Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. März 2015 - L 15 SB 127/14

bei uns veröffentlicht am18.03.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Februar 2014 wird insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen, als die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG begehrt.

II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch darauf hat, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) festgestellt werden.

Die Klägerin ist 1943 geboren. Bei einem Skiunfall im Alter von sieben Jahren erlitt sie einen Bruch des linken Oberschenkels, der in der Folge zu diversen Komplikationen und Operationen führte.

Zuletzt waren in Umsetzung des Urteils des Senats vom 25.08.2005, Az.: L 15 SB 35/00, mit Bescheid vom 07.11.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G anerkannt worden. Dem waren folgende Gesundheitsstörungen zu Grunde gelegt worden:

  • 1.Funktionsbehinderung der rechten unteren Extremität bei eingeschränkter Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes und ausgeprägten Knorpelschäden, anhaltende Reizerscheinungen bei Beinverkürzung um 3,5 cm sowie Innenrotationsfehlstellung (Einzel-GdB 40),

  • 2.Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Muskel- und Nervenwurzelreizerscheinungen, Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 30).

Mit Schreiben vom 25.10.2010 beantragte die Klägerin die Ausstellung eines "Behindertenfahrausweises" aufgrund ihrer Brustoperation. Mit Schreiben vom 10.11.2010 beantragte sie zudem die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG. Die anschließenden Ermittlungen des Beklagten ergaben, dass die Klägerin im Jahr 2008 an einem Mammakarzinom erkrankt war.

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 27.12.2010 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30.12.2010 einen GdB von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G fest. Dem lagen folgende Gesundheitsstörungen zu Grunde:

  • 1.Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung) (Einzel-GdB 50),

  • 2.Funktionsbehinderung der rechten unteren Extremität bei eingeschränkter Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes und ausgeprägten Knorpelschäden, anhaltende Reizerscheinungen bei Beinverkürzung um 3,5 cm sowie Innenrotationsfehlstellung (Einzel-GdB 40),

  • 3.Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Muskel- und Nervenwurzelreizerscheinungen, Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 30).

Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und B lehnte der Beklagte ab.

Mit Schreiben vom 17.01.2011 erhob die Klägerin Widerspruch. Neben der Höhe des GdB beanstandete sie, dass ihr die Merkzeichen aG und B nicht zuerkannt worden seien. Sie benötige den Parkausweis, da sie sich mit dem rechten Arm weder auf einem Stock abstützen noch einen Einkauf ohne eine Begleitperson und ohne zusätzliche Schmerzbeeinträchtigung unternehmen könne. Auch sei für sie die Ermittlung des GdB nicht nachvollziehbar.

Nach Einholung von Befundberichten und von zwei versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 06.04.2011 und vom 11.05.2011 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2011 den Widerspruch zurück. Der Gehbehinderung sei mit dem bereits zuerkannten Merkzeichen G angemessen Rechnung getragen.

Mit Schreiben vom 10.06.2011 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben.

Ihre Bevollmächtigten haben die Klage mit Schreiben vom 30.01.2012, was das Merkzeichen aG betrifft, wie folgt begründet: Bei der Klägerin sei das Merkzeichen aG bereits in der Vergangenheit schon einmal mit Bescheid vom 26.06.1990 anerkannt worden. Es sei darauf hinzuweisen, dass der Klägerin das Merkzeichen seinerzeit zuerkannt worden sei, ohne dass sie dem Personenkreis angehört habe, bei dem vom Vorliegen der Voraussetzungen für dieses Merkzeichen ausgegangen werde. In dem beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) früher anhängigen Klageverfahren habe der Gutachter Prof. Dr. B. im Gutachten vom 16.03.2005 die Einschätzung geäußert, dass bei der Klägerin sowohl die Voraussetzungen für einen GdB von 80 als auch für die Merkzeichen B und aG gegeben seien. Der Gutachter sei davon ausgegangen, dass die Klägerin zwar nicht an den Krankheitsbildern leide, wie sie als Regelbeispiele für das Merkzeichen aG aufgeführt seien, ihre Schmerzen jedoch vom Charakter her mit den Schmerzcharakteristika bei diesen Krankheitsbildern vergleichbar seien. Seit diesem Gutachten habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin nicht gebessert, sondern eher verschlechtert. Die Klägerin lasse vorbringen, dass sie sich außerhalb ihres Kraftfahrzeugs gleichsam vom ersten Schritt an nur mit großer Kraftanstrengung zu Fuß fortbewegen vermöge und dass sie darüber hinaus selbst bei kurzen Strecken auf eine Begleitperson angewiesen sei.

Das SG hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeholt und anschließend ein Gutachten beim Orthopäden Dr. T. in Auftrag gegeben. Dieser ist im Gutachten vom 30.04.2012 zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht erfüllt seien. Eine Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, wie sie bei einem Doppeloberschenkelamputierten gegeben sei, bestehe bei der Klägerin nicht, auch nicht unter Berücksichtigung der negativen Wechselwirkung der Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule und den unteren Extremitäten. Da die Klägerin angegeben habe, die Gehfähigkeit sei im Wesentlichen auch durch Gleichgewichtstörungen und Schwindelattacken beeinträchtigt, rege er eine weitere Begutachtung auf neurologischem Fachgebiet an.

Dieser Anregung folgend hat das Gericht ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. B. eingeholt. Auch dieser ist im Gutachten vom 07.11.2012 zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht erfüllt seien. Die von der Klägerin beschriebene Schwindelsymptomatik könne nicht als zusätzliche Behinderung attestiert werden, da dem Schwindel keine neurologische Erkrankung zu Grunde liege und im Rahmen der durchgeführten Untersuchung ein aktueller Schwindel auch nicht vorgelegen habe bzw. auch nicht beklagt worden sei. Gegenüber dem orthopädischen Gutachten neue Aspekte zur Gehstörung gebe es nicht.

Auf den mit Schreiben vom 19.11.2012 ergangenen richterlichen Hinweis, dass keine weiteren Ermittlungen beabsichtigt seien und daher die Rücknahme der Klage angeraten werde, hat die Klägerin den Gutachtern sinngemäß eine ungenaue Darstellung und eine Bagatellisierung ihrer Beschwerden vorgeworfen und darauf hingewiesen, dass der Gutachter Prof. Dr. B. sich im Jahr 2005 eingehend mit der Schmerzsymptomatik auseinandergesetzt habe.

In der mündlichen Verhandlung vom 11.04.2013 ist der Rechtsstreit vertagt worden und die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen auf schmerztherapeutischem Fachgebiet bei Dr. R. beschlossen worden. Dieser ist im "anästhesiologisch-schmerztherapeutischen" Gutachten vom 12.07.2013 zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfüllt seien.

Der Beklagte hat diesem Gutachten entgegen gehalten, dass der vom Sachverständigen erhobene Untersuchungsbefund keine Gleichstellung mit dem Personenkreis zulasse, der auf einen Rollstuhl angewiesen sei.

Mit Urteil vom 26.02.2014 ist der Klage stattgegeben und der Beklagte verpflichtet worden, die Merkzeichen B und aG zuzuerkennen. Soweit das Merkzeichen aG betroffen ist, hat dies das SG wie folgt begründet:

"Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" liegen bei der Klägerin vor. Hierbei stützt sich die Kammer ebenfalls auf die genannten Versorgungsärztlichen Richtlinien D 3 3.b sowie das Gutachten des Schmerztherapeuten Dr. R.. Hierbei ist festzustellen, dass die dort genannten Voraussetzungen (Querschnittsgelähmte etc.) nach Ansicht des Gerichtes eigentlich nur beispielhaft sind. Letztlich kommt es auf den Einzelfall an. Dies war auch der Grund, warum das Gericht einen Schmerztherapeuten beauftragt hat. Beispielsweise führt Dr. R. auf Seite 1 seines Gutachtens aus, dass hinsichtlich der Chronifizierung des bei der Klägerin vorliegenden Schmerzsyndroms Grad III erreicht wird; es wird damit der höchste Chronifizierungsgrad einer chronischen Schmerzerkrankung bei der Klägerin erreicht. Die vom Gericht ursprünglich beauftragten Gutachter Dr. T. und Dr. B. sind zwar als erfahren bekannt, jedoch wohl nicht auf dem Gebiet der Schmerztherapie."

Eine weitergehende Begründung enthält das Urteil nicht.

Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt, was das Merkzeichen aG angeht. Er hat die Berufung mit Schreiben vom 21.07.2014 wie folgt begründet: Bei der Klägerin bestünden an die Geh- und Stehfähigkeit betreffenden Gesundheitsstörungen am rechten Bein eine muskuläre Insuffizienz, eine Beinverkürzung, eine Funktionseinschränkung des rechten Kniegelenks sowie ein Schmerzsyndrom mit Ausstrahlung von der Lendenwirbelsäule. Das angefochtene Urteil gründe sich ausschließlich auf das eingeholte schmerztherapeutische Gutachten des Dr. R. und lasse jegliche Auseinandersetzung mit den Vorgutachten vermissen. Dass die Klägerin in ihrer Fortbewegungsfähigkeit deutlich eingeschränkt sei, werde nicht in Abrede gestellt; dem sei aber mit dem Merkzeichen G bereits Rechnung getragen. Eine darüber hinausgehende Gleichstellung mit dem berechtigten Personenkreis der Querschnittsgelähmten, Doppelober-, Doppelunterschenkelamputierten usw. sei jedoch nicht möglich. So habe die Klägerin noch gegenüber Dr. B. angegeben, in der Lage zu sein, 100 m am Stück zu gehen und ihren Weg nach kurzem Pausieren fortzusetzen. Selbst gegenüber Dr. R. habe die Klägerin eine gesamte Gehzeit ohne Pausen von 5 Minuten für langsames Gehen angegeben.

Zur weiteren Sachaufklärung hat der Senat beim Neurologen und Psychiater Dr. C. ein Gutachten angefordert. Dieser ist im Gutachten vom 29.10.2014 zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht erfüllt seien. Bei der Untersuchung der Klägerin habe er - so Dr. C. - keine diffusen oder umschriebenen Muskelverschmächtigungen und auch keine motorischen Ausfälle feststellen können. Für die von der Klägerin angegebene Schwindelsymptomatik gebe es keinen damit korrespondierenden klinischen Befund. Eine neurologische Symptomatik, die in der Lage wäre, das Merkzeichen aG zu begründen, liege nicht vor.

Das Gutachten samt ausführlichen richterlichen Erläuterungen ist mit gerichtlichem Schreiben vom 02.12.2014 an die Bevollmächtigten der Klägerin übersandt worden; Frist zur Stellungnahme ist auf den 14.01.2015 gesetzt worden.

Mit Schreiben vom 12.01.2015 haben die Bevollmächtigten mitgeteilt, dass die Klägerin mit dem Gutachten des Dr. C. nicht einverstanden sei und daher einen Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erwäge. Zudem ist der Bericht über eine Kernspintomographie der Halswirbelsäule vom 08.12.2014 übersandt worden, die wegen einer akuten Zervikobrachialgie angefertigt worden war. Darin sind eine ausgeprägte, teilweise aktivierte Arthrose des linken atlanto-axialen Gelenks, eine relative Spinalkanalverengung C5/6, eine rechtsseitige Foramenenge C3/4 bis C5/6 sowie eine schwere Torsionsskoliose der HWS, nicht aber Zeichen einer Myelopathie beschrieben worden.

Mit Schreiben vom 10.03.2015 haben die Bevollmächtigten der Klägerin tabellarisch aufgelistete Kritikpunkte der Klägerin am Gutachten des Dr. C. übermittelt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.02.2014 insoweit aufzuheben, soweit der Beklagte zur Zuerkennung des Merkzeichen aG verurteilt wurde, und insoweit auch die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise, dass Dr. C. ergänzend zu dem Radiologiebericht vom 09.12.2014 gehört wird und Dr. R. aufgefordert wird, entsprechend den Ausführungen des Dr. C. objektive Symptome für die Annahme der muskulären Insuffizienz zu nennen.

Höchstvorsorglich beantragt sie die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. W.P..

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen, zudem auch die Akte des Bayer. LSG mit dem Aktenzeichen L 15 SB 35/00. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Gründe

Soweit das SG den Beklagten unter Abänderung seines Bescheids vom 30.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.05.2011 verurteilt hat, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen, ist das Urteil des SG aufzuheben. Der angefochtene Bescheid war insofern rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG; die gesundheitlichen Voraussetzungen hierfür sind bis heute nicht nachgewiesen.

1. Rechtliche Vorgaben für das Merkzeichen aG

Anspruchsgrundlage ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m. den unten näher dargestellten straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften und den ergänzenden Regelungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG).

Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ermächtigt, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen über "die Schaffung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung...". Davon hat das Bundesministerium mit § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) Gebrauch gemacht, ohne die Voraussetzungen der außerordentlichen Gehbehinderung näher zu präzisieren. Wegen der bundesweiten Auswirkungen hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung von seiner in § 46 Abs. 2 Satz 3 StVO gegebenen Ermächtigung zum Erlass von bundesweit gültigen Verwaltungsvorschriften mit den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO), zuletzt in der ab dem 18.11.2014 gültigen Fassung vom 17.11.2014, Gebrauch gemacht und dabei in Ziff. 129 f. zu § 46 StVO Folgendes vorgegeben:

"Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.

Hierzu zählen:

Querschnittsgelähmte, doppeloberschenkelamputierte, doppelunterschenkelamputierte, hüftexartikulierte und einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind."

Diese, in den VwV-StVO seit längerem unveränderten Vorgaben haben so auch Eingang in die bis 31.12.2008 geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit und in die anschließend zum 01.01.2009 in Kraft getretenen VG, die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 Rechtsnormcharakter haben (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 23.04.2009, Az.: B 9 SB 3/08 R), - dort Teil D Nr. 3. b) - gefunden. In Teil D Nr. 3. c) der VG ist - wie zuvor weitgehend inhaltsgleich schon in Teil B Nr. 31 der AHP 2008 - folgende klarstellende Ergänzung erfolgt:

"Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen."

2. Rechtsprechung insbesondere des BSG zum Merkzeichen aG

Dazu, wann von einem auf das Schwerste eingeschränkten Gehvermögen auszugehen ist, hat sich das BSG im Urteil vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R, wie folgt geäußert:

"Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (Az B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen."

Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für eine weite Auslegung im Rahmen der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG kein Raum ist. So hat es beispielsweise im Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RVs 19/86, Folgendes festgehalten:

"Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies bedeutet zugleich, daß der Personenkreis eng zu fassen ist. Denn mit der Ausweitung des Personenkreises steigt nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an sich mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden könnte. Mit jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber dem gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden kann. Auch hier ist bei einer an sich vielleicht wünschenswerten Ausweitung des begünstigten Personenkreises zu bedenken, daß dadurch der in erster Linie zu begünstigende Personenkreis wieder benachteiligt würde."

Der Maßstab zur Gleichstellung muss sich daher strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz - Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung - orientieren (vgl. BSG, Urteile vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RVs 19/86, vom 13.12.1994, Az.: 9 RVs 3/94, vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, und vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 1/06 R). Das BSG vertritt damit unzweifelhaft die Auffassung, dass eine erweiternde Auslegung der hier maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nach dem Zweck des Schwerbehindertenrechts nicht zulässig ist (vgl. BSG vom 03.02.1988, 9/9a RVs 19/86; Urteil des Senats vom 27.05.2010, Az.: L 15 SB 155/07).

Der Senat hat bereits im Urteil vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11, erläutert, dass es ihm nicht völlig abwegig erscheinen würde, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG mit nicht ganz so großer Strenge zu sehen, wie dies das BSG macht. Dabei hat er u.a. darauf hingewiesen, dass auch bei den Regelbeispielen durchaus Fälle denkbar sind, in denen der Behinderte trotz seines Leidens nicht so stark beeinträchtigt ist, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an (vgl. BSG, Urteile vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, und vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R) dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, ihm aber gleichwohl als Regelbeispiel das Merkzeichen zusteht. Derartigen Überlegungen ist jedoch das BSG bereits mit Urteil vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, entgegen getreten, in dem es ausgeführt hat:

"Da der Kläger nicht zu einer der in der VV beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört, kann er nach den Kriterien dieser Norm nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Für eine solche Gleichstellung hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung den folgenden Maßstab entwickelt: Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr 11 Abschnitt II 1 Satz 2 1. Halbsatz aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr 23). Im Einzelfall scheint es sich allerdings nur schwer entscheiden zu lassen, wann diese Forderung erfüllt ist. Denn bei den beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen handelt es sich in Bezug auf ihr Gehvermögen offenbar nicht um einen homogenen Personenkreis. Es erscheint sogar möglich, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen auf Grund eines günstigen Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen, was namentlich bei körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mit Hilfe moderner Orthopädietechnik der Fall sein mag (sodass diese nicht einmal als erheblich beeinträchtigt in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr anzusehen wären.

Solche Besonderheiten sind nicht geeignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer schwerbehinderter Menschen mit dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis richtet. Denn entweder handelt es sich bei Personen, die zwar nach der Art der Behinderung zu einer der aufgeführten Gruppen zählen, jedoch tatsächlich die Voraussetzungen des Obersatzes (Bewegung außerhalb des Kraftfahrzeuges nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung) nicht erfüllen, um Ausnahmefälle. Dann ist ihre Einbeziehung in den Kreis der Begünstigten unter dem Gesichtspunkt der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen. Oder es hat sich die Gehfähigkeit einer größeren Zahl von Angehörigen einer bestimmten Gruppe, also auch von typischen Vertretern derselben, - etwa durch Fortentwicklung der Orthopädietechnik - so verbessert, dass sie nach dem allgemeinen Maßstab bzw im Vergleich mit anderen genannten Personengruppen nicht als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden können. Dann ist ihre (weitere) beispielhafte Nennung in der VV zu Unrecht erfolgt. In diesem Fall könnte die betreffende Gruppe nicht mehr im Rahmen der Gleichstellung anderer behinderter Menschen zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter muss sich mithin strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren. Diese Personen können sich insbesondere nicht auf die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter berufen. In diesem Sinne ist auch die Bemerkung des Senats zu verstehen, dass es bei den aufgeführten Behindertengruppen grundsätzlich nicht auf die prothetische Versorgung ankommt (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr 22 und Urteil vom 27. Februar 2002 - B 9 SB 9/01 R - Juris)."

Für das Merkzeichen aG ist es daher erforderlich, dass sich der Schwerbehinderte wegen der Schwere seines Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, wobei dabei ein strenger Maßstab anzulegen ist. Dabei muss es sich um einen Dauerzustand handeln (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteil vom 29.01.1992, Az.: 9a RVs 4/90; Urteil des Senats vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11).

3. Beweismaßstab

Nach allgemein gültigen Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren sind die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich, d.h. wenn es keine Spezialregelung mit einer Herabsetzung der Beweisanforderungen gibt, im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen möchte.

4. Beurteilung im vorliegenden Fall

Bei Beachtung der oben aufgezeigten rechtlichen Vorgaben und der vom BSG aufgestellten Maßstäbe sowie bei Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass in der Person der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG bis heute nicht im dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen sind.

4.1. Zur Gutachtenslage

Der Senat stützt sich auf die überzeugend, eingehend und nachvollziehbar begründeten Gutachten der erfahrenen Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren auf orthopädischem und nervenärztlichem Gebiet, Dr. T. und Dr. B., sowie auf das Gutachten des ebenfalls sehr erfahrenen Sachverständigen Dr. C. auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet im Berufungsverfahren. Diese drei Sachverständigen haben die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig erfasst und ihre Auswirkungen auf die Gehfähigkeit der Klägerin zutreffend gewürdigt. Sie haben alle Gesichtspunkte sehr ausführlich bedacht und abgewogen. Alle drei Sachverständigen sind übereinstimmend zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht vorliegen. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen:

4.1.1. Gutachten Dr. T.

Dr. T. hat einen Beckentiefstand rechts von 3 cm aufgrund der Beinverkürzung rechts beschrieben. Die Klägerin beklagte bei ihm einen Druck- und Klopfschmerz im mittleren Drittel der Brustwirbelsäule sowie dem unteren Drittel der Lendenwirbelsäule. Die Iliosakralgelenke stellten sich unauffällig dar. Die Rückenstreckmuskulatur war ausreichend kräftig ausgebildet und lumbal rechtsseitig verhärtet. Beide Hüftgelenke waren altersentsprechend frei und schmerzfrei beweglich. Das linke Kniegelenk war frei beweglich, rechtsseitig bestand ein Bewegungsausmaß von 0°-0°-95°. Es wurde von der Klägerin ein Druckschmerz über dem medialen und lateralen Gelenkspalt angegeben. Der Bandapparat war beidseits stabil. Rechtsseitig war die Kniescheibe vollständig fixiert und es konnte ein Kniescheibenverschiebeschmerz provoziert werden, linksseitig war die Kniescheibe frei beweglich. Die oberen und unteren Sprunggelenke waren frei und schmerzfrei beweglich, der Bandapparat war seitengleich stabil. Die Zehengelenke waren frei beweglich. Es bestand eine mäßige Fehlform im Sinn eines Senk-Spreiz-Fußes mit Hallux valgus beidseits. Am rechten Bein gab die Klägerin bis zur Knöchelregion ohne Bezug zu einer bestimmten Nervenwurzel eine verminderte Sensibilität an; motorische Defizite konnte Dr. T. nicht feststellen. Der Einbeinstand war der Klägerin beidseits nur sehr unsicher und mit Festhalten am Untersucher möglich, der Fersen- und Zehenspitzenstand rechtsseitig nicht möglich. Das einbeinige Hüpfen gelang nur linksseitig mühsam. Bei am Untersuchungstag durchgeführten Sonographien der Kniegelenke war kein intraartikulärer Erguss feststellbar. Die bei der Begutachtung gemessenen Muskelumfänge im Oberschenkel waren seitengleich, im Unterschenkel rechts um 2 cm reduziert.

Die bislang getroffenen Feststellungen zu Gesundheitsstörungen und GdB hat der Sachverständige als zutreffend beschrieben. Soweit die Klägerin bei der Untersuchung Funktionsbehinderungen und Gesundheitsstörungen am linken Hüftgelenk angegebenen hatte, konnte bei der Untersuchung weder ein klinisches noch ein bildgebendes Korrelat gefunden werden. Aufgrund der Beinverkürzung rechts und der fortgeschrittenen Arthrose des rechten Kniegelenks ist zwar die Gehfähigkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt, so dass sie nicht in der Lage ist, ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden können. Dies rechtfertigt aber nur die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G, nicht aG. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit in einem Ausmaß, dass sich die Klägerin dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb Ihres Kraftfahrzeugs bewegen könnte, ist nicht gegeben. Eine Vergleichbarkeit mit Gesundheitsstörungen von Doppeloberschenkelamputierten oder den anderen Regelbeispielen für das Merkzeichen aG liegt bei der Klägerin aus orthopädischer Sicht nicht vor, auch nicht unter Berücksichtigung der negativen Wechselwirkung der Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule und den unteren Extremitäten.

Damit korreliert auch die Angabe der Klägerin bei der Begutachtung, dass (erst) nach einer Gehzeit von 10 Minuten die Schmerzen an der Lendenwirbelsäule, der linken Hüfte und dem rechten Kniegelenk erheblich zunehmen würden und sie sich dann - aber eben auch erst dann - hinsetzen müsse.

4.1.2. Gutachten Dr. B.

Bei Dr. B., dessen Gutachten im Wesentlichen wegen der von der Klägerin behaupteten Schwindelsymptomatik angefordert worden war, gab die Klägerin an, dass sie neben Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen unter einem rezidivierenden Drehschwindel leide, dessen Dauer zwischen 15 Minuten und drei Tagen schwanke. Abgesehen von einer leichten Verschmächtigung der Unterschenkelmuskulatur rechts konnte der Sachverständige - wie auch schon der Vorgutachter Dr. T. - keine Anhaltspunkte für eine höhergradige Störung der Muskeltrophik feststellen. Bei der Prüfung der Koordination ergaben sich, abgesehen von einem leicht ausgeprägten ungerichteten Schwanken beim Rombergversuch mit einem Korrekturschritt nach hinten, keine Auffälligkeiten. In diagnostischer Hinsicht konnte Dr. B. im Rahmen der durchgeführten Untersuchung keine das neurologische oder das psychiatrische Fachgebiet betreffende Gesundheitsstörung feststellen. Die von der Klägerin angegebene Schwindelsymptomatik war im Rahmen der Untersuchung nicht feststellbar. Unter Berücksichtigung der von der Klägerin gemachten Angaben handelt es sich bei dem Drehschwindel nicht um eine Attackensymptomatik, sondern um ein Dauerphänomen, welches nach den Angaben der Klägerin mitunter nur 15 Minuten anhält, manchmal allerdings auch bis zu drei Tage. Die von der Klägerin beschriebene Symptomatik war nicht typisch für einen Lagerungsschwindel. Anhaltspunkte für eine hirnorganische Schädigung konnte der Sachverständige nicht finden.

Bei Berücksichtigung einer Ende Dezember 2011 durchgeführten MRT, die einen weitgehend unauffälligen Befund ergeben hat, kann eine hirnorganische Genese des Schwindels als weitgehend ausgeschlossen gelten. Aus nervenärztlicher Sicht ergibt sich daher bezüglich der Gangstörung keine wesentliche Ergänzung. Die von der Klägerin beschriebene Schwindelsymptomatik kann nicht als zusätzliche Behinderung betrachtet werden, da dem Schwindel keine neurologische Erkrankung zu Grunde liegt und im Rahmen der von Dr. B. durchgeführten Untersuchung ein aktueller Schwindel auch nicht vorgelegen hat und von der Klägerin auch nicht beklagt worden ist.

Vom Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG kann daher auch bei Berücksichtigung des nervenärztlichen Gutachtens nicht ausgegangen werden.

Für die Richtigkeit dieser Einschätzung spricht auch der eigene Vortrag der Klägerin gegenüber dem Gutachter, dem sie auf Nachfrage mitgeteilt hat, 100 m weit zu gehen zu können und erst dann eine Weile stehen bleiben zu müssen, ehe sie ihren Weg fortsetzen könne. Bestätigt wird dies zudem dadurch, dass die Klägerin bei der Untersuchung gezeigt hat, dass ihr das Gehen auch ohne Benutzung der Gehstützen möglich ist.

4.1.3. Gutachten Dr. C.

Dr. C. konnte bei der Untersuchung der Klägerin keine diffusen oder umschriebenen Muskelverschmächtigungen und auch keine motorischen Ausfälle feststellen. Lediglich die Fußhebung rechts war etwas weniger kraftvoll als links. Pathologische Reflexe konnte Dr. C. nicht feststellen. Eine radikuläre Symptomatik ließ sich nicht nachweisen. Die von Dr. C. durchgeführten technischen Zusatzuntersuchungen ergaben keinen Anhalt für Hirnfunktionsstörungen. Eine neurologische Symptomatik, die in der Lage wäre, das Merkzeichen aG zu begründen, ließ sich nicht feststellen. Insbesondere lagen keine funktionell bedeutsamen motorischen Ausfälle im Bereich der unteren Extremitäten vor; auch Reflexauffälligkeiten oder trophische Muskelstörungen ließen sich nicht finden. Für die von der Klägerin angegebenen Schwindelanfälle gab es keinen korrespondierenden klinischen Befund. Es gab weder Anhaltspunkte für eine spinale Ataxie noch Hinweise für eine cerebelläre Ataxie noch Hinweise für eine sonstige Hirnstamm-Symptomatik, welche in der Lage wären, die von der Klägerin behaupteten Schwindelbeschwerden zu erklären. Dies entspricht dem im sozialgerichtlichen Verfahren erstellten nervenärztlichen Befund.

Nicht folgen kann der Senat den Gutachten des Dr. R. aus dem sozialgerichtlichen Verfahren und des Prof. Dr. B. aus dem früheren Berufungsverfahren der Klägerin.

4.1.4. Dr. R.

Das Gutachten des Dr. R. stützt sich fast ausschließlich auf die ihm gegenüber gemachten subjektiven Angaben der Klägerin, ohne dass auch nur ansatzweise von diesem Sachverständigen der Versuch unternommen worden wäre, diese Angaben zu objektivieren. Darauf, dass von ihm durchgeführte, nur aus Selbstbeurteilungsbögen bestehende Testverfahren für eine Objektivierung allein ungeeignet sind, hat Dr. C. hingewiesen. Die Einstufung nach einem auf einer Selbstbeurteilung beruhenden Schmerzstufenmodell kann die eigenständig zu verantwortende Leistungsbeurteilung durch den Sachverständigen nicht ersetzen (vgl. BSG, Beschluss vom 09.04.2003, Az.: B 5 RJ 80/02 B); an einer solchen eigenständigen Leistungsbeurteilung fehlt es aber beim Gutachten des Dr. R.. Dass der Grad des Schmerzchronifizierung nach Gerbershagen kein allein entscheidender Gesichtspunkt bei der Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG sein kann, liegt auf der Hand. Der Chronifizierungsgrad wird bereits ausschließlich aufgrund der eigenen Angabe dauerhafter, multilokulärer Schmerzen ohne Intensitätswechsel, verbunden mit mehreren fachspezifischen Rehabilitationsmaßnahmen und einem mehrmaligen Wechsel des betreuenden Arztes erreicht. Allein aus der Chronifizierung eines Leidens kann daher noch nicht auf die Quantität oder eine bestimmte Qualität der Leistungseinbußen geschlossen werden (vgl. Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/102 Entwicklungsstufe: 2k, S. 11). Zudem ist auch das mitentscheidende Argument des Dr. R. für die Bejahung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG, eine erhebliche muskuläre Insuffizienz des rechten Beins, nicht nachgewiesen, sondern vielmehr sogar durch die anderen Gutachten und die dort erhobenen Befunde samt den dort gemessenen Muskelumfängen zweifelsfrei widerlegt. So hat Dr. T. seitengleiche Muskelumfänge im Oberschenkel und im Unterschenkel eine vergleichsweise geringe Umfangsdifferenz von nur 2 cm gemessen. Die nervenärztlichen Gutachter haben trophische Störungen der Muskulatur oder neurologische Ausfälle nicht feststellen können. Angesichts dieser objektiv erhobenen Fakten von einer schwersten muskulären Insuffizienz der rechten unteren Extremität zu sprechen, disqualifiziert die Äußerungen des Sachverständigen Dr. R. und belegt, dass er bei seinen Mutmaßungen lediglich auf den subjektiven Angaben der Klägerin aufbaut, ohne diese mit Blick auf die gebotene Objektivierung zu hinterfragen.

Gleiches gilt für die von ihm zugrunde gelegte zervikozephale Schwindelsymptomatik, die von keinem Sachverständigen, auch nicht von Dr. R., objektiviert worden ist. Vielmehr haben die nervenärztlichen Sachverständigen übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin behauptete Schwindelsymptomatik nicht medizinisch erklärbar ist.

Dass Dr. R. seinen Annahmen nicht nachgewiesene Fakten, sondern nur den subjektiven Vortrag der Klägerin und Mutmaßungen zugrunde legt, wird auch dadurch deutlich, dass er für seine Annahme der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ausdrücklich "durchaus mögliche" Fehlinnervationen im Bereich der Zehen zugrunde legt. Als Sachverständigem hätte ihm aber bewusst sein müssen, dass er seinen Ausführungen nur nachgewiesene Fakten, nicht aber Spekulationen zugrunde legen darf, zumal seine Spekulation im Rahmen der nervenärztlichen Begutachtungen ausgeschlossen worden ist.

Zudem sind die Annahmen im Gutachten des Dr. R. auch in sich widersprüchlich. So geht er einerseits von einer Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin nach einem Sturz im Dezember 2011 aus, nimmt aber andererseits die aus dieser Verschlimmerung resultierende Verschlechterung mit der Konsequenz des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichens aG bereits für Anfang 2011 an.

Das Gutachten des Dr. R. ist daher aufgrund der zahlreichen erheblichen Fehler unverwertbar.

4.1.5. Prof. Dr. B.

Warum das Gutachten des Prof. Dr. B. vom 16.03.2005 nicht überzeugend ist, hat der Senat bereits im Urteil vom 25.08.2005, Az.: L 15 SB 35/00, wie folgt begründet:

"Insgesamt beschreibt Prof. Dr. B. eine "schwere, multilokuläre chronische Schmerzkrankheit", die z.T. Wetter abhängig ist, in verschiedenen Körperhaltungen und Reaktionen ausgelöst wird und die zu einer Schmerzverstärkung bei einer Gehstrecke von 30 bis 50 m führt. Nachdem bislang jedoch von keinem anderen früher gehörten Sachverständigen relevante objektivierbare Schonhaltungen wegen des Schmerzes beschrieben wurde - im Gutachten des Dr. H. z.B. wurde die Bemuskelung beider Beine im Wesentlichen als symmetrisch beschrieben - hält es der Senat nicht für erwiesen, dass die Klägerin praktisch von den ersten Schritten außerhalb ihres Kraftfahrzeuges an in ungewöhnlich hohem Maß in ihrer Gehfähigkeit eingeschränkt ist, d.h. dass jeder Schritt mit erheblichen Schmerzen im Bereich der Extremitäten verbunden ist. Ebenso fraglich bleibt, ob sie sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen konnte und kann wie die in der VV genannten Personen. Dies hat das BSG zwar dann für möglich erachtet, wenn der Betroffene die von ihm nach 30 m einzulegenden Pausen deshalb macht, weil er bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und neue Kräfte sammeln muss, bevor er weiter gehen kann (BSG vom 10.12.2002), die Klägerin hat jedoch im Erörterungstermin vom 11.03.2000 u.a. angegeben, erst nach ca. 50 m wegen des angewachsenen Schmerzes Rast machen zu müssen. Darüber hinaus kann nicht verkannt werden, dass bestimmte Schmerzen nur nachts oder beim Liegen durch Verklemmungen der Brustwirbelsäule, verbunden mit Atemnot und nicht beim Gehen geschildert wurden, so dass sie bei der Prüfung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" außer Betracht zu bleiben haben. Auffallend ist auch, dass die Klägerin anlässlich der Untersuchung bei Dr. F. noch eine Gehstrecke von ca. 500 m angab, wobei sie manchmal habe stehen bleiben müssen, weil sich das Knie verklemmt habe. In dem von ihr selbst vorgelegten Attest des Dr. H. vom 04.12.2000 wurde eine schmerzfreie Gehstrecke von weniger als fünf Minuten beschrieben. Insgesamt ergeben sich daraus genügend Hinweise dafür, dass die belastungsabhängigen Beschwerden nicht unmittelbar nach dem Verlassen des Autos auftreten.

Zusammenfassend kann wegen der eingeschränkten Beweglichkeit der Halswirbelsäule, der schmerzbedingten Atemstörung aufgrund degenerativer Veränderungen der Brustwirbelsäule sowie der von Prof. Dr. B. berichteten heftigsten Druckschmerzangabe mit schmerzbedingter Abwehrreaktion im Bereich der LWS zwar eine Höherbewertung des Wirbelsäulenleidens mit einem Einzel-?GdB von 30 erfolgen, womit die sonst bereits miteinbezogenen üblichen Schmerzen und die darüber hinausgehenden nach Nr.18.8 der AP ausreichend bewertet sind. Der Nachweis der medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" kann jedoch durch das Gutachten des Prof. Dr. B. nicht mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, die hier erforderlich ist, erbracht werden.

Nicht nachvollziehbar, weil in keiner Weise unter Bezugnahme auf die maßgeblichen AP diskutiert, ist die Festsetzung eines GdB von 50 für die "Schmerzkrankheit" durch Prof. Dr. B., der insgesamt einen GdB von 80 sowie die Merkzeichen "G", "aG" vorschlägt. Weder setzt sich der Sachverständige mit einschlägiger sozialmedizinischer Literatur zur Leistungsbeurteilung chronischer Schmerzsyndrome (vgl. z.B. R.M.Schulte, MED SACH 95 (1999) Nr.2 S.52) oder mit der Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA vom 25. bis 26.11.1998 auseinander, noch liefert er objektiv nachvollziehbare Begründungen für einen Einzel-?GdB von 50 für die von ihm beschriebene Schmerzkrankheit/Schmerzsymptomatik. Besonders auffallend ist dies, wenn er darlegt, dass diese neuropathischen Schmerzen äußerst Wetter abhängig (sc. nicht ständig vorhanden) und durch die Intensität für die Psyche des Betroffenen äußerst quälend seien und an anderer Stelle nur von geringfügigen psychischen bzw. seelischen Veränderungen, einer positiven Grundhaltung der Klägerin und ihrer Aufrechterhaltung sozialer Kontakte mit Bekannten und Freunden sowie der Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit berichtet. Auf die sich aufdrängende Frage, warum die Klägerin wegen der Schmerzen bzw. der dadurch bedingten Intensität für die Psyche nicht in Behandlung ist und welches Ausmaß an körperlicher Anstrengung von der Klägerin über einen Zeitraum von über 15 Jahren aufgebracht werden musste, ohne dass es zu psychischen Schädigungen kam, gibt dieses Gutachten keine Antwort."

Zudem ist am Gutachten des Prof. Dr. B. zu beanstanden, dass dieser - wie auch Dr. R. - seine Annahme der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG entscheidend auf die ihm gegenüber gemachten subjektiven Angaben der Klägerin gestützt hat, ohne dass er den Versuch einer Objektivierung unternommen hätte.

Wenn die Klägerin demgegenüber der Ansicht ist, dieser Gutachter habe "ausführliche Untersuchungen" zum Schmerzsyndrom gemacht und es sei daher seiner Einschätzung zu folgen, irrt sie. Dem Gutachten des Prof. Dr. B. ist nicht zu entnehmen, dass der Sachverständige irgendwelche weitergehenden objektivierenden Untersuchungen zur Schmerzsymptomatik durchgeführt hätte. Das Gutachten enthält lediglich im Rahmen der "Kurzanamnese" Werte zur Schmerzhöhe nach VAS (sog. visuelle Analogskala). Diese visuelle Analogskala ist eine Skala zur Messung vor allem subjektiver Einstellungen. Sie wird häufig in der Schmerzforschung und Schmerztherapie eingesetzt. Der Befragte markiert dabei seine subjektive Empfindung durch einen vertikalen Strich auf einer Linie, die die Ausprägung des Schmerzes nach seinem Empfinden wiedergeben soll. Damit steht fest, dass der Sachverständige Prof. Dr. B. die Klägerin - laienhaft ausgedrückt - lediglich gefragt hat, wie stark sie den Schmerz empfinde auf einer Skala, die von keinem Schmerz bis maximal erlebter/vorstellbarer Schmerz reicht, und diese Angabe dann seinem Gutachten zugrunde gelegt hat, ohne den Versuch einer Objektivierung der Angaben der Klägerin zu machen. Derartige Feststellungen sind im sozialgerichtlichen Verfahren nicht verwertbar.

Auch die Annahme neuropathischer Schmerzen ist nicht nachvollziehbar. Denn bei derartigen Schmerzen handelt es sich um solche, die ihren Ursprung in einer Strukturveränderung des Nervensystems haben. Ein neuropathisches Schmerzsyndrom kann daher, wie Dr. C. erläutert hat, nur dann diagnostiziert werden, wenn es sich um eine Problematik handelt, die primär das periphere Nervensystem betrifft. Dies ist aber bei der Klägerin nicht der Fall. Das bei ihr vorliegende Schmerzsyndrom ist kein neuropathisches, also durch eine Nervenverletzung hervorgerufenes Schmerzsyndrom, sondern ein musculo-skelettal begründetes Schmerzsyndrom.

Schließlich ist festzustellen, dass der Gutachter Prof. Dr. B. die Kriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG verkannt hat. Soweit er im Gutachten vom 16.03.2005 seine falsche Annahme der gesundheitlichen Voraussetzungen damit begründet hat, dass die Klägerin zwar nicht an den Krankheitsbildern leide, wie sie als Regelbeispiele für das Merkzeichen aG aufgeführt seien, ihre Schmerzen jedoch vom Charakter her mit den Schmerzcharakteristika bei diesen Krankheitsbildern vergleichbar seien, hat er auf ein sachfremdes Kriterium abgestellt. Denn der Schmerz ist kein vom Gesetzgeber vorgesehenes Tatbestandsmerkmal und auch nicht dazu geeignet, die für das Merkzeichen aG erforderliche massive Einschränkung der Fortbewegungsfähigkeit allein zu beschreiben. Beispielhaft sei nur auf das Regelbeispiel eines Rollstuhlfahrers hingewiesen, dessen Fortbewegungsfähigkeit im Normalfall nicht einmal ansatzweise durch Schmerzen, sondern allein durch die Unmöglichkeit des Einsatzes der unteren Extremitäten eingeschränkt ist. Der vom Gutachter Prof. Dr. B. herangezogene Vergleich von Schmerzcharakteristika hilft daher bei der Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht weiter.

4.2. "Plausibilitätskontrolle"

Dass jedes andere Ergebnis als die Ablehnung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG unplausibel wäre, ergibt sich zwingend bei Betrachtung des der Behinderung der Klägerin zu Grunde liegenden GdB sowohl im Gesamten als auch für die einzelnen Gesundheitsstörungen.

Bei der Klägerin ist ein GdB von 80 anerkannt, der sich zusammensetzt aus einem Einzel-GdB von 50 für die Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung), einem Einzel-GdB von 40 für die Funktionsbehinderung der rechten unteren Extremität bei eingeschränkter Beweglichkeit des rechten Kniegelenks und ausgeprägten Knorpelschäden, die anhaltenden Reizerscheinungen bei Beinverkürzung sowie die Innenrotationsfehlstellung und einem Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, die degenerativen Veränderungen, Muskel- und Nervenwurzelreizerscheinungen und das Schmerzsyndrom. Ohne Bedeutung für das Merkzeichen aG ist dabei die Erkrankung der Brust mit einem Einzel-GdB von 50. Von den verbleibenden Gesundheitsstörungen haben die Veränderungen im Bereich der unteren Extremitäten zweifellos ausschlaggebende Bedeutung für die Gehfähigkeit, die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, die sich nicht nur auf die Lendenwirbelsäule erstrecken, jedenfalls zu einem nicht unerheblichen Teil. Für die die Gehfähigkeit betreffenden Gesundheitsstörungen - also ohne die Erkrankung der Brust - wäre ein Teil-Gesamt-GdB von 50 angemessen. Dies ist auch im früheren Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 15 SB 35/00 so bestätigt worden.

Dass bei einem GdB von 50 die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG praktisch ausgeschlossen ist, liegt auf der Hand.

Zwar kann den gesetzlichen Regelungen nicht der Grundsatz entnommen werden, dass für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ein (Mindest-)GdB für die fortbewegungsrelevanten Gesundheitsstörungen in Höhe von 80 zwingend erforderlich wäre (a.A. noch Urteil des Senats vom 30.06.2009, Az.: L 15 SB 118/08). Dies hat das LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 14.08.2013, Az.: L 11 SB 267/12, wie folgt überzeugend begründet:

"Soweit der Beklagte auch in seiner Berufungsbegründung einwendet, bei der Klägerin bestehe kein mobilitätsbedingter GdB von 80, kann der Senat offen lassen, ob dies hier so ist. Denn zwar mag ein derart hoher mobilitätsbedingter GdB auf das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung hindeuten, Voraussetzung für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ist er aber nicht, weil sich diese Voraussetzung - anders als etwa für das Merkzeichen "T" nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der - landesrechtlichen und damit für die Auslegung von Bundesrecht nicht heranzuziehenden - Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (GVBl. Seite 322), zuletzt geändert mit Verordnung vom 22. Juni 2005 (GVBl. Seite 342) (vgl. Urteil des Senats vom 6. Februar 2013 - L 11 SB 245/10 - juris) - den genannten rechtlichen Grundlagen nicht entnehmen lässt. Soweit eingewandt wird, den in Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Regelbeispielen sei gemeinsam, dass Funktionsstörungen mit einem Mindest-GdB von 80 vorliegen müssen, die sich gravierend auf die Fortbewegungsfähigkeit auswirken, und soweit daraus der Schluss gezogen wird, außergewöhnlich Gehbehinderten könnten nur Personen gleichgestellt werden, bei denen Funktionsstörungen mit Auswirkungen auf die Fortbewegungsfähigkeit mit einem Mindest-GdB von 80 vorliegen (so Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Juni 2009 - L 15 SB 118/08 - juris), kann dahinstehen, ob dies so ist, was allerdings in Bezug auf die in den Regelbeispielen ebenfalls genannten einseitig Oberschenkelamputierten zweifelhaft sein mag. Denn das BSG hat bereits ausdrücklich entschieden, dass es im Einzelfall unschädlich sein könne, wenn der GdB für die Behinderungen im Bereich der für das Gehen funktional benötigten Körperteile nicht den zumeist sehr hohen Grad der Behinderungen der Regelbeispiele erreicht. Denn es komme für den Nachteilsausgleich "aG" gerade nicht auf die allgemeine Vergleichbarkeit der Auswirkungen der Gesundheitsstörungen, die letztlich durch die Höhe des GdB manifestiert würden, sondern allein darauf an, dass die Auswirkungen funktional im Hinblick auf die Fortbewegung gleichzuachten seien (BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 - 9 RVs 11/95 - juris)."

Auch wenn ein zwingender mobilitätsrelevanter Mindest-GdB (bislang) nicht gesetzlich geregelt ist, fordert die Praxis im Sinn von mehr Transparenz bei der Vergabe des Nachteilsausgleichs aG gleichwohl eine Koppelung der Vergabe des Merkzeichens aG an einen Mindest-GdB von 70 bis 80 (analog einer einseitigen Oberschenkelamputation (vgl. Grüne, Zur praktischen Beurteilung des Nachteilsausgleichs "aG" - Impulsreferat aus orthopädisch-unfallchirurgischer Sicht, Sozialrecht im Umbruch - Sozialgerichte im Aufbruch, 2010, S. 65 ff.).

Solange eine derartige Koppelung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht erfolgt ist, kann daher von einem mobilitätsrelevanten Mindest-GdB nicht ausgegangen werden. Wenn jedoch - wie hier - der mobilitätsrelevante GdB lediglich 50 beträgt, was keiner der im Verfahren gehörten Sachverständigen und nicht einmal die Klägerin selbst in Frage gestellt hat, wäre die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG vollkommen unplausibel.

4.3. Zu den Einwänden der Klägerin

Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände können allesamt nicht überzeugen.

4.3.1. "Paralympics"

Sofern die Klägerin mit Blick auf die in den VG aufgestellten hohen Anforderungen für das Merkzeichen aG einwendet, dass es Menschen mit Prothesen gebe, die deutlich besser gehen könnten als sie, und dabei auch auf die Paralympics verweist, ist dieser Einwand rechtlich nicht beachtlich. Der Senat verweist insofern auf die oben unter Ziff. 2. getätigten Ausführungen und insbesondere auf sein Urteil vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11, in dem er Folgendes ausgeführt hat:

"Zum einen hält der Senat das für die sehr strenge Auslegung des BSG tragende Argument, dass eine Erweiterung des Personenkreises eine Vermehrung der Parkflächen erfordern würde, was für den berechtigten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zur Konsequenz hätte, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden könne, nicht für zwingend. Denn dass verkehrstechnische, straßenverkehrsrechtliche oder baurechtliche Gründe einer Ausweisung von weiteren Behindertenparkplätzen an den erforderlichen Stellen regelmäßig entgegen stehen würden, ist so nicht erkennbar. Allein aufgrund des demographischen Wandels und der Alterstruktur behinderter Menschen in der Zukunft ist im Übrigen zwingend damit zu rechnen, dass die Zahl der Inhaber des Merkzeichens aG steigen wird und mehr Behindertenparkplätze eingerichtet werden müssen. Zum anderen lässt sich aus den in Ziff. 130 VwV-StVO aufgezählten Regelbeispielen nicht der zwingende Schluss ableiten, dass bei der Bestimmung der gleichgestellten Behinderten im Sinne der Ziff. 130 VwV-StVO ein so strenger Maßstab anzulegen ist, wie ihn das BSG zugrunde legt. Denn auch bei den Regelbeispielen sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Behinderte trotz seines Leidens nicht so stark beeinträchtigt wäre, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an (vgl. BSG, Urteile vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R, und vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R) dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann. Der Senat hat hier den - zugegebenermaßen - extremen Fall des beidseitig unterschenkelamputierten südafrikanischen Sprinters Oscar Pistorius vor Augen, der trotz seiner Behinderung, die ihm das Merkzeichen aG eröffnen würde, sowohl bei den Weltmeisterschaften 2011 als auch bei den olympischen Sommerspielen 2012 gestartet ist.

Derartigen Überlegungen ist jedoch das BSG bereits mit Urteil vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, entgegen getreten, indem es dort erläutert hat:

"Da der Kläger nicht zu einer der in der VV beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört, kann er nach den Kriterien dieser Norm nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Für eine solche Gleichstellung hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung den folgenden Maßstab entwickelt: Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr 11 Abschnitt II 1 Satz 2 1. Halbsatz aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr 23). Im Einzelfall scheint es sich allerdings nur schwer entscheiden zu lassen, wann diese Forderung erfüllt ist. Denn bei den beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen handelt es sich in Bezug auf ihr Gehvermögen offenbar nicht um einen homogenen Personenkreis. Es erscheint sogar möglich, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen auf Grund eines günstigen Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen, was namentlich bei körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mit Hilfe moderner Orthopädietechnik der Fall sein mag (sodass diese nicht einmal als erheblich beeinträchtigt in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr anzusehen wären.

Solche Besonderheiten sind nicht geeignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer schwerbehinderter Menschen mit dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis richtet. Denn entweder handelt es sich bei Personen, die zwar nach der Art der Behinderung zu einer der aufgeführten Gruppen zählen, jedoch tatsächlich die Voraussetzungen des Obersatzes (Bewegung außerhalb des Kraftfahrzeuges nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung) nicht erfüllen, um Ausnahmefälle. Dann ist ihre Einbeziehung in den Kreis der Begünstigten unter dem Gesichtspunkt der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen. Oder es hat sich die Gehfähigkeit einer größeren Zahl von Angehörigen einer bestimmten Gruppe, also auch von typischen Vertretern derselben, - etwa durch Fortentwicklung der Orthopädietechnik - so verbessert, dass sie nach dem allgemeinen Maßstab bzw im Vergleich mit anderen genannten Personengruppen nicht als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden können. Dann ist ihre (weitere) beispielhafte Nennung in der VV zu Unrecht erfolgt. In diesem Fall könnte die betreffende Gruppe nicht mehr im Rahmen der Gleichstellung anderer behinderter Menschen zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter muss sich mithin strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren. Diese Personen können sich insbesondere nicht auf die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter berufen. In diesem Sinne ist auch die Bemerkung des Senats zu verstehen, dass es bei den aufgeführten Behindertengruppen grundsätzlich nicht auf die prothetische Versorgung ankommt (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr 22 und Urteil vom 27. Februar 2002 - B 9 SB 9/01 R - Juris)."

Für das Merkzeichen aG ist es daher erforderlich, dass sich der Schwerbehinderte wegen der Schwere seines Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, wobei dabei ein strenger Maßstab anzulegen ist."

4.3.2. Nicht ausreichende Berücksichtigung der Angaben der Klägerin

Die Klägerin unterstellt dem Gericht genauso wie den Sachverständigen, die zu keinem für sie positiven Ergebnis gekommen sind (Dr. T., Dr. B., Dr. C.), dass diese ihren Angaben, aus denen sich nach Ansicht der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ergeben, nicht ausreichend Glauben geschenkt und Rechnung getragen hätten.

Dabei verkennt die Klägerin, dass für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG eine Objektivierung von Beschwerdeangaben erforderlich ist, damit sich das Gericht die Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen im Sinn des Vollbeweises verschaffen kann. Das Gericht ist daher - genauso wie die Sachverständigen - dazu verpflichtet, die subjektiven Angaben eines Beteiligten dahingehend zu überprüfen, ob sie auch objektiv nachvollziehbar sind. Diese Vorgabe müsste der Klägerin als einer vereidigten Sachverständigen bewusst sein.

Dass die von der Klägerin gemachten Angaben zum Ausmaß der Beschwerden nicht nur von den objektiv feststellbaren Befunden so nicht gedeckt sind und deshalb der Entscheidungsfindung nicht eins zu eins zu Grunde gelegt werden dürfen, ergibt sich auch aus den Angaben der Klägerin selbst. Denn diese sind in sich nicht widerspruchsfrei, sondern scheinen auch von der Erreichung des gewünschten Prozessziels der Zuerkennung des Merkzeichen aG geprägt zu sein. Der Senat weist insofern beispielhaft nur auf folgende zwei Gesichtspunkte hin:

*  Im Verfahren L 15 SB 35/00 haben die damaligen Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 18.02.2003 Folgendes vorgetragen:

"Der Klägerin ist es schlicht nicht möglich, ohne Stockhilfe auch nur kürzeste Entfernungen zurückzulegen."

Bei der nervenärztlichen Begutachtung durch Dr. B. im Jahr 2012 hingegen war es der Klägerin durchaus möglich, sich ohne Benutzung von Gehstützen fortzubewegen. Unter Berücksichtigung der klägerischen Argumentation in der Klagebegründung vom 30.01.2012

"Die Klägerin lässt diesbzgl. ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich seit der Gutachtenserstellung vom 16.03.2005 keine Besserung ihres Gesundheitszustandes eingestellt habe, sondern eher eine weitere Verschlechterung."

kann nur geschlossen werden, dass entweder die Angaben der Klägerin im Jahr 2003 oder die im Jahr 2012 nicht den Tatsachen entsprochen haben. Denn anders wäre es nicht erklärbar, dass die Klägerin im Jahr 2012 - im Gegensatz zu 2003 - ohne Gehhilfe gehen kann, obwohl sich nach ihrem Vortrag ihr Gesundheitszustand seit dem Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 15 SB 35/00 weiter verschlechtert haben soll.

*  In der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2015 hat die Klägerin dem Senat eine erhebliche Einschränkung der Drehfähigkeit des Oberkörpers und eine weitgehend aufgehobene Bewegungsfähigkeit des Halses demonstriert. Auf die - für das Merkzeichen aG nicht entscheidungserhebliche - Frage des Senats danach, wie sich eine derartige Gesundheitseinschränkung und die zudem von der Klägerin behauptete Schwindelsymptomatik mit der Tatsache vereinbaren lasse, dass die Klägerin nach eigener Angabe regelmäßig ein Kfz führt, hat die Klägerin angegeben, dass sie sehr vorsichtig fahre, beim Abbiegen oder in Kurven stehen bleibe und dann vorsichtig versuche, sich etwas in die beabsichtigte Fahrtrichtung zu drehen. Dabei hat sie wiederholt herausgestellt, dass sie sehr verantwortungsbewusst sei.

Für den Senat ist es nicht nachvollziehbar, wie sich eine für ihre Mitmenschen im Straßenverkehr verantwortungsbewusste Person, als die sich die Klägerin darstellt, mit den von der Klägerin behaupteten und demonstrierten Gesundheitseinschränkungen noch an das Steuer eines Kraftfahrzeugs setzen kann. Dass die Klägerin bei dem in der mündlichen Verhandlung gezeigten Gesundheitszustand noch die Anforderungen erfüllen würde, die für das Behalten des Führerscheins aufgestellt sind (zu Gleichgewichtsstörungen vgl. Nr. 11.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung), bezweifelt der Senat. Denn für den Senat ist es sehr naheliegend, dass eine Person mit den angegebenen Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage ist, ohne Gefährdung von Dritten am Straßenverkehr teilzunehmen. Zu Gunsten der Klägerin kann der Senat daher nur vermuten, dass die von ihr in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben zum Gesundheitszustand durch den Zweck der Zielerreichung sozialrechtlicher Vorteile geprägt sind, nicht aber den Tatsachen entsprechen. Jedenfalls ergeben sich aber auch daraus nicht unerhebliche Zweifel daran, dass die Angaben der Klägerin immer wahrheitsgemäß und nicht übertrieben gemacht worden sind.

4.3.3. Detailkritik an den für die Klägerin nicht positiven Gutachten

Die Klägerin hat, z.B. zuletzt mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 10.03.2015, eine Aufstellung überliefert, aus der sich angebliche Fehler oder Widersprüche z.B. im Gutachten des Dr. C. ergeben sollen.

Diese Kritik ist nicht ansatzweise berechtigt. Die Einwände der Klägerin entbehren der Grundlage, sind in sich widersprüchlich, inkonsequent oder nicht nachvollziehbar:

So ist es widersprüchlich, dem Sachverständigen auf der einen Seite entgegenzuhalten, es gehöre nicht in das Gutachten, dass sie als kleinste Bauträgerin in A-Stadt tätig sei - dies hatte die Klägerin bei der Begutachtung angegeben -, auf der anderen Seite zu bemängeln, dass er nicht erwähnt habe, dass die Klägerin auch als öffentlich vereidigte Sachverständige tätig sei, und dies in der Folge dem Sachverständigen nochmals als vergessen anzukreiden.

Der Hinweis der Klägerin, es sei für sie "unergründlich", warum der Sachverständige Dr. C. keine Zeichen für eine Schonung oder atrophische Störungen sehe, ist nicht nachvollziehbar. Der Sachverständige hat die Klägerin eingehend untersucht, dabei derartige Zeichen nicht feststellen können und dies nachvollziehbar erläutert, wie es im Übrigen auch dem orthopädischen Gutachten des Dr. T. zu entnehmen ist.

Wenn die Klägerin der Meinung ist

"Normalerweise ist ein Punkt, der sich nicht ausschließen lässt und zu Gunsten der Angaben der Klägerin spricht für den jeweiligen Betroffenen anzusetzen.",

steht diese Ansicht der Klägerin in konträrem Widerspruch zu den Vorgaben der objektiven Beweislast (vgl. oben Ziff. 3.).

Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Klägerin offenbar keine Kritikpunkte bei den Gutachten erkennen kann, die für sie günstig ausgefallen sind. Dabei könnte beispielsweise dem Sachverständigen Dr. R. - abgesehen von den bereits oben aufgezeigten zeigten Fehlern im Gutachten - eine aus Sicht eines Betroffenen oberflächliche Arbeitsweise vorgeworfen werden, da er im Gutachten teilweise über einen männlichen Kläger berichtet (vgl. S. 8 des Gutachtens "von dem Kläger").

4.3.4. Professorentitel als besonderes Qualitätsmerkmal eines Gutachtens

Sofern die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung den Eindruck erweckt hat, aus ihrer Sicht müsste dem - für sie positiven - Gutachten des Prof. Dr. B. schon deshalb mehr Glauben geschenkt werden als den anderen - für sie negativen - Gutachten, weil dieser eine besondere akademische Qualifikation habe, irrt die Klägerin. Die Qualität eines Gutachtens wird nicht durch akademische Titel seines Verfassers, sondern durch den Inhalt bestimmt. Lediglich der Vollständigkeit halber macht der Senat darauf aufmerksam, dass die Erreichung des akademischen Titels eines Professors nicht an besondere Qualifikationen oder Erfahrungen bei der Gutachtenserstellung geknüpft ist.

4.3.5. Fehlende Aktualität der eingeholten Gutachten

Dafür, dass den im Verfahren vor dem SG und anschließend im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten die Aktualität fehlen würde, spricht nichts.

Diese von der Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerte Annahme ist von ihr weder weiter erläutert noch durch irgendwelche medizinische Unterlagen belegt worden. Soweit sich den Akten entnehmen lässt, ist ohnehin von einer weitgehenden Stabilität der orthopädisch bedingten Gesundheitsstörungen auszugehen. Weitere Ermittlungen waren daher nicht angezeigt.

Eine relevante Verschlimmerung haben weder die behandelnden Ärzte der Klägerin im sozialgerichtlichen Verfahren berichtet noch lässt sich eine solche aus einem Vergleich der objektiven Befunde erkennen, wie sie einerseits im Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 15 SB 35/00 und andererseits im aktuellen sozialgerichtlichen Verfahren erhoben worden sind. Sofern überhaupt von einer Tendenz der Verschlechterung gesprochen werden kann, bewegt sich diese in einem vergleichsweise klein ausgeprägten Rahmen.

4.3.6. Angewiesensein auf das Merkzeichen aG wegen der von der Klägerin ausgeübten beruflichen Tätigkeit

Sofern die Klägerin sinngemäß vorträgt, auf das Merkzeichen aG besonders angewiesen zu sein, um ihrer beruflichen Tätigkeit als Bauträgerin mit Baustellenbesuchen unter zumutbaren Bedingungen nachgehen zu können, ist dies ein rechtlich unbeachtlicher Gesichtspunkt.

Beim Merkzeichen aG kommt es - wie bei den anderen Merkzeichen auch (vgl. zum Merkzeichen RF: Urteil des BSG vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85) - ausschließlich auf die gesundheitlichen Voraussetzungen in der Person des Behinderten an, nicht aber auf seine konkreten Berufs- oder Wohn- oder Lebensumstände (vgl. Urteil des Senats vom 20.05.2014, Az.: L 15 SB 226/13). Denn mit der Zuerkennung von Merkzeichen sollen allein behinderungsbedingte Nachteile, nicht aber sich erst in einem Zusammenwirken mit anderen besonderen Umständen ergebende Unannehmlichkeiten ausgeglichen werden. Auch wenn der Senat keine Zweifel daran hat, dass der Klägerin das Merkzeichen aG eine nicht unerhebliche Erleichterung bei ihrer nach eigenen Angaben zeitlich sehr umfangreichen beruflichen Tätigkeit als Bauträgerin und Sachverständige verschaffen würde, kann dies im vorliegenden Verfahren kein rechtlich relevanter Gesichtspunkt sein.

4.3.7. Früher erfolgte Zuerkennung des Merkzeichens aG

Die zunächst im Jahr 1990 wegen einer komplikationsbehafteten Verlängerungsosteotomie erfolgte, später aber nach knöcherner Konsolidierung wieder aufgehobene Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ist für die aktuell zu treffende Beurteilung, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für dieses Merkzeichens vorliegen, ohne jede Bedeutung.

In der Klagebegründung vom 30.01.2012 haben die Bevollmächtigten der Klägerin darauf hingewiesen, dass der Klägerin das Merkzeichen aG seinerzeit zuerkannt worden sei, ohne dass sie dem Personenkreis angehört habe, bei dem vom Vorliegen der Voraussetzungen für dieses Merkzeichen ausgegangen werde. Der Senat kann diesen Vortrag nur dahingehend interpretieren, dass die Klägerin damit zum Ausdruck bringen will, dass die damals erfolgte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichens aG erfolgt sei, obwohl die Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten, und deshalb jetzt unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit damals die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG begehrt.

Diese Begründung verkennt die rechtlichen Voraussetzungen für eine verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz gebietet eine Gleichbehandlung wesentlich gleicher und eine Ungleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte.; ein Gebot der Gleichbehandlung im Unrecht gibt es hingegen nicht (ständige Rspr. des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -, vgl. z.B. Beschlüsse vom 17.01.1979, Az.: 1 BvL 25/77, und vom 12.09.2007, Az.: 2 BvR 1413/06; ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteil vom 11.10.2006, Az.. B 6 KA 35/05 R, ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 06.12.2011, Az.: L 15 SF 46/11 B vom 17.07.2012, Az.: L 15 SF 29/12, und vom 21.08.2012, Az.: L 15 SF 169/12 RG und L 15 SF 170/12 RG). Ein sich aus Vertrauensschutzgesichtspunkten ergebender Anspruch auf eine Wiederholung eines früheren Fehlers ist der Rechtsordnung daher fremd (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.11.1988, Az.: 1 BvR 1298/88).

Der klägerische Hinweis im Schreiben vom 30.01.2012 auf eine damals möglicherweise rechtswidrige Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG begründet daher keinen Anspruch auf eine heute rechtswidrige Feststellung dieser Voraussetzungen. Im Übrigen spricht alles dafür, dass die damals erfolgte Feststellung nicht rechtswidrig, sondern rechtmäßig war. Denn im Jahr 1990 litt die Klägerin noch unter den massiven Komplikationen einer Verlängerungsosteotomie des Oberschenkels und einer deutlich reduzierten Belastungsfähigkeit des rechten Beins, sodass sie einem einseitig Oberschenkelamputierten bei Unmöglichkeit einer Prothesenbenutzung gleichzustellen war. Dabei handelte es sich um eine akute, aber länger andauernde Erkrankung mit weit massiveren Auswirkungen auf die Gehfähigkeit, als sie heute in einer Zeit vorliegen, in der längst die damals fehlende knöcherne Konsolidierung eingetreten ist.

5. Hilfsanträge der Klägerin

Den Anträgen war ausnahmslos nicht zu folgen.

Zu weiteren Ermittlungen im Sinn der Hilfsanträge der Klägerin bestand für den Senat keine Veranlassung und erst recht keine verfahrensrechtliche Pflicht. Die Anträge der Klägerin, die diese in der mündlichen Verhandlung gestellt hat, waren abzulehnen.

Dazu bedurfte es keines gesonderten Beschlusses vor der Entscheidung durch Urteil. Vielmehr kann, wenn derartigen Anträgen nicht stattgegeben wird, unmittelbar die Entscheidung in der Sache ergehen, wobei die (Beweis-)Anträge in der Urteilsbegründung abzuhandeln sind (vgl. Urteil des Senats vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09).

5.1. Ergänzende Anhörung des Sachverständigen Dr. C.

Der hilfsweise Antrag der Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 18.03.2015,

"dass Dr. C. ergänzend zu dem Radiologiebericht vom 09.12.2014 gehört wird",

ist kein förmlicher Beweisantrag, sondern verkörpert nur eine bloße Beweisanregung (vgl. BSG, Beschluss vom 13.05.2011, Az.: B 12 R 25/10 B). Der Antrag beinhaltet kein Beweisthema.

Ein förmlicher Beweisantrag, der über § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG den Zugang zur Revisionsinstanz eröffnen könnte, liegt wie im Strafprozessrecht nur dann vor, wenn Beweismittel und Beweisthema ordnungsgemäß benannt sind (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Beschluss vom 22.06.2004, Az.: B 2 U 78/04 B; vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 160 Rdnr. 18a - m.w.N.). Fehlt es daran, ist der Antrag nicht geeignet, die typischen Rechtsfolgen eines formellen Beweisantrags zu bewirken. Handelt es sich somit nicht um einen Beweisantrag, so darf der Antrag als bloße Anregung an den Senat verstanden werden, im Rahmen der Amtsermittlung weitere Nachforschungen anzustellen (ständige Rspr., vgl. z.B. Urteile des Senats vom 22.10.2012, Az.: L 15 VJ 3/07, und vom 18.02.2014, Az.: L 15 VS 10/13). Der Amtsermittlungsgrundsatz gebietet aber derartige Ermittlungen nicht, da der Sachverhalt durch die überzeugenden Gutachten auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet ausermittelt ist.

Der mit Schreiben vom 12.01.2015 vorgelegte Bericht vom 09.12.2014 über eine Kernspintomographie der Halswirbelsäule vom 08.12.2014 kann für die hier zu entscheidende Frage des Merkzeichens aG keine Relevanz entfalten. Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule haben typischerweise keine entscheidenden Auswirkungen auf die unteren Extremitäten und damit die Gehfähigkeit. Zudem konnten im vorliegenden Fall bei der Kernspintomographie Zeichen einer Myelopathie (Schädigung des Rückenmarks) ausgeschlossen werden. Zu berücksichtigen ist im Übrigen auch, dass Anlass für die Anfertigung der Kernspintomographie eine lediglich akute Zervikobrachialgie gewesen ist. Daraus kann noch kein Rückschluss auf einen Dauerzustand im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gezogen werden; erst ein derartiger Dauerzustand kann aber Berücksichtigung bei schwerbehindertenrechtlichen Feststellungen finden.

Aus welchen Gründen die Bevollmächtigten des Klägers keinen förmlichen Beweisantrag gestellt haben, kann offenbleiben. Jedenfalls besteht bei einem rechtskundigen und berufsmäßigen Bevollmächtigten wie hier vom VdK ("Ass.jur.") (vgl. Urteil des Senats vom 18.02.2014, Az.: L 15 VS 10/13) keine gerichtliche Hinweispflicht darauf, dass der Antrag vom 18.03.2015 nicht den Vorgaben eines förmlichen Beweisantrags entspricht. Es ist allein Sache des Bevollmächtigten, all diejenigen Anträge mit dem aus Klägersicht für erforderlich gehaltenen Inhalt zu Protokoll des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll, ohne dass eine Verpflichtung für das Gericht bestünde, hier Formulierungshilfe zu leisten oder rechtsberatend einzugreifen (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Beschluss vom 20.07.2005, Az.: B 1 KR 39/05 B). Weitere Ausführungen von Seiten des Senats erübrigen sich daher.

5.2. Aufforderung an Dr. R., objektive Symptome für die Annahme der muskulären Insuffizienz zu nennen

Weitere Ermittlungen wegen dieses Beweisantrags waren nicht angezeigt.

Nach § 103 Abs. 2 SGG ist das Gericht bei der Erforschung des Sachverhalts an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Der Umstand, dass bestimmte Ermittlungen mit einem förmlichen Beweisantrag verlangt werden, vermag nicht dazu zu führen, dass für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ein strengerer Maßstab bezüglich der Frage anzulegen wäre, unter welchen Voraussetzungen die gewünschten Ermittlungen unterbleiben dürfen (vgl. Urteil des Senats vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09). Der förmliche Beweisantrag nach dem SGG hat lediglich eine Filterfunktion für die Revisionsinstanz; Sachaufklärungsmängel sollen nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG erst dann als Verfahrensmängel relevant sein, wenn in der Tatsacheninstanz die jeweilige Beweiserhebung förmlich beantragt worden ist. Die Ermittlungspflichten der Gerichte werden dadurch aber nicht verschärft (ständige Rspr., vgl. z.B. Urteile des Senats vom 14.02.2012, Az.: L 15 VJ 3/08, und vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09). Im Rahmen seines richterlichen Ermessens bestimmt das Gericht die Ermittlungen und Maßnahmen, die nach seiner Beurteilung der materiellen Rechtslage zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind; sein Ermessen ist nur durch die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem hiernach für seine Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt (vgl. BSG, Beschluss vom. 07.06.1956, Az.: 1 RA 135/55). Das Gericht muss dabei von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen (vgl. BSG, Beschluss vom 11.12.1969, Az.: GS 2/68).

Unter Beachtung dieser Grundsätze war vorliegend eine Nachfrage bei Dr. R. nicht veranlasst. Die gerichtlichen Sachverständigen Dr. T., Dr. B. und Dr. C. sind allesamt und übereinstimmend, teils vor dem Gutachten des Dr. R., teils danach, nach eingehender körperlicher Untersuchung der Klägerin - eine solche hatte Dr. R. nicht durchgeführt - zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin keine diffusen oder umschriebenen Muskelverschmächtigungen, keine motorischen Ausfälle, keine Reflexauffälligkeiten und auch keine trophischen Muskelstörungen vorliegen. Insofern bedurfte es einer Nachfrage bei Dr. R. nicht, zumal zweifelhaft ist, ob dieser als Facharzt für Anästhesiologie - im Gegensatz zu den Sachverständigen Dr. T., Dr. B. und Dr. C. - auf dem neurologischen und dem orthopädischen Fachgebiet in gleicher Weise qualifiziert ist wie die drei vorgenannten Sachverständigen, wobei diese Zweifel erhebliche Nahrung durch den Inhalt seines Gutachtens finden.

Wenn Dr. C. auf Seite 19 seines Gutachtens vom 29.10.2010 - dies dürfte der Hintergrund für den Antrag der Klägerin sein - ausgeführt hat

"Feststeht aus hiesiger Sicht, dass der neurologische Untersuchungsbefund im Bereich des rechten Beines keine Anhaltspunkte dafür bot, dass hier eine muskuläre Insuffizienz bestehen würde, man müsste den Kläger tatsächlich auffordern, objektive Symptome für diese Annahme zu nennen.",

handelt es sich hierbei für jedermann erkennbar um eine Aufforderung im Sinn einer rhetorischen Fragestellung. Denn bislang hat keiner der Sachverständigen, auch nicht die nach § 109 SGG, eine muskuläre Insuffizienz belegt oder objektiv beschrieben. Auch hat Dr. C. auf derselben Seite seines Gutachtens - ebenfalls zum Gutachten des Dr. R. - Folgendes ausgeführt:

"Wie der Gutachter zu diesem Schluss" - gemeint ist die schwerste muskuläre Insuffizienz des rechten Beines - "kommt, ist unerfindlich, eine schwerste muskuläre Insuffizienz würde ja voraussetzen, dass im Bereich des rechten Beines Zeichen einer Schonung oder Zeichen trophischer Störungen vorliegen, solche wurden allerdings von dem Gutachter nicht mitgeteilt, es ist insofern völlig unklar, wie der Gutachter diese Meinung begründen zu können glaubt."

5.3. Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. W.P.

Der erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag gemäß § 109 SGG wurde grob fahrlässig zu spät eingebracht und ist daher zurückzuweisen.

Gemäß § 109 Abs. 1 SGG ist im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Behinderten ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. Die Anhörung kann von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Abgelehnt werden kann die Anhörung nur unter den Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG. Eine Ablehnung ist möglich, wenn der Antrag entweder in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit zu spät vorgebracht worden ist und sich bei einer Zulassung des Beweisantrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

Grobe Nachlässigkeit ist das Verabsäumen jeder prozessualen Sorgfalt. Sie liegt regelmäßig dann vor, wenn der behinderte Mensch den Antrag auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG nicht in angemessener Frist stellt, obwohl er erkennt oder erkennen muss, dass die von Amts wegen durchzuführende Beweisaufnahme beendet ist (vgl. BSG, vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 303/5).

Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags gemäß § 109 SGG sind vorliegend gegeben.

Mit Schreiben vom 02.12.2012 hat der Berichterstatter des Senats den Bevollmächtigten der Klägerin das für diese im Ergebnis negative Gutachten des Dr. C. vom 29.10.2014 mit ausführlichen Erläuterungen und dem Hinweis darauf, dass die Beweisaufnahme von Amts wegen abgeschlossen sei und Erfolgsaussichten für die Berufung nicht zu erkennen seien, übersandt. Dabei ist eine Frist bis zum 14.01.2015 (Eingang bei Gericht) gesetzt worden. Den rechtskundigen Bevollmächtigten der Klägerin musste daher bewusst sein, dass ein Antrag gemäß § 109 SGG nur innerhalb der vom Gericht durchaus nicht zu knapp gesetzten Frist zulässig ist. Gleichwohl haben sie innerhalb der Frist keinen Sachverständigen nach § 109 SGG benannt, sondern einen derartigen Antrag erst in der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2015 gestellt. Dass mit der vor der mündlichen Verhandlung erfolgten bloßen Ankündigung eines Antrags gemäß § 109 SGG die Frist nicht gewahrt wird, muss den rechtskundigen Vertretern der Klägerin bekannt sein. Denn ein Antrag gemäß § 109 SGG setzt voraus, dass der Antrag klar und unmissverständlich und mit dem - zumindest bestimmbaren - Namen des Arztes gestellt wird, eine lediglich unbestimmte Ankündigung eines Antrags gemäß § 109 SGG reicht nicht (vgl. BSG, Beschlüsse vom 23.10.1957, Az.: 4 RJ 142/57, und 04.11.1959, Az.: 9 RV 862/56).

Angesichts der großzügigen - das BSG hat eine Frist von sechs Wochen sogar als unnötig lang angesehen (vgl. BSG, Beschluss vom 10.12.1958, Az.: 4 RJ 143/58) - Fristsetzung im gerichtlichen Schreiben vom 02.12.2014 ist der Antrag gemäß § 109 SGG in der mündlichen Verhandlung grob nachlässig zu spät gestellt worden. Die Bevollmächtigten hätten mit der Antragstellung keinesfalls bis zur mündlichen Verhandlung warten dürfen; tun sie dies - wie hier - doch, ist dieses Verhalten grob nachlässig (vgl. BSG, Beschluss vom 22.06.1966, Az.: 8 RV 227/65).

Da die Zulassung des Beweisantrags einer Entscheidung in der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2015 entgegen gestanden wäre und daher das Verfahren verzögert hätte, war der Antrag zurückzuweisen.

Die Berufung des Beklagten hat daher Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Zu berücksichtigen war, dass die Klägerin mit ihrem Klageziel - Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen B einerseits und das Merkzeichen aG andererseits - zur Hälfte Erfolg gehabt hat.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Die Straßenverkehrsbehörden können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen

1.
von den Vorschriften über die Straßenbenutzung (§ 2);
2.
vorbehaltlich Absatz 2a Satz 1 Nummer 3 vom Verbot, eine Autobahn oder eine Kraftfahrstraße zu betreten oder mit dort nicht zugelassenen Fahrzeugen zu benutzen (§ 18 Absatz 1 und 9);
3.
von den Halt- und Parkverboten (§ 12 Absatz 4);
4.
vom Verbot des Parkens vor oder gegenüber von Grundstücksein- und -ausfahrten (§ 12 Absatz 3 Nummer 3);
4a.
von der Vorschrift, an Parkuhren nur während des Laufens der Uhr, an Parkscheinautomaten nur mit einem Parkschein zu halten (§ 13 Absatz 1);
4b.
von der Vorschrift, im Bereich eines Zonenhaltverbots (Zeichen 290.1 und 290.2) nur während der dort vorgeschriebenen Zeit zu parken (§ 13 Absatz 2);
4c.
von den Vorschriften über das Abschleppen von Fahrzeugen (§ 15a);
5.
von den Vorschriften über Höhe, Länge und Breite von Fahrzeug und Ladung (§ 18 Absatz 1 Satz 2, § 22 Absatz 2 bis 4);
5a.
von dem Verbot der unzulässigen Mitnahme von Personen (§ 21);
5b.
von den Vorschriften über das Anlegen von Sicherheitsgurten und das Tragen von Schutzhelmen (§ 21a);
6.
vom Verbot, Tiere von Kraftfahrzeugen und andere Tiere als Hunde von Fahrrädern aus zu führen (§ 28 Absatz 1 Satz 3 und 4);
7.
vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot (§ 30 Absatz 3);
8.
vom Verbot, Hindernisse auf die Straße zu bringen (§ 32 Absatz 1);
9.
von den Verboten, Lautsprecher zu betreiben, Waren oder Leistungen auf der Straße anzubieten (§ 33 Absatz 1 Nummer 1 und 2);
10.
vom Verbot der Werbung und Propaganda in Verbindung mit Verkehrszeichen (§ 33 Absatz 2 Satz 2) nur für die Flächen von Leuchtsäulen, an denen Haltestellenschilder öffentlicher Verkehrsmittel angebracht sind;
11.
von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind;
12.
von dem Nacht- und Sonntagsparkverbot (§ 12 Absatz 3a).
Vom Verbot, Personen auf der Ladefläche oder in Laderäumen mitzunehmen (§ 21 Absatz 2), können für die Dienstbereiche der Bundeswehr, der auf Grund des Nordatlantik-Vertrages errichteten internationalen Hauptquartiere, der Bundespolizei und der Polizei deren Dienststellen, für den Katastrophenschutz die zuständigen Landesbehörden, Ausnahmen genehmigen. Dasselbe gilt für die Vorschrift, dass vorgeschriebene Sicherheitsgurte angelegt sein oder Schutzhelme getragen werden müssen (§ 21a).

(1a) Die Straßenverkehrsbehörden können zur Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge allgemein durch Zusatzzeichen Ausnahmen von Verkehrsbeschränkungen, Verkehrsverboten oder Verkehrsumleitungen nach § 45 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 1a und 1b Nummer 5 erste Alternative zulassen. Das gleiche Recht haben sie für die Benutzung von Busspuren durch elektrisch betriebene Fahrzeuge. Die Anforderungen des § 3 Absatz 1 des Elektromobilitätsgesetzes sind zu beachten.

(2) Die zuständigen obersten Landesbehörden oder die nach Landesrecht bestimmten Stellen können von allen Vorschriften dieser Verordnung Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle oder allgemein für bestimmte Antragsteller genehmigen. Vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot (§ 30 Absatz 3) können sie darüber hinaus für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken Ausnahmen zulassen, soweit diese im Rahmen unterschiedlicher Feiertagsregelung in den Ländern (§ 30 Absatz 4) notwendig werden. Erstrecken sich die Auswirkungen der Ausnahme über ein Land hinaus und ist eine einheitliche Entscheidung notwendig, ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig; die Ausnahme erlässt dieses Bundesministerium durch Verordnung.

(2a) Abweichend von Absatz 1 und 2 Satz 1 kann für mit Zeichen 330.1 und 330.2 gekennzeichnete Autobahnen in der Baulast des Bundes das Fernstraßen-Bundesamt in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller folgende Ausnahmen genehmigen:

1.
Ausnahmen vom Verbot, an nicht gekennzeichneten Anschlussstellen ein- oder auszufahren (§ 18 Absatz 2 und 10 Satz 1), im Benehmen mit der nach Landesrecht zuständigen Straßenverkehrsbehörde;
2.
Ausnahmen vom Verbot zu halten (§ 18 Absatz 8);
3.
Ausnahmen vom Verbot, eine Autobahn zu betreten oder mit dort nicht zugelassenen Fahrzeugen zu benutzen (§ 18 Absatz 1 und 9);
4.
Ausnahmen vom Verbot, Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton zu betreiben (§ 33 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und Satz 2);
5.
Ausnahmen von der Regelung, dass ein Autohof nur einmal angekündigt werden darf (Zeichen 448.1);
6.
Ausnahmen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind (Absatz 1 Satz 1 Nummer 11).
Wird neben einer Ausnahmegenehmigung nach Satz 1 Nummer 3 auch eine Erlaubnis nach § 29 Absatz 3 oder eine Ausnahmegenehmigung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 beantragt, ist die Verwaltungsbehörde zuständig, die die Erlaubnis nach § 29 Absatz 3 oder die Ausnahmegenehmigung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 erlässt. Werden Anlagen nach Satz 1 Nummer 4 mit Wirkung auf den mit Zeichen 330.1 und 330.2 gekennzeichneten Autobahnen in der Baulast des Bundes im Widerspruch zum Verbot, Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton zu betreiben (§ 33 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und Satz 2), errichtet oder geändert, wird über deren Zulässigkeit
1.
von der Baugenehmigungsbehörde, wenn ein Land hierfür ein bauaufsichtliches Verfahren vorsieht, oder
2.
von der zuständigen Genehmigungsbehörde, wenn ein Land hierfür ein anderes Verfahren vorsieht,
im Benehmen mit dem Fernstraßen-Bundesamt entschieden. Das Fernstraßen-Bundesamt kann verlangen, dass ein Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gestellt wird. Sieht ein Land kein eigenes Genehmigungsverfahren für die Zulässigkeit nach Satz 3 vor, entscheidet das Fernstraßen-Bundesamt.

(3) Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis können unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt werden und mit Nebenbestimmungen (Bedingungen, Befristungen, Auflagen) versehen werden. Erforderlichenfalls kann die zuständige Behörde die Beibringung eines Sachverständigengutachtens auf Kosten des Antragstellers verlangen. Die Bescheide sind mitzuführen und auf Verlangen zuständigen Personen auszuhändigen. Bei Erlaubnissen nach § 29 Absatz 3 und Ausnahmegenehmigungen nach § 46 Absatz 1 Nummer 5 genügt das Mitführen fernkopierter Bescheide oder von Ausdrucken elektronisch erteilter und signierter Bescheide sowie deren digitalisierte Form auf einem Speichermedium, wenn diese derart mitgeführt wird, dass sie bei einer Kontrolle auf Verlangen zuständigen Personen lesbar gemacht werden kann.

(4) Ausnahmegenehmigungen und Erlaubnisse der zuständigen Behörde sind für den Geltungsbereich dieser Verordnung wirksam, sofern sie nicht einen anderen Geltungsbereich nennen.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Die Straßenverkehrsbehörden können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen

1.
von den Vorschriften über die Straßenbenutzung (§ 2);
2.
vorbehaltlich Absatz 2a Satz 1 Nummer 3 vom Verbot, eine Autobahn oder eine Kraftfahrstraße zu betreten oder mit dort nicht zugelassenen Fahrzeugen zu benutzen (§ 18 Absatz 1 und 9);
3.
von den Halt- und Parkverboten (§ 12 Absatz 4);
4.
vom Verbot des Parkens vor oder gegenüber von Grundstücksein- und -ausfahrten (§ 12 Absatz 3 Nummer 3);
4a.
von der Vorschrift, an Parkuhren nur während des Laufens der Uhr, an Parkscheinautomaten nur mit einem Parkschein zu halten (§ 13 Absatz 1);
4b.
von der Vorschrift, im Bereich eines Zonenhaltverbots (Zeichen 290.1 und 290.2) nur während der dort vorgeschriebenen Zeit zu parken (§ 13 Absatz 2);
4c.
von den Vorschriften über das Abschleppen von Fahrzeugen (§ 15a);
5.
von den Vorschriften über Höhe, Länge und Breite von Fahrzeug und Ladung (§ 18 Absatz 1 Satz 2, § 22 Absatz 2 bis 4);
5a.
von dem Verbot der unzulässigen Mitnahme von Personen (§ 21);
5b.
von den Vorschriften über das Anlegen von Sicherheitsgurten und das Tragen von Schutzhelmen (§ 21a);
6.
vom Verbot, Tiere von Kraftfahrzeugen und andere Tiere als Hunde von Fahrrädern aus zu führen (§ 28 Absatz 1 Satz 3 und 4);
7.
vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot (§ 30 Absatz 3);
8.
vom Verbot, Hindernisse auf die Straße zu bringen (§ 32 Absatz 1);
9.
von den Verboten, Lautsprecher zu betreiben, Waren oder Leistungen auf der Straße anzubieten (§ 33 Absatz 1 Nummer 1 und 2);
10.
vom Verbot der Werbung und Propaganda in Verbindung mit Verkehrszeichen (§ 33 Absatz 2 Satz 2) nur für die Flächen von Leuchtsäulen, an denen Haltestellenschilder öffentlicher Verkehrsmittel angebracht sind;
11.
von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind;
12.
von dem Nacht- und Sonntagsparkverbot (§ 12 Absatz 3a).
Vom Verbot, Personen auf der Ladefläche oder in Laderäumen mitzunehmen (§ 21 Absatz 2), können für die Dienstbereiche der Bundeswehr, der auf Grund des Nordatlantik-Vertrages errichteten internationalen Hauptquartiere, der Bundespolizei und der Polizei deren Dienststellen, für den Katastrophenschutz die zuständigen Landesbehörden, Ausnahmen genehmigen. Dasselbe gilt für die Vorschrift, dass vorgeschriebene Sicherheitsgurte angelegt sein oder Schutzhelme getragen werden müssen (§ 21a).

(1a) Die Straßenverkehrsbehörden können zur Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge allgemein durch Zusatzzeichen Ausnahmen von Verkehrsbeschränkungen, Verkehrsverboten oder Verkehrsumleitungen nach § 45 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 1a und 1b Nummer 5 erste Alternative zulassen. Das gleiche Recht haben sie für die Benutzung von Busspuren durch elektrisch betriebene Fahrzeuge. Die Anforderungen des § 3 Absatz 1 des Elektromobilitätsgesetzes sind zu beachten.

(2) Die zuständigen obersten Landesbehörden oder die nach Landesrecht bestimmten Stellen können von allen Vorschriften dieser Verordnung Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle oder allgemein für bestimmte Antragsteller genehmigen. Vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot (§ 30 Absatz 3) können sie darüber hinaus für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken Ausnahmen zulassen, soweit diese im Rahmen unterschiedlicher Feiertagsregelung in den Ländern (§ 30 Absatz 4) notwendig werden. Erstrecken sich die Auswirkungen der Ausnahme über ein Land hinaus und ist eine einheitliche Entscheidung notwendig, ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig; die Ausnahme erlässt dieses Bundesministerium durch Verordnung.

(2a) Abweichend von Absatz 1 und 2 Satz 1 kann für mit Zeichen 330.1 und 330.2 gekennzeichnete Autobahnen in der Baulast des Bundes das Fernstraßen-Bundesamt in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller folgende Ausnahmen genehmigen:

1.
Ausnahmen vom Verbot, an nicht gekennzeichneten Anschlussstellen ein- oder auszufahren (§ 18 Absatz 2 und 10 Satz 1), im Benehmen mit der nach Landesrecht zuständigen Straßenverkehrsbehörde;
2.
Ausnahmen vom Verbot zu halten (§ 18 Absatz 8);
3.
Ausnahmen vom Verbot, eine Autobahn zu betreten oder mit dort nicht zugelassenen Fahrzeugen zu benutzen (§ 18 Absatz 1 und 9);
4.
Ausnahmen vom Verbot, Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton zu betreiben (§ 33 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und Satz 2);
5.
Ausnahmen von der Regelung, dass ein Autohof nur einmal angekündigt werden darf (Zeichen 448.1);
6.
Ausnahmen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind (Absatz 1 Satz 1 Nummer 11).
Wird neben einer Ausnahmegenehmigung nach Satz 1 Nummer 3 auch eine Erlaubnis nach § 29 Absatz 3 oder eine Ausnahmegenehmigung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 beantragt, ist die Verwaltungsbehörde zuständig, die die Erlaubnis nach § 29 Absatz 3 oder die Ausnahmegenehmigung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 erlässt. Werden Anlagen nach Satz 1 Nummer 4 mit Wirkung auf den mit Zeichen 330.1 und 330.2 gekennzeichneten Autobahnen in der Baulast des Bundes im Widerspruch zum Verbot, Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton zu betreiben (§ 33 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und Satz 2), errichtet oder geändert, wird über deren Zulässigkeit
1.
von der Baugenehmigungsbehörde, wenn ein Land hierfür ein bauaufsichtliches Verfahren vorsieht, oder
2.
von der zuständigen Genehmigungsbehörde, wenn ein Land hierfür ein anderes Verfahren vorsieht,
im Benehmen mit dem Fernstraßen-Bundesamt entschieden. Das Fernstraßen-Bundesamt kann verlangen, dass ein Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gestellt wird. Sieht ein Land kein eigenes Genehmigungsverfahren für die Zulässigkeit nach Satz 3 vor, entscheidet das Fernstraßen-Bundesamt.

(3) Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis können unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt werden und mit Nebenbestimmungen (Bedingungen, Befristungen, Auflagen) versehen werden. Erforderlichenfalls kann die zuständige Behörde die Beibringung eines Sachverständigengutachtens auf Kosten des Antragstellers verlangen. Die Bescheide sind mitzuführen und auf Verlangen zuständigen Personen auszuhändigen. Bei Erlaubnissen nach § 29 Absatz 3 und Ausnahmegenehmigungen nach § 46 Absatz 1 Nummer 5 genügt das Mitführen fernkopierter Bescheide oder von Ausdrucken elektronisch erteilter und signierter Bescheide sowie deren digitalisierte Form auf einem Speichermedium, wenn diese derart mitgeführt wird, dass sie bei einer Kontrolle auf Verlangen zuständigen Personen lesbar gemacht werden kann.

(4) Ausnahmegenehmigungen und Erlaubnisse der zuständigen Behörde sind für den Geltungsbereich dieser Verordnung wirksam, sofern sie nicht einen anderen Geltungsbereich nennen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) festgestellt werden.

Der im Jahr 1959 geborene Kläger erlitt im Jahre 1980 eine schwere Verletzung des rechten Beins, die zur Amputation im Oberschenkel führte.

Mit Bescheid des Beklagten vom 18.02.1997 wurden erstmals ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G festgestellt.

Im Dezember 2010 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B und aG. Die Gehfähigkeit sei wegen der Stumpfbeschwerden erheblich eingeschränkt.

Nach Auswertung eingeholter Befunde durch den versorgungsärztlichen Dienst stellte der Beklagte mit Bescheid vom 25.07.2011 einen GdB von 90, nicht aber die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG fest.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und begründete diesen damit, dass er zur Erhaltung der körperlichen Unversehrtheit und zur Berufsausübung die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von Behindertenparkplätzen benötige. Er müsse jederzeit in der Nähe seines Arbeitsplatzes parken können. Schon bei schönem Wetter sei seine Gehfähigkeit stark eingeschränkt, bei Regen, Schnee oder gar Eis sei er unmittelbar sturzgefährdet. Er müsse daher längere Wegstrecken vermeiden.

Der behandelnde Orthopäde Dr. C. teilte auf Nachfrage des Beklagten am 30.11.2011 mit, dass der Kläger ein stark hinkendes Gangbild habe und auch für kurze Strecken je nach Belastung einen Gehstock verwende.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.01.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Kläger sei - so der Beklagte - nicht dem Personenkreis gleichzustellen, der die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfülle.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers am 06.02.2012 Klage mit dem Ziel der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erhoben. Die Klage ist unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) damit begründet worden, dass es der Beklagte bei seiner Entscheidung völlig außer Acht gelassen habe, in welchem Umfang es dem Kläger im konkreten Fall überhaupt noch möglich sei, außerhalb seines Kraftfahrzeugs Wegstrecken zurückzulegen. Aufgrund der rechtsseitigen Oberschenkelamputation und der starken Narbenbildung sei es dem Kläger nur unter erheblichen Anstrengungen möglich, sich mithilfe einer Beinprothese fortzubewegen. Neben den erheblichen Schmerzen komme eine Gangunsicherheit hinzu, die sich bei schlechten Witterungsverhältnissen wie Regen, Eis und Schnee noch weiter verstärke. Der Kläger sei insofern stark sturzgefährdet, was eine weitere Verschlechterung seines Gehvermögens herbeiführen könne. Der Arbeitgeber des Klägers verfüge über keinen eigenen Betriebsparkplatz. Den in der Nähe des Arbeitsplatzes gelegenen Behindertenparkplatz könne der Kläger nur mit dem entsprechenden Parkausweis benutzen, für den das Merkzeichen aG notwendig sei.

Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt. Der Orthopäde Dr. C. hat über ein stark hinkendes Gangbild berichtet, die Gehstrecke nehme ab, der Kläger sei auch bei kurzen Wegen auf einen Gehstock angewiesen. Vom Kläger seien wiederholte einschießende Schmerzen und Missempfindungen berichtet worden. Es bestehe ein neuropathischer Schmerz sowie ein Ulcus chronicum der linken Leiste. Der Internist Prof. Dr. V. hat u. a. a. berichtet, dass der Kläger unter einer Hepatitis C infolge einer Transfusion leide und mit Interferon therapiert werde. Gravierende Beschwerden hätten zum Zeitpunkt der letzten Behandlung (April 2012) nicht vorgelegen.

Im Auftrag des Gerichts hat Dr. L. am 23.10.2012 ein Gutachten auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet erstellt. Darin hat er Folgendes ausgeführt:

Bei der Begutachtung habe der Kläger angegeben, dass mit zunehmendem Alter eine Einschränkung der Gehfähigkeit eingetreten sei. 200 bis 300 m Gehfähigkeit seien gewährleistet. Er habe auf diffuse Narbenprobleme vorrangig im Leistenbereich und ein gelegentliches Pulsieren des rechten Stumpfs hingewiesen. Der Sachverständige hat den Kläger als muskelkräftig-athletischen Mann in ausgezeichneter körperlicher Verfassung (175 cm, 86 kg) beschrieben. Der Gang des Klägers sei bei angelegter Prothese gut fördernd, allenfalls eine Spur rechtshinkend. Am Stumpfende seien mehrere Narben erkennbar (Länge 24 und 28 cm). Ein Geschwürsleiden sei zum Zeitpunkt der Untersuchung auszuschließen. Ein Stumpfneurinom lasse sich nicht tasten, der Stumpf selbst sei ausreichend weichteilgedeckt. Es bestehe ein Zustand nach Oberschenkelamputation rechts mit leichtgradiger instabiler Weichteilsituation im Entfall eines Geschwürsleidens der Haut mit der Notwendigkeit des Tragens einer Oberschenkelprothese und verminderter Geh- und Stehfähigkeit sowie glaubwürdigen subjektiven Beschwerden. Der Kläger könne sich ohne fremde Hilfe und ohne große Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen.

Mit Urteil vom 08.11.2013 ist die Klage abgewiesen worden. Das Sozialgericht hat sich dabei auf das Gutachten des Dr. L. gestützt.

Am 16.11.2013 hat der Kläger durch seine Bevollmächtigten Berufung eingelegt. Die Berufung ist mit Schreiben vom 21.01.2014 wie folgt begründet worden:

Das Sozialgericht habe die Beurteilung im Wesentlichen am Restgehvermögen von 200 bis 300 m festgemacht, obwohl nach der Rechtsprechung des BSG nicht die Wegstrecke entscheidend sei, sondern die für die Fortbewegung erforderlichen Anstrengungen. Zudem gehe das Sozialgericht davon aus, dass der Kläger nicht dauerhaft außer Stande sei, ein Kunstbein zu tragen. Dabei verkenne das Sozialgericht die Gegebenheiten. Im Umkehrschluss sei der Kläger auch nicht dauerhaft im Stande, das Kunstbein zu tragen. Zudem sei ein Kunstbein kein vollwertiger Ersatz für das verlorene Bein. Das dauerhafte Tragen eines Kunstbeins sei aber ein entscheidendes Kriterium zur Abgrenzung von Personen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung. Die Feststellungen des Gutachters Dr. L. seien nur eine Momentaufnahme, gewonnen in einer Phase geringer Hautdefekte. Die Restgehfähigkeit sei je nach Intensität der Bewegungen mit der Prothese sehr unterschiedlich zu bewerten. Die Ablehnung der Berücksichtigung der beruflichen Situation des Klägers sei daher nicht gerechtfertigt. Dass der Kläger mit den geschilderten Verhältnissen sehr zu kämpfen habe, sollte ihm nicht noch zu weiteren Nachteilen gereichen.

Der behandelnde Orthopäde Dr. C. hat auf Nachfrage des Senats am 11.02.2014 über rezidivierende Hautulcera im Bereich des Oberschenkelstumpfs berichtet. Beim Kläger sei eine massive wülstige Vernarbung gegeben, welche keine optimale Prothesenanpassung erlaube. Die Prothese könne daher nur kurzfristig getragen werden. Es komme immer wieder zu offenen Hautläsionen, so dass der Kläger weitestgehend auf die Benutzung zweier Unterarmgehstützen angewiesen sei. Das Gangbild sei dann so wie unter Verwendung zweier Unterarmgehstützen ohne anliegende Prothese bei Oberschenkelamputation. Die prothesenfreie Zeit überwiege deutlich die Zeit mit anliegender Prothese.

Mit Schreiben vom 24.03.2014 haben die Bevollmächtigten des Klägers ergänzend darauf hingewiesen, dass der Kläger neben den typischen Einschränkungen durch den amputationbedingten Muskelverlust an den Symptomen einer chronischen Hepatitis C leide, die sich vornehmlich in einer erheblichen Leistungsinsuffizienz zeigen würden. Dies führe dazu, dass bereits nach wenigen Schritten eine Erschöpfung eintrete. Zudem komme es beim Kläger vermehrt zu Hautdefekten, die das Tragen der Prothese verhindern würden. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass schon das Gehen mit der Prothese für den Kläger aufgrund der Vorschädigung mit erheblichen Anstrengungen einhergehe und sich nach wenigen Schritten deutlich verlangsame. Durch die langwierigen Hautdefekte würde zudem das Tragen der Prothese in ständig wiederkehrenden Phasen verhindert, so dass sich der Kläger dann mit Unterarmgehstützen fortbewegen müsse.

In der mündlichen Verhandlung am 20.05.2014 hat der Kläger dem Senat auf dessen Nachfrage mitgeteilt, dass er im Jahr 2014 die Prothese an 31 Tagen nicht nutzen habe können. Unproblematisch möglich gewesen sei die Benutzung der Prothese nur ungefähr 2-3 Wochen; in der restlichen Zeit sei eine Prothesennutzung, wenn sie nicht schon unmöglich gewesen sei, nur mit teilweise erheblichen Beschwerden möglich gewesen.

Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 08.11.2013 und unter Abänderung des Bescheids vom 25.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.01.2012 zu verpflichten, beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Sozialgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen.

Der Kläger hat bei Berücksichtigung der hohe Anforderungen aufstellenden Rechtsprechung des BSG keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG; die gesundheitlichen Voraussetzungen hierfür sind bis heute nicht nachgewiesen.

1. Rechtliche Vorgaben für das Merkzeichen aG

Anspruchsgrundlage ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i. V. m. den unten näher dargestellten straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften.

Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ermächtigt, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrats zu erlassen über „die Schaffung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung...“. Davon hat das Bundesministerium mit § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) Gebrauch gemacht, ohne die Voraussetzungen der außerordentlichen Gehbehinderung näher zu präzisieren. Wegen der bundesweiten Auswirkungen hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung von seiner in § 46 Abs. 2 Satz 3 StVO gegebenen Ermächtigung zum Erlass von bundesweit gültigen Verwaltungsvorschriften mit den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO), zuletzt in der ab dem 01.09.2009 gültigen Fassung vom 17.07.2009, Gebrauch gemacht und dabei in Ziff. 129 f. zu § 46 StVO Folgendes vorgegeben:

„Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.

Hierzu zählen: Querschnittsgelähmte, doppeloberschenkelamputierte, doppelunterschenkelamputierte, hüftexartikulierte und einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.“

Diese Vorgaben haben so auch Eingang in die bis 31.12.2008 geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) und in die anschließend zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 Rechtsnormcharakter haben (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.2009, Az.: B 9 SB 3/08 R), - dort Teil D Nr. 3. b) - gefunden. In Teil D Nr. 3. c) der VG ist - wie zuvor weitgehend inhaltsgleich schon in Teil B Nr. 31 der AHP 2008 - folgende klarstellende Ergänzung erfolgt:

„Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.“

2. Rechtsprechung insbesondere des BSG zum Merkzeichen aG

Dazu, wann von einem auf das Schwerste eingeschränkten Gehvermögen auszugehen ist, hat sich das BSG im Urteil vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R, wie folgt geäußert:

„Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (Az B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr°11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen.“

Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für eine weite Auslegung im Rahmen der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen kein Raum ist. So hat es beispielsweise im Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RVs 19/86, Folgendes festgehalten:

„Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies bedeutet zugleich, dass der Personenkreis eng zu fassen ist. Denn mit der Ausweitung des Personenkreises steigt nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an sich mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden könnte. Mit jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber dem gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden kann. Auch hier ist bei einer an sich vielleicht wünschenswerten Ausweitung des begünstigten Personenkreises zu bedenken, dass dadurch der in erster Linie zu begünstigende Personenkreis wieder benachteiligt würde.“

Der Maßstab zur Gleichstellung muss sich daher strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz - Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung - orientieren (vgl. BSG, Urteile vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RVs 19/86, vom 13.12.1994, Az.: 9 RVs 3/94, vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, und vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 1/06 R). Das BSG vertritt damit unzweifelhaft die Auffassung, dass eine erweiternde Auslegung der hier maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nach dem Zweck des Schwerbehindertenrechts nicht zulässig ist (vgl. BSG vom 03.02.1988, 9/9a RVs 19/86; Urteil des Senats vom 27.05.2010, Az.: L 15 SB 155/07).

Der Senat hat bereits im Urteil vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11, erläutert, dass es ihm nicht völlig abwegig erscheinen würde, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG mit nicht ganz so großer Strenge zu sehen, wie dies das BSG macht, und dies wie folgt begründet:

„Zum einen hält der Senat das für die sehr strenge Auslegung des BSG tragende Argument, dass eine Erweiterung des Personenkreises eine Vermehrung der Parkflächen erfordern würde, was für den berechtigten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zur Konsequenz hätte, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden könne, nicht für zwingend. Denn dass verkehrstechnische, straßenverkehrsrechtliche oder baurechtliche Gründe einer Ausweisung von weiteren Behindertenparkplätzen an den erforderlichen Stellen regelmäßig entgegen stehen würden, ist so nicht erkennbar. Allein aufgrund des demographischen Wandels und der Alterstruktur behinderter Menschen in der Zukunft ist im Übrigen zwingend damit zu rechnen, dass die Zahl der Inhaber des Merkzeichens aG steigen wird und mehr Behindertenparkplätze eingerichtet werden müssen. Zum anderen lässt sich aus den in Ziff. 130 VwV-StVO aufgezählten Regelbeispielen nicht der zwingende Schluss ableiten, dass bei der Bestimmung der gleichgestellten Behinderten im Sinne der Ziff. 130 VwV-StVO ein so strenger Maßstab anzulegen ist, wie ihn das BSG zugrunde legt. Denn auch bei den Regelbeispielen sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Behinderte trotz seines Leidens nicht so stark beeinträchtigt wäre, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an (vgl. BSG, Urteile vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R, und vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R) dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann. Der Senat hat hier den - zugegebenermaßen - extremen Fall des beidseitig unterschenkelamputierten südafrikanischen Sprinters Oscar Pistorius vor Augen, der trotz seiner Behinderung, die ihm das Merkzeichen aG eröffnen würde, sowohl bei den Weltmeisterschaften 2011 als auch bei den olympischen Sommerspielen 2012 gestartet ist.

Derartigen Überlegungen ist das BSG jedoch bereits mit Urteil vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, entgegen getreten, in dem es ausgeführt hat:

„Da der Kläger nicht zu einer der in der VV beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört, kann er nach den Kriterien dieser Norm nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Für eine solche Gleichstellung hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung den folgenden Maßstab entwickelt: Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr°11 Abschnitt II 1 Satz 2 1. Halbsatz aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr. 23). Im Einzelfall scheint es sich allerdings nur schwer entscheiden zu lassen, wann diese Forderung erfüllt ist. Denn bei den beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen handelt es sich in Bezug auf ihr Gehvermögen offenbar nicht um einen homogenen Personenkreis. Es erscheint sogar möglich, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen aufgrund eines günstigen Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen, was namentlich bei körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mit Hilfe moderner Orthopädietechnik der Fall sein mag (so dass diese nicht einmal als erheblich beeinträchtigt in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr anzusehen wären.

Solche Besonderheiten sind nicht geeignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer schwerbehinderter Menschen mit dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis richtet. Denn entweder handelt es sich bei Personen, die zwar nach der Art der Behinderung zu einer der aufgeführten Gruppen zählen, jedoch tatsächlich die Voraussetzungen des Obersatzes (Bewegung außerhalb des Kraftfahrzeuges nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung) nicht erfüllen, um Ausnahmefälle. Dann ist ihre Einbeziehung in den Kreis der Begünstigten unter dem Gesichtspunkt der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen. Oder es hat sich die Gehfähigkeit einer größeren Zahl von Angehörigen einer bestimmten Gruppe, also auch von typischen Vertretern derselben, - etwa durch Fortentwicklung der Orthopädietechnik - so verbessert, dass sie nach dem allgemeinen Maßstab bzw. im Vergleich mit anderen genannten Personengruppen nicht als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden können. Dann ist ihre (weitere) beispielhafte Nennung in der VV zu Unrecht erfolgt. In diesem Fall könnte die betreffende Gruppe nicht mehr im Rahmen der Gleichstellung anderer behinderter Menschen zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter muss sich mithin strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren. Diese Personen können sich insbesondere nicht auf die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter berufen. In diesem Sinne ist auch die Bemerkung des Senats zu verstehen, dass es bei den aufgeführten Behindertengruppen grundsätzlich nicht auf die prothetische Versorgung ankommt (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr. 22 und Urteil vom 27. Februar 2002 - B 9 SB 9/01 R - Juris).“

Für das Merkzeichen aG ist es daher erforderlich, dass sich der Schwerbehinderte wegen der Schwere seines Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, wobei dabei ein strenger Maßstab anzulegen ist.

Nicht übersehen werden darf, dass die gesundheitlichen Einschränkungen, die das Merkzeichen aG begründen, dauerhaft vorliegen. Dies ergibt sich aus den oben zitierten VwV-StVO. Auch das BSG weist darauf regelmäßig hin, so z. B. im Urteil vom 29.01.1992, Az.: 9a RVs 4/90, wenn es dort Folgendes formuliert hat:

„Eine gleichstarke Beeinträchtigung der Gehfähigkeit besteht bei der Klägerin nicht dauernd. Zwischen den Anfällen, die gelegentlich auftreten, kann sie trotz geringer Gehbehinderung Fußwege ohne außergewöhnliche Anstrengung bewältigen. Das steht nach den Feststellungen des LSG verbindlich fest (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ). Während der Anfälle und einige Zeit danach kann sie zwar überhaupt nicht gehen oder nur derart erschwert wie die ausdrücklich genannten Beinbehinderten. Das genügt aber nicht für die Voraussetzung von „aG“. Es fehlt am erforderlichen Dauerzustand. Wenn auch bis zu zwanzig Anfälle an einem bestimmten Tag auftreten können, so besteht dieser Krankheitszustand doch nicht ständig. Das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, mag auch das LSG nicht ausdrücklich aus der Bekundung des Sachverständigen übernommen haben, dass die Anfälle zeitweilig in Wochen- und Monatsabständen auftreten. Falls in Zukunft, was in der mündlichen Verhandlung - für diesen Rechtsstreit unbeachtlich - vorgetragen worden ist, die Klägerin wegen gleichbleibender Häufigkeit der Anfälle ständig auf einen Rollstuhl angewiesen sein sollte, käme eine Gleichstellung in Betracht. Wegen der bisherigen Möglichkeit von Anfällen ist die Klägerin nicht Querschnittsgelähmten gleichzustellen, die ebenfalls nicht laufen können, sondern mit einem Rollstuhl fahren müssen. Dieser Zustand besteht bei ihnen dauernd.“

Auch der Senat hat sich mit der Frage der Dauerhaftigkeit der Einschränkung bereits in der Vergangenheit, nämlich im Urteil vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11, befasst und dort Folgendes ausgeführt:

„Es gibt unzweifelhaft - auch bei Zugrundelegung des strengen Maßstabs des BSG - Phasen, in denen der Kläger aufgrund unmittelbar zuvor durchgemachter nächtlicher epileptischer Anfälle oder aktueller Hüftbeschwerden, ggf. auch wegen Kombination beider Leiden, so in seinem Gesundheitszustand geschwächt ist, dass er sich an einzelnen Tagen nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung ab den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Jedoch sind diese Phasen nicht von Dauer. Sogar nach den Angaben der Mutter, die dem Kläger, wie sich z. B. dem Bericht der Mutter-Kind-Kur vom Sommer 2009 entnehmen lässt, weniger zuzutrauen scheint, als ihm tatsächlich möglich ist, und daher die tatsächlich vorliegenden Einschränkungen eher über- als unterbewerten dürfte, kann nicht von einer dauerhaften so massiven Einschränkung der Gehfähigkeit ausgegangen werden, wie sie für das Merkzeichen aG erforderlich wäre. So ist den Angaben der Mutter zu entnehmen, dass der Kläger ihrer Einschätzung nach maximal zwei Wochen im Monat auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Von einer Dauerhaftigkeit kann dabei noch nicht die Rede sein. Auch wenn sich das BSG noch nicht explizit dazu geäußert hat, wann von einer dauernden Einschränkung gesprochen werden kann, kann dies jedenfalls bei einer zeitlich hälftigen Einschränkung mit Sicherheit noch nicht der Fall sein.“

3. Beurteilung im vorliegenden Fall

Bei Beachtung der oben aufgezeigten rechtlichen Vorgaben und der vom BSG aufgestellten Maßstäbe sowie bei Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass in der Person des Klägers die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG bis heute nicht nachgewiesen sind.

3.1. Zugrunde zu legender Gesundheitszustand des Klägers

Bei dem zugrunde zu legenden Gesundheitszustand des Klägers stützt sich der Senat zum einen auf das überzeugend, eingehend und nachvollziehbar begründete Gutachten des erfahrenen orthopädischen Sachverständigen Dr. L. im sozialgerichtlichen Verfahren, der die beim Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig erfasst und ihre Auswirkungen auf die Gehfähigkeit des Klägers zutreffend gewürdigt hat. Er hat alle Gesichtspunkte sehr ausführlich bedacht und abgewogen. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.

Zum anderen legt der Senat seiner Beurteilung die Angaben des Klägers zugrunde, die dieser in der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2014 gemacht hat. Er hält diese Angaben für glaubhaft. Der Kläger hat bei seinen Angaben für den Senat zweifelsfrei den Eindruck gemacht, seine Beschwerden wahrheitsgemäß darzustellen. Eine Tendenz zur Übertreibung ist für den Senat ausgeschlossen. Vielmehr hat der Senat den Eindruck gewonnen, dass der Kläger Wert nicht nur darauf legt, dass er körperlich fit bleibt, soweit ihm dies mit seiner Behinderung möglich ist, sondern insbesondere auch darauf, dass er von seiner Umwelt nicht als so stark behindert wahrgenommen wird, wie dies die Höhe des GdB vermitteln könnte. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Kläger mit der Darstellung eines möglichst schlechten Gesundheitszustands gegenüber dem Senat die Möglichkeit sehen könnte, sich die angestrebten Vorteile des Merkzeichens aG zu verschaffen. Der Senat schließt es wegen des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger aus, dass dieser in dieser Weise vorgehen würde. Die aktuellen Angaben des Klägers werden bestätigt durch die Angaben des behandelnden Orthopäden Dr. C. vom Februar 2014. Sie stellen auch keinen Widerspruch dar zu den Angaben des Klägers bei der Untersuchung durch Dr. L. und dessen Feststellungen. Auch Dr. L. ist von einem wechselnden Beschwerdebild am Oberschenkelstumpf ausgegangen. Dass der bei Dr. L. festgestellte Befund vergleichweise positiv war, jetzt aber von einem schlechteren Durchschnittszustand auszugehen ist, ist mit dem wechselnden Beschwerdebild und zudem damit zu erklären, dass sich nach den Angaben des Klägers, wie sie dieser glaubhaft in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, der Gesundheitszustand im Amputationsbereich seit einigen Monaten verschlechtert hat. Auch der behandelnde Orthopäde hat im Übrigen eine derartige Verschlechterungstendenz beschrieben.

Der Senat hat daher die Überzeugung gewonnen, dass es dem Kläger aufgrund diverser Stumpfbeschwerden, die auch objektiv belegt sind, seit Jahresbeginn 2014 nur an rund 15 Tagen möglich war, die Prothese einigermaßen beschwerdefrei zu benutzen. Wenn der Kläger angegeben hat, dass er die Prothese noch an weiteren Tagen - bis auf 31 Tage - genutzt habe, dabei aber erhebliche Beschwerden gehabt habe, ist dies nach der Überzeugung des Senats allein dem Umstand geschuldet, dass der Kläger erfolgreich im Berufsleben steht und damit faktischen Zwängen unterliegt sowie in seinem Verhalten eine nicht unbedeutende Härte gegen sich selbst an den Tag legt. Dies bedeutet, dass die Benutzung der Prothese an den Tagen mit nicht unerheblichen Stumpfbeschwerden objektiv betrachtet nicht zumutbar war und damit nicht zulasten des Klägers berücksichtigt werden darf, wenn es um die Frage der Prothesenbenutzbarkeit bei der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG geht. Bei dieser Bewertung der Tatsachen befindet sich der Senat in Einklang mit der Rechtsprechung des BSG. So hat dieses im Urteil vom 17.12.1997, Az.: 9 RVs 16/96, die Regelfallgruppe der Doppelunterschenkelamputierten, die bei guter prothetischer Versorgung vergleichsweise wenig in der Gehfähigkeit eingeschränkt sind, damit gerechtfertigt, dass „eine große Zahl dieser Personengruppe häufig unter Stumpfbeschwerden leidet und dann in der Fortbewegungsfähigkeit aufs Schwerste behindert ist.“ Für das BSG war also der Gesichtspunkt der Stumpfbeschwerden, die der Benutzung einer Prothese entgegen stehen oder sie erheblich erschweren, ein durchaus gewichtiger Gesichtspunkt.

Der Senat kommt daher nach Abwägung aller Gesichtspunkte zu dem Ergebnis, dass dem Kläger aufgrund einer zwischenzeitlich seit der Begutachtung eingetretenen Verschlechterung die Benutzung der Prothese lediglich an knapp über 10 v. H. der Tage möglich ist. Dabei geht der Senat von einem Dauerzustand im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aus, da nichts darauf hindeutet, dass der bisher im Jahr 2014 vorliegende Zustand ein vorübergehender wäre und eine Hoffnung auf Besserung besteht (vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2000, Az.: B 9 SB 3/99 R).

3.2. Einschränkung der Gehfähigkeit

Eine so weit gehende Einschränkung der Gehfähigkeit, wie sie für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erforderlich wäre, liegt nicht vor.

3.2.1. Einschränkung der Gehfähigkeit bei Benutzbarkeit der Prothese

In den Zeiten, in denen der Kläger die Prothese (zumutbar) benutzen kann, sind die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG deutlich nicht erfüllt.

In diesen Zeiten ist weder ein Regelbeispiel erfüllt, da der Kläger als einseitig Oberschenkelamputierter das Kunstbein tragen kann, noch ein Fall der Gleichstellung gegeben, da die Gehbehinderung deutlich geringer ist als bei den Regelbeispielen.

Der Gang des Klägers war bei der Untersuchung durch Dr. L. bei angelegter Prothese fördernd ohne wesentliches Prothesenhinken. Diese gute Gehfähigkeit ist durch die Funktionsweise der vom Kläger verwendeten Prothese zu erklären, die über eine mikroprozessor-regulierte Hydraulik gesteuert wird. Dieses System ermöglicht es dem Prothesenträger, sich unbeschwert zu bewegen, ohne ständig an die Prothese denken zu müssen. Das System stellt sich automatisch auf die vorliegenden Umstände ein.

Zwar hat der Kläger am Stumpfende mehrere Narben; ein Geschwürsleiden war aber zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. L. auszuschließen, ebenso konnte der Gutachter ein Stumpfneurinom nicht tasten, der Stumpf selbst war ausreichend weichteilgedeckt. In einem solchen Zustand mag die Benutzung der Prothese zwar nicht völlig beschwerdefrei sein. Die Einschätzung des Sachverständigen, der Kläger könne sich ohne fremde Hilfe und ohne große Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen, ist aber für den Senat in derartigen Phasen weitgehender Beschwerdearmut überzeugend. Die für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erforderlichen massiven gesundheitlichen Einschränkungen sind bei Zugrundelegung dieses vergleichweise guten Gesundheitszustands nicht nachgewiesen.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger (infolge der Behandlungen der Beinverletzung) an Hepatitis erkrankt ist. Zwar ist die Hepatitiserkrankung nachweislich gegeben, nicht aber eine daraus resultierende wesentliche Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers. Dabei stützt sich der Senat zum einen auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. L ... Dieser hat den Kläger als muskelkräftig-athletischen Mann in ausgezeichneter körperlicher Verfassung beschrieben und nicht feststellen können, dass aufgrund einer anderen Erkrankung als der Amputation der Gesundheitszustand des Klägers relevant reduziert wäre. Auch der Kläger selbst hat bei der Begutachtung nichts zu einer hepatitisbedingten Leistungseinschränkung vorgetragen. Zum anderen haben sowohl der behandelnde Internist, der über „keinerlei gravierende Beschwerden“ berichtet hat, als auch der behandelnde Orthopäde, dieser zuletzt am 11.02.2014, nichts zu leistungslimitierenden Erkrankungen mit Ausnahme der Amputation angegeben.

Die Bevollmächtigten des Klägers können auch nicht mit der Behauptung, dass es eine medizinisch belegte Tatsache sei, dass ein Prothesenträger die doppelte Menge an Energie aufwenden müsse, um sich fortbewegen zu können als ein Nichtamputierter, einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG begründen. Auch wenn diese Behauptung zum Energieaufwand zutreffen würde, könnten daraus nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG abgeleitet werden. Denn dies würde in der Konsequenz bedeuten, dass jeder Prothesenträger einen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG hätte. Diese Konsequenz stünde aber in einem eklatanten Widerspruch zu den Vorgaben in den VwV-StVO und VG, die gerade die Unmöglichkeit der Prothesenbenutzung als Bedingung für das Merkzeichen aG vorgeben.

An dieser Einschätzung ändert auch die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung am 20.05.2014 vorgetragene Tatsache nichts, dass ihm im Rahmen der Amputation ein Teil der Oberschenkelmuskulatur entfernt worden sei. Nach den Angaben des Klägers ist dadurch die Fähigkeit, ein nach außen wegrutschendes Bein abzufangen und wieder heranzuziehen, gegenüber dem Regelfall eines Oberschenkelamputierten reduziert. Dies mag bei glatten Verhältnissen möglicherweise einen Nachteil bedeuten. Auf die Bewertung des durchschnittlichen Gehvermögens des Klägers hat dies aber keinen Einfluss. Im Übrigen hat auch der Sachverständige Dr. L. - anders als dies der Kläger in der mündlichen Verhandlung vermutet hat - den Gesichtspunkt der Muskelentfernung bei der sehr sorgfältigen und umfassenden Beurteilung der Gehfähigkeit des Klägers in seine Erwägungen einbezogen (vgl. die Ausführungen zu den Beschwerdeangaben auf S. 3 Mitte des Gutachtens vom 23.10.2012).

3.2.2. Einschränkung der Gehfähigkeit bei Unbenutzbarkeit der Prothese wegen Stumpfbeschwerden

In den Zeiten der Unbenutzbarkeit der Prothese wegen Stumpfbeschwerden liegt ein Zustand vor, der als Regelbeispiel („einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen“) der VwV-StVO und der VG (dort Teil D Nr. 3 a) die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG begründen würde.

3.2.3. Dauerzustand

In der Person des Klägers fehlt es an dem für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erforderlichen Dauerzustand, da er noch an knapp über 10 v. H. der Tage eine Prothese benutzen kann.

Sowohl die VwV-StVO („dauernd“) als auch die VG („ständig“) verlangen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG, dass es sich bei dem Zustand, der die Zuerkennung des Merkzeichens rechtfertigt, hier der Unbenutzbarkeit einer Prothesenbenutzung bei einseitiger Oberschenkelamputation, um einen Dauerzustand handelt.

Was unter einem Dauerzustand zu verstehen ist, haben weder der Verordnungsgeber in den VG noch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in den VwV-StVO näher erläutert oder präzisiert. Auch das BSG hat die Begriffe „dauernd“ und „ständig“ bislang noch nicht explizit weitergehend erläutert. Lediglich dem Urteil vom 17.12.1997, Az.: 9 RVs 16/96, kann der Hinweis darauf entnommen werden, dass das BSG von einem Dauerzustand auszugehen scheint, wenn eine Prothese nie benutzt werden kann. Denn das BSG hat ausdrücklich die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG bei einseitig Oberschenkelamputierten nur dann als gegeben erachtet, „wenn sie nicht prothetisch versorgt werden können.“

Daraus und aus der Tatsache, dass die Rechtsprechung des BSG im Bereich des Merkzeichens aG durchweg - auch vor dem Hintergrund nur beschränkt zur Verfügung stehender Behindertenparkplätze - sehr streng ist, und den Hinweisen im oben (vgl. Ziff. 2) zitierten Urteil des BSG vom 29.01.1992, Az.: 9a RVs 4/90, das nach wie vor seine Gültigkeit hat und vom dem das BSG bis heute nicht abgewichen ist, kann der Senat nur den Schluss ziehen, dass es sich bei der Prothesenunbenutzbarkeit um einen Dauerzustand im allgemeinen Sprachgebrauch handeln muss. So gibt der Duden als Synonym für beide Wörter u. a. dauerhaft, ununterbrochen, ohne Unterbrechung und pausenlos an. Dies bedeutet, dass von einem Dauerzustand erst dann ausgegangen werden kann, wenn tatsächlich die gesamte Zeit eine Unbenutzbarkeit der Prothese - und dies ohne Pause - gegeben ist.

Der Senat hat Bedenken, dass sich die aufgezeigte äußerst strenge Auslegungsweise in allen Fällen aufrecht erhalten lässt. Er hat dabei beispielsweise den - zugegebenermaßen konstruierten - Extremfall vor Augen, dass der einseitig Oberschenkelamputierte in sechs Monaten nur an einem einzigen Tag seine Prothese benutzen kann. In einem derartigen Fall die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG zu verweigern, erscheint dem Senat unter dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs. 1 Grundgesetz fragwürdig. Der Senat hält es daher für vertretbar, aber auch geboten, auch dann noch von einem Dauerzustand auszugehen, wenn die Phasen der Prothesenbenutzbarkeit so selten oder zeitlich so kurz ausgeprägt sind, dass diese so weit in den Hintergrund treten, dass bei objektiver Betrachtung von einem nennenswerten Zeitanteil einer Prothesenbenutzbarkeit nicht mehr ausgegangen werden kann.

Bei einem Zeitanteil von knapp über 10 v. H., von dem beim Kläger auszugehen ist, kann nach der Auffassung des Senats nicht mehr von einem nicht nennenswerten Zeitanteil ausgegangen werde, so dass in der Person des Klägers die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht festzustellen sind.

3.2.4. Keine Gleichstellung

Eine Gleichstellung kommt nicht in Betracht.

Das Problem der fehlenden Dauerhaftigkeit der Prothesenunbenutzbarkeit, das hier nach der Auffassung des Senats der Annahme eines Regelbeispiels entgegen steht, kann nicht zugunsten des Klägers dadurch umgangen werden, dass von einem Fall der Gleichstellung ausgegangen würde. Denn auch in den Fällen der Gleichstellung muss die Einschränkung der Gehfähigkeit, die die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erlaubt, dauerhaft sein. Mit der Gleichstellung soll lediglich ermöglicht werden, funktionellen Einschränkungen bei der Gehfähigkeit Rechnung zu tragen, die nicht bereits von den Regelbeispielen erfasst sind, aber in vergleichbarer Weise wie bei diesen die Fortbewegung einschränken. Dies bedeutet, dass über die Gleichstellung nicht eine zeitliche Reduzierung der Dauerhaftigkeit der Einschränkung der Fortbewegungsfähigkeit erreicht werden kann.

3.3. Beruflich bedingtes Bedürfnis auf Merkzeichen aG

Berufliche Aspekte sind bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ohne Bedeutung.

Sofern der Kläger vorträgt, auf das Merkzeichen aG besonders angewiesen zu sein, um seiner beruflichen Tätigkeit unter zumutbaren Bedingungen nachgehen zu können, ist dies ein rechtlich unbeachtlicher Gesichtspunkt. Beim Merkzeichen aG kommt es - wie bei den anderen Merkzeichen auch (vgl. zum Merkzeichen RF: Urteil des BSG vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85) - ausschließlich auf die gesundheitlichen Voraussetzungen in der Person des Behinderten an, nicht aber auf seine konkreten Berufs- oder Wohnumstände. Denn mit Merkzeichen sollen allein behinderungsbedingte Nachteile, nicht aber sich erst in einem Zusammenwirken mit anderen besonderen Umständen ergebende Nachteile ausgeglichen werden. Auch wenn es der Senat aufgrund der Angaben des Klägers zu der Parkplatzsituation an der Arbeitsstelle durchaus nachvollziehen kann, dass ihm das Merkzeichen aG eine nicht unerhebliche Erleichterung verschaffen würde, kann dies kein rechtlich relevanter Gesichtspunkt sein.

3.4. Kein „prophylaktisches“ oder „präventives“ Merkzeichen aG wegen Sturzgefahr

Aus prophylaktischen oder präventiven Gründen können die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht festgestellt werden.

Der Kläger argumentiert, für einen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG spreche die Sturzgefahr. Diese Argumentation kann in zwei Richtungen gedeutet werden: Zum einen könnte damit gemeint sein, dass die Sturzgefahr so hoch sei, dass er sich vernünftigerweise nur noch im Rollstuhl fortbewegen könne. Zum anderen könnte die Argumentation auch darin bestehen, dass der Kläger damit auf die aus der Sturzgefahr resultierende Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands - im schlimmsten Fall soweit, dass dann die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfüllt sind - und darauf, dass es ihm nicht zugemutet werden könne, solange zu warten, hinweisen möchte. Beides kann aber dem Kläger bei der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht zum Erfolg verhelfen.

3.4.1. Kein Merkzeichen aG zur Vermeidung eines zukünftigen Eintritts der gesundheitlichen Voraussetzungen wegen potentieller Stürze

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG können nie damit begründet werden, dass durch eine Vorabfeststellung dieser Voraussetzungen verhindert werden könnte, dass sich die ansonsten nicht fernliegende Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustands dahingehend, dass dann die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfüllt wären, realisieren wird.

Prophylaktische oder präventive Gründe sind nach der Auffassung des Senats bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG grundsätzlich keine rechtlich maßgeblichen Gesichtspunkte.

Im Urteil vom 11.03.1998, Az.: B 9 SB 1/97 R, hat sich das BSG mit der Frage auseinander gesetzt, inwieweit ein erst bevorstehendes Krankheitsstadium die Zuerkennung des Merkzeichens aG rechtfertigen kann. Es hat dabei ausgeführt:

„ ... Das Schwerbehindertenrecht soll den Behinderten Hilfen bei der Integration in ein normales Leben bieten und behinderungsbedingte Defizite dort, wo es möglich ist, ausgleichen. Dieser Sinn und Zweck der Regelungen legt es nahe, einen Nachteilsausgleich ausnahmsweise schon dann zuzuerkennen, wenn der Nachteil, der ausgeglichen werden soll, bereits unmittelbar droht und sein Eintritt nur durch ein entsprechendes Verhalten des Schwerbehinderten (hier: Verzicht auf jedes überflüssige Gehen) zeitlich hinausgezögert werden kann. Für die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ bedeutet dies: Der Schwerbehinderte hat bereits dann Anspruch auf das Merkzeichen, wenn die dadurch gebotenen Erleichterungen im Straßenverkehr (z. B. zusätzliche Parkmöglichkeiten, Ausnahmen von Halteverboten) prophylaktisch ins Gewicht fallen. Dies ist allerdings nicht anzunehmen, solange der Behinderte noch entsprechende Wegstrecken im häuslichen Bereich oder bei sonstiger Gelegenheit zurückzulegen pflegt und - trotz Vorliegen eines progredienten Leidens - unter medizinischen Gesichtspunkten auch zurücklegen darf oder gar soll. Muß dagegen der Behinderte zur Vermeidung einer weiteren sonst alsbald eintretenden erheblichen Verschlimmerung das Gehen in allen Lebensbereichen so weit wie irgend möglich einschränken, so ist auch die Einsparung der- ohne die in Abschnitt I angesprochenen Parkerleichterungen zusätzlich anfallenden - Wegstrecken als notwendig anzusehen, d. h. dem Schwerbehinderten können auch diese Wegstrecken nicht mehr zugemutet werden. In diesem Fall ist er denjenigen gleichzustellen, bei denen wegen des bereits eingetretenen Gesundheitsschadens das Gehen funktionell nicht mehr möglich oder aufs Schwerste beeinträchtigt ist. Von einer so schwerwiegenden Verschlimmerungsgefahr wird man allerdings erst ausgehen können, wenn medizinisch feststeht, dass der Schwerbehinderte zur Vermeidung überflüssiger Gehstrecken in der Regel einen Rollstuhl benutzen soll, um einer alsbaldigen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes vorzubeugen.“

Der Senat hält diese Entscheidung für nicht systemkonform mit dem Schwerbehindertenrecht und wegen fehlender Verallgemeinerungsfähigkeit für bedeutungslos für weitere Verfahren. Dies hat der Senat - damals im Zusammenhang mit dem Merkzeichen RF - bereits im Urteil vom 19.12.2012, Az.: L 15 SB 26/10, und später zum Merkzeichen aG im Urteil vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11 wie folgt zum Ausdruck gebracht.

„Auch für das Merkzeichen aG lässt sich nicht überzeugend begründen, warum potentielle Entwicklungen in der Zukunft für die gesundheitlichen Voraussetzungen eines Merkzeichens relevant sein könnten. Genauso wie der GdB stellen auch die Merkzeichen das Abbild einer bereits dauerhaft vorliegenden Gesundheitsstörung dar und können keinen Vorgriff auf eine zukünftige Entwicklung nehmen.

Dass möglicherweise bevorstehende oder als Folgewirkung aus einer bestehenden Behinderung zu erwartende gesundheitliche Beeinträchtigungen bei GdB und Merkzeichen keine Berücksichtigung finden können, ergibt sich nach der Überzeugung des Senats zudem zwingend aus der Legaldefinition der Behinderung in § 2 Abs. 1 SGB IX, die wie folgt formuliert ist:

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“

Der Gesetzgeber unterscheidet präzise zwischen - bereits vorliegender - Behinderung und Bedrohung von Behinderung, bei der die Behinderung erst in der Zukunft vorliegen wird. Nur Erstere ist nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorgaben von Bedeutung. Denn § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG ermöglicht nur „die Schaffung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung...“, nicht aber bereits die Schaffung von Parkmöglichkeiten für Menschen, die von einer entsprechenden Behinderung bedroht sind. Eine erweiternde Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG, wie sie das BSG im Urteil vom 11.03.1998, Az.: B 9 SB 1/97 R, vorgenommen hat, lässt sich daher schwerlich in Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes bringen. Raum für eine erweiternde Auslegung besteht insofern nicht.

Auch die VG liefern den klaren Hinweis, dass zukünftige - zu erwartende bzw. zu befürchtende - Gesundheitsstörungen nicht berücksichtigt werden können. So hat der Verordnungsgeber in den VG Teil A Nr. 2 Buchst. h) ausdrücklich zum Grad der Schädigung (GdS) bzw. GdB, die nach den gleichen Grundsätzen zu bemessen sind (vgl. VG Teil A Nr. 2 Buchst. a)), festgehalten:

„Gesundheitsstörungen, die erst in der Zukunft zu erwarten sind, sind beim GdS nicht zu berücksichtigen.“

Irgendeinen Grund, bei der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen anders vorzugehen als bei der Prüfung des GdB, gibt es nicht.

Diese Einschätzung des Senats - nämlich die Unbeachtlichkeit der Sturzgefahr und der daraus resultierenden Gefahr des Eintritts der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG - entspricht im Übrigen auch - mit der einzigen Ausnahme des oben genannten Urteils vom 11.03.1998 - durchweg der Rechtsprechung des BSG. So hat das BSG in den bereits oben zitierten Urteilen vom 13.12.1994 und 29.01.1992 der Sturz- und dadurch bedingten Verschlimmerungsgefahr nicht die geringste rechtliche Bedeutung zu Teil werden lassen, obwohl sich dies - noch viel mehr als im hier zu entscheidenden Fall - aufgedrängt hätte. So stand in beiden Fällen ein Anfallsleiden im Raum, bei dem jederzeit - also auch tagsüber - und dies völlig überraschend ohne Vorankündigung mit Anfällen samt der damit einhergehenden Gefahr einer dadurch bedingten weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustands bis hin zu einem Zustand, wie der dem Merkzeichen aG entspricht, zu rechnen war. Das BSG hat dies gesehen und im Urteil vom 29.01.1992, Az.: 9a RVs 4/90, Folgendes dazu ausgeführt:

„Die dauernde Gefahr des Eintretens einer außergewöhnlichen Gehunfähigkeit ist nicht einem Fortbestehen derselben gleichzuachten, wenn der Zweck der Parkvergünstigung berücksichtigt wird. Gefährdungen dieser Art bestehen bei zahllosen Behinderten mit hirnorganischen Anfallsleiden sowie bei unzähligen Personen mit anderen Erkrankungen, die gelegentlich zu einem anfallsartigen Zusammenbruch führen. Diese Personen können die notwendigen Wegstrecken zwischen dem vorschriftsmäßig abgestellten Kraftfahrzeug und ihrem jeweiligen Ziel zurücklegen, wenn auch manche unter Umständen mit gewissen Mühen. Wenn die Parkvergünstigung auf sie ausgedehnt würde, widerspräche das dem dargelegten Zweck der Ausnahmegenehmigung.“

Und weiter:

„Wegen der Gefahr jener Notfälle mag die Klägerin auf ständige Begleitung angewiesen sein. Dieser Bedarfslage hat der Beklagte durch die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen „B“ sachgemäß entsprochen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Ausweisverordnung).“

Ähnlich hat sich das BSG auch im Urteil vom 13.12.1994, Az.: 9 RVs 3/94, geäußert und erläutert, dass Sinn und Zweck des Merkzeichens aG nicht ist, der Begleitperson, deren Erforderlichkeit bereits durch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens B Rechnung getragen ist, eine weitere Erleichterung zu verschaffen:

„Wohl kann er nicht selbstständig gehen, ohne sich und andere Verkehrsteilnehmer an Leib und Leben zu gefährden. Die gewünschte Parkerleichterung wäre ihm aber keine Hilfe, sein Ziel ungefährdet zu erreichen. Auch auf dem verkürzten Weg müßte er überwacht und geleitet werden. Die durch den Nachteilsausgleich „aG“ vermittelten Parkvergünstigungen würden allerdings der Begleitperson ihre Aufgabe erleichtern, weil sie den Kläger nur auf einem verkürzten Weg zu überwachen und zu leiten hätte. Das ist aber nicht Sinn dieses Nachteilsausgleichs.“

Sofern das BSG in der vorgenannten Entscheidung den Gesichtspunkt der Fremd- bzw. Selbstgefährdung bei der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG in dem Ausnahmefall für entscheidungserheblich erachtet, wenn eine verantwortungsbewusste Begleitperson den Behinderten wegen der Selbstgefährdung und der Gefährdung anderer nicht mehr führen, sondern regelmäßig nur noch im Rollstuhl bewegen würde, so ist in der Person des Klägers ein solcher Zustand nicht gegeben. Dies ergibt sich auch aus den Angaben der Mutter. So hat diese - wie dargestellt - nur berichtet, den Kläger zeitweise im Rollstuhl fortzubewegen. Von einem regelmäßig oder gar dauerhaft erforderlichen Fortbewegen im Rollstuhl kann hingegen nach ihren eigenen Angaben nicht ausgegangen werden.

Im Übrigen ist die Entscheidung des BSG vom 11.03.1998 auch insofern kaum nachvollziehbar, als das BSG in weiteren Entscheidungen zum Merkzeichen aG, wie bereits oben (siehe Ziff. 2) ausgeführt, durchweg eine enge Auslegung im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG verlangt und keinerlei Ansätze gezeigt hat, den im Urteil vom 11.03.1998 enthaltenen Systembruch als Anlass für eine grundsätzliche Kehrtwende zu seiner ständigen Rechtsprechung zum Merkzeichen aG zu nehmen. So hat das BSG beispielsweise später nicht nur im Urteil vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, sondern auch in den Urteilen vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R und B 9a SB 1/06 R, das Erfordernis einer engen Auslegung betont und dabei - sogar wiederholt - Folgendes ausgeführt:

„Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl. BT-Drucks 8/3150, S 9 f in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSGE 82, 37, 39 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 23).

Dies lässt erahnen, dass das BSG ein Institut eines prophylaktischen oder präventiven Merkzeichens aG, an das infolge der Entscheidung vom 11.03.1998 gedacht werden könnte, entweder überhaupt nicht installieren wollte oder jedenfalls nicht weiter verfolgen will.“

Abschließend und der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass auch dann, wenn dem Urteil des BSG vom 11.03.1998, Az.: B 9 SB 1/97 R, gefolgt würde, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG in der Person des Klägers nicht festzustellen wären. Denn die vom Kläger angegebene Stutzgefahr ist offenbar mehr theoretischer Art. Weder die behandelnden Ärzte in ihren Berichten noch der Kläger selbst bei der Begutachtung haben eine derartige erhöhte Gefahr oder etwaige Stürze oder Sturzfolgen in der Vergangenheit beschrieben.

3.4.2. Kein Merkzeichen aG wegen einer so hohen Sturzgefahr, dass von einer Rollstuhlpflichtigkeit auszugehen wäre

Es ist im Fall des Klägers nicht nachgewiesen, dass die Sturzgefahr so hoch wäre, dass sich ein Behinderter in seiner Situation vernünftigerweise nur noch im Rollstuhl fortbewegen würde.

Eine Sturzgefahr könnte die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG allenfalls dann begründen, wenn diese Gefahr insbesondere aufgrund der Sturzhäufigkeit so ausgeprägt wäre, dass aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines vernünftigen Behinderten, der sich in der gleichen Situation wie der Kläger befindet, der Kläger dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen wäre. Dies ist hier nicht der Fall.

Der Senat ist sich bewusst, dass auch hier präventive/prophylaktische Erwägungen eine gewisse Rolle spielen. Anders als bei den unter Ziff. 3.4.1. angenommenen Konstellationen steht hier aber nicht die Vermeidung eines Zustands, wie er den gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG entspricht, im Vordergrund, sondern die Tatsache, dass ohne Rollstuhlbenutzung so viele Stürze geschehen, dass die tägliche Gefahr von Verletzungen auf ein unakzeptabel hohes Maß erhöht ist. Es handelt sich hier also um Fälle, bei denen es fast täglich durch Stürze zu Verletzungen kommen kann, nicht um die Frage, ob durch einen einigen potentiellen Sturz die Realisierung des für das Merkzeichen aG erforderlichen Gesundheitszustands droht.

Das BSG hat sich im Urteil vom 29.01.1992, Az.: 9a RVs 4/90, in diesem Zusammenhang wie folgt geäußert:

„Falls in Zukunft ... die Klägerin wegen gleichbleibender Häufigkeit der Anfälle ständig auf einen Rollstuhl angewiesen sein sollte, käme eine Gleichstellung in Betracht. Wegen der bisherigen Möglichkeit von Anfällen ist die Klägerin nicht Querschnittsgelähmten gleichzustellen, die ebenfalls nicht laufen können, sondern mit einem Rollstuhl fahren müssen. Dieser Zustand besteht bei ihnen dauernd.“

Zu keiner anderen Einschätzung führt auch das Urteil des BSG vom 11.03.1998, Az.: B 9 SB 1/97 R, wenn dort unter dem Gesichtspunkt der Verschlimmerungsgefahr ausgeführt wird:

„Von einer so schwerwiegenden Verschlimmerungsgefahr“ -dass sich daraus ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG ergeben würde - „wird man allerdings erst ausgehen können, wenn medizinisch feststeht, dass der Schwerbehinderte zur Vermeidung überflüssiger Gehstrecken in der Regel einen Rollstuhl benutzen soll, um einer alsbaldigen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes vorzubeugen.

Daraus lässt sich ableiten, dass das BSG erst dann, wenn medizinisch betrachtet zur Gefahrenvermeidung eine Indikation für eine Rollstuhlbenutzung besteht, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen sind.

Von einer so großen Sturzgefahr und einer so ausgeprägten Sturzhäufigkeit, dass der Kläger ständig auf einen Rollstuhl angewiesen wäre, kann weder nach seinem eigenen Vortrag noch nach den Angaben seines behandelnden Arztes noch den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ausgegangen werden.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat lässt die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu, weil er folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig hält: 1. Kann von einem dauernden Außerstandeseins eines einseitig Oberschenkelamputierten, ein Kunstbein zu tragen, auch dann auszugehen sein, wenn er die Prothese nur noch eine geringe Zeit tragen kann? 2. Wenn Frage 1. bejaht wird - wie hoch darf der Zeitanteil der Benutzbarkeit der Prothese sein, damit er der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG nicht entgegen steht?

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. August 2010 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6311,76 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin wendet sich in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit gegen eine im Anschluss an eine Betriebsprüfung durch die Beklagte festgesetzte Nachforderung von Pflichtversicherungsbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung für den Beigeladenen zu 1. für das Jahr 2005. Widerspruch, Klage und Berufung, die insbesondere auf die Behauptung gestützt waren, der Beigeladene zu 1. habe, wie in den Vorjahren, auch im Jahr 2005 Anspruch auf ein Entgelt oberhalb der Jahresentgeltgrenze gehabt und diese Grenze sei nur durch einen Buchungsfehler des Steuerbüros unterschritten worden, sind ohne Erfolg geblieben.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde eingelegt.

3

II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil sie keinen Zulassungsgrund in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet hat.

4

Die Klägerin rügt ausschließlich Verfahrensverstöße iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG durch das LSG. Für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) müssen die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 14, 36). Dies hat die Klägerin nicht in der gebotenen Weise getan.

5

1. Zur Begründung des von ihr gerügten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 Satz 1 SGG) macht sie geltend, das Gericht habe ihren Vortrag, wonach das Ausbleiben von ein Überschreiten der Jahresentgeltgrenze sichernden Sonderzahlungen ab 2004 auf einem Fehler des mit der Lohnabrechnung beauftragten Steuerberatungsbüros beruhe und die - trotz Zustimmung zu einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ausdrücklich aufrechterhaltenen - diesbezüglichen Beweisanträge aus einem Schriftsatz vom 27.10.2008 übergangen. Deshalb habe das LSG bei der Urteilsfindung falsche Schlussfolgerungen gezogen.

6

Die Rüge der Verletzung des § 103 SGG ("Aufklärungsrüge") kann jedoch gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dazu ist ein vom Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer Beweisantrag im hier maßgeblichen Sinn der ZPO zu benennen (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Bloße Beweisantritte oder Beweisanregungen genügen insoweit nicht, denn sie haben prozessual und im Hinblick auf die an besondere Voraussetzungen geknüpfte Aufklärungsrüge nicht dieselbe Bedeutung wie ein förmlicher Beweisantrag (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20). Ein solcher Beweisantrag wird in der Beschwerdebegründung nicht bezeichnet. Dies gilt auch für das Zitat aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 27.10.2008, denn dieses gibt lediglich Beweisantritte, jedoch keine förmlichen Beweisanträge wieder (zur Unterscheidung vgl BSG aaO). Darüber hinaus fehlen in der Beschwerdeschrift Darlegungen zum Gang der Urteilsbegründung des LSG und hierauf aufbauend dazu, dass das LSG bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, der Klägerin günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl zu diesen Erfordernissen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

7

Soweit die Klägerin mit dem vorstehend bezeichneten Vortrag auch die Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG rügen wollte, kann hierauf die Beschwerde gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nicht gestützt werden.

8

2. Auch der von der Klägerin als Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 GG, §§ 62, 128 Abs 2 SGG) gerügte Verstoß des LSG gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 153 Abs 1 iVm § 112 Abs 2 Satz 2 SGG) ist mit der Behauptung, das Gericht habe die Pflicht gehabt, darauf hinzuweisen, dass es "trotz 12-jähriger Praxishandhabung" von einer Änderung der behaupteten Sonderzahlungsabrede ausgehe, nicht in der gebotenen Weise dargelegt. Denn es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der vom Berufungsgericht eingenommene Standpunkt dem Verfahren eine überraschende Wende gibt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 62 RdNr 8a f). Dass ein solcher Ausnahmetatbestand vorliegt, hat die Klägerin schon deshalb nicht ausreichend dargelegt, weil das LSG - wie sich aus dem Zitat des Schriftsatzes der Klägerin vom 27.10.2008 ergibt - insoweit dem bereits vom SG vertretenen Standpunkt gefolgt ist.

9

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG).

10

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm §§ 154 Abs 2, 162 Abs 3 VwGO.

11

5. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren war gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und 3, 47 Abs 1 und 3 GKG entsprechend den von den Beteiligten nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts in Höhe der mit der Klage angegriffenen Beitragsforderung festzusetzen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Gründe

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob beim Kläger eine Verschlimmerung seiner anerkannten Wehrdienstbeschädigung gemäß § 80 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) und daher eine weitere Schädigungsfolge, nämlich ein Schaden an der rechten Schulter, anzuerkennen sind.

Der im Jahr 1960 geborene Kläger wurde während seiner Dienstzeit als Soldat der Bundeswehr am 05.09.1982 auf der Fahrt vom Dienstort zum Wohnort bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt.

Mit Bescheid vom 23.03.2004 bezeichnete der Beklagte die Schädigungsfolgen zuletzt wie folgt: „1. Plexusparese des linken Armes; knöchern in leichter Fehlstellung verheilter, operativ versorgter Schulterblattbruch links. Knöchern verheilter, operativ versorgter Schlüsselbeinbruch links. Knöcherne Ausheilung von Mehrfachfrakturen des linken Unterarmes nach operativer Versorgung. In neutraler Position versteiftes Handgelenk links; 2. Gallenblasenverlust, persistierende Hepatitis C; 3. Operativ behandelter, knöchern ausgeheilter Hüftpfannenbruch links. Knöchern, in achsengerechter Stellung ausgeheilter, operativ versorgter Oberschenkelbruch links. Muskulär nicht kompensierte Bandverletzung am linken Kniegelenk. Knöchern in leichter Fehlstellung ausgeheilter, operativ versorgter Unterschenkelbruch links; 4. Seelische Störung.“ Er stellte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 100 ab dem 01.10.2003 fest und erkannte dem Grunde nach einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich an.

Mit Schreiben vom 11.10.2007 beantragte der Kläger vor dem Hintergrund von Behandlungskosten für die rechte Schulter die Neufeststellung seiner Schädigungsfolgen, da sich die Beschwerden infolge seiner körperlichen Einschränkungen verschlimmert hätten. Er leide unter einem schmerzhaften Impingement-Syndrom an der rechten Schulter sowie unter Schmerzen beim Stehen und Gehen am linken Knie, die auf eine schädigungsbedingt entstandene medial betonte Gonarthrose Grad IV sowie eine Retropatellararthrose Grad II bis III zurückzuführen seien. Zudem leide er unter Rückenschmerzen. Er vermute, dass die ständige einseitige Be- und Überlastung durch die unfallbedingte Lähmung des linken Arms zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule geführt habe.

Nach der Einholung von versorgungsärztlichen Stellungnahmen wurde der Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 09.10.2008 abgelehnt.

Am 09.10.2008 wurde der Kläger an der rechten Schulter arthroskopisch operiert und eine subakromiale Dekompression durchgeführt. Die Rotatorenmanschette wurde im Operationsbericht als altersgerecht beschrieben. Als Diagnosen wurden angegeben: Impingement rechte Schulter, Synovitis rechte Schulter, Bursitis rechte Schulter und AC-Gelenksarthrose rechte Schulter.

Gegen den Bescheid vom 09.10.2008 legte der Kläger Widerspruch ein. Es wurden wiederum versorgungsärztliche Stellungnahmen (vom 19.01.2009 und vom 06.03.2009) eingeholt. Betreffend die rechte Schulter konnten die Versorgungsärzte - im Gegensatz zu der Seitverbiegung der Hals- und Brustwirbelsäule und den Knorpelschäden am linken Kniegelenk - einen Zusammenhang mit dem versorgungsbegründenden Schadensfall, insbesondere der Schädigung der linken oberen Extremität, nicht erkennen. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) sei es - so die versorgungsärztliche Einschätzung - nicht erwiesen, dass ein Gliedmaßenverlust bei den oberen Gliedmaßen durch Überbelastung zu einem Schaden an der verbliebenen Gliedmaße führen könne. Die in den AHP genannte Ausnahme bei einer langdauernden ausgeprägten Fehlbelastung treffe beim Kläger nicht zu. Beim Kläger liege ein Engesyndrom (Impingement-Syndrom) der rechten Schulter vor. Eine derartige Erkrankung stelle ein außerordentlich häufiges Krankheitsbild mit zunehmendem Auftreten nach dem 40. Lebensjahr dar. Sie sei schicksalhaft und habe mit einer Überbelastung nichts zu tun.

Mit Teilabhilfebescheiden vom 04.02.2009 und 22.04.2009 wurde dem Widerspruch insoweit abgeholfen, als eine „Seitverbiegung der Hals- und Brustwirbelsäule mit Muskelverspannungen bei Schulterhochstand links“ und „Knorpelschäden am linken Kniegelenk“ als weitere Schädigungsfolgen bei einem unveränderten Grad der Schädigung von 100 anerkannt wurden. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 zurückgewiesen.

Mit der am 02.06.2009 beim Sozialgericht München eingegangenen Klage hat der Kläger die Anerkennung der Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks als Folge einer Wehrdienstbeschädigung begehrt. Er hat ein Attest seines behandelnden Orthopäden vom 29.09.2008 vorgelegt, wonach er wegen der Überbelastung der rechten Schulter infolge der Plexusparese links operiert worden sei, und zudem einen Auszug aus einer medizinischen Fachveröffentlichung (Breitenseher, Der MR-Trainer), in der ausgeführt ist, dass ein intrinsisches Impingement u. a. durch Überbelastung der Rotatorenmanschette entstehen könne.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet bei Dr. C ... Dieser kam nach ambulanter Untersuchung des Klägers in seinem Gutachten vom 23.08.2011 zu der Einschätzung, dass die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden könne. Es handle sich um ein ausschließlich knöchernes Impingement, das nicht durch Überlastung entstanden sei, sondern eine anlagebedingte Veränderung darstelle, und nicht um eine Zermürbung der Rotatorenmanschette und ein sich daraus entwickelndes sekundäres Impingement. Nur bei einem solchen hätte eine überdimensionale mechanische Beanspruchung mit zunehmendem Verschleiß in die Überlegungen eingebracht werden können. Die Rotatorenmanschette sei aber arthroskopisch als intakt beschrieben worden. Den Ausführungen des Versorgungsarztes in der Stellungnahme vom 06.03.2009 sei vollinhaltlich zuzustimmen. Anders wäre der Fall nur bei einer Krückengangschulter nach langjähriger Gehstützenbenutzung zu sehen; in einem solchen Fall könnten mechanische Überlastungsschäden vornehmlich im subacromialen und acromioclavicularen Gelenk auftreten. Ein solcher Fall sei aber beim Kläger nicht gegeben. Ein vermehrter Verschleiß der Schulter sei nicht begründbar, dies betreffe auch die subacromiale Engpasssymptomatik, die häufig auf einer gewissen Schultereckgelenksarthrose beruhe. Wenn in der vom Kläger vorgelegten Literatur (Breitenseher) von einem intrinsischen Impingement als mögliche Folge einer Überlastung berichtet werde, sei dies unzutreffend, da beim Kläger anlagebedingte Veränderungen vorlägen und die Rotatorenmanschette intakt sei.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Orthopäde Dr. S. mit einer Begutachtung beauftragt worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 17.04.2012 ausgeführt, dass eine erhebliche Überbelastung über einen langen Zeitraum des rechten Schultergelenks bei erheblicher Schädigung des linken Arms als Schädigungsfolge anzuerkennen sei. Die direkte Folge der Überbelastung sei eine Arthrose des rechten Acromioclaviculargelenks, die derzeit aktiviert sei und zu einem sekundären Impingement mit degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette geführt habe. Es handle sich gemäß MRT-Befund vom 03.06.2008 um eine hochgradig aktivierte Gelenksarthrose mit kräftigen Osteophyten, die den subacromialen Raum erheblich einengen würden. Eine Primärarthrose des Schultereckgelenks, also eine anlagenbedingte schicksalhaft auftretende Arthrose, sei an ein höheres Lebensalter gebunden. Hiervon könne man bei dem 48-jährigen Kläger nicht sprechen. Eine Sekundärarthrose des Acromioclaviculargelenks beruhe dagegen meist auf posttraumatischen oder postinfektiösen Gelenksveränderungen, komme aber auch bei vermehrter beruflicher und sportlicher Beanspruchung und schon in früheren Lebensabschnitten vor. Da keine direkte traumatische Schädigung des Schultereckgelenks, keine Fraktur und auch keine sportliche Überlastung beim Kläger bekannt sei, bleibe als Ursache für einen verfrühten Verschleiß des Gelenks als logische und sehr wahrscheinliche Erklärung die lang anhaltende, dauerhaft intensive Überbelastung des rechten Arms aufgrund der Doppelbelastung durch den gelähmten linken Arm und der Unmöglichkeit der Prothesenversorgung des linken Arms. In den AHP (Teil 2, Ziff. 129) sei ausgeführt: „Es ist bisher nicht erwiesen, dass es durch einen Gliedmaßenverlust an der verbliebenen paarigen Gliedmaße zu Schäden (z. B. Arthrosen, Senkfüße, Krampfadern) durch „Überlastungen“ kommt. Die Annahme von Schäden an unversehrten Gliedmaßen infolge einer Amputation kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die Amputation zu einer langdauernden und sehr ausgeprägten Fehlbelastung geführt hat, wie es beispielsweise bei Beinamputierten bei der Unmöglichkeit, eine Prothese zu tragen, oder bei einer prothetisch nicht ausgleichbaren Hüftkontraktur der Fall sein kann.“ Obwohl als Beispiel unter Ziff. 129 nur die unteren Extremitäten genannt seien, gelte - so Dr. S. - die Ausnahme auch für die oberen Extremitäten, da wörtlich allgemein von „paarigen Gliedmaßen“ gesprochen werde. Bei dem Kläger liege eine Unmöglichkeit der Armprothesenversorgung wegen der Nervenschädigung und eine lang dauernde Fehlbelastung mit einer Zeitspanne von 30 Jahren vor, so dass ein ursächlicher Zusammenhang angenommen werden könne.

Dr. C. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.08.2012 an seiner bisherigen Einschätzung festgehalten. Die Theorie des Dr. S. sei vom Ansatz her falsch, da bei einer Beinamputation das andere Bein die gesamte Körperlast tragen müsse, was auf den Arm so nicht übertragbar sei. Der gesunde Arm erhalte durch die vermehrte Beanspruchung der Muskulatur ein relatives Übergewicht, das (nur) die HWS in eine Fehlhaltung ziehe. Zudem müsste beim Kläger, wenn der falschen Arbeitshypothese des Dr. S. im Sinn eines Sekundärschadens des rechten Schultergelenks gefolgt würde, auch eine Betroffenheit des rechten Schlüsselbein-Brustbeingelenks vorliegen. Derartige Beschwerden gebe es aber nicht; auch Dr. S. habe solche nicht festgestellt.

Dazu hat sich Dr. S. am 12.10.2012 ergänzend gemäß § 109 SGG geäußert. Er hat Dr. C. widersprochen, soweit dieser Kritik an seiner Arbeitshypothese geäußert hat. Er, Dr. S., habe lediglich die AHP zitiert. Es gebe durchaus die Möglichkeit, auch an den oberen Extremitäten eine Prothesenversorgung vorzunehmen, was aber beim Kläger nicht möglich sei. Es gelte zu klären, warum die AHP plötzlich nicht mehr zur Geltung kommen sollten.

Der Kläger hat gegenüber dem Gericht sein Meinung geäußert, dass es bei einer 30-jährigen Erledigung aller, teils schwerer Tätigkeiten mit einem Arm zum Teil zu starken Überbelastungen an der Wirbelsäule und dem gesamten Arm- und Schulterarmbereich komme, was zwangsläufig langfristig zu derartigen Schäden führe. Die von ihm einarmig zu verrichtenden Tätigkeiten seien durchaus vergleichbar mit schwerer körperlicher Arbeit und Sportarten mit physiologisch ungünstigen Bewegungsabläufen, die bei der Frage nach möglichen Ursachen für Schulter-Arm-Beschwerden im Internet genannt würden.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.05.2013 ist die Klage abgewiesen worden. Das Sozialgericht hat sich auf das Gutachten des Dr. C. gestützt und seine Entscheidung umfassend begründet. Dabei hat es auch erläutert, warum es der Einschätzung des Dr. S. nicht gefolgt ist.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.06.2013 Berufung eingelegt. Er stützt sich auf das Gutachten des Dr. S ...

Im Erörterungstermin vom 28.01.2014 ist die Sach- und Rechtslage mit dem Kläger umfassend über eine Stunde lang besprochen und ihm die aus Sicht des Berichterstatters vorliegende Aussichtslosigkeit seines Begehrens erläutert worden.

Mit Schreiben vom 14.02.2014 (Freitag) haben die Bevollmächtigten mit Blick auf den Termin der mündlichen Verhandlung am darauf folgenden Dienstag (18.02.2014) vorgetragen, dass der Kläger bei seinem Orthopäden gewesen sei und dieser einen leichten Druckschmerz über dem rechten Sternoclaviculargelenk festgestellt habe. Eine MRT des Sternoclaviculargelenks vom 11.02.2014 habe „nun tatsächlich eine stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite zu Tage gebracht“. Die Auffassung des Dr. C. könne daher keinen Bestand mehr haben. Eine Fehlbelastung sei damit erwiesen. Mitübersandt worden ist der MRT-Bericht vom 11.02.2014.

Der Sachverständige Dr. C. hat das Schreiben der Bevollmächtigten vom 14.02.2014 samt MRT-Bericht noch am selben Tag vom Senat erhalten und über das Wochenende für das Gericht eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme unter dem Datum vom 17.02.2014 angefertigt, die den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ausgehändigt worden ist. Er hat darin darauf hingewiesen, dass im Kernspintomogramm vom 11.02.2014 auf degenerative Veränderungen beider Schlüsselbein-Brustbeingelenke mit Rechtsbetonung und das Nichtvorliegen einer höhergradigen Arthrose hingewiesen worden sei. Damit seien im Wesentlichen anlagebedingte degenerative Veränderungen aktenkundig. Von einem wie auch immer gearteten Überlastungsschaden des rechten Schlüsselbein-Brustbeingelenks sowie des Schultereckgelenks könne keine Rede sei. Es verbleibe bei seiner bisherigen Einschätzung.

Der Kläger beantragt in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2014, den Gerichtsbescheid vom 27.05.2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 09.10.2008 in Gestalt der Teilabhilfebescheide vom 04.02.2009 und 22.04.2009 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2009 zu verurteilen, die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Hilfsweise beantragt er die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gemäß §§ 103, 106 SGG, hilfsweise nach § 109 SGG bei Prof. Dr. I ...

Beklagte und Beigeladene beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Versorgungs- und Schwerbehindertenakten des Beklagten, die Akten der Beigeladenen und des Sozialgerichts München beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 5 SGG vom 29.01.2014 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden, so dass dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden hat.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die beim Kläger vorliegende Gesundheitsstörung im Bereich der rechten Schulter als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Der Gerichtsbescheid vom 27.05.2013 ist nicht zu beanstanden.

Der Senat weist die Berufung aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids vom 27.05.2013 zurück und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend weist der Senat in der Sache auf Folgendes hin:

- Das Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 14.02.2014 und die MRT vom 11.02.2014 geben keinen Anlass für eine andere Bewertung des Zusammenhangs. Der Senat stützt sich dabei auf die überzeugenden Ausführungen des Dr. C. in seiner Stellungnahme vom 17.02.2014, die er sich zu eigen macht.

Zunächst weist der Senat darauf hin, dass das klägerische Schreiben vom 14.02.2014 eine Verdrehung der Fakten enthält, als dort ausgeführt ist, dass eine MRT des Sternoclaviculargelenks „nun tatsächlich eine stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite zu Tage gebracht“ habe. Richtig ist nämlich, dass - wie sich aus dem MRT-Befund auch für einen medizinischen Laien unschwer erkennbar ergibt - rechts nur eine „geringe“ arthrotische Umformung vorliegt, die nur im Seitenvergleich „stärker“ ist. Es ist daher eine unlautere Argumentation, wenn die Bevollmächtigten des Klägers versuchen, dem Gericht eine - absolut betrachtet - „stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite“ weiszumachen. Tatsächlich liegen beim Kläger degenerative Veränderungen im Bereich beider Schlüsselbein-Brustbeingelenke vor, wobei nur eine Rechtsbetonung, aber kein eklatanter Seitenunterschied zu erkennen ist. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem MRT-Befund vom 11.02.2014, wie auch Dr. C. überzeugend betont hat. Von einem Überlastungsschaden am rechten Schlüsselbein-Brustbeingelenk kann daher keine Rede sein, so dass auch nach der - tatsächlich nicht haltbaren - Arbeitshypothese des Dr. S. ein Überlastungsschaden nicht nur nicht wahrscheinlich ist, sondern sogar als widerlegt zu betrachten sein dürfte. Denn wie sonst sollte es zu erklären sein, dass auch auf der seit über drei Jahrzehnten wegen der Plexusparese unbelasteten linken Seite degenerative Veränderungen im Schlüsselbein-Brustbeingelenk mit nur im Seitenvergleich etwas geringerer Ausprägung vorliegen!

- Es ist nach der Überzeugung des Senats richtig, wenn der Sachverständige Dr. C. die Theorie des gemäß § 109 SGG vom Kläger benannten Sachverständigen Dr. S. zu einem potentiellen Zusammenhang zwischen Plexusparese links und Schulterbeschwerden rechts als bloße falsche Arbeitshypothese ohne ausreichende Grundlage sieht. Von der Richtigkeit dieses Hinweises des äußerst, insbesondere auch was die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs angeht, erfahrenen Sachverständigen Dr. C. ist der Senat überzeugt; er macht sich diese Einschätzung zu eigen. Die Richtigkeit der Ausführungen des Dr. C. zur Fehlerhaftigkeit der Argumentation des Dr. S. und die Unrichtigkeit der Arbeitshypothese des Dr. S. sind auch unschwer aus folgenden zwei Gründen zu erkennen:

o Die AHP 2008 weisen in Nr. 129 ausdrücklich darauf hin, dass es nicht erwiesen ist, dass es durch einen Gliedmaßenverlust an der verbliebenen paarigen Gliedmaße zu Schäden (z. B. Arthrosen, ...) durch Überbelastungen (vgl. AHP 2008 Nr. 129.2, 1. Abs.) kommen kann. Eine (seltene) Ausnahme nennen die AHP 2008 lediglich für Fälle mit Amputationen an den unteren Gliedmaßen, wenn die Amputation zu einer langdauernden und sehr ausgeprägten Fehlbelastung geführt hat, z. B. bei Beinamputierten und der Unmöglichkeit einer Prothesenbenutzung oder einer prothetisch nicht ausgleichbaren Hüftkontraktur.

Unstreitig und von allen Sachverständigen auch so angenommen, sind die AHP mit ihren Hinweisen zu Amputationsfolgen auch auf die Situation anzuwenden, dass die andere Extremität zwar nicht amputiert, aber - wie beim Kläger - funktionslos ist; denn die funktionellen Folgen sind in beiden Fällen weitgehend identisch.

Die Vorgaben der AHP zu Amputationsfolgen, die nach wie vor den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Beurteilung von mittelbaren Amputationsschäden wiedergeben, missachtet Dr. S. gröblich, auch wenn er den Eindruck vermitteln will, die AHP anzuwenden. Dieser Eindruck täuscht aber; tatsächlich interpretiert Dr. S. die AHP zugunsten des Klägers falsch. So übergeht er geflissentlich den in den AHP 2008 (dort Nr. 129) enthaltenen Unterschied zwischen Fehlbelastung und Überbelastung und setzt beide Begriffe ohne jegliche Begründung gleich. Ob dies wissentlich oder aufgrund mangelnder Kenntnisse fahrlässig geschieht, bedarf keiner abschließenden Bewertung. Dr. S. unternimmt zudem nicht einmal ansatzweise den Versuch, die seiner Ansicht nach vorliegende „Fehlbelastung“ nachvollziehbar zu begründen. Vielmehr spricht er nur von „einer deutlichen Doppelbelastung des rechten Schultergelenks“ und setzt dies einer „Fehlbelastung seit 30 Jahren“ gleich. Ganz abgesehen davon, dass das Adjektiv „deutlich“ in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar ist und wohl nur durch das Bestreben des Dr. S. zu erklären ist, seine fehlerhafte Einschätzung plausibel zu machen, hält es der Senat auch nicht für lebensnah, dass die Belastung, die ein Gesunder auf zwei Arme bzw. Schultern verteilt, sich beim Kläger in vollem Umfang auf eine einzige Schulter verlagert. Denn bei solchen gesundheitlichen Einschränkungen, wie sie beim Kläger gegeben sind, liegt es sehr nahe, dass die Belastung im Vergleich mit einem Gesunden in ihrem Gesamtumfang reduziert ist. Dies ist auch medizinwissenschaftlich-statistisch belegt. So haben Untersuchungen bei Beinamputierten ergeben, dass diese nur etwa ein Drittel bis zur Hälfte der Zeit eines Gesunden gehen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 693). Diese Erkenntnis, die in ihrem Grundsatz auch auf Armamputierte zu übertragen ist, hat Dr. S., der ansonsten, sofern dies für den Kläger günstig ist, eine Übertragbarkeit der Erkenntnisse zu Beinamputierten auf Armamputierte bejaht, aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen ausgeblendet. Auch Dr. C. hat auf entsprechende Untersuchungen und Erhebungen hingewiesen, ohne dass sich dazu Dr. S. in seiner nachfolgenden Stellungnahme geäußert hätte. Warum sich Dr. S. zu diesem nicht gerade unwichtigen Gesichtspunkt nicht eingelassen hat, obwohl er durch die Ausführungen des Dr. C. für jedermann erkennbar darauf hingewiesen worden war, ist wiederum sachlich nicht erklärbar.

o Von einer Übertragbarkeit der seltenen Ausnahmefälle einer Fehlbelastung nach Amputation der unteren Gliedmaßen in bestimmten Konstellationen auf die oberen Gliedmaßen ist in den AHP keine Rede. Gleichwohl von einer Übertragbarkeit auszugehen, entbehrt der medizinisch-wissenschaftlichen Grundlage. Die Unvergleichbarkeit ergibt sich schon aus den unterschiedlichen statischen Rahmenbedingungen. Dr. C. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2012 nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass bei Amputation einer unteren Extremität unausweichlich die verbleibende die gesamte Körperlast tragen müsse; Derartiges ist bei einer Armamputation nicht der Fall. Dies überzeugt den Senat.

- Wenn Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 12.10.2012 suggerieren will, dass die AHP „plötzlich nicht mehr zur Geltung kommen“ würden, wenn man Dr. C. folgen und dem Begehren des Klägers nicht Rechnung tragen würde, ist dies eine grobe Verdrehung der Vorgaben der AHP. Denn in den AHP sind mit gutem Grund aufbauend auf umfassende medizinische Erkenntnisse nur Beispiele aus dem Bereich der Amputationen der unteren, nicht aber der oberen Gliedmaßen genannt. Offenbar will der vom Kläger benannte Sachverständige Dr. S. diese Erkenntnisse aber nicht wahrhaben. Die AHP kommen daher, wenn man Dr. C. folgt, gerade zur Anwendung - und dies inhaltlich richtig. Missachtet werden die Vorgaben der AHP dagegen von Dr. S ...

- Die Einschätzung des Dr. C. steht in Übereinstimmung mit den Vorgaben der maßgeblichen Begutachtungsliteratur zur gesetzlichen Unfallversicherung, in der im Wesentlichen die gleichen Maßstäbe wie im Versorgungsrecht für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs gelten:

o So benennen Schönberger/Mehrtens/Valentin (vgl. a. a. O., S. 696) als mögliche Überlastungsschäden nach Amputation der oberen Extremität ausschließlich eine Seitverbiegung von HWS und BWS, die dadurch entstehen könne, dass der gesunde Arm durch die vermehrt beanspruchte Muskulatur ein relatives Übergewicht erhalte. Daneben nennen sie nur noch die Krückengangschulter nach Beinamputation, die beim Kläger wegen fehlenden Beinverlusts und fehlender Benutzung von Gehhilfen aber nicht in Betracht kommt. Für Beinamputationen weisen sie darauf hin, dass bei Amputierten weniger Arthrosen am gesunden Bein festgestellt worden seien als bei gesunden Menschen (vgl. a. a. O., S. 693). Eine Anerkennung einer Arthrose als Schädigungsfolge komme in aller Regel nicht in Betracht. Einzig dann sei eine Ausnahme möglich, wenn eine erhebliche Fehlbelastung wegen schlechter prothetischer Versorgung über viele Jahre hinweg vorliege. Diese Hinweise von Schönberger/Mehrtens/Valentin entsprechen den Vorgaben der AHP 2008 und belegen die nach wie vor gegebene Aktualität der AHP 2008 zur Frage der mittelbaren Folgen von Amputationen. Die Ausführungen von Schönberger/Mehrtens/Valentin unterstreichen damit, dass eine Arthrose als mittelbare Schädigungsfolge und diese wiederum als Ursache für das Engpasssyndrom beim Kläger nicht in Betracht zu ziehen sind.

o Fritze/Mehrhoff, Die ärztliche Begutachtung, 8. Aufl. 2012, S. 753, weisen darauf hin, dass Amputierte und einseitig Gliedmaßenverletzte die Extremitäten zumeist weniger belasten würden als Gesunde und bei einem einseitig Beinversehrten davon auszugehen sei, dass eine Arthrose einen anlagebedingten verstärkten Gelenkverschleiß darstelle. Es sei für Beinamputierte sogar statistisch nachgewiesen, dass bei diesen arthrotische Veränderungen am gesunden Bein wesentlich seltener aufträten als bei sonst gesunden Menschen.

o Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 760, haben zudem auf der Basis umfassender Erhebungen erläutert, dass bei einer Reihe von Armamputierten keine Überlastungsschäden an den Gelenken des gesunden Arms festgestellt worden seien.

Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand aus der Begutachtungsliteratur scheint Dr. S. völlig unbekannt gewesen zu sein, was die Verwertbarkeit seines Gutachtens entscheidend in Frage stellt.

- Die Argumentation des Dr. S., dass beim Kläger infolge einer Über- oder Fehlbelastung der rechten Schulter eine Arthrose entstanden sei, die wiederum die Ursache für das Engpasssyndrom sei, kann nicht ansatzweise überzeugen. Ganz abgesehen davon, dass ein Zusammenhang zwischen Amputation eines Arms und Arthrose auf der Gegenseite wissenschaftlich nicht belegbar ist (vgl. oben), kann auch das Argument des Dr. S., die Arthrose müsse belastungsbedingt sein, weil der Kläger für eine anlagebedingte Arthrose zu jung sei, nicht überzeugen. Dass eine anlagebedingte Schultereckgelenksarthrose im Alter des Klägers von 48 Jahren zur Zeit der Operation völlig ungewöhnlich wäre, wie Dr. S. glauben machen will, ist in Anbetracht wissenschaftlicher Veröffentlichungen (vgl. z. B. Junghans-Miebach, Korrelation der klinischen und radiologischen Befunde bei der Schultereckgelenksarthrose, 2004) nicht haltbar. Bei dem dort ausgewerteten Patientengut betrug das Durchschnittsalter wegen arthrosebedingter Operationen 54,7 +/- 10,7 Jahre (vgl. Junghans-Miebach, a.a.O, S. 11); der Kläger liegt in diesem Altersspektrum. Junghans-Miebach (vgl. a. a. O., S. 37) weist weiter darauf hin, dass Schultereckgelenksarthrose zu den häufigsten Arthrosen des menschlichen Körpers gehöre. Bereits in einer Erhebung im Jahr 1919 sei bei einer pathologisch-anatomischen Untersuchung bei 100% der über 50-jährigen eine Arthrose des Schultereckgelenks gefunden worden. Erste arthrotische Veränderungen könnten - so Junghans-Miebach weiter - histologisch bereits im zweiten, radiologisch schon im dritten Lebensjahrzehnt nachgewiesen werden. Offenbar waren auch diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Schulterarthrose dem Dr. S. unbekannt.

- Die Argumentation des Dr. S. ist, ganz abgesehen davon, dass sie von einer nicht haltbaren Arbeitshypothese ausgeht (vgl. oben), auch in sich unlogisch. Dr. S. verdrängt völlig, dass auch bei seiner - fachlich falschen - Argumentation mit einer Über- oder Fehlbelastung beim Kläger Veränderungen im Bereich des rechten Schlüsselbein-Brustbeingelenks im Sinne eines Überlastungs- oder Fehlbelastungsschadens vorliegen müssten, wie sie auf der anderen unbelasteten Seite nicht gegeben sein dürften. Derartige Veränderungen hat aber keiner der Ärzte, auch nicht Dr. S., festgestellt. Verwunderlich für den Senat ist in diesem Zusammenhang, dass Dr. S., obwohl er zu der ergänzenden Stellungnahme des Dr. C. vom 22.08.2012 nochmals am 12.10.2012 Stellung genommen hat, kein Wort zu dem Gesichtspunkt fehlender Veränderungen am Schlüsselbein-Brustbeingelenk verloren hat. Da dieser Gesichtspunkt so deutlich von Dr. C. thematisiert worden ist, kann sich der Senat die fehlende Gegenäußerung durch Dr. S. nur so erklären, dass Dr. S. nicht offen zugeben wollte, dass er dem Einwand des Dr. C. kein Argument entgegen halten konnte. Jeder sorgfältig arbeitende Gutachter hätte sich jedenfalls mit einem Kernargument, das seiner Argumentation entgegen gehalten wird, auseinander gesetzt.

- Wenn sich der Kläger auf eine Veröffentlichung von Breitenseher stützt und meint, den bei ihm vorliegenden Schulterschaden durch Überbelastung begründen zu können, irrt er. Breitenseher nennt als Ursachen für ein sogenanntes intrinsisches Impingement neben vielen anderen auch eine „Überbelastung der Rotatorenmanschette“. Er bezeichnet dies als eine Ursache, die innerhalb der Sehne selbst zu finden ist. Hier liegt aber ein Schaden an den Sehnen, also der Rotatorenmanschette gerade nicht vor, wie es sich aus dem Bericht über die Arthroskopie vom 09.10.2008 ergibt, in dem die Rotatorenmanschette als altersgerecht beschrieben worden ist. Vielmehr liegt ein knöchernes bzw. durch eine Arthrose mitbedingtes Engpasssyndrom vor, also eine ganz andere anatomische Konstellation.

Betreffend Verfahrensfragen ist Folgendes auszuführen:

- Der Antrag der Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2014 auf „hilfsweise ... Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gemäß §§ 103, 106 SGG“ ist kein förmlicher Beweisantrag, sondern verkörpert nur eine bloße Beweisanregung (vgl. BSG, Beschluss vom 13.05.2011, Az.: B 12 R 25/10 B). Der Antrag beinhaltet kein Beweisthema.

Ein förmlicher Beweisantrag, der über § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG den Zugang zur Revisionsinstanz eröffnen könnte, liegt wie im Strafprozessrecht nur dann vor, wenn Beweismittel und Beweisthema ordnungsgemäß benannt sind (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschluss vom 22.06.2004, Az.: B 2 U 78/04 B; vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 10. Aufl. 2012, § 160 Rdnr. 18a - m. w. N.). Fehlt es daran, ist der Antrag nicht geeignet, die typischen Rechtsfolgen eines formellen Beweisantrags zu bewirken. Handelt es sich somit nicht um einen Beweisantrag, so darf der Antrag als bloße Anregung an den Senat verstanden werden, im Rahmen der Amtsermittlung weitere Nachforschungen anzustellen (vgl. Urteil des Senats vom 22.10.2012, Az.: L 15 VJ 3/07). Der Amtsermittlungsgrundsatz gebietet aber derartige Ermittlungen nicht, da der Sachverhalt durch das überzeugende Gutachten und die wiederholten Stellungnahmen des Dr. C. bereits bis ins letzte Detail ausermittelt ist.

Aus welchen Gründen die Bevollmächtigten des Klägers keinen förmlichen Beweisantrag gestellt haben oder dazu nicht in der Lage gewesen sind, kann offenbleiben. Jedenfalls besteht bei einem rechtskundigen und berufsmäßigen Bevollmächtigten wie hier vom VdK („Ass.jur“) keine gerichtliche Hinweispflicht darauf, dass der Antrag vom 18.02.2014 nicht den Vorgaben eines förmlichen Beweisantrags entspricht; es ist allein Sache des Bevollmächtigten, alle diejenigen Anträge mit dem für erforderlich gehaltenen Inhalt zu Protokoll des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschluss vom 20.07.2005, Az.: B 1 KR 39/05 B). Weitere Ausführungen von Seiten des Senats erübrigen sich daher.

- Die im Erörterungstermin vom 28.01.2014 gestellten Beweisanträge sind in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2014 nicht wiederholt worden, so dass der Senat darüber nicht zu entscheiden hat.

Ist ein Prozessbeteiligter wie hier rechtskundig durch eine Bevollmächtigte des VdK, die zudem Rechtsassessorin ist, vertreten, gilt ein schriftsätzlich während des Verfahrens gestellter Beweisantrag nur dann als bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten, wenn er als solcher zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung wiederholt wird (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschluss vom 29.03.2007, Az.: B 9a VJ 5/06 B - m. w. N.). Hätte der Kläger eine Befassung des Gerichts mit den im Erörterungstermin gestellten Beweisanträgen gewünscht, hätte seine Bevollmächtige in der mündlichen Verhandlung die Anträge zu Protokoll stellen müssen, über die das Gericht entscheiden solle (vgl. BSG, Beschluss vom 23.08.1989, Az.: 2 BU 97/89). Eine Pflicht für den Senat, die Bevollmächtigte darauf hinzuweisen, bestand angesichts der Rechtskundigkeit der Vertreterin des VdK in der mündlichen Verhandlung nicht.

Darauf, dass die im Erörterungstermin vom Kläger aufgezeigten Beweisthemen ohne Entscheidungsrelevanz und schon daher abzulehnen wären, kommt es nicht weiter an.

- Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. I. ist abzulehnen, da das Antragsrecht insofern verbraucht ist.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat im Verfahren vor dem Sozialgericht auf dem Fachgebiet der Orthopädie Dr. S. ein Gutachten erstellt und zudem mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12.10.2012 sogar noch das letzte Wort der Sachverständigen gehabt. Genau auf dem gleichen Fachgebiet hat die Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung erneut einen Antrag gemäß § 109 SGG gestellt, nämlich auf Einholung eines Gutachtens beim Orthopäden Prof. Dr. med. I., dem Leiter der Abteilung und Poliklinik für Sportorthopädie des Klinikums R. - Mit dieser Antragstellung auf Einholung eines weiteren Gutachtens auf dem selben Fachgebiet verkennen die Bevollmächtigen des Klägers den Umfang des Antragsrechts gemäß § 109 SGG. Aus § 109 SGG resultiert kein Anspruch auf „das letzte Wort“ des Gutachters gemäß § 109 SGG (vgl. Urteil des Senats vom 14.02.2012, Az.: L 15 VJ 3/08) und noch viel weniger auf die Beauftragung mehr als eines Sachverständigen auf dem selben Fachgebiet. Dies gilt auch dann, wenn das erste Gutachten gemäß § 109 SGG im Verfahren vor dem Sozialgericht, der zweite Antrag gemäß § 109 SGG dann im Berufungsverfahren gestellt wird (vgl. BSG, Urteil vom 14.05.1991, Az.: 5 RJ 32/90).

Zwar ist das Wort „ein“ in § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zwingend und ausnahmslos als Zahlwort zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.1977, Az.: 10 RV 67/76). Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass solange Gutachten gemäß § 109 SGG auf ein und dem selbem Fachgebiet eingeholt werden können, bis ein Kläger mit dem Ergebnis der von ihm benannten Sachverständigen einverstanden ist. Vielmehr beschränkt sich das Recht aus § 109 SGG auf die Beauftragung eines einzigen Sachverständigen, sondern nicht besondere Umstände die Einholung mehr als eines Gutachtens gemäß § 109 SGG zulässig machen. Ein Recht auf Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 109 SGG oder auch nur einer ergänzenden Stellungnahme gemäß § 109 SGG gibt es nur in den Grenzen zweckentsprechender Rechtsverfolgung (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 1139/59).

Derartige besondere Umstände können dann gegeben sein, wenn mehrere Fachgebiete betroffen sind. Im Übrigen beschränkt sich das Antragsrecht gemäß § 109 SGG in einem Fachgebiet auf einen - im Sinne eines Zahlworts - Sachverständigen. Dies ergibt sich aus der Zielsetzung des § 109 SGG. Diese ist, dem Versicherten oder Versorgungsberechtigten die Beurteilung des medizinischen Sachverhalts durch einen Arzt seines Vertrauens zu ermöglichen, was lediglich dann, wenn mehrere Sachgebiete betroffen sind, zu der Zulässigkeit der Benennung mehrerer Sachverständigen auf mehreren Fachgebieten, aber nur jeweils eines Arztes pro Fachgebiet, führen kann (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.1977, Az.: 10 RV 67/76).

Derartige besondere Umstände können ausnahmsweise auch dazu führen, dass das Recht gemäß § 109 SGG auf einem bestimmten Fachgebiet nicht durch die Einholung des Gutachtens vollständig verbraucht ist. Dies kann dann der Fall sein, wenn sich nach Fertigstellung des Gutachtens gemäß § 109 SGG neue Tatsachen und Gesichtspunkte ergeben, die in dem auf Antrag des Berechtigten eingeholten Gutachten nicht gewürdigt werden konnten (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 1139/59). Voraussetzung ist dabei, dass es sich um eine entscheidungserhebliche neue Tatsache handelt (vgl. BSG, Urteil vom 14.03.1956, Az.: 9 RV 226/54), wobei sich die Frage der Entscheidungserheblichkeit nach der materiellen Rechtsauffassung der Tatsacheninstanz bemisst (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2010, Az.: B 1/3 KR 22/08 R). Eine weitere Ausübung des Antragsrechts gemäß § 109 SGG ist aber dann nicht möglich, wenn nicht ein Missbrauch ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 06.05.1958, Az.: 10 RV 813/56).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben in der Rechtsprechung des BSG zu § 109 SGG ist der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag gemäß § 109 SGG aus mehreren Gründen abzulehnen:

o Auf dem selben Fachgebiet - Orthopädie - ist bereits im erstinstanzlichen Verfahren ein Gutachten auf Antrag des Klägers eingeholt worden.

o Neue entscheidungserhebliche Tatsachen und Gesichtspunkte sind nach der letzten Befassung des Sachverständigen gemäß § 109 SGG (Stellungnahme vom 12.10.2012) nicht bekannt geworden.

Der vom Kläger unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bericht über eine Kernspintomographie beinhaltet keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen und Gesichtspunkte. Die darin untersuchten Veränderungen am Schlüsselbein-Brustbeingelenk sind aus Sicht des Senats - und nur auf die kommt es an - nicht entscheidungserheblich.

Der Sachverständige Dr. C. hat schon im Verfahren vor dem Sozialgericht dargestellt, dass Veränderungen im Bereich des Schlüsselbein-Brustbeingelenks ohne Bedeutung für die Bewertung des Zusammenhangs sind. Weiter hat er nachvollziehbar erläutert, dass es lediglich bei der - unrichtigen! - Arbeitshypothese des Dr. S. auf Veränderungen im Schlüsselbein-Brustbeingelenk ankommen würde. Da es sich bei der von Dr. S. zugrunde gelegten Arbeitshypothese aber um eine Annahme handelt, die in den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Zusammenhangsbeurteilung keinerlei Stütze findet und der daher nach der Rechtsauffassung des Senats nicht gefolgt werden kann, kann es auf Veränderungen im Schlüsselbein-Brustbeingelenk bei der Entscheidung tatsächlich nicht ankommen. Letztlich ist es daher für die Beurteilung des Zusammenhangs ohne jede Bedeutung, ob und wenn ja in welchem Umfang Veränderungen am Schlüsselbein-Brustbeingelenk vorliegen. Schon aus diesem Grund wären daher keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder Gesichtspunkte gegeben, wegen derer das Antragsrecht gemäß § 109 SGG als nicht vollständig verbraucht betrachtet werden dürfte.

Aber selbst wenn der falschen Arbeitshypothese des Dr. S. gefolgt und daher - fälschlicherweise - von einer potentiellen Relevanz etwaiger Veränderungen im Schlüsselbein-Brustbeingelenk ausgegangen würde, würde sich aus dem MRT-Bericht vom 11.02.2014 keine neue Tatsache ergeben. Denn aus diesem radiologischen Bericht ergibt sich gerade keine „stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite“, wie dies die Bevollmächtigten des Klägers unter Verdrehung des radiologischen Befunds in ihrem Schreiben vom 14.02.2014 glauben machen wollen. Denn der Befundbericht vom 11.02.2014 beschreibt nur ein „geringes, gelenkspaltbezogenes Enhancement im Bereich beider Sternoclaviculargelenke, rechts stärker ausgeprägt“. Von einer - absolut betrachtet - „stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite“, was möglicherweise im Sinn der falschen Arbeitshypothese des Dr. S., der der Senat nicht folgt, als neue Tatsache betrachtet werden könnte, kann daher entgegen den Ausführungen der Bevollmächtigten des Klägers nicht die Rede sein. Vielmehr liegen - so der MRT-Bericht - nur eine „geringe arthrotische Umformung“ und eine beiderseitige geringe Betroffenheit mit Rechtsbetonung vor.

Im Übrigen könnte der Versuch, über die falsche bzw. grob missverständliche Wiedergabe von Befunden aus dem MRT-Befund vom 11.02.2014 neue Tatsachen zu konstruieren, wegen Missbräuchlichkeit (vgl. BSG, Beschluss vom 06.05.1958, Az.: 10 RV 813/56) nicht zum Wiederaufleben des Antragsrechts aus § 109 SGG führen. Jedenfalls wären mit einer derart unlauteren Argumentation die Grenzen zweckentsprechender Rechtsverfolgung (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 1139/59) überschritten.

o Schließlich wäre, auch wenn entgegen den obigen Ausführungen, noch nicht von einem grundsätzlichen Verbrauch des Rechts gemäß § 109 SGG auf orthopädischem Fachgebiet ausgegangen würde, die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 109 SGG bei einem neuen Gutachter nicht vom Recht des § 109 SGG gedeckt. Denn § 109 SGG soll dem Versicherten oder Versorgungsberechtigten nur die Beurteilung des medizinischen Sachverhalts durch einen Arzt seines Vertrauens ermöglichen, ihm aber nicht die Gelegenheit geben, durch die Einholung mehrerer Gutachten auf dem selben Fachgebiet so lange auf das gewünschte gutachtliche Ergebnis hinzuarbeiten, bis er einen Sachverständigen findet, der ein dem Kläger genehmes Gutachten abliefert. Auf nichts anderes läuft nämlich die Vorgehensweise des Klägers hinaus, die sich insofern nicht mehr in den Grenzen zweckentsprechender Rechtsverfolgung bewegt und die Zielsetzung des § 109 SGG missbraucht.

Der Kläger versucht nämlich, durch die Behauptung falscher Tatsachen im Schreiben seiner Bevollmächtigten im Schreiben vom 14.02.2014 (vgl. oben) sich die Chance zu eröffnen, dass ein anderer Sachverständiger (Prof. Dr. I.) als der, der im sozialgerichtlichen Verfahren ein aus Sicht des Senats völlig unbrauchbares (vgl. oben) Gutachten erstellt hat (Dr. S.), zu einem für ihn besseren und insbesondere besser begründeten Ergebnis kommen würde. Aufgrund der ausgesprochen ausführlichen Erläuterungen im erstinstanzlichen Urteil und insbesondere im Erörterungstermin vom 28.01.2014 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2014 muss dem Kläger unmissverständlich klar geworden sein, dass das Gutachten des Dr. S. aufgrund seiner erheblichen Mängel keinesfalls eine Grundlage für eine positive Entscheidung des Gerichts darstellen kann. Diesen Mangel kann der Kläger aber nicht dadurch ausgleichen, dass er jetzt einen neuen Sachverständigen nach dem Motto „Neues Spiel, neues Glück“ benennt. Vielmehr hätten die Bevollmächtigten des Klägers, wenn sie sich im Rahmen zweckentsprechender Rechtsverfolgung bewegen hätten wollen, eine ergänzende Stellungnahme bei dem bereits in der Vergangenheit nach § 109 SGG tätigen Sachverständigen (Dr. S.) beantragen müssen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 109, Rdnr. 10b).

Eine Pflicht des Gericht, auf diese fehlerhafte Antragstellung gemäß § 109 SGG hinzuweisen, bestand angesichts der Rechtskundigkeit der Bevollmächtigten des Klägers vom VdK nicht, wie im Übrigen grundsätzlich, bei rechtskundigen und berufsmäßigen Bevollmächtigten völlig unstrittig, überhaupt keine Pflicht des Gerichts besteht, diese über das Antragsrecht gemäß § 109 SGG zu informieren (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschlüsse vom 23.10.1957, Az.: 4 RJ 142/57, vom 21.11.1957, Az.: 8 RV 611/56, und vom 26.03.2013, Az.: B 1 KR 35/12 B).

- Der Rechtsstreit konnte am 18.02.2014 entschieden werden. Einen Antrag auf Vertagung, über den der Senat zu befinden gehabt hätte und der Voraussetzung für eine Vertagung gewesen wäre (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschlüsse vom 28.09.1999, Az.: B 2 U 31/99 B, und vom 23.10.2003, Az.: B 4 RA 37/03 B), haben die Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht zu Protokoll gestellt.

Ein Vertagungsantrag, der von Seiten der Bevollmächtigten zunächst in die Erwägungen einbezogen worden ist, wurde nicht gestellt, nachdem die ergänzende Stellungnahme des Dr. C. vom 17.02.2014 ausführlich besprochen worden ist. Ein Bedürfnis für die Gewährung rechtlichen Gehörs hat für die Bevollmächtigten des Klägers daher nach ihrem eigenen Vorbringen und Verhalten in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestanden. Im Übrigen spricht Alles dafür, dass ein derartiger Antrag auch als unbegründet abzulehnen gewesen wäre, da keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen in der mündlichen Verhandlung bekannt geworden sind, die im Sinn des rechtlichen Gehörs einer Äußerungsfrist bedurft hätten. Vielmehr ist dem kurz vor der Sitzung von den Bevollmächtigten vorgelegten MRT-Befund nichts entscheidungserheblich Neues zu entnehmen (vgl. oben). Durch von den Bevollmächtigten des Klägers erhobene unrichtige Behauptungen zu tatsächlich nicht gegebenen Tatsachen könnte nicht mit Hinweis auf das rechtliche Gehör eine Verzögerung des Verfahrens bewirkt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Gründe

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob beim Kläger eine Verschlimmerung seiner anerkannten Wehrdienstbeschädigung gemäß § 80 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) und daher eine weitere Schädigungsfolge, nämlich ein Schaden an der rechten Schulter, anzuerkennen sind.

Der im Jahr 1960 geborene Kläger wurde während seiner Dienstzeit als Soldat der Bundeswehr am 05.09.1982 auf der Fahrt vom Dienstort zum Wohnort bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt.

Mit Bescheid vom 23.03.2004 bezeichnete der Beklagte die Schädigungsfolgen zuletzt wie folgt: „1. Plexusparese des linken Armes; knöchern in leichter Fehlstellung verheilter, operativ versorgter Schulterblattbruch links. Knöchern verheilter, operativ versorgter Schlüsselbeinbruch links. Knöcherne Ausheilung von Mehrfachfrakturen des linken Unterarmes nach operativer Versorgung. In neutraler Position versteiftes Handgelenk links; 2. Gallenblasenverlust, persistierende Hepatitis C; 3. Operativ behandelter, knöchern ausgeheilter Hüftpfannenbruch links. Knöchern, in achsengerechter Stellung ausgeheilter, operativ versorgter Oberschenkelbruch links. Muskulär nicht kompensierte Bandverletzung am linken Kniegelenk. Knöchern in leichter Fehlstellung ausgeheilter, operativ versorgter Unterschenkelbruch links; 4. Seelische Störung.“ Er stellte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 100 ab dem 01.10.2003 fest und erkannte dem Grunde nach einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich an.

Mit Schreiben vom 11.10.2007 beantragte der Kläger vor dem Hintergrund von Behandlungskosten für die rechte Schulter die Neufeststellung seiner Schädigungsfolgen, da sich die Beschwerden infolge seiner körperlichen Einschränkungen verschlimmert hätten. Er leide unter einem schmerzhaften Impingement-Syndrom an der rechten Schulter sowie unter Schmerzen beim Stehen und Gehen am linken Knie, die auf eine schädigungsbedingt entstandene medial betonte Gonarthrose Grad IV sowie eine Retropatellararthrose Grad II bis III zurückzuführen seien. Zudem leide er unter Rückenschmerzen. Er vermute, dass die ständige einseitige Be- und Überlastung durch die unfallbedingte Lähmung des linken Arms zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule geführt habe.

Nach der Einholung von versorgungsärztlichen Stellungnahmen wurde der Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 09.10.2008 abgelehnt.

Am 09.10.2008 wurde der Kläger an der rechten Schulter arthroskopisch operiert und eine subakromiale Dekompression durchgeführt. Die Rotatorenmanschette wurde im Operationsbericht als altersgerecht beschrieben. Als Diagnosen wurden angegeben: Impingement rechte Schulter, Synovitis rechte Schulter, Bursitis rechte Schulter und AC-Gelenksarthrose rechte Schulter.

Gegen den Bescheid vom 09.10.2008 legte der Kläger Widerspruch ein. Es wurden wiederum versorgungsärztliche Stellungnahmen (vom 19.01.2009 und vom 06.03.2009) eingeholt. Betreffend die rechte Schulter konnten die Versorgungsärzte - im Gegensatz zu der Seitverbiegung der Hals- und Brustwirbelsäule und den Knorpelschäden am linken Kniegelenk - einen Zusammenhang mit dem versorgungsbegründenden Schadensfall, insbesondere der Schädigung der linken oberen Extremität, nicht erkennen. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) sei es - so die versorgungsärztliche Einschätzung - nicht erwiesen, dass ein Gliedmaßenverlust bei den oberen Gliedmaßen durch Überbelastung zu einem Schaden an der verbliebenen Gliedmaße führen könne. Die in den AHP genannte Ausnahme bei einer langdauernden ausgeprägten Fehlbelastung treffe beim Kläger nicht zu. Beim Kläger liege ein Engesyndrom (Impingement-Syndrom) der rechten Schulter vor. Eine derartige Erkrankung stelle ein außerordentlich häufiges Krankheitsbild mit zunehmendem Auftreten nach dem 40. Lebensjahr dar. Sie sei schicksalhaft und habe mit einer Überbelastung nichts zu tun.

Mit Teilabhilfebescheiden vom 04.02.2009 und 22.04.2009 wurde dem Widerspruch insoweit abgeholfen, als eine „Seitverbiegung der Hals- und Brustwirbelsäule mit Muskelverspannungen bei Schulterhochstand links“ und „Knorpelschäden am linken Kniegelenk“ als weitere Schädigungsfolgen bei einem unveränderten Grad der Schädigung von 100 anerkannt wurden. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 zurückgewiesen.

Mit der am 02.06.2009 beim Sozialgericht München eingegangenen Klage hat der Kläger die Anerkennung der Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks als Folge einer Wehrdienstbeschädigung begehrt. Er hat ein Attest seines behandelnden Orthopäden vom 29.09.2008 vorgelegt, wonach er wegen der Überbelastung der rechten Schulter infolge der Plexusparese links operiert worden sei, und zudem einen Auszug aus einer medizinischen Fachveröffentlichung (Breitenseher, Der MR-Trainer), in der ausgeführt ist, dass ein intrinsisches Impingement u. a. durch Überbelastung der Rotatorenmanschette entstehen könne.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet bei Dr. C ... Dieser kam nach ambulanter Untersuchung des Klägers in seinem Gutachten vom 23.08.2011 zu der Einschätzung, dass die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden könne. Es handle sich um ein ausschließlich knöchernes Impingement, das nicht durch Überlastung entstanden sei, sondern eine anlagebedingte Veränderung darstelle, und nicht um eine Zermürbung der Rotatorenmanschette und ein sich daraus entwickelndes sekundäres Impingement. Nur bei einem solchen hätte eine überdimensionale mechanische Beanspruchung mit zunehmendem Verschleiß in die Überlegungen eingebracht werden können. Die Rotatorenmanschette sei aber arthroskopisch als intakt beschrieben worden. Den Ausführungen des Versorgungsarztes in der Stellungnahme vom 06.03.2009 sei vollinhaltlich zuzustimmen. Anders wäre der Fall nur bei einer Krückengangschulter nach langjähriger Gehstützenbenutzung zu sehen; in einem solchen Fall könnten mechanische Überlastungsschäden vornehmlich im subacromialen und acromioclavicularen Gelenk auftreten. Ein solcher Fall sei aber beim Kläger nicht gegeben. Ein vermehrter Verschleiß der Schulter sei nicht begründbar, dies betreffe auch die subacromiale Engpasssymptomatik, die häufig auf einer gewissen Schultereckgelenksarthrose beruhe. Wenn in der vom Kläger vorgelegten Literatur (Breitenseher) von einem intrinsischen Impingement als mögliche Folge einer Überlastung berichtet werde, sei dies unzutreffend, da beim Kläger anlagebedingte Veränderungen vorlägen und die Rotatorenmanschette intakt sei.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Orthopäde Dr. S. mit einer Begutachtung beauftragt worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 17.04.2012 ausgeführt, dass eine erhebliche Überbelastung über einen langen Zeitraum des rechten Schultergelenks bei erheblicher Schädigung des linken Arms als Schädigungsfolge anzuerkennen sei. Die direkte Folge der Überbelastung sei eine Arthrose des rechten Acromioclaviculargelenks, die derzeit aktiviert sei und zu einem sekundären Impingement mit degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette geführt habe. Es handle sich gemäß MRT-Befund vom 03.06.2008 um eine hochgradig aktivierte Gelenksarthrose mit kräftigen Osteophyten, die den subacromialen Raum erheblich einengen würden. Eine Primärarthrose des Schultereckgelenks, also eine anlagenbedingte schicksalhaft auftretende Arthrose, sei an ein höheres Lebensalter gebunden. Hiervon könne man bei dem 48-jährigen Kläger nicht sprechen. Eine Sekundärarthrose des Acromioclaviculargelenks beruhe dagegen meist auf posttraumatischen oder postinfektiösen Gelenksveränderungen, komme aber auch bei vermehrter beruflicher und sportlicher Beanspruchung und schon in früheren Lebensabschnitten vor. Da keine direkte traumatische Schädigung des Schultereckgelenks, keine Fraktur und auch keine sportliche Überlastung beim Kläger bekannt sei, bleibe als Ursache für einen verfrühten Verschleiß des Gelenks als logische und sehr wahrscheinliche Erklärung die lang anhaltende, dauerhaft intensive Überbelastung des rechten Arms aufgrund der Doppelbelastung durch den gelähmten linken Arm und der Unmöglichkeit der Prothesenversorgung des linken Arms. In den AHP (Teil 2, Ziff. 129) sei ausgeführt: „Es ist bisher nicht erwiesen, dass es durch einen Gliedmaßenverlust an der verbliebenen paarigen Gliedmaße zu Schäden (z. B. Arthrosen, Senkfüße, Krampfadern) durch „Überlastungen“ kommt. Die Annahme von Schäden an unversehrten Gliedmaßen infolge einer Amputation kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die Amputation zu einer langdauernden und sehr ausgeprägten Fehlbelastung geführt hat, wie es beispielsweise bei Beinamputierten bei der Unmöglichkeit, eine Prothese zu tragen, oder bei einer prothetisch nicht ausgleichbaren Hüftkontraktur der Fall sein kann.“ Obwohl als Beispiel unter Ziff. 129 nur die unteren Extremitäten genannt seien, gelte - so Dr. S. - die Ausnahme auch für die oberen Extremitäten, da wörtlich allgemein von „paarigen Gliedmaßen“ gesprochen werde. Bei dem Kläger liege eine Unmöglichkeit der Armprothesenversorgung wegen der Nervenschädigung und eine lang dauernde Fehlbelastung mit einer Zeitspanne von 30 Jahren vor, so dass ein ursächlicher Zusammenhang angenommen werden könne.

Dr. C. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.08.2012 an seiner bisherigen Einschätzung festgehalten. Die Theorie des Dr. S. sei vom Ansatz her falsch, da bei einer Beinamputation das andere Bein die gesamte Körperlast tragen müsse, was auf den Arm so nicht übertragbar sei. Der gesunde Arm erhalte durch die vermehrte Beanspruchung der Muskulatur ein relatives Übergewicht, das (nur) die HWS in eine Fehlhaltung ziehe. Zudem müsste beim Kläger, wenn der falschen Arbeitshypothese des Dr. S. im Sinn eines Sekundärschadens des rechten Schultergelenks gefolgt würde, auch eine Betroffenheit des rechten Schlüsselbein-Brustbeingelenks vorliegen. Derartige Beschwerden gebe es aber nicht; auch Dr. S. habe solche nicht festgestellt.

Dazu hat sich Dr. S. am 12.10.2012 ergänzend gemäß § 109 SGG geäußert. Er hat Dr. C. widersprochen, soweit dieser Kritik an seiner Arbeitshypothese geäußert hat. Er, Dr. S., habe lediglich die AHP zitiert. Es gebe durchaus die Möglichkeit, auch an den oberen Extremitäten eine Prothesenversorgung vorzunehmen, was aber beim Kläger nicht möglich sei. Es gelte zu klären, warum die AHP plötzlich nicht mehr zur Geltung kommen sollten.

Der Kläger hat gegenüber dem Gericht sein Meinung geäußert, dass es bei einer 30-jährigen Erledigung aller, teils schwerer Tätigkeiten mit einem Arm zum Teil zu starken Überbelastungen an der Wirbelsäule und dem gesamten Arm- und Schulterarmbereich komme, was zwangsläufig langfristig zu derartigen Schäden führe. Die von ihm einarmig zu verrichtenden Tätigkeiten seien durchaus vergleichbar mit schwerer körperlicher Arbeit und Sportarten mit physiologisch ungünstigen Bewegungsabläufen, die bei der Frage nach möglichen Ursachen für Schulter-Arm-Beschwerden im Internet genannt würden.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.05.2013 ist die Klage abgewiesen worden. Das Sozialgericht hat sich auf das Gutachten des Dr. C. gestützt und seine Entscheidung umfassend begründet. Dabei hat es auch erläutert, warum es der Einschätzung des Dr. S. nicht gefolgt ist.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.06.2013 Berufung eingelegt. Er stützt sich auf das Gutachten des Dr. S ...

Im Erörterungstermin vom 28.01.2014 ist die Sach- und Rechtslage mit dem Kläger umfassend über eine Stunde lang besprochen und ihm die aus Sicht des Berichterstatters vorliegende Aussichtslosigkeit seines Begehrens erläutert worden.

Mit Schreiben vom 14.02.2014 (Freitag) haben die Bevollmächtigten mit Blick auf den Termin der mündlichen Verhandlung am darauf folgenden Dienstag (18.02.2014) vorgetragen, dass der Kläger bei seinem Orthopäden gewesen sei und dieser einen leichten Druckschmerz über dem rechten Sternoclaviculargelenk festgestellt habe. Eine MRT des Sternoclaviculargelenks vom 11.02.2014 habe „nun tatsächlich eine stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite zu Tage gebracht“. Die Auffassung des Dr. C. könne daher keinen Bestand mehr haben. Eine Fehlbelastung sei damit erwiesen. Mitübersandt worden ist der MRT-Bericht vom 11.02.2014.

Der Sachverständige Dr. C. hat das Schreiben der Bevollmächtigten vom 14.02.2014 samt MRT-Bericht noch am selben Tag vom Senat erhalten und über das Wochenende für das Gericht eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme unter dem Datum vom 17.02.2014 angefertigt, die den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ausgehändigt worden ist. Er hat darin darauf hingewiesen, dass im Kernspintomogramm vom 11.02.2014 auf degenerative Veränderungen beider Schlüsselbein-Brustbeingelenke mit Rechtsbetonung und das Nichtvorliegen einer höhergradigen Arthrose hingewiesen worden sei. Damit seien im Wesentlichen anlagebedingte degenerative Veränderungen aktenkundig. Von einem wie auch immer gearteten Überlastungsschaden des rechten Schlüsselbein-Brustbeingelenks sowie des Schultereckgelenks könne keine Rede sei. Es verbleibe bei seiner bisherigen Einschätzung.

Der Kläger beantragt in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2014, den Gerichtsbescheid vom 27.05.2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 09.10.2008 in Gestalt der Teilabhilfebescheide vom 04.02.2009 und 22.04.2009 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2009 zu verurteilen, die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Hilfsweise beantragt er die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gemäß §§ 103, 106 SGG, hilfsweise nach § 109 SGG bei Prof. Dr. I ...

Beklagte und Beigeladene beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Versorgungs- und Schwerbehindertenakten des Beklagten, die Akten der Beigeladenen und des Sozialgerichts München beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 5 SGG vom 29.01.2014 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden, so dass dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden hat.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die beim Kläger vorliegende Gesundheitsstörung im Bereich der rechten Schulter als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Der Gerichtsbescheid vom 27.05.2013 ist nicht zu beanstanden.

Der Senat weist die Berufung aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids vom 27.05.2013 zurück und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend weist der Senat in der Sache auf Folgendes hin:

- Das Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 14.02.2014 und die MRT vom 11.02.2014 geben keinen Anlass für eine andere Bewertung des Zusammenhangs. Der Senat stützt sich dabei auf die überzeugenden Ausführungen des Dr. C. in seiner Stellungnahme vom 17.02.2014, die er sich zu eigen macht.

Zunächst weist der Senat darauf hin, dass das klägerische Schreiben vom 14.02.2014 eine Verdrehung der Fakten enthält, als dort ausgeführt ist, dass eine MRT des Sternoclaviculargelenks „nun tatsächlich eine stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite zu Tage gebracht“ habe. Richtig ist nämlich, dass - wie sich aus dem MRT-Befund auch für einen medizinischen Laien unschwer erkennbar ergibt - rechts nur eine „geringe“ arthrotische Umformung vorliegt, die nur im Seitenvergleich „stärker“ ist. Es ist daher eine unlautere Argumentation, wenn die Bevollmächtigten des Klägers versuchen, dem Gericht eine - absolut betrachtet - „stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite“ weiszumachen. Tatsächlich liegen beim Kläger degenerative Veränderungen im Bereich beider Schlüsselbein-Brustbeingelenke vor, wobei nur eine Rechtsbetonung, aber kein eklatanter Seitenunterschied zu erkennen ist. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem MRT-Befund vom 11.02.2014, wie auch Dr. C. überzeugend betont hat. Von einem Überlastungsschaden am rechten Schlüsselbein-Brustbeingelenk kann daher keine Rede sein, so dass auch nach der - tatsächlich nicht haltbaren - Arbeitshypothese des Dr. S. ein Überlastungsschaden nicht nur nicht wahrscheinlich ist, sondern sogar als widerlegt zu betrachten sein dürfte. Denn wie sonst sollte es zu erklären sein, dass auch auf der seit über drei Jahrzehnten wegen der Plexusparese unbelasteten linken Seite degenerative Veränderungen im Schlüsselbein-Brustbeingelenk mit nur im Seitenvergleich etwas geringerer Ausprägung vorliegen!

- Es ist nach der Überzeugung des Senats richtig, wenn der Sachverständige Dr. C. die Theorie des gemäß § 109 SGG vom Kläger benannten Sachverständigen Dr. S. zu einem potentiellen Zusammenhang zwischen Plexusparese links und Schulterbeschwerden rechts als bloße falsche Arbeitshypothese ohne ausreichende Grundlage sieht. Von der Richtigkeit dieses Hinweises des äußerst, insbesondere auch was die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs angeht, erfahrenen Sachverständigen Dr. C. ist der Senat überzeugt; er macht sich diese Einschätzung zu eigen. Die Richtigkeit der Ausführungen des Dr. C. zur Fehlerhaftigkeit der Argumentation des Dr. S. und die Unrichtigkeit der Arbeitshypothese des Dr. S. sind auch unschwer aus folgenden zwei Gründen zu erkennen:

o Die AHP 2008 weisen in Nr. 129 ausdrücklich darauf hin, dass es nicht erwiesen ist, dass es durch einen Gliedmaßenverlust an der verbliebenen paarigen Gliedmaße zu Schäden (z. B. Arthrosen, ...) durch Überbelastungen (vgl. AHP 2008 Nr. 129.2, 1. Abs.) kommen kann. Eine (seltene) Ausnahme nennen die AHP 2008 lediglich für Fälle mit Amputationen an den unteren Gliedmaßen, wenn die Amputation zu einer langdauernden und sehr ausgeprägten Fehlbelastung geführt hat, z. B. bei Beinamputierten und der Unmöglichkeit einer Prothesenbenutzung oder einer prothetisch nicht ausgleichbaren Hüftkontraktur.

Unstreitig und von allen Sachverständigen auch so angenommen, sind die AHP mit ihren Hinweisen zu Amputationsfolgen auch auf die Situation anzuwenden, dass die andere Extremität zwar nicht amputiert, aber - wie beim Kläger - funktionslos ist; denn die funktionellen Folgen sind in beiden Fällen weitgehend identisch.

Die Vorgaben der AHP zu Amputationsfolgen, die nach wie vor den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Beurteilung von mittelbaren Amputationsschäden wiedergeben, missachtet Dr. S. gröblich, auch wenn er den Eindruck vermitteln will, die AHP anzuwenden. Dieser Eindruck täuscht aber; tatsächlich interpretiert Dr. S. die AHP zugunsten des Klägers falsch. So übergeht er geflissentlich den in den AHP 2008 (dort Nr. 129) enthaltenen Unterschied zwischen Fehlbelastung und Überbelastung und setzt beide Begriffe ohne jegliche Begründung gleich. Ob dies wissentlich oder aufgrund mangelnder Kenntnisse fahrlässig geschieht, bedarf keiner abschließenden Bewertung. Dr. S. unternimmt zudem nicht einmal ansatzweise den Versuch, die seiner Ansicht nach vorliegende „Fehlbelastung“ nachvollziehbar zu begründen. Vielmehr spricht er nur von „einer deutlichen Doppelbelastung des rechten Schultergelenks“ und setzt dies einer „Fehlbelastung seit 30 Jahren“ gleich. Ganz abgesehen davon, dass das Adjektiv „deutlich“ in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar ist und wohl nur durch das Bestreben des Dr. S. zu erklären ist, seine fehlerhafte Einschätzung plausibel zu machen, hält es der Senat auch nicht für lebensnah, dass die Belastung, die ein Gesunder auf zwei Arme bzw. Schultern verteilt, sich beim Kläger in vollem Umfang auf eine einzige Schulter verlagert. Denn bei solchen gesundheitlichen Einschränkungen, wie sie beim Kläger gegeben sind, liegt es sehr nahe, dass die Belastung im Vergleich mit einem Gesunden in ihrem Gesamtumfang reduziert ist. Dies ist auch medizinwissenschaftlich-statistisch belegt. So haben Untersuchungen bei Beinamputierten ergeben, dass diese nur etwa ein Drittel bis zur Hälfte der Zeit eines Gesunden gehen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 693). Diese Erkenntnis, die in ihrem Grundsatz auch auf Armamputierte zu übertragen ist, hat Dr. S., der ansonsten, sofern dies für den Kläger günstig ist, eine Übertragbarkeit der Erkenntnisse zu Beinamputierten auf Armamputierte bejaht, aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen ausgeblendet. Auch Dr. C. hat auf entsprechende Untersuchungen und Erhebungen hingewiesen, ohne dass sich dazu Dr. S. in seiner nachfolgenden Stellungnahme geäußert hätte. Warum sich Dr. S. zu diesem nicht gerade unwichtigen Gesichtspunkt nicht eingelassen hat, obwohl er durch die Ausführungen des Dr. C. für jedermann erkennbar darauf hingewiesen worden war, ist wiederum sachlich nicht erklärbar.

o Von einer Übertragbarkeit der seltenen Ausnahmefälle einer Fehlbelastung nach Amputation der unteren Gliedmaßen in bestimmten Konstellationen auf die oberen Gliedmaßen ist in den AHP keine Rede. Gleichwohl von einer Übertragbarkeit auszugehen, entbehrt der medizinisch-wissenschaftlichen Grundlage. Die Unvergleichbarkeit ergibt sich schon aus den unterschiedlichen statischen Rahmenbedingungen. Dr. C. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2012 nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass bei Amputation einer unteren Extremität unausweichlich die verbleibende die gesamte Körperlast tragen müsse; Derartiges ist bei einer Armamputation nicht der Fall. Dies überzeugt den Senat.

- Wenn Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 12.10.2012 suggerieren will, dass die AHP „plötzlich nicht mehr zur Geltung kommen“ würden, wenn man Dr. C. folgen und dem Begehren des Klägers nicht Rechnung tragen würde, ist dies eine grobe Verdrehung der Vorgaben der AHP. Denn in den AHP sind mit gutem Grund aufbauend auf umfassende medizinische Erkenntnisse nur Beispiele aus dem Bereich der Amputationen der unteren, nicht aber der oberen Gliedmaßen genannt. Offenbar will der vom Kläger benannte Sachverständige Dr. S. diese Erkenntnisse aber nicht wahrhaben. Die AHP kommen daher, wenn man Dr. C. folgt, gerade zur Anwendung - und dies inhaltlich richtig. Missachtet werden die Vorgaben der AHP dagegen von Dr. S ...

- Die Einschätzung des Dr. C. steht in Übereinstimmung mit den Vorgaben der maßgeblichen Begutachtungsliteratur zur gesetzlichen Unfallversicherung, in der im Wesentlichen die gleichen Maßstäbe wie im Versorgungsrecht für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs gelten:

o So benennen Schönberger/Mehrtens/Valentin (vgl. a. a. O., S. 696) als mögliche Überlastungsschäden nach Amputation der oberen Extremität ausschließlich eine Seitverbiegung von HWS und BWS, die dadurch entstehen könne, dass der gesunde Arm durch die vermehrt beanspruchte Muskulatur ein relatives Übergewicht erhalte. Daneben nennen sie nur noch die Krückengangschulter nach Beinamputation, die beim Kläger wegen fehlenden Beinverlusts und fehlender Benutzung von Gehhilfen aber nicht in Betracht kommt. Für Beinamputationen weisen sie darauf hin, dass bei Amputierten weniger Arthrosen am gesunden Bein festgestellt worden seien als bei gesunden Menschen (vgl. a. a. O., S. 693). Eine Anerkennung einer Arthrose als Schädigungsfolge komme in aller Regel nicht in Betracht. Einzig dann sei eine Ausnahme möglich, wenn eine erhebliche Fehlbelastung wegen schlechter prothetischer Versorgung über viele Jahre hinweg vorliege. Diese Hinweise von Schönberger/Mehrtens/Valentin entsprechen den Vorgaben der AHP 2008 und belegen die nach wie vor gegebene Aktualität der AHP 2008 zur Frage der mittelbaren Folgen von Amputationen. Die Ausführungen von Schönberger/Mehrtens/Valentin unterstreichen damit, dass eine Arthrose als mittelbare Schädigungsfolge und diese wiederum als Ursache für das Engpasssyndrom beim Kläger nicht in Betracht zu ziehen sind.

o Fritze/Mehrhoff, Die ärztliche Begutachtung, 8. Aufl. 2012, S. 753, weisen darauf hin, dass Amputierte und einseitig Gliedmaßenverletzte die Extremitäten zumeist weniger belasten würden als Gesunde und bei einem einseitig Beinversehrten davon auszugehen sei, dass eine Arthrose einen anlagebedingten verstärkten Gelenkverschleiß darstelle. Es sei für Beinamputierte sogar statistisch nachgewiesen, dass bei diesen arthrotische Veränderungen am gesunden Bein wesentlich seltener aufträten als bei sonst gesunden Menschen.

o Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 760, haben zudem auf der Basis umfassender Erhebungen erläutert, dass bei einer Reihe von Armamputierten keine Überlastungsschäden an den Gelenken des gesunden Arms festgestellt worden seien.

Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand aus der Begutachtungsliteratur scheint Dr. S. völlig unbekannt gewesen zu sein, was die Verwertbarkeit seines Gutachtens entscheidend in Frage stellt.

- Die Argumentation des Dr. S., dass beim Kläger infolge einer Über- oder Fehlbelastung der rechten Schulter eine Arthrose entstanden sei, die wiederum die Ursache für das Engpasssyndrom sei, kann nicht ansatzweise überzeugen. Ganz abgesehen davon, dass ein Zusammenhang zwischen Amputation eines Arms und Arthrose auf der Gegenseite wissenschaftlich nicht belegbar ist (vgl. oben), kann auch das Argument des Dr. S., die Arthrose müsse belastungsbedingt sein, weil der Kläger für eine anlagebedingte Arthrose zu jung sei, nicht überzeugen. Dass eine anlagebedingte Schultereckgelenksarthrose im Alter des Klägers von 48 Jahren zur Zeit der Operation völlig ungewöhnlich wäre, wie Dr. S. glauben machen will, ist in Anbetracht wissenschaftlicher Veröffentlichungen (vgl. z. B. Junghans-Miebach, Korrelation der klinischen und radiologischen Befunde bei der Schultereckgelenksarthrose, 2004) nicht haltbar. Bei dem dort ausgewerteten Patientengut betrug das Durchschnittsalter wegen arthrosebedingter Operationen 54,7 +/- 10,7 Jahre (vgl. Junghans-Miebach, a.a.O, S. 11); der Kläger liegt in diesem Altersspektrum. Junghans-Miebach (vgl. a. a. O., S. 37) weist weiter darauf hin, dass Schultereckgelenksarthrose zu den häufigsten Arthrosen des menschlichen Körpers gehöre. Bereits in einer Erhebung im Jahr 1919 sei bei einer pathologisch-anatomischen Untersuchung bei 100% der über 50-jährigen eine Arthrose des Schultereckgelenks gefunden worden. Erste arthrotische Veränderungen könnten - so Junghans-Miebach weiter - histologisch bereits im zweiten, radiologisch schon im dritten Lebensjahrzehnt nachgewiesen werden. Offenbar waren auch diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Schulterarthrose dem Dr. S. unbekannt.

- Die Argumentation des Dr. S. ist, ganz abgesehen davon, dass sie von einer nicht haltbaren Arbeitshypothese ausgeht (vgl. oben), auch in sich unlogisch. Dr. S. verdrängt völlig, dass auch bei seiner - fachlich falschen - Argumentation mit einer Über- oder Fehlbelastung beim Kläger Veränderungen im Bereich des rechten Schlüsselbein-Brustbeingelenks im Sinne eines Überlastungs- oder Fehlbelastungsschadens vorliegen müssten, wie sie auf der anderen unbelasteten Seite nicht gegeben sein dürften. Derartige Veränderungen hat aber keiner der Ärzte, auch nicht Dr. S., festgestellt. Verwunderlich für den Senat ist in diesem Zusammenhang, dass Dr. S., obwohl er zu der ergänzenden Stellungnahme des Dr. C. vom 22.08.2012 nochmals am 12.10.2012 Stellung genommen hat, kein Wort zu dem Gesichtspunkt fehlender Veränderungen am Schlüsselbein-Brustbeingelenk verloren hat. Da dieser Gesichtspunkt so deutlich von Dr. C. thematisiert worden ist, kann sich der Senat die fehlende Gegenäußerung durch Dr. S. nur so erklären, dass Dr. S. nicht offen zugeben wollte, dass er dem Einwand des Dr. C. kein Argument entgegen halten konnte. Jeder sorgfältig arbeitende Gutachter hätte sich jedenfalls mit einem Kernargument, das seiner Argumentation entgegen gehalten wird, auseinander gesetzt.

- Wenn sich der Kläger auf eine Veröffentlichung von Breitenseher stützt und meint, den bei ihm vorliegenden Schulterschaden durch Überbelastung begründen zu können, irrt er. Breitenseher nennt als Ursachen für ein sogenanntes intrinsisches Impingement neben vielen anderen auch eine „Überbelastung der Rotatorenmanschette“. Er bezeichnet dies als eine Ursache, die innerhalb der Sehne selbst zu finden ist. Hier liegt aber ein Schaden an den Sehnen, also der Rotatorenmanschette gerade nicht vor, wie es sich aus dem Bericht über die Arthroskopie vom 09.10.2008 ergibt, in dem die Rotatorenmanschette als altersgerecht beschrieben worden ist. Vielmehr liegt ein knöchernes bzw. durch eine Arthrose mitbedingtes Engpasssyndrom vor, also eine ganz andere anatomische Konstellation.

Betreffend Verfahrensfragen ist Folgendes auszuführen:

- Der Antrag der Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2014 auf „hilfsweise ... Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gemäß §§ 103, 106 SGG“ ist kein förmlicher Beweisantrag, sondern verkörpert nur eine bloße Beweisanregung (vgl. BSG, Beschluss vom 13.05.2011, Az.: B 12 R 25/10 B). Der Antrag beinhaltet kein Beweisthema.

Ein förmlicher Beweisantrag, der über § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG den Zugang zur Revisionsinstanz eröffnen könnte, liegt wie im Strafprozessrecht nur dann vor, wenn Beweismittel und Beweisthema ordnungsgemäß benannt sind (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschluss vom 22.06.2004, Az.: B 2 U 78/04 B; vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 10. Aufl. 2012, § 160 Rdnr. 18a - m. w. N.). Fehlt es daran, ist der Antrag nicht geeignet, die typischen Rechtsfolgen eines formellen Beweisantrags zu bewirken. Handelt es sich somit nicht um einen Beweisantrag, so darf der Antrag als bloße Anregung an den Senat verstanden werden, im Rahmen der Amtsermittlung weitere Nachforschungen anzustellen (vgl. Urteil des Senats vom 22.10.2012, Az.: L 15 VJ 3/07). Der Amtsermittlungsgrundsatz gebietet aber derartige Ermittlungen nicht, da der Sachverhalt durch das überzeugende Gutachten und die wiederholten Stellungnahmen des Dr. C. bereits bis ins letzte Detail ausermittelt ist.

Aus welchen Gründen die Bevollmächtigten des Klägers keinen förmlichen Beweisantrag gestellt haben oder dazu nicht in der Lage gewesen sind, kann offenbleiben. Jedenfalls besteht bei einem rechtskundigen und berufsmäßigen Bevollmächtigten wie hier vom VdK („Ass.jur“) keine gerichtliche Hinweispflicht darauf, dass der Antrag vom 18.02.2014 nicht den Vorgaben eines förmlichen Beweisantrags entspricht; es ist allein Sache des Bevollmächtigten, alle diejenigen Anträge mit dem für erforderlich gehaltenen Inhalt zu Protokoll des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschluss vom 20.07.2005, Az.: B 1 KR 39/05 B). Weitere Ausführungen von Seiten des Senats erübrigen sich daher.

- Die im Erörterungstermin vom 28.01.2014 gestellten Beweisanträge sind in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2014 nicht wiederholt worden, so dass der Senat darüber nicht zu entscheiden hat.

Ist ein Prozessbeteiligter wie hier rechtskundig durch eine Bevollmächtigte des VdK, die zudem Rechtsassessorin ist, vertreten, gilt ein schriftsätzlich während des Verfahrens gestellter Beweisantrag nur dann als bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten, wenn er als solcher zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung wiederholt wird (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschluss vom 29.03.2007, Az.: B 9a VJ 5/06 B - m. w. N.). Hätte der Kläger eine Befassung des Gerichts mit den im Erörterungstermin gestellten Beweisanträgen gewünscht, hätte seine Bevollmächtige in der mündlichen Verhandlung die Anträge zu Protokoll stellen müssen, über die das Gericht entscheiden solle (vgl. BSG, Beschluss vom 23.08.1989, Az.: 2 BU 97/89). Eine Pflicht für den Senat, die Bevollmächtigte darauf hinzuweisen, bestand angesichts der Rechtskundigkeit der Vertreterin des VdK in der mündlichen Verhandlung nicht.

Darauf, dass die im Erörterungstermin vom Kläger aufgezeigten Beweisthemen ohne Entscheidungsrelevanz und schon daher abzulehnen wären, kommt es nicht weiter an.

- Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. I. ist abzulehnen, da das Antragsrecht insofern verbraucht ist.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat im Verfahren vor dem Sozialgericht auf dem Fachgebiet der Orthopädie Dr. S. ein Gutachten erstellt und zudem mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12.10.2012 sogar noch das letzte Wort der Sachverständigen gehabt. Genau auf dem gleichen Fachgebiet hat die Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung erneut einen Antrag gemäß § 109 SGG gestellt, nämlich auf Einholung eines Gutachtens beim Orthopäden Prof. Dr. med. I., dem Leiter der Abteilung und Poliklinik für Sportorthopädie des Klinikums R. - Mit dieser Antragstellung auf Einholung eines weiteren Gutachtens auf dem selben Fachgebiet verkennen die Bevollmächtigen des Klägers den Umfang des Antragsrechts gemäß § 109 SGG. Aus § 109 SGG resultiert kein Anspruch auf „das letzte Wort“ des Gutachters gemäß § 109 SGG (vgl. Urteil des Senats vom 14.02.2012, Az.: L 15 VJ 3/08) und noch viel weniger auf die Beauftragung mehr als eines Sachverständigen auf dem selben Fachgebiet. Dies gilt auch dann, wenn das erste Gutachten gemäß § 109 SGG im Verfahren vor dem Sozialgericht, der zweite Antrag gemäß § 109 SGG dann im Berufungsverfahren gestellt wird (vgl. BSG, Urteil vom 14.05.1991, Az.: 5 RJ 32/90).

Zwar ist das Wort „ein“ in § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zwingend und ausnahmslos als Zahlwort zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.1977, Az.: 10 RV 67/76). Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass solange Gutachten gemäß § 109 SGG auf ein und dem selbem Fachgebiet eingeholt werden können, bis ein Kläger mit dem Ergebnis der von ihm benannten Sachverständigen einverstanden ist. Vielmehr beschränkt sich das Recht aus § 109 SGG auf die Beauftragung eines einzigen Sachverständigen, sondern nicht besondere Umstände die Einholung mehr als eines Gutachtens gemäß § 109 SGG zulässig machen. Ein Recht auf Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 109 SGG oder auch nur einer ergänzenden Stellungnahme gemäß § 109 SGG gibt es nur in den Grenzen zweckentsprechender Rechtsverfolgung (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 1139/59).

Derartige besondere Umstände können dann gegeben sein, wenn mehrere Fachgebiete betroffen sind. Im Übrigen beschränkt sich das Antragsrecht gemäß § 109 SGG in einem Fachgebiet auf einen - im Sinne eines Zahlworts - Sachverständigen. Dies ergibt sich aus der Zielsetzung des § 109 SGG. Diese ist, dem Versicherten oder Versorgungsberechtigten die Beurteilung des medizinischen Sachverhalts durch einen Arzt seines Vertrauens zu ermöglichen, was lediglich dann, wenn mehrere Sachgebiete betroffen sind, zu der Zulässigkeit der Benennung mehrerer Sachverständigen auf mehreren Fachgebieten, aber nur jeweils eines Arztes pro Fachgebiet, führen kann (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.1977, Az.: 10 RV 67/76).

Derartige besondere Umstände können ausnahmsweise auch dazu führen, dass das Recht gemäß § 109 SGG auf einem bestimmten Fachgebiet nicht durch die Einholung des Gutachtens vollständig verbraucht ist. Dies kann dann der Fall sein, wenn sich nach Fertigstellung des Gutachtens gemäß § 109 SGG neue Tatsachen und Gesichtspunkte ergeben, die in dem auf Antrag des Berechtigten eingeholten Gutachten nicht gewürdigt werden konnten (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 1139/59). Voraussetzung ist dabei, dass es sich um eine entscheidungserhebliche neue Tatsache handelt (vgl. BSG, Urteil vom 14.03.1956, Az.: 9 RV 226/54), wobei sich die Frage der Entscheidungserheblichkeit nach der materiellen Rechtsauffassung der Tatsacheninstanz bemisst (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2010, Az.: B 1/3 KR 22/08 R). Eine weitere Ausübung des Antragsrechts gemäß § 109 SGG ist aber dann nicht möglich, wenn nicht ein Missbrauch ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 06.05.1958, Az.: 10 RV 813/56).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben in der Rechtsprechung des BSG zu § 109 SGG ist der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag gemäß § 109 SGG aus mehreren Gründen abzulehnen:

o Auf dem selben Fachgebiet - Orthopädie - ist bereits im erstinstanzlichen Verfahren ein Gutachten auf Antrag des Klägers eingeholt worden.

o Neue entscheidungserhebliche Tatsachen und Gesichtspunkte sind nach der letzten Befassung des Sachverständigen gemäß § 109 SGG (Stellungnahme vom 12.10.2012) nicht bekannt geworden.

Der vom Kläger unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bericht über eine Kernspintomographie beinhaltet keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen und Gesichtspunkte. Die darin untersuchten Veränderungen am Schlüsselbein-Brustbeingelenk sind aus Sicht des Senats - und nur auf die kommt es an - nicht entscheidungserheblich.

Der Sachverständige Dr. C. hat schon im Verfahren vor dem Sozialgericht dargestellt, dass Veränderungen im Bereich des Schlüsselbein-Brustbeingelenks ohne Bedeutung für die Bewertung des Zusammenhangs sind. Weiter hat er nachvollziehbar erläutert, dass es lediglich bei der - unrichtigen! - Arbeitshypothese des Dr. S. auf Veränderungen im Schlüsselbein-Brustbeingelenk ankommen würde. Da es sich bei der von Dr. S. zugrunde gelegten Arbeitshypothese aber um eine Annahme handelt, die in den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Zusammenhangsbeurteilung keinerlei Stütze findet und der daher nach der Rechtsauffassung des Senats nicht gefolgt werden kann, kann es auf Veränderungen im Schlüsselbein-Brustbeingelenk bei der Entscheidung tatsächlich nicht ankommen. Letztlich ist es daher für die Beurteilung des Zusammenhangs ohne jede Bedeutung, ob und wenn ja in welchem Umfang Veränderungen am Schlüsselbein-Brustbeingelenk vorliegen. Schon aus diesem Grund wären daher keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder Gesichtspunkte gegeben, wegen derer das Antragsrecht gemäß § 109 SGG als nicht vollständig verbraucht betrachtet werden dürfte.

Aber selbst wenn der falschen Arbeitshypothese des Dr. S. gefolgt und daher - fälschlicherweise - von einer potentiellen Relevanz etwaiger Veränderungen im Schlüsselbein-Brustbeingelenk ausgegangen würde, würde sich aus dem MRT-Bericht vom 11.02.2014 keine neue Tatsache ergeben. Denn aus diesem radiologischen Bericht ergibt sich gerade keine „stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite“, wie dies die Bevollmächtigten des Klägers unter Verdrehung des radiologischen Befunds in ihrem Schreiben vom 14.02.2014 glauben machen wollen. Denn der Befundbericht vom 11.02.2014 beschreibt nur ein „geringes, gelenkspaltbezogenes Enhancement im Bereich beider Sternoclaviculargelenke, rechts stärker ausgeprägt“. Von einer - absolut betrachtet - „stärker ausgeprägte Degeneration auf der rechten Seite“, was möglicherweise im Sinn der falschen Arbeitshypothese des Dr. S., der der Senat nicht folgt, als neue Tatsache betrachtet werden könnte, kann daher entgegen den Ausführungen der Bevollmächtigten des Klägers nicht die Rede sein. Vielmehr liegen - so der MRT-Bericht - nur eine „geringe arthrotische Umformung“ und eine beiderseitige geringe Betroffenheit mit Rechtsbetonung vor.

Im Übrigen könnte der Versuch, über die falsche bzw. grob missverständliche Wiedergabe von Befunden aus dem MRT-Befund vom 11.02.2014 neue Tatsachen zu konstruieren, wegen Missbräuchlichkeit (vgl. BSG, Beschluss vom 06.05.1958, Az.: 10 RV 813/56) nicht zum Wiederaufleben des Antragsrechts aus § 109 SGG führen. Jedenfalls wären mit einer derart unlauteren Argumentation die Grenzen zweckentsprechender Rechtsverfolgung (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 1139/59) überschritten.

o Schließlich wäre, auch wenn entgegen den obigen Ausführungen, noch nicht von einem grundsätzlichen Verbrauch des Rechts gemäß § 109 SGG auf orthopädischem Fachgebiet ausgegangen würde, die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 109 SGG bei einem neuen Gutachter nicht vom Recht des § 109 SGG gedeckt. Denn § 109 SGG soll dem Versicherten oder Versorgungsberechtigten nur die Beurteilung des medizinischen Sachverhalts durch einen Arzt seines Vertrauens ermöglichen, ihm aber nicht die Gelegenheit geben, durch die Einholung mehrerer Gutachten auf dem selben Fachgebiet so lange auf das gewünschte gutachtliche Ergebnis hinzuarbeiten, bis er einen Sachverständigen findet, der ein dem Kläger genehmes Gutachten abliefert. Auf nichts anderes läuft nämlich die Vorgehensweise des Klägers hinaus, die sich insofern nicht mehr in den Grenzen zweckentsprechender Rechtsverfolgung bewegt und die Zielsetzung des § 109 SGG missbraucht.

Der Kläger versucht nämlich, durch die Behauptung falscher Tatsachen im Schreiben seiner Bevollmächtigten im Schreiben vom 14.02.2014 (vgl. oben) sich die Chance zu eröffnen, dass ein anderer Sachverständiger (Prof. Dr. I.) als der, der im sozialgerichtlichen Verfahren ein aus Sicht des Senats völlig unbrauchbares (vgl. oben) Gutachten erstellt hat (Dr. S.), zu einem für ihn besseren und insbesondere besser begründeten Ergebnis kommen würde. Aufgrund der ausgesprochen ausführlichen Erläuterungen im erstinstanzlichen Urteil und insbesondere im Erörterungstermin vom 28.01.2014 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2014 muss dem Kläger unmissverständlich klar geworden sein, dass das Gutachten des Dr. S. aufgrund seiner erheblichen Mängel keinesfalls eine Grundlage für eine positive Entscheidung des Gerichts darstellen kann. Diesen Mangel kann der Kläger aber nicht dadurch ausgleichen, dass er jetzt einen neuen Sachverständigen nach dem Motto „Neues Spiel, neues Glück“ benennt. Vielmehr hätten die Bevollmächtigten des Klägers, wenn sie sich im Rahmen zweckentsprechender Rechtsverfolgung bewegen hätten wollen, eine ergänzende Stellungnahme bei dem bereits in der Vergangenheit nach § 109 SGG tätigen Sachverständigen (Dr. S.) beantragen müssen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 109, Rdnr. 10b).

Eine Pflicht des Gericht, auf diese fehlerhafte Antragstellung gemäß § 109 SGG hinzuweisen, bestand angesichts der Rechtskundigkeit der Bevollmächtigten des Klägers vom VdK nicht, wie im Übrigen grundsätzlich, bei rechtskundigen und berufsmäßigen Bevollmächtigten völlig unstrittig, überhaupt keine Pflicht des Gerichts besteht, diese über das Antragsrecht gemäß § 109 SGG zu informieren (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschlüsse vom 23.10.1957, Az.: 4 RJ 142/57, vom 21.11.1957, Az.: 8 RV 611/56, und vom 26.03.2013, Az.: B 1 KR 35/12 B).

- Der Rechtsstreit konnte am 18.02.2014 entschieden werden. Einen Antrag auf Vertagung, über den der Senat zu befinden gehabt hätte und der Voraussetzung für eine Vertagung gewesen wäre (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Beschlüsse vom 28.09.1999, Az.: B 2 U 31/99 B, und vom 23.10.2003, Az.: B 4 RA 37/03 B), haben die Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht zu Protokoll gestellt.

Ein Vertagungsantrag, der von Seiten der Bevollmächtigten zunächst in die Erwägungen einbezogen worden ist, wurde nicht gestellt, nachdem die ergänzende Stellungnahme des Dr. C. vom 17.02.2014 ausführlich besprochen worden ist. Ein Bedürfnis für die Gewährung rechtlichen Gehörs hat für die Bevollmächtigten des Klägers daher nach ihrem eigenen Vorbringen und Verhalten in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestanden. Im Übrigen spricht Alles dafür, dass ein derartiger Antrag auch als unbegründet abzulehnen gewesen wäre, da keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen in der mündlichen Verhandlung bekannt geworden sind, die im Sinn des rechtlichen Gehörs einer Äußerungsfrist bedurft hätten. Vielmehr ist dem kurz vor der Sitzung von den Bevollmächtigten vorgelegten MRT-Befund nichts entscheidungserheblich Neues zu entnehmen (vgl. oben). Durch von den Bevollmächtigten des Klägers erhobene unrichtige Behauptungen zu tatsächlich nicht gegebenen Tatsachen könnte nicht mit Hinweis auf das rechtliche Gehör eine Verzögerung des Verfahrens bewirkt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.