Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 13. Juli 2015 - L 15 SB 16/14

bei uns veröffentlicht am13.07.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Herabsetzung des Grads der Behinderung (GdB) gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) von 50 auf 40 nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung zu Recht erfolgt ist.

Die 1952 geborene Klägerin ist Lehrerin an einem Gymnasium.

Im Jahr 2009 war bei ihr ein duktales Karzinom in situ der rechten Brust diagnostiziert und am 13.05.2009 operativ behandelt worden. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 14.10.2009 war ein GdB von 50 festgestellt worden, dem folgende Gesundheitsstörungen zugrunde lagen:

1. Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung) - Einzel-GdB 50

2. Bluthochdruck, Herzklappenfehler - Einzel-GdB 10.

Nach Nachprüfung von Amts wegen und entsprechender Anhörung der Klägerin setzte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 08.02.2012 den GdB auf 40 herab.

Dagegen legten die Bevollmächtigten der Klägerin Widerspruch ein und begründeten diesen mit Schreiben vom 02.03.2012 damit, dass die bei der Klägerin vorliegende erhebliche Wirbelsäulenschädigung nicht ausreichend bewertet worden, da eine Einschränkung in allen drei Abschnitten (HWS, BWS und LWS) vorliege. Auch die Funktionsbehinderung in Form der Schultererkrankung rechts in Verbindung mit dem Teilverlust der Brust rechts sei nicht ausreichend bewertet; das Anheben des Arms bis zum Kinn sei nicht mehr schmerzfrei möglich. Nicht im Bescheid anerkannt sei auch, dass die Klägerin aufgrund ihres bisherigen Krankheitsverlaufs unter seelischen Störungen leide, nämlich insbesondere Depressionen, Schlafstörungen, Angstzuständen und Zukunftsängsten. Zudem trete nahezu wöchentlich ein Migräneleiden auf, das jeweils ein bis vier Tage andauere und mit sehr starken Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Sehstörungen und Gleichgewichtsstörungen verbunden sei. Für einen Tinnitus der Klägerin sei ein Einzel-GdB von 30 bis 40 sachgerecht, da die Klägerin unter wesentlichen Einschränkungen ihrer Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit leide. Die auf psychiatrischem Fachgebiet liegenden Gesundheitsstörungen seien mit einem GdB von 50 zu bewerten (Schreiben vom 14.03.2012).

Nach wiederholter Befassung des versorgungsärztlichen Diensts wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2012 zurück.

Dagegen haben die Bevollmächtigten der Klägerin am 12.09.2012 Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben. Die Klage ist damit begründet worden, dass für die Einschränkung der Hörfähigkeit ein GdB von 30 zu veranschlagen sei, da der Klägerin eine beidseitige Hörgeräteversorgung empfohlen worden und daher beidseits zumindest eine mittelgradige Schwerhörigkeit anzunehmen sei. Auch die Wirbelsäulenschädigung, die Funktionsbehinderung im Bereich des rechten Schultergelenks sowie die Migräne seien unterbewertet. Der Gesamt-GdB betrage mehr als 40.

Am 09.11.2012 hat der Internist M. im Auftrag des SG ein Gutachten erstellt. Er ist dabei zu der Einschätzung gekommen, dass der vom Beklagten festgestellte GdB von 40 zutreffend sei. Gegenüber den für den Bescheid vom 14.10.2009 maßgeblichen Verhältnissen habe sich eine Besserung ergeben. U. a. hat er darauf hingewiesen, dass die funktionellen Beeinträchtigungen der Wirbelsäule bei weitem nicht so bedeutend seien, als dass eine derart hohe Einstufung wie mit einem GdB von 20 vorgenommen werden müsse. Auch die Bewertung der Migräne mit einem GdB von 20 hat er als wohlwollend bezeichnet, genauso die bisher erfolgte Einschätzung zur Schwerhörigkeit.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat die die Klägerin behandelnde Fachärztin für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. L. unter dem Datum des „16.04.2012“ (Anmerkung des Senats: Es handelt sich bei der Jahreszahl offensichtlich um einen Schreibfehler; richtig ist 2013) ein Gutachten erstellt. Die Frage, ob sich im Gesundheitszustand der Klägerin gegenüber dem Bescheid vom 14.10.2009 eine wesentliche Änderung eingestellt habe, hat die Sachverständige verneint. Zwar liege kein Rezidiv der Brusterkrankung vor, andererseits habe sich daraus aber offensichtlich ein neuropathisches Schmerzsyndrom entwickelt, was hinsichtlich der Lebensqualität eine deutliche Verschlechterung darstelle. Früher sei die Erkrankung der Brust weitgehend symptomlos gewesen. Bei Abwägung dieser beiden Sachverhalte habe sich keine Änderung ergeben. Die Einzelbeschwerden (Bluthochdruck, Wirbelsäulen- und Gelenkserkrankungen, Schwerhörigkeit) seien jeweils mit einem GdB von 10 bis 20 korrekt bewertet, die Migräne sei mit 30 zu bewerten. Ausschlaggebend für den GdB sei jedoch die gegenwärtig bestehende chronische Schmerzstörung samt Angst-Depression-Reaktion, die mit einem GdB von 50 zu bewerten sei. Der Gesamt-GdB betrage 50.

Der Beklagte hat sich dem Gutachten von Dr. L. nicht anschließen können (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 16.05.2013). Der bislang vergebene GdB sei - so der Beklagte - bereits die obere Grenze des Beurteilungsspielraums.

Mit Urteil vom 11.12.2013 ist die Klage abgewiesen worden.

Am 15.01.2014 haben die Bevollmächtigten der Klägerin Berufung eingelegt und diese mit dem Gutachten von Dr. L. vom 16.04.2013 begründet. Im Übrigen ist auf die Klagebegründung verwiesen worden. Die Klägerin selbst hat mit Schreiben vom 07.04.2014 Kritik am Gutachten des Sachverständigen M. geäußert und ein neues Gutachten durch einen unbefangenen Gutachter beantragt.

Der Senat hat in der Folge Befundberichte der behandelnden Psychotherapeutin und eines von der Klägerin angegebenen Schmerztherapeuten eingeholt, der die Klägerin am 25.01.2013 behandelt hatte.

Im Auftrag des Senats hat der Neurologe und Psychiater Dr. E. am 05.02.2015 ein Gutachten erstellt. Er ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Gesundheitszustand der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids eine wesentliche Änderung gegenüber dem Bescheid vom 14.10.2009 eingetreten sei, weil damals noch die Phase der Heilungsbewährung vorgelegen habe. Am 08.08.2012 lägen bei der Klägerin eine seelische Störung und eine Migräne vor, die jeweils mit einem GdB von 20 zu bewerten seien; das gleiche gelte zum Zeitpunkt der Untersuchung. Insgesamt betrage der GdB zu beiden Zeitpunkten 40.

Mit Schreiben des Senats vom 10.04.2015 ist das Gutachten mit ausführlichen Erläuterungen den Bevollmächtigten der Klägerin übersandt und die Rücknahme der Berufung bis zum 25.05.2015 nahe gelegt worden.

Mit Schreiben vom 18.05.2015 haben die Bevollmächtigten der Klägerin um Verlängerung der Antragsfrist für ein Gutachten nach § 109 SGG bis zum 09.07.2015 gebeten und dies damit begründet, dass nicht sichergestellt werden könne, dass der behandelnde Arzt kurzfristig ein Behandlungsgespräch ermögliche. Dazu hat der Senat der Klägerin mit Schreiben vom 29.05.2015 mitgeteilt, dass eine Fristverlängerung mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht angezeigt sei. Die Bevollmächtigten der Klägerin haben sich mit Schreiben vom 03.06.2015 dahingehend geäußert, dass ihnen das gerichtliche Schreiben vom 10.04.2015 erst am 23.04.2015 zugegangen und daher für die Klägerin eine weitaus kürzere Frist verblieben sei, als dies das Gericht angenommen habe. Mit Schreiben vom 08.06.2015 haben sie beantragt, den Neurologen (spezielle Schmerztherapie) Dr. D. gemäß § 109 SGG mit einer Begutachtung zu beauftragen. Dazu hat der Senat den Bevollmächtigten mit Schreiben vom 08.06.2015 mitgeteilt, dass kein Anlass bestehe, den Antrag gemäß § 109 SGG zuzulassen. Der jetzt rund sechs Wochen nach dem angegebenen Zugang des gerichtlichen Schreibens gestellte Antrag sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verspätet.

Die Klägerin beantragt,

nach § 109 SGG Herrn Dr. D. (Facharzt für Neurologie) gutachterlich zu hören, zudem, das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.12.2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 08.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG B-Stadt beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Herabsetzung des GdB von 50 auf 40 nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung ist nicht zu beanstanden.

1. Streitgegenstand

Streitgegenstand ist die mit Bescheid vom 08.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2012 getroffene Entscheidung des Beklagten, nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung den GdB von 50 auf 40 herabzusetzen, die mit der Anfechtungsklage angegriffen wird. Bei dieser Entscheidung gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil sich der Regelungsgehalt des Herabsetzungsbescheids im (teilweisen) Entzug des vormals festgestellten GdB erschöpft und der angefochtene Bescheid keine darüber hinausgehende Dauerwirkung hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. Bundessozialgericht - BSG - Urteile vom 07.12.1983, Az.: 9a RV 26/82, vom 23.06.1993, Az.: 9/9a RVs 1/92, und vom 15.08.1996, Az.: 9 RVs 10/94). Die Frage, ob die Herabsetzung rechtmäßig ist, beurteilt sich daher nicht nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, sondern nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (vgl. BSG, Urteile vom 20.04.1993; Az.: 2 RU 52/92, vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RVs 2/92 und vom 10.09.1997, Az.: 9 RVs 15/96). Würde der maßgebliche Zeitpunkt hingegen auf die letzte mündliche Verhandlung verlegt, würde dies nach Ansicht des BSG dazu führen, dass behauptete oder während des Gerichtsverfahrens tatsächlich eingetretene Änderungen in den gesundheitlichen Verhältnissen des Behinderten zu immer neuen Ermittlungen Anlass gäben und den Abschluss des Gerichtsverfahrens in zahlreichen Fällen erheblich verzögern würden; eine derart bedingte Verzögerung der gerichtlichen Entscheidung der Prüfung von Herabsetzungsentscheidungen sieht das BSG als unvertretbar an (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.1996, Az.: 9 RVs 5/95). Änderungen in den Verhältnissen, die während der Anhängigkeit einer Anfechtungsklage gegen die (teilweise) Aufhebung eines einen bestimmten GdB feststellenden Verwaltungsakts eingetreten sind, sind daher grundsätzlich rechtlich unbeachtlich (vgl. BSG, Urteil vom 15.08.1996, Az.: 9 RVs 10/94).

An der Einordnung der Klageart ändert auch die Tatsache nichts, dass die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren noch einen Antrag („und den Beklagten ... zu verpflichten, einen GdB von mehr als 40 festzustellen“) gestellt hat, der an eine (weitergehende) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage denken lassen könnte. Denn jedenfalls durch den im Berufungsverfahren gestellten Antrag („das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.12.2013, sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2012 aufzuheben“) steht unzweifelhaft fest, dass Gegenstand der Entscheidung des Senats (nur) eine reine Anfechtungsklage ist. Eines Rückgriffs auf die Rechtsprechung des BSG, das in einer ähnlichen Konstellation keinen Anlass gesehen, trotz eines explizit gestellten Verpflichtungsantrags eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zugrunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RVs 2/92), sondern nur von einer Anfechtungsklage ausgegangen ist, bedarf es daher bei der Bestimmung der Klageart und dem sich daraus ergebenden maßgeblichen Zeitpunkt nicht.

2. Herabsetzungsbescheid

Die Anfechtungsklage ist unbegründet, da die Herabsetzung des GdB mit Bescheid vom 08.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2012 rechtmäßig gewesen ist. Der Beklagte hat den GdB am 08.08.2012, dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Anfechtungsklage, zutreffend nicht mehr mit 50 bewertet.

2.1. Voraussetzungen für die Herabsetzung des GdB - allgemein

Rechtsgrundlage des mit der Klage angefochtenen Bescheids ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei Feststellungsbescheiden nach § 69 Abs. 1 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (vgl. - noch zum Schwerbehindertengesetz - BSG, Urteil vom 19.09.2000, Az.: B 9 SB 3/00 R). Eine Aufhebung ist dabei nur insoweit zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.

Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung (oder Verschlechterung) der behinderungsbedingt eingeschränkten Gesundheitszustands eine Herabsetzung (oder Erhöhung) des GdB um wenigstens 10 ergibt. Handelt es sich bei den dem GdB zugrunde liegenden Gesundheitseinschränkungen um solche, bei denen - wie dies bei Krebserkrankungen der Fall ist - der GdB wegen der Art der Erkrankung zunächst höher festgestellt worden ist, als es die tatsächlichen Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 48 SGB X auch dann vor, wenn bei der der Feststellung des GdB zugrunde liegenden Erkrankung die Zeit der sogenannten Heilungsbewährung ohne das Auftreten eines Rezidivs abgelaufen ist (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze [VG], Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, Teil A Nr. 7. Buchst. b; siehe auch unten Ziff. 2.3.1., erster Spiegelstrich).

Von einer wesentlichen Änderung im Sinne einer Besserung alleine deshalb auszugehen, weil die Zeit der Heilungsbewährung abgelaufen ist, verbietet sich jedoch. Vielmehr ist - neben dem Ablauf der Heilungsbewährung - auch zu berücksichtigen, ob anderweitige Änderungen tatsächlicher Art in dem der Feststellung des GdB zugrunde liegenden Gesundheitszustand eingetreten sind. Liegt einerseits ein rezidivfreier Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung vor und sind andererseits seit der bestandskräftig gewordenen Feststellung des GdB neue Gesundheitsstörungen aufgetreten, so ist nur dann eine Herabsetzung des GdB zulässig, wenn zum Zeitpunkt der erneuten Entscheidung zum GdB, die nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung getroffen wird, Gesundheitsbeeinträchtigungen vorliegen, die einen niedrigeren GdB begründen, als er zuvor bestandskräftig festgestellt worden ist. Insoweit besteht kein Unterschied zu den Fällen, in denen die Herabsetzung des GdB nicht auf den Gesichtspunkt der Heilungsbewährung gestützt wird, sondern auf die Besserung einer früher sich funktionell stärker auswirkenden Gesundheitsstörung.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des GdB ist § 69 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit den seit dem 01.01.2009 maßgeblichen VG. Die VG haben die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) abgelöst, die für die Zeit vor dem 01.01.2009 weiterhin als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich sind (vgl. BSG, Urteile vom 18.09.2003, Az.: B 9 SB 3/02 R, und vom 24.04.2008, Az.: B 9/9a SB 10/06 R; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.03.1995, Az.: 1 BvR 60/95). Die VG sind - wie schon zuvor die AHP - ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes bezweckt und dem Ziel eines einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.

2.2. Herabsetzung des GdB im hier zu entscheidenden Fall

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass im Gesundheitszustand der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt (Widerspruchsbescheid vom 08.08.2012) im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem bestandskräftigen Bescheid vom 14.10.2009 zugrunde gelegen haben, infolge des rezidivfreien Ablaufs der Zeit der Heilungsbewährung von zwei Jahren eine wesentliche Änderung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X im Sinn einer Besserung eingetreten ist, auch wenn die Klägerin zwischenzeitlich an neuen Gesundheitsstörungen leidet. Dies rechtfertigt bei Berücksichtigung der Vorgaben der VG (zumindest) die Herabsetzung des GdB auf 40.

Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auf die überzeugenden und nachvollziehbar begründeten Gutachten des Internisten M. und des Neurologen und Psychiaters Dr. E.. Beide gerichtsbekannte und sehr erfahrene Gutachter haben die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig erfasst und in Übereinstimmung mit den zu beachtenden Vorgaben der VG zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.

Nicht folgen kann der Senat hingegen der Ärztin für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. L., die die Klägerin behandelt und ein Gutachten nach § 109 SGG erstellt hat. Denn deren Gutachten enthält weder eine ausreichende Erhebung der medizinischen Befunde noch stehen die Feststellungen dieser Sachverständigen in Übereinstimmung mit den zu beachtenden Vorgaben der VG.

Im Einzelnen ist zu den jeweiligen Gesundheitsstörungen und deren Bewertung Folgendes festzuhalten:

2.2.1. Erkrankung der Brust in Heilungsbewährung

Es ist im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids eine Besserung eingetreten, die einer Reduzierung des GdB von 50 auf 20 entspricht.

Das im Jahr 2009 bei der Klägerin diagnostizierte und operativ behandelte Karzinom der rechten Brust in Form eines DCIS hat unstreitig kein Rezidiv nach sich gezogen. Dies haben wiederholte Untersuchungen ergeben.

Nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit von in diesem Fall zwei Jahren (vgl. VG Teil B Nr. 14.1 a. E.) ist für den einseitigen Teilverlust der Brust ein GdB von 20 anzusetzen, was in Übereinstimmung mit den VG steht (vgl. dort Teil B Nr. 14.1).

2.2.2. Bewegungseinschränkung der rechten Schulter

Zwar ist im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids eine Verschlechterung der Beweglichkeit der rechten Schulter eingetreten. Es spricht aber - folgt man den eigenen Angaben der Klägerin zu dieser Gesundheitsstörung - vieles dafür, dass der vom Beklagten aufgrund der Berichte der behandelnden Ärzte und daran anschließend auch von den gerichtlichen Gutachtern zugrunde gelegte GdB von 20 zu hoch gegriffen ist. Gleichwohl geht der Senat zugunsten der Klägerin in der Folge von einem GdB von 20 aus, wobei diese für die Klägerin günstige Betrachtung im Ergebnis ohne rechtliche Relevanz ist.

Die bei der Klägerin vorliegende Einschränkung der Beweglichkeit in der Schulter ist von sachverständiger Seite aus mit einem GdB von 20 beurteilt worden. Dies steht mit Blick darauf, dass die Klägerin bei den gutachtlichen Untersuchungen demonstriert hat, dass sie nicht in der Lage sei, den rechten Arm über die Horizontale anzuheben, in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.13), zumal es nach den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 14.1) geboten ist, Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, wenn sie die Folge der operativen Behandlung eines Brustkarzinoms sind, gesondert zu berücksichtigen.

Gleichwohl erscheint diese Bewertung dem Senat als ausgesprochen großzügig, wenn nicht sogar überzogen. Die Vorbehalte des Senats gegenüber einem GdB von 20 stützt der Senat darauf, dass es sich bei der Einschränkung der Bewegungsfähigkeit, wie sie die Klägerin bei der gutachtlichen Untersuchung gezeigt hat, offensichtlich nicht um einen Dauerzustand handelt. Diese Zweifel an einem Dauerzustand hat die Klägerin selbst geweckt, da sie bei der Untersuchung durch Dr. E. angegeben hat, den rechten Arm „manchmal“ nicht mehr anheben zu können. Damit eine Gesundheitsstörung bei der Ermittlung des GdB Berücksichtigung finden kann, muss es sich aber um einen Dauerzustand in dem Sinn handeln, dass die funktionelle Einschränkung über mehr als sechs Monate anhält (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX; VG Teil A Nr. 2 Buchst. f). Liegen funktionelle Gesundheitsstörungen in einem schwankenden Ausmaß vor, kann der Ermittlung des GdB nur die durchschnittliche Funktionseinschränkung zugrunde gelegt werden (vgl. VG Teil A Nr. 2 Buchst. f). Da eine auf die Horizontale eingeschränkte Armhebefähigkeit, die nach den Vorgaben der VG mit einem GdB von 20 zu bewerten wäre (vgl. VG Teil B Nr. 18.13), den eigenen Angaben der Klägerin folgend, keinen Dauerzustand darstellt und daher auf die durchschnittliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit, die jedenfalls einer weniger stark ausgeprägten Beschränkung der Armhebung als auf 90 Grad entspricht, abzustellen wäre, wäre bei exakter Anwendung der VG kein GdB von 20 vertretbar, sondern allenfalls von 10 (ein GdB von 10 entspricht einer Beschränkung der Armhebung auf über 90 bis 120 Grad). Zugunsten der Klägerin und zur Vermeidung weiterer mit nicht unerheblichen Kosten verbundener Aufklärung im Sinn eines orthopädischen Gutachtens legt der Senat in der Folge jedoch für die Funktionsbeeinträchtigung der rechten Schulter unter Zurückstellung von Bedenken zugunsten der Klägerin einen GdB von 20 zugrunde.

2.2.3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule

Ob im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids eine Verschlechterung des Funktionszustands der Wirbelsäule eingetreten ist, lässt sich mangels Befunde zum Vergleichszeitpunkt nicht mehr sicher aufklären; aber auch bei Zugrundelegung fehlender Funktionsbeeinträchtigungen zum Zeitpunkt des bestandskräftigen Bescheids ist eine für den Gesamt-GdB relevante Verschlimmerung nicht eingetreten. Denn der GdB für die Wirbelsäule ist mit 10, allenfalls 20 im untersten Bereich zu bewerten, was für den Gesamt-GdB nicht von Relevanz ist (vgl. auch VG Teil A Nr. 3 Buchst. d ee).

Wie sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen M. gezeigt hat, sind die bei der Klägerin im Bereich der Wirbelsäule vorliegenden Funktionsstörungen vergleichsweise gering ausgeprägt. So war die Beweglichkeit bei der gutachtlichen Untersuchung weitgehend unbeeinträchtigt und der Finger-Boden-Abstand betrug 0 cm. Die Bewegungsmaße bewegen damit sich im Normbereich. Derart geringe funktionelle Beeinträchtigungen sind nach den VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.9) auch bei Einbeziehung der behaupteten Schmerzen mit einem GdB von allenfalls 10 zu bewerten.

Sofern die Klägerin zur Begründung von Klage und Berufung vorgetragen hat, dass sie unter massiven Funktionsbeeinträchtigungen in allen drei Abschnitten der Wirbelsäule leiden würde, ist diese Behauptung nicht durch die Befundberichte der behandelnden Ärzte gestützt und klar widerlegt durch die Feststellungen des Sachverständigen M.. Auch im Gutachten gemäß § 109 SGG sind keine Befunde dargestellt, die einen GdB von mehr als 20 begründen würden; im Übrigen ist auch diese Gutachterin nur von einem GdB von 10 bis 20 für die Wirbelsäule ausgegangen.

2.2.4. Psychische Gesundheitsstörung/Depression

Es ist im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustands eingetreten, der bei zugunsten der Klägerin großzügigster Betrachtung einen GdB von 20 rechtfertigt.

Wie den Befundberichten der behandelnden Ärzte zu entnehmen ist, hat sich der psychische Gesundheitszustand der Klägerin seit dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung nicht entscheidend verändert. Der Senat geht daher davon aus, dass das vom Sachverständigen Dr. E. erhobene Bild dem entspricht, wie es zum maßgeblichen Zeitpunkt des Herabsetzungsbescheids vorgelegen hat. Wie aus dem Gutachten des Dr. E. ersichtlich wird, liegen eigentlich keine objektiven Befunde dafür vor, von einer krankheitswertigen psychischen Gesundheitsstörung auszugehen. So war der psychiatrische Untersuchungsbefund bei der Untersuchung durch Dr. E. weitgehend unauffällig; auch bei den zuvor durchgeführten Untersuchungen waren allenfalls schwach ausgeprägte Hinweise auf eine depressive Verstimmung der Klägerin zu erkennen. Gleichwohl lässt sich bei großzügigster Betrachtung und einer Zusammenschau aus Gutachten und Befundberichten der behandelnden Ärzte bei Berücksichtigung der VG (vgl. dort Teil B Nr. 3.7) eine Gesundheitsstörung mit einer gewissen Ähnlichkeit zu einer Depression erkennen, die zugunsten der Klägerin mit einem GdB von 20 Berücksichtigung finden kann. Diese Einschätzung bewegt sich aber zweifellos im obersten Bereich des von den VG eröffneten Beurteilungsspielraums.

2.2.5. Migräne

Rechtliche Gründe sprechen gegen eine Berücksichtigung der Migräne im Rahmen einer Entscheidung nach § 48 SGB X; gleichwohl geht der Senat zugunsten der Klägerin im Rahmen der Prüfung davon aus, dass insofern eine Verschlimmerung eingetreten ist und die Migräne - großzügig bewertet - mit einem GdB von 20 zu beurteilen ist.

2.2.5.1. Rechtliche Gründe gegen eine Berücksichtigung der Migräne

Gegen eine Berücksichtigung der Migräne im Rahmen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 48 SGB X spricht, dass die Migräne bereits zum Zeitpunkt des bestandskräftigen Bescheids aus dem Jahr 2009 vorgelegen hat.

Im Rahmen einer Entscheidung gemäß § 48 SGB X können nur die Gesundheitsstörungen Berücksichtigung finden, die Ausdruck einer wesentlichen Änderung im Vergleich zu dem Zustand sind, wie er der zuletzt bestandskräftig gewordenen Entscheidung zugrunde gelegen hat. Für eine Berücksichtigung beim GdB kommen daher nur die Gesundheitsstörungen in Betracht, die nach dem letzten bestandskräftigen Bescheid aufgetreten sind (vgl. zum Bereich der Kriegsopferversorgung und dort zur vergleichbaren Frage der Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen: Urteil des Senats vom 18.03.2013, Az.: L 15 VK 11/11, vom BSG bestätigt mit Beschluss vom 31.07.2013, Az.: B 9 V 31/13 B).

Wie die Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. E. selbst angegeben hat, hat sie unter der Migräne bereits lange vor der Erkrankung der Brust gelitten. Insofern würde - bei strenger rechtlicher Betrachtung - eine Berücksichtigung der Migräne als GdB-relevante Gesundheitsstörung nur im Weg einer Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 SGB X in Betracht kommen, die bislang vom Beklagten nicht getroffen worden ist und daher auch nicht Streitgegenstand sein kann.

2.2.5.2. Berücksichtigung der Migräne zugunsten der Klägerin

Sofern die Migräne gleichwohl Berücksichtigung findet, ist für diese Gesundheitsstörung ein GdB von 20 bei großzügiger Betrachtung vertretbar.

Zugunsten der Klägerin geht der Senat davon aus, dass der Beklagte die Migräne bei seiner Entscheidung gemäß § 48 SGB X berücksichtigt hat, weil er mangels entsprechender Informationen irrtümlich davon ausgegangen ist, dass diese Gesundheitsstörung zum Zeitpunkt der bestandskräftig gewordenen Entscheidung noch nicht vorgelegen hat.

Wie sowohl der Sachverständige M. als auch der neurologisch-psychiatrische Gutachter Dr. E. festgestellt haben, kann für die Migräne ein GdB von 20 bei großzügiger Betrachtung vertreten werden. Diese Betrachtung ist insofern deshalb großzügig, weil sie der Migräne ganz überwiegend die subjektiven Angaben der Klägerin als wahr zugrunde legt, obwohl deren Angaben zur monatlichen Anzahl der Migräneanfälle durchaus wechselnd und damit nicht unbedingt überzeugend sind und auch mit den von ärztlicher Seite angegebenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von 6 (in 2012) und 11 (in 2013) Tagen bei monatlich bis zu vier Migräneattacken von einer Dauer bis zu vier Tagen, in denen die Klägerin nach Angabe ihrer Psychotherapeutin nicht aufstehen kann (vgl. Befundbericht der Psychotherapeutin C. vom 13.08.2014), schwerlich in Einklang zu bringen sind, und jedenfalls bis zum Jahr 2013 und die erstmalige Untersuchung durch Dr. D. keine ausreichenden medikamentösen Therapiemaßnahmen ergriffen worden sind. Erst Dr. D., der die Klägerin erstmals am 25.01.2013 untersucht hat, hat einen Vorschlag zur medikamentösen auch präventiven Therapie gemacht. Insofern ist festzuhalten, dass jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt kaum objektivierbare Belege für eine stärkere Ausprägung der Migräne vorhanden sind, so dass bei Beachtung der Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 2.3: mittelgradige Verlaufsform [häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend]: GdB 20 - 40) nur bei großzügiger Bewertung ein GdB von 20 zugrunde zu legen ist.

2.2.6. Schwerhörigkeit und Tinnitus

Es ist im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids von einer Verschlechterung, die einem Anstieg des GdB von 0 auf 20 entspricht, auszugehen, weil bei der Klägerin eine Einschränkung des Hörvermögens durch ein Audiogramm sowie ein Tinnitus nachgewiesen sind.

Nach den sachverständigen Feststellungen und der Auswertung des zum maßgeblichen Zeitpunkt vorliegenden Audiogramms vom 05.07.2011, aus dem sich ein prozentualer Hörverlust von 55% rechts und 34% links ergibt, lässt sich ein GdB von 20 nur im unteren Bereich feststellen. Dies steht in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 5.2.4).

Sofern die Bevollmächtigten der Klägerin der Meinung sind, dass für die Einschränkung des Hörvermögens ein höherer GdB anzusetzen sei, weil der Klägerin ein Hörgerät verordnet worden sei, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Höhe des GdB ergibt sich aus dem prozentualen Hörverlust und nicht aus der Verordnung eines Hörgeräts. Sollte sich bei der Klägerin zu einem Zeitpunkt nach dem 08.08.2012 eine stärkere Einschränkung des Hörvermögens eingestellt haben, wäre dies im vorliegenden Verfahrens rechtlich unbeachtlich, da eine solche Veränderung nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung eingetreten wäre.

An der zum GdB getroffenen Einschätzung ändert auch nichts die Tatsache, dass die Klägerin das Vorliegen eines Tinnitus angibt. Denn dieser hat, wie sich aus den eingeholten Gutachten ergibt, keine nennenswerten psychischen Begleiterscheinungen und ist daher mit einem GdB von allenfalls 10 nicht erhöhend bei der Beeinträchtigung des Hörvermögens zu berücksichtigen (vgl. VG Teil B Nr. 5.3). Im Übrigen würde eine weitergehende Erhöhung des GdB für den Tinnitus wegen von der Klägerin behaupteter erheblicher psychovegetativer Begleiterscheinungen, die ohnehin nicht nachgewiesen sind, auch eine Doppelbewertung darstellen, da die bei der Klägerin vorliegenden gering ausgeprägten psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen bereits im Rahmen einer Depression großzügigste Berücksichtigung gefunden haben.

2.2.7. Weitere Gesundheitsstörungen

Weitere Gesundheitsstörungen, die einen GdB von 20 oder mehr begründen würden und daher von Bedeutung für die Feststellung des Gesamt-GdB sein könnten (vgl. VG Teil A Nr. 3 Buchst. d ee), liegen nach übereinstimmender Einschätzung aller Sachverständigen, auch der von der Klägerin selbst benannten Gutachterin, nicht vor.

2.2.8. Gesamtbetrachtung

Ein Vergleich des Gesundheitszustands der Klägerin, wie er zum Zeitpunkt des bestandskräftigen Bescheids im Jahr 2009 vorgelegen hat, mit dem Gesundheitszustand, wie er zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 08.08.2012) gegeben war, zeigt, dass eine Besserung eingetreten ist, die eine Herabsetzung des GdB von 50 auf zumindest 40 erfordert.

Was die Bewertung des (Gesamt-)GdB zum maßgeblichen Zeitpunkt betrifft, folgt der Senat der Einschätzung der Sachverständigen M. und Dr. E.. Deren Einschätzung steht in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil A Nr. 3). Dabei weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass der vom Beklagten und auch den Gutachten M. und Dr. E. angenommene GdB von 40 durchaus als sehr großzügig zu bezeichnen ist und dem Senat aufgrund der Erfahrung aus vielen Vergleichsfällen auch eine Herabsetzung auf einen GdB von 30 nicht abwegig erschienen wäre.

2.3. Ergänzende Hinweise

2.3.1. Gutachten der Dr. L.

Das Gutachten, das diese Ärztin für physikalische und rehabilitative Medizin, die die Klägerin auch behandelt, gemäß § 109 SGG erstellt hat, hat wegen erheblicher Lücken und Mängel keine Berücksichtigung finden können und war unverwertbar:

- Wie die Ausführungen der Sachverständigen zur Beweisfrage der Besserung zeigen, sind dieser Gutachterin die in den VG aufgestellten Grundsätze zur Beurteilung einer Gesundheitsstörung mit Heilungsbewährung unbekannt.

Sie hat die Frage einer Besserung verneint und dies damit begründet, dass zwar kein Rezidiv der Brusterkrankung vorliege, sich aber ein neuropathisches Schmerzsyndrom entwickelt habe, was die Lebensqualität deutlich beeinträchtige. Früher sei - so Dr. L. - die Erkrankung der Brust weitgehend symptomlos gewesen. Bei Abwägung dieser beiden Sachverhalte habe sich - so ihre Ansicht - keine Änderung ergeben.

Bei dieser Argumentation verkennt die Sachverständige völlig die Bedeutung der Zeit der Heilungsbewährung und die in den VG aufgestellten Grundsätze zur Festsetzung der Höhe des GdB bei insbesondere malignen Erkrankungen in dieser Zeit. Denn der GdB in der Zeit der Heilungsbewährung muss gerade nicht dem GdB entsprechen, wie er für die rein funktionellen Einschränkungen zugrunde zu legen wäre. Dies wird aus den VG an zwei Stellen deutlich.

VG Teil A Nr. 2. Buchst. h:

„Gesundheitsstörungen, die erst in der Zukunft zu erwarten sind, sind beim GdS nicht zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit des Abwartens einer Heilungsbewährung stellt eine andere Situation dar; während der Zeit dieser Heilungsbewährung ist ein höherer GdS gerechtfertigt, als er sich aus dem festgestellten Schaden ergibt.“

VG Teil A Nr. 7. Buchst. b:

„Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist auch bei gleichbleibenden Symptomen eine Neubewertung des GdS zulässig, weil der Ablauf der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt.“

Die Feststellung des GdB entspricht daher für die Zeit der laufenden Heilungsbewährung einer pauschalen Feststellung, die nicht den funktionellen Einschränkungen entsprechen muss, sondern einen deutlich höheren GdB ergeben kann, als er den funktionellen Einschränkungen entsprechen würde. Erst für die Zeit nach Ablauf der Heilungsbewährung ist der GdB nach den konkreten funktionellen Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bemessen (vgl. BSG, Urteile vom 30.09.2009, Az.: B 9 SB 4/08 R, und vom 02.12.2010, Az.: B 9 SB 4/10 R, Beschluss vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10 B). Trotz weitgehender „Symptomlosigkeit“ kann daher ein GdB von 50 bei einer malignen Erkrankung - wie hier der Fall - in Übereinstimmung mit den VG stehen. Sofern die Sachverständige gemäß § 109 SGG bei der Klägerin keine wesentliche Änderung sieht, berücksichtigt sie die Vorgaben der VG bei der Bewertung von bösartigen Erkrankungen nicht und liefert damit im Übrigen eine deutliche Bestätigung dafür, dass die Annahme aller anderen Sachverständigen, es liege eine Besserung im Sinn des § 48 SGB X vor, richtig ist.

- Dem Gutachten fehlt weitgehend ein sorgfältig und ausreichend erhobener Befund über den Gesundheitszustand der Klägerin als Grundlage für eine nachvollziehbare sozialmedizinische Beurteilung.

- Die Einschätzung der Sachverständigen Dr. L. zu einer chronischen Schmerzstörung samt Angst-Depression-Reaktion ist in keiner Weise nachvollziehbar. Ganz abgesehen davon, dass schon die von der Sachverständigen gestellten Diagnosen nicht plausibel sind, wie dies auch dem Gutachten von Dr. E. zu entnehmen ist, wäre ein GdB von 50 für eine derartige Gesundheitsstörung mit dem bei der Klägerin mehrfach von anderen Gutachtern festgestellten objektiven Befund nicht ansatzweise zu vereinbaren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin ohne größere Arbeitsunfähigkeitszeiten nach wie vor ihrem Beruf als Gymnasiallehrerin nachgeht. Bei einem GdB von 50 für eine psychische Gesundheitsstörung wäre dies nicht nur nicht zu erwarten, sondern so gut wie ausgeschlossen.

2.3.2. Potentielle spätere Änderungen im Gesundheitszustand der Klägerin

Sollten sich nach dem maßgeblichen Zeitpunkt Verschlechterungen im Gesundheitszustand der Klägerin ergeben haben, wären diese aus rechtlichen Gründen in diesem Verfahren nicht zu berücksichtigen, da Gegenstand des Verfahrens eine Besserungsentscheidung ist. Die Klägerin müsste insofern derartige Veränderungen in ihrem Gesundheitszustand im Weg eines neuen Verschlimmerungsantrags geltend machen.

3. Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. D.

Der erstmals am 08.06.2015 gestellte und in der mündlichen Verhandlung am 13.07.2015 wiederholte Antrag gemäß § 109 SGG wurde grob fahrlässig zu spät gestellt und ist daher zurückzuweisen. Denn anderenfalls hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits verzögert.

Gemäß § 109 Abs. 1 SGG ist im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Behinderten ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. Die Anhörung kann von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Abgelehnt werden kann die Anhörung nur unter den Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG. Eine Ablehnung ist möglich, wenn der Antrag entweder in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit zu spät vorgebracht worden ist und sich bei einer Zulassung des Beweisantrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

Grobe Nachlässigkeit ist das Außerachtlassen jeder prozessualen Sorgfalt. Sie liegt regelmäßig dann vor, wenn der behinderte Mensch oder dessen Bevollmächtigter den Antrag auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG nicht in angemessener Frist stellt, obwohl er erkennt oder erkennen muss, dass die von Amts wegen durchzuführende Beweisaufnahme beendet ist (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 303/57).

Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags gemäß § 109 SGG sind vorliegend gegeben.

Mit Schreiben vom 10.04.2015 hat der Berichterstatter des Senats den Bevollmächtigten der Klägerin das für diese im Ergebnis negative Gutachten des Dr. E. vom 05.02.2015 mit ausführlichen Erläuterungen und dem Hinweis darauf, dass die Beweisaufnahme von Amts wegen abgeschlossen sei und Erfolgsaussichten für die Berufung nicht zu erkennen seien, übersandt. Dabei hat der Berichterstatter, gerade mit Blick auf den zu dieser Zeit herrschenden Poststreik, eine besonders großzügige Frist bis zum 25.05.2015 (Eingang bei Gericht) gesetzt. Den rechtskundigen Bevollmächtigten der Klägerin musste daher bewusst sein, dass ein Antrag gemäß § 109 SGG nur innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist zulässig war. Gleichwohl haben sie innerhalb der Frist keinen Sachverständigen nach § 109 SGG benannt, sondern nur eine Fristverlängerung beantragt. Dies reicht nicht für eine fristwahrende Antragstellung gemäß § 109 SGG aus. Denn ein Antrag gemäß § 109 SGG setzt voraus, dass der Antrag klar und unmissverständlich und mit dem - zumindest bestimmbaren - Namen des Arztes gestellt wird; eine lediglich unbestimmte Ankündigung eines Antrags gemäß § 109 SGG reicht nicht (vgl. BSG, Beschluss vom 23.10.1957, Az.: 4 RJ 142/57, Urteil vom 04.11.1959, Az.: 9 RV 862/56).

Den Antrag gemäß § 109 SGG haben die Bevollmächtigten der Klägerin erst am 08.06.2015 gestellt und damit zu einem Zeitpunkt, an dem die vom Gericht gesetzte Frist bereits seit rund zwei Wochen abgelaufen war. Diese Überschreitung der Frist erfolgte grob fahrlässig mit der Konsequenz, dass die Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG vom Gericht abgelehnt werden kann.

Die Bevollmächtigten der Klägerin können die verspätete Antragstellung nicht damit entschuldigen, dass das gerichtliche Schreiben vom 10.04.2015 erst am 23.04.2015 bei ihnen eingegangen sei. Sofern die Bevollmächtigten der Klägerin dem Senat unterstellen, es sei die Absicht des Senats gewesen, der Klägerin sechs Wochen Zeit ab Kenntnis der gerichtlichen Aufforderung zur Stellungnahme für eine Antragstellung gemäß § 109 SGG zu geben, irren sie. Vielmehr hat der Berichterstatter des Senats gerade mit Blick auf potentielle (auch streikbedingte) Verzögerungen in der Postzustellung eine großzügige Frist von sechs Wochen gesetzt, um auf jeden Fall, also auch bei einer verzögerten Übermittlung des gerichtlichen Schreibens, sicherzustellen, dass der Klägerin bis zum Ablauf der gerichtlich gesetzten Frist genügend Zeit verbleibt, zusammen mit ihren Bevollmächtigten über eine Antragstellung gemäß § 109 SGG zu beraten. Sofern die Bevollmächtigten der Klägerin offenbar davon ausgehen, dass eine Frist von vier Wochen, wie sie im vorliegenden Fall tatsächlich ab Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 10.04.2015 eröffnet war, zu kurz wäre, irren sie. Vielmehr ist eine Frist von vier Wochen für die Stellung eines Antrags gemäß § 109 SGG bei weitem ausreichend. Dabei nimmt der Senat Bezug auf die Rechtsprechung des BSG, der ausdrücklich eine Frist von sechs Wochen sogar als unnötig lang angesehen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 10.12.1958, Az.: 4 RJ 143/58; Urteil des Senats vom 18.03.2015, Az.: L 15 SB 127/14).

Da die Zulassung des Antrags gemäß § 109 SGG einer Entscheidung in der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2015 entgegengestanden wäre und daher das Verfahren verzögert hätte, war der Antrag zurückzuweisen.

4. Abschließender informatorischer Hinweis der Vollständigkeit halber

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies im vorliegenden Verfahren wegen des maßgeblichen Zeitpunkts von rechtlicher Bedeutung wäre, weist der Senat die Klägerin auf Folgendes hin:

Selbst wenn der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren der maßgebliche Zeitpunkt gewesen wäre, hätte die Berufung keinen Erfolg haben können. Denn bei Würdigung sämtlicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Klägerin, wie sie sich zuletzt im Berufungsverfahren gezeigt haben, käme ein höherer GdB als 40 nicht in Betracht. Dies ergibt sich insbesondere aus dem aktuellen Gutachten des Dr. E. vom 05.02.2015, das im Berufungsverfahren eingeholt worden ist. Dr. E. hat, vorsorglich befragt zu der Bewertung des GdB zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung, die überzeugende Einschätzung geäußert, dass der GdB nach wie vor mit 40 einzustufen sei. Weder bei den das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet betreffenden Gesundheitsstörungen noch bei den Gesundheitsstörungen auf für ihn fachfremden Gebieten hat er Anhaltspunkte dafür erkennen können, dass die Behinderungen nicht korrekt bewertet worden wären. Seine Einschätzung zum GdB hat er im Rahmen seines Gutachtens ausführlich begründet, wobei - wie auch schon oben dargestellt - die Einschätzung zu den Einzel-GdB und damit auch zum Gesamt-GdB durchaus sehr großzügig für die Klägerin ist. Irgendwelche Hinweise, auch von Seiten der Klägerin, darauf, dass sich ihr Gesundheitszustand seitdem weiter verschlechtert hätte, gibt es nicht, auch nicht betreffend das Hörvermögen. Aber sogar selbst dann, wenn sich seit dem Audiogramm vom 05.07.2011 das Hörvermögen der Klägerin weiter verschlechtert haben sollte, so dass jetzt auf beiden Ohren eine mittelgradige Schwerhörigkeit vorliegen würde, was die Bevollmächtigten der Klägerin lediglich deswegen vermutet haben, weil der Klägerin ein Hörgerät verordnet worden ist, ohne aber dafür weitere Befunde vorzulegen, würde dies keinen Gesamt-GdB von 50 bewirken. Denn eine auf beiden Ohren vorliegende mittelgradige Schwerhörigkeit begründet einen GdB von 30 keinesfalls im oberen Bereich, sondern eher im unteren Bereich. Denn selbst dann, wenn auf einem Ohr eine mittelgradige Schwerhörigkeit gegeben wäre, auf dem anderen Ohr aber bereits eine hochgradige Schwerhörigkeit, würde dies keinen höheren GdB als 30 bedeuten (vgl. VG Teil B Nr. 5.2.4). Angesichts der Tatsache, dass der bei der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt festgestellte GdB von 40 eine für die Klägerin ausgesprochen großzügige Bewertung darstellt, würde eine Erhöhung des Einzel-GdB für das Hörvermögen von 20 auf 30 noch keine Bedeutung für die Höhe des Gesamt-GdB haben, wobei für die vorgenannte Einschätzung zum Gesamt-GdB keine weitere sachverständige Stellungnahme erforderlich wäre, sondern dies der Senat aufgrund tatrichterlicher Kompetenz in freier Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) feststellen dürfte (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Urteil vom 29.11.1956, Az.: 2 RU 121/56, Beschlüsse vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10 B, und vom 27.05.2015, Az.: B 9 SB 66/14 B).

Die Klägerin hat daher mit ihrer Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 13. Juli 2015 - L 15 SB 16/14 zitiert 14 §§.

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 48 Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse


(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltun

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

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(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft m

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 69 Kontinuität der Bemessungsgrundlage


Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnun

Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV | § 2 Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“


Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung#F1_771649als deren Bestandteil festgelegt.

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Tenor I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Februar 2014 wird insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen, als die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG begehrt. II. Der Bekla

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Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 26. August 2009 aufgehoben.

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 26. August 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers nach dem Schwerbehindertenrecht.

2

Wegen eines juxtakortikalen Chondrosarkoms (bösartiger Knochentumor) im Bereich des linken Schulterblattes bei familiärer Osteochondromatose wurde am 23.9.2002 bei dem 1960 geborenen Kläger eine subtotale Schulterblattentfernung links durchgeführt.

3

Auf seinen im September 2002 angebrachten Antrag stellte das Amt für Familie und Soziales Leipzig durch Bescheid vom 2.6.2003 wegen "Erkrankung des Schulterblattes links (in Heilungsbewährung), Teilverlust des Schulterblattes links, Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links" einen GdB von 50 fest. Den Widerspruch des Klägers wies das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales (Landesversorgungsamt) durch Widerspruchsbescheid vom 8.9.2003 zurück. Nach Überprüfung aufgrund gerichtlichen Vergleichs (Sozialgericht Leipzig - S 2 SB 277/03) stellte die ehemalige sächsische Versorgungsverwaltung mit Bescheid vom 30.1.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.3.2005 fest, dass der GdB weiter 50 betrage.

4

Nach Beweiserhebung hat das vom Kläger angerufene SG Leipzig die auf Feststellung des GdB mit 80 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 24.7.2007). Zur Überzeugung des Gerichts sei das Chondrosarkom des Schulterblattes im Frühstadium entfernt worden, so dass nach Nr 26.1 Abs 3 Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ein GdB von 50 angemessen sei. Die beim Kläger verbliebenen Organ- und Gliedmaßenschäden seien nicht mit einem GdB von mehr als 50 zu bewerten, so dass der Gesamt-GdB ebenfalls 50 betrage.

5

Während des vom Kläger geführten Berufungsverfahrens ist die beklagte Stadt Leipzig an die Stelle des Freistaates Sachsen getreten. Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat den bereits erstinstanzlich als Sachverständigen gehörten Unfallchirurgen Prof. Dr. J. ergänzend befragt sowie ein weiteres Sachverständigengutachten von dem Orthopäden Prof. Dr. W. beigezogen. Prof. Dr. J. ist in seiner Stellungnahme vom 10.11.2008 bei seiner im Gutachten vom 14.10.2006 vertretenen Auffassung verblieben, dass die generalisierten funktionellen Defizite des Klägers die Einschätzung eines GdB von 60 rechtfertigten. Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 2.12.2008 die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 70 für gerechtfertigt gehalten.

6

           

Durch Urteil vom 26.8.2009 hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Richtiger Klagegegner sei die Stadt Leipzig. Der Freistaat Sachsen sei aufgrund einer Zuständigkeitsänderung durch sächsische Landesgesetze zum 1.8.2008 kraft Gesetzes aus dem Verfahren ausgeschieden und durch die Beklagte ersetzt worden. Diese landesgesetzlichen Bestimmungen stünden mit höherrangigem Recht in Einklang.

7

Der Bescheid vom 2.6.2003 und der Bescheid vom 30.1.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.3.2005 seien rechtmäßig. Die vorliegende Osteochondromatose könne nicht mit einem alle betroffenen Körperteile abdeckenden GdB bewertet werden. Sie sei in den AHP nicht aufgeführt und auch nicht mit einer Gelenkerkrankung des rheumatisch entzündlichen Formenkreises vergleichbar. Die sich daraus ergebenden Funktionsstörungen seien daher einzeln zu bewerten. Es ergäben sich Einzel-GdB von jeweils 10 für die leichte Funktionsstörung im Bereich des linken Hüftgelenks, das leichte Funktionsdefizit in den oberen Sprunggelenken, die mittelschweren Funktionsdefizite beider Handgelenke und Unterarme sowie ein Teil-GdB von 20 für die schwere Funktionsstörung im Bereich des linken Schultergelenks. Der Zustand nach Entfernung des Chondrosarkoms des Schulterblattes links sei, wie es auch das SG zutreffend angenommen habe, mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten, weil die Entfernung im Frühstadium erfolgt sei. Nach Nr 26.1 Abs 3 AHP bzw Teil B Nr 1.c Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (Anl VersMedV) sei der GdB für das Chondrosarkom von 50 nicht entsprechend höher zu bewerten, da weder der verbliebene Körperschaden bzw Organ- oder Gliedmaßenschaden noch außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung einen GdB von 50 oder mehr bedingten. Bis zum Ablauf der Heilungsbewährung - in der Regel bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Geschwulstbeseitigung - sei beim Kläger somit ein GdB von 50 festzustellen. Prof. Dr. J. habe die Einzel-GdB zu einem Gesamt-GdB von 60 addiert, was unzulässig sei. Prof. Dr. W. habe bei seiner Gesamt-GdB-Bildung nicht die Maßgabe nach Nr 26.1 Abs 3 AHP bzw Teil B Nr 1.c Anl VersMedV beachtet.

8

Mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 69 Abs 1 SGB IX iVm den AHP und der Anl VersMedV geltend. Das angefochtene Urteil weiche zur Bildung des Gesamt-GdB insbesondere von dem Urteil des BSG vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - ab. Zudem habe das LSG den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Insbesondere zur Frage, ob der Tumor im Frühstadium oder in einem anderen Stadium entfernt worden sei, habe das LSG seinen Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen. Ebenfalls habe das LSG den Sachverhalt hinsichtlich der von ihm - dem Kläger - behaupteten Vererblichkeit seiner Erkrankung nicht hinreichend aufgeklärt. Zudem habe das LSG den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) verletzt, indem es überraschend und ohne eigene Sachkunde keinem der beiden vorinstanzlich gehörten ärztlichen Fachgutachter gefolgt sei. Schließlich habe das LSG gegen § 62 SGG auch dadurch verstoßen, dass es dem Sachverständigen Prof. Dr. Wirth höhere Sachkunde zugesprochen habe als Prof. Dr. J. Hierzu habe er - der Kläger - sich nicht äußern können.

9

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 26. August 2009 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 24. Juli 2007 sowie die Bescheide des Amtes für Familie und Soziales Leipzig vom 2. Juni 2003 und 30. Januar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes vom 30. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm ab 6. September 2002 einen höheren GdB als 50 festzustellen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

12

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

14

Im Laufe des Berufungsverfahrens ist auf Beklagtenseite kraft Gesetzes ein Beteiligtenwechsel erfolgt (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, RdNr 13 f; BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 20). Zum 1.8.2008 ist die Stadt Leipzig an die Stelle des Freistaates Sachsen getreten, weil von diesem Zeitpunkt an die bis dahin von den Ämtern für Familie und Soziales des Landes wahrgenommenen Aufgaben des Schwerbehindertenrechts nach dem SGB IX auf die Landkreise und kreisfreien Städte übertragen worden sind. Dies geschah durch Art 44 Nr 5 Gesetz zur Neuordnung der Sächsischen Verwaltung vom 29.1.2008 (Sächsisches GVBl 138) und ergänzender landesrechtlicher Regelungen, deren Inhalt als Landesrecht das LSG für das Revisionsgericht bindend festgestellt hat (§ 202 SGG iVm § 560 ZPO; s Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 162 RdNr 7). Einwendungen gegen diese Feststellungen des Inhalts des Sächsischen Landesrechtes sind nicht erhoben worden.

15

Diese durch das Sächsische Landesgesetz erfolgte Zuständigkeitsänderung ist mit revisiblem Recht (vgl § 162 SGG) vereinbar. Sie ist rechtswirksam erfolgt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu der dem erwähnten sächsischem Landesrecht ähnlichen Zuständigkeitsveränderung in Nordrhein-Westfalen verstößt die Übertragung der Aufgaben des Schwerbehindertenrechts auf die Kreise und kreisfreien Städte nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des Grundgesetzes (Urteile vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - juris und - B 9 SB 3/08 R - juris, Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 1/10 R - juris; zur Übertragung der Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung und der Opferentschädigung auf die Kommunalen Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen s Urteile vom 11.12.2008 - B 9 V 3/07 R - SGb 2009, 95 und - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1). Die für die Verwaltungsreform in Nordrhein-Westfalen geltende Rechtslage muss in gleicher Weise für die ebenfalls durch formelles Landesgesetz erfolgte Zuständigkeitsänderung in Sachsen gelten. Gegenteilige rechtliche Bedenken sind nicht ersichtlich und auch vom Kläger nicht vorgebracht worden.

16

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines höheren GdB als 50 ab Antragstellung im September 2002. Darüber ist in den angefochtenen Bescheiden vom 2.6.2003 und 30.1.2004 ablehnend entschieden, denn darin ist für den Kläger lediglich ein GdB von 50 festgestellt worden. Weitere Bescheide, insbesondere für die Zeit nach Ablauf der Heilungsbewährung sind nicht ergangen.

17

Ob der Kläger, wie das LSG entschieden hat, nur Anspruch auf die bereits erfolgte Feststellung eines GdB von 50 oder, wie der Kläger geltend macht, Anspruch auf Feststellung eines darüber hinausgehenden GdB hat, kann der Senat auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG (s § 163 SGG) noch nicht abschließend entscheiden.

18

Rechtsgrundlage für einen möglichen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines höheren GdB als 50 ist § 69 Abs 1 und Abs 3 SGB IX vom 19.6.2001 (BGBl I 1046), für die Zeit ab 1.5.2004 idF des Gesetzes vom 23.4.2004 (BGBl I 606; aF) sowie - für die Zeit ab 21.12.2007 - idF des Gesetzes vom 13.12.2007 (BGBl I 2904; nF). Nach § 69 Abs 1 Satz 1 SGB IX (aller Fassungen) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs 1 Satz 4 SGB IX (aller Fassungen) die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, wird der GdB gemäß § 69 Abs 3 Satz 1 SGB IX (aller Fassungen) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

19

Gemäß § 69 Abs 1 Satz 5 SGB IX in den bis zum 20.12.2007 maßgeblichen Fassungen (aF) gelten bei der Feststellung der Behinderung (des GdB) die Maßstäbe des § 30 Abs 1 BVG entsprechend(BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 16 bis 21 mwN). Durch diesen Verweis stellt § 69 SGB IX auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem ab, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden iS der Nr 5 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG sind. Von diesen Mindestvomhundertsätzen leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der AHP ab. In § 69 Abs 1 Satz 5 SGB IX in der ab 21.12.2007 geltenden Fassung (nF) wird zusätzlich auf die auf Grund des § 30 Abs 17 BVG mit Wirkung ab 1.1.2009 erlassene Rechtsverordnung Bezug genommen. Anzuwenden sind vorliegend für die Zeit ab Antragstellung im September 2002 bis zum Ende des Jahres 2008 die AHP 1996, 2004, 2005 und 2008. Für die Zeit ab 1.1.2009 ist die Anl VersMedV Grundlage für die Feststellung des GdB. Aus diesem Wechsel ergeben sich hier keine inhaltlichen Abweichungen, da der Wortlaut der maßgebenden Abschnitte der AHP und der Anl VersMedV ("Versorgungsmedizinische Grundsätze") identisch ist.

20

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist davon auszugehen, dass die AHP grundsätzlich den Maßstab angeben, nach dem der GdB einzuschätzen ist (BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9). Bei den AHP handelt es sich um antizipierte Sachverständigengutachten, die im konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten sind (zum Ganzen s BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25 mwN). Entsprechendes gilt für die seit dem 1.1.2009 in Kraft befindliche VersMedV als verbindliche Rechtsquelle. Zweifel am Inhalt der AHP oder der Anl VersMedV, der durch besondere, vor allem medizinische Sachkunde bestimmt ist, sind vorzugsweise durch Nachfrage bei dem verantwortlichen Urheber, hier also beim Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin bzw bei dem für diesen geschäftsführend tätigen BMAS (§ 3 VersMedV) zu klären (vgl dazu BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 6/06 R - juris RdNr 21). Im Übrigen sind AHP und VersMedV auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen(BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R -, SozialVerw 2009, 59, 62 mwN). Dabei sind sie im Lichte des § 69 SGB IX auszulegen. Bei nach entsprechender Auslegung verbleibenden Verstößen gegen § 69 SGB IX sind diese Rechtsquellen nicht anzuwenden(BSG Urteil vom 23.4.2009, aaO).

21

Bei der Feststellung des (Gesamt)-GdB ist das seit jeher im Schwerbehindertenrecht geltende Finalitätsprinzip (zum Rechtszustand nach dem Schwerbehindertengesetz s BSG SozR 3870 § 57 Nr 1 S 5; s auch Teil A Nr 2.a Satz 1 Anl VersMedV) zu beachten, das sowohl im Behinderungsbegriff des § 2 Abs 1 SGB IX als auch in den Prinzipien zur Feststellung des GdB nach § 69 Abs 1 und Abs 3 SGB IX festgeschrieben worden ist. Danach sind alle dauerhaften Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrem Entstehungsgrund zu erfassen und ihre Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu berücksichtigen (BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a SB 4/07 R - zum Begriff der sog Organkomplikationen unter Hinweis auf Knickrehm, SGb 2008, 220, 221; s auch Nr 18 Abs 1 AHP/Teil A Nr 2.a Anl VersMedV). Das BSG (aaO) hat dargelegt, dass möglicherweise durch eine Haupterkrankung (dort: Diabetes Mellitus) hervorgerufene Gesundheitsstörungen (dort: zB Netzhautveränderungen etc) wie von der Haupterkrankung unabhängig entstandene Gesundheitsstörungen zu behandeln sind und in ihren Auswirkungen auf die Teilhabefähigkeit unabhängig von dem für die Haupterkrankung festzustellenden Einzel-GdB separat zu berücksichtigen sind. Entsprechend hat das BSG im Falle der durch die Haupterkrankung (Schilddrüsenentfernung wegen Karzinom) hervorgerufenen Verletzung eines Stimmbandnervs entschieden (BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10). Danach begegnet es durchgreifenden Bedenken, mit der GdB-Bewertung eines Zustands nach Tumorentfernung während der Heilungsbewährung auch abgrenzbare und nennenswerte Schäden an anderen Organen zu erfassen, die nicht immer mit einer derartigen Behandlung verbunden sind.

22

Gemäß Nr 26.1 Abs 3 AHP und Teil B Nr 1.c Anl VersMedV ist nach Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, insbesondere bei bösartigen Geschwulsterkrankungen, eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der Zeitraum der Heilungsbewährung beträgt in der Regel fünf Jahre, und zwar ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann. Die hinsichtlich der häufigsten und wichtigsten solcher Krankheiten im Folgenden angegebenen GdB/MdE/GdS-Anhaltswerte sind auf den "Zustand nach operativer oder anderweitiger Beseitigung der Geschwulst bezogen". Sie beziehen den "regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden ein". "Außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung - zB langdauernde schwere Auswirkungen einer wiederholten Chemotherapie - sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen". Ferner bestimmt Nr 26.1 Abs 3 AHP/Teil B Nr 1.c Anl VersMedV, dass, sofern bis zum Ablauf der Heilungsbewährung der GdB während dieser Zeit 50 beträgt, der GdB entsprechend höher zu bewerten ist, wenn der verbliebene Organ- oder Gliedmaßenschaden und/oder außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung einen GdB von 50 oder mehr bedingen.

23

Wie der Begriff des Organschadens zu verstehen ist, ist in den AHP und der Anl VersMedV nicht näher geregelt. Der erkennende Senat hat dazu mehrere Möglichkeiten aufgezeigt (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 28). Jedenfalls aber darf die Einschätzung des Gesamt-GdB nicht unterschiedlich ausfallen in Fällen, in denen der Organschaden schon vor der Krebsoperation vorhanden war, und Fällen, in denen er erst mit oder nach der Operation aufgetreten ist (BSG aaO, RdNr 30, 31). Soweit Nr 26.1 Abs 3 letzter Satz AHP und Teil B Nr 1.c letzter Satz Anl VersMedV bestimmen, dass der wegen Heilungsbewährung anzunehmende GdB erhöht werden muss ("ist … höher zu bewerten"), wenn der verbliebene Organ- oder Gliedmaßenschaden (Körperschaden) - für sich allein - einen GdB von 50 oder mehr bedingt, kann sich diese Regelung mithin nur auf den von der Geschwulsterkrankung betroffenen Körperteil und die mit der Tumorentfernung typischerweise verbundenen Schäden beziehen. Ob die festgelegte Grenze eines GdB von 50 für derartige verbliebene Organ- oder Gliedmaßenschäden zu hoch angesetzt ist, muss hier nicht erörtert werden; denn die schwere Funktionsstörung des linken Schultergelenks, die neben dem Teilverlust des linken Schulterblatts als vom GdB des Zustands nach Tumorentfernung miterfasst angesehen werden könnte, bedingt nach den bisherigen Feststellungen des LSG nur einen GdB von 20.

24

Die Feststellung des GdB ist tatrichterliche Aufgabe (BSGE 4, 147, 149 f; BSGE 62, 209, 212 ff = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 83 f; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 10; zur Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung als Tatsachenfeststellung s zuletzt BSG SozR 4-2700 § 56 Nr 2 RdNr 10 mwN) und kann im Revisionsverfahren nur durch entsprechende Verfahrensrügen angegriffen werden (vgl § 163 SGG). Sie ist jedoch in den dargestellten rechtlichen Rahmen eingebettet, den Verwaltung und Tatsachengerichte zwingend zu beachten haben. Entsprechende Rechtsverstöße durch das Tatsachengericht sind vom Revisionsgericht zu beanstanden (§ 162 SGG).

25

Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s § 2 Abs 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese - soweit möglich - den in den AHP/der Anl VersMedV genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl Nr 19 Abs 3 AHP/Teil A Nr 3.c Anl VersMedV) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der Tabelle der AHP/Anl VersMedV feste GdB/MdE-Werte bzw feste GdS-Werte angegeben sind (vgl Nr 19 Abs 2 AHP/Teil A Nr 3.b Anl VersMedV).

26

Ausgehend von diesen rechtlichen Rahmenbedingungen hat das LSG im ersten Verfahrensschritt Feststellungen über die beim Kläger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen getroffen, die für das Revisionsgericht bindend sind, zumal sie vom Kläger nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind (§ 163 SGG). Danach liegen ein Zustand nach Entfernung eines Chondrosarkoms mit Teilentfernung des linken Schulterblattes und schwerer Funktionsstörung im Bereich des linken Schultergelenks sowie - im Wesentlichen auf der Grundlage einer familiären Osteochondromatose - Funktionsstörungen im Bereich des linken Hüftgelenks und der oberen Sprunggelenke, mittelschwere Funktionsdefizite beider Handgelenke und Unterarme vor. Soweit sich der Kläger gegen die Feststellung des LSG wendet, das Chondrosarkom sei im Frühstadium entfernt worden, betrifft sein Vorbringen weniger den gegenwärtigen Gesundheitszustand, sondern vielmehr ein Merkmal, das nach Nr 26.1 Abs 3 AHP bzw Teil B Nr 1.c Anl VersMedV für die pauschale GdB-Bemessung während der Heilungsbewährung von Bedeutung ist.

27

Der Senat lässt es dahinstehen, inwiefern die vom LSG im zweiten Verfahrensschritt vorgenommenen Feststellungen über die Zuordnung der Gesundheitsstörungen zu in den AHP und der Anl VersMedV aufgeführten Funktionssystemen und deren Bewertung mit jeweils einem Einzel-GdB bindend sind. Insbesondere bleibt offen, ob die vom LSG auf Nr 26.1 Abs 3 AHP und Teil B Nr 1.c Anl VersMedV gestützte Bewertung des Einzel-GdB für den Zustand nach Entfernung des Chondrosarkoms insoweit auf einer das BSG bindenden Tatsachenfeststellung beruht, als das LSG angenommen hat, die Entfernung sei im Frühstadium erfolgt. Denn selbst wenn die Bewertung des Einzel-GdB für den Zustand nach Tumorentfernung mit 50 im Ansatz zutreffend sein sollte, begegnet das weitere Vorgehen des LSG durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

28

Das LSG hat die Regelung der Nr 26.1 Abs 3 AHP bzw Teil B Nr 1.c Anl VersMedV unrichtig angewendet. Es hat bereits verkannt, dass diese Bestimmungen nur die Ermittlung des Einzel-GdB für den Zustand nach Tumorentfernung während der Heilungsbewährung und nicht die Bemessung des Gesamt-GdB betreffen. Es hätte zudem nicht alle mit der familiären Osteochondromatose des Klägers zusammenhängenden Funktionsstörungen in die Bemessung des Einzel-GdB für den Zustand nach Tumorentfernung einbeziehen, sondern insoweit nur die unmittelbar damit verbundenen Schäden berücksichtigen dürfen. Wäre danach der Einzel-GdB von 50 nicht zu erhöhen gewesen, so hätten die übrigen Gesundheitsstörungen (insbesondere im Bereich der Hände, Unterarme, Hüft- und Sprunggelenke) in einem dritten Verfahrensabschnitt in die Bildung des Gesamt-GdB einbezogen werden müssen.

29

Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Vorgehensweise zu einem höheren Gesamt-GdB als 50 hätte führen können. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die betreffenden Funktionsstörungen nach den Feststellungen des LSG jeweils nur einen GdB von 10 bedingen.

30

Nach Nr 19 Abs 4 AHP und Teil A Nr 3.d.ee Anl VersMedV führen, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Ein derartiger Ausnahmefall könnte hier vorliegen. Die vom LSG festgestellten Beweglichkeitseinschränkungen am linken Hüftgelenk, den Handgelenken und Unterarmen sowie den oberen Sprunggelenken sind offenbar einer sog Systemerkrankung - nämlich einer familiären Osteochondromatose - zuzuordnen. Dadurch könnten die Auswirkungen der einzelnen Erscheinungen insgesamt ein stärkeres Gewicht erhalten. Hinzu könnten besondere seelische Begleiterscheinungen kommen, die sich aus der Vererblichkeit dieser Erkrankung ergeben.

31

Sollte der Kläger - wie seinem Vorbringen entnommen werden könnte - darüber hinaus an einer psychischen Erkrankung leiden, wäre diese mit einem Einzel-GdB zu bewerten und bei der Bildung des Gesamt-GdB gesondert zu berücksichtigen.

32

Nach alledem fehlen weitere tatrichterliche Feststellungen, die das BSG im Revisionsverfahren nicht nachholen kann. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

33

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG erneut zu prüfen und festzustellen haben, ob sich das Chondrosarkom des linken Schulterblattes bei seiner Entfernung tatsächlich erst im Frühstadium oder - wie der Kläger geltend macht - in einem fortgeschrittenen Stadium befunden hat. Letzteres würde nach Nr 26.1 Abs 3 AHP bzw Teil B Nr 1.c Anl VersMedV während der Heilungsbewährung zu einem höheren Einzel-GdB führen.

34

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Mai 2010 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Durch Urteil vom 21.5.2010 hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers von 50 auf 30 wegen Ablaufs einer Heilungsbewährung bestätigt. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil er den behaupteten Zulassungsgrund nicht so dargelegt hat, wie es § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt.

3

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

4

Der Kläger hält die Frage für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" zur Versorgungsmedizin-Verordnung in ihrem Wortlaut und ihrer Rechtsanwendungspraxis bei karzinogenen Erkrankungen im Einklang mit dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nach wie vor eine Herabstufung unter einen Gesamt-GdB von 50 vorsehen darf. Bei dieser Frage handelt es sich nicht zweifelsfrei um eine reine Rechtsfrage, also eine Frage, die allein unter Anwendung juristischer Methodik beantwortet werden kann.

5

Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (BSGE 4, 147, 149 f; BSGE 62, 209, 212 ff = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 83 f; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 10), wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss. Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sog antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) einbezogen worden. Dementsprechend sind die AHP nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (s BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25 mwN). Für die seit dem 1.1.2009 geltende Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zur Versorgungsmedizin-Verordnung gilt das Gleiche.

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Die Feststellung des GdB ist dabei in einen rechtlichen Rahmen eingebettet, den das Tatsachengericht zwingend zu beachten hat. Rechtlicher Ausgangspunkt ist stets § 69 Abs 1, 3 und 4 SGB IX(s zuletzt BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 16 bis 21 mwN). AHP und VG setzen die gesetzlichen Vorgaben um, wobei insbesondere auch medizinische Sachkunde zum Tragen kommt. Es kann hier offenbleiben, inwieweit in diesem Rahmen grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG auftreten können. Jedenfalls hat der Kläger die höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargetan.

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Es wird schon nicht deutlich, auf welche Bestimmung der VG sich die Frage des Klägers bezieht. Sollte er insoweit auf Teil B Nr 1 Buchst c VG Bezug nehmen, so hätte er darlegen müssen, inwieweit sich daraus ergebe, dass eine Herabsetzung des GdB auf unter 50 zwingend vorgesehen sei. Besonderer Ausführungen hätte es schon deshalb bedurft, weil die betreffende Vorschrift an sich nur die pauschal bemessene Höhe des GdB während der Heilungsbewährung regelt. Für die Zeit danach ist der GdB nach den konkreten Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bemessen (vgl dazu Teil A Nr 2 VG). Dabei sind selbstverständlich auch seelische Begleiterscheinungen und erst recht psychische Störungen, auf die der Kläger hinweist, zu berücksichtigen (vgl Teil A Nr 2 Buchst i VG). Insoweit ist nicht klar, inwiefern die VG nach Ansicht des Klägers in diesem Zusammenhang rechtliche Zweifelsfragen aufwerfen.

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Letztlich zielt die Frage des Klägers offenbar auf eine (möglichst unbeschränkte) Verlängerung der Heilungsbewährungszeit und der damit verbundenen pauschalen GdB-Bemessung. Sicher würde die Regelung in Teil B Nr 1 Buchst c VG gegen § 69 SGB IX verstoßen, wenn sie nicht dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entspräche(vgl § 69 Abs 1 Satz 5 SGB IX iVm § 30 Abs 17 BVG; dazu auch § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung). Da es zu den Aufgaben des beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales gebildeten Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin gehört, die Fortentwicklung der VG entsprechend dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft vorzubereiten, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Bestimmungen der VG diesem Qualitätsmaßstab entsprechen. Insoweit hätte es näherer Darlegungen des Klägers dazu bedurft, inwiefern aufgrund neuerer medizinischer Erkenntnisse eine längere Heilungsbewährungszeit geboten sein könnte. Der Kläger beschränkt sich hingegen auf allgemeine Behauptungen, ohne auf wissenschaftliche Quellen Bezug zu nehmen. Das reicht nicht aus.

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Soweit der Kläger schließlich die in seinem Fall erfolgte GdB-Bemessung angreift, rügt er im wesentlichen die berufungsgerichtliche Sachverhaltsaufklärung und Beweiswürdigung, ohne die Beschränkungen zu berücksichtigen, die sich bei behaupteten Verletzungen von § 103 und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG für die Revisionszulassung aus § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ergeben.

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Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Februar 2014 wird insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen, als die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG begehrt.

II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch darauf hat, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) festgestellt werden.

Die Klägerin ist 1943 geboren. Bei einem Skiunfall im Alter von sieben Jahren erlitt sie einen Bruch des linken Oberschenkels, der in der Folge zu diversen Komplikationen und Operationen führte.

Zuletzt waren in Umsetzung des Urteils des Senats vom 25.08.2005, Az.: L 15 SB 35/00, mit Bescheid vom 07.11.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G anerkannt worden. Dem waren folgende Gesundheitsstörungen zu Grunde gelegt worden:

  • 1.Funktionsbehinderung der rechten unteren Extremität bei eingeschränkter Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes und ausgeprägten Knorpelschäden, anhaltende Reizerscheinungen bei Beinverkürzung um 3,5 cm sowie Innenrotationsfehlstellung (Einzel-GdB 40),

  • 2.Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Muskel- und Nervenwurzelreizerscheinungen, Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 30).

Mit Schreiben vom 25.10.2010 beantragte die Klägerin die Ausstellung eines "Behindertenfahrausweises" aufgrund ihrer Brustoperation. Mit Schreiben vom 10.11.2010 beantragte sie zudem die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG. Die anschließenden Ermittlungen des Beklagten ergaben, dass die Klägerin im Jahr 2008 an einem Mammakarzinom erkrankt war.

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 27.12.2010 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30.12.2010 einen GdB von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G fest. Dem lagen folgende Gesundheitsstörungen zu Grunde:

  • 1.Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung) (Einzel-GdB 50),

  • 2.Funktionsbehinderung der rechten unteren Extremität bei eingeschränkter Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes und ausgeprägten Knorpelschäden, anhaltende Reizerscheinungen bei Beinverkürzung um 3,5 cm sowie Innenrotationsfehlstellung (Einzel-GdB 40),

  • 3.Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Muskel- und Nervenwurzelreizerscheinungen, Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 30).

Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und B lehnte der Beklagte ab.

Mit Schreiben vom 17.01.2011 erhob die Klägerin Widerspruch. Neben der Höhe des GdB beanstandete sie, dass ihr die Merkzeichen aG und B nicht zuerkannt worden seien. Sie benötige den Parkausweis, da sie sich mit dem rechten Arm weder auf einem Stock abstützen noch einen Einkauf ohne eine Begleitperson und ohne zusätzliche Schmerzbeeinträchtigung unternehmen könne. Auch sei für sie die Ermittlung des GdB nicht nachvollziehbar.

Nach Einholung von Befundberichten und von zwei versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 06.04.2011 und vom 11.05.2011 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2011 den Widerspruch zurück. Der Gehbehinderung sei mit dem bereits zuerkannten Merkzeichen G angemessen Rechnung getragen.

Mit Schreiben vom 10.06.2011 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben.

Ihre Bevollmächtigten haben die Klage mit Schreiben vom 30.01.2012, was das Merkzeichen aG betrifft, wie folgt begründet: Bei der Klägerin sei das Merkzeichen aG bereits in der Vergangenheit schon einmal mit Bescheid vom 26.06.1990 anerkannt worden. Es sei darauf hinzuweisen, dass der Klägerin das Merkzeichen seinerzeit zuerkannt worden sei, ohne dass sie dem Personenkreis angehört habe, bei dem vom Vorliegen der Voraussetzungen für dieses Merkzeichen ausgegangen werde. In dem beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) früher anhängigen Klageverfahren habe der Gutachter Prof. Dr. B. im Gutachten vom 16.03.2005 die Einschätzung geäußert, dass bei der Klägerin sowohl die Voraussetzungen für einen GdB von 80 als auch für die Merkzeichen B und aG gegeben seien. Der Gutachter sei davon ausgegangen, dass die Klägerin zwar nicht an den Krankheitsbildern leide, wie sie als Regelbeispiele für das Merkzeichen aG aufgeführt seien, ihre Schmerzen jedoch vom Charakter her mit den Schmerzcharakteristika bei diesen Krankheitsbildern vergleichbar seien. Seit diesem Gutachten habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin nicht gebessert, sondern eher verschlechtert. Die Klägerin lasse vorbringen, dass sie sich außerhalb ihres Kraftfahrzeugs gleichsam vom ersten Schritt an nur mit großer Kraftanstrengung zu Fuß fortbewegen vermöge und dass sie darüber hinaus selbst bei kurzen Strecken auf eine Begleitperson angewiesen sei.

Das SG hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeholt und anschließend ein Gutachten beim Orthopäden Dr. T. in Auftrag gegeben. Dieser ist im Gutachten vom 30.04.2012 zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht erfüllt seien. Eine Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, wie sie bei einem Doppeloberschenkelamputierten gegeben sei, bestehe bei der Klägerin nicht, auch nicht unter Berücksichtigung der negativen Wechselwirkung der Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule und den unteren Extremitäten. Da die Klägerin angegeben habe, die Gehfähigkeit sei im Wesentlichen auch durch Gleichgewichtstörungen und Schwindelattacken beeinträchtigt, rege er eine weitere Begutachtung auf neurologischem Fachgebiet an.

Dieser Anregung folgend hat das Gericht ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. B. eingeholt. Auch dieser ist im Gutachten vom 07.11.2012 zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht erfüllt seien. Die von der Klägerin beschriebene Schwindelsymptomatik könne nicht als zusätzliche Behinderung attestiert werden, da dem Schwindel keine neurologische Erkrankung zu Grunde liege und im Rahmen der durchgeführten Untersuchung ein aktueller Schwindel auch nicht vorgelegen habe bzw. auch nicht beklagt worden sei. Gegenüber dem orthopädischen Gutachten neue Aspekte zur Gehstörung gebe es nicht.

Auf den mit Schreiben vom 19.11.2012 ergangenen richterlichen Hinweis, dass keine weiteren Ermittlungen beabsichtigt seien und daher die Rücknahme der Klage angeraten werde, hat die Klägerin den Gutachtern sinngemäß eine ungenaue Darstellung und eine Bagatellisierung ihrer Beschwerden vorgeworfen und darauf hingewiesen, dass der Gutachter Prof. Dr. B. sich im Jahr 2005 eingehend mit der Schmerzsymptomatik auseinandergesetzt habe.

In der mündlichen Verhandlung vom 11.04.2013 ist der Rechtsstreit vertagt worden und die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen auf schmerztherapeutischem Fachgebiet bei Dr. R. beschlossen worden. Dieser ist im "anästhesiologisch-schmerztherapeutischen" Gutachten vom 12.07.2013 zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfüllt seien.

Der Beklagte hat diesem Gutachten entgegen gehalten, dass der vom Sachverständigen erhobene Untersuchungsbefund keine Gleichstellung mit dem Personenkreis zulasse, der auf einen Rollstuhl angewiesen sei.

Mit Urteil vom 26.02.2014 ist der Klage stattgegeben und der Beklagte verpflichtet worden, die Merkzeichen B und aG zuzuerkennen. Soweit das Merkzeichen aG betroffen ist, hat dies das SG wie folgt begründet:

"Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" liegen bei der Klägerin vor. Hierbei stützt sich die Kammer ebenfalls auf die genannten Versorgungsärztlichen Richtlinien D 3 3.b sowie das Gutachten des Schmerztherapeuten Dr. R.. Hierbei ist festzustellen, dass die dort genannten Voraussetzungen (Querschnittsgelähmte etc.) nach Ansicht des Gerichtes eigentlich nur beispielhaft sind. Letztlich kommt es auf den Einzelfall an. Dies war auch der Grund, warum das Gericht einen Schmerztherapeuten beauftragt hat. Beispielsweise führt Dr. R. auf Seite 1 seines Gutachtens aus, dass hinsichtlich der Chronifizierung des bei der Klägerin vorliegenden Schmerzsyndroms Grad III erreicht wird; es wird damit der höchste Chronifizierungsgrad einer chronischen Schmerzerkrankung bei der Klägerin erreicht. Die vom Gericht ursprünglich beauftragten Gutachter Dr. T. und Dr. B. sind zwar als erfahren bekannt, jedoch wohl nicht auf dem Gebiet der Schmerztherapie."

Eine weitergehende Begründung enthält das Urteil nicht.

Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt, was das Merkzeichen aG angeht. Er hat die Berufung mit Schreiben vom 21.07.2014 wie folgt begründet: Bei der Klägerin bestünden an die Geh- und Stehfähigkeit betreffenden Gesundheitsstörungen am rechten Bein eine muskuläre Insuffizienz, eine Beinverkürzung, eine Funktionseinschränkung des rechten Kniegelenks sowie ein Schmerzsyndrom mit Ausstrahlung von der Lendenwirbelsäule. Das angefochtene Urteil gründe sich ausschließlich auf das eingeholte schmerztherapeutische Gutachten des Dr. R. und lasse jegliche Auseinandersetzung mit den Vorgutachten vermissen. Dass die Klägerin in ihrer Fortbewegungsfähigkeit deutlich eingeschränkt sei, werde nicht in Abrede gestellt; dem sei aber mit dem Merkzeichen G bereits Rechnung getragen. Eine darüber hinausgehende Gleichstellung mit dem berechtigten Personenkreis der Querschnittsgelähmten, Doppelober-, Doppelunterschenkelamputierten usw. sei jedoch nicht möglich. So habe die Klägerin noch gegenüber Dr. B. angegeben, in der Lage zu sein, 100 m am Stück zu gehen und ihren Weg nach kurzem Pausieren fortzusetzen. Selbst gegenüber Dr. R. habe die Klägerin eine gesamte Gehzeit ohne Pausen von 5 Minuten für langsames Gehen angegeben.

Zur weiteren Sachaufklärung hat der Senat beim Neurologen und Psychiater Dr. C. ein Gutachten angefordert. Dieser ist im Gutachten vom 29.10.2014 zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht erfüllt seien. Bei der Untersuchung der Klägerin habe er - so Dr. C. - keine diffusen oder umschriebenen Muskelverschmächtigungen und auch keine motorischen Ausfälle feststellen können. Für die von der Klägerin angegebene Schwindelsymptomatik gebe es keinen damit korrespondierenden klinischen Befund. Eine neurologische Symptomatik, die in der Lage wäre, das Merkzeichen aG zu begründen, liege nicht vor.

Das Gutachten samt ausführlichen richterlichen Erläuterungen ist mit gerichtlichem Schreiben vom 02.12.2014 an die Bevollmächtigten der Klägerin übersandt worden; Frist zur Stellungnahme ist auf den 14.01.2015 gesetzt worden.

Mit Schreiben vom 12.01.2015 haben die Bevollmächtigten mitgeteilt, dass die Klägerin mit dem Gutachten des Dr. C. nicht einverstanden sei und daher einen Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erwäge. Zudem ist der Bericht über eine Kernspintomographie der Halswirbelsäule vom 08.12.2014 übersandt worden, die wegen einer akuten Zervikobrachialgie angefertigt worden war. Darin sind eine ausgeprägte, teilweise aktivierte Arthrose des linken atlanto-axialen Gelenks, eine relative Spinalkanalverengung C5/6, eine rechtsseitige Foramenenge C3/4 bis C5/6 sowie eine schwere Torsionsskoliose der HWS, nicht aber Zeichen einer Myelopathie beschrieben worden.

Mit Schreiben vom 10.03.2015 haben die Bevollmächtigten der Klägerin tabellarisch aufgelistete Kritikpunkte der Klägerin am Gutachten des Dr. C. übermittelt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.02.2014 insoweit aufzuheben, soweit der Beklagte zur Zuerkennung des Merkzeichen aG verurteilt wurde, und insoweit auch die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise, dass Dr. C. ergänzend zu dem Radiologiebericht vom 09.12.2014 gehört wird und Dr. R. aufgefordert wird, entsprechend den Ausführungen des Dr. C. objektive Symptome für die Annahme der muskulären Insuffizienz zu nennen.

Höchstvorsorglich beantragt sie die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. W.P..

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen, zudem auch die Akte des Bayer. LSG mit dem Aktenzeichen L 15 SB 35/00. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Gründe

Soweit das SG den Beklagten unter Abänderung seines Bescheids vom 30.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.05.2011 verurteilt hat, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen, ist das Urteil des SG aufzuheben. Der angefochtene Bescheid war insofern rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG; die gesundheitlichen Voraussetzungen hierfür sind bis heute nicht nachgewiesen.

1. Rechtliche Vorgaben für das Merkzeichen aG

Anspruchsgrundlage ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m. den unten näher dargestellten straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften und den ergänzenden Regelungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG).

Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ermächtigt, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen über "die Schaffung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung...". Davon hat das Bundesministerium mit § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) Gebrauch gemacht, ohne die Voraussetzungen der außerordentlichen Gehbehinderung näher zu präzisieren. Wegen der bundesweiten Auswirkungen hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung von seiner in § 46 Abs. 2 Satz 3 StVO gegebenen Ermächtigung zum Erlass von bundesweit gültigen Verwaltungsvorschriften mit den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO), zuletzt in der ab dem 18.11.2014 gültigen Fassung vom 17.11.2014, Gebrauch gemacht und dabei in Ziff. 129 f. zu § 46 StVO Folgendes vorgegeben:

"Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.

Hierzu zählen:

Querschnittsgelähmte, doppeloberschenkelamputierte, doppelunterschenkelamputierte, hüftexartikulierte und einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind."

Diese, in den VwV-StVO seit längerem unveränderten Vorgaben haben so auch Eingang in die bis 31.12.2008 geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit und in die anschließend zum 01.01.2009 in Kraft getretenen VG, die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 Rechtsnormcharakter haben (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 23.04.2009, Az.: B 9 SB 3/08 R), - dort Teil D Nr. 3. b) - gefunden. In Teil D Nr. 3. c) der VG ist - wie zuvor weitgehend inhaltsgleich schon in Teil B Nr. 31 der AHP 2008 - folgende klarstellende Ergänzung erfolgt:

"Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen."

2. Rechtsprechung insbesondere des BSG zum Merkzeichen aG

Dazu, wann von einem auf das Schwerste eingeschränkten Gehvermögen auszugehen ist, hat sich das BSG im Urteil vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R, wie folgt geäußert:

"Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (Az B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen."

Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für eine weite Auslegung im Rahmen der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG kein Raum ist. So hat es beispielsweise im Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RVs 19/86, Folgendes festgehalten:

"Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies bedeutet zugleich, daß der Personenkreis eng zu fassen ist. Denn mit der Ausweitung des Personenkreises steigt nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an sich mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden könnte. Mit jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber dem gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden kann. Auch hier ist bei einer an sich vielleicht wünschenswerten Ausweitung des begünstigten Personenkreises zu bedenken, daß dadurch der in erster Linie zu begünstigende Personenkreis wieder benachteiligt würde."

Der Maßstab zur Gleichstellung muss sich daher strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz - Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung - orientieren (vgl. BSG, Urteile vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RVs 19/86, vom 13.12.1994, Az.: 9 RVs 3/94, vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, und vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 1/06 R). Das BSG vertritt damit unzweifelhaft die Auffassung, dass eine erweiternde Auslegung der hier maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nach dem Zweck des Schwerbehindertenrechts nicht zulässig ist (vgl. BSG vom 03.02.1988, 9/9a RVs 19/86; Urteil des Senats vom 27.05.2010, Az.: L 15 SB 155/07).

Der Senat hat bereits im Urteil vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11, erläutert, dass es ihm nicht völlig abwegig erscheinen würde, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG mit nicht ganz so großer Strenge zu sehen, wie dies das BSG macht. Dabei hat er u.a. darauf hingewiesen, dass auch bei den Regelbeispielen durchaus Fälle denkbar sind, in denen der Behinderte trotz seines Leidens nicht so stark beeinträchtigt ist, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an (vgl. BSG, Urteile vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, und vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R) dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, ihm aber gleichwohl als Regelbeispiel das Merkzeichen zusteht. Derartigen Überlegungen ist jedoch das BSG bereits mit Urteil vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, entgegen getreten, in dem es ausgeführt hat:

"Da der Kläger nicht zu einer der in der VV beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört, kann er nach den Kriterien dieser Norm nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Für eine solche Gleichstellung hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung den folgenden Maßstab entwickelt: Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr 11 Abschnitt II 1 Satz 2 1. Halbsatz aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr 23). Im Einzelfall scheint es sich allerdings nur schwer entscheiden zu lassen, wann diese Forderung erfüllt ist. Denn bei den beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen handelt es sich in Bezug auf ihr Gehvermögen offenbar nicht um einen homogenen Personenkreis. Es erscheint sogar möglich, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen auf Grund eines günstigen Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen, was namentlich bei körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mit Hilfe moderner Orthopädietechnik der Fall sein mag (sodass diese nicht einmal als erheblich beeinträchtigt in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr anzusehen wären.

Solche Besonderheiten sind nicht geeignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer schwerbehinderter Menschen mit dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis richtet. Denn entweder handelt es sich bei Personen, die zwar nach der Art der Behinderung zu einer der aufgeführten Gruppen zählen, jedoch tatsächlich die Voraussetzungen des Obersatzes (Bewegung außerhalb des Kraftfahrzeuges nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung) nicht erfüllen, um Ausnahmefälle. Dann ist ihre Einbeziehung in den Kreis der Begünstigten unter dem Gesichtspunkt der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen. Oder es hat sich die Gehfähigkeit einer größeren Zahl von Angehörigen einer bestimmten Gruppe, also auch von typischen Vertretern derselben, - etwa durch Fortentwicklung der Orthopädietechnik - so verbessert, dass sie nach dem allgemeinen Maßstab bzw im Vergleich mit anderen genannten Personengruppen nicht als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden können. Dann ist ihre (weitere) beispielhafte Nennung in der VV zu Unrecht erfolgt. In diesem Fall könnte die betreffende Gruppe nicht mehr im Rahmen der Gleichstellung anderer behinderter Menschen zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter muss sich mithin strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren. Diese Personen können sich insbesondere nicht auf die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter berufen. In diesem Sinne ist auch die Bemerkung des Senats zu verstehen, dass es bei den aufgeführten Behindertengruppen grundsätzlich nicht auf die prothetische Versorgung ankommt (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr 22 und Urteil vom 27. Februar 2002 - B 9 SB 9/01 R - Juris)."

Für das Merkzeichen aG ist es daher erforderlich, dass sich der Schwerbehinderte wegen der Schwere seines Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, wobei dabei ein strenger Maßstab anzulegen ist. Dabei muss es sich um einen Dauerzustand handeln (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteil vom 29.01.1992, Az.: 9a RVs 4/90; Urteil des Senats vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11).

3. Beweismaßstab

Nach allgemein gültigen Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren sind die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich, d.h. wenn es keine Spezialregelung mit einer Herabsetzung der Beweisanforderungen gibt, im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen möchte.

4. Beurteilung im vorliegenden Fall

Bei Beachtung der oben aufgezeigten rechtlichen Vorgaben und der vom BSG aufgestellten Maßstäbe sowie bei Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass in der Person der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG bis heute nicht im dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen sind.

4.1. Zur Gutachtenslage

Der Senat stützt sich auf die überzeugend, eingehend und nachvollziehbar begründeten Gutachten der erfahrenen Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren auf orthopädischem und nervenärztlichem Gebiet, Dr. T. und Dr. B., sowie auf das Gutachten des ebenfalls sehr erfahrenen Sachverständigen Dr. C. auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet im Berufungsverfahren. Diese drei Sachverständigen haben die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig erfasst und ihre Auswirkungen auf die Gehfähigkeit der Klägerin zutreffend gewürdigt. Sie haben alle Gesichtspunkte sehr ausführlich bedacht und abgewogen. Alle drei Sachverständigen sind übereinstimmend zu der Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht vorliegen. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen:

4.1.1. Gutachten Dr. T.

Dr. T. hat einen Beckentiefstand rechts von 3 cm aufgrund der Beinverkürzung rechts beschrieben. Die Klägerin beklagte bei ihm einen Druck- und Klopfschmerz im mittleren Drittel der Brustwirbelsäule sowie dem unteren Drittel der Lendenwirbelsäule. Die Iliosakralgelenke stellten sich unauffällig dar. Die Rückenstreckmuskulatur war ausreichend kräftig ausgebildet und lumbal rechtsseitig verhärtet. Beide Hüftgelenke waren altersentsprechend frei und schmerzfrei beweglich. Das linke Kniegelenk war frei beweglich, rechtsseitig bestand ein Bewegungsausmaß von 0°-0°-95°. Es wurde von der Klägerin ein Druckschmerz über dem medialen und lateralen Gelenkspalt angegeben. Der Bandapparat war beidseits stabil. Rechtsseitig war die Kniescheibe vollständig fixiert und es konnte ein Kniescheibenverschiebeschmerz provoziert werden, linksseitig war die Kniescheibe frei beweglich. Die oberen und unteren Sprunggelenke waren frei und schmerzfrei beweglich, der Bandapparat war seitengleich stabil. Die Zehengelenke waren frei beweglich. Es bestand eine mäßige Fehlform im Sinn eines Senk-Spreiz-Fußes mit Hallux valgus beidseits. Am rechten Bein gab die Klägerin bis zur Knöchelregion ohne Bezug zu einer bestimmten Nervenwurzel eine verminderte Sensibilität an; motorische Defizite konnte Dr. T. nicht feststellen. Der Einbeinstand war der Klägerin beidseits nur sehr unsicher und mit Festhalten am Untersucher möglich, der Fersen- und Zehenspitzenstand rechtsseitig nicht möglich. Das einbeinige Hüpfen gelang nur linksseitig mühsam. Bei am Untersuchungstag durchgeführten Sonographien der Kniegelenke war kein intraartikulärer Erguss feststellbar. Die bei der Begutachtung gemessenen Muskelumfänge im Oberschenkel waren seitengleich, im Unterschenkel rechts um 2 cm reduziert.

Die bislang getroffenen Feststellungen zu Gesundheitsstörungen und GdB hat der Sachverständige als zutreffend beschrieben. Soweit die Klägerin bei der Untersuchung Funktionsbehinderungen und Gesundheitsstörungen am linken Hüftgelenk angegebenen hatte, konnte bei der Untersuchung weder ein klinisches noch ein bildgebendes Korrelat gefunden werden. Aufgrund der Beinverkürzung rechts und der fortgeschrittenen Arthrose des rechten Kniegelenks ist zwar die Gehfähigkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt, so dass sie nicht in der Lage ist, ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden können. Dies rechtfertigt aber nur die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G, nicht aG. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit in einem Ausmaß, dass sich die Klägerin dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb Ihres Kraftfahrzeugs bewegen könnte, ist nicht gegeben. Eine Vergleichbarkeit mit Gesundheitsstörungen von Doppeloberschenkelamputierten oder den anderen Regelbeispielen für das Merkzeichen aG liegt bei der Klägerin aus orthopädischer Sicht nicht vor, auch nicht unter Berücksichtigung der negativen Wechselwirkung der Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule und den unteren Extremitäten.

Damit korreliert auch die Angabe der Klägerin bei der Begutachtung, dass (erst) nach einer Gehzeit von 10 Minuten die Schmerzen an der Lendenwirbelsäule, der linken Hüfte und dem rechten Kniegelenk erheblich zunehmen würden und sie sich dann - aber eben auch erst dann - hinsetzen müsse.

4.1.2. Gutachten Dr. B.

Bei Dr. B., dessen Gutachten im Wesentlichen wegen der von der Klägerin behaupteten Schwindelsymptomatik angefordert worden war, gab die Klägerin an, dass sie neben Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen unter einem rezidivierenden Drehschwindel leide, dessen Dauer zwischen 15 Minuten und drei Tagen schwanke. Abgesehen von einer leichten Verschmächtigung der Unterschenkelmuskulatur rechts konnte der Sachverständige - wie auch schon der Vorgutachter Dr. T. - keine Anhaltspunkte für eine höhergradige Störung der Muskeltrophik feststellen. Bei der Prüfung der Koordination ergaben sich, abgesehen von einem leicht ausgeprägten ungerichteten Schwanken beim Rombergversuch mit einem Korrekturschritt nach hinten, keine Auffälligkeiten. In diagnostischer Hinsicht konnte Dr. B. im Rahmen der durchgeführten Untersuchung keine das neurologische oder das psychiatrische Fachgebiet betreffende Gesundheitsstörung feststellen. Die von der Klägerin angegebene Schwindelsymptomatik war im Rahmen der Untersuchung nicht feststellbar. Unter Berücksichtigung der von der Klägerin gemachten Angaben handelt es sich bei dem Drehschwindel nicht um eine Attackensymptomatik, sondern um ein Dauerphänomen, welches nach den Angaben der Klägerin mitunter nur 15 Minuten anhält, manchmal allerdings auch bis zu drei Tage. Die von der Klägerin beschriebene Symptomatik war nicht typisch für einen Lagerungsschwindel. Anhaltspunkte für eine hirnorganische Schädigung konnte der Sachverständige nicht finden.

Bei Berücksichtigung einer Ende Dezember 2011 durchgeführten MRT, die einen weitgehend unauffälligen Befund ergeben hat, kann eine hirnorganische Genese des Schwindels als weitgehend ausgeschlossen gelten. Aus nervenärztlicher Sicht ergibt sich daher bezüglich der Gangstörung keine wesentliche Ergänzung. Die von der Klägerin beschriebene Schwindelsymptomatik kann nicht als zusätzliche Behinderung betrachtet werden, da dem Schwindel keine neurologische Erkrankung zu Grunde liegt und im Rahmen der von Dr. B. durchgeführten Untersuchung ein aktueller Schwindel auch nicht vorgelegen hat und von der Klägerin auch nicht beklagt worden ist.

Vom Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG kann daher auch bei Berücksichtigung des nervenärztlichen Gutachtens nicht ausgegangen werden.

Für die Richtigkeit dieser Einschätzung spricht auch der eigene Vortrag der Klägerin gegenüber dem Gutachter, dem sie auf Nachfrage mitgeteilt hat, 100 m weit zu gehen zu können und erst dann eine Weile stehen bleiben zu müssen, ehe sie ihren Weg fortsetzen könne. Bestätigt wird dies zudem dadurch, dass die Klägerin bei der Untersuchung gezeigt hat, dass ihr das Gehen auch ohne Benutzung der Gehstützen möglich ist.

4.1.3. Gutachten Dr. C.

Dr. C. konnte bei der Untersuchung der Klägerin keine diffusen oder umschriebenen Muskelverschmächtigungen und auch keine motorischen Ausfälle feststellen. Lediglich die Fußhebung rechts war etwas weniger kraftvoll als links. Pathologische Reflexe konnte Dr. C. nicht feststellen. Eine radikuläre Symptomatik ließ sich nicht nachweisen. Die von Dr. C. durchgeführten technischen Zusatzuntersuchungen ergaben keinen Anhalt für Hirnfunktionsstörungen. Eine neurologische Symptomatik, die in der Lage wäre, das Merkzeichen aG zu begründen, ließ sich nicht feststellen. Insbesondere lagen keine funktionell bedeutsamen motorischen Ausfälle im Bereich der unteren Extremitäten vor; auch Reflexauffälligkeiten oder trophische Muskelstörungen ließen sich nicht finden. Für die von der Klägerin angegebenen Schwindelanfälle gab es keinen korrespondierenden klinischen Befund. Es gab weder Anhaltspunkte für eine spinale Ataxie noch Hinweise für eine cerebelläre Ataxie noch Hinweise für eine sonstige Hirnstamm-Symptomatik, welche in der Lage wären, die von der Klägerin behaupteten Schwindelbeschwerden zu erklären. Dies entspricht dem im sozialgerichtlichen Verfahren erstellten nervenärztlichen Befund.

Nicht folgen kann der Senat den Gutachten des Dr. R. aus dem sozialgerichtlichen Verfahren und des Prof. Dr. B. aus dem früheren Berufungsverfahren der Klägerin.

4.1.4. Dr. R.

Das Gutachten des Dr. R. stützt sich fast ausschließlich auf die ihm gegenüber gemachten subjektiven Angaben der Klägerin, ohne dass auch nur ansatzweise von diesem Sachverständigen der Versuch unternommen worden wäre, diese Angaben zu objektivieren. Darauf, dass von ihm durchgeführte, nur aus Selbstbeurteilungsbögen bestehende Testverfahren für eine Objektivierung allein ungeeignet sind, hat Dr. C. hingewiesen. Die Einstufung nach einem auf einer Selbstbeurteilung beruhenden Schmerzstufenmodell kann die eigenständig zu verantwortende Leistungsbeurteilung durch den Sachverständigen nicht ersetzen (vgl. BSG, Beschluss vom 09.04.2003, Az.: B 5 RJ 80/02 B); an einer solchen eigenständigen Leistungsbeurteilung fehlt es aber beim Gutachten des Dr. R.. Dass der Grad des Schmerzchronifizierung nach Gerbershagen kein allein entscheidender Gesichtspunkt bei der Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG sein kann, liegt auf der Hand. Der Chronifizierungsgrad wird bereits ausschließlich aufgrund der eigenen Angabe dauerhafter, multilokulärer Schmerzen ohne Intensitätswechsel, verbunden mit mehreren fachspezifischen Rehabilitationsmaßnahmen und einem mehrmaligen Wechsel des betreuenden Arztes erreicht. Allein aus der Chronifizierung eines Leidens kann daher noch nicht auf die Quantität oder eine bestimmte Qualität der Leistungseinbußen geschlossen werden (vgl. Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/102 Entwicklungsstufe: 2k, S. 11). Zudem ist auch das mitentscheidende Argument des Dr. R. für die Bejahung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG, eine erhebliche muskuläre Insuffizienz des rechten Beins, nicht nachgewiesen, sondern vielmehr sogar durch die anderen Gutachten und die dort erhobenen Befunde samt den dort gemessenen Muskelumfängen zweifelsfrei widerlegt. So hat Dr. T. seitengleiche Muskelumfänge im Oberschenkel und im Unterschenkel eine vergleichsweise geringe Umfangsdifferenz von nur 2 cm gemessen. Die nervenärztlichen Gutachter haben trophische Störungen der Muskulatur oder neurologische Ausfälle nicht feststellen können. Angesichts dieser objektiv erhobenen Fakten von einer schwersten muskulären Insuffizienz der rechten unteren Extremität zu sprechen, disqualifiziert die Äußerungen des Sachverständigen Dr. R. und belegt, dass er bei seinen Mutmaßungen lediglich auf den subjektiven Angaben der Klägerin aufbaut, ohne diese mit Blick auf die gebotene Objektivierung zu hinterfragen.

Gleiches gilt für die von ihm zugrunde gelegte zervikozephale Schwindelsymptomatik, die von keinem Sachverständigen, auch nicht von Dr. R., objektiviert worden ist. Vielmehr haben die nervenärztlichen Sachverständigen übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin behauptete Schwindelsymptomatik nicht medizinisch erklärbar ist.

Dass Dr. R. seinen Annahmen nicht nachgewiesene Fakten, sondern nur den subjektiven Vortrag der Klägerin und Mutmaßungen zugrunde legt, wird auch dadurch deutlich, dass er für seine Annahme der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ausdrücklich "durchaus mögliche" Fehlinnervationen im Bereich der Zehen zugrunde legt. Als Sachverständigem hätte ihm aber bewusst sein müssen, dass er seinen Ausführungen nur nachgewiesene Fakten, nicht aber Spekulationen zugrunde legen darf, zumal seine Spekulation im Rahmen der nervenärztlichen Begutachtungen ausgeschlossen worden ist.

Zudem sind die Annahmen im Gutachten des Dr. R. auch in sich widersprüchlich. So geht er einerseits von einer Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin nach einem Sturz im Dezember 2011 aus, nimmt aber andererseits die aus dieser Verschlimmerung resultierende Verschlechterung mit der Konsequenz des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichens aG bereits für Anfang 2011 an.

Das Gutachten des Dr. R. ist daher aufgrund der zahlreichen erheblichen Fehler unverwertbar.

4.1.5. Prof. Dr. B.

Warum das Gutachten des Prof. Dr. B. vom 16.03.2005 nicht überzeugend ist, hat der Senat bereits im Urteil vom 25.08.2005, Az.: L 15 SB 35/00, wie folgt begründet:

"Insgesamt beschreibt Prof. Dr. B. eine "schwere, multilokuläre chronische Schmerzkrankheit", die z.T. Wetter abhängig ist, in verschiedenen Körperhaltungen und Reaktionen ausgelöst wird und die zu einer Schmerzverstärkung bei einer Gehstrecke von 30 bis 50 m führt. Nachdem bislang jedoch von keinem anderen früher gehörten Sachverständigen relevante objektivierbare Schonhaltungen wegen des Schmerzes beschrieben wurde - im Gutachten des Dr. H. z.B. wurde die Bemuskelung beider Beine im Wesentlichen als symmetrisch beschrieben - hält es der Senat nicht für erwiesen, dass die Klägerin praktisch von den ersten Schritten außerhalb ihres Kraftfahrzeuges an in ungewöhnlich hohem Maß in ihrer Gehfähigkeit eingeschränkt ist, d.h. dass jeder Schritt mit erheblichen Schmerzen im Bereich der Extremitäten verbunden ist. Ebenso fraglich bleibt, ob sie sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen konnte und kann wie die in der VV genannten Personen. Dies hat das BSG zwar dann für möglich erachtet, wenn der Betroffene die von ihm nach 30 m einzulegenden Pausen deshalb macht, weil er bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und neue Kräfte sammeln muss, bevor er weiter gehen kann (BSG vom 10.12.2002), die Klägerin hat jedoch im Erörterungstermin vom 11.03.2000 u.a. angegeben, erst nach ca. 50 m wegen des angewachsenen Schmerzes Rast machen zu müssen. Darüber hinaus kann nicht verkannt werden, dass bestimmte Schmerzen nur nachts oder beim Liegen durch Verklemmungen der Brustwirbelsäule, verbunden mit Atemnot und nicht beim Gehen geschildert wurden, so dass sie bei der Prüfung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" außer Betracht zu bleiben haben. Auffallend ist auch, dass die Klägerin anlässlich der Untersuchung bei Dr. F. noch eine Gehstrecke von ca. 500 m angab, wobei sie manchmal habe stehen bleiben müssen, weil sich das Knie verklemmt habe. In dem von ihr selbst vorgelegten Attest des Dr. H. vom 04.12.2000 wurde eine schmerzfreie Gehstrecke von weniger als fünf Minuten beschrieben. Insgesamt ergeben sich daraus genügend Hinweise dafür, dass die belastungsabhängigen Beschwerden nicht unmittelbar nach dem Verlassen des Autos auftreten.

Zusammenfassend kann wegen der eingeschränkten Beweglichkeit der Halswirbelsäule, der schmerzbedingten Atemstörung aufgrund degenerativer Veränderungen der Brustwirbelsäule sowie der von Prof. Dr. B. berichteten heftigsten Druckschmerzangabe mit schmerzbedingter Abwehrreaktion im Bereich der LWS zwar eine Höherbewertung des Wirbelsäulenleidens mit einem Einzel-?GdB von 30 erfolgen, womit die sonst bereits miteinbezogenen üblichen Schmerzen und die darüber hinausgehenden nach Nr.18.8 der AP ausreichend bewertet sind. Der Nachweis der medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" kann jedoch durch das Gutachten des Prof. Dr. B. nicht mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, die hier erforderlich ist, erbracht werden.

Nicht nachvollziehbar, weil in keiner Weise unter Bezugnahme auf die maßgeblichen AP diskutiert, ist die Festsetzung eines GdB von 50 für die "Schmerzkrankheit" durch Prof. Dr. B., der insgesamt einen GdB von 80 sowie die Merkzeichen "G", "aG" vorschlägt. Weder setzt sich der Sachverständige mit einschlägiger sozialmedizinischer Literatur zur Leistungsbeurteilung chronischer Schmerzsyndrome (vgl. z.B. R.M.Schulte, MED SACH 95 (1999) Nr.2 S.52) oder mit der Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA vom 25. bis 26.11.1998 auseinander, noch liefert er objektiv nachvollziehbare Begründungen für einen Einzel-?GdB von 50 für die von ihm beschriebene Schmerzkrankheit/Schmerzsymptomatik. Besonders auffallend ist dies, wenn er darlegt, dass diese neuropathischen Schmerzen äußerst Wetter abhängig (sc. nicht ständig vorhanden) und durch die Intensität für die Psyche des Betroffenen äußerst quälend seien und an anderer Stelle nur von geringfügigen psychischen bzw. seelischen Veränderungen, einer positiven Grundhaltung der Klägerin und ihrer Aufrechterhaltung sozialer Kontakte mit Bekannten und Freunden sowie der Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit berichtet. Auf die sich aufdrängende Frage, warum die Klägerin wegen der Schmerzen bzw. der dadurch bedingten Intensität für die Psyche nicht in Behandlung ist und welches Ausmaß an körperlicher Anstrengung von der Klägerin über einen Zeitraum von über 15 Jahren aufgebracht werden musste, ohne dass es zu psychischen Schädigungen kam, gibt dieses Gutachten keine Antwort."

Zudem ist am Gutachten des Prof. Dr. B. zu beanstanden, dass dieser - wie auch Dr. R. - seine Annahme der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG entscheidend auf die ihm gegenüber gemachten subjektiven Angaben der Klägerin gestützt hat, ohne dass er den Versuch einer Objektivierung unternommen hätte.

Wenn die Klägerin demgegenüber der Ansicht ist, dieser Gutachter habe "ausführliche Untersuchungen" zum Schmerzsyndrom gemacht und es sei daher seiner Einschätzung zu folgen, irrt sie. Dem Gutachten des Prof. Dr. B. ist nicht zu entnehmen, dass der Sachverständige irgendwelche weitergehenden objektivierenden Untersuchungen zur Schmerzsymptomatik durchgeführt hätte. Das Gutachten enthält lediglich im Rahmen der "Kurzanamnese" Werte zur Schmerzhöhe nach VAS (sog. visuelle Analogskala). Diese visuelle Analogskala ist eine Skala zur Messung vor allem subjektiver Einstellungen. Sie wird häufig in der Schmerzforschung und Schmerztherapie eingesetzt. Der Befragte markiert dabei seine subjektive Empfindung durch einen vertikalen Strich auf einer Linie, die die Ausprägung des Schmerzes nach seinem Empfinden wiedergeben soll. Damit steht fest, dass der Sachverständige Prof. Dr. B. die Klägerin - laienhaft ausgedrückt - lediglich gefragt hat, wie stark sie den Schmerz empfinde auf einer Skala, die von keinem Schmerz bis maximal erlebter/vorstellbarer Schmerz reicht, und diese Angabe dann seinem Gutachten zugrunde gelegt hat, ohne den Versuch einer Objektivierung der Angaben der Klägerin zu machen. Derartige Feststellungen sind im sozialgerichtlichen Verfahren nicht verwertbar.

Auch die Annahme neuropathischer Schmerzen ist nicht nachvollziehbar. Denn bei derartigen Schmerzen handelt es sich um solche, die ihren Ursprung in einer Strukturveränderung des Nervensystems haben. Ein neuropathisches Schmerzsyndrom kann daher, wie Dr. C. erläutert hat, nur dann diagnostiziert werden, wenn es sich um eine Problematik handelt, die primär das periphere Nervensystem betrifft. Dies ist aber bei der Klägerin nicht der Fall. Das bei ihr vorliegende Schmerzsyndrom ist kein neuropathisches, also durch eine Nervenverletzung hervorgerufenes Schmerzsyndrom, sondern ein musculo-skelettal begründetes Schmerzsyndrom.

Schließlich ist festzustellen, dass der Gutachter Prof. Dr. B. die Kriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG verkannt hat. Soweit er im Gutachten vom 16.03.2005 seine falsche Annahme der gesundheitlichen Voraussetzungen damit begründet hat, dass die Klägerin zwar nicht an den Krankheitsbildern leide, wie sie als Regelbeispiele für das Merkzeichen aG aufgeführt seien, ihre Schmerzen jedoch vom Charakter her mit den Schmerzcharakteristika bei diesen Krankheitsbildern vergleichbar seien, hat er auf ein sachfremdes Kriterium abgestellt. Denn der Schmerz ist kein vom Gesetzgeber vorgesehenes Tatbestandsmerkmal und auch nicht dazu geeignet, die für das Merkzeichen aG erforderliche massive Einschränkung der Fortbewegungsfähigkeit allein zu beschreiben. Beispielhaft sei nur auf das Regelbeispiel eines Rollstuhlfahrers hingewiesen, dessen Fortbewegungsfähigkeit im Normalfall nicht einmal ansatzweise durch Schmerzen, sondern allein durch die Unmöglichkeit des Einsatzes der unteren Extremitäten eingeschränkt ist. Der vom Gutachter Prof. Dr. B. herangezogene Vergleich von Schmerzcharakteristika hilft daher bei der Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht weiter.

4.2. "Plausibilitätskontrolle"

Dass jedes andere Ergebnis als die Ablehnung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG unplausibel wäre, ergibt sich zwingend bei Betrachtung des der Behinderung der Klägerin zu Grunde liegenden GdB sowohl im Gesamten als auch für die einzelnen Gesundheitsstörungen.

Bei der Klägerin ist ein GdB von 80 anerkannt, der sich zusammensetzt aus einem Einzel-GdB von 50 für die Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung), einem Einzel-GdB von 40 für die Funktionsbehinderung der rechten unteren Extremität bei eingeschränkter Beweglichkeit des rechten Kniegelenks und ausgeprägten Knorpelschäden, die anhaltenden Reizerscheinungen bei Beinverkürzung sowie die Innenrotationsfehlstellung und einem Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, die degenerativen Veränderungen, Muskel- und Nervenwurzelreizerscheinungen und das Schmerzsyndrom. Ohne Bedeutung für das Merkzeichen aG ist dabei die Erkrankung der Brust mit einem Einzel-GdB von 50. Von den verbleibenden Gesundheitsstörungen haben die Veränderungen im Bereich der unteren Extremitäten zweifellos ausschlaggebende Bedeutung für die Gehfähigkeit, die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, die sich nicht nur auf die Lendenwirbelsäule erstrecken, jedenfalls zu einem nicht unerheblichen Teil. Für die die Gehfähigkeit betreffenden Gesundheitsstörungen - also ohne die Erkrankung der Brust - wäre ein Teil-Gesamt-GdB von 50 angemessen. Dies ist auch im früheren Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 15 SB 35/00 so bestätigt worden.

Dass bei einem GdB von 50 die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG praktisch ausgeschlossen ist, liegt auf der Hand.

Zwar kann den gesetzlichen Regelungen nicht der Grundsatz entnommen werden, dass für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ein (Mindest-)GdB für die fortbewegungsrelevanten Gesundheitsstörungen in Höhe von 80 zwingend erforderlich wäre (a.A. noch Urteil des Senats vom 30.06.2009, Az.: L 15 SB 118/08). Dies hat das LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 14.08.2013, Az.: L 11 SB 267/12, wie folgt überzeugend begründet:

"Soweit der Beklagte auch in seiner Berufungsbegründung einwendet, bei der Klägerin bestehe kein mobilitätsbedingter GdB von 80, kann der Senat offen lassen, ob dies hier so ist. Denn zwar mag ein derart hoher mobilitätsbedingter GdB auf das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung hindeuten, Voraussetzung für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ist er aber nicht, weil sich diese Voraussetzung - anders als etwa für das Merkzeichen "T" nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der - landesrechtlichen und damit für die Auslegung von Bundesrecht nicht heranzuziehenden - Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (GVBl. Seite 322), zuletzt geändert mit Verordnung vom 22. Juni 2005 (GVBl. Seite 342) (vgl. Urteil des Senats vom 6. Februar 2013 - L 11 SB 245/10 - juris) - den genannten rechtlichen Grundlagen nicht entnehmen lässt. Soweit eingewandt wird, den in Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Regelbeispielen sei gemeinsam, dass Funktionsstörungen mit einem Mindest-GdB von 80 vorliegen müssen, die sich gravierend auf die Fortbewegungsfähigkeit auswirken, und soweit daraus der Schluss gezogen wird, außergewöhnlich Gehbehinderten könnten nur Personen gleichgestellt werden, bei denen Funktionsstörungen mit Auswirkungen auf die Fortbewegungsfähigkeit mit einem Mindest-GdB von 80 vorliegen (so Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Juni 2009 - L 15 SB 118/08 - juris), kann dahinstehen, ob dies so ist, was allerdings in Bezug auf die in den Regelbeispielen ebenfalls genannten einseitig Oberschenkelamputierten zweifelhaft sein mag. Denn das BSG hat bereits ausdrücklich entschieden, dass es im Einzelfall unschädlich sein könne, wenn der GdB für die Behinderungen im Bereich der für das Gehen funktional benötigten Körperteile nicht den zumeist sehr hohen Grad der Behinderungen der Regelbeispiele erreicht. Denn es komme für den Nachteilsausgleich "aG" gerade nicht auf die allgemeine Vergleichbarkeit der Auswirkungen der Gesundheitsstörungen, die letztlich durch die Höhe des GdB manifestiert würden, sondern allein darauf an, dass die Auswirkungen funktional im Hinblick auf die Fortbewegung gleichzuachten seien (BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 - 9 RVs 11/95 - juris)."

Auch wenn ein zwingender mobilitätsrelevanter Mindest-GdB (bislang) nicht gesetzlich geregelt ist, fordert die Praxis im Sinn von mehr Transparenz bei der Vergabe des Nachteilsausgleichs aG gleichwohl eine Koppelung der Vergabe des Merkzeichens aG an einen Mindest-GdB von 70 bis 80 (analog einer einseitigen Oberschenkelamputation (vgl. Grüne, Zur praktischen Beurteilung des Nachteilsausgleichs "aG" - Impulsreferat aus orthopädisch-unfallchirurgischer Sicht, Sozialrecht im Umbruch - Sozialgerichte im Aufbruch, 2010, S. 65 ff.).

Solange eine derartige Koppelung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht erfolgt ist, kann daher von einem mobilitätsrelevanten Mindest-GdB nicht ausgegangen werden. Wenn jedoch - wie hier - der mobilitätsrelevante GdB lediglich 50 beträgt, was keiner der im Verfahren gehörten Sachverständigen und nicht einmal die Klägerin selbst in Frage gestellt hat, wäre die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG vollkommen unplausibel.

4.3. Zu den Einwänden der Klägerin

Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände können allesamt nicht überzeugen.

4.3.1. "Paralympics"

Sofern die Klägerin mit Blick auf die in den VG aufgestellten hohen Anforderungen für das Merkzeichen aG einwendet, dass es Menschen mit Prothesen gebe, die deutlich besser gehen könnten als sie, und dabei auch auf die Paralympics verweist, ist dieser Einwand rechtlich nicht beachtlich. Der Senat verweist insofern auf die oben unter Ziff. 2. getätigten Ausführungen und insbesondere auf sein Urteil vom 28.02.2013, Az.: L 15 SB 113/11, in dem er Folgendes ausgeführt hat:

"Zum einen hält der Senat das für die sehr strenge Auslegung des BSG tragende Argument, dass eine Erweiterung des Personenkreises eine Vermehrung der Parkflächen erfordern würde, was für den berechtigten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zur Konsequenz hätte, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden könne, nicht für zwingend. Denn dass verkehrstechnische, straßenverkehrsrechtliche oder baurechtliche Gründe einer Ausweisung von weiteren Behindertenparkplätzen an den erforderlichen Stellen regelmäßig entgegen stehen würden, ist so nicht erkennbar. Allein aufgrund des demographischen Wandels und der Alterstruktur behinderter Menschen in der Zukunft ist im Übrigen zwingend damit zu rechnen, dass die Zahl der Inhaber des Merkzeichens aG steigen wird und mehr Behindertenparkplätze eingerichtet werden müssen. Zum anderen lässt sich aus den in Ziff. 130 VwV-StVO aufgezählten Regelbeispielen nicht der zwingende Schluss ableiten, dass bei der Bestimmung der gleichgestellten Behinderten im Sinne der Ziff. 130 VwV-StVO ein so strenger Maßstab anzulegen ist, wie ihn das BSG zugrunde legt. Denn auch bei den Regelbeispielen sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Behinderte trotz seines Leidens nicht so stark beeinträchtigt wäre, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an (vgl. BSG, Urteile vom 29.03.2007, Az.: B 9a SB 5/05 R, und vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R) dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann. Der Senat hat hier den - zugegebenermaßen - extremen Fall des beidseitig unterschenkelamputierten südafrikanischen Sprinters Oscar Pistorius vor Augen, der trotz seiner Behinderung, die ihm das Merkzeichen aG eröffnen würde, sowohl bei den Weltmeisterschaften 2011 als auch bei den olympischen Sommerspielen 2012 gestartet ist.

Derartigen Überlegungen ist jedoch das BSG bereits mit Urteil vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB 7/01 R, entgegen getreten, indem es dort erläutert hat:

"Da der Kläger nicht zu einer der in der VV beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört, kann er nach den Kriterien dieser Norm nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Für eine solche Gleichstellung hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung den folgenden Maßstab entwickelt: Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr 11 Abschnitt II 1 Satz 2 1. Halbsatz aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr 23). Im Einzelfall scheint es sich allerdings nur schwer entscheiden zu lassen, wann diese Forderung erfüllt ist. Denn bei den beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen handelt es sich in Bezug auf ihr Gehvermögen offenbar nicht um einen homogenen Personenkreis. Es erscheint sogar möglich, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen auf Grund eines günstigen Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen, was namentlich bei körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mit Hilfe moderner Orthopädietechnik der Fall sein mag (sodass diese nicht einmal als erheblich beeinträchtigt in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr anzusehen wären.

Solche Besonderheiten sind nicht geeignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer schwerbehinderter Menschen mit dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis richtet. Denn entweder handelt es sich bei Personen, die zwar nach der Art der Behinderung zu einer der aufgeführten Gruppen zählen, jedoch tatsächlich die Voraussetzungen des Obersatzes (Bewegung außerhalb des Kraftfahrzeuges nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung) nicht erfüllen, um Ausnahmefälle. Dann ist ihre Einbeziehung in den Kreis der Begünstigten unter dem Gesichtspunkt der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen. Oder es hat sich die Gehfähigkeit einer größeren Zahl von Angehörigen einer bestimmten Gruppe, also auch von typischen Vertretern derselben, - etwa durch Fortentwicklung der Orthopädietechnik - so verbessert, dass sie nach dem allgemeinen Maßstab bzw im Vergleich mit anderen genannten Personengruppen nicht als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden können. Dann ist ihre (weitere) beispielhafte Nennung in der VV zu Unrecht erfolgt. In diesem Fall könnte die betreffende Gruppe nicht mehr im Rahmen der Gleichstellung anderer behinderter Menschen zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter muss sich mithin strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren. Diese Personen können sich insbesondere nicht auf die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter berufen. In diesem Sinne ist auch die Bemerkung des Senats zu verstehen, dass es bei den aufgeführten Behindertengruppen grundsätzlich nicht auf die prothetische Versorgung ankommt (BSG SozR 3-?3870 § 4 Nr 22 und Urteil vom 27. Februar 2002 - B 9 SB 9/01 R - Juris)."

Für das Merkzeichen aG ist es daher erforderlich, dass sich der Schwerbehinderte wegen der Schwere seines Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, wobei dabei ein strenger Maßstab anzulegen ist."

4.3.2. Nicht ausreichende Berücksichtigung der Angaben der Klägerin

Die Klägerin unterstellt dem Gericht genauso wie den Sachverständigen, die zu keinem für sie positiven Ergebnis gekommen sind (Dr. T., Dr. B., Dr. C.), dass diese ihren Angaben, aus denen sich nach Ansicht der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ergeben, nicht ausreichend Glauben geschenkt und Rechnung getragen hätten.

Dabei verkennt die Klägerin, dass für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG eine Objektivierung von Beschwerdeangaben erforderlich ist, damit sich das Gericht die Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen im Sinn des Vollbeweises verschaffen kann. Das Gericht ist daher - genauso wie die Sachverständigen - dazu verpflichtet, die subjektiven Angaben eines Beteiligten dahingehend zu überprüfen, ob sie auch objektiv nachvollziehbar sind. Diese Vorgabe müsste der Klägerin als einer vereidigten Sachverständigen bewusst sein.

Dass die von der Klägerin gemachten Angaben zum Ausmaß der Beschwerden nicht nur von den objektiv feststellbaren Befunden so nicht gedeckt sind und deshalb der Entscheidungsfindung nicht eins zu eins zu Grunde gelegt werden dürfen, ergibt sich auch aus den Angaben der Klägerin selbst. Denn diese sind in sich nicht widerspruchsfrei, sondern scheinen auch von der Erreichung des gewünschten Prozessziels der Zuerkennung des Merkzeichen aG geprägt zu sein. Der Senat weist insofern beispielhaft nur auf folgende zwei Gesichtspunkte hin:

*  Im Verfahren L 15 SB 35/00 haben die damaligen Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 18.02.2003 Folgendes vorgetragen:

"Der Klägerin ist es schlicht nicht möglich, ohne Stockhilfe auch nur kürzeste Entfernungen zurückzulegen."

Bei der nervenärztlichen Begutachtung durch Dr. B. im Jahr 2012 hingegen war es der Klägerin durchaus möglich, sich ohne Benutzung von Gehstützen fortzubewegen. Unter Berücksichtigung der klägerischen Argumentation in der Klagebegründung vom 30.01.2012

"Die Klägerin lässt diesbzgl. ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich seit der Gutachtenserstellung vom 16.03.2005 keine Besserung ihres Gesundheitszustandes eingestellt habe, sondern eher eine weitere Verschlechterung."

kann nur geschlossen werden, dass entweder die Angaben der Klägerin im Jahr 2003 oder die im Jahr 2012 nicht den Tatsachen entsprochen haben. Denn anders wäre es nicht erklärbar, dass die Klägerin im Jahr 2012 - im Gegensatz zu 2003 - ohne Gehhilfe gehen kann, obwohl sich nach ihrem Vortrag ihr Gesundheitszustand seit dem Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 15 SB 35/00 weiter verschlechtert haben soll.

*  In der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2015 hat die Klägerin dem Senat eine erhebliche Einschränkung der Drehfähigkeit des Oberkörpers und eine weitgehend aufgehobene Bewegungsfähigkeit des Halses demonstriert. Auf die - für das Merkzeichen aG nicht entscheidungserhebliche - Frage des Senats danach, wie sich eine derartige Gesundheitseinschränkung und die zudem von der Klägerin behauptete Schwindelsymptomatik mit der Tatsache vereinbaren lasse, dass die Klägerin nach eigener Angabe regelmäßig ein Kfz führt, hat die Klägerin angegeben, dass sie sehr vorsichtig fahre, beim Abbiegen oder in Kurven stehen bleibe und dann vorsichtig versuche, sich etwas in die beabsichtigte Fahrtrichtung zu drehen. Dabei hat sie wiederholt herausgestellt, dass sie sehr verantwortungsbewusst sei.

Für den Senat ist es nicht nachvollziehbar, wie sich eine für ihre Mitmenschen im Straßenverkehr verantwortungsbewusste Person, als die sich die Klägerin darstellt, mit den von der Klägerin behaupteten und demonstrierten Gesundheitseinschränkungen noch an das Steuer eines Kraftfahrzeugs setzen kann. Dass die Klägerin bei dem in der mündlichen Verhandlung gezeigten Gesundheitszustand noch die Anforderungen erfüllen würde, die für das Behalten des Führerscheins aufgestellt sind (zu Gleichgewichtsstörungen vgl. Nr. 11.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung), bezweifelt der Senat. Denn für den Senat ist es sehr naheliegend, dass eine Person mit den angegebenen Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage ist, ohne Gefährdung von Dritten am Straßenverkehr teilzunehmen. Zu Gunsten der Klägerin kann der Senat daher nur vermuten, dass die von ihr in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben zum Gesundheitszustand durch den Zweck der Zielerreichung sozialrechtlicher Vorteile geprägt sind, nicht aber den Tatsachen entsprechen. Jedenfalls ergeben sich aber auch daraus nicht unerhebliche Zweifel daran, dass die Angaben der Klägerin immer wahrheitsgemäß und nicht übertrieben gemacht worden sind.

4.3.3. Detailkritik an den für die Klägerin nicht positiven Gutachten

Die Klägerin hat, z.B. zuletzt mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 10.03.2015, eine Aufstellung überliefert, aus der sich angebliche Fehler oder Widersprüche z.B. im Gutachten des Dr. C. ergeben sollen.

Diese Kritik ist nicht ansatzweise berechtigt. Die Einwände der Klägerin entbehren der Grundlage, sind in sich widersprüchlich, inkonsequent oder nicht nachvollziehbar:

So ist es widersprüchlich, dem Sachverständigen auf der einen Seite entgegenzuhalten, es gehöre nicht in das Gutachten, dass sie als kleinste Bauträgerin in A-Stadt tätig sei - dies hatte die Klägerin bei der Begutachtung angegeben -, auf der anderen Seite zu bemängeln, dass er nicht erwähnt habe, dass die Klägerin auch als öffentlich vereidigte Sachverständige tätig sei, und dies in der Folge dem Sachverständigen nochmals als vergessen anzukreiden.

Der Hinweis der Klägerin, es sei für sie "unergründlich", warum der Sachverständige Dr. C. keine Zeichen für eine Schonung oder atrophische Störungen sehe, ist nicht nachvollziehbar. Der Sachverständige hat die Klägerin eingehend untersucht, dabei derartige Zeichen nicht feststellen können und dies nachvollziehbar erläutert, wie es im Übrigen auch dem orthopädischen Gutachten des Dr. T. zu entnehmen ist.

Wenn die Klägerin der Meinung ist

"Normalerweise ist ein Punkt, der sich nicht ausschließen lässt und zu Gunsten der Angaben der Klägerin spricht für den jeweiligen Betroffenen anzusetzen.",

steht diese Ansicht der Klägerin in konträrem Widerspruch zu den Vorgaben der objektiven Beweislast (vgl. oben Ziff. 3.).

Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Klägerin offenbar keine Kritikpunkte bei den Gutachten erkennen kann, die für sie günstig ausgefallen sind. Dabei könnte beispielsweise dem Sachverständigen Dr. R. - abgesehen von den bereits oben aufgezeigten zeigten Fehlern im Gutachten - eine aus Sicht eines Betroffenen oberflächliche Arbeitsweise vorgeworfen werden, da er im Gutachten teilweise über einen männlichen Kläger berichtet (vgl. S. 8 des Gutachtens "von dem Kläger").

4.3.4. Professorentitel als besonderes Qualitätsmerkmal eines Gutachtens

Sofern die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung den Eindruck erweckt hat, aus ihrer Sicht müsste dem - für sie positiven - Gutachten des Prof. Dr. B. schon deshalb mehr Glauben geschenkt werden als den anderen - für sie negativen - Gutachten, weil dieser eine besondere akademische Qualifikation habe, irrt die Klägerin. Die Qualität eines Gutachtens wird nicht durch akademische Titel seines Verfassers, sondern durch den Inhalt bestimmt. Lediglich der Vollständigkeit halber macht der Senat darauf aufmerksam, dass die Erreichung des akademischen Titels eines Professors nicht an besondere Qualifikationen oder Erfahrungen bei der Gutachtenserstellung geknüpft ist.

4.3.5. Fehlende Aktualität der eingeholten Gutachten

Dafür, dass den im Verfahren vor dem SG und anschließend im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten die Aktualität fehlen würde, spricht nichts.

Diese von der Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerte Annahme ist von ihr weder weiter erläutert noch durch irgendwelche medizinische Unterlagen belegt worden. Soweit sich den Akten entnehmen lässt, ist ohnehin von einer weitgehenden Stabilität der orthopädisch bedingten Gesundheitsstörungen auszugehen. Weitere Ermittlungen waren daher nicht angezeigt.

Eine relevante Verschlimmerung haben weder die behandelnden Ärzte der Klägerin im sozialgerichtlichen Verfahren berichtet noch lässt sich eine solche aus einem Vergleich der objektiven Befunde erkennen, wie sie einerseits im Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 15 SB 35/00 und andererseits im aktuellen sozialgerichtlichen Verfahren erhoben worden sind. Sofern überhaupt von einer Tendenz der Verschlechterung gesprochen werden kann, bewegt sich diese in einem vergleichsweise klein ausgeprägten Rahmen.

4.3.6. Angewiesensein auf das Merkzeichen aG wegen der von der Klägerin ausgeübten beruflichen Tätigkeit

Sofern die Klägerin sinngemäß vorträgt, auf das Merkzeichen aG besonders angewiesen zu sein, um ihrer beruflichen Tätigkeit als Bauträgerin mit Baustellenbesuchen unter zumutbaren Bedingungen nachgehen zu können, ist dies ein rechtlich unbeachtlicher Gesichtspunkt.

Beim Merkzeichen aG kommt es - wie bei den anderen Merkzeichen auch (vgl. zum Merkzeichen RF: Urteil des BSG vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85) - ausschließlich auf die gesundheitlichen Voraussetzungen in der Person des Behinderten an, nicht aber auf seine konkreten Berufs- oder Wohn- oder Lebensumstände (vgl. Urteil des Senats vom 20.05.2014, Az.: L 15 SB 226/13). Denn mit der Zuerkennung von Merkzeichen sollen allein behinderungsbedingte Nachteile, nicht aber sich erst in einem Zusammenwirken mit anderen besonderen Umständen ergebende Unannehmlichkeiten ausgeglichen werden. Auch wenn der Senat keine Zweifel daran hat, dass der Klägerin das Merkzeichen aG eine nicht unerhebliche Erleichterung bei ihrer nach eigenen Angaben zeitlich sehr umfangreichen beruflichen Tätigkeit als Bauträgerin und Sachverständige verschaffen würde, kann dies im vorliegenden Verfahren kein rechtlich relevanter Gesichtspunkt sein.

4.3.7. Früher erfolgte Zuerkennung des Merkzeichens aG

Die zunächst im Jahr 1990 wegen einer komplikationsbehafteten Verlängerungsosteotomie erfolgte, später aber nach knöcherner Konsolidierung wieder aufgehobene Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ist für die aktuell zu treffende Beurteilung, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für dieses Merkzeichens vorliegen, ohne jede Bedeutung.

In der Klagebegründung vom 30.01.2012 haben die Bevollmächtigten der Klägerin darauf hingewiesen, dass der Klägerin das Merkzeichen aG seinerzeit zuerkannt worden sei, ohne dass sie dem Personenkreis angehört habe, bei dem vom Vorliegen der Voraussetzungen für dieses Merkzeichen ausgegangen werde. Der Senat kann diesen Vortrag nur dahingehend interpretieren, dass die Klägerin damit zum Ausdruck bringen will, dass die damals erfolgte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichens aG erfolgt sei, obwohl die Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten, und deshalb jetzt unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit damals die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG begehrt.

Diese Begründung verkennt die rechtlichen Voraussetzungen für eine verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz gebietet eine Gleichbehandlung wesentlich gleicher und eine Ungleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte.; ein Gebot der Gleichbehandlung im Unrecht gibt es hingegen nicht (ständige Rspr. des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -, vgl. z.B. Beschlüsse vom 17.01.1979, Az.: 1 BvL 25/77, und vom 12.09.2007, Az.: 2 BvR 1413/06; ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteil vom 11.10.2006, Az.. B 6 KA 35/05 R, ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 06.12.2011, Az.: L 15 SF 46/11 B vom 17.07.2012, Az.: L 15 SF 29/12, und vom 21.08.2012, Az.: L 15 SF 169/12 RG und L 15 SF 170/12 RG). Ein sich aus Vertrauensschutzgesichtspunkten ergebender Anspruch auf eine Wiederholung eines früheren Fehlers ist der Rechtsordnung daher fremd (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.11.1988, Az.: 1 BvR 1298/88).

Der klägerische Hinweis im Schreiben vom 30.01.2012 auf eine damals möglicherweise rechtswidrige Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG begründet daher keinen Anspruch auf eine heute rechtswidrige Feststellung dieser Voraussetzungen. Im Übrigen spricht alles dafür, dass die damals erfolgte Feststellung nicht rechtswidrig, sondern rechtmäßig war. Denn im Jahr 1990 litt die Klägerin noch unter den massiven Komplikationen einer Verlängerungsosteotomie des Oberschenkels und einer deutlich reduzierten Belastungsfähigkeit des rechten Beins, sodass sie einem einseitig Oberschenkelamputierten bei Unmöglichkeit einer Prothesenbenutzung gleichzustellen war. Dabei handelte es sich um eine akute, aber länger andauernde Erkrankung mit weit massiveren Auswirkungen auf die Gehfähigkeit, als sie heute in einer Zeit vorliegen, in der längst die damals fehlende knöcherne Konsolidierung eingetreten ist.

5. Hilfsanträge der Klägerin

Den Anträgen war ausnahmslos nicht zu folgen.

Zu weiteren Ermittlungen im Sinn der Hilfsanträge der Klägerin bestand für den Senat keine Veranlassung und erst recht keine verfahrensrechtliche Pflicht. Die Anträge der Klägerin, die diese in der mündlichen Verhandlung gestellt hat, waren abzulehnen.

Dazu bedurfte es keines gesonderten Beschlusses vor der Entscheidung durch Urteil. Vielmehr kann, wenn derartigen Anträgen nicht stattgegeben wird, unmittelbar die Entscheidung in der Sache ergehen, wobei die (Beweis-)Anträge in der Urteilsbegründung abzuhandeln sind (vgl. Urteil des Senats vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09).

5.1. Ergänzende Anhörung des Sachverständigen Dr. C.

Der hilfsweise Antrag der Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 18.03.2015,

"dass Dr. C. ergänzend zu dem Radiologiebericht vom 09.12.2014 gehört wird",

ist kein förmlicher Beweisantrag, sondern verkörpert nur eine bloße Beweisanregung (vgl. BSG, Beschluss vom 13.05.2011, Az.: B 12 R 25/10 B). Der Antrag beinhaltet kein Beweisthema.

Ein förmlicher Beweisantrag, der über § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG den Zugang zur Revisionsinstanz eröffnen könnte, liegt wie im Strafprozessrecht nur dann vor, wenn Beweismittel und Beweisthema ordnungsgemäß benannt sind (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Beschluss vom 22.06.2004, Az.: B 2 U 78/04 B; vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 160 Rdnr. 18a - m.w.N.). Fehlt es daran, ist der Antrag nicht geeignet, die typischen Rechtsfolgen eines formellen Beweisantrags zu bewirken. Handelt es sich somit nicht um einen Beweisantrag, so darf der Antrag als bloße Anregung an den Senat verstanden werden, im Rahmen der Amtsermittlung weitere Nachforschungen anzustellen (ständige Rspr., vgl. z.B. Urteile des Senats vom 22.10.2012, Az.: L 15 VJ 3/07, und vom 18.02.2014, Az.: L 15 VS 10/13). Der Amtsermittlungsgrundsatz gebietet aber derartige Ermittlungen nicht, da der Sachverhalt durch die überzeugenden Gutachten auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet ausermittelt ist.

Der mit Schreiben vom 12.01.2015 vorgelegte Bericht vom 09.12.2014 über eine Kernspintomographie der Halswirbelsäule vom 08.12.2014 kann für die hier zu entscheidende Frage des Merkzeichens aG keine Relevanz entfalten. Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule haben typischerweise keine entscheidenden Auswirkungen auf die unteren Extremitäten und damit die Gehfähigkeit. Zudem konnten im vorliegenden Fall bei der Kernspintomographie Zeichen einer Myelopathie (Schädigung des Rückenmarks) ausgeschlossen werden. Zu berücksichtigen ist im Übrigen auch, dass Anlass für die Anfertigung der Kernspintomographie eine lediglich akute Zervikobrachialgie gewesen ist. Daraus kann noch kein Rückschluss auf einen Dauerzustand im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gezogen werden; erst ein derartiger Dauerzustand kann aber Berücksichtigung bei schwerbehindertenrechtlichen Feststellungen finden.

Aus welchen Gründen die Bevollmächtigten des Klägers keinen förmlichen Beweisantrag gestellt haben, kann offenbleiben. Jedenfalls besteht bei einem rechtskundigen und berufsmäßigen Bevollmächtigten wie hier vom VdK ("Ass.jur.") (vgl. Urteil des Senats vom 18.02.2014, Az.: L 15 VS 10/13) keine gerichtliche Hinweispflicht darauf, dass der Antrag vom 18.03.2015 nicht den Vorgaben eines förmlichen Beweisantrags entspricht. Es ist allein Sache des Bevollmächtigten, all diejenigen Anträge mit dem aus Klägersicht für erforderlich gehaltenen Inhalt zu Protokoll des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll, ohne dass eine Verpflichtung für das Gericht bestünde, hier Formulierungshilfe zu leisten oder rechtsberatend einzugreifen (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Beschluss vom 20.07.2005, Az.: B 1 KR 39/05 B). Weitere Ausführungen von Seiten des Senats erübrigen sich daher.

5.2. Aufforderung an Dr. R., objektive Symptome für die Annahme der muskulären Insuffizienz zu nennen

Weitere Ermittlungen wegen dieses Beweisantrags waren nicht angezeigt.

Nach § 103 Abs. 2 SGG ist das Gericht bei der Erforschung des Sachverhalts an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Der Umstand, dass bestimmte Ermittlungen mit einem förmlichen Beweisantrag verlangt werden, vermag nicht dazu zu führen, dass für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ein strengerer Maßstab bezüglich der Frage anzulegen wäre, unter welchen Voraussetzungen die gewünschten Ermittlungen unterbleiben dürfen (vgl. Urteil des Senats vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09). Der förmliche Beweisantrag nach dem SGG hat lediglich eine Filterfunktion für die Revisionsinstanz; Sachaufklärungsmängel sollen nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG erst dann als Verfahrensmängel relevant sein, wenn in der Tatsacheninstanz die jeweilige Beweiserhebung förmlich beantragt worden ist. Die Ermittlungspflichten der Gerichte werden dadurch aber nicht verschärft (ständige Rspr., vgl. z.B. Urteile des Senats vom 14.02.2012, Az.: L 15 VJ 3/08, und vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09). Im Rahmen seines richterlichen Ermessens bestimmt das Gericht die Ermittlungen und Maßnahmen, die nach seiner Beurteilung der materiellen Rechtslage zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind; sein Ermessen ist nur durch die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem hiernach für seine Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt (vgl. BSG, Beschluss vom. 07.06.1956, Az.: 1 RA 135/55). Das Gericht muss dabei von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen (vgl. BSG, Beschluss vom 11.12.1969, Az.: GS 2/68).

Unter Beachtung dieser Grundsätze war vorliegend eine Nachfrage bei Dr. R. nicht veranlasst. Die gerichtlichen Sachverständigen Dr. T., Dr. B. und Dr. C. sind allesamt und übereinstimmend, teils vor dem Gutachten des Dr. R., teils danach, nach eingehender körperlicher Untersuchung der Klägerin - eine solche hatte Dr. R. nicht durchgeführt - zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin keine diffusen oder umschriebenen Muskelverschmächtigungen, keine motorischen Ausfälle, keine Reflexauffälligkeiten und auch keine trophischen Muskelstörungen vorliegen. Insofern bedurfte es einer Nachfrage bei Dr. R. nicht, zumal zweifelhaft ist, ob dieser als Facharzt für Anästhesiologie - im Gegensatz zu den Sachverständigen Dr. T., Dr. B. und Dr. C. - auf dem neurologischen und dem orthopädischen Fachgebiet in gleicher Weise qualifiziert ist wie die drei vorgenannten Sachverständigen, wobei diese Zweifel erhebliche Nahrung durch den Inhalt seines Gutachtens finden.

Wenn Dr. C. auf Seite 19 seines Gutachtens vom 29.10.2010 - dies dürfte der Hintergrund für den Antrag der Klägerin sein - ausgeführt hat

"Feststeht aus hiesiger Sicht, dass der neurologische Untersuchungsbefund im Bereich des rechten Beines keine Anhaltspunkte dafür bot, dass hier eine muskuläre Insuffizienz bestehen würde, man müsste den Kläger tatsächlich auffordern, objektive Symptome für diese Annahme zu nennen.",

handelt es sich hierbei für jedermann erkennbar um eine Aufforderung im Sinn einer rhetorischen Fragestellung. Denn bislang hat keiner der Sachverständigen, auch nicht die nach § 109 SGG, eine muskuläre Insuffizienz belegt oder objektiv beschrieben. Auch hat Dr. C. auf derselben Seite seines Gutachtens - ebenfalls zum Gutachten des Dr. R. - Folgendes ausgeführt:

"Wie der Gutachter zu diesem Schluss" - gemeint ist die schwerste muskuläre Insuffizienz des rechten Beines - "kommt, ist unerfindlich, eine schwerste muskuläre Insuffizienz würde ja voraussetzen, dass im Bereich des rechten Beines Zeichen einer Schonung oder Zeichen trophischer Störungen vorliegen, solche wurden allerdings von dem Gutachter nicht mitgeteilt, es ist insofern völlig unklar, wie der Gutachter diese Meinung begründen zu können glaubt."

5.3. Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. W.P.

Der erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag gemäß § 109 SGG wurde grob fahrlässig zu spät eingebracht und ist daher zurückzuweisen.

Gemäß § 109 Abs. 1 SGG ist im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Behinderten ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. Die Anhörung kann von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Abgelehnt werden kann die Anhörung nur unter den Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG. Eine Ablehnung ist möglich, wenn der Antrag entweder in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit zu spät vorgebracht worden ist und sich bei einer Zulassung des Beweisantrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

Grobe Nachlässigkeit ist das Verabsäumen jeder prozessualen Sorgfalt. Sie liegt regelmäßig dann vor, wenn der behinderte Mensch den Antrag auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG nicht in angemessener Frist stellt, obwohl er erkennt oder erkennen muss, dass die von Amts wegen durchzuführende Beweisaufnahme beendet ist (vgl. BSG, vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 303/5).

Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags gemäß § 109 SGG sind vorliegend gegeben.

Mit Schreiben vom 02.12.2012 hat der Berichterstatter des Senats den Bevollmächtigten der Klägerin das für diese im Ergebnis negative Gutachten des Dr. C. vom 29.10.2014 mit ausführlichen Erläuterungen und dem Hinweis darauf, dass die Beweisaufnahme von Amts wegen abgeschlossen sei und Erfolgsaussichten für die Berufung nicht zu erkennen seien, übersandt. Dabei ist eine Frist bis zum 14.01.2015 (Eingang bei Gericht) gesetzt worden. Den rechtskundigen Bevollmächtigten der Klägerin musste daher bewusst sein, dass ein Antrag gemäß § 109 SGG nur innerhalb der vom Gericht durchaus nicht zu knapp gesetzten Frist zulässig ist. Gleichwohl haben sie innerhalb der Frist keinen Sachverständigen nach § 109 SGG benannt, sondern einen derartigen Antrag erst in der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2015 gestellt. Dass mit der vor der mündlichen Verhandlung erfolgten bloßen Ankündigung eines Antrags gemäß § 109 SGG die Frist nicht gewahrt wird, muss den rechtskundigen Vertretern der Klägerin bekannt sein. Denn ein Antrag gemäß § 109 SGG setzt voraus, dass der Antrag klar und unmissverständlich und mit dem - zumindest bestimmbaren - Namen des Arztes gestellt wird, eine lediglich unbestimmte Ankündigung eines Antrags gemäß § 109 SGG reicht nicht (vgl. BSG, Beschlüsse vom 23.10.1957, Az.: 4 RJ 142/57, und 04.11.1959, Az.: 9 RV 862/56).

Angesichts der großzügigen - das BSG hat eine Frist von sechs Wochen sogar als unnötig lang angesehen (vgl. BSG, Beschluss vom 10.12.1958, Az.: 4 RJ 143/58) - Fristsetzung im gerichtlichen Schreiben vom 02.12.2014 ist der Antrag gemäß § 109 SGG in der mündlichen Verhandlung grob nachlässig zu spät gestellt worden. Die Bevollmächtigten hätten mit der Antragstellung keinesfalls bis zur mündlichen Verhandlung warten dürfen; tun sie dies - wie hier - doch, ist dieses Verhalten grob nachlässig (vgl. BSG, Beschluss vom 22.06.1966, Az.: 8 RV 227/65).

Da die Zulassung des Beweisantrags einer Entscheidung in der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2015 entgegen gestanden wäre und daher das Verfahren verzögert hätte, war der Antrag zurückzuweisen.

Die Berufung des Beklagten hat daher Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Zu berücksichtigen war, dass die Klägerin mit ihrem Klageziel - Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen B einerseits und das Merkzeichen aG andererseits - zur Hälfte Erfolg gehabt hat.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.