Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 13. Feb. 2014 - L 17 U 380/09

bei uns veröffentlicht am13.02.2014

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tatbestand

Die Kläger begehren im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Anerkennung einer Krebserkrankung des verstorbenen M. A. (im Folgenden: V.) als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 551 Abs. 2 RVO (Reichsversicherungsordnung) sowie Hinterbliebenenleistungen.

Der 1959 geborene V. war von 1974 bis 1979 und wieder ab 1985 bis 1993 als Dreher und Schleifer bei der Firma K. B. AG beschäftigt und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten versichert. Mit Schreiben vom 05.12.1993 (Eingang bei der Beklagten am 08.12.1993) beantragte der Kläger die bei ihm ca. acht Wochen zuvor festgestellte schwere Krebserkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen. Im Rahmen eines stationären Aufenthalts im Kreiskrankenhaus L-Stadt im Oktober und November 1993 war ein metastasierendes Adenokarzinom des Colon ascendens mit Sigmaummauerung, Lebermetastasen, Dünndarmmetastasen und Peritonealkarzinose diagnostiziert worden. Am 20.12.1993 verstarb V. an den Folgen der Krankheit. Die Klägerin zu 1. ist die Witwe des V., die Kläger zu 2. (geb. 1983) und 3. (geb. 1988) sind die Söhne des V.

Am 14.02.1994 und am 22.03.1994 erfolgten Stellungnahmen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD, jetzt: Präventionsdienst) nach durchgeführter Arbeitsplatzanalyse. Es wurde u. a. festgestellt, dass V. während seiner Beschäftigung als Dreher an der Rundschleifmaschine eingesetzt war, bei der im Zeitraum 01.02.1987 bis 31.12.1987 der Kühlschmierstoff Frigilux 23 zur Verwendung kam. Dieser enthielt als für die Bildung von Nitrosamin relevante Inhaltsstoffe circa 18% Natriumnitrit sowie ca. 1% Diethanolamin als Verunreinigung. Es wurden eine Gewebeuntersuchung durch Dr. E. veranlasst, ein wissenschaftlich begründetes Zusammenhangsgutachten von Prof. Dr. R. vom 23.01.1995, ein wissenschaftlich-toxikologisches Gutachten von Dr. S. vom 15.05.1996 und ein arbeitsmedizinisches Fachgutachten von Professor Dr. N. vom 30.01.1997. Ferner wurde eine gewerbeärztliche Stellungnahme eingeholt.

Mit Bescheid vom 25.03.1997 (Widerspruchsbescheid vom 23.07.1997) stellte die Beklagte gegenüber den Klägern fest, dass bei V. zu Lebzeiten ein Dickdarmkarzinom bestanden habe, allerdings ein Anspruch auf Entschädigung wegen dieser Erkrankung nicht bestehe. Diese sei weder eine Berufskrankheit noch wie eine Berufskrankheit zu entschädigen. Es bestünde weder ein Anspruch der Klägerin zu 1. als Sonderrechtsnachfolgerin des V. auf die Gewährung einer Rente als Lebzeitanspruch noch der Kläger auf Hinterbliebenenleistungen.

Hiergegen erhoben die Kläger am 05.08.1997 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) (Verfahren S 5 U 259/97). In dem Verfahren wurde ein toxikologisches Gutachten des Professors Dr. Dr. B. vom 19.10.1999 eingeholt sowie eine Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zum Erkenntnisstand des Verordnungsgebers der Berufskrankheiten-Verordnung über einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und einer beruflichen Exposition gegenüber Nitrosaminen. Des Weiteren wurde auf Antrag der Kläger ein wissenschaftlich-toxikologisches Gutachten des Prof. Dr. E. vom 25.10.2001 eingeholt. Mit Urteil vom 27.06.2002 wies das SG die Klage ab, da die Vorraussetzungen für die Anerkennung der Erkrankung des V. als Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO nicht vorlägen. Es sei nicht mit der entsprechenden vollen Überzeugung nachzuweisen gewesen, dass bei der Berufsgruppe des V., die mit nitrosaminhaltigen Kühlmitteln in Berührung kommen, in erheblich höherem Grade als bei der übrigen Bevölkerung Krebserkrankungen im Sinne von Darmkarzinomen aufträten bzw. dass die Einwirkungen von Kühlschmiermitteln und/oder Nitrosaminen insbesondere des Nitrosamins N-Nitrosodie-thanolamin (NDELA) generell geeignet seien, Darmkrebs zu verursachen (Gruppentypik und Überhäufigkeit).

Hiergegen legten die Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) ein (Verfahren L 17 U 275/02). Das Gericht holte ein ärztliches Fachgutachten nach Aktenlage des Dr. S. vom 09.09.2003 mit ergänzender Stellungnahme vom 27.01.2004 ein. Auf Hinweis des damaligen Senatsvorsitzenden nahmen die Kläger in der öffentlichen Sitzung vom 25.07.2006 die Berufung zurück.

Am 09.11.2006 haben die Kläger bei der Beklagten Antrag auf Einzelfallentscheidung kombiniert mit einem Antrag nach § 44 SGB X gestellt. Mit Bescheid vom 21.12.2006 (Widerspruchsbescheid vom 18.04.2007) hat es die Beklagte abgelehnt, den Bescheid vom 25.03.1997 zurückzunehmen. Es bestünden keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Insbesondere seien am 18.12.1992, am 31.10.1997 und am 05.09.2002 unter Berücksichtigung der jeweils neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse Änderungen und Ergänzungen der Berufskrankheiten-Liste vorgenommen worden, ohne dass (Darmkrebs-)Erkrankungen durch Nitrosamine aufgenommen worden wären. Soweit in der Vergangenheit in zwei Fällen Darmkrebserkrankungen nach vermuteter Exposition gegenüber Nitrosaminen durch eine andere Berufsgenossenschaft als Berufskrankheit anerkannt worden seien, seien diese Anerkennungen Einzelfallentscheidungen geblieben.

Hiergegen haben die Kläger Klage zum SG erhoben. Auf Antrag der Kläger hat das Gericht Professor Dr. H. gutachtlich gehört. Mit Urteil vom 08.07.2009 hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 21.12.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2007 abgewiesen. Im Wesentlichen hat es sein Urteil darauf gestützt, dass bis zum heutigen Tage keine neuen medizinischen Erkenntnisse für eine gruppentypische Risikoerhöhung hinsichtlich Magenkarzinoms (gemeint ist: Darmkarzinom) bei Drehern und Schleifern vorlägen. Das Gutachten von Prof. Dr. F. sei wenig hilfreich, auch dieses könne das gruppentypische Risiko nicht belegen.

Dagegen haben die Kläger Berufung zum LSG eingelegt.

Am 25.10.2010 hat eine nichtöffentliche Sitzung mit den Beteiligten stattgefunden. Seitens des Senats wurden danach (u. a.) Auskünfte vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu den Beratungen des Sachverständigenbeirats „Berufskrankheiten“ eingeholt und die dazu existierenden Unterlagen beigezogen.

Die Kläger beantragen, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.07.2009 sowie den Bescheid vom 21.12.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 25.03.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.07.1997 zurückzunehmen, eine Wie-BK anzuerkennen und Hinterbliebenenleistungen für die Kläger zu gewähren,

hilfsweise,

den mitgebrachten Zeugen H. B. als Zeugen zu vernehmen zu der Tatsache, dass das Kühlschmiermittel Frigilux 23 über den bisher angenommenen Beendigungszeitpunkt hinaus (wie vom Betrieb mitgeteilt) weiter Verwendung gefunden hat, ferner den medizinischen Sachverständigen Dr. S. zu den im Zusammenhang mit der Frigiluxverwendung durchgeführten innerbetrieblichen Ermittlungen zur Frage zu hören, dass die betrieblichen Gegebenheiten eine extreme Risikoerhöhung mit sich brachten u. a. deshalb weil eine Abluftanlage nicht vorhanden war, ferner weitere Ermittlungen nach § 106 SGG in die Wege zu leiten zur Thematik, dass nach dem entsprechenden Gutachten Dr. H. davon auszugehen sei, dass eine Primärlokalität der Krebserkrankung im Dickdarm aufgrund der Gesamtbeurteilung nicht angenommen werden kann, sondern andere Primärlokalitäten der Krebsentstehung infrage kommen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Verfahrensakten S 5 U 259/97 des SG sowie L 17 U 275/02 des LSG sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 21.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2007, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, ihren Bescheid vom 25.03.1997 zurückzunehmen. Mit dem Bescheid vom 25.03.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.1997 hatte die Beklagte u. a. den Antrag, das Dickdarmkarzinom des V. als Berufskrankheit oder als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen und den Klägern Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, abgewiesen.

Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 25.03.1997, soweit die von der Beklagten getroffenen Regelungen (noch) streitgegenständlich sind.

Nach § 44 Abs. 1 S 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituationen zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29).

Die Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 25.03.1997 weder Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Vielmehr hat sie es zu Recht abgelehnt, eine Wie-BK anzuerkennen und Hinterbliebenenleistungen an die Kläger zu erbringen.

1. Da ein möglicher Anspruch der Kläger auf Hinterbliebenenleistungen mit dem Tod des V. am 20.12.1993 entstanden wäre und damit den Eintritt des Versicherungsfalls bis zu diesem Zeitpunkt voraussetzt, sind im vorliegenden Fall die Bestimmungen der RVO anzuwenden (Art. 36 Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch - UVEG i. V. m. §§ 212, 214 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII; siehe dazu BSG, Urteil vom 13.02.2013, B 2 U 33/11 R).

2. Nach § 589 Abs. 1 RVO (in der zum 20.12.1993 gültigen Fassung) sind bei Tod durch Arbeitsunfall zu gewähren:

1. als Sterbegeld der zwölfte Teil des Jahresarbeitsverdienstes, mindestens der Betrag von 400 Deutsche Mark; vom Sterbegeld sind die Kosten der Bestattung zu bestreiten; es ist an denjenigen auszuzahlen, der die Bestattungskosten trägt; ein etwaiger Überschuss verbleibt beim Versicherungsträger,

2. die Kosten für die Überführung des Verstorbenen an den Ort der Bestattung,

3. vom Todestag an den Hinterbliebenen eine Rente nach den §§ 590 bis 599 (RVO)

Gemäß § 551 Abs. 1 RVO galt auch eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall. Dabei waren Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet (S. 2). Die Bundesregierung wurde ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie konnte dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden sind (S. 3). Dabei sollten die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet wurde oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorlagen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt waren (§ 551 Abs. 2 RVO). Für die Berufskrankheiten galten die für Arbeitsunfälle maßgebenden Vorschriften entsprechend (§ 551 Abs. 3 S. 1 RVO).

Die Tatbestandsmerkmale einer Wie-BK („versicherte Tätigkeit (Arbeit)“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“) müssen im Vollbeweis vorliegen. Hierfür ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 27.03.1958, 8 RV 387/55 juris Rn. 16; Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B m. w. N.; Urteile vom 29.03.1963, 2 RU 75/61, vom 22.09.1977, 10 RV 15/77, vom 01.08.1978, 7 RAr 37/77 und vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d. h. eine Wahrscheinlichkeit besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG, Urteil vom 27.04.1972, 2 RU 147/71 juris Rn. 30; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 128 Rn. 3b m. w. N.).

Ein Anspruch der Kläger auf die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen besteht nach den genannten Vorschriften der RVO nicht. Die Erkrankung des V. stellte keine Wie-BK im Sinne von § 551 Abs. 2 RVO und somit keinen Arbeitsunfall i. S. v. § 589 Abs. 1 RVO dar.

a. Zur Überzeugung des Senats steht nach Würdigung der Aktenlage, insbesondere der in den Akten enthaltenen Gutachten und Stellungnahmen, auch der Stellungnahmen des TAD fest, dass V. während seiner beruflichen Tätigkeit jedenfalls im Zeitraum vom 01.02.1987 bis 31.12.1987 der Einwirkung des Kühlschmierstoffes Frigilux 23 ausgesetzt war. Der Schmierstoff enthielt als Inhaltsstoffe u. a. ca. 18% Natriumnitrit, ca. 20% Triethanolamin sowie ca. 1% Diethanomalin. Diese Stoffe sind relevant für die Bildung von NDELA. Bei V. wurde bei medizinischen Untersuchungen im Zeitraum Oktober 1987 bis Mai 1988 NDELA im Urin festgestellt. Bei einer weiteren Untersuchung des V. am 05.10.1988 konnte im Urin kein NDELA mehr nachgewiesen werden.

Der Senat konnte sich dagegen nicht davon überzeugen, dass V. während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit einer Einwirkung anderer potenziell krebsverursachender Stoffe ausgesetzt gewesen war. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die mögliche Einwirkung von Polychlorierten Biphenylen (PCB). Zwar hat Dr. E. in seinem Gutachten vom 16.08.1994 nach der Untersuchung von Gewebe des V. ausgeführt, dass die Ergebnisse darauf hinweisen würden, dass V. hohen Belastungen durch PCB ausgesetzt gewesen sei. Allerdings hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass V. während seiner beruflichen Tätigkeit mit PCB in Kontakt gekommen ist. Aus den in den Akten vorhanden Dokumenten und Datenblättern zu den von V. eingesetzten Arbeitsstoffen bzw. Betriebsmitteln ergeben sich keine Hinweise, dass in diesen PCB enthalten gewesen wären. Auch der TAD der Beklagten hat auf Nachfrage des Senats in seinen Auskunftsschreiben vom 22.08.2013 und 27.09.2013 mitgeteilt, dass keinerlei Kenntnisse über eine berufliche PCB-Exposition des V. vorlägen (siehe dazu auch die Mitteilungen der LBG Unterfranken vom 08.03.1995 und des TAD der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen vom 20.03.1995). Insbesondere ergibt sich aus den Auskünften des TAD vom 09.01.1995 und vom 09.02.1995, dass in Kühlschmierstoffen keine PCB enthalten gewesen sind, diese vielmehr eine unerwünschte Verunreinigung dargestellt hätten. Soweit Prof. Dr. N. in seinem arbeitsmedizinischen Gutachten vom 30.01.1997 von einer nachgewiesenen inneren Belastung des V. mit PCB spricht, die in Verbindung mit der Belastung des V. mit NDELA tumorpromovierend gewirkt habe, findet sich in seinem Gutachten kein Beleg dafür, dass V. während seiner beruflichen Tätigkeit zu irgendeinem Zeitpunkt einer Einwirkung durch PCB ausgesetzt gewesen ist. So stellt auch Dr. S. in seinem Gutachten vom 15.05.1996 fest, dass spezifische Hinweise für eine Arbeitsplatzbelastung des V. durch PCB nicht vorlägen, ebenso Professor Dr. Dr. B. in seinem Gutachten vom 19.10.1999 und Dr. S. in seinem Gutachten vom 09.09.2003. Ferner weist der Senat darauf hin, dass nach Auffassung der Sachverständigen Prof. Dr. N. und Dr. S. den PCB allenfalls eine tumorpromovierende Wirkung zukäme, wobei diese jedoch laut toxikologischem Gutachten des Professor Dr. Dr. B. vom 19.10.1999 insbesondere im Zusammenwirken mit NDELA bislang nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist. Soweit Professor Dr. H. in seinem Gutachten vom 08.04.2009 schreibt, „PCB waren im Bereich der Firma K. B. täglich und weitgehend, sowie zum Teil ungerechtfertigt länger als erlaubt an dem Arbeitsplatz des V., aber auch im Arbeitsumfeld aller Kollegen existent“, handelt es sich um eine unsubstantiierte Behauptung. Eine Begründung, geschweige denn einen Nachweis darüber, welchen PCB-haltigen Stoffen, in welchem Umfang und zu welchen Zeitpunkten V. an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen sein soll, liefert Professor Dr. F. nicht.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass V. während seiner beruflichen Tätigkeit der Einwirkung von Nitrosaminen ausgesetzt war.

b. Des Weiteren steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass V. an einem Dickdarmkarzinom erkrankt war. Die Überzeugung des Senats gründet sich insbesondere auf dem Gutachten des Professor Dr. R. vom 23.01.1995, der im Auftrag der Beklagten die Obduktion der Leiche des V. durchgeführt und als Grundleiden ein metastasierendes Kolonkarzinom festgestellt hat, sowie die nachfolgenden Gutachten des Professors Dr. N. vom 30.01.1997, des Professors Dr. B. vom 19.10.1999 und des Dr. S. vom 09.09.2003, die ebenfalls vom Vorliegen eines Kolonkarzinoms ausgehen. Bestätigt wird diese Einschätzung des Weiteren durch den Entlassungsbericht der Chirurgischen Universitätsklinik und -Poliklinik B-Stadt vom 03.12.1993 und den Operationsbericht vom 04.11.1993, der als Diagnose ein metastasiertes Adeno-Carzinom (mit Lebermetastasen, Dünndarmmetastasen, Peritonealkarzinose, Colon-ascendens-Tumor und Sigmarummauerung) stellt. Soweit demgegenüber Professor Dr. F. als einziger aller bislang gehörten Sachverständigen nebulös davon spricht, dass bei V. eine Karzinose des gesamten Bauchraums vorgelegen habe, überzeugt das den Senat nicht. Prof. Dr. H. begründet seine Auffassung damit, dass aus der Operationsbeschreibung nicht hervorgehe, dass sich der Tumor nur im Dickdarm entwickelt und von dort ausgebreitet habe. Außerdem stehe die Ummauerung des Darmabschnitts (Colon-ascendens-Tumor und Sigmaummauerung) im Operationsbericht erst an 4. Stelle. Hierbei ignoriert er die vom Operateur eindeutig getroffene Diagnose eines Colon-ascendens-Tumors (mit Haupttumormasse im rechten Oberbauch) sowie die inhaltliche Bedeutung des Begriffs „Metastasen“ als Absiedlung eines bösartigen Tumors in entferntem Gewebe, und der Diagnose „Peritonealkarzinose“, die üblicherweise Metastasen anderer im Bauchraum gelegener Tumore bezeichnet. Zudem setzt er sich noch nicht einmal ansatzweise mit den Ausführungen des Professor Dr. R. - er hat die Obduktion der Leiche des V. durchgeführt - im Gutachten vom 23.01.1995 zur Lokalisation und Ausbreitung des Tumors auseinander, ebenso wenig mit dem Gutachten des Dr. S. vom 09.09.2003, der unter Auswertung der medizinischen Befunde und insbesondere des Operationsberichts zu der Feststellung gelangt, dass bei V. ein fortschreitendes metastasierendes Karzinom des aufsteigenden Dickdarms bestanden hat, das letztlich zum Tod des V. geführt hat. Letztlich kommt es aber - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - für die Beantwortung der Frage, ob bei V. eine Leistungsansprüche auslösende Wie-BK vorgelegen hat, nicht darauf an, in welchem Körperbereich der Krebstumor bei V. zu verorten war.

c. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 13.02.2013, B 2 U 33/11 R m. w. N.) setzt die Annahme einer Wie-BK das Vorliegen folgender Tatbestandsmerkmale voraus: (1.) Das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen für eine in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV, vormals BKVO) bezeichnete Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach § 551 Abs. 1 S. 2 RVO bzw. § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII, (3.) nach neuen Erkenntnissen (§ 551 Abs. 2 RVO) bzw. nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (§ 9 Abs. 2 SGB VII) sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie-BK im Einzelfall bei dem Versicherten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG a. a. O. m. w. N.; BSG, Urteil vom 23.06.1977, 2 RU 53/76, BSGE 44, 90 = SozR 2200 § 551 Nr. 9; BSG, Urteil vom 14.11.1996; 2 RU 9/96 - BSGE 79,250) enthält diese Vorschrift keine allgemeine Härteklausel bzw. keinen Auffangtatbestand, nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als „Wie-BK“ anzuerkennen wäre. Für die Feststellung einer Wie-BK genügt es daher nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind. Vielmehr darf die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (BSG, Urteil vom 20.07.2010, B 2 U 19/09 R; siehe auch BT-Drucks. 13/2204, 77 f). Es sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage (1) zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht zur sog. BK-Reife verdichtet haben. Es reicht grundsätzlich aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen ist (BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 16/01 R). Hieraus folgt aber noch nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Versicherungsfalls der Wie-BK (u. a. der Zeitpunkt des Vorliegens neuer Erkenntnisse) gleichsam rückwirkend für den Zeitpunkt des Eintritts der Krankheit fingiert werden könnten. Vielmehr ist eine Wie-BK erst zu dem Zeitpunkt eingetreten, an dem erstmals neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Vorliegen der generellen Voraussetzungen der Aufnahme einer Berufskrankheit in die Anlage 1 der BKV - die arbeitsbedingte Verursachung einer bestimmten Erkrankung - vorgelegen und sich zur sog. BK-Reife verdichtet haben (BSG, Urteil vom 13.02.2013, B 2 U 33/11 R m. w. N.). Grundsätzlich sind medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse dabei „neu“ i. S. v. § 551 Abs. 2 RVO, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch - dies ist im Zweifel der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - feststeht, dass sie bei der letzten Änderung der BKV - für den vorliegenden Fall ist auf die Änderung der BKVO durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18.12.1992 (BGBl. I 1992, 2343) mit Wirkung zum 01.01.1993 abzustellen - noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist stets der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach Erlass der letzten BKV bzw. etwaiger Änderungsverordnungen bekannt geworden sind. Nicht berücksichtigt vom Verordnungsgeber und somit „neu“ sind aber auch diejenigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, die trotz Vorhandenseins bei Erlass der letzten BKV oder einer Änderungsverordnung vom Verordnungsgeber entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erkennbar geprüft worden sind. Als neu in diesem Sinne gelten daher solche medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr, die nach erkennbarer Prüfung vom Verordnungsgeber als noch unzureichend bewertet wurden und deswegen eine Aufnahme der betreffenden Krankheit in die BK-Liste scheitert. Allerdings erweisen sich dann solche bereits überprüften Erkenntnisse wiederum als neu, wenn sie sich nach diesem Zeitpunkt zusammen mit weiteren, später hinzukommenden Erkenntnissen zur BK-Reife verdichtet haben. Eine derartige Verdichtung ist anzunehmen, wenn dem Verordnungsgeber ausreichende, regelmäßig von einer herrschenden Meinung getragene medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die geeignet wären, die Einführung einer neuen BK i. S. v. § 551 Abs. 1 S. 2 RVO bzw. jetzt § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII zu tragen. Ob und gegebenenfalls inwieweit sich der Verordnungsgeber mit der betreffenden Krankheit und der zu ihr bestehenden wissenschaftlichen Erforschung befasst hat, welche Erkenntnisse er überhaupt berücksichtigen konnte und welche Entscheidungen eventuell diesbezüglich bereits getroffen wurden (entweder eine Ablehnung der Aufnahme in die BK-Liste wegen unzureichender Erkenntnisse oder die beabsichtigte Aufnahme in die BK-Liste oder praktisch keine Entscheidung trotz Befassung des Sachverständigenbeirates bei dem BMA mit den vorliegenden Erkenntnissen), kann - sofern vorhanden - an der Veröffentlichung von Empfehlungen des Beirates im Bundesarbeitsblatt abgelesen werden. Ist jedoch zu dem betreffenden Krankheitsbild noch keine Empfehlung des Sachverständigenbeirats veröffentlicht worden, kann Art und Umfang der Befassung des Verordnungsgebers in erster Linie durch Einholung einer aussagekräftigen und detaillierten sachverständigen Auskunft festgestellt werden. In gleicher Weise bieten sich zu diesem Zweck die Beiziehung der Protokolle von Ausschusssitzungen und - falls dies noch nicht zu genügender Klarheit führt - schließlich auch die Vernehmung von Mitgliedern des Sachverständigenbeirates als Zeugen an. Ergibt sich bei diesen Feststellungen, dass sich der Verordnungsgeber erkennbar mit den betreffenden Erkenntnissen befasst und diese als unzureichend für die Einführung einer BK abgelehnt hat, ist die Anerkennung und Entschädigung einer Krankheit wie eine BK durch Verwaltung und Gerichte ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 20/01 R m. w. N.).

Die Voraussetzungen für eine in der BKV bereits bezeichnete Krankheit lagen im Falle des V. nicht vor.

Allerdings gelangt der Senat nach Maßgabe der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung und unter Auswertung der eingeholten Auskünfte zu der Überzeugung, dass zum letztmöglichen Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls - Tod des V. am 20.12.1993 - keine wissenschaftliche Erkenntnisse vorlagen, die die Annahme einer Wie-BK „Krebserkrankungen durch Nitrosamine“ zugelassen hätten. Hierbei stützt sich der Senat auf die eingeholten Auskünfte beim I. - Referat IV a 4 und die in diesem Zusammenhang beigezogenen Niederschriften über die Beratungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung -.

Aus den genannten Auskünften und Beratungsprotokollen ergibt sich, dass im Jahr 1993 erstmals vom Beirat beschlossen wurde, die Thematik „Krebserkrankungen in der Gummiindustrie (Nitrosamine)“ zu beraten. Hierbei kam der Sachverständigenbeirat in der 36. Sitzung vom 26.05.1998 zu dem Ergebnis, dass für Krebserkrankungen der Lokalisationen Lunge, Kehlkopf und Magen (u. a. - z. B. Colon, Rectum, Leber, Pankreas -) auf epidemiologischem Wege kein Nachweis der Überhäufigkeit nach einer hohen Nitrosaminexposition erbracht werden konnte. Für Tumoren des oberen Gastrointestinaltraktes und mit Abstufungen auch von ZNS/Gehirn und Prostata gebe es zwar Hinweise auf ein erhöhtes Risiko nach einer hochgradigen Exposition, die sich aber noch nicht zur BK-Reife verdichtet hätten. Eine Anerkennung als Berufskrankheit (nach § 9 Abs. 1 SGB VII bzw. § 9 Abs. 2 SGB VII) wurde daher nicht empfohlen. Es wurde beschlossen, die wissenschaftlichen Studien fortzusetzen bzw. zu erweitern und bis zum Vorliegen neuer Erkenntnisse das Thema in der Sektion nicht mehr zu beraten. In der 52. Sitzung der am 21.11.2001 wurde der Beschluss gefasst, die Beratungen ohne Begrenzung auf die Gummiindustrie wieder aufzunehmen. Am 10. und 11.05.2004 wurde deshalb eine mögliche Berufskrankheit „Krebserkrankungen durch Nitrosamine“ inhaltlich beraten. Hierbei wurde abschließend zusammenfassend festgestellt, dass weder bezüglich einer bestimmten Organlokalisation noch bezüglich des kausalen Agens derzeit Erkenntnisse mit BK-Reife vorliegen würden. Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnislage stelle sich dieselbe Situation wie 1998 dar. Der Sachverständigenbeirat beschloss, das Thema erneut auszusetzen.

Vor dem Hintergrund, dass der Verordnungsgeber anlässlich der verschiedentlichen Neufassungen bzw. Änderungsverordnungen zur BKV nach Erlass der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18.12.1992 eine Berufskrankheit „Krebserkrankungen durch Nitrosamine“ nicht in die BKV aufgenommen hat und der Sachverständigenbeirat noch im Jahr 2004, also ca. 11 Jahre nach dem Tod des V., auf Grundlage der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse eine BK-Reife nicht feststellen konnte, sieht der Senat keine Möglichkeit, zum 20.12.1993 das Vorliegen einer Wie-BK „Krebserkrankungen durch Nitrosamine“ anzunehmen.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch keiner der im gesamten Verlauf des Verfahrens gehörten Sachverständigen die - den Feststellungen des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - entgegengesetzte - Auffassung vertreten hat, dass epidemiologische Studien vorliegen würden, die einen Zusammenhang zwischen der Einwirkung von Nitrosaminen und Krebserkrankungen (insbesondere Darmkrebserkrankungen) belegen könnten, bzw. dass eine entsprechende gruppenspezifische Risikoerhöhung nachgewiesen wäre. So führt Professor Dr. R. in seinem Zusammenhangsgutachten vom 23.01.1995 aus, dass „die krebserzeugende Wirkung der Nitrosamine beim Menschen im strengen Sinne nicht bewiesen ist und naheliegender weise auch experimentell nicht bewiesen werden kann“ und „letztlich nur durch langwierige epidemiologische Untersuchungen an großen Kollektiven zu untermauern wäre“. Dr. S. führt in seinem wissenschaftlich-toxikologischen Gutachten vom 15.05.1996 aus, dass die krebserzeugende Wirkung von Nitrosaminen in zahlreichen Tierversuchen nachgewiesen sei. Allerdings sei ein direkter Beweis für die krebserzeugende Wirkung beim Menschen bisher nicht möglich. Epidemiologische Daten über einen Zusammenhang zwischen Nitrosaminenexposition und Krebshäufigkeit würden fehlen. Es gebe keinen Beweis dafür, dass Nitrosamine Darmkrebs hervorrufen würden. Prof. Dr. N. schreibt in seinem arbeitsmedizinischen Fachgutachten vom 30.01.1997, dass die Verursachung von Darmkrebs durch NDELA nur aus allgemeinen Überlegungen zur Wirkung einer Gruppe krebserzeugender Nitrosamine abgeleitet werden könne, nicht aber aus tierexperimentellen und epidemiologischen Befunden. Epidemiologisch erscheine eine Häufung von Krankheit bei Exponierten gegenüber Kühlschmierstoffen nicht als zweifelsfrei gesichert. Dies gelte auch für andere Bereiche beruflicher Nitrosamin-Belastung. Es bestünde ein allgemeiner wissenschaftlicher Konsens bezüglich des Ursachenzusammenhangs zwischen beruflicher Exposition gegenüber Kühlschmierstoffen und dem Entstehen von Hautkrebs, nicht aber im Hinblick auf andere Krebserkrankungen. Da es jedoch aus seiner Sicht bedauerlich wäre, wenn dem beruflich verursachten Krebsleiden des V. aus formaljuristischen Gründen die Anerkennung verweigert würde, möchte er eine Anerkennung nach § 551 Abs. 2 RVO empfehlen. Professor Dr. Dr. B. weist in einem weiteren toxikologischen Gutachten vom 19.10.1999 darauf hin, das aus den Resultaten bislang durchgeführter Tierexperimente lediglich geschlossen werden könne, dass sich keine Hinweise ergeben hätten, dass NDELA geeignet sein könnte, Dickdarmkrebs auszulösen. Unter Abarbeitung sämtlicher bis zum Gutachtenszeitpunkt vorliegenden Studien und bekannten Einzelfälle, in denen das Vorliegen einer Wie-BK Krebserkrankung nach Umgang mit Kühlschmierstoffen und Nitrit anerkannt oder abgelehnt wurde, kommt Prof. Dr. Dr. B. zu dem Ergebnis, dass beim aktuellen Stand medizinischer Erkenntnisse die Behauptung, dass eine hohe NDELA-Konzentration an der Darmschleimhaut kanzerogen wirken könnte, rein spekulativ sei. Untersuchungen bei Arbeitern in der deutschen Gummiindustrie würden sogar dagegen sprechen, dass durch die berufliche Schadstoffbelastung eine Krebserkrankung im Bereich des Colons ausgelöst werden könne. Dabei weist der ärztliche Sachverständige darauf hin, dass die Nitrosamin-Exposition in der Gummiindustrie beträchtlich höher ist als in der Metallverarbeitung, in der V. beschäftigt war. Zusammenfassend könne nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen allenfalls davon gesprochen werden, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Kühlschmierstoffexposition und Erkrankung an Dickdarmkrebs möglich sei. Prof. Dr. rer. nat. E. schreibt in seinem toxikologischen Gutachten vom 21.03.2003, dass Nitrosamine Tumore in unterschiedlichsten Organen bei Versuchstieren ausgelöst hätten. Die Lokalisation des Tumors wäre dabei von Art, Höhe und Dauer der Exposition sowie von der Tierspezies abhängig gewesen (so auch Dr. S. in seinem Gutachten vom 09.09.2003, wobei dieser darauf hinweist, dass die Tumorlokalisation auch von der Art des Nitrosamins abhängig gewesen sei; bei NDELA seien als Zielorgane die Leber, die Niere und der Respirationstrakt beschrieben, der Dickdarm sei dagegen für keine der an Arbeitsplätzen möglicherweise vorkommenden Nitrosamine als Zielorgan einer Tumorentstehung beschrieben). Bis heute sei allerdings nicht klar, welche Organe des Menschen auf die Exposition durch Nitrosamine mit der Entstehung von Tumoren reagieren würden. Eine Vorhersage von Tumorlokalisation für den Menschen sei derzeit nicht zuverlässig möglich. Aus diesen Gründen sei die Forderung nach epidemiologischer Feststellung von Zusammenhängen zwischen Exposition am Arbeitsplatz und Tumorhäufigkeit im Fall der Nitrosamine zwar gerechtfertigt, aber mit der geforderten Aussagekraft angesichts meist kleiner exponierter Populationen mit den Methoden der beobachtenden Epidemiologie nur schwer zu realisieren. Die Tatsache, dass bisher für NDELA noch keine Daten aus Tierversuchen vorliegen würden, die eine Induktion von Tumoren im Kolon belegen würden, könne aber nicht als Begründung für die Ansicht dienen, dies mache eine NDELA-bedingte Tumorlokalisation im Kolon des Menschen unwahrscheinlich. Vielmehr sei eine solche keineswegs unerwartet. Dr. S. führt in seinem Gutachten vom 09.09.2003 und der ergänzenden Stellungnahme vom 27.01.2004 schließlich aus, dass weder eine signifikante Erhöhung noch eine signifikante Erniedrigung des Dickdarmkarzinoms bei Umgang mit Kühlschmiermitteln aus den vorhandenen wissenschaftlichen Studien abgeleitet werden könnte. Allenfalls lägen einzelne Hinweise vor, die möglicherweise auf ein leicht erhöhtes Risiko des Dickdarmkarzinoms bei Umgang mit Kühlschmiermitteln hinweisen würden. Es sei letztendlich nicht zu belegen, dass bei einer Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen (mit Nitrosaminen) ausgesetzt sei, in erheblich höherem Grade als bei der übrigen Bevölkerung Tumorerkrankungen im Sinne von Dickdarmkarzinomen auftreten würden. Das Gutachten vom Professor Dr. F. vom 08.04.2009 liefert dagegen für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Einwirkung von Nitrosaminen und Krebserkrankungen (insbesondere Darmkrebserkrankungen) bzw. nach einer gruppenspezifischen Risikoerhöhung keine verwertbaren Antworten. Die entsprechenden Beweisfragen des Gerichts beantwortet der ärztliche Sachverständige vielmehr ausschließlich unter dem Aspekt des vorliegenden Einzelfalls und damit bezogen auf den Kausalzusammenhang zwischen der Exposition des V. und seiner Krebserkrankung. Hierbei führt er u. a. aus, dass der Mangel an Information nicht dem betroffenen Versicherten und besonders nicht den Angehörigen von verstorbenen Betroffenen zum Nachteil gereichen dürfe. Auch ohne epidemiologische und aufwändige Studien müsse die Zusammenhangfrage als geklärt gelten. Dabei legt der Sachverständige zugrunde, dass V. lange Zeit verseuchten Kühlschmiermitteln, PCB und Dioxinkontamination ausgesetzt gewesen sei, ohne diese Einwirkungen konkret zu belegen und zu quantifizieren. Genauso wenig hat der Senat Anhaltspunkte dafür, dass V. entsprechend den Behauptungen des Prof. Dr. H. jahrelang gegenüber Sprühnebeln auf der Haut und in der Atemluft exponiert gewesen wäre, ohne dass überhaupt klar wird, welche Zusammensetzung diese gehabt haben sollen. Genauso legt der Sachverständige - wie bereits ausgeführt (s. o.) - in irriger Weise seiner Bewertung zugrunde, dass V. nicht an einem Dickdarmkarzinom erkrankt gewesen sei. Letztlich kommt Prof. Dr. H. zu dem Ergebnis, dass die Anerkennung der im Arbeitsumfeld erworbenen Berufskrankheit des V., die wegen toxischer Belastungen durch multiple Substanzen keine Substanzkrankheit mehr sein könne, nicht länger auf die Berufskrankheitenreife hin verschoben werden dürfe. Dass eine Anerkennung der Wie-BK auf Grundlage einer solchen Äußerung eines Gutachters nicht möglich ist, bedarf aus Sicht des Senats keiner weiteren Erörterung.

Ergänzend verweist der Senat auf die Ausführungen des SG im Urteil vom 27.06.2002 im Verfahren S 5 U 259/97 und auf den Hinweis des LSG in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2006 im Verfahren L 17 U 275/02, der zur Berufungsrücknahme im ersten Gerichtsverfahren geführt hat.

Nach alledem stellt der Senat fest, dass die Erkrankung des V. an einem Dickdarmkarzinom nicht als Wie-BK anzuerkennen ist und damit auch die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche nicht gegeben sind.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG war daher zurückzuweisen.

Aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt sich ohne weiteres, dass der Senat den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Anträgen der Kläger wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit nicht entsprechen musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 13. Feb. 2014 - L 17 U 380/09 zitiert 15 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

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(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 9 Berufskrankheit


(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 212 Grundsatz


Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 214 Geltung auch für frühere Versicherungsfälle


(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. September 2011 wird zurückgewiesen.

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Mai 2009 wird zurückgewiesen, soweit ihre Berufung gegen die Aufhebung der Ablehnung eines Anspr

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(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im Ausland.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Die Vorschrift des § 93 über den Jahresarbeitsverdienst für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und ihre Hinterbliebenen gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind; die Geldleistungen sind von dem auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden 1. Juli an neu festzustellen; die generelle Bestandsschutzregelung bleibt unberührt.

(3) Die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. § 73 gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(4) Soweit sich die Vorschriften über das Verfahren, den Datenschutz sowie die Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und zu Dritten auf bestimmte Versicherungsfälle beziehen, gelten sie auch hinsichtlich der Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. September 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen einer gemäß § 551 Abs 2 RVO von der Beklagten anerkannten Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) bereits für die Zeit vom 1.1.1992 bis zum 13.9.1993 zusteht.

2

Die Klägerin ist Witwe und Sonderrechtsnachfolgerin des im Jahre 1921 geborenen und am 21.1.2004 verstorbenen Versicherten. Dieser war von 1944 bis 1949 im französischen Steinkohlebergbau und von 1950 bis 1967 bei verschiedenen deutschen Bergbaugesellschaften ua als Hauer unter Tage tätig. Die Bergbau-Berufsgenossenschaft, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, leitete im Januar 1996 ein Feststellungsverfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) gemäß § 551 Abs 2 RVO alter Fassung (chronische Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau) ein. Mit interner "Anerkennungsverfügung" erkannte sie eine "entschädigungspflichtige Erkrankung nach § 551 Abs 2 RVO (CB-E)" an und ging von einer MdE von 40 vH sowie einem Rentenbeginn am 1.9.1994 aus. Sie informierte den Versicherten über die Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 1000 DM (Schreiben vom 4.12.1996) und zahlte weitere Rentenvorschüsse.

3

Mit Bescheid vom 28.10.1997 lehnte die Bergbau-Berufsgenossenschaft sodann jedoch einen Anspruch auf Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO mit der Begründung ab, nunmehr liege der Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur Neuordnung der Berufskrankheitenverordnung (BKV) vor. Danach solle künftig die chronisch obstruktive Bronchitis oder das Emphysem als BK in die Anlage zur BKV aufgenommen werden. Bei der Entscheidung nach § 551 Abs 2 RVO sei der Entwurf einer neuen Änderungsverordnung zur BKV mit Aufnahme einer BK 4111 in die BK-Liste im Vorgriff zu berücksichtigen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3.12.1997 zurück.

4

Die dagegen vom Versicherten am 12.12.1997 erhobene Klage ist von der Klägerin nach zweimaligem Ruhen des Verfahrens, der Entscheidung des BVerfG vom 23.6.2005 (1 BvR 235/00) und dem Tod des Versicherten als Sonderrechtsnachfolgerin fortgeführt worden. Mit Bescheid vom 28.10.2005 hat die Bergbau-Berufsgenossenschaft der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin eine Teilrente nach einer MdE von 40 vH ab dem 1.9.1994 bewilligt und den Bescheid vom 28.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.12.1997 gemäß § 44 Abs 1 SGB X teilweise zurückgenommen. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls gelte der 23.1.1986. Die Rente beginne am 1.9.1994, weil zu diesem Zeitpunkt die neuen Erkenntnisse hinsichtlich der beruflichen Ursache dieser Krankheit vorgelegen hätten. Nach Beiziehung weiterer Arztbefunde hat die Beklagte der Klägerin mit weiterem Bescheid vom 31.3.2006 Rente nach einer MdE von 50 vH für die Zeit vom 24.4.1998 bis 21.1.2004 bewilligt.

5

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr sei aus der Versicherung ihres am 21.1.2004 verstorbenen Ehegatten wegen der anerkannten Wie-BK eine Rente nach einer MdE von 40 vH bereits ab dem 1.1.1992 zu zahlen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2008).

6

Mit der Berufung hat die Klägerin weiterhin geltend gemacht, es sei nicht entscheidungserheblich, zu welchem Zeitpunkt in der medizinischen Wissenschaft die neuen Erkenntnisse vorgelegen hätten, die zur Aufnahme der BK 4111 geführt hätten. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspreche es der Funktion des § 551 Abs 2 RVO als einer "Öffnungsklausel", auf den Erkenntnisstand bei Beginn der Erkrankung abzustellen. Dies hätte in vielen Fällen zur Folge, dass eine Entschädigung gerade der Erkrankungen, die Anlass zur Erweiterung der BK-Liste gegeben hätten, nicht möglich wäre.

7

Im Verhandlungstermin am 30.9.2011 haben die Beteiligten vor dem LSG sodann einen Teilvergleich geschlossen, wonach die Beklagte der Klägerin Rente nach einer MdE von 40 vH wegen der anerkannten Wie-BK für den Zeitraum auch vom 14.9.1993 bis 31.8.1994 gewährt.

8

Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, mit der diese noch beantragt hatte, die Beklagte unter "teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 28.10.2005 und 31.3.2006 zu verurteilen, ihr (…) Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 vom Hundert vom 1.1.1992 bis zum 13.09.1993 (…) zu gewähren" (Urteil vom 30.9.2011). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Versicherungsfall der Wie-BK trete zu dem Zeitpunkt ein, zu dem alle Voraussetzungen des hier anzuwendenden § 551 Abs 2 RVO objektiv gegeben seien. Demnach liege dieser erst dann vor, wenn neben den - hier unstreitigen - Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BK'en nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt seien. Die Feststellung des Versicherungsfalls der Wie-BK komme erst mit dem Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Betracht. Insbesondere lasse sich auch unter Berücksichtigung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV aus der Neuregelung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV kein durchgreifendes Argument für einen früheren Beginn der Rente herleiten. Leistungen würden demnach auch bei einer anerkannten BK 4111 rückwirkend grundsätzlich längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren erbracht.

9

Die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gemäß § 551 Abs 2 RVO hätten erst für die Zeit ab dem 14.9.1993 vorgelegen. Denn zu diesem Zeitpunkt habe der Entwurf der wissenschaftlichen Begründung der Sektion "Berufskrankheiten" für die Aufnahme der BK 4111 in die Anlage zur BKV vorgelegen und sei (am 14.9.1993) erstmals in diesem Gremium dezidiert beraten worden. Zuvor habe es lediglich - zum Teil aus dem Ausland stammende - Veröffentlichungen in der Literatur mit Hinweisen auf einen Kausalzusammenhang zwischen dem Entstehen einer chronischen obstruktiven Bronchitis bzw eines Emphysems und der Einwirkung von Feinstaub bei versicherter Tätigkeit von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau gegeben. Dies allein vermöge das Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO nicht zu begründen. Der Beschluss über die Aufnahme von Beratungen sei nach einer Mitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 10.4.2006 zwar bereits im Januar 1993 gefasst worden. Die Bestätigung der so genannten "generellen Geeignetheit", dh der grundsätzlichen Eignung von Feinstaub im Steinkohlebergbau, eine chronische Bronchitis bzw ein Emphysem zu verursachen, sei demnach erst im September 1993 erfolgt. Mit der auf den Auswertungen der von Prof. Dr. P. und Prof. Dr. B. geleiteten Arbeitsgruppen beruhenden Feststellung dieser "generellen Geeignetheit" in der Sitzung der Sektion "Berufskrankheiten" am 14.9.1993 hätten die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO vorgelegen. Sie hätten sich zu diesem Zeitpunkt zur BK-Reife verdichtet. Wenn die Klägerin darauf verweise, maßgebliche Daten hätten in Großbritannien bereits im Jahre 1988 vorgelegen, so seien diese britischen Daten gemeinsam mit anderen, erst noch aus der Literatur zusammenzustellenden Befunden zum Zwecke einer abschließenden Bewertung durch das hierfür vorgesehene Gremium zunächst zu kompilieren und so einer umfassenden Überprüfung gerade mit Blick auf die bergbaulichen Verhältnisse in Deutschland erst zugänglich zu machen gewesen.

10

Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft lägen (erstmals) in dem Zeitpunkt vor, in dem sie in einer zur Beratung und wissenschaftlichen Gesamtbewertung durch das maßgebende Gremium geeigneten Form diesem Gremium erstmals vorgelegen hätten und lediglich noch Details einer einzuführenden BK zu klären gewesen seien. Dieser Zeitpunkt sei bei der BK 4111 der 14.9.1993 gewesen. Ab diesem Zeitpunkt seien lediglich noch Beratungen über die Möglichkeit und den Inhalt einer kumulativen Staubdosis erforderlich gewesen, nach deren Abschluss sei dann im April 1995 der Beschluss der wissenschaftlichen Empfehlung erfolgt. Das lediglich noch zur Beratung und späteren normativen Festlegung verbliebene notwendige Ausmaß der schädigenden Einwirkung nach zeitlichem Umfang und Staubkonzentration sei hingegen ohne wesentliche Bedeutung für die Frage des Zeitpunkts des Vorliegens neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO.

11

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 551 Abs 2 RVO. Der Versicherungsfall einer "Wie-BK" trete gemäß § 551 Abs 3 Satz 2 RVO mit dem Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung oder des Beginns der MdE ein(Hinweis auf BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 R). Dies sei hier nach den Feststellungen des LSG am 23.1.1986 der Fall gewesen. Jedenfalls ab dem 1.1.1992 habe eine MdE von 40 vH vorgelegen. Für die Anerkennung einer Wie-BK iS des § 551 Abs 2 RVO müssten sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten zur BK-Reife verdichtet haben. Es genüge, dass die BK-Reife im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch auf eine Leistung eingetreten sei. Die erstmalige verbindliche Entscheidung der Beklagten über den Anspruch sei am 28.10.1997 erfolgt. Nach dem LSG hätten die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bereits ab dem 14.9.1993 vorgelegen, sodass die Entscheidung der Beklagten mithin vier Jahre nach dem Vorliegen dieser Erkenntnisse erfolgt sei. Die Beklagte habe daher die Entscheidung über die Zahlung der Verletztenrente in rechtswidriger Weise verzögert. Das LSG habe insoweit die Rechtsprechung des BVerfG nicht angewandt (Hinweis auf BVerfG vom 23.6.2005 - 1 BvR 235/00). Schließlich bestimme § 6 Abs 2 Satz 2 BKV, dass der Anspruch für vier Jahre rückwirkend begründet sei. Nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R) sei diese Vorschrift auch auf den Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankung auch ohne Antrag bekannt werde.

12

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30.9.2011 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.9.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Regelung über den Rentenbeginn in den Bescheiden vom 28.10.2005 und 31.3.2006 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 1.1.1992 bis 13.9.1993 eine Verletztenrente als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes nach einer MdE von 40 vH zu gewähren.

13

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil. Der Versicherungsfall einer Wie-BK liege erst dann vor, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BK'en nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt seien. Dies sei hier frühestens am 14.9.1993 der Fall gewesen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass für den Zeitraum vom 1.1.1992 bis zum 13.9.1993 ein Rechtsanspruch des Versicherten auf Anerkennung einer Wie-BK nicht bestand, den die Klägerin als Rechtsnachfolgerin geltend machen könnte. Insofern hat die Beklagte zu Recht ihre Aufhebung der ursprünglichen Bescheide aus dem Jahre 1997 gemäß § 44 SGB X auf den Zeitraum ab dem 14.9.1993 beschränkt. Diese Bescheide enthalten zugleich eine negative Regelung über einen früheren Rentenbeginn und sind gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des ursprünglichen Rechtsstreits des Versicherten gegen die Beklagte geworden.

16

Der Versicherungsfall der Wie-BK tritt zu dem Zeitpunkt ein, zu dem tatsächlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die arbeitsbedingte Verursachung einer bestimmten Erkrankung sich zur sog BK-Reife verdichtet haben (sogleich unter 1.). Es ist weder aus tatsächlichen Gründen (hierzu unter 2.) geboten, hinsichtlich der BK 4111 der Anlage 1 zur BKV von einem früheren Zeitpunkt des Versicherungsfalls als dem vom LSG festgelegten 14.9.1993 auszugehen, noch ist es aus Rechtsgründen geboten, den Zeitpunkt des Versicherungsfalls weiter vorzuverlegen (hierzu unter 3.).

17

1. Maßgebliche Rechtsgrundlage für das Handeln der Beklagten ist hier noch § 551 Abs 2 RVO, der nach der Übergangsregelung des § 212 SGB VII weiterhin einschlägig ist, weil der Versicherungsfall in jedem Falle vor Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten ist. Nach § 551 Abs 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung (gemeint ist die BKV) bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO vorliegen. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl zuletzt BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 9 zu § 9 Abs 2 SGB VII), ergeben sich für die Feststellung des Vorliegens einer Wie-BK die folgenden Tatbestandsmerkmale: (1.) das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen für eine in der BKV bezeichnete Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach § 551 Abs 1 Satz 2 RVO bzw § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII, (3.) nach neuen Erkenntnissen (§ 551 Abs 2 RVO) bzw nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (§ 9 Abs 2 SGB VII) sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie-BK im Einzelfall bei dem Versicherten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats enthält diese Vorschrift keine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als "Wie-BK" anzuerkennen wäre (vgl nur BSG vom 23.6.1977 - 2 RU 53/76 - BSGE 44, 90 = SozR 2200 § 551 Nr 9; BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9).

18

Da nach den insoweit bindenden Feststellungen des LSG die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 2 SGB VII) vorliegen, war hier nur noch streitig, zu welchem Zeitpunkt die "neuen Erkenntnisse" im Sinne dieser Norm gegeben waren. Denn erst in diesem Zeitpunkt bestand ein Anspruch des Versicherten auf Anerkennung einer Wie-BK. Nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls kann dieser auch vorliegen (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 16). Der Versicherungsfall der Wie-BK setzt aber voraus, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt neue Erkenntnisse der Wissenschaft über Kausalzusammenhänge vorliegen. Erst in diesem Zeitpunkt entstehen auch mögliche Leistungsansprüche aus dem Versicherungsfall der Wie-BK (vgl P. Becker in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) - Kommentar, § 9 RdNr 325b; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 9 RdNr 42). Allerdings müssen diese Kenntnisse nicht bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der Erkrankung vorgelegen haben, der hier, wovon auch die Beteiligten ausgehen, am 23.1.1986 lag. Der Senat hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssten sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die BK-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei (BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22; BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - Juris RdNr 17). Hieraus folgt aber noch nicht - was die Klägerin offenbar meint -, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Versicherungsfalls der Wie-BK (hier der Zeitpunkt des Vorliegens neuer Erkenntnisse) gleichsam rückwirkend für den Zeitpunkt des Eintritts der Krankheit fingiert werden könnten. Auch aus der Regelung des § 551 Abs 3 Satz 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 5 SGB VII) folgt nichts anderes (s im Einzelnen noch unter 3 b).

19

2. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass jedenfalls vor dem 14.9.1993 die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten Wie-BK nicht vorgelegen haben. Nach den von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lagen jedenfalls an diesem Tag dem Sachverständigenbeirat beim BMA die beiden Literaturstudien von B. et al bzw P. et al vor und hat der Sachverständigenbeirat grundsätzlich die Anerkennung einer neuen Listen-BK 4111 gefordert. Zu diskutieren sei bis zur endgültigen Empfehlung vom 4.4.1995 lediglich das geforderte Ausmaß der schädigenden Einwirkung gewesen. Es kann dahinstehen, ob dem beizutreten ist oder ob nicht der 4.4.1995 als maßgeblicher Zeitpunkt der BK-Reife zu gelten hat, was der Senat bereits entschieden hat. In seinem Urteil vom 2.12.2008 (B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 15) hat er klargestellt, dass angesichts der Tatsache, dass die obstruktive Bronchitis und das Lungenemphysem im Jahr 1995 noch nicht in der BKV bezeichnet worden waren (vgl die damals geltende 7. Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.6.1968, BGBl I 721 idF der 2. Änderungsverordnung vom 18.12.1992, BGBl I 2343), die generellen Voraussetzungen für die Bezeichnung dieser Erkrankungen als Listen-BK erst mit der Anerkennungsempfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten vom 4.4.1995 vorlagen (vgl Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 1.8.1995, BArbBl 1995 Heft 10, S 39 ff).

20

Es kann dahinstehen, ob hieran angesichts der umfangreichen Ermittlungen des LSG zum Ablauf der Beratungen im Sachverständigenbeirat festzuhalten und ob der vom LSG festgesetzte Zeitpunkt der BK-Reife (14.9.1993) bei der chronischen obstruktiven Bronchitis und dem Emphysem von Bergleuten vorzugswürdig wäre. Denn die Beklagte hat diesen Zeitpunkt in dem vor dem LSG geschlossenen Vergleich selbst zugrunde gelegt und lediglich die Klägerin führt das Rechtsmittel der Revision. Allerdings wird beiläufig darauf hingewiesen, dass der jeweilige Zeitpunkt der förmlichen Empfehlung des Sachverständigenbeirats (hier der 4.4.1995) zweifelsohne den Vorteil einer rechtssicheren Handhabung in sich trägt. Das Vorgehen des LSG hat im Einzelfall den Nachteil, dass ohne eine dokumentierte förmliche Beschlussfassung in dem Gremium jeweils im Einzelfall (ggf unter Heranziehung der beteiligten Sachverständigen als Zeugen) zu ermitteln ist, wann ein (an welchen Kriterien auch immer festzumachender) Konsens in dem Sachverständigenbeirat festgestellt werden kann.

21

3. Es ist kein weiterer Rechtsgrund ersichtlich, den Eintritt des Versicherungsfalls auf einen früheren Zeitpunkt festzulegen.

22
        

a) Offenbar leitet die Klägerin aus der bereits erwähnten Rechtsprechung des Senats, dass die neuen (wissenschaftlichen) Erkenntnisse jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen (aaO; vgl auch BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22), ab, dass dieser Erkenntnisstand sodann auf den Beginn des Verwaltungsverfahrens bzw den Eintritt der Erkrankung zurückwirke (insofern nicht nachvollziehbar ist allerdings der Hinweis auf BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 14). Das BSG hat hingegen mit dem Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung lediglich sicherstellen wollen, dass insofern nicht zu Lasten der Versicherten auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Erkrankung abzustellen ist, sodass nachträgliche Erkenntnisse (nach Beginn des Verwaltungsverfahrens) noch zu Gunsten der jeweiligen Kläger wirken können. Dies ändert freilich nichts daran, dass (erst) nachträglich ein bestimmter Zeitpunkt feststellbar sein muss, an dem sich die Erkenntnisse der Wissenschaft zur BK-Reife verdichtet haben. So hat der Senat in seinem Urteil vom 14.11.1996 (2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22) ausgeführt:

"Das in § 551 Abs 2 RVO versicherte Risiko realisiert sich erst zu dem Zeitpunkt, in dem entsprechende 'neue Erkenntnisse' gesichert vorliegen. Würde man, wie die Revision meint, auf den Erkenntnisstand der Erkrankung - im Fall des Klägers damit auf das Jahr 1986 - abstellen, so bedeutete dies in vielen Fällen, dass eine Entschädigung gerade der Erkrankungen, die Anlass zur Entwicklung des neuen Erkenntnisstands gegeben haben, nicht möglich wäre. Dies hätte ein der Funktion des § 551 Abs 2 RVO als 'Öffnungsklausel' widersprechendes Ergebnis zur Folge (Koch in Schulin aaO § 37 RdNr 24 unter Hinweis auf § 9 Abs 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts in der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch - s inzwischen Gesetz vom 7. August 1996 - Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - BGBl I 1254). Der Rechtsprechung des BSG zum Umfang der Rückwirkungsvorschriften in Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO zur BKVO vom 18. Dezember 1992 in Bezug auf § 551 Abs 2 RVO hätte es - wie auch das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht bedurft, wenn darin die Rechtsauffassung vertreten worden wäre, die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse hätten zumindest im Zeitpunkt der Erkrankung vorliegen müssen. Diese Rechtsstreitigkeiten waren in tatsächlicher Hinsicht sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass die neuen medizinischen Erkenntnisse zu den BKen Nrn 2108 und 2109 (BSG Urteile vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 - BSGE 75, 51 ff sowie Urteil vom 19. Januar 1995 - 2 RU 14/94 - HV-Info 1995, 1331) und zur BK Nr 4104 (BSG Urteile vom 19. Januar 1995 - 2 RU 13/94 - HV-INFO 1995, 972 sowie 2 RU 20/94 - HV-Info 1995, 1141) erst nach Inkrafttreten der 1. ÄndVO vom 22. März 1988 (BGBl I 400) zum 1. April 1988 gesichert vorlagen, während die Versicherten bereits vorher erkrankt und - soweit die Entschädigung von Wirbelsäulenerkrankungen umstritten waren - aus dem Berufsleben ausgeschieden waren."

23

b) Auch die Regelung des § 551 Abs 3 Satz 2 RVO ist entgegen der Rechtsansicht der Revision für die Bestimmung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls nicht einschlägig. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, enthält diese Norm lediglich eine Regelung über und für den Leistungsfall (grundlegend BSG vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 35; bestätigt ua BSG vom 10.8.1999 - B 2 U 20/98 R - SozR 3-2200 § 571 Nr 4 S 15). § 551 Abs 3 Satz 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 5 SGB VII)und enthält eine Regelung über den Versicherungsfall lediglich, soweit dieser für Regelungen des Leistungsrechts, wie etwa die Bestimmung des Jahresarbeitsverdienstes etc, von Bedeutung ist (so explizit der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom UVEG vom 24.8.1995, BT-Drucks 13/2204, S 78 zu § 9 Abs 5 SGB VII; vgl auch Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 9 RdNr 34). § 551 Abs 3 Satz 2 RVO enthält nach dieser Rechtsprechung(aaO) eine eigenständige Bestimmung für den Leistungsfall, für den ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist. Die Beklagte hat gerade einen solchen in dem Bescheid vom 31.3.2006 auch vorgenommen, indem sie ausführte, dass für die Leistungen auf den 23.1.1986 abgestellt werde (instruktiv zu diesem Günstigkeitsvergleich Brandenburg in jurisPK-SGB VII, § 9 RdNr 130 f). Allein für den Leistungsfall und nicht auch für den Versicherungsfall ist der Beginn der Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts maßgebend (vgl BSG vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 35 S 70).

24

c) Auch aus der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Senats zur Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV vom 17.5.2011 (B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5) kann nichts dafür abgeleitet werden, dass der Versicherungsfall hier vor dem 14.9.1993 eingetreten sein könnte. Der Senat hat in dieser Entscheidung lediglich Ausführungen dazu gemacht, wann der Versicherungsfall einer Listen-BK eintritt, und klargestellt, dass dies nicht vor dem Zeitpunkt sein kann, zu dem ihre Aufnahme in die Anlage zur BKV in Kraft getreten ist. Weiterhin hat der Senat dort nur klargestellt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV(idF vom 11.6.2009, BGBl I 1273 mWv 1.7.2009) lediglich darauf abzielt, entgegen dem früheren Recht ab dem 1.7.2009 die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der BK 4111 zu eröffnen, ohne den Zeitpunkt der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum 1.7.2009 in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der BK 4111, sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem 1.1.1993 liegenden Erkrankungen als BK 4111 sollte eingeräumt werden, ansonsten hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV hinsichtlich der Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls bedurft.

25

Mithin hätte die Revision hier nur Erfolg haben können, wenn sie dargelegt hätte, dass bereits vor dem 14.9.1993 neue, gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft zur chronischen obstruktiven Bronchitis bzw zum Emphysem von Bergleuten vorgelegen haben, die die Entscheidung des LSG, den Zeitpunkt des Versicherungsfalls gemäß § 551 Abs 2 RVO auf den 14.9.1993 festzulegen, in Frage hätten stellen können. Solches trägt die Revision aber gerade nicht vor.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Mai 2009 wird zurückgewiesen, soweit ihre Berufung gegen die Aufhebung der Ablehnung eines Anspruchs auf Anerkennung einer PTBS als Wie-BK im Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2000 im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Oktober 2005 zurückgewiesen wurde. Im Übrigen werden diese Urteile aufgehoben und die Feststellungsklage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in allen Instanzen zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) streitig.

2

Der 1943 geborene Kläger ist von Beruf Diplom-Sozialarbeiter. Er nahm 1968 eine Beschäftigung als hauptamtlicher Mitarbeiter in der Entwicklungshilfe auf. Dort war er von März 1968 bis Juni 1973 auf Madagaskar und von Juli 1973 bis Juli 1975 in Mali eingesetzt. Von August 1975 bis Dezember 1978 war er beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED) im Inland beschäftigt. Für diese Organisation war er von Januar 1979 bis Januar 1983 in Niger, von Februar 1983 bis Juni 1987 in Berlin, von August 1987 bis Juli 1995 in Togo sowie von September 1995 bis Februar 1999 als Referatsleiter "Westafrika" wieder in Berlin eingesetzt. In der zuletzt genannten Funktion unternahm er mehrere Reisen in westafrikanische Länder.

3

Unter dem 1.2.1999 zeigte der DED der Beklagten eine mögliche Berufskrankheit an. Der Kläger leide nach jahrelangem Aufenthalt in Krisengebieten an PTBS. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer PTBS als "Berufskrankheit nach der Berufskrankheiten-Verordnung" (BKV) ab (Bescheid vom 8.2.2000). Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und machte außerdem geltend, die Erkrankung sei als Wie-BK anzuerkennen. Die Beklagte wies den Widerspruch durch den Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000 zurück. Darin wurde erstmals erklärt, die PTBS sei nicht nach § 9 Abs 2 SGB VII wie eine Berufskrankheit anzuerkennen, da neue medizinische Erkenntnisse hierzu nicht vorlägen.

4

Der Kläger hat beim SG Freiburg die Aufhebung der den Anspruch auf Anerkennung einer Wie-BK ablehnenden Entscheidung und die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung sowie ihre Verurteilung zur Entschädigung begehrt. Das SG hat den "Bescheid der Beklagten vom 08.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2000" aufgehoben und diese verurteilt, die PTBS als Wie-BK anzuerkennen und ihm die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren (Urteil vom 25.10.2005).

5

Die Beklagte hat gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt und die Auffassung vertreten, neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über das Entstehen der Erkrankung PTBS bei der Gruppe der hauptberuflich in der Entwicklungshilfe tätigen Personen lägen nicht vor. Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die beim Kläger vorliegende PTBS wie eine BK zu "entschädigen" ist. Die hauptamtlich in der Entwicklungshilfe tätigen Personen und die Entwicklungshelfer seien zu einer Gruppe zusammenzufassen. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sei die Personengruppe bei ihrer Tätigkeit Einwirkungen ausgesetzt, die geeignet seien, PTBS hervorzurufen. Auch die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung einer Wie-BK seien gegeben.

6

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 9 Abs 2 SGB VII sowie § 551 Abs 2 RVO und einen Verstoß gegen die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung. Für die Anerkennung einer Wie-BK seien ua besondere Einwirkungen zu fordern, denen der Kläger als Mitglied einer bestimmten Personengruppe in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sei. Zudem müssten neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft belegen, dass die Einwirkungen generell geeignet seien, PTBS zu verursachen. Bei den Feststellungen habe das LSG die Gruppe der Entwicklungshelfer iS des Entwicklungshelfer-Gesetzes von der Gruppe der als Landesbeauftragten eines Entwicklungshilfedienstes Beschäftigten abgrenzen müssen. Bei Beachtung dieser Unterscheidung zeige sich, dass Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die Verursachung einer PTBS nicht für die Gruppe der hauptamtlichen Landesbeauftragten gegeben seien. Für die Gruppe der hauptamtlich tätigen Verwaltungsbeauftragten lasse sich eine gruppenspezifische Risikoerhöhung nicht feststellen. Notwendig sei eine epidemiologische Bestätigung des Kausalzusammenhangs, die es nicht gebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14. Mai 2009 sowie das Urteil des SG Freiburg vom 25. Oktober 2005 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist teilweise begründet.

10

Da die Beklagte Revision eingelegt hat, sind nur die vom LSG bestätigte Aufhebung der Ablehnung der Feststellung einer Listen-BK im Bescheid vom 8.2.2000 und im Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000 und die Aufhebung der in diesem zudem enthaltenen Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK sowie die Verurteilung zur Entschädigung einer PTBS als Wie-BK Gegenstände der Revision. Diese ist begründet, soweit das LSG die Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung des die Anerkennung einer Listen-BK ablehnenden Bescheids vom 8.2.2000 und nur insoweit in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.7.2000 zurückgewiesen und das Urteil des SG mit der Maßgabe bestätigt hat, dass eine PTBS als Wie-BK festzustellen sei.

11

1. Gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer Listen-BK im Bescheid vom 8.2.2000 und die Zurückweisung seines Widerspruchs gegen diese Regelung im Widerspruchsbescheid hat der Kläger vor dem SG keine Klage erhoben. Er hat die Feststellung einer Listen-BK vor dem SG von Anfang an nicht begehrt. Der Verwaltungsakt vom 8.2.2000, der nur diese Regelung enthält, und der Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000, soweit er den Widerspruch gegen diese Verfügung zurückweist, sind vom Kläger nicht angegriffen worden und durften schon deshalb nicht aufgehoben werden.

12

2. Die Feststellung einer PTBS als zu entschädigende Wie-BK, die das SG ausgesprochen hat, hätte das LSG nicht bestätigen dürfen. Die hierauf gerichtete Feststellungsklage ist unzulässig gewesen, denn insoweit fehlte es an einer Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde über den Feststellungsantrag. Solange die sachlich zuständige Ausgangsbehörde des Unfallversicherungsträgers nicht über den erhobenen Feststellungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben.

13

3. Dagegen ist die Revision unbegründet, soweit das LSG die Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 25.7.2000 zurückgewiesen hat, soweit darin erstmals der Antrag auf Anerkennung der PTBS als Wie-BK abgelehnt worden ist. Das SG hat den Widerspruchsbescheid auf die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Ablehnung des Anspruchs auf Feststellung einer Wie-BK im Ergebnis zu Recht aufgehoben.

14

Soweit die Widerspruchsstelle den Widerspruch gegen die im Ausgangsbescheid verfügte Ablehnung der Feststellung einer Listen-BK zurückgewiesen hat, hat der Widerspruchsbescheid - wie gesagt - Bestand, denn er ist insoweit nicht angefochten worden. Soweit aber die Widerspruchsstelle erstmals die Feststellung einer Wie-BK abgelehnt hat, hat sie eine Entscheidung über ein anderes Recht des Klägers getroffen, denn der Anspruch auf Feststellung einer Listen-BK einerseits und derjenige auf Feststellung einer Wie-BK andererseits sind grundsätzlich zu unterscheiden (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 3/07 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 13).

15

Die Feststellung der Widerspruchsstelle, der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung einer Wie-BK, ist rechtswidrig und verletzt diesen schon in seinem verfahrensrechtlichen Recht auf Entscheidung durch die funktional und sachlich zuständige Behörde des Leistungsträgers (§ 42 Satz 1 SGB X). Denn die Widerspruchsstelle ist funktional und sachlich nicht zuständig, an Stelle der Ausgangsbehörde des Trägers - hier des Rentenausschusses - über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht zu entscheiden (vgl § 36a Abs 1 Satz 1 SGB IV iVm der Satzung der Beklagten; dazu BSG SozR 3-1500 § 87 Nr 1 S 5 f; BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 48/01 R, veröffentlicht in JURIS; BSG vom 18.10.2005 - B 4 RA 21/05 R; stRspr). Der Verfahrensfehler ist iS von § 62 Halbs 2, § 42 Satz 1 SGB X beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch.

16

Aufgrund des Antrags auf Feststellung einer Wie-BK, den der Kläger mit seiner Widerspruchsbegründung gestellt hat, muss jetzt die sachlich zuständige Behörde der Beklagten das Verwaltungsverfahren durchführen.

17

4. Der Senat sieht sich im Hinblick auf die bisherige Dauer des Verfahrens und den zeitlichen Aspekt, den die grundgesetzliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) hat, veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen:

18

Maßgebend für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs dürfte das SGB VII (§ 212 SGB VII)sein. Zwar könnte die streitige Erkrankung seit Mitte 1996 eingetreten sein. Es ist aber anzunehmen, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Einwirkungs-Verursachungs-beziehung - wenn überhaupt, dann - aus der Zeit nach dem Jahr 2000 stammen. Der Versicherungsfall dürfte daher nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sein (BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121, 126 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 22).

19

Für die Feststellung einer Wie-BK genügt es nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl BSG vom 30.1.1986 - 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr 27), denn die Regelung des § 9 Abs 2 SGB VII beinhaltet keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel(vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 31 mwN). Vielmehr darf die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f).

20

           

Nach § 9 Abs 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein (zu den einzelnen Prüfungsschritten nachfolgend):

(1) Ein "Versicherter" muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen.

(2) Die Voraussetzungen einer in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheit dürfen nicht erfüllt sein.

(3) Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII müssen vorliegen; es muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein (3.1), und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen (3.2).

(4) Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein.

(5) Im Einzelfall müssen die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein.

21

ad (1) Der Kläger dürfte als hauptamtlich Beschäftigter des DED bei seinen Auslandseinsätzen nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, § 4 Abs 1 SGB IV versichert gewesen sein, denn während seiner Auslandseinsätze bestand im Inland ein Beschäftigungsverhältnis zum DED, in dessen Rahmen er vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt im Ausland tätig war. Er hat mit der PTBS eine bestimmte Krankheit benannt, deren Anerkennung als Wie-BK er begehrt.

22

ad (2) Die Merkmale einer Listen-BK sind nicht erfüllt.

23

ad (3) Nach § 9 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 2 Halbs 1 SGB VII setzt die Feststellung einer Wie-BK voraus, dass eine bestimmte Personengruppe durch die Art der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist (3.1). Die Personengruppe darf nicht vorab nach gesetzesfremden Merkmalen bestimmt werden, sondern ergibt sich durch die nachgenannten Prüfungen. Zuerst ist die Art der Einwirkungen zu ermitteln, die im Blick auf die vom Versicherten geltend gemachte Krankheit abstrakt-generell als Ursachen in Betracht kommen können. Dann ist zu klären, ob diese abstrakt-generell einer bestimmten Art einer vom Versicherten verrichteten versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind. Erst aus dieser Verbindung von krankheitsbezogenen Einwirkungen und versicherten Tätigkeiten ergibt sich die abstrakt-generelle Personengruppe, die sich von der Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Als Einwirkungen kommt praktisch alles in Betracht, was auf Menschen einwirkt. Daher ist es - auch wenn es (noch) keine Listen-BK gibt - möglich, auf rein psychische Einwirkungen abzustellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber eine entsprechende Listen-BK einführen kann. An die bestimmte Personengruppe sind keine besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Größe (vgl BSG vom 29.10.1981 - 8/8a RU 82/80 - BSGE 52, 272, 275 = SozR 2200 § 551 Nr 20) oder sonstiger charakterisierender Merkmale zu stellen (zB nicht gemeinsamer Beruf, vgl Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII-Kommentar, Stand Mai 2010, § 9 RdNr 55).

24

(3.2) Die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, müssen abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein. Denn für die Beurteilung des generellen Ursachenzusammenhangs gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Vor der rechtlichen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursachenart selbst muss auch hier die naturwissenschaftliche/naturphilosophische Kausalitätsprüfung erfolgen. Dabei ist zu klären, ob nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen belegt ist, dass bestimmte Einwirkungen generell bestimmte Krankheiten der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen. Das ist anzunehmen, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt (zweifelnd zum Vorliegen solcher Erkenntnisse für die PTBS: Becker, ASUmed 2006, 304, 306; Knickrehm, SGb 2010, 381, 385). Bei der Erstellung und der gerichtlichen Überprüfung der Gutachten, die zur Ermittlung des Stands der Wissenschaft einzuholen sind, können zB auch Erkenntnisse der "militärischen" Forschung (Knickrehm, SGb 2010, 381, 388; Biesold, MedSach 2010, 23 ff) und die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften herangezogen werden (vgl BSG vom 9.5.2006, aaO, jeweils RdNr 26 mwN).

25

ad (4) Falls solche Erkenntnisse zur PTBS vorliegen, dürften diese neu iS des § 9 Abs 2 SGB VII sein (so auch das Urteil des LSG), weil sie bei der letzten Änderung der BKV vom Verordnungsgeber nicht geprüft und nicht beachtet wurden.

26

ad (5) Zur Beurteilung der Frage, ob auch die individuellen Voraussetzungen für die Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Wie-BK vorliegen, ergeben sich aus dem Urteil des Senats vom 9.5.2006 (aaO, jeweils RdNr 24 f) Hinweise, auch wenn es die psychischen Folgen eines Arbeitsunfalls betraf. Danach ist, wenn der Versicherte nicht selbst von Einwirkungen betroffen war, sondern Einwirkungen auf Dritte beobachtete, als Anknüpfungspunkt für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs ein enger personaler Bezug zu verlangen (vgl BSG vom 8.8.2001 - B 9 VG 1/00 R - BSGE 88, 240 = SozR 3-3800 § 1 Nr 20).

27

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Der Senat schätzt den Anteil des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens auf jeweils die Hälfte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. September 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen einer gemäß § 551 Abs 2 RVO von der Beklagten anerkannten Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) bereits für die Zeit vom 1.1.1992 bis zum 13.9.1993 zusteht.

2

Die Klägerin ist Witwe und Sonderrechtsnachfolgerin des im Jahre 1921 geborenen und am 21.1.2004 verstorbenen Versicherten. Dieser war von 1944 bis 1949 im französischen Steinkohlebergbau und von 1950 bis 1967 bei verschiedenen deutschen Bergbaugesellschaften ua als Hauer unter Tage tätig. Die Bergbau-Berufsgenossenschaft, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, leitete im Januar 1996 ein Feststellungsverfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) gemäß § 551 Abs 2 RVO alter Fassung (chronische Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau) ein. Mit interner "Anerkennungsverfügung" erkannte sie eine "entschädigungspflichtige Erkrankung nach § 551 Abs 2 RVO (CB-E)" an und ging von einer MdE von 40 vH sowie einem Rentenbeginn am 1.9.1994 aus. Sie informierte den Versicherten über die Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 1000 DM (Schreiben vom 4.12.1996) und zahlte weitere Rentenvorschüsse.

3

Mit Bescheid vom 28.10.1997 lehnte die Bergbau-Berufsgenossenschaft sodann jedoch einen Anspruch auf Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO mit der Begründung ab, nunmehr liege der Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur Neuordnung der Berufskrankheitenverordnung (BKV) vor. Danach solle künftig die chronisch obstruktive Bronchitis oder das Emphysem als BK in die Anlage zur BKV aufgenommen werden. Bei der Entscheidung nach § 551 Abs 2 RVO sei der Entwurf einer neuen Änderungsverordnung zur BKV mit Aufnahme einer BK 4111 in die BK-Liste im Vorgriff zu berücksichtigen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3.12.1997 zurück.

4

Die dagegen vom Versicherten am 12.12.1997 erhobene Klage ist von der Klägerin nach zweimaligem Ruhen des Verfahrens, der Entscheidung des BVerfG vom 23.6.2005 (1 BvR 235/00) und dem Tod des Versicherten als Sonderrechtsnachfolgerin fortgeführt worden. Mit Bescheid vom 28.10.2005 hat die Bergbau-Berufsgenossenschaft der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin eine Teilrente nach einer MdE von 40 vH ab dem 1.9.1994 bewilligt und den Bescheid vom 28.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.12.1997 gemäß § 44 Abs 1 SGB X teilweise zurückgenommen. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls gelte der 23.1.1986. Die Rente beginne am 1.9.1994, weil zu diesem Zeitpunkt die neuen Erkenntnisse hinsichtlich der beruflichen Ursache dieser Krankheit vorgelegen hätten. Nach Beiziehung weiterer Arztbefunde hat die Beklagte der Klägerin mit weiterem Bescheid vom 31.3.2006 Rente nach einer MdE von 50 vH für die Zeit vom 24.4.1998 bis 21.1.2004 bewilligt.

5

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr sei aus der Versicherung ihres am 21.1.2004 verstorbenen Ehegatten wegen der anerkannten Wie-BK eine Rente nach einer MdE von 40 vH bereits ab dem 1.1.1992 zu zahlen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2008).

6

Mit der Berufung hat die Klägerin weiterhin geltend gemacht, es sei nicht entscheidungserheblich, zu welchem Zeitpunkt in der medizinischen Wissenschaft die neuen Erkenntnisse vorgelegen hätten, die zur Aufnahme der BK 4111 geführt hätten. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspreche es der Funktion des § 551 Abs 2 RVO als einer "Öffnungsklausel", auf den Erkenntnisstand bei Beginn der Erkrankung abzustellen. Dies hätte in vielen Fällen zur Folge, dass eine Entschädigung gerade der Erkrankungen, die Anlass zur Erweiterung der BK-Liste gegeben hätten, nicht möglich wäre.

7

Im Verhandlungstermin am 30.9.2011 haben die Beteiligten vor dem LSG sodann einen Teilvergleich geschlossen, wonach die Beklagte der Klägerin Rente nach einer MdE von 40 vH wegen der anerkannten Wie-BK für den Zeitraum auch vom 14.9.1993 bis 31.8.1994 gewährt.

8

Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, mit der diese noch beantragt hatte, die Beklagte unter "teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 28.10.2005 und 31.3.2006 zu verurteilen, ihr (…) Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 vom Hundert vom 1.1.1992 bis zum 13.09.1993 (…) zu gewähren" (Urteil vom 30.9.2011). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Versicherungsfall der Wie-BK trete zu dem Zeitpunkt ein, zu dem alle Voraussetzungen des hier anzuwendenden § 551 Abs 2 RVO objektiv gegeben seien. Demnach liege dieser erst dann vor, wenn neben den - hier unstreitigen - Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BK'en nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt seien. Die Feststellung des Versicherungsfalls der Wie-BK komme erst mit dem Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Betracht. Insbesondere lasse sich auch unter Berücksichtigung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV aus der Neuregelung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV kein durchgreifendes Argument für einen früheren Beginn der Rente herleiten. Leistungen würden demnach auch bei einer anerkannten BK 4111 rückwirkend grundsätzlich längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren erbracht.

9

Die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gemäß § 551 Abs 2 RVO hätten erst für die Zeit ab dem 14.9.1993 vorgelegen. Denn zu diesem Zeitpunkt habe der Entwurf der wissenschaftlichen Begründung der Sektion "Berufskrankheiten" für die Aufnahme der BK 4111 in die Anlage zur BKV vorgelegen und sei (am 14.9.1993) erstmals in diesem Gremium dezidiert beraten worden. Zuvor habe es lediglich - zum Teil aus dem Ausland stammende - Veröffentlichungen in der Literatur mit Hinweisen auf einen Kausalzusammenhang zwischen dem Entstehen einer chronischen obstruktiven Bronchitis bzw eines Emphysems und der Einwirkung von Feinstaub bei versicherter Tätigkeit von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau gegeben. Dies allein vermöge das Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO nicht zu begründen. Der Beschluss über die Aufnahme von Beratungen sei nach einer Mitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 10.4.2006 zwar bereits im Januar 1993 gefasst worden. Die Bestätigung der so genannten "generellen Geeignetheit", dh der grundsätzlichen Eignung von Feinstaub im Steinkohlebergbau, eine chronische Bronchitis bzw ein Emphysem zu verursachen, sei demnach erst im September 1993 erfolgt. Mit der auf den Auswertungen der von Prof. Dr. P. und Prof. Dr. B. geleiteten Arbeitsgruppen beruhenden Feststellung dieser "generellen Geeignetheit" in der Sitzung der Sektion "Berufskrankheiten" am 14.9.1993 hätten die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO vorgelegen. Sie hätten sich zu diesem Zeitpunkt zur BK-Reife verdichtet. Wenn die Klägerin darauf verweise, maßgebliche Daten hätten in Großbritannien bereits im Jahre 1988 vorgelegen, so seien diese britischen Daten gemeinsam mit anderen, erst noch aus der Literatur zusammenzustellenden Befunden zum Zwecke einer abschließenden Bewertung durch das hierfür vorgesehene Gremium zunächst zu kompilieren und so einer umfassenden Überprüfung gerade mit Blick auf die bergbaulichen Verhältnisse in Deutschland erst zugänglich zu machen gewesen.

10

Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft lägen (erstmals) in dem Zeitpunkt vor, in dem sie in einer zur Beratung und wissenschaftlichen Gesamtbewertung durch das maßgebende Gremium geeigneten Form diesem Gremium erstmals vorgelegen hätten und lediglich noch Details einer einzuführenden BK zu klären gewesen seien. Dieser Zeitpunkt sei bei der BK 4111 der 14.9.1993 gewesen. Ab diesem Zeitpunkt seien lediglich noch Beratungen über die Möglichkeit und den Inhalt einer kumulativen Staubdosis erforderlich gewesen, nach deren Abschluss sei dann im April 1995 der Beschluss der wissenschaftlichen Empfehlung erfolgt. Das lediglich noch zur Beratung und späteren normativen Festlegung verbliebene notwendige Ausmaß der schädigenden Einwirkung nach zeitlichem Umfang und Staubkonzentration sei hingegen ohne wesentliche Bedeutung für die Frage des Zeitpunkts des Vorliegens neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO.

11

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 551 Abs 2 RVO. Der Versicherungsfall einer "Wie-BK" trete gemäß § 551 Abs 3 Satz 2 RVO mit dem Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung oder des Beginns der MdE ein(Hinweis auf BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 R). Dies sei hier nach den Feststellungen des LSG am 23.1.1986 der Fall gewesen. Jedenfalls ab dem 1.1.1992 habe eine MdE von 40 vH vorgelegen. Für die Anerkennung einer Wie-BK iS des § 551 Abs 2 RVO müssten sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten zur BK-Reife verdichtet haben. Es genüge, dass die BK-Reife im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch auf eine Leistung eingetreten sei. Die erstmalige verbindliche Entscheidung der Beklagten über den Anspruch sei am 28.10.1997 erfolgt. Nach dem LSG hätten die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bereits ab dem 14.9.1993 vorgelegen, sodass die Entscheidung der Beklagten mithin vier Jahre nach dem Vorliegen dieser Erkenntnisse erfolgt sei. Die Beklagte habe daher die Entscheidung über die Zahlung der Verletztenrente in rechtswidriger Weise verzögert. Das LSG habe insoweit die Rechtsprechung des BVerfG nicht angewandt (Hinweis auf BVerfG vom 23.6.2005 - 1 BvR 235/00). Schließlich bestimme § 6 Abs 2 Satz 2 BKV, dass der Anspruch für vier Jahre rückwirkend begründet sei. Nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R) sei diese Vorschrift auch auf den Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankung auch ohne Antrag bekannt werde.

12

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30.9.2011 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.9.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Regelung über den Rentenbeginn in den Bescheiden vom 28.10.2005 und 31.3.2006 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 1.1.1992 bis 13.9.1993 eine Verletztenrente als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes nach einer MdE von 40 vH zu gewähren.

13

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil. Der Versicherungsfall einer Wie-BK liege erst dann vor, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BK'en nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt seien. Dies sei hier frühestens am 14.9.1993 der Fall gewesen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass für den Zeitraum vom 1.1.1992 bis zum 13.9.1993 ein Rechtsanspruch des Versicherten auf Anerkennung einer Wie-BK nicht bestand, den die Klägerin als Rechtsnachfolgerin geltend machen könnte. Insofern hat die Beklagte zu Recht ihre Aufhebung der ursprünglichen Bescheide aus dem Jahre 1997 gemäß § 44 SGB X auf den Zeitraum ab dem 14.9.1993 beschränkt. Diese Bescheide enthalten zugleich eine negative Regelung über einen früheren Rentenbeginn und sind gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des ursprünglichen Rechtsstreits des Versicherten gegen die Beklagte geworden.

16

Der Versicherungsfall der Wie-BK tritt zu dem Zeitpunkt ein, zu dem tatsächlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die arbeitsbedingte Verursachung einer bestimmten Erkrankung sich zur sog BK-Reife verdichtet haben (sogleich unter 1.). Es ist weder aus tatsächlichen Gründen (hierzu unter 2.) geboten, hinsichtlich der BK 4111 der Anlage 1 zur BKV von einem früheren Zeitpunkt des Versicherungsfalls als dem vom LSG festgelegten 14.9.1993 auszugehen, noch ist es aus Rechtsgründen geboten, den Zeitpunkt des Versicherungsfalls weiter vorzuverlegen (hierzu unter 3.).

17

1. Maßgebliche Rechtsgrundlage für das Handeln der Beklagten ist hier noch § 551 Abs 2 RVO, der nach der Übergangsregelung des § 212 SGB VII weiterhin einschlägig ist, weil der Versicherungsfall in jedem Falle vor Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten ist. Nach § 551 Abs 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung (gemeint ist die BKV) bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO vorliegen. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl zuletzt BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 9 zu § 9 Abs 2 SGB VII), ergeben sich für die Feststellung des Vorliegens einer Wie-BK die folgenden Tatbestandsmerkmale: (1.) das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen für eine in der BKV bezeichnete Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach § 551 Abs 1 Satz 2 RVO bzw § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII, (3.) nach neuen Erkenntnissen (§ 551 Abs 2 RVO) bzw nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (§ 9 Abs 2 SGB VII) sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie-BK im Einzelfall bei dem Versicherten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats enthält diese Vorschrift keine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als "Wie-BK" anzuerkennen wäre (vgl nur BSG vom 23.6.1977 - 2 RU 53/76 - BSGE 44, 90 = SozR 2200 § 551 Nr 9; BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9).

18

Da nach den insoweit bindenden Feststellungen des LSG die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 2 SGB VII) vorliegen, war hier nur noch streitig, zu welchem Zeitpunkt die "neuen Erkenntnisse" im Sinne dieser Norm gegeben waren. Denn erst in diesem Zeitpunkt bestand ein Anspruch des Versicherten auf Anerkennung einer Wie-BK. Nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls kann dieser auch vorliegen (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 16). Der Versicherungsfall der Wie-BK setzt aber voraus, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt neue Erkenntnisse der Wissenschaft über Kausalzusammenhänge vorliegen. Erst in diesem Zeitpunkt entstehen auch mögliche Leistungsansprüche aus dem Versicherungsfall der Wie-BK (vgl P. Becker in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) - Kommentar, § 9 RdNr 325b; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 9 RdNr 42). Allerdings müssen diese Kenntnisse nicht bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der Erkrankung vorgelegen haben, der hier, wovon auch die Beteiligten ausgehen, am 23.1.1986 lag. Der Senat hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssten sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die BK-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei (BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22; BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - Juris RdNr 17). Hieraus folgt aber noch nicht - was die Klägerin offenbar meint -, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Versicherungsfalls der Wie-BK (hier der Zeitpunkt des Vorliegens neuer Erkenntnisse) gleichsam rückwirkend für den Zeitpunkt des Eintritts der Krankheit fingiert werden könnten. Auch aus der Regelung des § 551 Abs 3 Satz 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 5 SGB VII) folgt nichts anderes (s im Einzelnen noch unter 3 b).

19

2. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass jedenfalls vor dem 14.9.1993 die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten Wie-BK nicht vorgelegen haben. Nach den von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lagen jedenfalls an diesem Tag dem Sachverständigenbeirat beim BMA die beiden Literaturstudien von B. et al bzw P. et al vor und hat der Sachverständigenbeirat grundsätzlich die Anerkennung einer neuen Listen-BK 4111 gefordert. Zu diskutieren sei bis zur endgültigen Empfehlung vom 4.4.1995 lediglich das geforderte Ausmaß der schädigenden Einwirkung gewesen. Es kann dahinstehen, ob dem beizutreten ist oder ob nicht der 4.4.1995 als maßgeblicher Zeitpunkt der BK-Reife zu gelten hat, was der Senat bereits entschieden hat. In seinem Urteil vom 2.12.2008 (B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 15) hat er klargestellt, dass angesichts der Tatsache, dass die obstruktive Bronchitis und das Lungenemphysem im Jahr 1995 noch nicht in der BKV bezeichnet worden waren (vgl die damals geltende 7. Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.6.1968, BGBl I 721 idF der 2. Änderungsverordnung vom 18.12.1992, BGBl I 2343), die generellen Voraussetzungen für die Bezeichnung dieser Erkrankungen als Listen-BK erst mit der Anerkennungsempfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten vom 4.4.1995 vorlagen (vgl Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 1.8.1995, BArbBl 1995 Heft 10, S 39 ff).

20

Es kann dahinstehen, ob hieran angesichts der umfangreichen Ermittlungen des LSG zum Ablauf der Beratungen im Sachverständigenbeirat festzuhalten und ob der vom LSG festgesetzte Zeitpunkt der BK-Reife (14.9.1993) bei der chronischen obstruktiven Bronchitis und dem Emphysem von Bergleuten vorzugswürdig wäre. Denn die Beklagte hat diesen Zeitpunkt in dem vor dem LSG geschlossenen Vergleich selbst zugrunde gelegt und lediglich die Klägerin führt das Rechtsmittel der Revision. Allerdings wird beiläufig darauf hingewiesen, dass der jeweilige Zeitpunkt der förmlichen Empfehlung des Sachverständigenbeirats (hier der 4.4.1995) zweifelsohne den Vorteil einer rechtssicheren Handhabung in sich trägt. Das Vorgehen des LSG hat im Einzelfall den Nachteil, dass ohne eine dokumentierte förmliche Beschlussfassung in dem Gremium jeweils im Einzelfall (ggf unter Heranziehung der beteiligten Sachverständigen als Zeugen) zu ermitteln ist, wann ein (an welchen Kriterien auch immer festzumachender) Konsens in dem Sachverständigenbeirat festgestellt werden kann.

21

3. Es ist kein weiterer Rechtsgrund ersichtlich, den Eintritt des Versicherungsfalls auf einen früheren Zeitpunkt festzulegen.

22
        

a) Offenbar leitet die Klägerin aus der bereits erwähnten Rechtsprechung des Senats, dass die neuen (wissenschaftlichen) Erkenntnisse jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen (aaO; vgl auch BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22), ab, dass dieser Erkenntnisstand sodann auf den Beginn des Verwaltungsverfahrens bzw den Eintritt der Erkrankung zurückwirke (insofern nicht nachvollziehbar ist allerdings der Hinweis auf BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 14). Das BSG hat hingegen mit dem Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung lediglich sicherstellen wollen, dass insofern nicht zu Lasten der Versicherten auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Erkrankung abzustellen ist, sodass nachträgliche Erkenntnisse (nach Beginn des Verwaltungsverfahrens) noch zu Gunsten der jeweiligen Kläger wirken können. Dies ändert freilich nichts daran, dass (erst) nachträglich ein bestimmter Zeitpunkt feststellbar sein muss, an dem sich die Erkenntnisse der Wissenschaft zur BK-Reife verdichtet haben. So hat der Senat in seinem Urteil vom 14.11.1996 (2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22) ausgeführt:

"Das in § 551 Abs 2 RVO versicherte Risiko realisiert sich erst zu dem Zeitpunkt, in dem entsprechende 'neue Erkenntnisse' gesichert vorliegen. Würde man, wie die Revision meint, auf den Erkenntnisstand der Erkrankung - im Fall des Klägers damit auf das Jahr 1986 - abstellen, so bedeutete dies in vielen Fällen, dass eine Entschädigung gerade der Erkrankungen, die Anlass zur Entwicklung des neuen Erkenntnisstands gegeben haben, nicht möglich wäre. Dies hätte ein der Funktion des § 551 Abs 2 RVO als 'Öffnungsklausel' widersprechendes Ergebnis zur Folge (Koch in Schulin aaO § 37 RdNr 24 unter Hinweis auf § 9 Abs 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts in der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch - s inzwischen Gesetz vom 7. August 1996 - Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - BGBl I 1254). Der Rechtsprechung des BSG zum Umfang der Rückwirkungsvorschriften in Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO zur BKVO vom 18. Dezember 1992 in Bezug auf § 551 Abs 2 RVO hätte es - wie auch das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht bedurft, wenn darin die Rechtsauffassung vertreten worden wäre, die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse hätten zumindest im Zeitpunkt der Erkrankung vorliegen müssen. Diese Rechtsstreitigkeiten waren in tatsächlicher Hinsicht sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass die neuen medizinischen Erkenntnisse zu den BKen Nrn 2108 und 2109 (BSG Urteile vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 - BSGE 75, 51 ff sowie Urteil vom 19. Januar 1995 - 2 RU 14/94 - HV-Info 1995, 1331) und zur BK Nr 4104 (BSG Urteile vom 19. Januar 1995 - 2 RU 13/94 - HV-INFO 1995, 972 sowie 2 RU 20/94 - HV-Info 1995, 1141) erst nach Inkrafttreten der 1. ÄndVO vom 22. März 1988 (BGBl I 400) zum 1. April 1988 gesichert vorlagen, während die Versicherten bereits vorher erkrankt und - soweit die Entschädigung von Wirbelsäulenerkrankungen umstritten waren - aus dem Berufsleben ausgeschieden waren."

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b) Auch die Regelung des § 551 Abs 3 Satz 2 RVO ist entgegen der Rechtsansicht der Revision für die Bestimmung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls nicht einschlägig. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, enthält diese Norm lediglich eine Regelung über und für den Leistungsfall (grundlegend BSG vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 35; bestätigt ua BSG vom 10.8.1999 - B 2 U 20/98 R - SozR 3-2200 § 571 Nr 4 S 15). § 551 Abs 3 Satz 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 5 SGB VII)und enthält eine Regelung über den Versicherungsfall lediglich, soweit dieser für Regelungen des Leistungsrechts, wie etwa die Bestimmung des Jahresarbeitsverdienstes etc, von Bedeutung ist (so explizit der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom UVEG vom 24.8.1995, BT-Drucks 13/2204, S 78 zu § 9 Abs 5 SGB VII; vgl auch Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 9 RdNr 34). § 551 Abs 3 Satz 2 RVO enthält nach dieser Rechtsprechung(aaO) eine eigenständige Bestimmung für den Leistungsfall, für den ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist. Die Beklagte hat gerade einen solchen in dem Bescheid vom 31.3.2006 auch vorgenommen, indem sie ausführte, dass für die Leistungen auf den 23.1.1986 abgestellt werde (instruktiv zu diesem Günstigkeitsvergleich Brandenburg in jurisPK-SGB VII, § 9 RdNr 130 f). Allein für den Leistungsfall und nicht auch für den Versicherungsfall ist der Beginn der Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts maßgebend (vgl BSG vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 35 S 70).

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c) Auch aus der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Senats zur Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV vom 17.5.2011 (B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5) kann nichts dafür abgeleitet werden, dass der Versicherungsfall hier vor dem 14.9.1993 eingetreten sein könnte. Der Senat hat in dieser Entscheidung lediglich Ausführungen dazu gemacht, wann der Versicherungsfall einer Listen-BK eintritt, und klargestellt, dass dies nicht vor dem Zeitpunkt sein kann, zu dem ihre Aufnahme in die Anlage zur BKV in Kraft getreten ist. Weiterhin hat der Senat dort nur klargestellt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV(idF vom 11.6.2009, BGBl I 1273 mWv 1.7.2009) lediglich darauf abzielt, entgegen dem früheren Recht ab dem 1.7.2009 die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der BK 4111 zu eröffnen, ohne den Zeitpunkt der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum 1.7.2009 in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der BK 4111, sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem 1.1.1993 liegenden Erkrankungen als BK 4111 sollte eingeräumt werden, ansonsten hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV hinsichtlich der Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls bedurft.

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Mithin hätte die Revision hier nur Erfolg haben können, wenn sie dargelegt hätte, dass bereits vor dem 14.9.1993 neue, gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft zur chronischen obstruktiven Bronchitis bzw zum Emphysem von Bergleuten vorgelegen haben, die die Entscheidung des LSG, den Zeitpunkt des Versicherungsfalls gemäß § 551 Abs 2 RVO auf den 14.9.1993 festzulegen, in Frage hätten stellen können. Solches trägt die Revision aber gerade nicht vor.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.