Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2018 - 10 ZB 17.1386

bei uns veröffentlicht am07.02.2018

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 29. April 2016 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sieben Jahre (unter der Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit) bzw. auf neun Jahre befristet und seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht wurde.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1. Die Einwendungen gegen die durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose greifen nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger seit 2004 kontinuierlich Straftaten begangen habe, die sowohl gegen Vermögenswerte als auch gegen die körperliche Unversehrtheit anderer Personen gerichtet gewesen seien und die Prognose der fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers im Sinne von § 53 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG rechtfertigten, und insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Sodann geht es ausführlich auf den vom Kläger vorgelegten Bericht der Therapieeinrichtung, in der der Kläger untergebracht war, vom 22. Februar 2017 ein und kommt zu dem Ergebnis, dass sich an dieser Einschätzung auch unter Berücksichtigung der seit Bescheidserlass eingetretenen Entwicklung nichts geändert habe (UA S. 15-17).

Der Kläger bringt zur Begründung seines Zulassungsantrages mit Schriftsatz vom 22. August 2017 hiergegen vor, von ihm gehe keine erhebliche konkrete Gefahr mehr aus. Seine Therapie sei mittlerweile abgeschlossen; nach dem abschließenden Gutachten der Therapieeinrichtung vom 22. Juni 2017 sei Sinn und Zweck der Maßregel erfüllt und vom Kläger gehe nach abgeschlossener stationärer Therapie eine konkrete Gefahr für Dritte nicht aus. Dementsprechend habe die zuständige Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 17. Juli 2017 die Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und des Restes der Freiheitsstrafe ab 20. Juli 2017 zur Bewährung ausgesetzt.

Damit hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts jedoch nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 6 f.; B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 14) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer – und gegebenenfalls den dieser zugrunde liegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung – kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden; dabei bedarf es jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21). Hier ist zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB oder – wie hier – nach § 67d Abs. 2 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 10 C 10/12 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 6.6.2017 – 10 ZB 17.588 – juris Rn. 5; B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – juris Rn. 20 f.).

Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 mw.N.). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Strafbzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BavVGH, B.v. 13.10.2017 – 10ZB 17.1469 – juris Rn. 12; B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).

Im vorliegenden Fall ist der Kläger am 20. Juli 2017 entlassen worden. Die Dauer der Bewährungszeit und der Führungsaufsicht wurde durch den Beschluss der Strafvollstreckungskammer auf jeweils fünf Jahre festgesetzt. Die seither verstrichene Zeit ist damit allein noch nicht geeignet, eine künftige straffreie Lebensführung glaubhaft zu machen. Hinzu kommt, dass gegen den Kläger inzwischen bereits zwei weitere Anklageschriften wegen des Vorwurfs der Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Sachbeschädigung (Vorfall vom 3.10.2017) sowie wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Vorfall vom 14.10.2017) vorliegen. Auch wenn der Ausgang dieser Strafverfahren noch nicht feststeht, belegen sie jedenfalls, dass eine Prognose, dass vom Kläger nunmehr keine konkrete Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten im Sinne des § 53 Abs. 3 AufenthG mehr ausgeht, derzeit nicht getroffen werden kann.

2. Auch soweit sich der Kläger gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Feststellung seines Bleibeinteresses und gegen dessen Gewichtung in der Abwägung mit dem Ausweisungsinteresse wendet, ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Bleibeinteresse des Klägers schon aufgrund des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besonders schwer wiege, aber das auch für das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gelte. Die gemäß § 53 AufenthG gebotene Abwägung falle angesichts der (trotz der zwischenzeitlichen Entwicklung der Therapie) fortbestehenden erheblichen Gefährlichkeit des Klägers für höchstrangige Rechtsgüter anderer Menschen zugunsten des Ausweisungsinteresses aus, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der im Bundesgebiet geborene Kläger ein Ausländer zweiter Generation und im Bundesgebiet verwurzelt sei. Das Gericht nahm gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die betreffenden Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid.

Der Kläger rügt insoweit, dass das Verwaltungsgericht sich auf Ausführungen in dem Bescheid der Beklagten bezogen habe, die zum Zeitpunkt der Urteilsabfassung schon nahezu ein Jahr alt gewesen seien. Die zwischenzeitliche Entwicklung der Therapie sei nicht berücksichtigt worden. Die bis dahin bereits erfolgreiche Therapie hätte anders bewertet werden müssen, denn der Kläger sei zum Zeitpunkt des Urteils bereits in der letzten Stufe der Therapie und berechtigt gewesen, die Klinik allein zu verlassen. Er habe auch an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wollen, was aber wegen einer Terminsverwechslung in der Kanzlei seiner Bevollmächtigten gescheitert sei.

Dem ist entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht die Entwicklung der Therapie (seit dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids) ausdrücklich berücksichtigt hat; die Stellungnahme der Therapieeinrichtung vom 22. Februar 2017 wurde in dem Urteil vom 16. März 2017 eingehend erörtert. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welche weiteren Entwicklungen in Bezug auf das Bleibeinteresse des Klägers und dessen Gewichtung in der Abwägung das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen haben könnte.

Der Kläger macht weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht gewürdigt, dass die charakterlichen Fehler, die bei ihm zu den Straftaten geführt hätten, mit seiner ausländischen Staatsangehörigkeit in keiner Beziehung stünden. Es habe zwar festgestellt, dass der Kläger faktischer Inländer sei, aber nicht berücksichtigt, dass die schwierige Sozialisation des Klägers auf die Sozialbedingungen im Bundesgebiet und nicht auf die Einflüsse der Türkei zurückzuführen seien. Aus diesem Vorbringen ergeben sich jedoch keine Aspekte, die eine andere Bewertung des Bleibeinteresses des Klägers und seiner Gewichtung in der Abwägung erfordern würden, zumal unklar bleibt, inwieweit Gründe für eine Straffälligkeit mit der ausländischen Staatsangehörigkeit des Betreffenden in Beziehung stehen könnten.

Schließlich beanstandet der Kläger zu Unrecht, dass das Gericht nicht berücksichtigt habe, dass er in der Türkei keine familiären Kontakte erwarten könne, weil seine Familie in Deutschland als deutsche Staatsangehörige integriert sei. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung in seinem Schreiben vom 31. Januar 2016 selbst dargelegt, dass mehrere seiner Verwandten in der Türkei leben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 117


(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgr

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 55 Bleibeinteresse


(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 54 Ausweisungsinteresse


(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden

Strafgesetzbuch - StGB | § 67d Dauer der Unterbringung


(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich

Strafgesetzbuch - StGB | § 57 Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe


(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus dem Bereich des Schulrechts.

2

1. a) Der Beschwerdeführer besuchte ein öffentliches technisches Fachgymnasium. Da er an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) leidet, beantragte er zum Nachteilsausgleich eine Schreibzeitverlängerung für die Anfertigung von Klausuren sowie die Nichtbewertung der Rechtschreibung (sog. Notenschutz). Die Schule lehnte dies ab.

3

b) Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Schule, dem Beschwerdeführer bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei der Anfertigung schriftlicher Leistungsüberprüfungen außer in naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern eine Schreibzeitverlängerung von 10 % der jeweiligen Bearbeitungszeit zu gewähren. Soweit der Eilantrag darüber hinaus auf vorläufige Gewährung eines Zeitzuschlages von 25 % und Notenschutz bezüglich der Rechtschreibleistung in allen Fächern sowie auf die ebenfalls bereits vorgerichtlich geltend gemachte Verpflichtung der Schule gerichtet war, ihn in Mathematik anwendungsbezogen auf das erste Prüfungsfach Elektronik zu unterrichten, blieb er ohne Erfolg. Eine vom Beschwerdeführer in dieser Sache erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 2129/08).

4

c) In der Hauptsache fasste das Verwaltungsgericht zunächst einen Beweisbeschluss zur Frage der medizinischen Notwendigkeit eines weitergehenden Nachteilsausgleichs. Dieser wurde jedoch nicht mehr ausgeführt, nachdem der Beschwerdeführer die Allgemeine Hochschulreife erworben hatte. Der Beschwerdeführer stellte seine Klage daraufhin um. Neben Feststellungsanträgen begehrte er, seine unter anderem auf Klausurabwertungen wegen Schreibfehlern (sog. "GRZ-Abzug") beruhenden Kursnoten im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 anzuheben.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die in der Jahrgangsstufe 12 erteilten Einzelnoten seien bestandskräftig geworden und daher nicht mehr anfechtbar. Der Zulässigkeit der Feststellungsanträge stehe teilweise der Subsidiaritätsgrundsatz und teilweise das Fehlen eines Feststellungsinteresses entgegen.

6

d) Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss ab.

7

aa) Es könne offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht die halbjährlichen Kursabschlussnoten als eigenständig anfechtbare Regelungen habe ansehen dürfen. Die Versäumung der Widerspruchsfrist sei insoweit jedenfalls unschädlich, da die Widerspruchsbehörde eine Sachentscheidung getroffen habe. Von der Bestandskraft der Einzelnoten könne daher nicht ausgegangen werden.

8

An der Richtigkeit der Ablehnung des Verpflichtungsantrags bestünden im Ergebnis gleichwohl keine ernstlichen Zweifel, da nicht ersichtlich sei, dass die den Kursnoten zugrunde liegenden Bewertungen fehlerhaft gewesen sein könnten. Es sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter einer Legasthenie leidenden Schülern zum Nachteilsausgleich nur Schreibzeitverlängerungen gewährt werden könnten oder die Nutzung technischer Hilfsmittel gestattet werden könne. Die Gewährung von Notenschutz (durch Nichtbewertung der Rechtschreibung) sei demgegenüber in der Regel nicht zulässig, da sie zu einer Benachteiligung von Schülern führen könne, denen aus sonstigen Gründen Rechtschreibfehler in größerem Umfang unterliefen. Darüber hinaus komme ein Ausgleich durch Notenschutz deswegen nicht in Betracht, weil sich die vom Beschwerdeführer beanstandeten Noten gerade auf das Fach Deutsch bezögen und in diesem unter anderem Rechtschreibung und Zeichensetzung zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen gehörten. Ein Anspruch auf Notenschutz folge selbst bei einem den Behinderungsbegriff erfüllenden Ausmaß der Legasthenie auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da sich hieraus ein originärer subjektiver Leistungsanspruch nicht ableiten lasse. Unmittelbar aus Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BGBl 2008 II S. 1419) ergäben sich ebenfalls keine entsprechenden Rechte. Schließlich sehe die geltende Erlasslage in gewissem Umfang eine differenzierte Bewertung vor und eröffne einen pädagogischen Bewertungsspielraum, der eine einzelfallgerechte Berücksichtigung des Erscheinungsbildes der Legasthenie ermögliche. Es sei nicht ersichtlich, dass bei der Bewertung der den beanstandeten Kursnoten zugrunde liegenden Deutschklausuren hiervon in willkürlicher Weise abgewichen worden sei.

9

bb) Auch das Feststellungsinteresse habe das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Ein Rehabilitationsinteresse könne nicht bejaht werden, da von den Einzelnoten und der Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses keine den Beschwerdeführer in seiner Persönlichkeit diskriminierende Wirkung ausgehe. Die Bewertung im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 könne für sich gesehen nicht als diskriminierend angesehen werden, zumal sich die begehrte Anhebung nicht auf die Durchschnittsnote auswirken würde. Hinsichtlich anderer Einzelnoten habe der Beschwerdeführer nicht näher dargelegt, welche Punktzahl er für angemessen halte. Soweit er sein Feststellungsbegehren auf eine beabsichtigte Amtshaftungsklage stütze, habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass eine solche mangels Verschuldens offensichtlich aussichtslos sei.

10

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG in Verbindung mit der UN-Behindertenrechtskonvention sowie aus Art. 12 GG und führt dies näher aus. Insbesondere rügt er, das Ausgangsgericht habe zu keinem Zeitpunkt in einem ordentlichen Hauptsacheverfahren durch Beweisaufnahme geprüft, welche Maßnahmen notwendig gewesen seien, um die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es aber uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar, ob ein in Prüfungen gewährter Nachteilsausgleich die Störung vollständig ausgeglichen habe, was gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln sei (Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 1295/90 -, NJW 1993, S. 917 <918>). Das Oberverwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass er durch die Anlegung desselben Leistungsbemessungsmaßstabs wie bei seinen nicht behinderten Mitschülern in einem Bereich, in dem er aufgrund seiner Funktionsstörung nicht gleichermaßen leistungsfähig sein könne, benachteiligt worden sei. Aus fachärztlicher Sicht habe er in allen Fächern zusätzlich 25 % der üblichen Bearbeitungszeit benötigt, um die gleichen Chancen bei der Bearbeitung der anstehenden Aufgaben zu haben. Ein reiner Nachteilsausgleich führe, auch wenn er den Verzicht auf die Benotung der Rechtschreibung beinhalte, keineswegs zu einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit nichtbehinderter Mitschüler. Dadurch, dass es das Oberverwaltungsgericht versäumt habe, seine willkürliche Entscheidung aus dem Eilverfahren im Berufungszulassungsverfahren zu korrigieren, nehme es ihm die Möglichkeit der Rehabilitation und verschärfe damit die bereits erfolgte Diskriminierung. Damit werde zudem eine Amtshaftungsklage bewusst ausgeschlossen und würden legasthene Schüler in Niedersachsen im Ergebnis rechtlos gestellt.

11

3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Niedersächsischen Justizministerium und der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der vormaligen Schule des Beschwerdeführers, zugestellt worden. Diese haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

12

1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

13

2. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wird der verfassungsrechtlichen Verbürgung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht.

14

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; 125, 104 <136 f.>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>; 125, 104 <137>; stRspr). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Aus diesem Grund dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; 134, 106 <117 f. Rn. 34>).

15

b) Das Oberverwaltungsgericht hat durch seine Handhabung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

16

aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104 <140>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er hat aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht seinen Verpflichtungsantrag rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt hat und die angenommene Unzulässigkeit der Feststellungsanträge betreffend den Notenschutz und den Umfang des ihm zustehenden Nachteilsausgleichs aus Subsidiaritätsgründen zumindest ernstlichen - vom Oberverwaltungsgericht selbst näher aufgezeigten - Zweifeln begegnet. Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Begründung gleichwohl die Berufung nicht zugelassen.

17

bb) Es begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf andere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und wenn es - soweit rechtliches Gehör gewährt ist - die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens als auch der Systematik der in § 124 Abs. 2 VwGO geregelten Zulassungsgründe und kann den Zugang zur Berufung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken, wenn das Berufungsgericht auf andere Gründe entscheidungstragend abstellt als das Verwaltungsgericht, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfGE 134, 106 <119 f. Rn. 40>; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 542 <543>).

18

Dass dem Beschwerdeführer vor Erlass der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die neue Begründung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren rechtliches Gehör gewährt worden wäre, lässt sich den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen. Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für einen Austausch der Begründung hiernach auch nicht vor.

19

(1) Hinsichtlich der auf den Notenschutz bezogenen Klageanträge ergibt sich dies schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht die angenommene inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf Gründe stützt, denen ihrerseits grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Denn die Heranziehung von Erwägungen mit Grundsatzbedeutung zur Ablehnung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel verkürzt den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise (vgl. BVerfGK 10, 208 <213 f. m.w.N.>).

20

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung in der revisionszulassungsrechtlichen Bestimmung des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. BVerfGK 10, 208 <214>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2011 - 1 BvR 1764/09 -, NVwZ-RR 2011, S. 963 <964>).

21

Nach diesen Maßstäben kam der vom Oberverwaltungsgericht verneinten Frage, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Legasthenie so genannten Notenschutz in Form der Nichtbewertung der Rechtschreibung verlangen konnte, grundsätzliche Bedeutung zu. Denn ihre Beantwortung hat Bedeutung weit über den Einzelfall des Beschwerdeführers hinaus und betrifft den Umfang des verfassungsrechtlich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Prüfungsrecht (BVerfGE 52, 380 <388>) als auch des Benachteiligungsverbots gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (BVerfGE 96, 288<301 ff.>) bestehenden Anspruchs auf behinderungsbezogenen Nachteilsausgleich (zu der namentlich aus den verfassungsrechtlichen Bezügen abgeleiteten Grundsatzbedeutung der Rechtmäßigkeit der Bemerkung der Nichtberücksichtigung von Rechtschreibleistungen im Abiturzeugnis vgl. BayVGH, Urteile vom 28. Mai 2014 - 7 B 14.22 u.a. -, juris, Rn. 27). Die umstrittene Frage des Umfangs des Nachteilsausgleichs, der an Legasthenie leidenden Schülern zusteht, war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erst im Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass aus dem Gebot der Chancengleichheit nur Ansprüche auf Änderung der Prüfungsbedingungen (Nachteilsausgleich), nicht aber solche auf Änderung des Maßstabs der Leistungsbewertung (Notenschutz) abgeleitet werden könnten (BVerwGE 152, 330). Hiergegen sind beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile Verfassungsbeschwerden anhängig (Az. 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2578/15 und 1 BvR 2579/15), über die noch nicht entschieden ist.

22

Das Oberverwaltungsgericht konnte die Nichtzulassung der Berufung wegen inhaltlicher Richtigkeit daher hierauf nicht stützen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der flankierenden Erwägungen, im Fach Deutsch gehörten Rechtschreibung und Zeichensetzung gerade zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen und der Schutz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG beschränke sich auf seine Funktion als Abwehrrecht. Gleiches gilt für den Hinweis auf den nach den einschlägigen schulrechtlichen Ausführungsbestimmungen bestehenden pädagogischen Spielraum. Ob die erfolgten Abwertungen unter Berücksichtigung des Spielraums der Behinderung des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung trugen, wäre gegebenenfalls erst in einem Berufungsverfahren zu klären gewesen.

23

(2) Auch mit Blick auf das (verneinte) Feststellungsinteresse verkürzt das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtlich garantierten Zugangsmöglichkeiten zum Berufungsverfahren. Soweit es ausführt, es fehle an dem (vom Verwaltungsgericht insoweit nicht geprüften) Feststellungsinteresse, weil die Ausweisung der Deutschnoten in der Jahrgangsstufe 12 mit Blick auf deren Auswirkungen auf das Abiturergebnis keinen diskriminierenden Charakter hätten und der Beschwerdeführer hinsichtlich der anderen Einzelnoten schon nicht näher dargelegt habe, welche Punktzahl er für erforderlich halte, lagen diese Erwägungen nicht ohne Weiteres auf der Hand und überschritten den statthaften Prüfungsumfang im Berufungszulassungsverfahren. Inhaltlich liegen sie auch eher fern, weil der Beschwerdeführer dargelegt hat, dass die Feststellung, welche Noten er mit der von ihm für notwendig gehaltenen längeren Schreibzeitverlängerung in allen Fächern erreicht hätte, im Nachhinein nicht möglich ist. Gerade deswegen blieb ihm aber nur die Möglichkeit eines Feststellungsantrags, um eine in den erreichten Noten gegebenenfalls fortwirkende Benachteiligung durch einen entsprechenden Feststellungsausspruch zu beseitigen. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist im Übrigen geklärt, dass sich das notwendige Feststellungsinteresse in einer solchen Situation bereits aus der Geltendmachung einer fortdauernden faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung ergeben kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - BVerwG 1 WB 59.13 -, juris, Rn. 20; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 113 Rn. 146 m.w.N.), die hier insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gerügt wird.

24

3. Auf die Beantwortung der weiteren vom Beschwerdeführer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt es nicht an, da der angegriffene Beschluss die Berufungszulassung behandelt und keine Entscheidung zur Sache enthält.

III.

25

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf dem Verfassungsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

26

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000‚- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2015 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und die Wirkungen der Ausweisung auf sieben (unter der Bedingung der Straffreiheit) bzw. auf neun Jahre ab Ausreise festgesetzt wurden; ferner wurde seine Abschiebung angeordnet bzw. angedroht.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet; der als Grund für eine Zulassung allein geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.

Anlass der Ausweisung waren mehrere Verurteilungen wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften, der Verbreitung kinderpornographischer Schriften und des sexuellen Missbrauchs von Kindern, weshalb der Kläger derzeit eine nachträglich gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verbüßt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Urteil vom 20. September 2016 abgewiesen, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom Kläger nach dem Maßstab des § 53 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG die Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig bestehe und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich sei.

Der Kläger rügt als Verfahrensmangel im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen den Amtsermittlungsgrundsatz. Dieses habe versäumt aufzuklären, „ob vom Kläger derzeit noch eine besonders schwere Gefahr für die Sicherheit und Ordnung ausgeht, vom Kläger nach erfolgreichem Abschluss der Therapie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, nach Abschluss der Therapie ein Rückfallrisiko vorliegt, der Kläger therapiewillig und therapiefähig ist und mit welcher voraussichtlichen Behandlungsdauer gerechnet werden muss und ob die Behandlung nach Ablauf der verbleibenden Haftzeit engmaschig extern weitergeführt werden könnte“. Den Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu diesen Fragen habe das Verwaltungsgericht in der Sitzung am 20. September 2016 abgelehnt, da das Gericht auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgestellt und zu diesem Zeitpunkt eine Wiederholungsgefahr bejaht habe, weil eine abgeschlossene Therapie noch gar nicht vorliege. Die Äußerung der Justizvollzugsanstalt vom 13. September 2016 sei kein aussagekräftiges fachärztliches Attest. Weil der Kläger unter die privilegierte Personengruppe des § 53 Abs. 3 AufenthG falle, hätte im Rahmen der Abwägung des besonders schweren Bleibeinteresses des Klägers gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG mit dem Ausweisungsinteresse auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger mittlerweile in der Haft eine Sexualtherapie begonnen habe, fachärztlich abgeklärt werden müssen, ob tatsächlich eine Rückfallgefahr vorliegt. Denn wäre fachärztlich festgestellt worden, dass der Kläger nunmehr fertig therapiert sei, dann wäre wohl die Abwägung für ihn positiv ausgefallen.

Damit ist aber kein Verfahrensfehler dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat weder seine Aufklärungspflicht verletzt noch sonst den Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt.

Die Frage, „ob vom Kläger derzeit noch eine besonders schwere Gefahr für die Sicherheit und Ordnung ausgeht“, ist eine Rechtsfrage, die vom Verwaltungsgericht selbst zu beantworten ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben nämlich Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).

Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Gerade die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr des Senats: BayVGH, B.v. 18.3.2015 – 1 C 14.2655 – juris Rn. 22 m.w.N.; B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 11). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 5). Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger aufgrund seiner Verurteilungen den Tatbestand eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt; es war deshalb zu prüfen, ob die vom Kläger ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbestand (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 26). Das Verwaltungsgericht hat seine (negative) Prognose wesentlich darauf gestützt, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung „noch nicht einmal ansatzweise eine abgeschlossene Therapie“ vorliege, „die jedoch Voraussetzung für das Entfallen einer Wiederholungsgefahr wäre“ (UA S. 12). Es stützt sich dabei unter anderem auf den Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 13. September 2016 – also nur wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung –, in dem es heißt: „Er hat in der Deliktgruppe bereits seine Biographie vorgestellt und hat begonnen, seine verschiedenen Delikte in der Einzeltherapie aufzuarbeiten. Wesentliche Bestandteile der Deliktarbeit stehen jedoch noch aus, weswegen es dem Gefangenen auch noch nicht möglich ist, seine grundsätzlichen deliktischen Motive zu erkennen, Risikofaktoren herauszuarbeiten und alternative Verhaltensänderungen vorzunehmen. Auch die Erstellung eines Rückfallvermeidungsplanes steht noch aus.“ In Anbetracht dieser Tatsachengrundlage gab es für das Verwaltungsgericht keinerlei Anlass, durch ein (fachärztliches) Sachverständigengutachten weiter klären zu lassen, ob der Kläger gleichwohl „nunmehr fertig therapiert“ sei, so dass von ihm keine relevante Gefahr der Begehung weiterer Straftaten mehr ausgeht.

Den Fragen, ob „vom Kläger nach erfolgreichem Abschluss der Therapie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, nach Abschluss der Therapie ein Rückfallrisiko vorliegt, der Kläger therapiewillig und therapiefähig ist und mit welcher voraussichtlichen Behandlungsdauer gerechnet werden muss und ob die Behandlung nach Ablauf der verbleibenden Haftzeit engmaschig extern weitergeführt werden könnte“, brauchte das Verwaltungsgericht ebenfalls nicht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgehen.

Bei der hier zu treffenden Gefahrenprognose hatte das Verwaltungsgericht von den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegenden Umständen auszugehen; wie sich die Gefahrenprognose in einer ungewissen Zukunft darstellen könnte, ist insoweit unerheblich (BayVGH, B.v. 27.10.2017 – 10 ZB 17.993 – juris Rn. 16). Ob sich in der Zukunft die tatsächlichen Umstände ändern werden, insbesondere ob die begonnene Therapie in vollem Umfang erfolgreich sein wird, kann im Vorhinein auch durch ein Sachverständigengutachten nicht zuverlässig geklärt werden.

Dass der Kläger (nunmehr) therapiewillig und –fähig ist, hat das Verwaltungsgericht im Übrigen zu seinen Gunsten unterstellt und sowohl bei der Gefahrenprognose (UA S. 12) wie auch bei der Abwägung im Rahmen seines Bleibeinteresses (UA S. 14) gewürdigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 10. April 2015 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht wurde. Das Verwaltungsgericht hat mit dem Urteil vom 29. September 2015 zwar die in dem Bescheid ebenfalls enthaltene Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung aufgehoben, die Klage aber im Übrigen abgewiesen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Hinsichtlich der noch im Schriftsatz vom 16. Oktober 2015 aufgeführten weiteren Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 VwGO hat der Kläger zur Begründung nichts mehr vorgetragen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a.F.) für rechtmäßig erachtet.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG (a.F.) seien wegen der rechtskräftigen Verurteilungen des Klägers erfüllt. Es brauche nicht abschließend geklärt zu werden, ob der Kläger als türkischer Staatsangehöriger ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht und damit den besonderen Ausweisungsschutz nach ARB 1/80 genieße, denn die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung sei auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Aufgrund des persönlichen Verhaltens des Klägers liege eine schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, es bestehe eine gegenwärtige Gefahr weiterer Straftaten.

Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 8 EMRK. Der Kläger könne als sog. faktischer Inländer nur unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes des Art. 8 EMRK ausgewiesen werden, doch führe die vorzunehmende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens als gerechtfertigt und verhältnismäßig anzusehen sei.

2. Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744).

Der Senat hat daher das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 29. September 2015 unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens - mangels entgegenstehender Übergangsregelung - anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung zu überprüfen. Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ausweisung ist nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Wenn man - mit dem Verwaltungsgericht - zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass ihm ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/ Türkei zusteht, darf er gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

3. Mit seinem Vorbringen hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung, im Ergebnis nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

a) Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei ihm um einen „assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsbürger“ handle, trifft dies so nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat diese Frage - mit der Bemerkung, dass für diese Rechtsstellung „einiges spricht“ - offengelassen, weil die getroffene Ermessensentscheidung auch diesen Anforderungen entspreche.

Dieses vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis trifft auch unter Anwendung der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung weiterhin zu. Zunächst ist insoweit festzustellen, dass die vom Aufenthalt des Ausländers ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nunmehr im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG zu prüfen ist.

b) Entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung und auch unter Berücksichtigung der seit dem erstinstanzlichen Urteil eingetretenen Entwicklungen ist auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG weiterhin davon auszugehen, dass von dem vom Kläger zu erwartenden persönlichen Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ausgeht. Der Kläger hat diese Gefahrenprognose in seiner Zulassungsbegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Im Fall des Klägers bestehen Gefahren für Rechtsgüter von hohem Rang, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Er ist wegen einer Vielzahl von Gewalt- und Eigentumsdelikten zuletzt mit Urteil vom 11. März 2013, unter Einbeziehung bereits früher verhängter Strafen, zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Das Verwaltungsgericht hat in seiner Gefahrenprognose entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger seit seiner Jugend massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Er sei bereits zehnmal strafrechtlich geahndet worden, unter anderem wegen Straftaten aus dem Bereich der Körperverletzungs- und Diebstahlsdelikte, und werde bei der Polizei als jugendlicher Intensivtäter geführt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts wiegt schwer, dass sich bei ihm eine erschreckende Skrupellosigkeit und in den Taten zum Ausdruck kommende Aggressivität manifestiert habe, die er nicht aufzuarbeiten bereit sei. Er habe in der Vergangenheit wiederholt ohne vorangegangene Provokation andere Personen massiv geschlagen und verletzt. Das Amtsgericht sei schon in seinem Urteil vom 13. September 2012 nachvollziehbar zu der Erkenntnis gekommen, dass die Defizite des völlig haltlosen Angeklagten so gravierend seien, dass auf ihn im Rahmen des Strafvollzugs länger eingewirkt werden müsse. Das Strafvollstreckungsgericht habe mit Beschluss vom 9. März 2015 den Antrag auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt, da unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine vorzeitige Haftentlassung nicht verantwortet werden könne, insbesondere weil seine Sucht- und Gewaltproblematik nach wie vor nicht behandelt sei. Eine Behandlung der Delikts- und Persönlichkeitsproblematik habe aus disziplinarischen Gründen nach kurzer Zeit abgebrochen werden müssen. Er habe während der Haft an keinem Anti-Gewalt- oder Anti-Aggressions-Training teilgenommen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht habe er zwar angegeben, dass er dies nach Haftentlassung nachholen werde, die Kammer habe aber nicht zu der Überzeugung gelangen können, dass er therapiewillig sei. Es sei keine Einsichtsfähigkeit in sein Handeln erkennbar gewesen, sondern vielmehr die Tendenz, seine Straftaten zu bagatellisieren. Nach ihrem Eindruck in der mündlichen Verhandlung gehe die Kammer davon aus, dass sein Vorbringen, die Gewaltproblematik nach seiner Haftentlassung angehen zu wollen, unter dem Eindruck der drohenden Ausweisung und nicht aufgrund eigener Einsicht erfolgt sei. Es sei deshalb nicht zu erkennen, dass die Inhaftierung beim Kläger zu einer Verhaltensänderung geführt habe. Während seiner Inhaftierung sei er zwanzig Mal disziplinarisch gemaßregelt worden, unter anderem weil er gegenüber Mitgefangenen Gewalt ausgeübt habe. Der Kläger habe durch sein wiederholtes massives strafbares Verhalten gezeigt, dass die erzieherischen Maßnahmen des Jugendstrafrechts und auch die sozialtherapeutischen Maßnahmen während seiner Jugend nicht gefruchtet hätten. Die Prognose verschlechtere sich zudem dadurch, dass der Kläger noch keine Ausbildung begonnen habe. Er habe keine berufliche Perspektive für die Zeit nach seiner Haftentlassung. Zwar habe er in der Haft den „Grundlehrgang Bau“ abgeschlossen, sich jedoch nicht um einen Ausbildungsplatz nach der Haft bemüht. Die Kammer habe aufgrund der Gesamtumstände keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seine Ankündigung in der mündlichen Verhandlung, sich nach seiner Haftentlassung um einen Ausbildungsplatz bemühen zu wollen, auch in die Tat umsetzen werde. Die Kammer könne nach alldem nicht erkennen, dass der Kläger ernsthaft gewillt und bemüht sei, sein Leben nach seiner Haftentlassung zu ändern. Es stehe aufgrund der fehlenden beruflichen Perspektive und der unbehandelten Gewaltproblematik zu befürchten, dass er erneut Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte, begehen werde. Die begangenen Taten offenbarten Persönlichkeitsdefizite, schädliche Neigungen und eine Rohheit gegenüber seinen Mitmenschen sowie einen mangelnden Respekt vor den Rechtsgütern anderer und der Rechtsordnung, so dass sich eine Wiederholungsgefahr für die Begehung weiterer Straftaten ergebe (UA S. 9-10).

Aus diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichts ergibt sich überzeugend, dass das persönliche Verhalten des Klägers im Sinn des § 53 Abs. 3 AufenthG gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Mit seinem Vortrag in der Begründung des Zulassungsantrags konnte der Kläger dem nicht durchgreifend entgegentreten.

Der Kläger meint, die strafrechtlichen Ahndungen, die mit einer Verwarnung bzw. einer jugendrichterlichen Weisung geendet hätten, könnten weder isoliert noch in ihrer Gesamtheit eine Ausweisungsentscheidung rechtfertigen. Davon ist das Verwaltungsgericht auch nicht ausgegangen. Vielmehr hat es die gesamte strafrechtliche „Karriere“ des Klägers, mit ihren schnell aufeinander folgenden Straftaten schon ab der Strafmündigkeit und der sich steigernden Schwere der Straftaten, in seine Gefahrenprognose einbezogen.

Weiter bringt der Kläger vor, von der Beklagten und vom Verwaltungsgericht sei fehlerhaft nicht berücksichtigt worden, dass er „in seinen Kinder- und Jugendjahren unter der anerkannten Krankheit Hyperaktivität gelitten hat, welche ganz offensichtlich nicht adäquat behandelt wurde und den Kläger bis in den Strafvollzug hinein begleitet hat“. Zwar ergibt sich aus den Akten durchaus, dass beim Kläger in jungen Jahren Hyperaktivität diagnostiziert und mit Medikamenten behandelt wurde. Dass die Krankheit nicht adäquat behandelt worden und sie beim Kläger in späteren Jahren immer noch ausgeprägt gewesen sei, beruht jedoch nur auf Vermutungen des Bevollmächtigten; es ist auch nicht ersichtlich, warum dies die vielfachen Straftaten des Klägers entschuldigen oder die Gefahrenprognose relativieren könnte. Im Gegenteil ist mehrfach eine generelle Therapieunwilligkeit des Klägers dokumentiert, wie etwa im Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 25. Februar 2015.

An der Gefahrenprognose ändert es auch nichts, dass nach seinem Vortrag die der Ausweisung zugrundeliegenden Verurteilungen innerhalb von nur neun Monaten erfolgt seien und die damit abgeurteilten Straftaten innerhalb von nur fünf Monaten stattgefunden hätten. Dass es sich bei den Verfehlungen lediglich um einen „isolierten Lebensabschnitt“ gehandelt hätte, kann daraus angesichts der seit Strafmündigkeit einsetzenden und sich steigernden Delinquenz des Klägers nicht abgeleitet werden.

Die Führungsberichte der Justizvollzuganstalt zeigen entgegen der Meinung des Klägers keine signifikante Besserung des „Bildes“ des Klägers, auch wenn sich angeblich ein Justizvollzugs-Bediensteter gegenüber dem Kläger anders geäußert haben soll.

Auch die erneut bekundete Absicht, sich nach der Haftentlassung um eine Ausbildung und/oder Arbeit zu bemühen und eine Anti-Gewalt-Therapie zu beginnen, sowie der Hinweis auf die enge Verbundenheit zu Eltern und Geschwistern können die Gefahrenprognose nicht erschüttern.

Die vom Kläger zunächst vertretene Ansicht, eine Suchtproblematik bestehe bei ihm nicht, hat er selbst wieder zurückgezogen, nachdem die von ihm eingeholte und mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 vorgelegte Stellungnahme einer Suchtberatungsstelle vom 25. November 2015 das Gegenteil festgestellt hat.

Schließlich bestätigt aber die seit der Haftentlassung des Klägers am 13. November 2015 zu beobachtende Entwicklung der Geschehnisse eindrucksvoll die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts. Der Kläger wurde seither mehrfach wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Leistungserschleichung, Diebstählen, Körperverletzungen sowie wegen Verstößen gegen Weisungen während der Führungsaufsicht auffällig. Wegen Leistungserschleichung wurde er am 31. Mai 2016 zu einer Geldstrafte von 80 Tagessätzen verurteilt. Bezüglich der Anklageschriften vom 28. September 2016 und 23. November 2016 jeweils wegen Verstößen gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) und vom 21. Oktober 2016 wegen zweier Diebstähle ist nach Aktenlage offenbar noch keine strafgerichtliche Entscheidung ergangen. Jedenfalls aber ist daraus zu erkennen, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung keineswegs eine grundlegende Änderung seines Verhaltens vorgenommen hat.

c) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 13.3.2017 - 10 ZB 17.226 - juris Rn. 6 ff. m.w.N.).

Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.

Der Kläger bringt in seinem Zulassungsantrag vor, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass er nicht über eine Aufenthaltserlaubnis verfüge. Jedoch besitze er die Rechtsstellung nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80, weshalb es keine Rolle spiele, dass seine (deklaratorische) Aufenthaltserlaubnis im Dezember 2012 abgelaufen sei.

Daraus ergeben sich jedoch auch unter dem Blickwinkel der Abwägung im Sinne von § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig.

Wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass ihm tatsächlich ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zusteht, führt dies dazu, dass sein Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (in entsprechender Anwendung; vgl. BayVGH, U.v. 28.3.2017 - 10 BV 16.1601 - juris Rn. 41) besonders schwer wiegt. Dem steht aber ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber.

Bei der vorzunehmenden Abwägung ergibt sich auch aktuell eine Unerlässlichkeit der Ausweisung für die Wahrung des vom Kläger bedrohten Grundinteresses der Gesellschaft. Das Verwaltungsgericht hat bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung im Übrigen sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet. Es hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger zwar ein sog. faktischer Inländer ist, im Ergebnis aber die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Straftaten von höherem Gewicht ist. Eine eigene Kernfamilie hat der Kläger nicht, zu seinen Eltern und Geschwistern besteht kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Dem Kläger sei es auch möglich und zumutbar, sich sprachlich und kulturell in der Türkei zu integrieren, zumal er Türkisch spreche.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Tatbestand

1

Die am 4. Mai 1936 geborene Klägerin, eine russische Staatsangehörige, erstrebt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug.

2

Die Klägerin hat zwei Töchter deutscher Staatsangehörigkeit, die in Deutschland leben. Ihre ältere Tochter, Frau N., ist verheiratet und hat zwei 1985 und 1998 geborene Kinder, von denen das ältere seinen Lebensunterhalt ohne finanzielle Unterstützung der Eltern bestreitet. Die jüngere Tochter der Klägerin, Frau F. ist ebenfalls verheiratet und hat einen 1996 geborenen Sohn.

3

Die Klägerin beantragte im März 2007 bei der Deutschen Botschaft in Moskau ein Visum zum Familiennachzug zu ihrer Tochter N. Dabei gab sie an, unter einer fortschreitenden Herzkrankheit, Hypertonie und Diabetes zu leiden. Hinzu komme ein ständig sinkendes Sehvermögen wegen grauen Stars an beiden Augen. Sie beziehe eine monatliche Altersrente in Höhe von 3 155,39 Rubel (ca. 90 €), aber ihr Lebensunterhalt werde in Deutschland durch das Einkommen ihrer Töchter und Schwiegersöhne gesichert. Nachdem der Beigeladene seine Zustimmung zur Visumerteilung versagt hatte, lehnte die Beklagte den Visumantrag mit Bescheid vom 4. Mai 2007 und zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 8. Januar 2008 ab. Eine außergewöhnliche Härte sei nicht nachgewiesen und der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert. Zudem fehle der notwendige Kranken- und Pflegeversicherungsschutz.

4

Die Klägerin hat Klage erhoben und Verpflichtungserklärungen ihres Schwiegersohnes N. und ihrer Tochter F. vorgelegt. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand der Klägerin zur Visumerteilung verpflichtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass offenbleiben könne, ob die Erteilung des Visums gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich sei. Dies sei trotz des medizinischen Gutachtens fraglich, da die Klägerin sich ausweislich der Angaben ihrer Tochter in der Berufungsverhandlung im Wesentlichen mit gelegentlicher Nachbarschaftshilfe und Betreuungsleistungen von Freunden behelfen könne. Jedenfalls fehle es an der Regelerteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts. Dafür sei ausschließlich auf den eigenen Bedarf der Klägerin und die ihr zur Verfügung stehenden Mittel abzustellen. Denn ihr stünden infolge Überschreitung der Altersgrenze ggf. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu, und die Klägerin bilde gemäß § 43 Abs. 1 SGB XII mit den Mitgliedern der Familie N. keine Haushaltsgemeinschaft.

5

Der Regelbedarf betrage für die Klägerin 299 €. Dazu kämen die Kosten für eine private Kranken- und Pflegeversicherung (592,88 + 74,59 €). Die Klägerin zähle nicht zu den nach § 5 SGB V in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmenden Personen. Nach der Einreise habe sie aber gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages im Basistarif. Eine Reduzierung auf die Hälfte des Beitrags gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG scheide entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts aus, da keine Hilfebedürftigkeit eintreten dürfe. Da die Zusage unentgeltlicher Unterbringung seitens der Familie N. dem Sozialamt keine Versagung entsprechender Leistungen ermögliche, sei der Anteil der Klägerin an den tatsächlichen Unterkunftskosten nach Kopfteilen in Höhe von 131,87 € in Anrechnung zu bringen.

6

Dem monatlichen Bedarf in Höhe von 1 098,34 € stünden Mittel von allenfalls 903,83 € gegenüber. Nach eigenem Vorbringen beziehe die Klägerin in der Russischen Föderation eine Rente in Höhe von monatlich 3 155,39 Rubel (= 79,31 €). Ob diese Rente nach einer Übersiedlung nach Deutschland weiter gezahlt werde, sei offen und müsse auch nicht aufgeklärt werden, da ihre Mittel auch dann nicht ausreichten, um ihren Bedarf zu decken. Nicht titulierte Unterhaltsansprüche gegen ihre Töchter könnten nicht berücksichtigt werden, da das Sozialamt im Hinblick darauf Leistungen der Grundsicherung im Alter gemäß § 43 Abs. 2 SGB XII nicht ablehnen könne und nach § 94 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SGB XII auch keine Regressmöglichkeit bestehe. Die abgegebenen Verpflichtungserklärungen seien lediglich in Höhe von 824,52 € zu berücksichtigen. Sie seien zwar wirksam und weder befristet noch vom Aufenthaltszweck her beschränkt. Die Berücksichtigung einer Verpflichtungserklärung im Rahmen der Prüfung der Sicherung des Lebensunterhalts setze aber voraus, dass der Erklärende leistungsfähig sei. Das richte sich bei Arbeitseinkünften nach § 850c ZPO, da bei einer Vollstreckung eines auf § 68 AufenthG gestützten Erstattungsanspruchs Arbeitseinkommen nur in dem danach zulässigen Maße gepfändet werden könnten. Das pfändbare Einkommen von Herrn N., der nur einem seiner Kinder Unterhalt leiste, betrage 219,26 €. Daneben sei das Einkommen aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 310 € zu berücksichtigen. Frau F. verfüge über ein Nettoeinkommen in Höhe von 2 370,70 €. Sie sei grundsätzlich zwei Personen gegenüber unterhaltspflichtig, so dass sich ein pfändbarer Betrag in Höhe von 295,26 € ergebe. Dieser Betrag erhöhe sich nicht gemäß § 850c Abs. 4 Halbs. 1 ZPO. Denn die im Fall der Vollstreckung ggf. nach dieser Vorschrift zu treffende Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde könne nicht im Rahmen der Bonitätsprüfung vorweggenommen werden.

7

Schließlich sei nicht ausnahmsweise vom Regelerfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen. Weder seien atypische Umstände ersichtlich noch sei die Annahme eines Ausnahmefalls im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten.

8

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht sei von einer zu niedrigen Rente ausgegangen. Sie habe im Berufungsverfahren eine neue Rentenbescheinigung vorgelegt, wonach sie eine Rente in Höhe von 9 340,56 Rubel beziehe (234,80 €). Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Person, die eine Verpflichtungserklärung abgebe, dürfe nicht nur auf § 850c ZPO abgestellt werden. Im Übrigen hätte die Regelung des § 850c Abs. 4 Halbs. 1 ZPO berücksichtigt werden müssen, denn die Eheleute F. verfügten über nahezu gleich hohe Einkommen. In diesem Fall reduziere sich das Ermessen der Vollstreckungsbehörde auf Null, so dass Herr F. bei der Berechnung des unpfändbaren Arbeitseinkommens seiner Ehefrau unberücksichtigt bleibe.

9

Die Beklagte hält die Revision für unbegründet. Der im Ergebnis richtigen Entscheidung des Berufungsgerichts sei entgegenzuhalten, dass Verpflichtungserklärungen bei einem angestrebten Daueraufenthalt nicht geeignet seien, den Lebensunterhalt zu sichern. Das ergebe sich aus § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG, wonach bereits die bloße Inanspruchnahme von Sozialhilfe einen Ausweisungsgrund darstelle. Eine Verpflichtungserklärung verhindere nicht die Inanspruchnahme der öffentlichen Hand, sondern löse lediglich einen mit Unwägbarkeiten behafteten Erstattungsanspruch aus. Zudem könnten für den Garantiegeber unabsehbare Belastungen auftreten, so dass sich die Frage der Sittenwidrigkeit stelle. Des Weiteren verfüge die Klägerin über keinen Krankenversicherungsschutz. Angesichts der negativen Auskünfte von Krankenversicherungsunternehmen könne gerade nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass diese bereit seien, mit der Klägerin nach der Einreise eine private Kranken- und Pflegeversicherung abzuschließen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Klägerin hat Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG), hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand (1.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil vermag der Senat in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden, so dass der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (2.).

11

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher ist das Nachzugsbegehren der Klägerin an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

12

Gemäß § 28 Abs. 4 AufenthG findet auf den Nachzug sonstiger Familienangehöriger zu Deutschen § 36 AufenthG entsprechende Anwendung. Gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen ein Visum zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzung offengelassen, da der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert sei und von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht abgesehen werden könne. Diese Vorgehensweise ist an sich nicht zu beanstanden, aber die Begründung für die Annahme mangelnder Lebensunterhaltssicherung verletzt § 2 Abs. 3 AufenthG.

13

1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff. = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 1). Konsequenterweise bemessen sich Einkommen und Unterhaltsbedarf bei nicht (mehr) erwerbsfähigen Ausländern wie der Klägerin, die die Altersgrenze des § 7a SGB II überschritten hat und daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen kann, grundsätzlich nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch - Sozialhilfe - SGB XII. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die wie die Klägerin die - mit § 7a SGB II korrespondierende - Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für Ausländer gelten insoweit keine anderen Regelungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Unerheblich ist, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (Urteil vom 26. August 2008 a.a.O.).

14

1.1 Aus § 2 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG ergibt sich, dass die Lebensunterhaltssicherung auch einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz, d.h. die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung oder einen damit vergleichbaren privaten Versicherungsschutz erfordert. Das Berufungsgericht hat es zu Recht ausreichen lassen, dass die Klägerin nach ihrer Einreise eine private Kranken- und Pflegeversicherung abschließen kann.

15

Die Klägerin unterliegt nach der Einreise nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, auch wenn diese gemäß § 3 Nr. 2 SGB IV i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB V grundsätzlich für alle Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gilt, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Denn Ausländer, die wie die Klägerin nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, werden gemäß § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 13 der Vorschrift nur erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Die zuletzt genannte Voraussetzung verlangt, dass die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung abstrakt für den avisierten Aufenthaltstitel keine Anwendung findet; nicht ausreichend ist das Vorliegen einer Ausnahme von der Regel im Einzelfall oder die Möglichkeit eines Absehens im Ermessenswege. Andernfalls würde das gesetzgeberische Anliegen konterkariert, den gesetzlichen Krankenkassen mit § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V eine möglichst leicht handhabbare Feststellung der Voraussetzung der Versicherungspflicht zu ermöglichen (BTDrucks 16/3100 S. 95). Da die Klägerin nach ihrer Einreise keine der in § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V genannten aufenthaltsrechtlichen Vorrausetzungen erfüllt, besteht keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine freiwillige Mitgliedschaft kommt gemäß § 9 Abs. 1 SGB V ebenfalls nicht in Betracht. Demzufolge besteht für sie gemäß § 20 Abs. 1 SGB XI auch keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung.

16

Die Klägerin hat aber nach Begründung ihres Wohnsitzes in Deutschland gegen jedes zugelassene private Krankenversicherungsunternehmen einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrags im Basistarif. § 12 Abs. 1a VAG verpflichtet jedes Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welches die substitutive Krankenversicherung betreibt, zum Angebot eines branchenweit einheitlichen Basistarifs, dessen Vertragsleistungen in Art, Umfang und Höhe mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, auf die ein Anspruch besteht, vergleichbar sind. Im Basistarif besteht für private Krankenversicherungsunternehmen gemäß § 12 Abs. 1b VAG Kontrahierungszwang. Damit korrespondierend ist der Versicherer nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG versicherungsvertragsrechtlich verpflichtet, allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland eine Versicherung im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG zu gewähren, die in der gesetzlichen Krankenversicherung weder versicherungspflichtig noch freiwillig versichert sind, Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben oder Empfänger laufender Leistungen der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 4 der Vorschrift genannten Art sind und nicht bereits eine private Krankheitskostenversicherung mit einem zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart haben. Ergänzend besteht die gesetzliche Verpflichtung von Personen mit Wohnsitz im Inland, eine entsprechende Krankheitskostenversicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten (§ 193 Abs. 3 Satz 1 VVG). Der gesetzlich angeordnete Kontrahierungszwang und die Versicherungspflicht erfassen auch Ausländer und enthalten - anders als § 5 Abs. 11 SGB V - keine aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen wie etwa den Besitz eines qualifizierten Aufenthaltstitels.

17

§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG setzt - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht voraus, dass die Klägerin bereits im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat. Das wäre ihr vor der Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland auch gar nicht möglich. Der Gesetzgeber hat das Bestehen ausreichenden Krankenversicherungsschutzes im Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Lebensunterhaltssicherung zugeordnet. Folglich genügt für die von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geforderte Prognoseentscheidung, dass der Ausländer diese Voraussetzung nach der Einreise erfüllen kann und wird. Denn nach dem Zweck der Vorschrift, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, kommt es nur darauf an, ob während des Aufenthalts im Bundesgebiet ein Anspruch auf öffentliche Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG besteht bzw. vermieden werden kann (Urteil vom 16. August 2011 - BVerwG 1 C 4.10 - Buchholz 402.242 § 9 AufenthG Nr. 3 = NVwZ-RR 2012, 333 Rn. 15).

18

Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kontrahierungszwang für die privaten Versicherer rechtfertige die positive Prognose künftigen Krankenversicherungsschutzes der Klägerin, da eine eventuelle gesetzwidrige Weigerung von Versicherungsunternehmen insoweit nicht zu ihren Lasten gehen könne. Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass Prognosen sich auf zukünftige tatsächliche Entwicklungen und tatsächliches Verhalten beziehen, das nicht immer dem normativ Gebotenen entsprechen muss. Es widerspräche jedoch der fairen Zuweisung von Prognoserisiken, die Klägerin in dem oben beschriebenen sozial- und versicherungsrechtlichen Rahmen eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs ohne Rücksicht auf Vorerkrankungen mit den verbleibenden Unsicherheiten über ein rechtstreues Verhalten der Versicherungsunternehmen zu belasten, die zudem staatlicher Aufsicht unterliegen. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass die Beklagte den Abschluss einer befristeten Reisekrankenversicherung für die Übergangszeit in Deutschland verlangen kann, wenn und soweit eine solche für den nachzugswilligen Ausländer angeboten wird.

19

1.2 Das Berufungsgericht hat bei dem von § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gebotenen Bedarfs- und Einkommensvergleich zutreffend nur auf den eigenen Bedarf und die eigenen Mittel der Klägerin abgestellt. Denn die Klägerin bildet nach ihrer Einreise und dem Einzug bei Familie N. mit ihrer Tochter, deren Ehemann und dem Kind keine Haushaltsgemeinschaft gemäß § 39 Satz 1 SGB XII, da diese Vorschrift gemäß § 43 Abs. 1 letzter Halbs. SGB XII auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht anzuwenden ist.

20

1.3 Die Bedarfsberechnung des Berufungsgerichts ist aber nicht frei von Mängeln. Sie richtet sich nach § 42 SGB XII.

21

1.3.1 Der Regelsatz ergibt sich aus der Anlage zu § 28 SGB XII. Im Fall der Klägerin ist die Regelbedarfsstufe 3 (ab 1. Januar 2012: 299 €) anzuwenden, die für eine erwachsene leistungsberechtigte Person gilt, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in ähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Das ist hier der Fall, da die Klägerin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auf Dauer im Haushalt der Familie N. wohnen würde. Diese aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Familienmitglieder gewonnene Überzeugung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

22

1.3.2 Von den zusätzlichen Bedarfen nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB XII sind vorliegend die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 32 Abs. 5 SGB XII von Bedeutung. Das Berufungsgericht hat seiner Berechnung den vollen Beitrag für den Basistarif gemäß § 12 Abs. 1c Satz 1 und 2 VAG in Höhe von 592,88 € zugrunde gelegt. Dabei hat es die Möglichkeit der Reduzierung auf die Hälfte gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG - anders als das Verwaltungsgericht - nicht berücksichtigt, da der Ausländer seinen Bedarf selbst decken müsse und Hilfebedürftigkeit gerade nicht eintreten dürfe. Dem folgt der Senat nicht.

23

Entsteht allein durch die Zahlung des Krankenversicherungsbeitrags für den Basistarif Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, vermindert sich gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte. Die dadurch entstehenden Mehraufwendungen sind gemäß § 12g Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 VAG auf alle an dem gesetzlich vorgesehenen Ausgleichssystem beteiligten privaten Versicherungsunternehmen zu verteilen. Besteht auch bei einem nach Satz 4 verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit im o.g. Sinne, beteiligt sich der zuständige Träger auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird (§ 12 Abs. 1c Satz 5 VAG). Aus diesem Regelungsgefüge wird deutlich, dass die Möglichkeit der Absenkung auf die Hälfte des Beitrags gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG zur Vermeidung sozialrechtlicher Hilfebedürftigkeit sich nur zulasten der privaten Versicherungsunternehmen und damit letztlich der privat Versicherten auswirkt. Öffentliche Mittel im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG werden dadurch - im Gegensatz zu dem in Satz 5 der Vorschrift geregelten Fall - nicht in Anspruch genommen. Bei der ausländerrechtlichen Prüfung, ob der Lebensunterhalt gesichert ist, ist daher bei Bestehen eines Anspruchs auf Abschluss einer privaten Krankenversicherung im Basistarif zugunsten des Ausländers auch die Absenkungsmöglichkeit des § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG zu berücksichtigen. Damit reduziert sich der in die Prognoseentscheidung einzustellende Aufwand der Klägerin für einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz auf 296,44 €. Zutreffend hat das Berufungsgericht hingegen die Kosten für eine private Pflegeversicherung im Basistarif in voller Höhe in die Berechnung eingestellt (74,59 €). Denn insoweit besteht keine Absenkungsmöglichkeit, und es müssen die Kosten daher bei Hilfebedürftigkeit in vollem Umfang gemäß § 32 Abs. 5 Satz 4 SGB XII vom Sozialhilfeträger übernommen werden.

24

1.3.3 Die Vorgehensweise des Berufungsgerichts, die für das Eigenheim der Familie N. ermittelten Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 35 SGB XII) nach Kopfteilen aufzuteilen und ein Viertel davon als Bedarf der Klägerin anzusetzen, begegnet keinen Bedenken. Das in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck kommende grundlegende staatliche Interesse an der Vermeidung neuer Belastungen für die öffentlichen Haushalte (BTDrucks 15/420 S. 70) verlangt die nachhaltige Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Der Tatrichter hat sich daher in jedem Einzelfall die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon zu verschaffen, dass der Ausländer aufgrund realistischer Annahmen und konkreter Dispositionen dauerhaft nicht auf öffentliche Mittel angewiesen ist. Dazu gehört auch die Entscheidung des Ausländers, wo und wie er in Deutschland wohnen will und kann. Die aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Familienmitglieder gewonnene Überzeugung des Oberverwaltungsgerichts, die Klägerin werde auf Dauer bei Familie N. wohnen können, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Auf dieser tatsächlichen Prognosegrundlage hat es das Berufungsgericht zu Recht nicht bei der Zusage unentgeltlicher Wohnraumüberlassung seitens der Eheleute N. bewenden lassen. Nachvollziehbar ist es davon ausgegangen, dass diese bei einem - z.B. durch finanzielle Probleme infolge Arbeitslosigkeit motivierten - Sinneswandel nicht gegen den Willen der Eheleute N. durchsetzbar wäre. Auch die Art und Weise der Berechnung der Kosten der Unterkunft ist nicht zu beanstanden. Wegen der festgestellten Absicht, die Klägerin im Haus der Familie N. wohnen zu lassen, hat die Vorinstanz deren Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht abstrakt als Durchschnittskosten eines Einpersonenhaushalts im Zuständigkeitsbereich des Trägers der Sozialhilfe (vgl. § 42 Nr. 4 SGB XII) angesetzt, sondern die bereits jetzt absehbaren tatsächlichen Kosten (Aufwendungen für das selbst genutzte Eigenheim der Eheleute N., Schuldzinsen sowie die Neben- und Betriebskosten) ermittelt und nach Kopfteilen aufgeteilt (131,87 €). Diese Vorgehensweise erscheint nachvollziehbar und aus Praktikabilitätsgründen sinnvoll (Berlit, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, LPK Sozialgesetzbuch XII, 9. Aufl. 2012, § 35 Rn. 31 m.w.N.).

25

1.4 Das Berufungsgericht hat auch die der Klägerin zur Verfügung stehenden Mittel nicht korrekt berechnet.

26

1.4.1 Zutreffend erweist sich allerdings sein Ansatz, evtl. Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihre Töchter nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB XII bleiben bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des SGB IV unter einem Betrag von 100 000 € liegt. Dass das Einkommen diese Grenze nicht überschreitet, wird gemäß Satz 2 der Vorschrift widerleglich vermutet und ist hier auch tatsächlich der Fall. Gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 letzter Halbs. SGB XII ist der Übergang des Anspruchs des Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel gegenüber Eltern und Kindern ausgeschlossen. Damit hat das Berufungsgericht eventuelle Unterhaltsansprüche der Klägerin gegenüber ihren Töchtern als liquide Mittel - unabhängig von dem Erfordernis der Titulierung - zu Recht unberücksichtigt gelassen, denn der Träger der Sozialhilfe könnte diese nicht gegenüber den Kindern geltend machen.

27

1.4.2 Das Berufungsgericht hat den Miteigentumsanteil der Klägerin an der derzeit noch selbstgenutzten Eigentumswohnung in Jekaterinburg (Russische Föderation) weder als Vermögen noch als potenzielle Einnahmequelle berücksichtigt. Das verstößt gegen Bundesrecht, da sich die Klägerin auf diesen Vermögensgegenstand berufen hatte und der Tatrichter - unter Mitwirkung der Klägerseite - hätte aufklären müssen, ob und inwieweit ein Verkaufserlös bzw. Mieteinnahmen nach Deutschland transferierbar sind und zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können.

28

1.4.3 Die Vorinstanz hat die von Herrn N. und Frau F. abgegebenen Verpflichtungserklärungen bei der Lebensunterhaltssicherung zu Recht berücksichtigt und die Bonität der Garantiegeber am Maßstab der Pfändungsschutzvorschriften geprüft. Allerdings erweist sich die konkrete Bonitätsberechnung als nicht frei von Mängeln.

29

Der Senat folgt der Rechtsprechung des 1. Senats (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 C 33.97 - BVerwGE 108, 1 <5 f.> = Buchholz 402.240 § 84 AuslG 1990 Nr. 2), dass die Ausländerbehörde - und damit auch die Gerichte - eine Verpflichtungserklärung bei der Prüfung der Lebensunterhaltssicherung im Rahmen pflichtgemäßer Überzeugungsbildung zu berücksichtigen haben. Denn mit der Abgabe dieser in § 68 AufenthG vorgesehenen Garantie wird bezweckt, ein tatbestandliches Hindernis der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auszuräumen. Dagegen wendet die Beklagte ein, eine Verpflichtungserklärung sei dazu insbesondere bei beabsichtigten Daueraufenthalten untauglich. Denn sie könne nicht die Inanspruchnahme von Sozialhilfe seitens des Ausländers verhindern, der damit den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG verwirkliche, sondern löse lediglich einen mit Unwägbarkeiten behafteten Erstattungsanspruch aus. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

30

Nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG (früher: § 46 Nr. 6 AuslG 1990) kann ein Ausländer nach Absatz 1 der Vorschrift insbesondere dann ausgewiesen werden, wenn er für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Die Vorschrift, die nicht den Bezug von Leistungen nach dem SGB II erfasst (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 Rn.18 = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 3), dient fiskalischen Interessen und soll, soweit sie der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels und der Aufenthaltsverfestigung entgegensteht, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zulasten der Allgemeinheit verhindern und ggf. durch Ausweisung beenden (Urteil vom 28. September 2004 - BVerwG 1 C 10.03 - BVerwGE 122, 94 <98> = Buchholz 402.240 § 35 AuslG Nr. 3 S. 4 f.). Ihr Anwendungsbereich ist teleologisch jedoch auf die Fälle zu reduzieren, in denen die öffentliche Hand letztlich keine Erstattung der geleisteten Aufwendungen durchsetzen kann. Die Vorschrift schützt öffentliche Träger aber nicht grundsätzlich davor, dass die zuständigen Behörden ihre Aufwendungen ggf. im Wege der Festsetzung des Erstattungsanspruchs gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG gegenüber einem Garantiegeber durchsetzen müssen. Folgte man der Auffassung der Beklagten, erwiese sich die gesetzliche Normierung der Verpflichtungserklärung im Aufenthaltsrecht als sinnlos, da eine solche Erklärung dann prinzipiell ungeeignet wäre, als Beleg bei der Lebensunterhaltssicherung Berücksichtigung zu finden. Der Gesetzgeber wollte aber mit § 84 AuslG 1990, der Vorläufervorschrift des § 68 AufenthG, die bis dahin in der Verwaltungspraxis übliche zivilrechtliche Garantieerklärung und Regressmöglichkeit öffentlich-rechtlich ausgestalten, um die Inanspruchnahme des Garantiegebers im Wege behördlicher Selbsttitulierung durch Verwaltungsakt und das Instrumentarium der Verwaltungsvollstreckung effektiver auszugestalten (vgl. BTDrucks 11/6321, S. 84). Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass eine Verpflichtungserklärung ein taugliches Mittel sein kann, um die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erfüllen.

31

Eine Verpflichtungserklärung ist zur Gewähr der Lebensunterhaltssicherung grundsätzlich auch bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zu berücksichtigen, die auf längerfristige oder Daueraufenthalte ausgerichtet sind (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 8: Ausbildungszwecke oder Familienzusammenführung). Auch wenn in diesen Fällen die Reichweite und der Umfang der eingegangenen Verpflichtung für den Garantiegeber bei Abgabe der Erklärung nicht absehbar sind, verstößt eine Verpflichtungserklärung nicht gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Denn für die Berücksichtigung von unzumutbaren Härten bei der Inanspruchnahme des Garantiegebers bieten im System des Aufenthaltsrechts sowohl die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt im Regel-Ausnahme-Verhältnis als auch die sich ggf. anschließende Verwaltungsvollstreckung ausreichend Raum (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 11, 17 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall wird vorliegen, wenn der Aufenthalt des Ausländers in Deutschland allein oder überwiegend private Gründe hat und dementsprechend der Lebensunterhalt ausschließlich von privater Seite zu sichern ist. Zudem muss die Lebensunterhaltssicherung einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sein, und es darf nichts dafür sprechen, dass seine Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung für ihn führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten etwa eingeräumt werden (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 18 f. für die Fallgruppe der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen als öffentliche Angelegenheit).

32

Dieses Regelungssystem als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewährleistet eine differenzierte Risikozuweisung und lässt bei einem - wie hier - aus privaten Gründen angestrebten Aufenthalt in Deutschland den Erstattungsanspruch der öffentlichen Hand nicht leerlaufen. Im Übrigen obliegt es tatrichterlicher Würdigung und Überzeugungsbildung in jedem Einzelfall, ob und in welchem Umfang eine Verpflichtungserklärung mit Blick auf den absehbaren Bedarf des Ausländers und seine Mittel sowie das Vorliegen ausreichender und stabiler finanzieller Verhältnisse des Garantiegebers genügt, um von einem gesicherten Lebensunterhalt des Ausländers ausgehen zu können.

33

Das Berufungsgericht hat die Verpflichtungserklärungen von Herrn N. und Frau F. als wirksam erachtet und so ausgelegt, dass sie den angestrebten Daueraufenthalt der Klägerin abdecken. Diese Auslegung der Willenserklärungen ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Weiter hat die Vorinstanz die Bonität der Garantiegeber zu Recht am Maßstab der Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO geprüft. Denn die Verpflichtungserklärung ist gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Bundes vollstreckbar. § 5 Abs. 1 VwVG verweist für den Vollstreckungsschutz auf § 319 AO, demzufolge die Beschränkungen und Verbote, die u.a. nach §§ 850 bis 852 der Zivilprozessordnung für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, sinngemäß gelten.

34

Dazu hat das Berufungsgericht die aktuellen monatlichen Lohnabrechnungen von Herrn N. und Frau F. über sechs Monate hinweg ausgewertet und der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens zutreffend das jeweilige Nettogehalt zugrunde gelegt (§ 850e Nr. 1 ZPO). Die nach § 850a Nr. 2 und 4 ZPO unpfändbaren Teile wurden vom Nettobetrag abgezogen. Der daraus resultierende Betrag ergibt unter Berücksichtigung der jeweiligen Anzahl von Unterhaltspflichtigen nach der Tabelle zu § 850c ZPO ein pfändbares Arbeitseinkommen in Höhe von 219,26 € (Herr N.) und 295,26 € (Frau F.). Das Mieteinkommen von Herrn N. aus der fremd vermieteten Eigentumswohnung hat das Berufungsgericht im Grundsatz zutreffend gemäß § 851b ZPO in voller Höhe herangezogen; allerdings dürften insoweit nicht umlagefähige Kosten in Abzug zu bringen sein. Außerdem sind die auf der Bedarfsseite in Ansatz gebrachten Kosten der Unterkunft im Haus der Familie N. (131,87 €) abzüglich der auf die Klägerin entfallenden herausrechenbaren Mehrkosten als zusätzliche Einkünfte bei den Eheleuten N. zu berücksichtigen. Obwohl nach den getroffenen Feststellungen Herr und Frau F. über ein nahezu gleich hohes Einkommen verfügen, hat das Berufungsgericht bei Prüfung der von Frau F. abgegebenen Verpflichtungserklärung die Möglichkeit der Erhöhung des pfändbaren Betrags für den Fall der Vollstreckung gemäß § 850c Abs. 4 ZPO nicht berücksichtigt, da einer zukünftigen Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht vorgegriffen werden dürfe. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht.

35

Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt und die über eigene Einkünfte verfügt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Diese Regelung soll dem Vollstreckungsgläubiger die Möglichkeit eröffnen, das pfändbare Einkommen des Schuldners zu erweitern, wenn ein Unterhaltsberechtigter des Vollstreckungsschuldners über eigene Einkünfte verfügt. Aus den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 8/693 S. 48 f.) ergibt sich, dass der Gesetzgeber in dieser Vorschrift keine Geldbeträge fixiert, sondern statt dessen ganz bewusst eine Ermessensentscheidung des Vollsteckungsgerichts vorgesehen hat, um die Entscheidung flexibel zu gestalten und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - IXa ZB 142/04 - NJW-RR 2005, 795). Bei der sinngemäßen Anwendung des § 850c Abs. 4 ZPO im Verwaltungsvollstreckungsrecht ist das "billige Ermessen" kein Ausdruck eines Verwaltungsvorbehalts im Sinne der gesetzgeberischen Zuweisung einer administrativen Letztentscheidungs- oder Gestaltungskompetenz an die Exekutive. Vielmehr hat die Vollstreckungsbehörde eine den Interessen aller Beteiligten angemessene und ausgewogene Entscheidung über eine Erweiterung des vollstreckbaren Vermögens des Vollstreckungsschuldners zu treffen. Dieser Entscheidungsvorbehalt, der der Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit dient, ändert aber nichts daran, dass auch der Teilbetrag des Einkommens, der erst nach einer Ermessensentscheidung gemäß § 850c Abs. 4 ZPO der Pfändung unterliegt, materiell zum Vermögen des Schuldners gehört und prinzipiell geeignet ist, dessen Bonität zu verbessern. Damit ist auch die Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde einer ausländerbehördlichen bzw. tatrichterlichen Prognose zugänglich, die sich daran auszurichten hat, welches der rechtmäßigen Ergebnisse am wahrscheinlichsten zu erwarten ist. Letztlich verbleibenden Unsicherheiten kann dabei durch einen Sicherheitsabschlag begegnet werden.

36

2. Das Berufungsurteil beruht bei der Bedarfs- und Mittelberechnung auf den aufgezeigten Verstößen gegen Bundesrecht. Da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden vermag, ist der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

37

2.1 In dem neuen Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob bei der Klägerin - in dem dann maßgeblichen Zeitpunkt - die Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen, d.h. die Erteilung des Visums zum Familiennachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der im Ausland lebende Familienangehörige kein eigenständiges Leben mehr führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteil vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - NVwZ 2011, 1199 mit Hinweis auf den Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4 zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 22 AuslG 1990).

38

Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Frage angesprochen, ob der Nachzugswillige im Rahmen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auf die Pflege durch familienfremde Dritte in seinem Herkunftsland verwiesen werden kann (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2011 - OVG 3 B 17.10 - juris Rn. 26 ff. m.w.N.). Ob die Maßstäbe, die insoweit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen entwickelt worden sind, durch die eine tatsächlich gelebte familiäre Beistandsgemeinschaft auseinandergerissen wird, in gleicher Weise für den Zuzug von Ausländern gelten, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Jedenfalls setzt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug wegen Pflegebedürftigkeit gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe voraus. Das ist nicht bei jedem Betreuungsbedarf der Fall, sondern kann nur dann in Betracht kommen, wenn die geleistete Nachbarschaftshilfe oder im Herkunftsland angebotener professioneller pflegerischer Beistand den Bedürfnissen des Nachzugswilligen qualitativ nicht gerecht werden können. Wenn der alters- oder krankheitsbedingte Autonomieverlust einer Person so weit fortgeschritten ist, dass ihr Wunsch auch nach objektiven Maßstäben verständlich und nachvollziehbar erscheint, sich in die familiäre Geborgenheit der ihr vertrauten persönlichen Umgebung engster Familienangehöriger zurückziehen zu wollen, spricht dies dagegen, sie auf die Hilfeleistungen Dritter verweisen zu können. Denn das humanitäre Anliegen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG respektiert den in den unterschiedlichen Kulturen verschieden stark ausgeprägten Wunsch nach Pflege vorrangig durch enge Familienangehörige, zu denen typischerweise eine besondere Vertrauensbeziehung besteht. Pflege durch enge Verwandte in einem gewachsenen familiären Vertrauensverhältnis, das geeignet ist, den Verlust der Autonomie als Person infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen in Würde kompensieren zu können, erweist sich auch mit Blick auf die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm als aufenthaltsrechtlich schutzwürdig.

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Jedenfalls ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles geboten, bei der sowohl der Grad des Autonomieverlusts des nachzugswilligen Ausländers als auch das Gewicht der familiären Bindungen zu den in Deutschland lebenden Familienangehörigen und deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Übernahme der familiären Pflege zu berücksichtigen sind. Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass in einem Fall, in dem die in § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit der der hohen Hürde der "außergewöhnlichen Härte" zum Ausdruck kommenden einwanderungspolitische Belange (vgl. BTDrucks 15/420 S. 84) durch Art. 6 GG zurückgedrängt werden und sich das Ermessen der Ausländerbehörde verdichtet, nicht automatisch auch eine Ausnahme von dem Regelerfordernis der Lebensunterhaltssicherung vorgezeichnet ist. Denn das vom Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck gebrachte grundlegende staatliche Interesse, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch Zuwanderung zu vermeiden (BTDrucks 15/420 S. 70), ist nicht deckungsgleich mit seinem Anliegen, Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme und Integrationsfähigkeit sowie wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Interessen zu gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

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2.2 Wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Fall der Klägerin vorliegen und sich auch das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert hat, wird es die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG auf aktueller Grundlage unter Beachtung der o.g. Vorgaben zu prüfen haben. Dabei wird es insbesondere der - in der Revisionsverhandlung von der Beklagten nunmehr prinzipiell bejahten - Frage nachzugehen haben, ob und in welcher Höhe die russische Rente der Klägerin auch in Deutschland ausgezahlt wird. Sollte es noch darauf ankommen, wird es auch aufzuklären haben, ob und inwieweit der Miteigentumsanteil der Klägerin an der Wohnung in Jekaterinburg (Russische Föderation) als Vermögen verwertbar ist oder daraus zu erzielende Mieteinnahmen nach Deutschland transferierbar sind und zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids der Beklagten vom 30. Juli 2015 weiterverfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch die behauptete Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO; 2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen nach Auffassung des Klägers deshalb, weil das Verwaltungsgericht bei ihm zu Unrecht noch von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ausgehe. Er sei zwar wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Allerdings bestehe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er erneut Gewaltdelikte begehen werde. Er befinde sich erstmals in Haft, weshalb davon auszugehen sei, dass diese einen solchen Eindruck auf ihn hinterlasse, dass er künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Bei der abgeurteilten Straftat habe es sich um eine einmalige Affekttat gehandelt, was auch das Landgericht München I im Strafurteil festgestellt habe. Schon deshalb könne daraus auf keine beachtliche Wiederholungsgefahr geschlossen werden. Er habe sich mit seiner Ehefrau, dem Opfer dieser Straftat, inzwischen versöhnt und beabsichtige, nach der Haftentlassung wieder mit ihr zusammenzuleben. Er werde von der Ehefrau regelmäßig in der Haft besucht. Auch die bei ihm bestehende Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. und sein (fortgeschrittenes) Alter sprächen gegen die Begehung weiterer Straftaten. Eine Suchterkrankung (bezüglich Alkohol und Medikamente) bestehe nicht mehr. Er habe in der Haft regelmäßig Gespräche mit dem psychiatrischen Dienst wahrgenommen, um die Hintergründe der Tat aufzuarbeiten. Die zuständige Strafvollstreckungskammer sei grundsätzlich bereit, seine Reststrafe zur Bewährung auszusetzen, und habe diesbezüglich ein Prognosegutachten eingeholt, welches nachgereicht werde.

Damit hat der Kläger jedoch keine Umstände aufgezeigt, die die vom Erstgericht im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen nach § 53 Abs. 1 AufenthG angestellte Gefahrenprognose und die Annahme einer beachtlichen Wiederholungsgefahr erneuter Gewaltdelikte ernstlich in Zweifel ziehen könnten. Bei der von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung zu treffenden eigenständigen Prognose zur Wiederholungsgefahr sind nach ständiger Rechtsprechung die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.5.2017 - 10 ZB 15.2310 - Rn. 14, B.v. 28.4.2017 - 10 ZB 15.2066 - juris Rn. 12 jeweils m.w.N.). Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht die hinreichende (konkrete) Gefahr der Begehung erneuter Gewaltdelikte durch den Kläger zu Recht bejaht. Es hat dabei in nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt, dass es sich bei der Anlasstat des Klägers um ein Verbrechen im Bereich der Schwerkriminalität handle, als dieser im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau über die beengten finanziellen Verhältnisse der Familie auf diese eingestochen, sie lebensbedrohlich verletzt und sich anschließend auch nicht um seine erkennbar schwer verletzte Ehefrau gekümmert habe. Das Verwaltungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger diese Tat nicht aus einer einmaligen emotional ausweglosen Ausnahmesituation heraus, sondern nach den strafgerichtlichen Feststellungen lediglich „spontan“, also aufgrund eines plötzlichen Entschlusses oder Impulses, begangen hat. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit erneuter Gewalttätigkeiten gegenüber seiner Ehefrau trotz des vom Kläger für sich in Anspruch genommenen „Affektzustands“ hat das Verwaltungsgericht in überzeugender Weise zum einen damit begründet, dass die sehr schwierige finanzielle Situation und damit das bisherige erhebliche Konfliktpotenzial der Eheleute unverändert fortbestehe, zumal der Kläger nun auch noch seinen Arbeitsplatz verloren habe. Zum anderen hat es zu Recht darauf hingewiesen, dass beim Kläger bisher keine ausreichende Bereitschaft festzustellen ist, sich mit seiner Tat und seinem - auch testpsychologisch festgestellten - erhöhten Aggressionspotenzial ernsthaft auseinanderzusetzen. Weder der Kläger noch seine Ehefrau hätten sich bisher zu den Umständen der Tat näher geäußert, vielmehr habe der Kläger diese wiederholt lediglich als einen „Unfall“ bezeichnet. Regelmäßige Gespräche mit dem psychiatrischen Dienst in der Justizvollzugsanstalt zur Aufarbeitung der Tat, wie sie der Kläger nunmehr geltend macht, sind ausweislich der - unwidersprochen gebliebenen - Antragserwiderung der Beklagten auf deren telefonische Nachfrage am 9. Mai 2017 durch die Justizvollzugsanstalt gerade nicht bestätigt worden. Ohne eine ausreichende Auseinandersetzung mit der Tat und ihren Ursachen ist aber auch nach Auffassung des Senats die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger bei erneuten Ehestreitigkeiten auch aufgrund der schwierigen finanziellen Verhältnisse wieder „spontan“ seinen Aggressionen freien Lauf lässt, als hoch einzuschätzen.

Ob das Strafvollstreckungsgericht nach Vorliegen des beauftragten Prognosegutachtens unter Resozialisierungsgesichtspunkten eine vorzeitige Entlassung des Klägers aus der Haft als verantwortbar ansehen wird, ist derzeit offen. Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats, dass einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer und dem zugrunde liegenden Gutachten zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr durch die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte zukommt, diese wegen des unterschiedlichen Prognosezeitraums und -maßstabs aber gerade keine Bindungswirkung entfalten. Denn bei der der Ausweisung zugrunde liegenden Prognoseentscheidung geht es vor allem um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 - juris Rn. 20 f.).

Nicht nachvollziehbar bzw. schlüssig ist der Einwand des Klägers, seine Schwerbehinderung und sein Alter sprächen gegen die Begehung weiterer Straftaten, zumal ihn beides nicht von Anlasstat abgehalten hat.

Soweit der Kläger - allerdings im Rahmen einer Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO - weiter geltend macht, seine Ausweisung sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unverhältnismäßig und verletze daher Art. 8 EMRK, zeigt er ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung auf. Der Kläger beruft sich hier insbesondere auf seinen vom Verwaltungsgericht nicht anerkannten Status als faktischer Inländer, der seit 1975 in Deutschland lebe und dessen gesamte Familie (Ehefrau und zwei erwachsene Söhne) hier integriert sei. Wiege man die von ihm begangene Straftat mit der Dauer des Aufenthalts in Deutschland, seiner familiären Situation und den ernsthaften Schwierigkeiten seiner Ehefrau im Falle der Abschiebung ihres Ehemanns ab, müsse diese Abwägung zu seinen Gunsten ausfallen. Seine Ehefrau (aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse) und er selbst (aufgrund seiner Schwerbehinderung) seien auf ihre gegenseitige Lebenshilfe angewiesen. Die Ausweisung eines in Deutschland nachhaltig verwurzelten Ausländers könne nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (v. 18.3.2011 - 11 S 2/11) entgegen der Auffassung des Erstgerichts wegen Art. 8 EMRK regelmäßig auch nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden.

Das Verwaltungsgericht ist jedoch bei der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmenden Abwägung der gegenläufigen Interessen (s. § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG) zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung somit nicht unverhältnismäßig ist. Das Verwaltungsgericht hat dabei weder das Gewicht des im Fall des Klägers streitenden (gesetzlich typisierten) besonders schwerwiegenden Ausweisungs- (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und Bleibeinteresses (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) verkannt noch bei der umfassenden Gesamtabwägung (§ 53 Abs. 2 AufenthG) besonders schutzwürdige Bleibeinteressen im Sinne des Art. 8 EMRK nicht beachtet oder fehlgewichtet. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht selbständig tragend festgestellt, dass auch im Fall der (unterstellten) Annahme des Status eines faktischen Inländers beim Kläger angesichts der von ihm begangenen schweren Gewalttat und der konkreten Gefahr der Begehung weiterer Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit die Ausweisung nicht unzumutbar ist. Das Verwaltungsgericht hat zudem in rechtlich nicht zu beanstandender Weise in seine Abwägung eingestellt, dass die Ausweisung in die verfassungsrechtlich gemäß Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Ehe des Klägers eingreift, die dieser seit über 35 Jahren mit seiner Ehefrau führt, welche ihm nach der Straftat verziehen hat und die Ehe fortsetzen will. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht aber auch davon ausgegangen, dass die Ehefrau, die selbst erwerbstätig ist und dadurch ihren Lebensunterhalt sichert, auf einen unmittelbaren Beistand durch den Kläger nicht angewiesen und ihr während der Dauer der verfügten 4-jährigen Wiedereinreisesperre die Aufrechterhaltung der ehelichen Beziehung mittels Brief- und Telefonkontakten oder über neue Medien zumutbar ist. Die nicht näher substantiierte Behauptung des Klägers, seine Ehefrau, die immerhin seit fast 30 Jahren im Bundesgebiet lebt und (aktuell) einer Erwerbstätigkeit nachgeht, sei aufgrund fehlender Deutschkenntnisse auf seine Lebenshilfe angewiesen, vermag diese Bewertung nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen.

Im Hinblick auf das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens hat das Verwaltungsgericht weiter festgestellt, dass der Kläger noch Beziehungen in seinen Herkunftsstaat Mazedonien besitzt, neben seiner Muttersprache Türkisch auch Mazedonisch spricht, in Mazedonien den Wehrdienst abgeleistet hat und dort über Verwandte seiner Ehefrau noch über familiäre Beziehungen verfügt. Zwar hat das Verwaltungsgericht ebenfalls angenommen, dass der Kläger aufgrund seines Alters und seiner Schwerbehinderung in Mazedonien wohl keinen Arbeitsplatz finden werde, gleichzeitig aber auch seine Chancen auf einen Arbeitsplatz im Bundesgebiet nach der Haftentlassung als äußerst gering eingeschätzt. Zudem ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass der Kläger mit Unterstützung der Familienangehörigen seiner Ehefrau in Mazedonien und seiner in Deutschland lebenden Familie sein Existenzminimum in Mazedonien sichern könne und im Übrigen nach einer Rückkehr auch Zugang zum dortigen Sozialsystem und Anspruch auf Sozialhilfeleistungen habe. Dem ist der Kläger im Zulassungsverfahren ebenfalls nicht substantiiert entgegengetreten.

Der unter Hinweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 18. März 2011 (11 S 2/11) auf die Zulässigkeit generalpräventiver Erwägungen bei seiner Ausweisung bezogene Einwand des Klägers greift hier aus zwei Gründen nicht durch. Zum einen handelt es sich in seinem Fall nicht um eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung. Zum anderen hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Februar 2012 (1 C 7.11) die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (insoweit) aufgehoben und die grundsätzliche Zulässigkeit einer allein aus generalpräventiven Gründen erfolgten Ausweisung eines in Deutschland „verwurzelten“ Ausländers ausdrücklich bestätigt.

2. Auch die Divergenzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) hat keinen Erfolg. Vom Kläger darzulegen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) wäre insoweit, welche bestimmte und verallgemeinerungsfähige Rechtsauffassung das Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und inwiefern diese mit einem konkreten Rechtssatz in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte nicht übereinstimmt. Die divergierenden Rechtssätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 15.5.2017 - 10 ZB 17.617 - juris Rn. 3). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen des Klägers, der im Zusammenhang mit der behaupteten fehlenden Verhältnismäßigkeit seiner Ausweisung lediglich pauschal auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (v. 12.1.2010, 47486/06) sowie des Oberverwaltungsgerichts Bremen und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg verweist, nicht ansatzweise.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 17. Dezember 2014 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf sechs Jahre befristet wurden. Das Verwaltungsgericht hat mit dem Urteil vom 5. August 2015 zwar die Befristung auf vier Jahre verkürzt, die Klage aber im Übrigen abgewiesen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch ein Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a.F.) für rechtmäßig erachtet. Die Rechtmäßigkeit beurteile sich nach § 55 AufenthG (a.F.) i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie nach Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie; deshalb könne der Kläger nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich sei. Zudem müssten sowohl der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, gewahrt werden. Der Kläger könne sich auch auf den besonderen Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (a.F.) berufen, erfahre den gleichen Schutz aber über Art. 7 und 14 ARB 1/80. Zu Recht habe der Beklagte deshalb eine Ermessensentscheidung getroffen.

Zutreffend sei der Beklagte von einer konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen, er habe dabei umfassend die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers und die mangelnde therapeutische Aufarbeitung seiner Sexualdelinquenz und seines Gewaltpotentials gewürdigt. Weiterhin sei der Kläger Bewährungsversager mit auffallend hoher Rückfallgeschwindigkeit.

Die Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Die Ausweisung sei im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Insbesondere stehe die Beziehung des Klägers zu seinen beiden Kindern der Ausweisung nicht entgegen.

b) Mit seinem Vorbringen hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung, im Ergebnis nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744).

Der Senat hat daher das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 5. August 2015 unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens - mangels entgegenstehender Übergangsregelung - anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung zu überprüfen. Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ausweisung ist nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Da dem Kläger ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei zusteht, darf er gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Diesen Maßstab hat auch das Verwaltungsgericht der Sache nach (bei etwas anderer Formulierung) seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

c) Der Kläger macht zunächst geltend, die Ermessensentscheidung der Beklagten sei fehlerhaft, weil vom Kläger keine Gefahr mehr ausgehe. Insbesondere wegen der in der Haft erfolgten erfolgreichen Therapiemaßnahmen könne die Rückfallprognose nicht mehr aufrechterhalten werden.

Zunächst ist insoweit festzustellen, dass die vom Aufenthalt des Ausländers ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht (mehr) im Rahmen der Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde zu prüfen ist, sondern im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG.

Entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung und auch unter Berücksichtigung der seit dem erstinstanzlichen Urteil eingetretenen Entwicklungen ist auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG weiterhin davon auszugehen, dass von dem vom Kläger zu erwartenden persönlichen Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ausgeht. Der Kläger hat diese Annahme in seiner Zulassungsbegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Im Fall des Klägers bestehen Gefahren für Rechtsgüter von hohem Rang, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Er ist zuletzt mit Urteil vom 17. Juli 2013 zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten sowie von fünf Jahren verurteilt worden, im Wesentlichen wegen mehrerer Gewalttaten und einer Vergewaltigung, die sich gegen seine damalige Lebensgefährtin Frau N. richteten. Mehrere Tathandlungen der Körperverletzungen bestanden in der potentiell lebensgefährlichen Handlung des Würgens des Opfers, das in einem Fall infolgedessen das Bewusstsein verlor. Die körperliche Unversehrtheit bzw. Leben und Gesundheit von Personen ist durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet; dem Staat obliegt eine besondere Schutzpflicht für diese Rechtsgüter (vgl. BVerfG, U.v.16.10.1977 - 1 BvQ 5/77 - BVerfGE 46, 160, juris Rn. 11). Zu berücksichtigen ist aber auch, dass der Kläger neben diesen Straftaten gegen eine nahstehende Person auch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung, also Straftaten, die eine Gefährdung der Allgemeinheit bedeuten, verurteilt wurde.

Die abgeurteilten Straftaten offenbaren eine außerordentlich hohe Gewaltbereitschaft und Rücksichtslosigkeit des Klägers und seine Neigung, bereits wegen Kleinigkeiten oder auch grundlos gewalttätig zu werden. Im Verlauf der Jahre 2011 und 2012 hat der Kläger seine damalige Lebensgefährtin N. mehrfach bedroht, geschlagen, getreten und gewürgt und sie im Dezember 2012 schließlich vergewaltigt, wodurch diese, wie von ihm beabsichtigt, schwanger wurde. Im Januar 2012 überholte er bei einer Autofahrt mehrfacht riskant, um seiner Lebensgefährtin N. als Beifahrerin Angst einzuflößen; Zusammenstöße konnten nur durch Glück und das fahrerische Können der anderen Verkehrsteilnehmer verhindert werden. Darüber hinaus ergeben sich aus den Akten auch noch eine Vielzahl von polizeilichen Maßnahmen wegen Bedrohungen und häuslicher Gewalt zu Lasten seiner früheren Lebensgefährtin Frau D. (der Mutter seiner Kinder), in denen es soweit erkennbar nur mangels Strafantrags bzw. wegen späterer Aussageverweigerungen nicht zu Verurteilungen kam. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger bereits am 23. August 2006 wegen Geldfälschung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden ist, wobei ihm das Gericht „nicht unerhebliche kriminelle Energie“ bescheinigte.

Das Verwaltungsgericht hat ebenso wie bereits das Strafgericht darauf abgestellt, dass der Kläger bei der letzten strafgerichtlichen Verurteilung unter offener Bewährung stand und mehrere verhängte Freiheitstrafen, deren Vollstreckung immer wieder zur Bewährung ausgesetzt worden war, ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten haben; auffallend war auch die hohe Rückfallgeschwindigkeit.

Zugunsten des Klägers spricht ohne Zweifel, dass er in Lauf des Strafvollzugs an einem Anti-Gewalt-Training teilgenommen und eine Sozialtherapie in der Sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter der Justizvollzugsanstalt durchlaufen und abgeschlossen hat. Auf der Grundlage eines forensisch-psychologischen Sachverständigengutachtens vom 24. November 2016 hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 2. Januar 2017 die weitere Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt; am 9. Januar 2017 wurde der Kläger aus der Haft entlassen. Die Bewährungszeit beträgt fünf Jahre, der Kläger wurde unter anderem angewiesen, eine ambulante Psychotherapie bei einer psychotherapeutischen Fachambulanz für Sexualstraftäter zu absolvieren.

Gleichwohl kann aus diesen - durchaus positiven - Entwicklungen (noch) nicht der Schluss gezogen werden, dass damit die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass sie im vorliegenden Fall nicht mehr als schwerwiegende, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende, Gefahr anzusehen wäre.

Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer - und den dieser zugrunde liegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt - kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu, doch sind Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte für die Frage der Wiederholungsgefahr nicht daran gebunden. Es bedarf jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 21).

Hier ist aber auch zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung eines assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10/12 - juris Rn. 19).

Im Rahmen dieser längerfristig angelegten Prognose fällt zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 VwGO) die Beurteilung, ob es dem Kläger gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen, derzeit negativ aus.

Denn der Kläger ist erst seit wenigen Wochen (seit 9. Januar 2017) wieder in Freiheit, er steht damit noch ganz am Anfang der vom Strafvollstreckungsgericht festgesetzten Bewährungszeit von fünf Jahren; mit fünf Jahren hat dieses die höchstzulässige Dauer der Bewährungszeit festgesetzt (§ 57 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB). Auch hält das Strafvollstreckungsgericht die Weisung für erforderlich, „die therapeutische Arbeit fortzusetzen und den erreichten Behandlungsstatus zu sichern und zu festigen und insbesondere in der heterosexuellen Beziehungsgestaltung weitere Problematiken zu bearbeiten, um eventuell auftretenden Stressoren therapeutisch entgegenzuwirken“; es ist insoweit den Empfehlungen des eingeholten forensisch-psychologischen Sachverständigengutachtens gefolgt. Bereits aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass eine relevante Rückfallgefahr keineswegs zu verneinen ist, sondern eine Entlassung des Klägers aus der Haft lediglich im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB „verantwortbar“ ist, und auch dieses lediglich unter Ausschöpfung der höchstzulässigen Bewährungszeit und unter Verpflichtung zu einer weiteren Verhaltenstherapie.

Ferner sind auch in dem forensisch-psychologischen Sachverständigengutachten Tendenzen des Klägers, seine Straftaten weiterhin zu verharmlosen, erkennbar. So bezeichnet er die Geldfälschung, wegen der er am 23. August 2006 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zur Bewährung verurteilt worden war, weiterhin als „dummen Streich“ und „Jux“ (S. 29 des Gutachtens), obwohl seinerzeit das Strafgericht angesichts des planmäßigen Vorgehens beim Inverkehrbringen der gefälschten Geldscheine von „erheblicher krimineller Energie“ gesprochen hatte. Auch die Verurteilung vom 4. Mai 2010 zu 90 Tagessätzen wegen Beleidigung deutet auf eine leichte Reizbarkeit bei geringfügigen Anlässen hin: er hat sich nach seinen Angaben von zwei Männern bei einem Abbiegevorgang mit dem Pkw behindert gefühlt. Nach seiner in dem Gutachten (S. 29) wiedergegebenen Stellungnahme fühlt er sich offensichtlich weiterhin ungerecht behandelt.

Bezeichnend ist auch seine Bemerkung gegenüber seiner früheren Lebensgefährtin Frau D. am 20. Dezember 2014 bei einem Besuch in der Justizvollzugsanstalt. Auch wenn man seine Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2015 zugrunde legt, Frau D. habe sich nur durch ein „Missverständnis“ durch seine Worte „nicht dass ich einen Mord begehen muss, wenn ich herauskomme“ bedroht gefühlt, das sei „nur eine so dahingesagte Redewendung gewesen“, offenbart dies doch eine andauernde Verhaftung in Denkweisen, die eben gerade in der laufenden Therapie hätten beseitigt werden müssen.

Angesichts der hohen Bedeutung der bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgüter und des Ausmaßes des dadurch eintretenden Schadens rechtfertigt die vom Kläger immer noch ausgehende Rückfallgefahr seine Ausweisung.

d) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 13.3.2017 - 10 ZB 17.226 - juris Rn. 6 ff. m.w.N.).

Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ist beim Kläger nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG aufgrund seiner Verurteilungen gegeben; sein Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ebenfalls besonders schwer.

Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig, begegnet auch unter dem Blickwinkel der Abwägung im Sinne von § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG keinen ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit. Die vom Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.

e) Der Kläger bringt in seiner Begründung des Zulassungsantrags vor, das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung der Anwesenheit des Klägers in Deutschland und die Folgen seiner Ausweisung für seine Kinder nicht konkret beurteilt. In dieser Hinsicht ergebe sich nämlich die Rechtswidrigkeit der Ausweisung. Es sei absolut unvertretbar, den Kindern den Vater zu entziehen. Diese Problematik hätte weiter aufgeklärt werden müssen. Eine Interessenabwägung aus der Sichtweise der Kinder habe jedenfalls nicht stattgefunden.

Damit werden jedoch keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat sehr wohl eine eingehende Erörterung des Gewichts der persönlichen Bindungen des Klägers an seine beiden Kinder vorgenommen (UA Rn. 38-42) und darauf aufbauend in nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der Eingriff in das Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG nicht unverhältnismäßig ist. Art. 6 Abs. 1 GG gewährt nämlich nicht von vornherein einen Schutz vor Ausweisung, sondern verpflichtet dazu, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (siehe z.B. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207, Rn. 12). Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Kinder für ihre weitere Entwicklung nicht zwingend auf ihren Vater angewiesen sind. Sie lebten bereits seit Mitte 2012 ohne ihren Vater mit ihrer allein sorgeberechtigten Mutter zusammen; aufgrund der langjährigen Haftstrafe des Klägers sei die Beziehung der Kinder zu ihrem Vater ohnehin auf telefonische Kontakte und sporadische, kurze Besuche beschränkt. Derartige Kontakte können auch über moderne Kommunikationsmittel von der Türkei aus aufrechterhalten werden; zur Abfederung von Härten kommt daneben auch die Erteilung von Betretenserlaubnissen zu besonderen Ereignissen in Betracht (BayVGH, U.v. 15.8.2014 - 10 B 13.715 - juris Rn. 49).

Einer weiteren Aufklärung bedurfte es nicht. Das Verwaltungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht die ausführlichen eigenen Angaben des Klägers, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2015, „an deren Richtigkeit das Gericht keine Zweifel hat“ (UA Rn. 41), seiner Erörterung und Bewertung zugrunde gelegt.

f) Keine ernsthaften Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Ausweisung hat der Kläger auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK dargelegt. Er hat hierzu vorgetragen, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass er in Deutschland geboren sei und seither hier lebe. Er empfinde Deutschland als sein Heimatland, sämtliche sozialen Bindungen lägen hier. Er habe auch eine sehr enge Bindung an seine Kinder, denen es nicht zumutbar sei, ihm in die Türkei zu folgen.

Entgegen diesem Vorbringen hat das Verwaltungsgericht die Rechtsstellung des Klägers als „faktischer Inländer“ zutreffend gewürdigt. Diese Position führt nämlich nicht dazu, dass eine Ausweisung unzulässig wäre. Als „faktischer Inländer“ wird ein Ausländer bezeichnet, der sich lange im Bundesgebiet aufgehalten und seine wesentliche Prägung und Entwicklung hier erfahren hat (BayVGH, B.v. 13.5.2016 - 10 ZB 15.492 - juris Rn. 21). Jedoch verhindert die Stellung als „faktischer Inländer“ die Ausweisung nicht von vornherein, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall (vgl. EGMR, U.v. 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris Rn. 53; BayVGH, B.v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.808 - juris Rn. 37). Diese Abwägung hat das Verwaltungsgericht fehlerfrei vorgenommen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung geht das Gericht auf den langjährigen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet ein (UA Rn. 45-46), stellt aber zugleich fest, dass der Kläger in der Türkei familiäre Anknüpfungspunkte habe, die türkische Sprache beherrsche und in der Türkei seinen Lebensunterhalt sicherzustellen vermöge. Angesichts der Gefahr weiterer erheblicher Straftaten sei deshalb der Umstand, dass er in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen sei und hier einen Großteil seines Lebens verbracht habe, nicht so gewichtig, dass er unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Ausweisung entgegenstehen könnte.

Der Kläger behauptet (im Schriftsatz vom 2. Dezember 2015) im Hinblick auf die Ausführungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts, er besitze in der Türkei Anknüpfungspunkte, beherrsche die türkische Sprache und sei im türkischen Kulturkreis verwurzelt (UA Rn. 46), es sei nicht ersichtlich, woher das Gericht diese - noch dazu falschen - Informationen beziehe. Er übersieht dabei aber, dass diese Informationen aus seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2015 stammen, wonach er mit seinem Vater und mit seiner Mutter nur türkisch spreche, seine Schwester in der Türkei lebe und auch seine Eltern sich bis zu seiner Inhaftierung jeweils mehrere Monate im Jahr in ihrer Wohnung in Ankara aufgehalten hätten sowie er selbst mehrfach in der Türkei gewesen sei.

Auch im Hinblick auf die Kinder des Klägers liegt ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK nicht vor. Zwar hat das Wohl des Kindes hier besonderes Gewicht, ist aber nicht allein entscheidend; vielmehr ist zu beurteilen, ob im Hinblick auf die vom Kläger ausgehende Gefahr seine Ausweisung und Abschiebung verhältnismäßig ist (vgl. zu Art. 8 EMRK zuletzt z.B.: EGMR, U.v. 2.4.2015 - Sarközi u. Mahran/Österreich, Nr. 27945/10 - NVwZ 2016, 1235, Rn. 64 ff.; ferner BayVGH, B.v. 22.8.2016 - 10 ZB 16.1499 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 16.7.2015 - 10 ZB 15.463 - juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 15.8.2014 - 10 B 13.715 - juris Rn. 49). Auch insoweit ist das Verwaltungsgericht bei der vorzunehmenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass angesichts der erheblichen Gefahr weiterer schwerwiegender, vor allem auch gegen die körperliche Unversehrtheit sowie die sexuelle Selbstbestimmung und damit besonders bedeutsame Schutzgüter (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) gerichteter Straftaten durch den Kläger das öffentliche Interesse an seiner Ausreise seine Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt (s. § 53 Abs. 1 AufenthG). Im Übrigen stellt sich die Frage, ob es den Kindern zumutbar ist, ihrem Vater in die Türkei zu folgen, nicht; diese leben nämlich bei ihrer Mutter, die das alleinige Sorgerecht besitzt.

2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor bzw. ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Eine Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO, wie sie der Kläger erhoben hat, setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (BVerwG, B.v. 8.7.2009 - 4 BN 12.09 - juris Rn. 7).

Der Kläger trägt insoweit vor, über die Intensität der Beziehung des Klägers zu seinen Kindern hätte nur deren Mutter fundiert Auskunft geben können, die deshalb als Zeugin hätte angehört werden müssen.

Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf das Verhältnis des Klägers zu seinen Kindern dessen ausführliche eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2015, „an deren Richtigkeit das Gericht keine Zweifel hat“ (UA Rn. 41), seiner Erörterung und Bewertung zugrunde gelegt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwiefern diese eigenen Angaben des Klägers unrichtig oder unvollständig gewesen sein sollten, so dass sich insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht aufgedrängt hätte.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 13. August 2015 und auf deren Verpflichtung, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weiter. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid hat die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Nr. 1), den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels vom 3. Dezember 2013 abgelehnt (Nr. 2) und unter der Bedingung, dass Straf- und Drogenfreiheit nachgewiesen wird, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zuletzt vier Jahre befristet (Nr. 3).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B. v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Das ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers auf Grundlage der § 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung für rechtmäßig erachtet. Es ist davon ausgegangen, dass das persönliche Verhalten des Klägers auch derzeit noch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung nach der erforderlichen Interessenabwägung für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unerlässlich ist. Es bestehe eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit für die weitere Begehung schwerer Straftaten, insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Hierfür spreche die massive strafrechtliche Delinquenz des Klägers, die er seit 2003 an den Tag gelegt habe. Er sei bereits im Jahr 2009 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Der Kläger sei schon in Haft gewesen, die zur Bewährung ausgesetzte Vollstreckung der Freiheitsstrafe sei in der Folgezeit widerrufen worden. Grund für die Annahme der Begehung weiterer Straftaten sei auch der Hang zum Konsum von illegalen Betäubungsmitteln, aufgrund dessen der Kläger derzeit einen Maßregelvollzug nach § 64 StGB verbüße. Solange eine Drogentherapie jedoch nicht erfolgreich abgeschlossen und deren Erfolg sowie die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens nicht auch nach Straf- bzw. Therapieende glaubhaft gemacht werde, könne von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr keine Rede sein. Die nach § 53 Abs. 2 AufenthG vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergebe, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiege und die Ausweisung auch für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich sei. Mit der Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten durch das Urteil des Landgerichts München I vom 30. April 2015 sei der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Es liege ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Diesem Ausweisungsinteresse stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG gegenüber, da die derzeitige Lebensgefährtin des Klägers ihn mit dem gemeinsamen Sohn zweimal in der Woche besuche. Die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen gehe zu Ungunsten des Klägers aus. Die wirtschaftliche und soziale Integration sei ihm trotz des langjährigen Aufenthalts und des kurz bevorstehenden Mittelschulabschlusses nicht gelungen. Seine beiden Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, seien zu ihrem Wohl nicht auf die Anwesenheit des Klägers angewiesen. Zu seinem älteren Kind habe der Kläger gegenwärtig keinen Kontakt mehr. Das jüngere Kind sei erst nach der Inhaftierung geboren worden. Er sehe es nur besuchsweise. Auch ein längerer Auslandsaufenthalt des Klägers bewirke für die Kinder keine grundlegende Umwälzung der bisherigen Lebensbedingungen. Der Kläger könne auf moderne Kommunikationskanäle zurückgreifen und regelmäßige Betretenserlaubnisse erwirken. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei rechtmäßig, da es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG fehle. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf zuletzt vier Jahre sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung bringt der Kläger vor, das Gericht sei zu Unrecht von einer hinreichend konkreten Wahrscheinlichkeit für eine erneute Begehung schwerer Straftaten, insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, ausgegangen. Die erste Verurteilung des Klägers wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln stamme aus dem Jahr 2009. Die zweite Verurteilung sei erst sechs Jahre später, am 30. April 2015, erfolgt. An einer konkreten Wiederholungsgefahr fehle es jedenfalls dann, wenn der Betroffene seine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens bei Therapieende glaubhaft gemacht habe. Abzustellen sei insoweit auf den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Derzeit sei der Erfolg der Therapie absehbar. Nach Abschluss der Therapie trete eine Nachsorgestufe ein, der Kläger werde engmaschig auf Drogen getestet und habe auch weitere Auflagen zu erfüllen. Es sei davon auszugehen, dass der erfolgreiche Abschluss der Therapie noch vor Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgewiesen werden könne. Des Weiteren habe das Gericht bei der Prüfung der gewichtigen Bleibeinteressen vollkommen verkannt, dass der Berufungskläger die Personenfürsorge für sein minderjähriges deutsches Kind P. ausübe. Die Aussage, dass auch ein längerer Auslandsaufenthalt des Klägers für das Kind keine grundlegende Umwälzung der bisherigen Lebensbedingungen bewirke, treffe nicht zu. Mittlerweile könne der Kläger seinen Sohn auch außerhalb der Klinik sehen, weil er am Wochenende die Klinik an einem Tag verlassen dürfe. Er führe an diesen Tagen ein Familienleben mit seiner Lebenspartnerin und dem Kind. Die endgültige Trennung des Sohnes vom Kläger würde einen schwerwiegenden Eingriff in dessen Persönlichkeitsentwicklung darstellen. Das Bleibeinteresse des Klägers, das sich aus seinem Personensorgerecht für seinen Sohn P. ergebe, stelle einen durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten gewichtigen familiären Belang dar, der bei der einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers zu berücksichtigen sei. Ferner habe der Kläger inzwischen auch einen Mittelschulabschluss mit sehr guten Noten erworben.

Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe wegen seines persönlichen Verhaltens gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Bei der zu treffenden Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, B. v. 11.7.2016 - 10 ZB 15.837 -juris Rn. 13 m. w. N.).

Insoweit ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger wiederholt einschlägig straffällig geworden ist und die dem Urteil vom 30. April 2015 zugrunde liegenden Straftaten nicht zu seiner erstmaligen Inhaftierung führten. Vielmehr wurde die zunächst gewährte Bewährung für die mit Urteil vom 21. Oktober 2009 verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten widerrufen. Der Kläger befand sich deshalb bereits vom 29. September 2011 bis zum 10. November 2012 in Strafhaft. Neben den Betäubungsmitteldelikten liegen auch zwei strafrechtliche Verurteilungen wegen Diebstahls vor. Die gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch das Verhalten des Klägers besteht fort. Er absolviert zwar derzeit eine Drogentherapie, die einen positiven Verlauf nimmt. Gerade bei Straftaten, die auf der Suchterkrankung eines Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs aber von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (BayVGH, U. v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m. w. N.). Da sich der Kläger bislang nicht außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren musste, kann trotz des erfolgreichen Verlaufs der Therapie derzeit nicht von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil er bereits seit seinem 16. Lebensjahr Betäubungsmittel konsumiert und auch nach einer zweijährigen Abstinenzphase im Sommer 2013 wieder mit dem Kokainkonsum begonnen hat. Ferner besteht bei ihm offensichtlich eine noch nicht therapierte Spielsucht. Laut Bericht des Isar-Amper-Klinikums vom 12. Januar 2016 hat der Kläger angegeben, dass er seit seinem 18. Lebensjahr praktisch täglich Spielhallen besucht habe, um dort an Automaten zu spielen. Die Schulden aus seiner Spielsucht habe er durch den Handel mit Kokain ausgeglichen. Kokain habe er konsumiert, um die praktisch täglichen Spielexzesse durchzuhalten. Ohne erfolgreiche therapeutische Behandlung der Spielsucht ist trotz des bisher erfolgreichen Verlaufs der Drogentherapie hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger sich wieder dem Betäubungsmittelhandel zuwenden wird, um seine Spielsucht zu finanzieren, selbst wenn er selbst keine Drogen mehr konsumieren sollte.

Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass er aufgrund des persönlichen Umgangs mit seinem zweiten Sohn P. ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG geltend machen könne, trifft nicht zu. Dies hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde gelegt (S. 11 UA).

Auch wenn bei der vom Gesetzgeber vorgebenen typisierenden Betrachtungsweise diesem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse nur ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG gegenüber steht, ist bei der nach § 53 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung das Bleibeinteresse des Klägers angesichts der nach wie vor bestehenden erheblichen Wiederholungsgefahr und der Wertigkeit des gefährdeten Rechtsguts nachrangig, auch wenn die Ausweisung des Klägers eine Unterbrechung des persönlichen Kontakts zu seinem kleinen Sohn zur Folge hat und er diesen inzwischen aufgrund der Lockerungen im Maßregelvollzug häufiger sieht als dies zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts der Fall war. Der persönliche Kontakt zu seinem Sohn beschränkte sich nach dessen Geburt bis zur Haftentlassung des Klägers auf seltene, kurze Besuche in der Justizvollzugsanstalt. Ein regelmäßiger mehrstündiger Kontakt ist erst nach Erreichen der Lockerungsstufen im Rahmen der Therapie möglich geworden. Ein Familienleben, das über Besuchskontakte im geschützten Bereich hinausgeht, findet erst statt, seit der Kläger die Einrichtung am Wochenende für einen Tag verlassen kann. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine vorübergehende Einstellung dieser persönlichen Kontaktmöglichkeiten dem Wohl des kleinen Kindes schaden würde, ergeben sich angesichts des von Anfang an eingeschränkten persönlichen Besuchskontakts aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Einen maßgeblichen Erziehungsbeitrag konnte der Kläger bislang aufgrund des Aufenthalts in der Justizvollzugsanstalt und im Maßregelvollzug nicht leisten. Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Sohn des Klägers bereits zwei Jahre alt ist, so dass eine telefonische Kontaktaufnahme möglich ist. Ferner hat sie die Erteilung von Betretenserlaubnissen in Aussicht gestellt. Sollte die Entwicklung des Klägers auch nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug weiterhin positiv verlaufen, so verbleibt ihm die Möglichkeit, die Verkürzung der Sperrfrist für eine Wiedereinreise von derzeit vier Jahren zu beantragen.

Bezüglich der Länge der Wiedereinreisesperre sowie der Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis fehlt es an der Darlegung eines Zulassungsgrundes.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 18. Februar 1992 in der Ukraine geborene Kläger wuchs bis 2001 in seinem Heimatstaat auf, wo er die Grundschule bis zur zweiten Klasse besuchte. Im Oktober 2001 reiste er zusammen mit seiner Mutter, einer Halbschwester, den Großeltern und seiner Urgroßmutter als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland ein und erhielt hier auf Antrag am 6. November 2001 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht verließ der Kläger am Ende der achten Klasse die Hauptschule ohne Schulabschluss. Von März bis August 2009 und vom 14. September 2009 bis 26. Januar 2010 absolvierte er Berufsbildungs- bzw. Ausbildungsmaßnahmen, die er jedoch jeweils wieder abbrach.

Ab September 2004 trat der Kläger vielfach strafrechtlich in Erscheinung, unter anderem wegen Diebstahls, teilweise in besonders schwerem Fall, wegen mehrerer Körperverletzungsdelikte, wegen Leistungserschleichung, schwerer Körperverletzung sowie gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11. Mai 2006 wurde er wegen vorsätzlicher Körperverletzung verwarnt. Die gleichzeitig verhängte Auflage von Arbeitsleistungen wurde später wegen Nichterfüllung in eine Woche Ungehorsamsarrest umgewandelt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 25. Januar 2007 wurden gegen den Kläger wegen Diebstahls zwei Freizeitarreste verhängt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 3. Mai 2007 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in drei sachlich zusammentreffenden Fällen, in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung, sachlich zusammentreffend mit gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung, rechtlich zusammentreffend mit gemeinschaftlicher Körperverletzung, in Tatmehrheit mit Diebstahl, sachlich zusammentreffend mit Urkundenfälschung zu einer Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 14. Juli 2008 wurde der Kläger wegen Nötigung, sachlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Körperverletzung, in Tateinheit mit gemeinschaftlichem Raub, in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 3. Mai 2007 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dieses Urteil wurde mit Urteil des Landgerichts Augsburg - Jugendkammer - vom 19. Januar 2009 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die verhängte Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg - Jugendschöffengericht - vom 3. Mai 2010 wurde der Kläger wegen Leistungserschleichung in zwei selbstständigen Fällen in Tatmehrheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Landgericht Augsburg vom 19. Januar 2009 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 28. November 2011 wurde gegen den Kläger wegen Diebstahls in zehn tatmehrheitlichen Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Augsburg vom 3. Mai 2010 eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten verhängt. Die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt (nach Vollstreckung einer Jugendstrafe von einem Monat) wurde gleichzeitig angeordnet. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, der Kläger habe trotz mehrerer, auch einschlägiger Verurteilungen und nach dem Vollzug eines Teils einer Jugendstrafe nicht davon abgelassen, Straftaten zu begehen und weiter Drogen zu konsumieren. Laut Auskunft des Gutachters werde er auch in Zukunft mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit mit Straftaten in Erscheinung treten, wenn er seine Drogenabhängigkeit (Heroin) nicht durch eine Therapie in den Griff bekomme. Die bei ihm vorliegenden schädlichen Neigungen seien offen zutage getreten. Der Kläger habe das Diebesgut jeweils umgehend dazu verwendet, sich Drogen zu beschaffen. Mehrere ihm eingeräumte Bewährungschancen habe er nicht nutzen können.

Ab 28. Dezember 2011 befand sich der Kläger im Rahmen seiner Unterbringung in einer stationären Therapie, wo es jedoch zu zwei Drogenrückfällen und einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem Mitpatienten kam.

Mit Bescheid vom 28. September 2012 wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Dieser Bescheid wurde durch die Beklagte nach einem gerichtlichen Hinweis auf einen möglichen Rechtsfehler im Hinblick auf das Regel-/Ausnahmeverhältnis wieder aufgehoben, das dagegen anhängige Klageverfahren (Au 1 K 12.1396) daraufhin mit Beschluss vom 14. Februar 2013 eingestellt.

Nachdem zunächst mit Beschluss des Amtsgerichts Neumarkt i.d. OPf. vom 26. September 2012 die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt aufgrund mehrerer festgestellter Regelverstöße für erledigt erklärt worden war, ordnete das Landgericht Nürnberg-Fürth - Jugendkammer I - mit Beschluss vom 6. Dezember 2012 unter Aufhebung dieses Beschlusses die Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt an. Mit Beschluss vom 26. Februar 2013 erklärte das Amtsgericht Deggendorf schließlich die durch das Amtsgericht Bamberg mit Urteil vom 28. November 2011 angeordnete Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt für erledigt. Der noch nicht verbüßte Rest der gegen den Kläger verhängten Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten wurde dabei nicht zur Bewährung ausgesetzt. Grund für diese Erledigterklärung waren erneute Rückfälle und Regelverstöße des Klägers sowie eine bei ihm nicht mehr auszumachende Therapiemotivation, weshalb eine weitere Therapie als aussichtslos angesehen wurde.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2013 wies die Beklagte den Kläger (erneut) aus dem Bundesgebiet aus (Nr. 1.), befristete die Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre fünf Monate (Nr. 2.) und drohte ihm die Abschiebung in die Ukraine an (Nr. 3. und 4.). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, mit der Verurteilung vom 28. November 2011 zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten sei der zwingende Ausweisungstatbestand nach § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Der Kläger genieße nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Daher werde gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die zwingende Ausweisung zu einer Regelausweisung herabgestuft. Schwerwiegende Gründe im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG seien in seinem Fall gegeben, da insbesondere aufgrund seines bisherigen Verhaltens, der von ihm begangenen Straftaten sowie des Umstands, dass auch künftig weitere schwere Straftaten von ihm zu befürchten seien, vom Kläger eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt liege zwar weder hinsichtlich der bei ihm abgeurteilten Straftaten noch bezüglich seiner familiären Umstände vor. Im Hinblick auf die Bedeutung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei jedoch gleichwohl eine individuelle Würdigung der Belange des Klägers vorzunehmen. Die Ausweisung werde daher im Rahmen des Ermessens verfügt. Die Ausweisung sei auch unter Beachtung des § 55 Abs. 3 AufenthG ermessensgerecht. Sie sei sowohl aus spezial- wie auch aus generalpräventiven Gründen erforderlich und zulässig, um weitere Straftaten, die die Grundinteressen der Gesellschaft berührten, zu verhindern. Unzweifelhaft stelle das Verhalten des Klägers eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Im Hinblick auf seine strafrechtlichen Verurteilungen, das derzeit noch laufende Betrugsverfahren und den Therapieabbruch sei festzustellen, dass auch die Haft und der Maßregelvollzug keine erzieherische Wirkung erzielt hätten und der Kläger deshalb auch künftig ein sucht- und strafdeliktsgeprägtes Leben führen werde. Der Kläger habe sich über lange Jahre hinweg als Bewährungsversager erwiesen. Die Rückfallneigung zur Begehung erneuter Straftaten sei bei ihm extrem hoch. Die Tatsache, dass er weder die Schule noch eine Ausbildung abgeschlossen habe, komme insoweit erschwerend hinzu. Mit der Ausweisung solle aber auch anderen Ausländern deutlich vor Augen geführt werden, dass gerade Verurteilungen wegen Straftaten, wie sie der Kläger begangen habe, die Beendigung des Aufenthalts in Deutschland zur Folge hätten. Die Ausweisung verstoße nicht gegen Art. 8 EMRK und Art. 6 GG. Der Kläger habe sich in der Bundesrepublik weder sozial noch wirtschaftlich integrieren können. Die Sprache seines Herkunftslandes beherrsche er nach wie vor gut. Er sei volljährig. Seine familiäre Bindung zur Mutter und zur Halbschwester dürfte auch gemessen an den Besuchen in der Justizvollzugsanstalt keine besonders feste mehr sein. Eine räumliche Trennung sei dem Kläger nach alledem zumutbar. Die verfügte Sperrfrist von 5 Jahren 5 Monaten sei verhältnismäßig.

Auf die hiergegen erhobene Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre zu befristen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Ausweisungsentscheidung der Beklagten sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die angestellten Ermessenserwägungen seien ausgehend von dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmen nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe sich nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen und die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte vertretbar gewichtet. Die Ausweisung sei auch mit Art. 8 EMRK vereinbar. Sie stelle im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben des Klägers dar. Der Kläger habe zwar die Hälfte seines Lebens in der Bundesrepublik verbracht und mittlerweile in der Haft einen Schulabschluss nachgeholt. Er sei noch vergleichsweise jung und nicht sehr hafterfahren. Die näheren Verwandten des Klägers lebten alle in Deutschland. Andererseits habe der Kläger neun Jahre in der Ukraine gelebt, dort die Schule besucht. Er sei jedenfalls in bestimmtem Umfang mit den dortigen Lebensumständen vertraut, beherrsche die russische Sprache und werde nach Auffassung des Gerichts in der Lage sein, sein Leben in der Ukraine problemlos zu gestalten. Der Kläger sei nach wie vor drogenabhängig. Er habe seit seinem 13. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert, später seien Cannabis und ab 2009 auch Opiate und Heroin dazugekommen. Die massive Suchtproblematik mit all ihren Begleitumständen sei nach wie vor unverändert. Eine begonnene Drogentherapie habe der Kläger abgebrochen. Ganz erheblich seien die vom Kläger begangenen Straftaten zu gewichten. In den Strafurteilen fänden sich fortlaufend negative Bewertungen hinsichtlich einer Sozialprognose beim Kläger. Auch in der Haft sei der Kläger negativ in Erscheinung getreten. Dagegen habe die Klage teilweise Erfolg, soweit sie inzident auf die Verkürzung der Sperrfrist gerichtet sei. Ausgehend von den genannten Umständen erscheine der Kammer vorliegend eine Frist von vier Jahren als angemessen und ausreichend.

Mit seiner durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juli 2014 zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig, da die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen ausgehend von dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmen fehlerhaft seien und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt werde. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beklagte sämtliche Umstände, die zugunsten des Klägers für dessen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprächen, erkannt und in die Entscheidung eingestellt habe. Dem Kläger sei es in der Haft gelungen, den Schulabschluss zu erlangen. Es sei auch nicht zutreffend, dass er sich bis heute in keiner Weise mit seiner Drogenproblematik auseinandergesetzt habe. Er habe in der Justizvollzugsanstalt an diversen Sitzungen der Drogenberatung teilgenommen und sei willens und bemüht, im Anschluss an die Haft eine weitere stationäre Therapie durchzuführen. Ihm sei jedoch weder in der Maßregeleinrichtung noch in der Justizvollzugsanstalt eine wirkliche Therapiechance eingeräumt worden. Dies sei eine gegen das Diskriminierungsverbot verstoßende Benachteiligung und mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 22.3.2012 - Rangelov) und des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren. Der Kläger habe eine intensive Beziehung zu seiner Mutter und seiner Schwester. Zwischen der gesamten Familie bestehe ein guter Zusammenhalt. Der Kläger sei faktischer Inländer und habe keinen kulturellen oder sozialen Bezug mehr zum Heimatstaat. Nach alledem verstoße die Ausweisungsentscheidung gegen Art. 8 EMRK.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. Dezember 2013 den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2013 in der mit Schriftsatz der Beklagten vom 13. Oktober 2014 geänderten bzw. ergänzten Form aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 führte sie aus, die Klage des Klägers sei unbegründet, da der angefochtene Bescheid auch derzeit noch rechtmäßig sei. Die Ermessenserwägungen im streitbefangenen Bescheid vom 17. Juni 2013 würden gemäß § 114 Satz 2 VwGO nachträglich wie folgt ergänzt: Die vom Kläger angeführten Belange seines Privatlebens in der Bundesrepublik Deutschland seien nicht so gewichtig, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers demgegenüber zurücktreten müsste. Der Kläger könne sich zwar darauf berufen, dass er seit etwa zwölf Jahren in Deutschland lebe und seine näheren Verwandten ebenfalls hier lebten. Er sei jedoch inzwischen volljährig und weder auf existenzielle Betreuungsleistungen durch seine Verwandten angewiesen, noch müsse der Kläger für seine Angehörigen solche Leistungen erbringen. Dem teilweisen Aufwachsen des Klägers im Bundesgebiet stehe entgegen, dass ihm eine tatsächliche Integration in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht gelungen sei. Er habe eine Vielzahl an Straftaten begangen und sei zuletzt (erneut) durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg - Jugendschöffengericht - vom 20. Februar 2014, im Rechtsfolgenausspruch abgeändert durch Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. Juni 2014, wegen Urkundenfälschung, Betrugs in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung, und des versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer (weiteren) Einheitsjugendstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Zwar habe der Kläger nunmehr einen einfachen Hauptschulabschluss erreicht. Dies verändere die Gewichtung der für den Kläger streitenden Umstände jedoch nur unwesentlich. Abgesehen von seinem Schulabschluss habe der Kläger sich auch in der Haft nicht beanstandungsfrei und vollzugskonform verhalten. Er sei vielmehr erheblich disziplinarisch und strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auch die Justizvollzugsanstalt gehe davon aus, dass der Kläger tief in die kriminelle Subkultur verstrickt sei und keine Bereitschaft zeige, sich von diesem subkulturellen Milieu zu lösen. Zudem bestünden - wie bisher - äußerst gewichtige general- und spezialpräventive Gründe für die Ausweisung. Der Kläger habe zuletzt mit seinem Untertauchen nochmals deutlich gemacht, dass er sich nicht an die Rechtsordnung der Bundesrepublik halte. Die Aufenthaltsbeendigung erweise sich bei einer Gesamtabwägung aller für und gegen den Kläger sprechenden Belange auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als verhältnismäßig.

Mit Schreiben jeweils vom 1. Januar 2015 teilte der Kläger noch mit, er sei nach wie vor unter der Adresse in Augsburg gemeldet und dort wohnhaft. Am 16. Dezember 2014 sei er dort von der Polizei angetroffen und festgenommen worden. Ab dem 16. Januar 2015 befinde er sich wieder in der JVA Ebrach in Haft. Er bereue seine Fehler in der Vergangenheit zutiefst, habe 2010 vor seiner Verurteilung mit der Polizei kooperiert und gegen die Mittäter ausgesagt. Die Therapie im Bezirkskrankenhaus habe er letztlich unter dem Druck dort anwesender früherer Mittäter wieder abgebrochen. Er habe für seine Straftaten mit der Haft bezahlt. Dort habe er erfolgreich einen Schulabschluss mit einem Durchschnitt von 1,5 nachgeholt. Er würde später gerne eine Ausbildung als Metallbauer beginnen. Er habe sich inzwischen grundlegend geändert und sei entschlossen, ein neues bürgerliches Leben zu führen. Dies wäre jedoch zerstört, falls er in ein Land zurück müsste, mit dem er sein ganzes Leben lang nichts zu tun gehabt habe. Er spreche kein Ukrainisch und sei in der Ostukraine geboren, wo derzeit Bürgerkrieg herrsche. Als jüdischer Flüchtling hätte er dort keine Chance, zumal er dort keine Verwandten mehr habe. Er sei in Deutschland groß geworden und fühle sich als deutscher Staatsbürger. Es sei noch nicht zu spät, sein Leben komplett zu ändern. Einen Verstoß gegen die Führungsaufsicht habe er nicht begangen. Dass er sich zeitweilig auf der Flucht befunden habe, sei weder strafbar noch liege darin ein Verstoß gegen die Führungsaufsicht.

Die Beklagte teilte mit, der Kläger sei am 16. Dezember 2014 in Augsburg festgenommen worden und befinde sich nun wieder zur Verbüßung der 9-monatigen Freiheitsstrafe in Haft. Das Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen die Führungsaufsicht sei noch offen.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2015 übermittelte der Kläger einen Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 13. Januar 2015, mit dem dessen Haftbefehl vom 15. Dezember 2014 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben worden war.

Auf Antrag des Klägers mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 23. Januar 2015 hat der Senat dem Kläger mit Beschluss vom 26. Januar 2015 für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und seinen Prozessbevollmächtigten beigeordnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, die Behördenakte sowie die beigezogenen Strafakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klage des Klägers auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 17. Juni 2013 in der mit Schriftsatz der Beklagten vom 13. Oktober 2014 geänderten bzw. ergänzten Form ist unbegründet. Auch wenn man das im Berufungsverfahren verfolgte Rechtsschutzbegehren des Klägers dahin versteht (§ 88 VwGO), dass er neben der Anfechtung der Ausweisungsverfügung hilfsweise die Festsetzung einer (noch) kürzeren als der vom Verwaltungsgericht im Urteil vom 17. Dezember 2013 bestimmten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG begehrt, ist seine Klage unbegründet.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger (wohl) hilfsweise begehrten Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts (st. Rspr. des BVerwG; vgl. U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 12 m. w. N.).

1. Die im streitbefangenen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1.1. Der Kläger hat durch seine rechtskräftige Verurteilung durch das Amtsgericht Bamberg vom 28. November 2011 wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten den Tatbestand einer zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 1. Alt. AufenthG erfüllt.

1.2. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der streitbefangenen Ausweisungsverfügung im Besitz einer ihm am 6. November 2001 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fort galt, und er sich auch seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, genießt er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Ein flüchtlingsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 1 Abs. 1 HumHAG bzw. Art. 33 GFK und damit besonderer Ausweisungsschutz (auch) nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG steht ihm dagegen nicht zu. Denn als jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion kann er sich jedenfalls seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes allein aufgrund seiner Aufnahme nicht auf das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot (Refoulement-Verbot) berufen (BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 3.11 - juris Ls. 2 u. Rn. 17 ff.). Der besondere Ausweisungsschutz Minderjähriger und Heranwachsender nach § 56 Abs. 2 AufenthG greift hier ebenfalls nicht, weil der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung das 21. Lebensjahr vollendet hatte und im Übrigen - insoweit zulasten des Klägers - ohnehin auf den für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts abzustellen wäre (s.o.; vgl. auch Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, AufenthG, § 56 Rn. 25).

1.3. Demgemäß kann der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, die nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG u. a. in den Fällen des § 53 AufenthG in der Regel vorliegen. Die Beklagte und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass die gesetzliche Regelvermutung des Vorliegens schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG im konkreten Fall nicht widerlegt ist. Schon mit Blick auf die zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers, die diesen zugrunde liegenden, teilweise schwerwiegenden Vermögens- und Gewaltdelikte, die Umstände ihrer Begehung sowie die beim Kläger nach wie vor unbewältigte massive Drogensucht (neben Alkohol vor allem auch Heroin) liegt eine hinreichend wahrscheinliche Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2004 - 1 C 25.03 - juris Rn. 16) auf der Hand. Gerade bei Straftaten, die auch auf der Suchterkrankung eines Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (z. B. BayVGH, B.v. 21.2.2014 - 10 ZB 13.1861 - juris Rn. 6 m. w. N.). Die hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung gleichartiger Straftaten wurde im Übrigen auch von den Strafgerichten, zuletzt von der Jugendkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth im rechtskräftigen Urteil vom 5. Juni 2014, insbesondere unter Hinweis auf zuvor bereits mehrfach verhängte Jugendstrafen, in offener Bewährung begangene erneute Straftaten und die erfolglose Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt festgestellt. Für eine, wie der Kläger zuletzt geltend gemacht hat, entscheidende Zäsur in seinem Leben, nach der er künftig alles besser machen will, fehlen abgesehen von seinen diesbezüglichen Beteuerungen jegliche nachvollziehbare Anhaltspunkte. Zudem hat die Beklagte aufgrund der schwerwiegenden Straftaten des Klägers, der dadurch verletzten Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit Dritter (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie der Umstände ihrer Begehung auch generalpräventiv in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ein dringendes Bedürfnis festgestellt, über die strafrechtlichen Sanktionen hinaus durch Ausweisung des Klägers andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten.

1.4. Liegen demnach beim Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, wird er gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel ausgewiesen. Im Rahmen der gebotenen Überprüfung, ob ein Ausnahmefall von der Regelausweisung vorliegt, hat die Beklagte im Hinblick auf die Grundsätze in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 23. Oktober 2007 (1 C 10.07 - juris) unter Berücksichtigung der durch höherrangiges Recht (Art. 2 Abs. 1 GG) und Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) geschützten Belange des Klägers insbesondere auf Achtung seines Privat- und Familienlebens einen Ausnahmefall und damit die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung angenommen und die streitbefangene Ausweisung nach Ermessen verfügt. In diesem Fall fehlt den Ausweisungsgründen jedoch nur das von vornherein ausschlaggebende Gewicht, das ihnen der Gesetzgeber im Regelfall zugemessen hat (BVerwG, U.v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - juris Rn. 27).

1.5. Die von der Beklagten zur Ausweisung des Klägers zuletzt in ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 angestellten und nach § 114 Satz 2 VwGO teilweise nachgeschobenen und ergänzten Ermessenserwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung (s. § 114 Satz 1 VwGO, Art. 40 BayVwVfG) stand.

1.5.1. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist die im Berufungsverfahren erfolgte Ergänzung der Ermessenserwägungen durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 gemäß § 114 Satz 2 VwGO zu berücksichtigen. Nach der genannten Bestimmung dürfen auch nachträgliche Ermessenserwägungen der Behörde in die gerichtliche Nachprüfung der im Ermessensweg verfügten Ausweisung einbezogen werden. Die Beklagte hat ihre nachträglichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren auch in der gebotenen Form (schriftlich) geltend gemacht und hinreichend klar und eindeutig zu erkennen gegeben, mit welcher Begründung und welchen (neuen) Ermessenserwägungen sie ihre Ausweisungsverfügung aufrecht erhält (zur Ergänzung der Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14.10 - juris Rn. 8 ff. u. 18).

1.5.2. Die Beklagte hat alle für ihre Ermessensentscheidung wesentlichen Umstände und insbesondere die gemäß § 55 Abs. 3 AufenthG zu beachtenden Kriterien berücksichtigt und im Hinblick auf die durch höherrangiges Recht (Art. 2 Abs. 1 GG) und Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) geschützten Belange des Klägers, insbesondere dessen Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie den Grundsatz des Vertrauensschutzes beachtet. Sie hat die für einen Verbleib des Klägers sprechenden Belange gesehen und insbesondere die im Alter von knapp zehn Jahren erfolgte Einreise ins Bundesgebiet, den 12-jährigen rechtmäßigen Aufenthalt mit einem von Anfang an unbefristeten Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet (als jüdischer Kontingentflüchtling aus der ehemaligen Sowjetunion), das noch relativ jugendliche Alter des Klägers, seine familiären und persönlichen Bindungen in Deutschland und - nach den insoweit aber im Verfahren teilweise widersprüchlichen Angaben des Klägers - fehlenden familiären und verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkten in der Ukraine gewürdigt. Die Beklagte hat nunmehr auch in ihre Ermessenserwägungen eingestellt, dass der Kläger während der Haft mit dem Hauptschulabschluss einen Bildungsabschluss erreicht und nach dem entsprechenden Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt mit großer Motivation am Lehrgang teilgenommen hat, um sich dadurch auf die Zeit nach dem Strafvollzug im Sinne einer Resozialisierung vorzubereiten.

Die Beklagte hat den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und das teilweise Heranwachsen des Klägers im Bundesgebiet jedoch deshalb nicht als besonders gewichtigen Belang angesehen, weil dem Kläger in dieser Zeit eine tatsächliche Integration in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht gelungen ist. Dabei hat die Beklagte auch berücksichtigt, dass der Kläger als aufgenommener jüdischer Kontingentflüchtling aus der ehemaligen Sowjetunion von Anfang an eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hat und dieser unbefristete Aufenthaltstitel nicht etwa dem Integrationsgrad des Klägers geschuldet war. Den nach Angaben des Klägers engen familiären Bindungen an seine in Deutschland lebenden Angehörigen - Mutter, Halbschwester, Großvater und zwei Neffen - hat die Beklagte kein entscheidendes Gewicht beigemessen, weil der Kläger zum einen volljährig ist und zum anderen weder der Kläger auf existenzielle Betreuungsleistungen seiner Familie noch umgekehrt seine Familie auf solche Leistungen des Klägers angewiesen ist. Die Beklagte hat weiter berücksichtigt, dass der Kläger zwar nicht die ukrainische Sprache, aber jedenfalls so gut Russisch beherrscht, dass er sich in der Ukraine verständlich machen und dort zurechtfinden kann, auch wenn er dort nach seinen eigenen Angaben über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte mehr verfügt. Die Beklagte ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger in der Ukraine als Kind Russisch gelernt und diese Sprache auch nach der Einreise nach Deutschland als Umgangssprache jedenfalls in der Familie weiter genutzt hat. Dass dem Kläger die Kultur und die Mentalität der Menschen seines Herkunftslandes noch nicht (völlig) fremd sind, hat die Beklagte unter anderem auch aus den intensiveren Kontakten des Klägers während seiner letzten Haft vor allem zu Mitgefangenen aus den ehemaligen GUS-Staaten gefolgert. Demgemäß ist die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss gelangt, trotz möglicherweise fehlender familiärer Bindungen in der Ukraine stelle sich für den voll erwerbsfähigen und keiner politischen Verfolgung ausgesetzten Kläger höchstens das lösbare Problem, dass seine Eingewöhnung in die ukrainischen Lebensumstände schwierig sein werde.

1.5.3. Dem privaten Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet und bei seiner Familie, das nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK (zum Schutz der Beziehung junger Erwachsener, die wie der Kläger noch keine eigene Familie gegründet haben, zu den Eltern auch als Familienleben i. S. d. Art. 8 EMRK vgl. EGMR, U.v. 23.6.2008 - 1638/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333) auch grundrechtlich und völkerrechtlich geschützt ist, hat die Beklagte das besondere öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers gegenübergestellt, das sich vor allem aus der beim Kläger bestehenden konkreten Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten, daneben aber aus der Notwendigkeit der Abhaltung anderer Ausländer von Straftaten ähnlicher Schwere ergibt. Die Beklagte hat dabei darauf abgestellt, dass der Kläger seit seinem 12. Lebensjahr kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten und mehrfach wegen schwerer (Gewalt-)Straftaten wie vorsätzlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung verurteilt worden ist. Auch nach seiner Volljährigkeit habe der Kläger weiter eine erhebliche Reihe von Straftaten begangen, von einem jugendtypischen Augenblicksversagen könne jedenfalls nicht gesprochen werden. Den Kläger habe auch die Verbüßung von Jugendarresten bzw. später Strafhaft nicht beeindruckt. Er habe bei seinen Taten jeweils erhebliche kriminelle Energie gezeigt. Die Rückfallgeschwindigkeit des Klägers sei zudem erheblich. Nicht einmal ein Jahr nach seiner Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten sei der Kläger erneut, noch dazu im Maßregelvollzug, straffällig geworden und deshalb wegen Urkundenfälschung und Betrugs sowie versuchten Betrugs zu weiteren neun Monaten Einheitsjugendstrafe verurteilt worden. Auch in der Haft sei der Kläger erheblich disziplinarisch und sogar strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er habe unerlaubte Gegenstände im Besitz gehabt, einen Bediensteten der Justizvollzugsanstalt massiv beleidigt und auf einen Mitgefangenen mittels eines hergestellten Schlagwerkzeugs eingeschlagen. Schließlich habe der Kläger ein unbewältigtes Drogen- und Alkoholproblem, das jedenfalls mitursächlich für seine zahlreichen Straftaten gewesen sei. Nicht zuletzt habe sich der Kläger bis zu seiner Verhaftung im Dezember 2014 einer neuerlichen Haft durch Untertauchen bzw. Flucht entzogen.

1.5.4. Diese alle erheblichen Umstände berücksichtigenden Erwägungen der Beklagten lassen keine Fehlgewichtungen erkennen und sind gemessen an den Grundsätzen des § 114 Satz 1 VwGO rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist danach die Ausweisung des Klägers auch mit den verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vereinbar und stellt, wie auch das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, bei der gebotenen Abwägung des öffentlichen Interesses an der Ausweisung mit den privaten Interessen des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das geschützte Privat- und Familienleben des Klägers dar. Auch auf Vertrauensschutz im Hinblick auf die mit Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2013 erfolgte Rücknahme ihrer zuvor mit Bescheid vom 28. September 2012 verfügten Ausweisung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Denn die allein aufgrund eines rechtlichen Hinweises des Verwaltungsgerichts (zum Regel-/Ausnahmeverhältnis) im laufenden Verwaltungsstreitverfahren erfolgte Rücknahme steht dem Erlass einer neuen Ausweisungsverfügung - nunmehr im Ermessensweg - nicht entgegen; ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers dahingehend, dass er aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilungen nicht mehr ausgewiesen wird, wurde jedenfalls nicht begründet.

Auch der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, er habe schon seit mehreren Jahren eine aus Augsburg stammende 22-jährige Verlobte, ändert im Übrigen nichts an dieser Interessenabwägung und dem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausweisung.

1.5.5. Mit der Rüge, als „jüdischer Flüchtling habe er in der Ukraine keine Chance“, zumal seine Geburtsstadt Kriwoj Rog in der Ostukraine und damit mitten im Bürgerkriegsgebiet liege und schon unter Beschuss geraten sei, macht der Kläger (wohl) Gründe für eine Aussetzung seiner Abschiebung geltend, die gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG gegebenenfalls auch bei der Entscheidung über die Ausweisung zu berücksichtigen wären. Nach der in § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG genannten Bestimmung des § 60a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (Satz 1). Solche Gründe hat jedoch der Kläger mit seiner Rüge weder dargelegt noch sind sie für den Senat sonst ersichtlich. Zum einen hat die Beklagte die Abschiebung des Klägers in die Ukraine und nicht in die Ostukraine angedroht. Auch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger faktisch gezwungen wäre, in die Ostukraine und dort in die Bürgerkriegsgebiete zurückzukehren. Schließlich liegt, wie sich aus dem vom Vertreter des öffentlichen Interesses in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kartenausschnitt ohne weiteres ergibt, die Geburtsstadt des Klägers Kriwoj Rog nicht im derzeitigen Bürgerkriegsgebiet in der Ostukraine. Daher durfte die Beklagte bei ihren Ermessenserwägungen davon ausgehen, dass dem voll erwerbsfähigen und keiner politischen Verfolgung ausgesetzten Kläger eine Rückkehr in die Ukraine und Reintegration ungeachtet einer möglicherweise schwierigen Eingewöhnung und Anpassung an die dortigen Lebensverhältnisse zumutbar ist.

1.6. Der wohl auf die Rechtswidrigkeit der streitbefangenen Ausweisung zielende Einwand des Klägers, er werde als Ausländer in diskriminierender und damit gegen Art. 14 EMRK verstoßender Weise gegenüber anderen (inländischen) Inhaftierten in einer weitgehend gleichen Situation ungleich behandelt, weil ihm nicht die Möglichkeit zu einer Drogentherapie eröffnet worden sei bzw. werde, greift nicht durch. Denn für die Erfüllung der oben dargelegten Ausweisungsvoraussetzungen kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene Anspruch auf die Durchführung einer Drogentherapie hatte, diese aber nicht bewilligt und durchgeführt wurde (zur Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen und dem diesbezüglichen Einwand vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 19). Bei der Ausweisung nach den §§ 53 ff. AufenthG handelt es sich um eine sicherheitsrechtliche Maßnahme, die in Form eines Ausreisegebotes gegenüber einem Ausländer im Einzelfall ausgesprochen wird, weil dieser durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonst erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt (vgl. Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 1016). Selbst wenn der Kläger aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK einen Anspruch auf Durchführung einer Drogentherapie ableiten könnte (vgl. dazu aber im Folgenden), würde dadurch das gesetzliche Prüfprogramm für die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nicht etwa geändert oder überlagert.

Der Kläger beruft sich insoweit im Übrigen auch zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in dessen Entscheidung vom 22. März 2012 (Nr. 5123/07, Rangelov - InfAuslR 2012, 305), in der der Gerichtshof festgestellt hat, dass die im Hinblick auf eine bevorstehende Aufenthaltsbeendigung erfolgte Verweigerung einer Sozialtherapie für einen in Sicherungsverwahrung befindlichen ausländischen Staatsangehörigen, gegen den ein Ausweisungsbescheid ergangen war, eine letztlich objektiv nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellte. Der Fall des Klägers ist jedoch schon vom Ausgangspunkt nicht mit dem der Entscheidung des EGMR zugrunde liegenden Fall vergleichbar. Denn der Kläger war aufgrund einer nach § 64 StGB angeordneten Unterbringung ab 28. Dezember 2011 in einer stationären Drogentherapie, die nach zahlreichen Drogenrückfällen u. a. mit Heroin, Subutex und Spice und sonstigen Regelverstößen mit Beschluss des Amtsgerichts Neumarkt i.d. Opf. vom 26. September 2012 für erledigt erklärt, nach Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt mit Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. Dezember 2012 im Bezirksklinikum Mainkofen fortgesetzt und schließlich nach erneutem Drogenrückfall und weiteren Regelverstößen durch Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf vom 26. Februar 2013 endgültig für erledigt erklärt worden war. Zuletzt hatte der Kläger selbst am 24. Januar 2013 den Abbruch seiner Unterbringung beantragt. Entgegen den Einlassungen des Klägers zuletzt auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, Schwierigkeiten mit Mitinsassen hätten bei ihm zum Abbruch dieser Therapie geführt, ist in den Gründen der Entscheidung des Amtsgerichts Deggendorf unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bezirksklinikums ausgeführt, beim Kläger sei eine innerlich getragene Therapiemotivation nicht auszumachen und trotz der bislang erfolgten Therapie sei er nicht in der Lage gewesen, auch im Rahmen eines beschützenden Settings drogenfrei zu bleiben. Aus in der Person des Klägers liegenden Gründen sei eine weitere Therapie als aussichtslos zu beurteilen. Nach dieser Vorgeschichte und der durch die Fachklinik festgestellten Aussichtslosigkeit einer weiteren Therapie aus in der Person des Klägers liegenden Gründen kann dieser jedenfalls keine diskriminierende Ungleichbehandlung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EGMR geltend machen, selbst wenn ein (erneuter) Antrag auf Unterbrechung der Haft und Zuweisung eines Therapieplatzes abgelehnt worden sein sollte (vgl. die diesbezügliche Einlassung des Klägerbevollmächtigten, S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 2.2.2015).

Der weitergehende Einwand des Klägers, ihm sei „noch keinerlei wirkliche Therapiechance eingeräumt worden, obwohl er motiviert und therapiewillig sich von Anfang an gezeigt hat“, ist vor dem dargestellten Hintergrund nicht nachvollziehbar. Nicht durchgreifend ist deshalb schließlich der Einwand des Klägers, aus der - vom Kläger nicht näher bezeichneten - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich die Pflicht, während des Strafvollzugs ein auch für den Kläger geeignetes Therapieangebot und einen entsprechenden Behandlungsplan bereitzustellen (zu entsprechenden Anforderungen an die Sicherungsverwahrung vgl. etwa BVerfG, U.v. 4.5.2011 - 2 BvR 2333/08 u. a. - juris). Überdies wäre, worauf der Vertreter des öffentlichen Interesses in seiner Stellungnahme vom 29. April 2014 zu Recht hingewiesen hat, die Versagung einer solchen Maßnahme oder sonstigen Resozialisierungsmaßnahme eine selbstständige, in einem eigenen Rechtsweg angreifbare Entscheidung der Justizvollzugsanstalt (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2012 - 2 BvR 2015/12 - juris).

2. Der Kläger kann auch nicht die Festsetzung einer (noch) kürzeren als der vom Verwaltungsgericht im Urteil vom 17. Dezember 2013 bestimmten Sperrfrist (von vier Jahren) nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG beanspruchen. Ungeachtet der insoweit wenig aussagekräftigen Begründung des Verwaltungsgerichts kommt die Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist als vier Jahre unter Zugrundelegung der gesetzlichen Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG und der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris) im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats jedenfalls nicht in Betracht. Denn in der Person des Klägers besteht, wie oben dargelegt, nach wie vor die erhebliche Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten und damit auch für hochrangige Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch mit Blick auf die verfassungsrechtlichen- und völkerrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK) und die Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbot für die persönlichen Beziehungen und der Lebensführung des Klägers im Bundesgebiet kommt die Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist danach nicht in Betracht.

3. Schließlich ist auch die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung (s. §§ 58, 59 AufenthG) im streitbefangenen Bescheid rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.