin/Frau des Klägers habe bei ihrer Anhörung ausgeführt, sie seien nur nach muslimischem Ritus verheiratet. Die Anerkennung einer muslimischen Heirat sei nur möglich, wenn diese im Heimatland durch staatliche Behörden offiziell bestätigt bzw. registriert worden sei. Ein solcher Nachweis liege nicht vor.

Mit Schriftsatz vom 07.02.2018 führte der Klägerbevollmächtigte ergänzend aus, der Kläger könne die Heirat nicht mehr nachweisen, da seine Papiere auf der Flucht in Libyen verloren gegangen seien.

Mit Beschluss der Kammer vom 30.08.2018 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 31.10.2018 wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen. Die Behördenakte der Ehefrau des Klägers sowie die Behördenakten der beiden Töchter des Klägers wurden beigezogen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Gründe

I.

Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 31.10.2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).

II.

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG besteht ebenfalls nicht. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.

Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschl. internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).

Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:

Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 - juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris; VG Augsburg, U.v. 11.7.2016 - Au 5 K 16.30604 - juris).

Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Kläger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Kläger eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Kläger, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.

Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris).

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Obwohl die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid zur ABO als „Westsomalische Befreiungsfront“ bzw. zur ONLF offensichtlich neben der Sache liegen, da der Kläger lediglich mit der OLF sympathisiert hat, besteht unter der Berücksichtigung der Schilderungen des Klägers im Klageverfahren und in der mündlichen Verhandlung im Ergebnis kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

a) Die klägerischen Ausführungen sind vage, detailarm und zum Teil von massiven Widersprüchen geprägt, so dass das Gericht dem Vorfluchtgeschehen keinen Glauben schenkt.

Widersprüchlich sind bereits die klägerischen Angaben zur Ausreise aus Äthiopien. Bei der Anhörung beim Bundesamt am 16.05.2017 gab der Kläger zunächst an, Äthiopien am 22.04.2008 des äthiopischen Kalenders (entspricht dem 01.01.2016 des europäischen Kalenders) verlassen zu haben. Nachdem der Kläger vom anhörenden Entscheider im Rahmen der Reisezeit auf Widersprüchlichkeiten angesprochen wurde, korrigierte er seine Angaben zum Ausreisedatum und erklärte sodann, er habe Äthiopien am 22.08.2008 (entspricht dem 30.04.2016 des europäischen Kalenders) verlassen. Die Ehefrau des Klägers erklärte dem gegenüber in ihrem Asylverfahren, sie hätten Äthiopien am 23.08.2008 des äthiopischen Kalenders, was dem 01.05.2016 des europäischen Kalenders entspricht, verlassen. Befragt zur Ausreise in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger nunmehr, er habe am 25.04.2016 nach europäischer Zeitrechnung - zusammen mit seiner Frau und seiner großen Tochter - Äthiopien verlassen. Nach einer Umrechnung entspricht dies dem 17.08.2008 nach äthiopischer Zeitrechnung. Auf Vorhalt des Gerichts zu den widersprüchlichen Angaben im Verwaltungsverfahren bzw. zu den abweichenden Angaben seiner Ehefrau führte der Kläger lediglich aus, er habe beim Bundesamt die Daten in europäischer Zeitrechnung angegeben und dort zutreffend den 25.04.2016 genannt. Diese Einlassung ist aber ausweislich der Niederschrift über die persönliche Anhörung vom 16.05.2017 unrichtig. Der Kläger hat während der gesamten Anhörung und Befragung die maßgeblichen Daten anhand des äthiopischen Kalendersystems vorgetragen. Eine Umrechnung in das europäische Kalendersystem ist erst durch das Bundesamt erfolgt. Soweit der Kläger nach Angaben in der mündlichen Verhandlung dennoch am 25.04.2016 nach europäischer Zeitrechnung Äthiopien verlassen haben will, steht diese Einlassung wiederrum teilweise im Widerspruch zu den weiteren Ausführungen des Klägers gegenüber dem Gericht. Der Kläger erklärte dem Gericht nämlich im anderen Zusammenhang, sie hätten am 25.04.2016 J. verlassen. Danach habe es fünf Tage bis zur Grenze zum Sudan gedauert. An der Grenze zum Sudan hätten sie dann noch zwei Tage verweilt, bevor es drei Tage gedauert habe, bis sie Khartum im Sudan erreicht hätten. Dementsprechend hat der Kläger mit seiner Familie offensichtlich doch noch nicht am 25.04.2016 Äthiopien verlassen, sondern allenfalls die Stadt J.

Von zeitlichen Widersprüchen sind ferner die Angaben zum Aufenthalt der Familie im Sudan geprägt. Gegenüber dem Bundesamt und dem Gericht erklärte der Kläger, sie hätten sich vier Tage im Sudan aufgehalten. Die Ehefrau des Klägers führte hingegen bei ihrer Anhörung gegenüber dem Bundesamt aus, sie seien ungefähr zwei Wochen im Sudan gewesen, davon vier Tage in Khartum. Konfrontiert mit diesem Widerspruch lieferte der Kläger dem Gericht wiederrum keine plausible Erklärung. Der Kläger führte lediglich aus, seine Frau beziehe die 14 Tage offensichtlich auf die zehntägige Reise in den Sudan und den viertägigen Aufenthalt im Sudan. Diese Einlassung überzeugt das Gericht nicht. Die Ehefrau des Klägers sprach unmissverständlich von zwei Wochen Aufenthalt im Sudan, wovon vier Tage auf die Stadt Khartum entfallen sind. Im Gegensatz zu den klägerischen Ausführungen hinsichtlich Reise- und Aufenthaltszeiten sind zumindest die Angaben seiner Ehefrau insoweit weitgehend stimmig.

Als unglaubwürdig stuft das Gericht den Vortrag des Klägers zu Misshandlungen während der vom 11.04.2008 bis zum 16.07.2008 des äthiopischen Kalenders dauernden Haft ein. Auf Frage des Gerichts führte der Kläger aus, er und die anderen Gefangenen seiner Zelle seien ca. zweimal wöchentlich nachts mit einem Stock geschlagen worden. Von ihm habe man durch die Schläge erreichen wollen, dass er den Aufenthaltsort der unterstützten Mitglieder preisgebe. Bei der Anhörung beim Bundesamt war hingegen keine Rede von Misshandlungen im Gefängnis. Angesprochen auf diesen ergänzenden Vortrag in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger lediglich, man habe ihn beim Bundesamt nicht danach gefragt. Zudem habe der Entscheider zu ihm gesagt, man wisse um die Zustände in den Gefängnissen, als er angefangen habe über die Haftzustände zu berichten. Diese Einlassungen des Klägers stuft das Gericht als reine Schutzbehauptung ein. Der Kläger hat gegenüber dem Bundesamt bestätigt, dass ihm ausreichend Gelegenheit gegeben worden ist, seine Fluchtgründe umfassend darzustellen. Er wollte ausweislich der Niederschrift nichts Weiteres hinzufügen. In Anbetracht des Gesamteindrucks vom Kläger stuft das Gericht die nunmehr vorgetragenen Misshandlungen als unglaubwürdig gesteigertes Sachvorbringen des Klägers ein, zumal auch in der Anhörung der Ehefrau - bei einem anderen Entscheider - mit keinem Wort eine Misshandlung des Klägers im Gefängnis erwähnt wurde. Die Ehefrau des Klägers führte lediglich aus, ihr Mann sei durch Schmiergeldzahlungen freigelassen worden. Ihr Mann habe ihr erzählt, dass er mit dem Tod bedroht worden sei, falls er noch einmal in Erscheinung trete. Wäre der Kläger tatsächlich im Gefängnis misshandelt worden, ist davon auszugehen, dass der Kläger seiner Frau darüber berichtet hätte und die Ehefrau dies auch im Rahmen der Frage nach der Haft ihres Ehemanns erwähnt hätte.

Von massiven Widersprüchen sind letztlich die Ausführungen des Klägers zu seinem Aufenthalt nach der Haftentlassung geprägt. Der Kläger erklärte dem Gericht, zwei Tage nachdem er aus der Haft entlassen worden sei, sei er zu seiner Frau und deren Tante nach J. gegangen. Dementsprechend müsste der Kläger noch im Juli 2008 des äthiopischen Kalenders zu seiner Familie, die sich seit seiner Festnahme bei der Tante seiner Ehefrau in J. aufgehalten hat, gestoßen sein. Die Ehefrau des Klägers erklärte hingegen gegenüber dem Bundesamt, der Kläger sei erst am 17.08.2008 des äthiopischen Kalenders - und damit mehr als einen Monat nach seiner Freilassung - nach J. gekommen. Für diesen eklatanten zeitlichen Widerspruch lieferte der Kläger wiederrum keine plausible Erklärung. Der Kläger berief sich lediglich auf mögliche Fehler bei der Umrechnung der Kalenderdaten. Diese Argumentation läuft schon deswegen ins Leere, da sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau beim Bundesamt Angaben nach dem äthiopischen Kalender gemacht haben und eine Umrechnung erst durch das Bundesamt erfolgt ist. Die Unglaubwürdigkeit der klägerischen Ausführungen zu seinem Aufenthalt nach der Freilassung setzen sich sodann noch fort, indem der Kläger dem Gericht erklärte, er sei dann noch einen Monat zusammen mit seiner Familie bei der Tante der Ehefrau in J. gewesen, bevor sie gemeinsam Äthiopien verlassen hätten. Die Ehefrau des Klägers gab hingegen gegenüber dem Bundesamt an, die Familie sei noch in der gleichen Nacht, als der Kläger zu ihnen nach J. gekommen sei, aus J. aufgebrochen. Konfrontiert mit diesem Widerspruch suchte der Kläger wiederrum vage und unplausible Ausflüchte. Insbesondere will er mehrmals kurz aus J. weggewesen sein. J. will er mit seiner Familie aber erst einen Monat nach seiner dortigen Ankunft verlassen haben. Auch die Vermutung, seine Frau habe wohl gemeint, dass sie erst nach einem Monat in J. Äthiopien verlassen hätten, hält das Gericht für abwegig, da die Ehefrau eindeutig davon berichtet hat, dass noch in der Nacht der Ankunft des Klägers die Familie J. verlassen hat.

b) Lediglich ergänzend ist noch auszuführen, dass die entschädigungslose Enteignung des Hauses des Klägers - selbst wenn dieser Vortrag der Wahrheit entsprechen sollte - nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führt.

Die staatliche Enteignung des klägerischen Grundeigentums zur Gewinnung von Bodenschätzen stellt nach Auffassung des Gerichts keine konkret individuelle Verfolgungshandlung mit flüchtlingsrechtlicher Relevanz i.S.d. § 3 AsylG dar. Die Enteignung ist - selbst wenn diese entschädigungslos ist - keine Handlung, die aufgrund ihrer Art so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt. Auch andere Rechtsordnungen sehen das Institut der Enteignung vor. Allein die Tatsache, dass die „Verfahrensvorschriften“ nicht eingehalten worden sind bzw. dass der Kläger für den Landentzug die versprochene Entschädigung nicht erhalten hat, erfüllt mangels Intensität schon nicht die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG in Anknüpfungen an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG. Vielmehr handelt es sich - soweit dem Kläger hierfür eine Entschädigung zugestanden hätte - lediglich um staatliches Unrecht außerhalb der flüchtlingsrechtlichen Relevanz. Dies gilt vorliegend umso mehr, da es dem Kläger offensichtlich möglich war - nach der Enteignung des ersten Grundstückes - sich in Matoso eine neue Existenz aufzubauen. Die entschädigungslose Enteignung des ersten Grundstücks stellt damit keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des § 3 Abs. 1 AsylG dar (vgl. Unabhängiger Bundesasylsenat der Republik Österreich [UBAS], Entscheidung vom 22.07.1998 - 203.929/0-VIII/22/98; VG Bayreuth, U.v. 6.3.2018 - B 7 K 17.32889 - juris). Hinsichtlich des Hauses in …, in dem der Kläger zuletzt mit seiner Familie gelebt hat, konnte der Kläger hingegen in der mündlichen Verhandlung keine weiteren Angaben machen. Der Kläger berief sich nur auf Besprechungen zur Erweiterung des Abbaugebietes. Zum Zeitpunkt der Flucht hat der Abbau in diesem Bereich aber noch gar nicht begonnen. Der Kläger wusste nicht einmal, ob das zweite Wohngrundstück inzwischen zum Abbaugebiet gehört bzw. ob den Eigentümern für eventuelle weitere Enteignungen nicht eine Entschädigung zugestanden wird/wurde, da der Kläger inzwischen Äthiopien verlassen und keine weiteren Informationen hinsichtlich der Situation vor Ort hat.

c) Im Übrigen - und ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt - würde die die klägerische Fluchtgeschichte jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Verfolgung aus politischen Gründen führen. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG, wonach bei einem wegen politischer Oppositionstätigkeit vorverfolgten Asylbewerber die Verfolgungsfurcht weiterhin begründet ist bzw. er tatsächlich Gefahr läuft, bei einer Rückkehr ernsthaften Schaden zu erleiden, ist aufgrund der gegenwärtigen Auskunftslage und der aktuellen politischen Veränderungen, insbesondere im Juli, August und September 2018, gegenwärtig als widerlegt anzusehen (VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris). Als Folge des im Frühjahr 2018 eingeleiteten Umbruchs hat sich die Situation für Oppositionelle in Äthiopien grundlegend geändert. Unter dem neuen Premierminister Abiy Ahmed wurde insbesondere die Einstufung der OLF, ONLF und Ginbot 7 als terroristische Organisationen am 5.7.2018 durch das Parlament aufgehoben (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2018/06/ethiopia-olf-onlf-ginbot-7-terror-list1806301105016 97.html). Das Kabinett wurde umgebildet. Die Hälfte der Ministerposten ist zwischenzeitlich mit Frauen besetzt (http://www.africanews.com/2018/10/16/female-appointees-form-half-of-ethiopia-s-new-cabinet-reports/). Es ist gegenwärtig nicht ersichtlich, dass diese Neuerungen alsbald - durch „alte Strukturen im Hintergrund“ - wieder rückgängig gemacht werden (können).

Mit Gesetz vom 20.7.2018 wurde zudem allen Äthiopiern, die wegen Verrats, Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder bewaffneten Widerstands verurteilt wurden oder Objekt von Ermittlungen sind, Straffreiheit zugesichert. Durch die Amnestie für alle politische Vergehen soll den Oppositionellen ermöglicht werden, eine friedliche politische Karriere in Äthiopien zu verfolgen (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2018/07/ethiopian-grants-amnesty-political-prisoners-180720191811460.html). Daneben hat die äthiopische Regierung am 7.8.2018 in Asmara ein „Friedensabkommen“ mit der OLF geschlossen. Die OLF will ihre politischen Ziele danach künftig mit friedlichen Mitteln durchsetzen (https://www.aljazeera.com/ news/africa/2018/08/ethiopia-signs-deal-oromo-rebels-hostilities-180807184317117.html; http://www.africanews.com/2018/08/07/ethiopia-govt-agrees-peace-deal-with-ex-terror-group-based-in-eritrea). Am 15.09.2018 wurde die OLF offiziell in Äthiopien willkommen geheißen (http://www.africanews.com/2018/09/16/like-pg7-ethiopia-govt-welcomes-oromo-liberation-front-back-home/).

Auch die Ginbot 7 ist zwischenzeitlich von ihrem Stützpunkt im benachbarten Eritrea nach Äthiopien zurückgekehrt, weil deren Kämpfern und Unterstützern in Äthiopien keine Verfolgung mehr droht (http://www.africanews.com/2018/09/03/ethiopia-s-ex-rebel-group-ginbot-7-returns-from-eritrea-base/). Die Zahl der Oppositionellen, die nach Äthiopien zurückkehren, steigt stetig und rasant (http:// www. africanews.com/ 2018/09/03/photos-exiled-oromia-regional-president-returns-to-fanfare/).

Daher besteht für den Kläger, der die OLF nur (finanziell) unterstützt hat, keinerlei beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus politischen Gründen (mehr). Das Gericht verkennt nicht, dass die Arbeit des neuen Premierministers mit Rückschlägen und Gegenwind verbunden ist. Die weiterhin vereinzelten Anschläge und Gewaltakte in Äthiopien vermögen an der Einschätzung des Gerichts zur politischen Verfolgung nichts zu ändern. Die Gewaltakte finden zum einen im Wesentlichen in der „Somali-Region“ statt. Zum anderen wird vorwiegend von andauernden bzw. schwelenden ethnischen Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen berichtet (http://www.africanews.com/2018/09/16/brutal-ethnic-attacks-on-outskirts-of-ethiopia-capital-addis-ababa/), aber nicht von konkret-individuellen Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG wegen politischer Aktivitäten Einzelner (https://www.dw.com/de/%C3%A4thiopien-ethnische-konflikte-schwelen-weiter/a-45011266 und https://www.sueddeutsche.de/politik/aethiopien-abiy-ahmed-superstar-1.4187205).

Aufgrund der jüngsten Gesetze, Maßnahmen und Vereinbarungen, verbunden mit der Rückkehr namhafter Exilpolitiker, kann daher nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass oppositionelle Tätigkeiten in Äthiopien zu flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen führen (VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris; vgl. auch VG Regensburg, B.v. 19.6.2018 - RO 2 E 18.31617 - juris... VG Regensburg, B.v. 31.7.2018 - RO 2 K 17.33894 - juris). Es liegen insbesondere auch keinerlei Anhaltspunkte davor vor, dass die vom Parlament beschlossenen Veränderungen zugunsten der politischen Opposition in der (Vollzugs-) Praxis ignoriert würden. ... Dies gesteht der Kläger sogar letztlich in der mündlichen Verhandlung selbst ein, indem er dem Gericht erklärte, er habe bei einer Rückkehr nach Äthiopien keine Angst mehr vor der Regierung. Es habe in Äthiopien Veränderungen gegeben. Sogar die Oppositionellen seien inzwischen zurückgekehrt. Nach Äthiopien könne er jedoch nicht zurückkehren, weil er dort keine Bleibe und keinen Kontakt zu Verwandten mehr habe. Diese Ausführungen rechtfertigen aber im Ansatz schon, keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund, sondern werden allenfalls im Rahmen des Bestehens von Abschiebungsverboten relevant.

d) Entgegen der Behauptung des Klägerbevollmächtigten unterliegen Volkszugehörige der Oromo - auch nach der gegenwärtigen Auskunftslage - im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keiner sogenannten Gruppenverfolgung.

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Volkszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3b AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Ganzen: BVerwG. U.v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 - juris; VGH Mannheim, U.v. 5.10.2016 - A 10 S 332/12 - juris; VG Bayreuth, U.v. 7.3.2017 - B 3 K 16.31008 - juris). Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass diese mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur dann vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (VGH Mannheim, U.v. 5.10.2016 - A 10 S 332/12 - juris, VG Bayreuth, U.v. 7.3.2017 - B 3 K 16.31008 - juris; VG Augsburg, U.v. 7.11.2016 - Au 5 K 16.31853 - juris).

Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. (vgl. zu alledem BVerwG, U.v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 - juris; VGH Mannheim, U.v. 5.10.2016 - A 10 S 332/12 - juris).

Dies zugrunde gelegt, droht dem Klägerin wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo nicht die Gefahr einer landesweiten Gruppenverfolgung. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Volkszugehörige der Oromo verstärkt Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien ausgesetzt sind bzw. waren. Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite Verfolgungsdichte von oromischen Volkszugehörigen war schon bislang (VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 - RO 2 K 16.32411 - juris; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 06.03.2017 - Gz. 508-516.80/3 - ETH) und ist erst Recht nach den aktuellen politischen Veränderungen zugunsten des Oromo-Volkes gegenwärtig nicht zu erkennen.

e) Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt des „Familienasyls“ zu. Er kann einen Schutzanspruch weder von seiner Ehefrau noch von seinen Kindern ableiten.

aa) Der Ehefrau des Klägers wurde - nach Auffassung des Gerichts mehr als fragwürdig - mit Bescheid vom 10.11.2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 26 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 AsylG setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen des „Familienasyls“ u. a. voraus, dass die Ehe- oder Lebenspartnerschaft mit dem international Schutzberechtigten schon im Herkunftsland bestanden hat (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwar geben der Kläger und seine Ehefrau übereinstimmend an, bereits am 01.06.2014 - und damit vor der Ausreise aus Äthiopien - in Äthiopien nach religiösem Ritus geheiratet zu haben. Eine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist jedoch nur eine bereits im Verfolgerstaat eingegangene und von diesem als Ehe anerkannte und registrierte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau. Eine nur nach religiösem Ritus mit Eheschließungswillen eingegangene Verbindung, die im Heimatstaat nicht anerkannt worden ist, ist dagegen keine Ehe in diesem Sinne. So liegen die Dinge auch bei der vorliegenden Eheschließung zwischen dem Kläger und seiner Frau. Die ausschließlich nach islamischen Ritus geschlossene Ehe führt - ungeachtet ihrer langen Tradition, ihrer Verbreitung, ihrer staatlichen Tolerierung und ihres Ansehens - mit Blick auf die fehlende Rechtsgültigkeit einer solchen Eheschließung nicht zur Anwendbarkeit der Vorschriften über das Familienasyl (BVerwG, U. v. 22.02.2005 - 1 C 17/03 - juris; VG München, B. v. 21.08.2018 - M 9 E 18.52559 - juris; Marx, AsylG, 9. Auflage 2018, § 26 Rz. 27). Im Übrigen - und ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt - ist nicht einmal glaubhaft gemacht, dass der Kläger in Äthiopien eine traditionelle Ehe geschlossen hat. Die Belege für eine Eheschließung in Äthiopien sind angeblich auf der Flucht in Libyen verloren gegangen.

bb) Der Kläger kann einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht von seinen Kindern, die in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt sind, ableiten. Voraussetzung für einen Schutzanspruch aufgrund „Elternasyls“ ist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 1 AsylG eine originäre Statusberechtigung bei den Kindern. Ausweislich der Bundesamtsakten der Kinder (vgl. insbesondere die jeweiligen Bescheide vom 13.11.2017) verfügen diese jedoch über keinen originären Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG, sondern - eindeutig und unmissverständlich - nur über einen von ihrer Mutter abgeleiteten Schutzstatus. Von einem Kind, dass die Flüchtlingseigenschaft lediglich von seiner Mutter ableitet, kann der mit der Mutter nicht im staatlichen Sinne verheiratete Vater jedoch keinen Flüchtlingsschutz ableiten, da es ansonsten zu einer unüberschaubaren Folge von Kettenableitungen kommen würde (BVerwG U. v. 07.03.1995 - 9 C 389/94 - juris; BVerwG, U. v. 16.08.1993 - 9 C 7/93 - juris; vgl. Marx a. a. O., § 26 Rz. 34).

f) Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht.

2. Der Kläger hat auch keinen (originären oder abgeleiteten) Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG, da insbesondere nicht einmal die weitergefassten Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (i.V.m. § 26 AsylG) vorliegen.

3. Dem Kläger steht kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zu. Er kann sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG berufen.

a) Es gibt - insbesondere im Hinblick auf die obigen Ausführungen zum Flüchtlingsschutz - keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht.

b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen, hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 a.a.O.). Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, kann aber umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende möglicherweise belegen kann, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation liegenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 - C-465.7 - juris).

Ein innerstaatlicher Konflikt im obigen Sinne ist im Herkunftsland - und insbesondere in Herkunftsregion - des Klägers nicht ersichtlich (vgl. nur VG Ansbach, U.v. 19.9.2017 - AN 3 K 16.30505 - juris; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 - AN 3 K 16.31836 - juris; VG Bayreuth, U.v. 6.3.2018 - B 7 K 17.32889 - juris; VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris).

4. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 VwGO).

a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Äthiopien führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Der Kläger ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er hat in Äthiopien die Schule bis zur 5. Klasse besucht. Er hat zwar keinen Beruf erlernt; ihm war es aber ohne weiteres möglich, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie durch den Betrieb eines Gemischtwarenladens zu bestreiten. ... Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien an diese Verhältnisse nicht anknüpfen könnte. Selbst wenn der Kläger einer derartigen Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann, ist es ihm zur Sicherung seines Existenzminimums zumutbar, sämtliche Tätigkeiten - auch schlichte Hilfstätigkeiten - auszuüben. Weiterhin kann der Kläger nach Auffassung des Gerichts im Bedarfsfall auf Unterstützung im Rahmen des Familienverbundes zählen. Der Kläger gab gegenüber dem Bundesamt an, noch über einen Vater und eine Mutter sowie einen Bruder, eine Schwester und eine Großfamilie in Äthiopien zu verfügen. Zudem verfügt der Kläger über einen Bruder in Jemen. Auch in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, dass er noch Verwandte in Äthiopien habe. Der (ergänzenden) Unterstützung durch Verwandte steht auch nicht entgegen, dass der Kläger seit Verlassen des Landes keinen Kontakt mehr zu seinen Verwandten in Äthiopien gehabt hat. Solche Kontakte lassen sich ohne weiteres wiederherstellen. Im Übrigen ist das Gericht der Auffassung, dass der Kläger als junger erwerbsfähiger Mann auch ohne familiäre Unterstützung sich existenzsichernd in Äthiopien niederlassen kann.

b) Dem Kläger droht bei einer Abschiebung nach Äthiopien auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz führen würde. Derartige Umstände sind weder vorgetragen noch anderweitig für das Gericht ersichtlich.

c) Lediglich ergänzend sei in diesem Zusammenhang noch angemerkt, dass innerstaatliche Vollstreckungshindernisse, insbesondere aus Art. 6 GG, kein Gegenstand dieses Verfahrens sind.

5. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er ist, wie oben ausgeführt, nicht als Flüchtling anzuerkennen. Ihm steht auch kein subsidiärer Schutz oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Er besitzt zudem keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).

6. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, äthiopischer Staatsangehörigkeit, wendet sich gegen einen ablehnenden Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und wiederum hilfsweise die Feststellung des Vorliegens von Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Der oromische Kläger (laut eigener Aussage geb. am 6. Dezember 1996) reiste eigenen Angaben zufolge am 5. Mai 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 2. Juli 2015 Asyl. Hierzu wurde er beim Bundesamt am 22. Februar 2017 persönlich angehört.

Dort trug er vor, dass er nie einen Ausweis besessen und sich bis zu seiner Ausreise in dem Dorf Selka in der Region Bale bei seinen Eltern aufgehalten habe. Äthiopien habe er am 30. September 2014 verlassen. Für die Flucht habe er etwa 4.400 € bezahlen müssen. Zu seinen Verwandten in Äthiopien habe er keinen Kontakt mehr. Sein Bruder sei von der Regierung gekidnappt worden. Bis zur 8. Klasse sei er in die Schule gegangen. Einen Beruf habe er nicht erlernt, sondern seinen Eltern geholfen. Sein Vater sei Bauer, seine Mutter habe Geld. Das Geld gehöre der Familie, seine Mutter habe das Geld an seinen Onkel weitergegeben. Sein Vater sei der Regierung sehr verdächtig gewesen. Auch auf ihn und seinen Bruder habe man Druck ausgeübt. Als sie zur Schule gegangen seien, habe sein Bruder einen Club der Oromo-Kulturgeschichte gegründet und sei danach an die Universität gegangen. Sein Bruder sei in Addis Abeba von der Regierung gekidnappt worden. Ein offizielles Gerichtsverfahren habe es nicht gegeben und die Verhaftung des Bruders sei auch nicht offiziell bestätigt worden. Man wisse nicht, wo er sei. Nachdem sein Bruder an die Uni gegangen sei, sei der Kläger Vorsitzender des Clubs geworden. Ab diesem Zeitpunkt habe er Druck von der jetzigen Regierungspartei bekommen. Diese wolle nicht, dass er den Leuten die Kultur und Geschichte der Oromo bewusst mache. Seine Hauptaufgabe sei es gewesen, Gedichte zu lesen und kleine Theaterstücke zu schreiben. Auch Mitgliedsbeiträge seien gesammelt worden. Die Regierung sei dagegen gewesen und habe unterstellt, dass sie mit dem Geld andere Parteien unterstützten. Die Stadtverwaltung und der Schuldirektor hätten sie gewarnt, dass der Club geschlossen werden müsse. Sie seien deshalb unter Druck gesetzt worden. Es habe ein Festival gegeben, als er in der 8. Klasse gewesen sei, das von dem Club organisiert gewesen sei. Er habe dort vor der versammelten Schule ein Gedicht und ein Theaterstück gemeinsam mit anderen Clubmitgliedern vorgetragen. Dabei seien die Eltern und der Verwaltungsapparat samt Polizei und Sicherheitsdienst anwesend gewesen. Nach dem Gedicht habe man das kleine Theaterstück präsentiert, dessen Inhalt sehr regierungskritisch gewesen sei. Nachdem die anwesenden Behördenvertreter das Theaterstück gesehen hätten, hätten sie gesagt, dass der Inhalt gegen die Regierung sei und die weitere Vorführung des Stücks untersagt. Die Zuschauer aber hätten gewollt, dass das Stück weitergehe, weil es die Oromo Kultur und Geschichte zeige. Daraufhin sei eine Auseinandersetzung zwischen der Polizei und den Schülern entstanden. Es sei noch einmal zusätzlich Polizei angefordert worden und mit dem Eintreffen der zusätzlichen Kräfte die Situation eskaliert. Die Schüler und die anderen Anwesenden seien zusammen von der Schule in Richtung Zentrum des Ortes gegangen, um weiter zu demonstrieren. Die Polizei habe zu schießen begonnen. Die Teilnehmer seien weggelaufen. Sein Freund sei angeschossen worden und er habe diesen nicht alleine lassen wollen. Als er ihm helfen habe wollen, sei die Polizei gekommen, habe ihre Waffen auf ihn gerichtet und ihm befohlen stehenzubleiben. Er sei dann mit einem Auto nach Robe in die Stadt und in das Gefängnis der Polizeistation gebracht worden. Dort habe es viele Schläge und Hunger gegeben. Der Zementboden sei nachts nass gespritzt worden, damit man nicht habe schlafen können. Die Situation sei unerträglich gewesen. Dies habe ihn sehr belastet und deshalb habe er Probleme. Er sei in Deutschland schon fünfmal beim Arzt gewesen, der ihm geraten habe, sich von diesen Erinnerungen zu befreien. Als er in dem Gefängnis erkrankt gewesen sei, habe ihn ein Polizist gefragt, ob er ihm die Telefonnummer seines Onkels gebe. Der Polizist habe den Onkel angerufen. Der Polizist habe diesem erklärt, wie schlecht es dem Kläger ginge, daraufhin sei der Onkel gekommen. Er sei dann für 15 Tage ins Goba Hospital eingeliefert worden. Der Onkel habe Angst gehabt, dass der Kläger verrückt werde, wenn er wieder ins Gefängnis müsse und die Polizisten bestochen, weshalb der Kläger frei gekommen sei. Nach 15 Tagen habe sich der Kläger besser gefühlt und sei zu seinen Eltern zurückgekehrt. Als er wieder zu Hause gewesen sei, sei das psychische Problem zurückgekommen und die Belastung immer größer geworden. Laufend seien Studenten verhaftet und umgebracht worden. Er habe gedacht, dass er etwas unternehmen müsse, um die Leute auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen. Obwohl er bestraft worden sei, habe er es nie bedauert, Oromo zu sein. Auch sein Stolz sei nicht weniger. Die Regierung und die örtliche Verwaltung habe ein großes Silvesterfestival in seinem Dorf vorbereitet. Er habe vermutet, dass viele Oromoeinwohner eingeladen würden und mit seinen Freunden diskutiert, wie man das Festival für die Oromo nutzen könne. Das Festival habe wie geplant begonnen. Nachdem der Bezirkschef mit der Eröffnung begonnen habe, hätten seine Freunde und er einen Slogan gerufen. Sie hätten die Arme überkreuzt über den Kopf gehalten. Dies sei das Zeichen der friedlichen Oromo Bewegung. Ihr Slogan habe gelautet: „Das Land der Oromo gehört den Oromo. Die Frage der Studenten ist unsere legitime Frage der Oromo. Unsere Verwaltung soll mit Oromo besetzt werden und nicht mit Fremden. Für unsere Toten sollen den Familien Abfindungen bezahlt werden. Wir wollen Rache für die ungerechte Behandlung.“ Die Mehrheit habe mitgemacht und ebenfalls die Slogans gerufen. Es sei wieder zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei gekommen. Ein Freund habe deshalb mit seiner Jacke den Kopf des Klägers abgedeckt, damit man diesen nicht sehe. Der Kläger sei abgehauen, weil er Angst gehabt habe, dass er wieder Probleme bekomme. Sein Freund habe eine Pferdekutsche gehabt und habe ihn an einen anderen Ort in einem anderen Bezirk verbracht. Dort lebe ein zweiter Onkel. Diesem habe er die Situation erklärt. Dieser sei daraufhin zu den Eltern des Klägers gegangen, um sie zu informieren. Der Onkel habe mitbekommen, dass der Vater im Gefängnis sei und nur die Mutter angetroffen. Die Polizei sei anwesend gewesen und habe die Wohnung durchsucht. Seine Mutter habe geweint, weil ihr Mann verhaftet worden sei. Sie sei aber sehr glücklich über die Nachricht gewesen, dass er bei seinem Onkel sei. Sie habe mit dem Onkel diskutiert und es sei entschieden worden, dass es die beste Lösung sei, dass der Kläger das Land verlassen solle. Sie habe dem Onkel das Geld für die Reise mitgegeben.

Der Polizist im Gefängnis sei ein Oromo gewesen. Deshalb habe er versucht, Informationen an die Verwandtschaft des Klägers weiterzugeben. Die Telefonnummer des Onkels habe der Kläger angegeben, weil der Vater unter Beobachtung gestanden habe.

Bei der Verhaftung habe er nicht weglaufen können, weil sein Freund erschossen worden sei. Er habe sich moralisch verpflichtet gefühlt, dem Freund zu helfen. Der Freund habe nicht überlebt. Die Verhaftung sei am 30. Juni 2014 gewesen. Er sei 15 Tage im Gefängnis gewesen. In der Klinik habe er nur gemerkt, dass sein Onkel ihn unterstütze. Ob Polizisten da gewesen seien, wisse er nicht, weil er sehr krank gewesen sei. Eine Anklage habe es nicht gegeben, weil der Polizist nach der Bestechung die Papiere vernichtet habe.

Die Telefonnummer der Schwester habe er nicht. Bei einer Rückkehr werde ihn die Regierung umbringen, weil er einen Beitrag für die Bewegung geleistet habe. Sein Wunsch sei, dass die europäischen Staaten das diktatorische Regime Äthiopiens sanktionierten. Dann gäbe es viel weniger Flüchtlinge. Wenn seine Regierung demokratisch wäre, wäre er nicht geflüchtet. Sein Wunsch sei, dass Äthiopien demokratisch regiert werde.

Mit Bescheid vom 6. April 2017, zugestellt am 11. April 2017, lehnte die Beklagte die Schutzbegehren des Klägers ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlägen und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Äthiopien an.

Die Beklagte begründete die Ablehnung damit, dass der Vortrag des Klägers unglaubhaft sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 25. April 2017 Klage.

Eine Klagebegründung erfolgte nicht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 6. April 2017, Aktenzeichen 6 066 184 - 225 entsprechend aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihm subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) zu gewähren,

weiter hilfsweise, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 16. Oktober 2018 wurde der Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen und auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 13. November 2018 verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Entscheidung des Bundesamts, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft (a.) und den subsidiären Schutzstatus (b.) nicht zuzuerkennen sowie Abschiebungsverbote nicht festzustellen und die Abschiebung nach Äthiopien anzudrohen (c.), ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit auch nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

a) Die Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er ist kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG.

Ein Ausländer ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - Flüchtling, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.

An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es aber regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris).

Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden, sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A - juris).

Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der entscheidende Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 - juris; BVerwG, U.v. 11.11.1986 - 9 C 316.85 - juris). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VG Ansbach, U.v. 24.10.2016 - AN 3 K 16.30452 - juris mit weiteren Nachweisen).

Der Kläger vermochte schon keine plausible Verfolgungsgeschichte glaubhaft zu machen.

Die vorgebrachte Verfolgungsgeschichte ist aufgrund der aufgetretenen Widersprüche unglaubhaft. Ohnehin ist die vorgebrachte Geschichte vage, unspezifisch und soweit es um die Verhaftungen und Theateraufführungen geht, oberflächlich und detailarm.

Die Schilderung des Klägers ist unstimmig, denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass er nach der Verhaftung am 30. Juni erst 15 Tage auf der Polizeistation und dann 15 Tage im Krankenhaus gewesen sei. Anschließend habe er die Abschlussprüfungen der 8. Klasse absolvieren wollen. Dies sei ihm aber verweigert worden. Auf die Frage, wann die Abschlussprüfungen stattfänden, antwortete er zunächst mit Juni. Auf den Vorhalt, dass die Verweigerung der Teilnahme an den Prüfungen dann nicht nach seiner Verhaftung am 30. Juni erfolgt sein könne, änderte der den Termin der Prüfungen auf August. Auf den weiteren Vorhalt, wann in Äthiopien die großen Ferien begännen, gab er zunächst an, dass die Ferien im September seien. Auf weiteren Vorhalt, dass dies zeitlich nicht sein könne, gab er wieder an, dass die Abschlussprüfungen im Juni seien. Diese sich widersprechenden Aussagen verdeutlichen, dass der geschilderte Geschehensablauf so nicht erfolgt sein kann. Der Kläger hat auf den jeweiligen Vorhalt versucht, die Geschichte noch schlüssig anzupassen und sich dabei in immer mehr zeitliche Widersprüche bezüglich der Ferienzeiten und der Prüfungstermine verstrickt, dass die gesamte Geschichte - Demonstration und Verhaftung - so nicht geschehen sein kann.

Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel an der Identität des Klägers. Er vermochte sein Geburtsdatum nicht im - in Äthiopien üblicherweise gebräuchlichen - äthiopischen Kalender anzugeben, sondern konnte nur das Datum des europäischen Kalenders angeben. Dies wirft Zweifel auf, ob das angegebene Datum stimmt. Es erscheint unplausibel, dass ein Äthiopier, der im Rhythmus des im ganzen Land gebräuchlichen, äthiopischen Kalenders aufwächst, sein Geburtsdatum nur im europäischen Kalender weiß. Auch die Behauptung, dass die Oromo den europäischen Kalender statt des von der Regierung benutzten äthiopischen gebrauchen würden, ist nicht glaubhaft.

Ungeachtet der verneinten Glaubhaftigkeit ergäbe die Geschichte des Klägers selbst im Falle der Wahrunterstellung keinen Anlass für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Insoweit ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entscheidend.

Anlässlich der aktuellen Entwicklungen im Jahr 2018 wäre nämlich nicht davon auszugehen, dass es bei Rückkehrern, die anlässlich der Massenproteste der letzten Jahre verhaftet worden und dann geflohen sind, beachtlich wahrscheinlich zu Verfolgungshandlungen käme. Denn in Äthiopien wurden im Jahr 2018 zahlreiche Häftlinge, die anlässlich der Unruhen in Äthiopien verhaftet worden waren, wieder freigelassen (vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 17.10.2018, Stand: September 2018, S. 6). Unter den Freigelassenen waren prominente Häftlinge wie etwa einer der Ginbot 7 Anführer Andargarchew Tsige aber auch Merera Gudina (Oppositionsführer der Region Oromia) und dessen Stellvertreter Bekele Gerba. Anklagen gegen den Ginbot 7 Chef Berhanu Nega und den Gründer des Oromia Media Network Jawar Mohamed wurden fallengelassen (vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 17.10.2018, Stand: September 2018, S. 10). Der neue Premier Abiy Ahmed hat eine Abkehr von der repressiven Politik seiner Vorgänger vollzogen und die Praxis der Kriminalisierung von Oppositionellen und kritischen Medien faktisch beendet (vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 17.10.2018, Stand: September 2018, S. 6). Dies zeigt sich auch daran, dass diverse als Terroristen gebrandmarkte Exiloppositionelle, etwa Berhanu Nega oder Jawar Mohamed unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind (vgl. ergänzend zum Lagebericht des AA: Meldung von africanews.com vom 9. September 2018, 13:29 Uhr, http://www.africanews.com/2018/09/09/ethiopia-govt-welcomes-leadership-of-ginbot-7-back-home/; Meldung von „jeune afrique“ vom 5. August 2018, 12:39 Uhr, http://www.jeuneafrique.com/depeches/611340/politique/retour-en-ethiopie-dun-celebre-activiste-de-lopposition/; Meldung des Guardian https://www.theguardian.com/global-development/2018/aug/20/jawar-mohammed-return-ethiopia-political-change-oromo).

Das Gericht sieht bei dieser Einschätzung der neuen Entwicklungen auch, dass es in Äthiopien angesichts einer gewissen übergangsbedingten Unsicherheit zu lokalen Unruhen mit Todesfällen kommt. Ausweislich eines Berichts des Internetportals africanews kamen bei einer öffentlichen Versammlung zur Begrüßung des OMN Gründers in der Stadt Shashememe im August 2018 vier Personen ums Leben. Das Portal berichtet, dass drei Leute in einer Massenpanik am Eingang des örtlichen Stadions, in dem die Veranstaltung stattfand, getötet worden seien. Eine weitere Person sei von einem Mob gelyncht worden, weil der Mob geglaubt habe, dass der Gelynchte in seinem Auto eine Bombe dabei hätte (Meldung des Portals africanews vom 14. August 2018, 5:00 Uhr http://www.africanews.com/2018/08/14/ethiopian-activists-condemn-mob-action-violence-during-rally-in-oromia/). Der Gründer des OMN sprach auf seinem facebook-Account am 12. August 2018 von einer grausamen (cruel), widerlichen (disgusting) und schädlichen (damaging) Handlung des Mobs. Er rufe alle, insbesondere die Jugend, dazu auf, keine Selbstjustiz zu üben, auch nicht aufgrund von eigenen Verdächtigungen (https://www.facebook.com/Jawarmd/posts/10104063136852973).

Im September 2018 kam es zu tödlichen Unruhen in Addis Abeba (vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 17.10.2018, Stand: September 2018, S. 11). Nach Aussagen des Polizeichefs von Addis Abeba, Maj Gen Degie Bedi, kamen mindestens 28 Menschen ums Leben. Die Unruhen begannen am 13. September als Unterstützer der OLF ihre Flagge in Teilen der Hauptstadt Addis Abeba aufhängten. Dies werteten einige Bewohner als Versuch der OLF die Kontrolle über Addis Abeba zu übernehmen. Daraufhin griffen sich die gegnerischen Unterstützer an, was in der Schließung von Teilen des Geschäftsviertels von Addis Abeba endete. Zwei Tage später eskalierte die Gewalt und führte zu 28 Toten. Die meisten starben durch Schläge mit Stöcken und Steinen als rivalisierende Gruppen sich prügelten. Sieben sind nach der Aussage des Polizeichefs von Sicherheitskräften getötet worden, Amnesty sprach von 58 Toten bei den Unruhen. Infolge dieser Unruhen wurden nach äthiopischen Polizeiangaben 1.200 Menschen verhaftet, die meisten seien aber wieder freigelassen worden (vgl. Meldung der BBC vom 25. September 2018, https://www.bbc.com/news/world-africa-45638856?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia& link_location=live-reporting-story).

Diese Todesfälle, so tragisch und bedauerlich sie sind, sind jedoch nicht Folge von Verfolgungshandlungen mit Verfolgungsgrund durch einen Verfolgungsakteur im Sinne des Asylgesetzes. Das Gericht sieht bei dieser Bewertung auch, dass es anlässlich der Entwicklungen in Äthiopien zu diversen regionalen und lokalen Unruhen, Übergriffen auf andere Ethnien und teils auch Kampfhandlungen kommt. Diese werden jedoch von Seiten der Bundesbehörden versucht zu unterbinden. So hat die äthiopische Bundesarmee den vormaligen Regierungschef der Somali Region nach dessen Rücktritt inhaftiert und ist in dieses Gebiet eingerückt (vgl. Meldungen der BBC vom 4. August 2018 https://www.bbc.com/news/world-africa-45070213?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia& link_location=live-reporting-story und vom 7. August 2018, 15:24 Uhr, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Damit kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der äthiopische Staat gemäß § 3c Nr. 3 AsylG nicht in der Lage sei oder nicht willens wäre, eventuell Bedrohten Schutz vor Verfolgung zu bieten. Zumal die Unruhen und Gewalttätigkeiten lokal begrenzt sind und meist anlässlich von größeren Versammlungen ausbrechen. Aus diesen Vorfällen ergeben sich auch weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Oromo nur aufgrund seiner Ethnie in Gefahr wäre.

Weshalb der Kläger nun angesichts dieser neueren Entwicklungen - unterstellt seine Geschichte wäre glaubhaft - bei einer Rückkehr eine Verhaftung oder den Tod fürchten müsste, wenn deutlich prominentere „Terroristen“ unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt und Tausende Verhafteter freigelassen worden sind, bleibt schleierhaft. Auch der Kläger selbst gab insoweit an, dass sich die Situation in den größeren Städten wohl verbessert habe, auf dem Land aber die alten Eliten weiterhin das Sagen hätten. In den Städten besteht umso weniger Anlass eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr anzunehmen. Hinzu kommt seine Aussage, wonach es seiner Mutter und der Schwester gut gehe, auch dies bietet keinen Anhaltspunkt für eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr.

Hinzu käme der Vortrag des Klägers, dass er durch Bestechung freigekommen sei und der bestochene Polizist sämtliche Papiere vernichtet habe. Wenn dem so sein soll, so stellt sich die Frage, wie der äthiopische Staat Kenntnis von dem früheren Gefangenen haben soll, wenn es doch keinerlei Papiere über den klägerischen Aufenthalt in der Polizeistation geben soll. Auch dann droht ihm also infolge der Unkenntnis der äthiopischen Behörden bereits keine Verfolgung.

b) Auch die Ziffer 2 des gegenständlichen Bescheids verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Hinsichtlich des subsidiären Schutzes, für dessen Gewährung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG vorausgesetzt wird, dass dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden drohen müsste, kann auf die obigen Ausführungen zur Unglaubhaftigkeit seiner Verfolgungsgeschichte verwiesen werden. Damit liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Kläger in Äthiopien ein ernsthafter Schaden drohen würde.

c) Schließlich sind auch Abschiebungshindernisse bzgl. Äthiopien im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht ersichtlich. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Mangels Erkennbarkeit diesbezüglicher Anhaltspunkte ist festzustellen, dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt sind.

Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfällt die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung aber jedenfalls dann, wenn die oberste Landebehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage keinen generellen Abschiebestopp erlassen bzw. diesen nicht verlängert hat und ein vergleichbarer wirksamer Schutz den betroffenen Ausländern nicht vermittelt wird. Die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt werden muss. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.10.1995 - BVerwGE 99, 324; BVerwG, U.v. 19.11.1996 - BVerwGE 102, 249, BVerwG, U.v. 12.7.2001 - BVerwGE 115, 1). Eine derartige Gefahrensituation könnte sich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage in Äthiopien ergeben.

Ob die Annahme einer extremen Gefahrenlage im Wege der verfassungskonformen Auslegung nunmehr ausscheidet, weil das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 31.1.2013 (Az. 10 C 15/12 - juris) davon ausgeht, dass in begründeten Ausnahmefällen schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat (auch) ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen können, kann letztlich dahinstehen, da die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe weitgehend übereinstimmen.

Nach den dem Gericht vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist die Versorgungssituation für die Kläger in Äthiopien jedoch nicht so schlecht, dass von einer Gefahr im beschriebenen Sinn auszugehen wäre. Obwohl Äthiopien zwischen den Jahren 2004 und 2014 ein konstantes wirtschaftliches Wachstum aufwies, zählt das Land immer noch zu den ärmsten Staaten der Welt. Auf dem Human Development Index des UNO-Entwicklungsprogramms belegt Äthiopien Platz 173 von 186. 77,6% der Bevölkerung leben von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei 170 US-Dollar. 82% Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft (SFH, Äthiopien, Update: Aktuelle Entwicklungen bis Juni 2014, Rahel Zürrer, Bern 2014). Andererseits ist die Arbeitslosigkeit in den ländlichen Regionen niedrig. Statt auf Arbeitslosigkeit trifft man dort auf unterproduktive Landwirtschaft (IOM, Länderinformationsblatt Äthiopien, Juni 2014, VII. 8.2.1, S. 19). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert, weshalb große Teile der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Im Jahr 2014 waren ca. 3,2 Millionen Äthiopier auf solche Hilfen angewiesen, wobei sich die Hilfen neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch auf Non Food Items (Hygiene und Gesundheit) bezogen. Zusätzlich wurden 7,8 Millionen Menschen über das Productive Safety Net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigt hätten (AA, Lagebericht vom 24.5.2016, Stand: März 2016, IV. 1. 1.1. S. 20).

Im jüngsten Lagebericht spricht das Auswärtige Amt davon, dass 7,9 Millionen Menschen auf das staatliche Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen sind (AA, Lagebericht Äthiopien vom 17.10.2018, Stand: September 2018, IV 1.1, S. 23). Hier zeigt es sich, dass die Situation für große Teile der Bevölkerung schwierig ist. Gleichwohl bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten. Für Rückkehrer bieten sich im Übrigen schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung.

Der Kläger ist gesund und arbeitsfähig. Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsmöglichkeit in Äthiopien sind nicht ersichtlich. Zudem hat er weiterhin einen Teil seiner Familie vor Ort, nach seiner Aussage geht es der Mutter und der Schwester auch gut. Den Cousin konnte er über Facebook kontaktieren. Damit ist eine Hilfe und Unterstützung beim wirtschaftlichen Neubeginn möglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO). Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG. Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. August 2017 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und hilfsweise die Feststellung nationalen Abschiebungsschutzes.

1. Der Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger und gehört dem Volksstamm der Oromo an. Bis zu seiner Ausreise lebte er in seinem Heimatland in der Stadt Robe, die er nach seiner Einlassung am 10. September 2013 verließ. Danach hielt er sich zunächst im Sudan und in Libyen auf und gelangte am 30. April 2015 auf dem Landweg über Italien und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland, wo er am 3. Mai 2015 Asyl beantragte.

Bei seiner persönlichen Anhörung zu seinem Verfolgungsschicksal beim Bundesamt für ... (im Folgenden: Bundesamt) am 3. Februar 2017 gab der Kläger an, er sei bei der Ausreise 16 Jahre alt gewesen. Papiere besitze er nicht. Seine Familie habe in Robe ein Hotel betrieben, wovon seine Mutter heute noch lebe. Er habe sich bis zur Ausreise dort aufgehalten. Im Heimatland lebten außerdem ein Bruder, zwei Schwestern, zwei Onkel und eine Tante; sein Vater sei verstorben. Er sei Schüler gewesen und habe seinen Eltern geholfen. Die Schule habe er bis zur achten Klasse besucht und diese mit 16 Jahren ohne einen Abschluss verlassen.

Am 3. Juni 2013 hätten sie gegen den äthiopischen Masterplan und gegen die Ungerechtigkeit demonstriert. Es sei auf dieser Demonstration ganz vorne dabei gewesen und habe ein Plakat getragen sowie ein Gedicht vorgelesen. Am nächsten Tag seien Polizisten in die Schule gekommen und hätten sie festgenommen, weil auf der Demonstration Bilder und Videoaufzeichnungen von ihnen gemacht worden seien. Man habe sie zum Gefängnis gebracht und dort einen Monat lang eingesperrt. Im Gefängnis sei er drei Tage lang in der Nacht geschlagen worden. Man habe ihm Zähne ausgeschlagen und er habe nur wenig zu essen erhalten. Er sei wieder frei gekommen, weil sein Onkel unterschrieben habe, dass er ihn bei Bedarf wieder zum Gefängnis zurückbringen werde. Er habe eine Ladung für den 11. Juni 2013 erhalten. Als er hingegangen sei, habe man ihn zu dem Gedicht und dem Plakat befragt. Am 2. August 2013 habe man ihn mit einem Gefangenentransport zu einem großen Gefängnis bringen wollen. Es sei ein Markttag gewesen. Er habe vom Auto herunterspringen und in der Menge auf dem Markt verschwinden können. Er sei zu Fuß zu einem anderen Dorf gelaufen und habe sich dort versteckt. Als er seine Mutter angerufen habe, habe diese berichtet, dass jeden Tag Polizisten kämen und nach ihm suchten. Sie seien bei dem Telefonat zu dem Entschluss gekommen, dass eine Rückkehr zu gefährlich sei und er besser Äthiopien verlassen sollte. Die Polizisten hätten seine Mutter geschlagen, um sie zum Verrat seines Aufenthaltsorts zu zwingen. Man habe ihr angedroht, ihr das Hotel wegzunehmen.

Auf die Frage, wann er aus dem Gefängnis frei gekommen sei, nannte der Kläger das Datum 3. August 2013. Als er aufgefordert wurde, die Reihenfolge der Ereignisse mit dem jeweiligen Datum auf einem Zettel zu notieren, gab er an, er sei am 3. Juni 2013 verhaftet worden. Am 21. Juni 2013 sei er freigekommen. Er habe für drei Termine Ladungen erhalten, nämlich für den 20., 21.und 28. August 2013. Er habe alle drei Termine wahrgenommen. Auf Nachfrage, warum er zunächst den 11. Juni als Ladungstermin angegeben habe, erklärte der Kläger, man habe ihm vier Termine gegeben. Der 11. Juni stimme auch. Nach der Freilassung aus dem Gefängnis sei gegen ihn ein Schulverbot erlassen worden; er habe sich bei seiner Mutter aufgehalten. Auf die Frage, wie es komme, dass er am 2. August mit einem Gefangenentransport habe verlegt werden sollen, obwohl er an diesem Tag nicht im Gefängnis gewesen sei, erklärte er, er sei an diesem Tag nicht im Gefängnis gewesen, sondern habe von der Polizei dorthin gebracht werden sollen. Darauf hingewiesen, dass er das bisher nicht geschildert habe und dass er darstellen solle, wie es zu einer erneuten Festnahme gekommen sei, gab der Kläger an, er sei nur einmal festgenommen worden. Das Datum 2. August 2013 sei von ihm falsch angegeben worden, richtig sei der 29. August 2013. An diesem Tag seien sie morgens um 7:00 Uhr herausgefahren. Ungefähr 30 Minuten später sei er von dem Auto, einem Isuzu Pickup, der hinten offen gewesen sei, abgesprungen. Es seien viele Gefangene gewesen. Dem Wagen sei ein anderes Polizeiauto gefolgt, um die Gefangenen zu bewachen. Er sei abgesprungen und in die Menschenmenge hineingelaufen. Auf die Frage, wie es komme, dass er am 29. August im Gefängnis gewesen sei, erklärte der Kläger, er sei am 28. August bei dem Termin im Gefängnis gewesen. Dort sei er festgenommen worden. Wie lange er sich nach seiner Flucht in dem Dorf aufgehalten habe, könne er nicht angeben, weil er unter Stress gestanden habe. Er habe sich bei Menschen versteckt und von diesen Essen erhalten. Seine Mutter habe ihnen Geld für den Weg in den Sudan gegeben. Dort sei ihm das Geld ausgegangen, aber andere Mitflüchtlinge und der Schleuser hätten ihn finanziell unterstützt, sodass er weiter gekommen sei. Der Schleuser habe von den anderen Flüchtlingen Geld für ihn verlangt, weil er der jüngste unter den Flüchtlingen gewesen sei.

Im Fall einer Rückkehr erwarte er, ins Gefängnis zu kommen oder getötet zu werden. In Deutschland engagiere er sich exilpolitisch für die Sache des Oromo-Volkes. Hierzu übergab er eine Mitgliedsbescheinigung der TBOJ/UOSG (Tokkummaa Barattoota Oromoo Biyyaa Jarmanii/Union of Oromo-Students in Europe, German Branch) und drei Fotos von einer Demonstration.

2. Mit Bescheid vom 21. März 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2), erkannte die Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung und im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; andernfalls werde er nach Äthiopien abgeschoben (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, das Vorbringen des Klägers zu seinen Vorfluchtgründen sei aufgrund seiner widersprüchlichen Angaben nicht glaubhaft. Eine Gefährdung wegen der exilpolitischen Tätigkeit sei aufgrund ihrer untergeordneten Bedeutung nicht zu befürchten.

3. Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben und einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG, weiter hilfsweise auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen, geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat der Klage mit Urteil vom 29. August 2017 stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 21. März 2017 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es könne offen bleiben, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist sei. Ungeachtet des Vorfluchtgeschehens drohten diesem im Falle der Rückkehr jedenfalls aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit an seine politische Überzeugung anknüpfende staatliche Verfolgungshandlungen. Nach der aktuellen Erkenntnislage melde der äthiopische Sicherheitsdienst unterschiedslos sämtliche von ihm beobachtete oppositionelle Tätigkeiten im Ausland, ohne zwischen bloßen Mitläufern und herausgehobenen Personen zu differenzieren. Damit bestehe nunmehr auch für äthiopische Staatsangehörige, die sich zu vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Organisationen oder zu einer Exilorganisation, die einer solchen Organisation nahe stehe, bekennen würden und ein Mindestmaß an Aktivität im Rahmen dieser Organisationen vorweisen könnten, eine konkrete Gefahr bei einer Rückführung nach Äthiopien.

4. Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. November 2017 (Az. 21 ZB 17.31340) zugelassenen Berufung. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, die Quellenlage trage weiterhin nicht den Schluss, dass im Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG wegen Nachfluchtaktivitäten der Art zu befürchten sei, die der Kläger praktiziere. Es gebe auch keine Anhaltspunkte für einen Anspruch auf unionsrechtlichen subsidiären Schutz oder auf das nationale ausländerrechtliche Abschiebungsverbot. Sonstige Gründe, die zu einer Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids führen könnten, seien ebenfalls nicht ersichtlich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. August 2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Zur Begründung gibt er an, er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Wie verschiedene vorgelegte Fotografien und Bescheinigungen belegten, habe er seine exilpolitische Betätigung für die TBOJ/UOSG weiterhin fortgesetzt. Auch einfachen aktiven Mitgliedern dieser Organisation drohe bei Rückkehr nach Äthiopien asylrelevante Verfolgung. Die aktuelle innenpolitische Lage in Äthiopien bleibe auch nach der Ernennung des Oromo Abyi Ahmed zum Premierminister unübersichtlich und volatil. Oromische Flüchtlinge, die in Deutschland politisch für die OLF (TBOJ/UOSG) aktiv gewesen seien, würden als potentielle mutmaßliche Unterstützer einer separatistischen Bewegung angesehen werden, die die Existenz des Staates Äthiopien bedrohten. Diese Gesinnung würde ihnen unterstellt werden, weil sie nicht direkt nach der Ernennung von Abyi Ahmed zum Premier nach Äthiopien zurückgekehrt seien. Sie würden mit Sicherheit früher oder später festgenommen, für unbestimmte Zeit inhaftiert und misshandelt werden. Da der Kläger vorverfolgt ausgereist sei, bestehe eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen würden. Stichhaltige Gründe, die diese Vermutung entkräften könnten, lägen angesichts der aktuellen politischen Situation in Äthiopien nicht vor. Schon aufgrund der Vorverfolgung, zumindest aber wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten, sei dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 26. März 2018 zu verschiedenen Fragen Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts bzw. eines schriftlichen Gutachtens von Amnesty International, des GIGA-Instituts für Afrika-Studien und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe unter anderem zu der Frage, ob nach der aktuellen innenpolitischen Lage in Äthiopien äthiopischen Staatsangehörigen, allein weil sie (einfaches) Mitglied einer in Deutschland exilpolitisch tätigen, von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation eingestuften oder einer ihr nahestehenden Organisation sind, ohne in dieser Organisation eine herausgehobene Stellung innezuhaben, bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien von staatlicher Seite schwere physische oder psychische Misshandlungen oder Haft auf bestimmte oder unbestimmte Zeit drohen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Bescheid des Bundesamts vom 21. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es kann offen bleiben, ob dem Kläger im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zustand. Er hat jedenfalls in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. I.) noch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. II.). Auch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. unten Ziff. III.) oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. unten Ziff. IV.) steht dem Kläger nicht zu. Das Urteil des Verwaltungsgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten - hier nicht einschlägigen - besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 - im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).

Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).

2. Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.

Infolge des den in das Berufungsverfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen zu entnehmenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder angenommen werden, dass dem Kläger aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (vgl. dazu unten a) noch infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (vgl. dazu unten b) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.

a) Es kann offen bleiben, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien im Jahr 2013 aufgrund der Geschehnisse, die er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt geschildert hat, bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war und ob er deshalb die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen kann. Denn selbst wenn man dies zu seinen Gunsten annimmt, sprechen infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, sodass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EG nicht greift. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Anfang des Jahres kündigte der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 gab er bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Demokratic Front) niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Dennoch verhängte die äthiopische Regierung am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People's Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar - Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).

Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10).

Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.), weiterhin der Anführer von Ginbot7, Berghane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war, und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6). Am 26. Mai 2018 wurde Andargachew Tsige, ein Führungsmitglied von Ginbot7, begnadigt, der sich kurz nach seiner Entlassung öffentlichwirksam mit Premierminister Abiy Ahmed getroffen hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 10). Neben führenden Politikern befinden sich unter den Freigelassenen auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13).

Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).

Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen. Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für ..., Briefing Notes vom 17.9.2018 - Äthiopien; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). So wurde etwa die Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa, die Anfang November 2018 nach sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, am 23. November 2018 zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission gewählt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 23).

Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).

Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihm angegebenen früheren oppositionellen Tätigkeit und Flucht noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren Unterstützung der OLF durch die Teilnahme an einer Demonstration in Äthiopien verfolgt werden könnte. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass auch die OLF von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch der Kläger trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.

bb) Zwar haben die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten. So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei 5 Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien).

Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).

Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen. Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20).

cc) Soweit der Kläger geltend gemacht hat, die Situation in Äthiopien bleibe trotz der Änderung der politischen Verhältnisse unübersichtlich und instabil, ist dies tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Dem kommt nach Auffassung des Senats aber asylrechtlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass trotz der tiefgreifenden Veränderungen in Äthiopien seit der Machtübernahme von Premierminister Abiy Ahmed die Verhältnisse noch nicht als gefestigt gewertet werden können. Dafür dürfte vor allem der Umstand sprechen, dass sich nach dem Machtantritt des neuen Premierministers, der vor allem mit den Stimmen aus Oromia und Amhara, aber gegen die Stimmen der Tigray und der Vertreter der Region der südlichen Nationen gewählt wurde, die Spannungen zwischen der regierenden EPRDF, die bislang von der Ethnie ihrer Gründungsgruppe TPLF dominiert wurde, welche die Tigray repräsentiert, und der Region Tigray in jüngster Zeit verschärft haben, offenbar nachdem die Regierung gegen Mitglieder der TPLF vorgegangen war. Als Folge der veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Führung der EPDRF sind neue Formen der ethnisch motivierten Gewalt aufgetreten (vgl. The Danish Immigration Service S. 9, 11), die vor allem in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle sind. Hierdurch ist die Zahl der Binnenflüchtlinge erheblich gestiegen und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 7; Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“). Auch auf Premierminister Abiy Ahmed selbst wurde bereits ein Anschlag verübt (nordbayern.de vom 18.11.2018 „Für eine Rückkehr nach Äthiopien ist es viel zu früh“; vgl. SWP-Aktuell Nr. 32 von Juni 2018, „Abiy-Superstar - Reformer oder Revolutionär“).

Für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, ist es aber nicht erforderlich, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Vorverfolgung entkräften, dauerhaft beseitigt sind. Soweit in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung - ohne genauere Auseinandersetzung mit der insoweit einschlägigen Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU - die Auffassung vertreten wird, dass die nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU maßgebenden stichhaltigen Gründe keine anderen Gründe sein könnten als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU maßgebend sind (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 58; VGH BW, U.v. 27.8.2014 - A 11 S 1128/14 - Asylmagazin 2014, 389 = juris Rn. 34; U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 35; U.v. 30.5.2017 - A 9 S 991/15 - juris Rn. 28), vermag dem der Senat nicht zu folgen. Anders als im Rahmen der Prüfung eines nachträglichen Grundes für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU, bei der nach Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu untersuchen ist, ob die Veränderung der Umstände, aufgrund derer ein Drittstaatangehöriger oder ein Staatenloser als Flüchtling anerkannt wurde, erheblich und nicht nur vorübergehend ist, sieht die Regelung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU eine solche Untersuchung nicht vor.

Eine entsprechende Heranziehung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU im Rahmen der Prüfung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU scheidet nach Auffassung des Senats aus, weil die Sach- und Interessenlage in beiden Fällen nicht vergleichbar ist. Während es im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nämlich um eine Beweiserleichterung für die erstmalige Anerkennung eines Asylsuchenden als Flüchtling geht, betrifft Art. 11 RL 2011/95/EU, der seine Umsetzung in den §§ 72 ff. AsylG erfahren hat, die Beendigung und das Erlöschen des Flüchtlingsstatus nach einer bereits erfolgten Anerkennung. Im letzteren Fall hat der Betroffene also bereits einen gesicherten Rechtsstatus erhalten, der ihm nach dem Willen des Richtliniengebers aus Gründen des Vertrauensschutzes nur unter engen Voraussetzungen wieder entzogen können werden soll (vgl. zur gleichlautenden (Vorgänger-)Regelung des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, KOM(2001) 510 endgültig, S. 26 f., wonach „der Mitgliedstaat, der sich auf die Beendigungsklausel beruft, sicherstellen muss, dass Personen, die das Land aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen oder dem Erleiden eines ernsthaften nicht gerechtfertigten Schadens beruhenden Gründen nicht verlassen wollen, ein angemessener Status zuerkannt wird und sie die erworbenen Rechte behalten“; vgl. auch zum Erlöschen des subsidiären Schutzes nach Art. 16 RL 2011/95/EU die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 24.1.2019 zur Rechtssache C-720/17, wonach „nach dem Willen des Unionsgesetzgebers die Veränderung so wesentlich und nicht nur vorübergehend sein muss, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert“). An einem entsprechenden Vertrauensschutz fehlt es, wenn ein Kläger sein Heimatland zwar vorverfolgt im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU verlassen hat, ihm jedoch noch kein Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Etwas anderes lässt sich auch nicht dem von der zitierten Rechtsprechung und Literatur in Bezug genommenen Urteil des EuGH vom 2. März 2010 (Az. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdullah) entnehmen, zumal auch diese Entscheidung lediglich das Erlöschen des Flüchtlingsstatus betrifft.

b) Ebenso wenig ergibt sich nach aktueller Auskunftslage die Gefahr politischer Verfolgung aufgrund von Umständen nach der Ausreise des Klägers aus Äthiopien (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG). Insbesondere ist die exilpolitische Betätigung des Klägers in Deutschland für die der OLF nahestehenden TBOJ/UOSG infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine derartige Furcht zu begründen.

Insoweit gelten die obigen Ausführungen (vgl. unter I.2. a) aa) und bb)) entsprechend. Aufgrund der jüngsten gesetzlichen Regelungen und der Maßnahmen der Regierung unter Führung von Premierminister Abiy Ahmed, insbesondere der Streichung der OLF von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker der OLF, kann nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie der Kläger - (einfaches) Mitglied der TBOJ/UOSG sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an einer oder an mehreren Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. ebenso VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris Leitsatz und Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 13.12.2018 - 6 K 4004/17.A - juris Rn. 54). Dies bestätigt auch die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019 S. 2). Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Britischen Botschaft, nach dessen Einschätzung es Mitgliedern der Diaspora, die sich entscheiden, nach Äthiopien zurückzukehren, erlaubt ist, sich wieder als Bürger in die Gesellschaft zu integrieren und etwa auch Privatunternehmen zu gründen (vgl. The Danish Immigration Service S. 19).

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass alle Angehörigen der oromischen Opposition wegen einer vom Staat unterstellten separatistischen Haltung in Äthiopien weiterhin verfolgt würden, entbehrt dies jeder Grundlage. Richtig ist zwar, dass die OLF in der Vergangenheit für die Unabhängigkeit der Region Oromia, der bevölkerungsreichsten Region Äthiopiens mit ungefähr 35 Prozent der Einwohner, gekämpft hat und zumindest ein Teil ihrer Anhänger diese wohl auch heute noch anstrebt (vgl. The Danish Immigration Service S. 15, 20). Trotz der separatistischen Bestrebungen wurde die OLF aber von der Terrorliste gestrichen und von der Regierung eingeladen, zum Dialog nach Äthiopien zurückzukehren. Diesem Aufruf sind führende Mitglieder der OLF wie Jawar Mohammed aus dem Exil in den USA und Dawud Ibsa aus dem Exil in Eritrea gefolgt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). Allein dies spricht gegen die Besorgnis des Klägers.

Die Ursache dafür, dass sich in letzter Zeit der Konflikt zwischen Regierung und OLF verschärft hat und es nach ethnischen Auseinandersetzungen zwischen Oromo und ethnischen Minderheiten zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Regierung gekommen ist (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien), liegt nach Überzeugung des Senats nicht in den separatistischen Bestrebungen der OLF begründet, sondern in dem Umstand, dass militante Teile der OLF entgegen ihrer Ankündigung ihre Ziele teilweise weiterhin mit Waffengewalt verfolgen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 18). So hat etwa der äthiopische Sender Fana berichtet, die Einsatzkräfte der Regierung hätten nach einer Militäroffensive im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 über 800 militante Mitglieder der OLF inhaftiert (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Der Regierung geht es nach aktueller Auskunftslage mit ihren Einsätzen vor allem darum, bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien zu bekämpfen und durch hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften und gegebenenfalls durch militärisches Eingreifen die Lage zu beruhigen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9; BFA Länderinformationsblatt S. 11, 15; BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Auch insoweit handelt es sich aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen oppositionelle Oromo, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und die Abwehr allgemeiner Gefahren.

Auch für die Annahme des Klägers, nur prominente Oppositionspolitiker würden vom Staat verschont, unbekannte Personen, die sich gegen die Politik der regierenden EPRDF gestellt hätten oder stellten, seien hingegen weiterhin von Verfolgung bedroht, gibt es keine Anhaltpunkte. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed weiterhin zahlreiche Personen ohne Anklage in Haft verblieben sind (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 6, 9), nicht die Annahme, dass Rückkehrer aus dem Exil mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, zumal nach Angaben eines nationalen Beobachters eine Reihe von Gefangenen schlichtweg „vergessen wurde“ (vgl. The Danish Immigration Service S. 13 f.). Darüber hinaus spricht auch der generelle Erlass des Amnestiegesetzes gegen die Annahme, nur herausgehobene politische Gegner könnten hiervon betroffen sein. Schließlich sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch die äthiopischen Behörden inhaftiert oder misshandelt wurden (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.2018 S. 4; AA, Ad-hoc-Bericht S. 25).

II.

Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

1. Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht er selbst nicht geltend.

2. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass dem Kläger in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (zu diesem Erfordernis vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.

Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.)

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei dem Kläger, der keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Konflikte zwischen Ethnien, wie sie etwa in der Südregion von Gambella oder im Grenzgebiet der Siedlungsgebiete von Oromo und Somali vorkommen, oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen, insbesondere Ogaden, haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 20). Jedenfalls lässt sich für die Stadt Robe, aus der der Kläger stammt und in der er sich zuletzt aufgehalten hat, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

III.

Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund schlechter humanitärer Bedingungen liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U. v. 28.6.2011 - 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.).

Dass sich der Kläger in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, macht er weder geltend noch ist dies sonst ersichtlich. Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f.).

Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist aber nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Er ist seinen Angaben zufolge 23 Jahre alt und hat seine Schulausbildung in Deutschland fortgesetzt. Er ist gesund und arbeitsfähig. Seine Mutter betreibt in Robe ein Hotel, in dem er bereits vor seiner Ausreise mitgeholfen hat. Auch sein Bruder und eine Schwester leben dort. Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsmöglichkeit in Äthiopien bestehen nicht. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

IV.

Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

Nach diesen Maßstäben ist bei dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben III.).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.