Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 16. März 2018 - L 5 KR 731/17 B

bei uns veröffentlicht am16.03.2018

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 10.11.2017 aufgehoben.

Gründe

I.

Das Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Landshut richtet sich gegen den Haftungsbescheid der Beklagten vom 23.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2016, mit dem der Kläger für rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge der vormaligen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) A. und R. A. auf der Basis des Nachforderungsbescheides der DRV Bund vom 19.3.2015 in Höhe von 98.585,96 EUR in Anspruch genommen wird. Gegen den Nachforderungsbescheid vom 19.3.2015 ist ein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Landshut unter dem Aktenzeichen S 1 R 5091/15 anhängig. Wegen der Vorgreiflichkeit dieser Klage hat das Gericht das Haftungsbescheids-Verfahren ausgesetzt. Gegen den Aussetzungsbeschluss vom 10.11.2017 richtet sich die vorliegende Beschwerde des Klägers, die nicht begründet worden ist. Die Beklagte hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde ist in der Sache erfolgreich. Das Sozialgericht war veranlasst, den Haftungsbescheid, welcher aus Gründen rechtswidrig ist, die nicht im Zusammenhang mit dem Nachforderungsbescheid der DRV Bund vom 19.3.2015 stehen, aufzuheben und der Klage stattzugeben.

1. Nach § 114 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 SGG kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet

2. An dieser Vorgreiflichkeit fehlt es vorliegend, denn die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides hat das Sozialgericht unabhängig von dem Verfahren gegen die GbR zu entscheiden.

a. Für den Haftungsbescheid fehlt an der wegen des Vermögenseingriffs (Art. 12 GG) erforderlichen, dem Gebot der Normenklarheit entsprechenden Rechtsgrundlage zu Gunsten der Beklagten. Die allgemeine Entscheidungsgrundlage § 28h SGB IV reicht nicht dafür aus, die handelnden Personen, nicht aber den Arbeitgeber (hier die GbR) für Beiträge haftbar zu machen, welche der Arbeitgeber nach der ausdrücklichen Regelung in § 28e SGB IV allein schuldet. Dafür bedürfte es einer ausdrücklichen Norm, wie sie im Beitragsrecht der Gesetzlichen Unfallversicherung in § 157 SGB VII sowie im Steuerrecht in § 191 AO zu finden sind.

Zudem ergibt sich das Fehlen der Rechtsgrundlage für einen Haftungsbescheid auch aus den Gesetzgebungsmaterialien. Im Entwurf des SGB IV-Einordnungsgesetzes vom 2.5.1988 - BT-Drs. 11/2221 - war in § 28e Abs. 4 SGB IV eine Entsprechende Regelung enthalten (aaO, S. 6 und 22). Diese Regelung wurde aber im Gesetzgebungsverfahren gestrichen (BT-Drs. 11/3445 vom 28.11.1988, S. 8 u. 35).

b. Zudem können die GbR als Arbeitgeber sowie die beiden handelnden natürlichen Personen A. sowie R. A. für die nur einmal abzuführenden Beiträge allein als Gesamtschuldner haften. Dann aber hat der Sozialversicherungsträger, hier die Beklagte als Einzugsstelle, nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 30.03.2017, B 2 U 10/15 R) aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Ermessen, welcher der Gesamtschuldner in welchem Umfange in Anspruch genommen wird. Eine Ermessensausübung ist im Bescheid der Beklagten vom 23.05.2016/Widerspruchsbescheid vom 7.9.2016 nicht erkennbar, so dass dieser wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und schon deshalb aufzuheben ist.

3. Eine Kostenentscheidung und ein Streitwertbeschluss hatten nicht zu ergehen. Das Beschwerdeverfahren gegen den Aussetzungsbeschluss ist kein eigenes Verfahren oder ein eigener Verfahrensabschnitt, sondern nur ein Zwischenstreit im noch anhängigen Rechtsstreit vor dem Sozialgericht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 15.12.2012, Az.: L 1 KR 421/12 B; Keller in Mayer-Ladewig et.al., 12. Aufl., 2017, SGG, § 114 Rz. 9 mwN).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 177


Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger

Abgabenordnung - AO 1977 | § 191 Haftungsbescheide, Duldungsbescheide


(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28e Zahlungspflicht, Vorschuss


(1) Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen. Die Zahlung des v

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28h Einzugsstellen


(1) Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist an die Krankenkassen (Einzugsstellen) zu zahlen. Die Einzugsstelle überwacht die Einreichung des Beitragsnachweises und die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Beitragsansprüche, die nicht recht

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 157 Gefahrtarif


(1) Der Unfallversicherungsträger setzt als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest. In dem Gefahrtarif sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen. Für die in § 121 Abs. 2 genannten Unternehmen der Seefahrt kann die Berufsgenossenscha

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Bundessozialgericht Urteil, 30. März 2017 - B 2 U 10/15 R

bei uns veröffentlicht am 30.03.2017

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2015 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frank
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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 29. Jan. 2019 - L 5 KR 394/18

bei uns veröffentlicht am 29.01.2019

Tenor I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 14.08.2018 wird zurückgewiesen. II. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge. III. Die Revision wird zugelassen. Tatbestand

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(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist an die Krankenkassen (Einzugsstellen) zu zahlen. Die Einzugsstelle überwacht die Einreichung des Beitragsnachweises und die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Beitragsansprüche, die nicht rechtzeitig erfüllt worden sind, hat die Einzugsstelle geltend zu machen.

(2) Die Einzugsstelle entscheidet über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung auf Verlangen des Arbeitgebers durch einen schriftlichen oder elektronischen Bescheid; sie erlässt auch den Widerspruchsbescheid. Soweit die Einzugsstelle die Höhe des Arbeitsentgelts nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat sie dieses zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt des Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mit zu berücksichtigen. Die nach § 28i Satz 5 zuständige Einzugsstelle prüft die Einhaltung der Arbeitsentgeltgrenze bei geringfügiger Beschäftigung nach den §§ 8 und 8a und entscheidet bei deren Überschreiten über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung; sie erlässt auch den Widerspruchsbescheid.

(2a) (weggefallen)

(3) Bei Verwendung eines Haushaltsschecks vergibt die Einzugsstelle im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit die Betriebsnummer des Arbeitgebers, berechnet den Gesamtsozialversicherungsbeitrag und die Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz und zieht diese vom Arbeitgeber im Wege des Lastschriftverfahrens ein. Die Einzugsstelle meldet bei Beginn und Ende der Beschäftigung und zum Jahresende der Datenstelle der Rentenversicherung die für die Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit erforderlichen Daten eines jeden Beschäftigten. Die Einzugsstelle teilt dem Beschäftigten den Inhalt der abgegebenen Meldung schriftlich oder durch gesicherte Datenübertragung mit.

(4) Bei Verwendung eines Haushaltsschecks bescheinigt die Einzugsstelle dem Arbeitgeber zum Jahresende

1.
den Zeitraum, für den Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt wurden, und
2.
die Höhe des Arbeitsentgelts (§ 14 Absatz 3), des von ihm getragenen Gesamtsozialversicherungsbeitrags und der Umlagen.

(1) Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen. Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht. Ist ein Träger der Kranken- oder Rentenversicherung oder die Bundesagentur für Arbeit der Arbeitgeber, gilt der jeweils für diesen Leistungsträger oder, wenn eine Krankenkasse der Arbeitgeber ist, auch der für die Pflegekasse bestimmte Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag als gezahlt; dies gilt für die Beiträge zur Rentenversicherung auch im Verhältnis der Träger der Rentenversicherung untereinander.

(2) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers haftet bei einem wirksamen Vertrag der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Er kann die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist. Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes unwirksam ist, so hat er auch den hierauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Hinsichtlich der Zahlungspflicht nach Satz 3 gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.

(2a) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht, die sich für den Arbeitgeber knappschaftlicher Arbeiten im Sinne von § 134 Absatz 4 des Sechsten Buches ergibt, haftet der Arbeitgeber des Bergwerkbetriebes, mit dem die Arbeiten räumlich und betrieblich zusammenhängen, wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers von Seeleuten nach § 13 Absatz 1 Satz 2 haften Arbeitgeber und Reeder als Gesamtschuldner.

(3a) Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Absatz 2 des Dritten Buches beauftragt, haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Satz 1 gilt entsprechend für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3b) Die Haftung nach Absatz 3a entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Ein Verschulden des Unternehmers ist ausgeschlossen, soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers durch eine Präqualifikation nachweist, die die Eignungsvoraussetzungen nach § 6a der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2019 (BAnz. AT 19.02.2019 B2) erfüllt.

(3c) Ein Unternehmer, der Bauleistungen im Auftrag eines anderen Unternehmers erbringt, ist verpflichtet, auf Verlangen der Einzugstelle Firma und Anschrift dieses Unternehmers mitzuteilen. Kann der Auskunftsanspruch nach Satz 1 nicht durchgesetzt werden, hat ein Unternehmer, der einen Gesamtauftrag für die Erbringung von Bauleistungen für ein Bauwerk erhält, der Einzugsstelle auf Verlangen Firma und Anschrift aller Unternehmer, die von ihm mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt wurden, zu benennen.

(3d) Absatz 3a gilt ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275 000 Euro, wobei für Schätzungen die Vergabeverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624) in der jeweils geltenden Fassung gilt.

(3e) Die Haftung des Unternehmers nach Absatz 3a erstreckt sich in Abweichung von der dort getroffenen Regelung auf das von dem Nachunternehmer beauftragte nächste Unternehmen, wenn die Beauftragung des unmittelbaren Nachunternehmers bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände als ein Rechtsgeschäft anzusehen ist, dessen Ziel vor allem die Auflösung der Haftung nach Absatz 3a ist. Maßgeblich für die Würdigung ist die Verkehrsanschauung im Baubereich. Ein Rechtsgeschäft im Sinne dieser Vorschrift, das als Umgehungstatbestand anzusehen ist, ist in der Regel anzunehmen,

a)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder selbst eigene Bauleistungen noch planerische oder kaufmännische Leistungen erbringt oder
b)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder technisches noch planerisches oder kaufmännisches Fachpersonal in nennenswertem Umfang beschäftigt oder
c)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer in einem gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Hauptunternehmer steht.
Besonderer Prüfung bedürfen die Umstände des Einzelfalles vor allem in den Fällen, in denen der unmittelbare Nachunternehmer seinen handelsrechtlichen Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums hat.

(3f) Der Unternehmer kann den Nachweis nach Absatz 3b Satz 2 anstelle der Präqualifikation auch für den Zeitraum des Auftragsverhältnisses durch Vorlage von lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen der zuständigen Einzugsstellen für den Nachunternehmer oder den von diesem beauftragten Verleiher erbringen. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung enthält Angaben über die ordnungsgemäße Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und die Zahl der gemeldeten Beschäftigten.

(3g) Für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist und der einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragt, gelten die Absätze 3a, 3b Satz 1, 3e und 3f entsprechend. Absatz 3b Satz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass die Präqualifikation die Voraussetzung erfüllt, dass der Nachunternehmer in einem amtlichen Verzeichnis eingetragen ist oder über eine Zertifizierung verfügt, die jeweils den Anforderungen des Artikels 64 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 (ABl. L 337 vom 19.12.2017, S. 19) geändert worden ist, entsprechen. Für einen Unternehmer, der im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördert, gilt Absatz 3c entsprechend. Beförderung von Paketen im Sinne dieses Buches ist

a)
die Beförderung adressierter Pakete mit einem Einzelgewicht von bis zu 32 Kilogramm, soweit diese mit Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen erfolgt,
b)
die stationäre Bearbeitung von adressierten Paketen bis zu 32 Kilogramm mit Ausnahme der Bearbeitung im Filialbereich.

(3h) Die Bundesregierung berichtet unter Beteiligung des Normenkontrollrates zum 31. Dezember 2023 über die Wirksamkeit und Reichweite der Haftung für Sozialversicherungsbeiträge für die Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragen, insbesondere über die Haftungsfreistellung nach Absatz 3b und Absatz 3f Satz 1.

(4) Die Haftung umfasst die Beiträge und Säumniszuschläge, die infolge der Pflichtverletzung zu zahlen sind, sowie die Zinsen für gestundete Beiträge (Beitragsansprüche).

(5) Die Satzung der Einzugsstelle kann bestimmen, unter welchen Voraussetzungen vom Arbeitgeber Vorschüsse auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag verlangt werden können.

(1) Der Unfallversicherungsträger setzt als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest. In dem Gefahrtarif sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen. Für die in § 121 Abs. 2 genannten Unternehmen der Seefahrt kann die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation Gefahrklassen feststellen.

(2) Der Gefahrtarif wird nach Tarifstellen gegliedert, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden. Für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten kann eine Tarifstelle mit einer Gefahrklasse vorgesehen werden.

(3) Die Gefahrklassen werden aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet.

(4) Der Gefahrtarif hat eine Bestimmung über die Festsetzung der Gefahrklassen oder die Berechnung der Beiträge für fremdartige Nebenunternehmen vorzusehen. Die Berechnungsgrundlagen des Unfallversicherungsträgers, dem die Nebenunternehmen als Hauptunternehmen angehören würden, sind dabei zu beachten.

(5) Der Gefahrtarif hat eine Geltungsdauer von höchstens sechs Kalenderjahren.

(6) (weggefallen)

(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.

(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.

(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.

(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,

1.
soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann,
2.
soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen worden ist.
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.

(1) Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen. Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht. Ist ein Träger der Kranken- oder Rentenversicherung oder die Bundesagentur für Arbeit der Arbeitgeber, gilt der jeweils für diesen Leistungsträger oder, wenn eine Krankenkasse der Arbeitgeber ist, auch der für die Pflegekasse bestimmte Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag als gezahlt; dies gilt für die Beiträge zur Rentenversicherung auch im Verhältnis der Träger der Rentenversicherung untereinander.

(2) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers haftet bei einem wirksamen Vertrag der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Er kann die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist. Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes unwirksam ist, so hat er auch den hierauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Hinsichtlich der Zahlungspflicht nach Satz 3 gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.

(2a) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht, die sich für den Arbeitgeber knappschaftlicher Arbeiten im Sinne von § 134 Absatz 4 des Sechsten Buches ergibt, haftet der Arbeitgeber des Bergwerkbetriebes, mit dem die Arbeiten räumlich und betrieblich zusammenhängen, wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers von Seeleuten nach § 13 Absatz 1 Satz 2 haften Arbeitgeber und Reeder als Gesamtschuldner.

(3a) Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Absatz 2 des Dritten Buches beauftragt, haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Satz 1 gilt entsprechend für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3b) Die Haftung nach Absatz 3a entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Ein Verschulden des Unternehmers ist ausgeschlossen, soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers durch eine Präqualifikation nachweist, die die Eignungsvoraussetzungen nach § 6a der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2019 (BAnz. AT 19.02.2019 B2) erfüllt.

(3c) Ein Unternehmer, der Bauleistungen im Auftrag eines anderen Unternehmers erbringt, ist verpflichtet, auf Verlangen der Einzugstelle Firma und Anschrift dieses Unternehmers mitzuteilen. Kann der Auskunftsanspruch nach Satz 1 nicht durchgesetzt werden, hat ein Unternehmer, der einen Gesamtauftrag für die Erbringung von Bauleistungen für ein Bauwerk erhält, der Einzugsstelle auf Verlangen Firma und Anschrift aller Unternehmer, die von ihm mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt wurden, zu benennen.

(3d) Absatz 3a gilt ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275 000 Euro, wobei für Schätzungen die Vergabeverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624) in der jeweils geltenden Fassung gilt.

(3e) Die Haftung des Unternehmers nach Absatz 3a erstreckt sich in Abweichung von der dort getroffenen Regelung auf das von dem Nachunternehmer beauftragte nächste Unternehmen, wenn die Beauftragung des unmittelbaren Nachunternehmers bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände als ein Rechtsgeschäft anzusehen ist, dessen Ziel vor allem die Auflösung der Haftung nach Absatz 3a ist. Maßgeblich für die Würdigung ist die Verkehrsanschauung im Baubereich. Ein Rechtsgeschäft im Sinne dieser Vorschrift, das als Umgehungstatbestand anzusehen ist, ist in der Regel anzunehmen,

a)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder selbst eigene Bauleistungen noch planerische oder kaufmännische Leistungen erbringt oder
b)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder technisches noch planerisches oder kaufmännisches Fachpersonal in nennenswertem Umfang beschäftigt oder
c)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer in einem gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Hauptunternehmer steht.
Besonderer Prüfung bedürfen die Umstände des Einzelfalles vor allem in den Fällen, in denen der unmittelbare Nachunternehmer seinen handelsrechtlichen Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums hat.

(3f) Der Unternehmer kann den Nachweis nach Absatz 3b Satz 2 anstelle der Präqualifikation auch für den Zeitraum des Auftragsverhältnisses durch Vorlage von lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen der zuständigen Einzugsstellen für den Nachunternehmer oder den von diesem beauftragten Verleiher erbringen. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung enthält Angaben über die ordnungsgemäße Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und die Zahl der gemeldeten Beschäftigten.

(3g) Für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist und der einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragt, gelten die Absätze 3a, 3b Satz 1, 3e und 3f entsprechend. Absatz 3b Satz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass die Präqualifikation die Voraussetzung erfüllt, dass der Nachunternehmer in einem amtlichen Verzeichnis eingetragen ist oder über eine Zertifizierung verfügt, die jeweils den Anforderungen des Artikels 64 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 (ABl. L 337 vom 19.12.2017, S. 19) geändert worden ist, entsprechen. Für einen Unternehmer, der im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördert, gilt Absatz 3c entsprechend. Beförderung von Paketen im Sinne dieses Buches ist

a)
die Beförderung adressierter Pakete mit einem Einzelgewicht von bis zu 32 Kilogramm, soweit diese mit Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen erfolgt,
b)
die stationäre Bearbeitung von adressierten Paketen bis zu 32 Kilogramm mit Ausnahme der Bearbeitung im Filialbereich.

(3h) Die Bundesregierung berichtet unter Beteiligung des Normenkontrollrates zum 31. Dezember 2023 über die Wirksamkeit und Reichweite der Haftung für Sozialversicherungsbeiträge für die Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragen, insbesondere über die Haftungsfreistellung nach Absatz 3b und Absatz 3f Satz 1.

(4) Die Haftung umfasst die Beiträge und Säumniszuschläge, die infolge der Pflichtverletzung zu zahlen sind, sowie die Zinsen für gestundete Beiträge (Beitragsansprüche).

(5) Die Satzung der Einzugsstelle kann bestimmen, unter welchen Voraussetzungen vom Arbeitgeber Vorschüsse auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag verlangt werden können.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2015 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. März 2013 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger als bestellten Bevollmächtigten der Bau & Forstbetrieb L. Limited (B & F L. Limited) für deren Beitragsschulden in voller Höhe durch Beitragsbescheid in Anspruch nehmen durfte.

2

Der Kläger war (Mit-)Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der B & F L. Limited, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem und walisischem Recht, die im Handelsregister für England und Wales (Companies House) eingetragen war. Satzungssitz war Birmingham; das Haftungskapital betrug 100 englische Pfund. Unternehmensgegenstand waren ua Maurer-, Putz- und Betonarbeiten.

3

Mit identischem Unternehmensgegenstand meldete die B & F L. Limited am 29.12.2005 im Inland eine Zweigstelle als Gewerbe an. Diese wurde später in das Handelsregister beim AG Frankfurt (Oder) eingetragen. In der Gewerbeanmeldung wurde der Kläger als Bevollmächtigter der B & F L. Limited benannt. Die Zweigniederlassung nahm ihre Geschäftstätigkeit zum 1.1.2006 auf. Im Jahre 2007 stellte sie den Geschäftsbetrieb ein. Das Gewerbe wurde zum 28.2.2007 abgemeldet. Das AG Frankfurt (Oder) eröffnete durch Beschluss vom 2.4.2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B & F L. Limited. Die Beklagte forderte vom Kläger persönlich nach Anhörung Umlagen und Unfallversicherungsbeiträge iHv 8639,41 Euro für das Umlagejahr 2006 (Beitragsbescheid vom 7.6.2010, Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010).

4

Das SG Frankfurt (Oder) hat die Bescheide auf die Klage aufgehoben (Urteil vom 4.3.2013): Ein Rückgriff auf den Kläger nach § 130 Abs 2 SGB VII sei nicht möglich, weil die Vorschrift nur Fälle erfasse, in denen ein ausländisches Unternehmen im Inland überhaupt keinen Sitz habe. Ein Inlandssitz bestehe, wenn im Inland eine Betriebsstätte unter verantwortlicher Leitung des Unternehmers existiere. Ein Zugriff auf einen Bevollmächtigten sei dann nicht erforderlich, weil mit der Zweigniederlassung ein für den Unfallversicherungsträger greifbarer Schuldner existiere.

5

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG Berlin-Brandenburg das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.4.2015): Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nach § 150 Abs 2 S 2 iVm § 130 Abs 2 S 1 SGB VII Schuldner der Beitragsforderung. Er sei als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer unzweifelhaft Bevollmächtigter iS des § 130 Abs 2 S 1 SGB VII. Auch habe die B & F L. Limited keinen Inlandssitz gehabt. Maßgeblich hierfür sei die sog Gründungstheorie des EuGH. Hiernach komme es auf den Staat an, in dem die Gesellschaft gegründet worden sei. Die B & F L. Limited habe ihren Gesellschaftssitz weiterhin in Großbritannien. Den Entscheidungen des EuGH zur Gründungstheorie sei der Grundgedanke zu entnehmen, dass, wenn ein EU-Staatsangehöriger in einem Mitgliedsstaat rechtmäßig eine Kapitalgesellschaft gründe, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft dann aber ausschließlich in einem anderen Mitgliedsstaat entfalte, auf die Gesellschaft das Recht des Gründungsstaates Anwendung finde. Der Kläger könne nicht iS eines Rosinenpickens im Rahmen seiner Gestaltungsmöglichkeiten eine Gesellschaft nach ausländischem Recht gründen, mit dieser ausschließlich im Inland Geschäftsaktivitäten entfalten, um sich dann dennoch als inländische Gesellschaft behandeln lassen zu wollen. Zudem bestehe bei ausländischen Gesellschaften, die mangels Mindestkapitalisierung weniger solvent seien, ein Bedürfnis, einen gesamtschuldnerisch haftenden Bevollmächtigten nach § 130 Abs 2 SGB VII zu bestellen. Insbesondere spreche auch § 130 Abs 2 S 3 SGB VII, der den Ort der inländischen Betriebsstätte als Sitz fingiere, für eine an rechtlichen Gesichtspunkten orientierte Begriffsbestimmung. Einer solchen Fiktion bedürfte es nicht, wenn allein die Existenz einer Zweigniederlassung ohne Weiteres einen Inlandssitz begründen würde. Schließlich würde nach §§ 13d ff HGB für ausländische Gesellschaften im Geltungsbereich des HGB eine Niederlassung eingetragen, ohne dass hierdurch eine Änderung des Unternehmenssitzes eintrete.

6

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 150 Abs 2 iVm § 130 Abs 2 S 1 SGB VII. Der Unternehmenssitz sei gemäß § 130 Abs 1 SGB VII nicht rechtlich, sondern nach dem organisatorischen Mittelpunkt zu bestimmen. Soweit ein Unternehmen im Inland einen organisatorischen Mittelpunkt habe, habe es mit dieser selbständigen Niederlassung einen Inlandssitz.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. März 2013 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG das zusprechende Urteil des SG aufgehoben und die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1 SGG) des Klägers abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten in dem Beitragsbescheid vom 7.6.2010 iVm dem Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010, ihn als Gesamtschuldner allein in voller Höhe für die Beiträge der B & F L. Limited im Umlagejahr 2006 heranzuziehen, ist rechtswidrig. Zwar lagen im hier maßgebenden Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Jahre 2010 die Tatbestandsvoraussetzungen der herangezogenen § 168 Abs 1, § 130 Abs 2 S 2, § 150 Abs 1 S 1, Abs 2 S 2 SGB VII zu Lasten des Klägers vor. Die neu entstandene Beitragspflicht des Klägers änderte jedoch nichts daran, dass die B & F L. Limited weiterhin ebenfalls Beitragsschuldnerin war (nachfolgend 1.). Die Beklagte hat es aber versäumt, von der ihr in § 150 Abs 2 S 2 SGB VII eingeräumten gesetzlichen Ermächtigung Gebrauch zu machen und zu begründen, wieso sie die Beiträge von dem Kläger persönlich in voller Höhe als Gesamtschuldner fordert. Insofern liegt ein Ermessensfehler in Form des Ermessensnichtgebrauchs vor (§ 54 Abs 2 S 2 SGG; nachfolgend 2.).

10

1. Nach § 168 Abs 1 SGB VII teilt der Unfallversicherungsträger den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Beitragspflichtig sind nach § 150 Abs 1 S 1 SGB VII die Unternehmer(§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII), für deren Unternehmen (§ 121 Abs 1 SGB VII) Versicherte (§§ 2, 3 und 6 SGB VII) tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Die (örtliche) Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers und dessen Gläubigerstellung im Beitragsschuldverhältnis richtet sich gemäß § 130 Abs 1 S 1 SGB VII nach dem Sitz des Unternehmens. Diese Vorschrift regelt indes nur Fälle, in denen Unternehmen einen Inlandssitz haben, wie sich im Umkehrschluss aus § 130 Abs 2 S 1 SGB VII ergibt ("Hat ein Unternehmen keinen Sitz im Inland …"). Für Unternehmen mit Sitz im Ausland greift § 130 Abs 1 S 1 SGB VII demnach nicht. Vielmehr gilt dann § 130 Abs 2 S 1 SGB VII, der die Bestellung eines Bevollmächtigten vorsieht. Beide Absätze des § 130 SGB VII stehen also in einem Stufenverhältnis, sodass § 130 Abs 2 SGB VII nur zur Anwendung kommt, wenn § 130 Abs 1 SGB VII nicht einschlägig ist. Hat das Unternehmen einen Inlandssitz, steht dem Unfallversicherungsträger als Gläubiger der Beitragsforderung allein der Unternehmer als Schuldner gegenüber (s auch Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 12/2012, § 130 RdNr 4). Wenn und sobald sein Unternehmen keinen Sitz im Inland (mehr) hat, muss er gemäß § 130 Abs 2 S 1 SGB VII einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland bestellen, der kraft Gesetzes(§ 130 Abs 2 S 2 SGB VII) die Pflichten des Unternehmers hat. Nach § 150 Abs 2 S 2 SGB VII haften "die in § 130 Abs 2 S 1 … genannten Bevollmächtigten … mit den Unternehmern als Gesamtschuldner".

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a) Zuständiger Unfallversicherungsträger und damit Gläubigerin der geltend gemachten Beitragsforderung ist die Beklagte, weil die B & F L. Limited ihren unfallversicherungsrechtlichen Unternehmenssitz am Ort ihrer Zweigniederlassung im inländischen R. hatte, als die Beitragsansprüche im Kalenderjahr 2006 kraft Gesetzes dem Grunde nach entstanden sind (§ 152 Abs 1 S 1 SGB VII). Die Zweigniederlassung der B & F L. Limited war ein "Unternehmen" iS des § 121 Abs 1 SGB VII. Nach dessen Klammerzusatz erfasst der unfallversicherungsrechtliche Unternehmensbegriff neben Betrieben und Einrichtungen auch bloße Tätigkeiten (Senatsurteil vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - SozR 4-2700 § 123 Nr 2 RdNr 13)und ist mithin denkbar weit. Da die B & F L. Limited ihre Geschäftstätigkeit in R. tatsächlich ausübte, war ihre dortige Zweigniederlassung ein "Unternehmen" iS des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung. Der "Sitz" des Unternehmens ist sein organisatorischer Mittelpunkt, von dem es kaufmännisch und technisch geleitet wird (so bereits RVA EuM 14, 182; Diel in Hauck/Noftz, SGB VII, 4/2014, § 130 RdNr 10; Köhler in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl 2014, § 130 RdNr 2; Leube in Kater/Leube, 1997, SGB VII, § 130 RdNr 3; Quabach, Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VII, 2. Aufl 2014, § 130 RdNr 17; Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 12/2012, § 130 RdNr 4). Dies war bei der im Vereinigten Königreich gegründeten, aber ausschließlich in Deutschland tätigen B & F L. Limited nicht ihr satzungsrechtlicher Sitz in B., sondern der Ort der Zweigniederlassung in R. Dagegen ist ein an rechtlichen Gesichtspunkten orientiertes Begriffsverständnis des Unternehmenssitzes - wie vom LSG angenommen - mit dem auf die tatsächliche Tätigkeitsausübung bezogenen Unternehmensbegriff des SGB VII unvereinbar. Auch ist nicht erkennbar, inwieweit die vom EuGH in anderem Zusammenhang entwickelte sog "Gründungstheorie" dem insofern eindeutigen Wortlaut und Regelungszusammenhang der §§ 121,130 SGB VII vorgehen sollte. Dass europarechtlich eine Gründung des Unternehmens in einem anderen Land zulässig ist, ändert nichts am Anknüpfen der § 121 SGB VII und § 130 SGB VII an der faktischen Organisation eines Unternehmens im Inland(anders offenbar LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 4.12.2014 - L 6 U 99/12 - IPRspr 2014, Nr 33, 54 ff = Juris RdNr 33 ff).

12

b) Beitragspflichtig und damit Schuldnerin der im Kalenderjahr 2006 kraft Gesetzes dem Grunde nach (§ 152 Abs 1 S 1 SGB VII)entstandenen Beitragsforderung war zunächst ausschließlich die B & F L. Limited als Unternehmerin (§ 150 Abs 1 S 1 SGB VII), der das Ergebnis des Unternehmens (Zweigniederlassung) unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereichte (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Diese Beitragspflicht blieb bestehen, als der bevollmächtigte Kläger am 1.3.2007 als weiterer Beitragsschuldner gemäß § 130 Abs 2 S 2 SGB VII kraft gesetzlichen Schuldbeitritts neben die B & F L. Limited trat. Diese Vorschrift erstreckt "die Pflichten des Unternehmers", zu denen auch die Beitragspflicht nach § 150 Abs 1 S 1 SGB VII zählt, auf dessen Bevollmächtigten. Einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland hat der Unternehmer gemäß § 130 Abs 2 S 1 SGB VII zu bestellen, wenn und sobald sein Unternehmen keinen Sitz im Inland hat. Die damit verbundene Rechtspflicht, einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen, entstand für die B & F L. Limited erstmals am 1.3.2007 um 0.00 Uhr, nachdem sie nach den nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)als Unternehmerin mit Sitz im Vereinigten Königreich den Geschäftsbetrieb in ihrer inländischen Zweigniederlassung am 28.2.2007 um 24.00 Uhr eingestellt und das Gewerbe abgemeldet hatte. Damit hatte sie am 1.3.2007 ab 0.00 Uhr keinen Sitz im Inland mehr. Gleichzeitig war dieser Rechtspflicht Genüge getan, weil die Unternehmerin den Kläger, der seinen Wohnsitz im Inland hatte, nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts bereits in der Gewerbeanmeldung vom 29.12.2005 ausdrücklich als ihren "Bevollmächtigten" bezeichnet und in der Handelsregisteranmeldung als alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer benannt und damit zu ihrem Bevollmächtigten im Inland bestellt hatte.

13

Nach § 150 Abs 2 S 2 SGB VII hat der Kläger als Gesamtschuldner für die (Beitrags-)Pflicht der B & F L. Limited einzustehen und konnte gemäß § 168 Abs 1 SGB VII - im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung am 10.12.2010 - als solcher durch Beitragsbescheid in Haftung genommen werden. Entscheidend ist deshalb im vorliegenden Fall, dass der Beklagten bei Erlass der angefochtenen Bescheide nach der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Rechts- und bestehenden Sachlage zwei Schuldner für die Beitragsforderung zur Verfügung standen, nämlich nach wie vor die B & F L. Limited und nach der Aufgabe deren Produktionsstätte im Inland der Kläger persönlich. Insofern ist es auch wenig nachvollziehbar, inwiefern das Abstellen auf das deutsche Beitragsrecht der §§ 130, 150 SGB VII dem Kläger hier eine "Rosinenpickerei" ermöglichen könnte.

14

2. Die Beklagte hat es jedoch versäumt, ihr durch § 150 Abs 2 S 2 SGB VII eingeräumtes Ermessen, ob und ggf welchen der beiden Gesamtschuldner sie in welcher Höhe in Haftung nimmt, zu betätigen(zu der von § 150 Abs 2 S 2 SGB VII generell geforderten Ermessensausübung vgl bereits Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 3/2013, § 150 RdNr 10). Damit war der an den Kläger persönlich gerichtete Beitragsbescheid vom 7.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.12.2010 wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und schon deshalb aufzuheben.

15

Die Möglichkeit eines Gläubigers, "die Leistung nach ... Belieben von jedem" der (Gesamt-)Schuldner "ganz oder zu einem Teil" zu "fordern" (vgl § 421 S 1 BGB), ist im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich in der Weise überformt, dass bei der Auswahl des Gesamtschuldners und der Bestimmung der Quantität ("ganz oder zu einem Teil") eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen ist. An die Stelle des zivilrechtlichen Beliebens tritt - schon wegen des verfassungsrechtlichen Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) - im öffentlichen Recht die ermessensgebundene Entscheidung. Mit der gesetzlichen Anordnung in § 150 Abs 2 S 2 SGB VII, dass Unternehmer und Bevollmächtigter als Gesamtschuldner haften, wird der ausführenden Behörde damit gleichzeitig Ermessen eingeräumt; der Gesamtschuldnerschaft im öffentlichen Recht ist - mit anderen Worten - die Ermessenseinräumung begrifflich immanent.

16

Der Unfallversicherungsträger ist als Träger öffentlicher Gewalt grundrechtsgebunden, sodass die belastende Entscheidung, welchen von mehreren Grundrechtsträgern (= Schuldnern) er in welcher Höhe in Anspruch nehmen möchte (Grundrechtseingriff), nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen (Auswahl-)Ermessen der Behörde steht, für das die allgemeinen Grundsätze des § 39 SGB I gelten. Im Fall der Gesamtschuldnerschaft kann der einzelne Beitragspflichtige deshalb nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung seiner Freiheitsgrundrechte, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Willkürverbots in Anspruch genommen werden. Jeder Gesamtschuldner hat ein subjektiv-öffentliches Recht, dass der Unfallversicherungsträger die belastende Entscheidung über seine Inanspruchnahme ermessensfehlerfrei trifft. In diesem Sinne liegt es auch nach ständiger Rechtsprechung des BFH im Ermessen der Finanzbehörde, welchen Gesamtschuldner iS des § 44 AO sie in welcher Höhe in Anspruch nimmt(vgl zB BFH Urteil vom 2.12.2003 - VII R 17/03 - BFHE 204, 380 sowie Beschlüsse vom 12.7.1999 - VII B 2/99 - Juris RdNr 15 und vom 7.10.2004 - VII B 46/04 - BeckRS 2004, 25007513; Ratschow in Klein, AO, 13. Aufl 2016, § 44 RdNr 13). Gleiches gilt für den Erlass von Haftungsbescheiden nach § 191 AO(vgl BFH Urteile vom 24.10.1979 - VII R 7/77 - BFHE 129, 13 = Juris RdNr 10 mwN und vom 23.10.1985 - I R 248/81 - BFHE 145, 175 = Juris RdNr 27; Intemann in Koenig, AO, 3. Aufl 2014, § 191 RdNr 35 f). Im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung kann nichts anderes gelten, weshalb § 150 Abs 2 S 2 SGB VII insofern als Ausdruck eines allgemeinen das Beitragsrecht beherrschenden Grundsatzes anzusehen ist(ebenso Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 3/2013, § 150 RdNr 10). Denn immer dort, wo die Behörde die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten hat (hier: Auswahl zwischen mehreren Gesamtschuldnern und Festsetzung der Forderungshöhe "ganz oder zum Teil"), ist sie iS von § 39 Abs 1 S 1 SGB I ermächtigt, "nach ihrem Ermessen" zu handeln und hat gleichzeitig "ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten". Dass sich die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur auf die "Entscheidung über Sozialleistungen" erstreckt, ist bedeutungslos, weil die og Ermessensgrundsätze für das Sozialrecht generell gelten (vgl statt aller Mrozynski, SGB I, 5. Aufl 2014, § 39 RdNr 1).

17

Ob eine Behörde das Ermessen zutreffend ausgeübt hat, unterliegt im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung. Eine Ermessensentscheidung ist als solche nur rechtswidrig und auf Anfechtung hin nur dann aufzuheben, wenn der Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I)verletzt ist (s auch § 54 Abs 2 S 2 SGG). Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, sondern nur prüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt. Ermessensfehlerhaft ist es, wenn die Behörde ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung überhaupt nicht nachgekommen ist (sog Ermessensnichtgebrauch) oder wenn ihr bei Ausübung des Ermessens Rechtsfehler unterlaufen sind (sog Ermessensfehlgebrauch). Dies ist zu beurteilen anhand der in den angefochtenen Bescheiden angegebenen Ermessensgründe (§ 35 Abs 1 S 3 SGB X). Weder der Beitragsbescheid vom 7.8.2010 noch der Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010 enthalten Ermessenserwägungen, sodass beide Verwaltungsakte wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und deshalb aufzuheben sind. Dass die Heranziehung des Klägers als Gesamtschuldner in voller Höhe für die von der Unternehmerin im Umlagejahr 2006 ebenfalls geschuldeten Beiträge die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der Möglichkeit, unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände eine höhenmäßig differenzierte Haftungsquote festzusetzen, von vornherein auszuschließen.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a, 183 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.