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| Die Klage ist zulässig. Das Arbeitsgericht R ist gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a, 46 Abs. 2 ArbGG, 12 f. ZPO zur Entscheidung des Rechtsstreits im Rechtsweg sowie örtlich zuständig. |
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| Die Klage ist auch begründet. Weder die außerordentliche Kündigung vom 29.04.2011 (unter I.) noch die außerordentlichen Kündigungen vom 20.05.2011 (unter III.) und vom 26.05.2011 (unter IV.) waren geeignet, das Arbeitsverhältnis jeweils fristlos zu beenden. Die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 29.04.2011 (unter II.) und die ebenfalls hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 26.05.2011 (unter V.) sind nicht sozial gerechtfertigt und konnten das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.2011 beenden. Der zulässig gestellte Auflösungsantrag der Beklagten war als unbegründet zurückzuweisen (unter C) und dem Antrag auf Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsanspruchs konnte nicht stattgegeben werden (unter D). |
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| Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung, da der Kläger länger als 6 Monate bei der Beklagten beschäftigt ist und die Beklagte mehr als 5 beziehungsweise 10 Mitarbeiter beschäftigt gemäß §§ 1 Abs. 1 i.V.m. 23 KSchG. Der Personalrat war vor Ausspruch sämtlicher Kündigungen nicht anzuhören, da der Kläger gemäß § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrages eine Grundvergütung in Höhe der Vergütung gemäß Vergütungsgruppe 1 zum BAT erhält. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 81 Satz 2 LPVG BW entfällt die Beteiligung des Personalrats bei außerordentlichen und ordentlichen Kündigungen bezüglich Arbeitnehmerstellen und Arbeitnehmern ab Besoldungsgruppe A 16. Damit besteht vorliegend kein Mitbestimmungsrecht des Personalrats. |
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| Das Gericht folgt nicht der Rechtsauffassung des Klägers, dass der Beschluss des Stiftungsrates vom 28.04.2011 nichtig und die in dessen Umsetzung ausgesprochene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 29.04.2011 bereits deshalb unwirksam ist. Selbst wenn im Vorfeld der Stiftungsratssitzung vom 28.04.2011 Bürgermeister B auf die Anregung mindestens eines Stiftungsratsmitglieds, den Kläger zu den Kündigungsvorwürfen persönlich zu hören, eine falsche Rechtsauskunft erteilt hatte - was das Regierungspräsidium F mit Schreiben vom 05.09.2011 klarstellt (vgl. Anl. QP 66 , ABl. 422 ff) - führt dies nicht zur Nichtigkeit des vom Stiftungsrat gefassten Beschlusses. Zwar hätte der Stiftungsrat dem Kläger gem. § 33 Abs. 4 Satz 2 GemO als betroffene Person sehr wohl Gelegenheit geben können, seine Auffassung dem Gremium gegenüber darzustellen. Es hat auch ein Stiftungsratsmitglied mündlich ausdrücklich Wert auf eine Anhörung des Klägers gelegt, aber dies hat letztlich nicht zu einer förmlichen Antragstellung geführt - und nur hierüber hätte förmlich eine Mehrheitsentscheidung herbeigeführt werden können. Wäre die aufgeworfene Frage einer Anhörung des zu Kündigenden zielgerichtet durch Antrag auf Beschlussfassung einer Abstimmung durch den Stiftungsrat zugeführt worden, hätte entweder direkt über eine Anhörung abgestimmt werden oder auch beschlossen werden können, zunächst diese Frage rechtlich klären zu lassen. Für beide Alternativen wäre eine Mehrheit erforderlich gewesen - und in der Folge einer solchen Entscheidung hätte es zu einer Vertagung des Tagesordnungspunkts „außerordentliche Kündigung“ kommen müssen. All dies ist am 28.04.2011 nicht geschehen und aus diesem Unterbleiben kann nicht im Nachhinein ein zur Nichtigkeit des gefassten Beschlusses führender Verfahrensmangel hergeleitet werden. Den ausführlichen Darlegungen des Regierungspräsidiums F in seinem Schreiben vom 05.09.2011 schließt sich die Kammer - auch in Ansehung der dort zitierten Entscheidung des OVG NW, Beschluss vom 25.05.2007, 15 B 634/07 - an. |
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| Die außerordentliche Kündigung vom 29.04.2011 ist unwirksam, weil keine Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, § 626 BGB. Die Voraussetzungen dieser Norm sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in einem zweistufigen Verfahren zu prüfen: Erforderlich ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes an sich (erste Stufe) sowie eine zu Lasten des Arbeitnehmers gehende umfassende Interessenabwägung (zweite Stufe). Ein wichtiger Grund liegt nur dann vor, wenn dem Arbeitnehmer eine schwerwiegende, regelmäßig schuldhafte Pflichtverletzung zur Last gelegt werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 5.11.2009, 2 AZR 609/08, Rdnr.14 - Juris). |
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| Der vom Kläger und weiteren 24 Ärzten des Zentrums für innere Medizin (ZIM) unterzeichnete Offene Brief vom 18.04.2011 stellt nicht aufgrund seiner Verbreitungsform an sich und auch nicht aufgrund seines Inhalts und bestimmter, darin enthaltener Formulierungen eine so schwerwiegende Pflichtverletzung des Klägers dar, dass darin der auf der ersten Stufe erforderliche wichtige Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesehen werden kann. |
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| 1. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz ist für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. Es gewährleistet eine der wesentlichen Äußerungsformen der menschlichen Persönlichkeit. Aufgrund seiner großen Bedeutung ist seine Berücksichtigung jeweils im Rahmen des Möglichen geboten. Mit der überragenden Bedeutung des Grundrechts aus Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz wäre es unvereinbar, wenn das Grundrecht in der betrieblichen Arbeitswelt, die für die Lebensgrundlage zahlreicher Staatsbürger wesentlich bestimmend ist, gar nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre. Dabei besteht der Grundrechtsschutz unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist, und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Der Grundrechtsschutz bezieht sich sowohl auf den Inhalt als auf die Form der Äußerung. Auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht einer Äußerung noch nicht den Schutz der Meinungsfreiheit (so das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 24.11.2005, 2 AZR 584/04, 2. Leitsatz -zitiert nach Juris). |
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| Eingeschränkt wird das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre gemäß Artikel 5 Abs. 2 Grundgesetz und muss in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesen gebracht werden. Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor; das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt auf Arbeitgeberseite insbesondere verfassungsrechtlich geschützte Positionen wie Menschenwürde, allgemeines Persönlichkeitsrecht aber auch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers, die insbesondere durch die Störung eines Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens berührt werden kann. Zurücktreten muss das Grundrecht der Meinungsfreiheit regelmäßig dann, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als eine Formalbeleidigung oder eine Schmähung darstellt. Dabei darf ein Arbeitnehmer Kritik nicht nur an Missständen im Betrieb, sondern auch an den Personen üben, die für diese Missstände verantwortlich sind. Diese Kritik darf sich auch auf den Arbeitgeber und die von ihm mit der Leitung des Betriebes oder von Teilen des Betriebes beauftragten Personen erstrecken; die Kritik muss aber so vorgebracht werden, dass Ehrverletzungen oder Störungen des Betriebsfriedens vermieden werden (so BAG, Urteil vom 22.10.1964, 2 AZR 479/63, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Schmähkritik liegt dann vor, wenn eine Äußerung nicht nur polemisch ist, aber noch eine Meinungsäußerung darstellt, sondern auf Verunglimpfung des Gegenübers zielt und die Meinungsbildung keine Rolle mehr spielt (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 24.02.2011, 17 Sa 1669/10 - Juris). |
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| 2. Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist zunächst festzustellen, dass der Offene Brief vom 18.04.2011 auf seinen insgesamt dreieinhalb DIN A 4-Seiten in ganz überwiegendem Umfang Ausführungen zu sachbezogenen, subjektiv für zutreffend erachteten Fakten enthält sowie Darstellungen in der Vergangenheit stattgefundener Abläufe, die ebenfalls subjektiv aus Sicht der Verfasser genau so stattgefunden haben sollen oder von ihnen zumindest so wahrgenommen wurden („nach unserer Einschätzung“). Ganz überwiegend ist das Schreiben von fachlichen Bewertungen in wirtschaftlicher oder medizinischer Hinsicht geprägt, in wesentlich geringerem Umfang sind rein polemische Angriffe darin enthalten. |
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| Beide Parteien haben in ihrem Vortrag - vollkommen zu Recht - darauf hingewiesen, dass die vorliegende rechtliche Auseinandersetzung kein Forum bilden kann für Feststellungen, wer mit welcher Sacheinschätzung Recht oder Unrecht hat und sie nicht der richtige Ort ist, irgend eine Bewertung der unterschiedlichen Auffassungen der Verfasser des Offenen Briefes und der Klinikleitung über den richtigen Weg des Klinikums vorzunehmen. Soweit die Parteien entgegen ihrem eigenen Bekunden letztlich in ihrem Vorbringen in weiten Passagen doch Ausführungen zu den sachlich-fachlichen Grundlagen und Fragestellungen gemacht haben, finden diese nur insoweit Eingang in die Beurteilung und Bewertung des Offenen Briefes durch das Gericht, als darin eine explizite Wertung von Personen oder Entscheidungsgremien mit Sachfragen verbunden wurde: Soweit die darin dargestellte Meinung der Verfasser mit wertenden und schlussfolgernden Formulierungen verbunden wird, die sich gegen handelnde oder gehandelt habende Personen oder Gremien richtet, ist aber ebenfalls nicht die Richtigkeit der aufgestellten Behauptungen an sich zu beurteilen - da vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt - sondern die Prüfung vorzunehmen, ob die Grenze von Polemik zu Schmähung durch die Art der Formulierung und/oder Verknüpfung überschritten wurde. Die Kammer ist in eingehender Würdigung des Gesamtkontextes des Offenen Briefs vom 18.4.2011 zu der Feststellung gelangt, dass dieses Schreiben eine Reihe von polemischen Äußerungen enthält, die jedoch die Grenze zu der von der Beklagten behaupteten und zum Kündigungsgrund erhobenen Schmähkritik nicht überschreiten. |
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| a) Polemisieren heißt, gegen eine bestimmte andere Einsicht zu argumentieren; Polemik sucht nicht zwingend den Konsens sondern stellt den Versuch dar, im rhetorischen Wettstreit Argumenten zum Durchbruch zu verhelfen (vgl. Wikipedia zum Wortbegriff und seinem Ursprung). |
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| Polemik ist häufig gekennzeichnet von scharfen und direkten Äußerungen, durchaus auch von persönlichen Angriffen. Polemisieren kann auch die subtile Beschuldigung des Opponenten bedeuten, nicht aber das völlige außer Acht lassen von Sachargumenten (vgl. ebenfalls Wikipedia). |
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| b) In Absatz 2 und 3 nach der Anrede im offenen Brief beklagen die Verfasser, dass Geschäftsführung und Krankenhausleitung Qualitäten vermissen lassen, die die Verfasser von ihnen erwarten, nämlich Transparenz, Verbindlichkeit, Integrationskraft und Glaubwürdigkeit. Geschäftsführung und Krankenhausleitung sind dabei konkrete Gremien, die einer Personifizierung durchaus zugänglich sind, insbesondere von der Belegschaft, an die der Offene Brief gerichtet ist. Dass jemand „Qualitäten vermissen lässt“ bedeutet jedoch nicht ohne weiteres, dass er über sie grundsätzlich nicht verfügt, sondern dass an den Tag gelegtes Verhalten das Vorhandensein dieser Qualitäten nicht erkennen lässt. Die Verfasser des Offenen Briefes haben in der Folge dieser Eingangssequenz sodann sachlich-fachliche Beispiele dargestellt, die argumentativ begründen sollen, warum von den Führungspersonen der Beklagten beschriebenes Handeln als nicht transparent, nicht verbindlich, nicht von Integrationskraft geprägt und als unglaubwürdig bewertet wird. Der Offene Brief enthält insoweit gerade nicht ausschließlich oder überwiegend pauschale Werturteile sondern verbindet - in der Tat scharfe und auch persönliche - Kritik mit dem Aufzeigen von jedenfalls subjektiv empfundenen Missständen, die wiederum das Werturteil begründen sollen. Nicht das abgegebene Werturteil steht im Vordergrund sondern dessen Begründung. Dabei ist der härteste Vorwurf im Absprechen von Glaubwürdigkeit zu sehen, weil Transparenz, Verbindlichkeit und Integrationskraft herstellbare und vom tatsächlichen Handeln abhängige Verhaltensweisen sind, Glaubwürdigkeit aber eine Charakterisierung der Person an sich darstellt. Die Annahme eines Fehlens von Glaubwürdigkeit resultiert gemeinhin aus der Erfahrung von Unaufrichtigkeit und Unehrlichkeit - hier gesehen im Fehlen von Nachvollziehbarkeit (Transparenz) und Verlässlichkeit (Verbindlichkeit) sowie in mangelndem Einbezogenwerden in Entscheidungsprozesse (Integrationskraft). |
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| c) Die Formulierung im Offenen Brief am Ende des Absatzes 7 „Der eigentliche Skandal besteht allerdings darin, dass mit dubiosen Mitteln und indiskutablem Führungsstil gefährliche Strukturveränderungen umgesetzt werden sollen“ stellt eine deutliche Polemik dar, weil die Begriffe Skandal, dubiose Mittel und indiskutabler Führungsstil ausschließlich negative Bewertungen enthalten, die nicht nur das Gebot der Sachlichkeit verletzen, sondern das erklärte Ziel des Briefes, letztlich einen Dialog mit Geschäftsführung und Krankenhausleitung herbeizuführen, sicher nicht erreichen oder auch nur positiv unterstützen können. In diesem Satz bündeln sich die den gesamten offenen Brief wie ein roter Faden durchziehende emotionale Betroffenheit, Verunsicherung, tiefe Verärgerung und deutliche Unzufriedenheit mit getroffenen Entscheidungen und in der Vergangenheit liegenden Ereignissen in Sachfragen wie auch in persönlichen Angelegenheiten, so etwa dem explizit aufgeführten Misstrauensvotum aus dem November 2010. Die Bezeichnung eines Ereignisses oder an den Tag gelegter Verhaltensweisen als „Skandal“ meint ein aufsehenerregendes Ärgernis, bedeutet, dass der Verwender dieses Begriffes etwas unerhört und empörend findet (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Ausgabe 2006). Wer einen Sachverhalt als einen Skandal bezeichnet, nimmt Anstoß daran und äußert Entrüstung bzw. Empörung im Sinne eines moralischen Gefühls. „Dubiose Mittel“ sind solche, die fragwürdig erscheinen, Zweifel auch an Lauterkeit erwecken und die einen Hinweis enthalten auf durchaus bewusst herbeigeführte Undurchschaubarkeit und fehlende Integrität. „Indiskutabler Führungsstil“ bedeutet, dass das so bezeichnete Verhalten - welcher mit Führung betrauten Person auch immer - gar nicht erst der Erörterung wert ist, also per se von den Kritikern ohne weiteres endgültig abgelehnt wird. Umgekehrt ist auch eine Führungspersönlichkeit, der indiskutabler Führungsstil vorgeworfen wird, zur Diskussion hierüber mit dem Kritiker voraussichtlich nicht mehr bereit. Insoweit ist die Kammer der Auffassung, dass die Verfasser des Offenen Briefes hätten erkennen können und müssen, dass der in diesen, oben wiedergegebenen Satz gefasste Vorwurf gegenüber Geschäftsführung und Krankenhausleitung den an sich angestrebten Dialog nicht würde herbeiführen können, sondern die bestehenden Konflikte nur zu vertiefen geeignet war. |
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| d) Der Satz steht aber nicht für sich genommen als pauschaler Vorwurf im Raum sondern ist Vorspann zu der sodann aufgezählten Chronologie der Ereignisse seit Juni/Juli 2010, die zu der bereits erwähnten spürbaren Verärgerung des Klägers und der übrigen Verfasser des Briefes geführt haben. Polemik ist nicht auf die Herstellung von Konsens bedacht, sondern soll der eigenen Argumentation zum Durchbruch verhelfen; Polemik beinhaltet Streitlust und auch Feindseligkeit (Wahrig, Deutsches Wörterbuch a.a.O.). Es findet in der Folge des hier erörterten Satzes dann auch eine Argumentation statt, mag die Beklagte sie auch teilweise als fehlerhaft, nicht den aus ihrer Sicht richtigen Abläufen und Tatsachen entsprechend einschätzen. |
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| Der Offene Brief begründet jedenfalls, worin der Skandal gesehen wird, welche Mittel als dubios erachtet werden und aus welchen Gründen man den Führungsstil für indiskutabel hält. Damit ist nicht festzustellen, dass die Verletzung des Achtungsanspruchs der auf Seiten der Beklagten handelnden Repräsentanten im Vordergrund stehen soll oder gar einziger Zweck des Schreibens sein soll. In diesem Fall hätten die Verfasser lediglich die inkriminierte Behauptung aufstellen können, ohne sie sodann letztlich über zwei weitere Seiten zu begründen. Dass auch in diesen Begründungen wiederum Wertungen, subjektive und durchaus negativ gefärbte Zuschreibungen und deutliche Kritik enthalten sind, ist ersichtlich aus Sätzen wie „dieser von Stillosigkeit geprägte Vorgang [Misstrauensvotum] ist beispiellos in der Geschichte unseres Klinikums und charakterisiert die Initiatoren ohne weiteren Kommentar“; „medizinisch wie auch betriebswirtschaftlich sinnlose Maßnahmen werden trotz vielfacher, begründeter Kritik weiter betrieben“; „zur Durchsetzung fragwürdiger Ziele wird auch die Verbreitung von nicht herleitbaren und vielen Fragen offen lassenden Daten eingesetzt“. Die Grenze zur Schmähkritik ist aber aus den dargelegten Gründen in der Gesamtschau nicht überschritten, weil eine gezielte und ausschließliche Herabwürdigung von Personen, eine Beschimpfung, Verunglimpfung oder Verleumdung aus den oben genannten Gründen nicht angenommen werden kann. |
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| e) Der Offene Brief ist auch nicht allein um der Verbreitung polemischer Meinungsäußerungen willen und aus vorgeschobenem Grund ohne jegliche sachlich gerechtfertigte Veranlassung geschrieben worden. Ein nachvollziehbarer Grund für zuvor aufgetretene Empörung und Verärgerung des Klägers und der weiteren Verfasser ist entgegen der Annahme der Beklagten vorhanden. Soweit die Beklagte einen tatsächlichen Anlass oder Auslöser für den Offenen Brief insoweit bestritten hat, als sie geltend macht, der Antrag auf Errichtung eines pneumologisch-thoraxchirurgischen Zentrums sei am 15.3.2011 lediglich versehentlich ins Intranet gestellt worden und dies hätte der Kläger durch einfache Nachfrage bei der Geschäftsleitung auch ohne weiteres erfahren können - anstatt den Offenen Brief zu verfassen - ist dies in Ansehung der Gesamtumstände durch die Kammer anders bewertet worden. |
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| In der Tat ist aus dem Gesamtzusammenhang und dem gegliederten Aufbau des Offenen Briefes unzweifelhaft erkennbar, dass der Projektantrag, der die Etablierung einer interdisziplinären pneumologisch-thoraxchirurgischen Klinik zum 01.08.2011 auf der Ebene G (belegt vom ZIM mit verschiedenen aufgezählten Einzelstationen) vor-sieht, Auslöser für die deutlich wahrnehmbare Empörung in der Diktion des Briefes ist. In den Ausführungen im Absatz 6 nach der Anrede wird auch in zeitlicher Hinsicht eben dieses geplante Projekt als der Tropfen betrachtet, welcher das Fass zum Überlaufen bringt, um es vereinfacht auszudrücken („Jetzt allerdings müssen wir von einem Projektantrag Kenntnis nehmen….“) |
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| In ihrem Schriftsatz vom 11.07.2011, dort Seite 27 ff. führt die Beklagte aus, dass das „Projekt angelaufen sei, sich dann aber sehr schnell herausgestellt habe, dass es bei einer Umsetzung des Projekts zu Konflikten mit dem Kläger und dem ZIM kommen würde“. (….) Neben den „absehbaren Schwierigkeiten mit dem ZIM“ sei auch die räumliche Situation im Haupthaus nicht für förderlich erachtet worden. Man habe daher nach Stellen des Projektantrags durch Dr. K am 22.2.2011 bereits am 8.3.2011 beschlossen, das Projekt nicht umzusetzen und Frau St als Referentin des Geschäftsführers habe hierzu am 8.3.2011 einen entsprechenden Aktenvermerk gefertigt. Die Beklagte führt weiter aus, dass das Projekt damit erledigt gewesen sei noch ehe es richtig begonnen habe und dass man „genau deshalb den Kläger auch nicht gesondert einbezogen oder angesprochen“ habe. |
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| Dem Kläger war das Projekt (jedenfalls) seit dem 14.12.2010 bekannt, als es im Rahmen einer öffentlichen Sitzung des Krankenhausausschusses der Beklagten vorgestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger noch Ärztlicher Direktor des Klinikums. Am 22.02.2011 stellte der zuständige Chefarzt Dr. K dann den Projektantrag und „sehr schnell“ gewinnt die Beklagte nach eigener Darstellung die Erkenntnis, dass es bei einer Umsetzung des Projekts zu Konflikten mit dem Kläger und dem ZIM kommen würde - also gute zwei Monate nach der Vorstellung des Projekts beim Krankenhausausschuss. Es hätte aus Sicht des Gerichts nicht nur nahe gelegen, sondern wäre notwendig gewesen, den Kläger dann über die Einstellung des Projekts am 08.03.2011 zu informieren. Dies einerseits schlicht aufgrund seiner Funktion als Abteilungsleiter des als betroffen erkannten ZIM und andererseits um damit zugleich atmosphärisch „Druck aus dem Kessel“ zu nehmen: Diese einfache Information hätte einen Beitrag dazu geleistet, dass die von der Beklagten „absehbaren Konflikte mit dem Kläger und dem ZIM“ entschärft werden und ein Signal gesetzt wird, aus dem ersichtlich wird, dass bereits erkanntes Konfliktpotential auch verringert werden kann und nicht permanent Steigerungen erfahren muss. |
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| Wäre nach einer solchen transparenten Informationslage tatsächlich versehentlich das Projekt doch in das Intranet eingestellt worden, wäre der Kläger nach entsprechender Vorabinformation über die Einstellung des Projekts mit Sicherheit anders damit umgegangen. Die Einstellung des Projekts ins Intranet musste dem Kläger in Ansehung der seit Vorstellung des Antrags am 14.12.2010 formulierten Bedenken und der nunmehr im als genehmigt erscheinenden Antrag enthaltenen Einschnitte zu Lasten des ZIM als Steigerung der auch von der Beklagten erkannten, bereits bestehenden Konfliktsituation erscheinen. |
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| 3. Die oben aufgeführten polemischen und kritisch überspitzten Formulierungen im Schreiben vom 18.04.2011 sind als Pflichtwidrigkeit im Sinne einer vorwerfbaren Verletzung der schützenswerten Interessen der Beklagten deshalb anzusehen, weil sich das Schreiben nicht ausschließlich an die kritisierten Personen richtet, nur für sie bestimmt ist und damit auch der Inhalt nur diesen zugänglich wird, sondern die gewählte Verbreitungsform des Offenen Briefes gerade den Zweck verfolgt, dessen gesamten Empfängerkreis an der geäußerten Meinung teilhaben zu lassen. |
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| a) Die gewählte „Plattform“, auf der vom Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht wird, gehört zu den wesentlichen Umständen, wenn es gilt, die Verletzung schützenswerter Interessen des Arbeitgebers gegen die Ausübung der Meinungsfreiheit abzuwägen. Die polemischen Äußerungen im Offenen Brief vom 18.04.2011 sind geeignet zu polarisieren, also Zustimmung oder Widerspruch zu provozieren und jedem einzelnen Empfänger eine eingehende inhaltliche Wahrnehmung zu ermöglichen, weil es sich nicht um eine mündliche und damit „vergängliche“ Botschaft handelt. Das Schreiben kann von jedem Empfänger wieder und wieder gelesen, aber auch hinterfragt, ausgelegt und zu eigenen Zwecken argumentativ genutzt werden - allein aufgrund seiner physischen Verfügbarkeit. Dies muss in Ansehung der gewollten Verbreitungsform auch dem Kläger und den übrigen Verfassern bewusst sein und verpflichtet zu besonderer Sorgfalt bei der Entscheidung, welche Formulierungen gewählt werden. Geschriebener Text ist auch - anders als etwa unüberlegte verbale Äußerungen vor Publikum - mehrfacher Überprüfung und eigener kritischer Hinterfragung zugänglich und muss sich deshalb strengeren Maßstäben stellen als etwa Wortmeldungen in Betriebsversammlungen. |
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| Die Erkenntnis, dass die in den - oben unter 2. b),c) und d) - aufgeführten Zitaten gewählten Formulierungen zwar nicht bei den Empfängern, der Kollegenschaft und der Belegschaft der Beklagten, wohl aber bei den mit dem Medium des Offenen Briefes angegriffenen Personen aus Geschäftsführung und Krankenhausleitung Missbilligung hervorrufen würden und dort die Äußerungen auch als durchaus persönlich gemeinte Angriffe würden verstanden werden können, hätten die Verfasser nach Einschätzung des Gerichts haben können und auch haben müssen. Der Kläger wie die übrigen Unterzeichner des Offenen Briefes sind gebildete Persönlichkeiten und im Umgang mit Sprache gewandt. Dass sie mit gespitzter Feder vor dem Hintergrund bereits seit längerer Zeit geführter Diskussionen formuliert haben, ist dem Offenen Brief für jeden seiner Empfänger deutlich zu entnehmen. Das Gericht geht davon aus, dass dies dem Kläger und den übrigen Unterzeichnern auch durchaus bewusst war. |
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| b) Der Offene Brief ist nicht an diejenigen Personen gerichtet, mit denen der Kläger und die übrigen Unterzeichner erklärtermaßen in einen Dialog eintreten wollen zum Wohle des Klinikums. Hätte er sich ausschließlich an Geschäftsführung und Klinikleitung gerichtet, wären diese in den gewollten Dialog möglicherweise auch nicht eingetreten - aber ohne dass dies auf eine breitere Wahrnehmung gestoßen wäre; das Schreiben hätte eine Reaktion nur gegenüber dem Kläger und/oder den weiteren Absendern erfordert - oder auch überhaupt keine Reaktion zeitigen können. Nicht so, wenn die belegschaftsöffentliche Kenntnisnahme dieses Offenen Briefes die Fragestellung all seiner Empfänger geradezu herausfordern muss, was denn jetzt wohl geschieht. Damit ist die gewählte Verbreitungsform zwingend geeignet, Druck zu erzeugen bei den in der geäußerten Kritik stehenden Personen. Zugleich erzeugen die oben zitierten und bewerteten Formulierungen bei ihnen erwartbar Unmut, Ärger, Widerspruch - und zwar umso mehr, weil sie allen Mitarbeitern zugänglich geworden ist. Dies wird auch aus den Einlassungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 11.07.2011, dort Seite 25 deutlich: „Hätte der Kläger mit seinem Plan, größtmöglichen öffentlichen Ansehensverlust der Verantwortlichen des Klinikums herbeizuführen, Erfolg gehabt, hätte er demonstriert , dass man ungestraft Geschäftsführung und Krankenhausleitung in grober Weise herabwürdigen und beleidigen kann.“ Der Offene Brief zwingt wegen seiner Verbreitungsform zu einer Reaktion der Kritisierten und mit Rücksicht hierauf hätten der Kläger und die weiteren Verfasser die kritisierten Sachverhalte auch darstellen können, ohne die persönlich gemeinte Polemik als Stilmittel und in verschärfender Wertung einzusetzen. |
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| c) Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt der Offene Brief jedoch weder aufgrund seiner Verbreitungsform noch wegen seines Inhalts eine schwere Störung des Betriebsfriedens dar. Die Beklagte begründet die behauptete Störung damit, dass der Betriebsfrieden zwischen Geschäftsführung und Krankenhausleitung einerseits und dem Kläger andererseits erheblich gestört sei und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr in Betracht komme, dass darüber hinaus auch weitere Chefarztkollegen in dem Offenen Brief massiv angegriffen worden seien und der ärztliche Direktor Dr. Z wie auch der stellvertretende ärztliche Direktor Dr. K heftig angegriffen worden seien. Dabei verdrängt die Beklagte aber, was sich für die Kammer aus der Aktenlage und den dokumentierten Vorgängen spätestens seit dem 16.11.2010 als sogenannter Betriebsfrieden darstellt: Am 16.11.2010 war aus dem Kreis der Chefarztkollegen ein Misstrauensvotum gegen den von diesem Kreis gewählten Kläger gestellt worden. |
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| Dieses hatte mit einer Pattsituation 7 zu 7 geendet und hat damit gerade keine Befriedung eines ganz offensichtlich bestehenden Konflikts im Chefarztgremium herbeigeführt. Ärztlicher Direktor blieb der Kläger. Nach 4 Wochen, am 15.12.2011 traten sodann der Kläger und seine Stellvertreter von ihren Funktionen zurück mit der Feststellung, „dass sie den Willen oder die Fähigkeit zu kommunikativem Handeln in wichtigen Gruppierungen und bei einzelnen Führungspersönlichkeiten nicht mehr in ausreichendem Maße zu erkennen vermögen (Anl. QP 7 ABl. 80, Anlagenband 1). Neuer Ärztlicher Direktor wurde Dr. Z. Dass hiermit aber nicht einfach „Frieden“ zwischen den Chefärzten und damit letztlich auch zwischen den Abteilungen der Klinik wieder hergestellt war, drängt sich auf in Ansehung der Schreiben etwa vom 24.01.2011 der Ärzte des ZIM an den Geschäftsführer Herrn O auf dessen Brief vom 13. Januar 2011 (vgl. Anl. QP 39, ABl.132, Anlagenband1), wird weiter ersichtlich aus dem Schreiben des Klägers als Chefarzt des ZIM vom 27.01.2011 ebenfalls an Herrn O (vgl. Anlage QP 48, ABl. 156, Anlagenband 1); ist deutlich erkennbar aus der Stellungnahme des Klägers als Chefarzt des ZIM vom 14.01.2011 zur Entwicklung einer wirtschaftlichen und medizinisch tragfähigen Krankenhausstruktur im Landkreis K (Anlage QP 46, ABl. 145, Anlagenband 1). Die Anlage QP 44, Aktenblatt 142 im Anlagenband 1, ein Schreiben des Klägers als Chefarzt, des Leitenden Oberarztes und der Assistentensprecher des ZIM unter Datum vom 16.02.2011 zeigt ebenfalls auf, dass durchaus kritische Fragen an den Geschäftsführer gerichtet wurden und deutlich mitgeteilt wurde, dass sich die Unterzeichner mit der Umsetzung der beschriebenen Planungen nicht einverstanden erklären können. |
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| Ein durchaus kontroverser Hintergrund lässt sich auch dem Schreiben des Klägers als Chefarzt des ZIM an den Ärztlichen Direktor Dr. Z vom 05.04.2011 entnehmen (Anlage QP 45, ABl.144, Anlagenband 1). |
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| Eine Zuspitzung erfährt die angespannte Situation mit der Auseinandersetzung um die Frage, ob und in welchem (hochstrittigen) Ausmaß das ZIM defizitär ist. Der Kläger wandte sich in der Folge dieser Diskussion mit Geschäftsführer und Sozialbürgermeister am 08.03.2011 an den Oberbürgermeister und Stiftungsratsvorsitzenden (Anl. QP 14, ABl.93, Anlagenband 1). Die drohende Verschärfung des schwelenden Konflikts springt selbst dem außenstehenden Leser ins Auge. Im Antwortschreiben des Oberbürgermeisters vom 29.03.2011 (Anl. QP 15, ABl. 95, Anlagenband 1) wird unter Bezugnahme auf das Misstrauensvotum festgestellt, dass es „nach meinem Dafürhalten erforderlich ist, dass der Ärztliche Direktor, der einen wesentlichen Beitrag insbesondere zur Führung eines wirtschaftlich arbeitenden Klinikums zu leisten hat, von seinen Chefarztkollegen voll akzeptiert und unterstützt wird. |
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| Ohne diese Akzeptanz ist es schwierig, die Belange des Klinikums zu vertreten und auch die erforderlichen Maßnahmen umzusetzen“. Dabei wird zwar dem Kläger konzediert, „sein Schritt, von der Position des Ärztlichen Direktors zurückzutreten sei folgerichtig und nachvollziehbar gewesen, weil ihm die entsprechende Unterstützung gefehlt habe“. Aus der Entwicklung seit dem 16.11.2010, nach dem Rücktritt und nach der Wahl des Chefarztes Dr. Z zum Ärztlichen Direktor war jedoch keineswegs und ganz automatisch nunmehr das Vertrauensverhältnis unter den Chefärzten einfach wieder hergestellt und es wurde auch keineswegs jetzt dem neuen Ärztlichen Direktor aus dem gesamten Gremium entgegengebracht. Dabei würde übersehen, dass das Misstrauensvotum an einer Pattsituation 7 zu 7 gescheitert ist und nicht einen wie auch immer gearteten mehrheitlichen Ausgang genommen hat. Der für die Beklagte unübersehbare Riss, der durch das Chefärztekollegium ging bestand nach wie vor - dass Geschäftsführung und Krankenhausleitung mit dem neuen Ärztlichen Direktor in besserem Konsens gestanden haben mögen als weiland mit dem Kläger, hat den Riss nicht zu kitten vermocht. |
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| Die wohl verstärkt in der zweiten Jahreshälfte 2010 entstandene Konfliktsituation konnte auch aus folgenden Gründen nicht überraschen: |
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| Der Kläger war im Zeitraum von November 2007 bis Juli 2009 mit einem Höchstmaß von Leitungsaufgaben betraut: Klinikdirektor Medizin, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der größten Abteilung, des Zentrums für Innere Medizin. Die Position als Klinikdirektors entfiel einvernehmlich im Juli 2009; seine Funktion als Ärztlicher Direktor endete am 15.12.2010 ungewollt. Dass eine Führungskraft, die zunächst mit einer derartigen Fülle an Kompetenzen ausgestattet wurde, nicht umgehend nach Beendigung einer oder mehrerer der Funktionen sozusagen ins dritte Glied zurücktritt, ist grundsätzlich erwartbar und nachvollziehbar. Zudem blieb der Kläger Chefarzt und Leiter der Abteilung Innere Medizin, die innerhalb der Beklagten die größte Abteilung darstellt und diese Funktion hatte er bereits seit 1997 inne. Hinzu kommt, dass die Beklagte vor richtungsweisenden Entscheidungen und Strukturveränderungen steht, die naturgemäß die einzelnen Abteilungen positiv oder negativ betreffen können und damit in jeder einzelnen Abteilung das berechtigte Interesse wahrgenommen wird, in der ungewissen Zukunft so wenig wie möglich aufzugeben oder so viel wie möglich hinzuzugewinnen. Interessenskonflikte dieser Art konzediert auch der für die Beklagte zuständige Sozialbürgermeister Herr B, wenn er in seinem Schreiben vom 01.12.2010 an den Geschäftsführer der Beklagten ausführt, „dass durchaus sachgerecht sein könnte, künftig zwei Ärztliche Direktoren zu bestellen (vgl. Anlage QP 4, ABl. 76, Anlagenband 1). Dort wird zur Begründung ausgeführt, dass der Ärztliche Direktor (zu diesem Zeitpunkt noch der Kläger) „gleichzeitig Chefarzt seiner Abteilung ist und insoweit bei Kooperationsgesprächen mit dem Verbund H-Kliniken und dem Klinikum F1 im Rahmen der erforderlich werdenden Umstrukturierung in einem Zwiespalt sei“. Diese Einschätzung teilt das Gericht, sieht sie allerdings nicht nur für den Kläger sondern für jeden der Chefarztkollegen und damit Leiter von Abteilungen für zutreffend an, die zur Disposition stehen können. Auch der neue (im Übrigen weiterhin einzige) Ärztliche Direktor ist Chefarzt einer Abteilung. Es steht der entscheidenden Kammer nicht zu, in der Rückschau Überlegungen anzustellen, wie die allerspätestens seit 16.11.2010 äußerst angespannte betriebliche Situation zwischen den Chefärzten einerseits und einem Teil der Chefärzte und der Klinikleitung beziehungsweise der Geschäftsführung andererseits hätte beigelegt werden und welches Konfliktmanagement hätte betrieben werden können. Keineswegs konnte die Kammer aber davon ausgehen, dass der Offene Brief vom 18.04.2011 einen vorhandenen Betriebsfrieden erst tief gestört hat. Festzuhalten ist vielmehr, dass der Zustand am 18.04.2011 kein solcher war, der aus einem zuvor heiteren Himmel zu einer plötzlich auftretenden und tiefgreifenden Störung geführt hat. |
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| Vorhanden war stattdessen eine Konfliktsituation, die sicherlich durch den Offenen Brief nicht entschärft worden ist und auch nicht entschärft werden konnte oder dafür einen Weg aufgezeigt hat, wie bereits oben ausgeführt wurde. Es stellt sich allerdings die Frage, ob angesichts der im Chefarztkollegium spätestens seit dem Misstrauensvotum vom 16.11.2010 für die Beklagte erkennbaren Differenzen nicht zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Wiederherstellung des Betriebsfriedens zwischen den betroffenen Persönlichkeiten hätte vermittelt werden können und auch müssen. |
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| Die dem Kläger vorzuwerfende Pflichtwidrigkeit erreicht nach Einschätzung der Kammer keinen Grad der Schwere, der eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen geeignet ist. |
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| 4. Selbst wenn man den Inhalt und die Verbreitungsform des Offenen Briefes als einen an sich für die Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung hinreichenden wichtigen Grund ansähe, wäre die Kündigung jedenfalls wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unwirksam. |
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| a) Nach dem das gesamte Kündigungsrecht bestimmenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die außerordentliche Kündigung vom 29.04.2011 auch deshalb unwirksam, weil sie nicht die ultima ratio darstellt: |
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| Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen des konkreten Falles möglichen und angemessenen milderen Mittel erschöpft sind (vgl. KR 8. Auflage, § 626 BGB, Rdnr. 251 m.w.N.). Das für die außerordentliche Kündigung spezifisch mildere Mittel ist die ordentliche Kündigung; alle sonstigen nach den konkreten Umständen zu erwägenden milderen Mittel, insbesondere eine Abmahnung, müssen bereits bei der ordentlichen Kündigung dahingehend überprüft werden, ob sie objektiv möglich und geeignet sind (KR, a.a.O., Rn.252). Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 04.06.1997, 2 AZR 526/96 (Juris) klargestellt, dass das Abmahnungserfordernis auch bei Störungen im Vertrauensbereich stets zu prüfen ist. Danach hat die Abmahnung die Funktion einer „gelben Karte“, die den Arbeitnehmer vor Erteilung der „roten Karte“, nämlich der Kündigung, anhalten soll, künftig Pflichtwidrigkeiten der gerügten Art zu unterlassen und für den Fall künftiger weiterer Pflichtverstöße Konsequenzen für Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses androht. Diesen Zweck kann die Abmahnung nur dann erfüllen, wenn es um ein steuerbares Fehlverhalten des Arbeitnehmers geht, das bisherige vertragswidrige Verhalten noch keine klare Negativprognose für die weitere Vertragsbeziehung zulässt und deswegen von der Möglichkeit einer künftigen vertragskonformen Erfüllung auszugehen ist (BAG, Urteil vom 04.06.1997, 2 AZR 526/96). |
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| Ein Fehlverhalten im Vertrauensbereich ohne vorherige Abmahnung berechtigt dann nicht zum Ausspruch einer Kündigung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.08.2010, 11 Sa 255/10 - Juris). Eine Abmahnung ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden kann; danach bedürfen grundsätzlich nur besonders schwere Verstöße keiner vorherigen Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und sich bewusst sein muss, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. |
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| b) Eine derart schwere Pflichtverletzung, angesichts derer der Kläger ohne weiteres damit rechnen musste, die Beklagte werde Inhalt und Verbreitungsweise des Offenen Briefs vom 18.04.2011 zum Anlass nehmen, das Arbeitsverhältnis mit ihm mit sofortiger Wirkung oder zumindest ordentlich zu kündigen, liegt nicht vor. |
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| Auch wenn die Beklagte geltend gemacht hat, dass der Kläger als Chefarzt seiner Abteilung in einem ganz besonderen Maße für die Abfassung und Verbreitung des Offenen Briefes verantwortlich zeichne und sie ihn deshalb mit dem Vorwurf der alleinigen Tatherrschaft belegt hat, rechtfertigt auch die herausragende Position des Klägers und sein damit verbundener hoher Bekanntheitsgrad als Führungskraft innerhalb des Betriebes nicht den Verzicht auf eine Abmahnung. Der Kläger hatte noch 6 Monate vor der Abfassung des Offenen Briefes die Funktion als Ärztlicher Direktor inne; damit war er Mitglied der Krankenhausdirektoriums auf der Grundlage des § 8 der Satzung vom 13.07.2009 und befand sich auf eben der Augenhöhe mit der Geschäftsführung, die die Beklagte dem Kläger nunmehr abspricht. |
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| Seit dem Rücktritt des Klägers von dieser Funktion hatte er sich stets und dem Duktus nach auch durchaus beharrlich und kritisch mit getroffenen Entscheidungen der - teils unveränderten, teils nun neuen - Leitung auseinandergesetzt. Dass seine besondere Interessenwahrnehmung nunmehr vornehmlich dem ZIM galt, ist dieser Funktionsreduktion naturgemäß geschuldet. Die Schreiben des Klägers zu getroffenen oder angekündigten medizinisch -betriebswirtschaftlichen Maßnahmen und Entscheidungen der Geschäftsführung haben eine deutliche Zunahme an Schärfe und auch persönlicher Betroffenheit bereits erkennen lassen am 28.02.2011 (Anlage QP 12, ABl.91, Anlagenband 1), am 07.03.2011 (Anlage QP 13, a.a.O) und 08.03.2011 (Anlage QP 14, a.a.O.) - nachdem seit Mitte Februar der zuständige Sozialdezernent B die dezidierte Auffassung vertreten hatte, dass das ZIM mit ca. 1 Million Euro hochdefizitär sei (vgl. Anlage QP 11, a.a.O). Diese Einschätzung hat der Kläger vehement als falsch und vor allem nicht nachvollziehbar bezeichnet und entsprechende Klärung unter Erläuterung der hierfür zugrunde gelegten Daten gefordert. Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass an dieser Stelle eine Interessenwahrnehmung auch in eigener Sache hinzutritt: Die Vergütungsabrede der Parteien im Rahmen des Zusatzvertrages vom 15.01.1997 (Anlage QP 28, ABl.116, Anlagenband 1) darf den Kläger veranlassen, nach von der Geschäftsleitung zugrunde gelegten Zahlen und Ergebnissen insbesondere dann zu fragen, wenn er persönlich finanziell davon betroffen sein kann. Diese persönliche Betroffenheit kommt etwa in Hinweisen zum Ausdruck, dass nunmehr die Grenze dessen erreicht sei, was der Kläger und seine Familie hinzunehmen bereit seien. Nicht zuletzt auch die intensive Auseinandersetzung in den „Anmerkungen zur Vorlage der Wirtschaftlichkeit der Abteilungen“ vom 21.03.2011 unter Darstellung des vom Kläger beanstandeten Methodenwechsels bei der Ermittlung diversen Zahlenmaterials macht deutlich, dass hier ein extrem wichtiges Anliegen zur Debatte stand, die aber nicht im Sinne befriedigender und befriedender Kommunikation geführt wurde (vgl. QP 47, a.a.O.). |
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| Der Kläger nahm einen von den erklärten Zielen der Beklagten abweichenden Standpunkt ein und er hatte im Zuge der darüber geführten Auseinandersetzung bereits zur Kenntnis zu nehmen, dass die Beklagte einer „beruflichen Neuorientierung seiner Person“ eher positiv gegenüberstand, wie sich dem Schriftwechsel des Klägers mit dem Oberbürgermeister vom 08.03./29.03.2011 deutlich entnehmen lässt. |
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| Diese Entwicklung kann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn es um die Beurteilung geht, welche arbeitsrechtliche Maßnahme angesichts der von der Beklagten geltend gemachten Pflichtverletzung bei Abfassung und Verbreitung des Offenen Briefes angemessen erscheint. Ist die Beklagte dann der Auffassung, dass der Kläger sich in Wortwahl und gewählter Verbreitungsform seiner polemischen Kritik vom 18.04.2011 in vertragswidriger Weise vergriffen und damit eine neue, von ihr nicht hinzunehmende Ebene der Auseinandersetzung beschritten hat, kann dies berechtigtermaßen zum Anlass für eine Abmahnung genommen werden, mit der dem Kläger aufgezeigt wird, dass die Grenze dessen erreicht ist, was die Beklagte hinzunehmen bereit ist. |
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| c) Der Beklagten ist zuzugeben, dass der Kläger als Leiter der Abteilung des ZIM Vorgesetztenfunktion gegenüber den ihm nachgeordneten Ärzten einnimmt. Die Beklagte hat allerdings lediglich behauptet, aber keinerlei Tatsachen dafür vorgetragen, dass die dem Kläger nachgeordneten Ärzte schon allein aufgrund dieser seiner Stellung besonderem Druck ausgesetzt seien, der sie dann zur Mitunterzeichnung des Offenen Briefes veranlasst hat. Die Beklagte hat auch keine in der Vergangenheit liegenden Umstände vorgetragen, die die nachgeordneten Ärzte als Mitarbeiter des ZIM und Untergebene des Klägers erscheinen lassen, die sich aus Gründen der Bequemlichkeit, der Karriereförderlichkeit oder sonstiger Erwägungen dem Willen des abteilungsleitenden Chefarztes beugen oder sich widerstandslos anpassen. Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass die Beklagte über ärztliches Personal verfügt, das in einer solchen Weise „chefarzthörig“, manipulierbar und steuerbar ist. Dass die Ärzteschaft des ZIM in ihrer Gesamtheit ihren Anliegen, ihrer Kritik an Entscheidungen der Geschäftsleitung und ihrer eigenen Einschätzung von wirtschaftlich sinnhaften Maßnahmen Ausdruck zu verleihen versteht, beweist bereits ihr Schreiben vom 24.01.2011 zur Zusammenlegung der Notaufnahmen (Anlage QP 39, ABl. 132 in Anlagenband 1). Nach den zahlreichen, bereits oben im einzelnen zitierten Schreiben des Klägers als Chefarzt für das ZIM aus den vorangegangenen Monaten ist ein Brief, den die gesamte Ärzteschaft mitzeichnet und damit auch mit verantwortet, durchaus eine Steigerung in Bezug auf die gesehene Dringlichkeit des Vorbringens. |
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| Zum Schreiben des Geschäftsführers O vom 13. Januar 2011 hat sowohl der Kläger selbst am 27.01.2011 geantwortet (Anlage QP 48, ABl. 156, Anlagenband 1) und dies sehr ausführlich - sodass die sodann von der Ärzteschaft insgesamt verfasste Stellungnahme zur Zusammenlegung der Notaufnahmen für den Adressaten beider Schreiben eine hohe Brisanz erkennen lassen konnte. Dies gerade auch in dem Sinne, dass eben nicht lediglich der Kläger, Chefarzt und Leiter des ZIM, einen kritischen Standpunkt einnimmt, sondern dieser von der Ärzteschaft des ZIM offensichtlich geteilt wird. Dass die Ärzteschaft des ZIM zur Beschwerdeführung in ihrer Gesamtheit in der Lage ist, zeigt außerdem das Schreiben vom 15.10.2010 an die Klinikums-Geschäftsleitung, zu Händen Herrn O, das nachrichtlich an den Kläger ging (vgl. Anlage QP 42, ABl. 138, Anlagenband 1). Dieser war zum damaligen Zeitpunkt noch Ärztlicher Direktor und in dieser Funktion Adressat des Schreibens. Dass die ärztlichen Mitarbeiter sich zu von ihnen erkannter dringlicher Problematik äußern und zwar als kollektive Gruppe, ist nicht mit dem Offenen Brief vom 18.04.2011 als erstmaliges oder einmaliges Ereignis aufgetreten. |
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| d) Die Kammer hat sich bei ihrer hilfsweise angestellten Bewertung der Kündigungsentscheidung als ultima ratio darauf beschränkt, die Mitwirkung zweier leitender Oberärzte und weiterer sechs Oberärzte am Offenen Brief zu berücksichtigen, da die Beklagte bezüglich der den Offenen Brief unterzeichnet habenden Assistenzärzte von einer so hohen Abhängigkeit ausgeht, dass sie daraus abgeleitet offensichtlich an keine unabhängige Willensbildung zu glauben vermag. Dass die Beklagte eine solche Unabhängigkeit des Denkens auch den beiden leitenden Oberärzten und den weiteren Oberärzten ihrer größten Einzelklinik ernsthaft absprechen will, konnte die Kammer hingegen nicht annehmen. Die Beklagte hat den leitenden Oberarzt Dr. H am 09.05.2011 zum kommissarischen Leiter des ZIM ernannt. Damit hat sie ihm gegenüber ein besonderes Vertrauen zum Ausdruck gebracht, denn das ZIM befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer ausgesprochen schwierigen Situation, nachdem die Entlassung des Klägers abteilungsintern, klinikweit und auch in der Öffentlichkeit für erheblichen Aufruhr gesorgt hatte. Im Übrigen ist die Übernahme einer Abteilung - sei es auch nur kommissarisch - nachdem der bisherige Leiter dieser Abteilung fristlos entlassen worden ist, eine Aufgabe, die Vertrauen in erhebliche Integrationsfähigkeit, Empathie und besondere Bereitschaft zu Konsensherstellung voraussetzt. All dies war die Beklagte von ihrem leitenden Oberarzt im ZIM zu erwarten in der Lage, obwohl dieser neben dem Kläger an erster Stelle den Offenen Brief vom 18.04.2011 unterzeichnet hat. |
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| Das Vorbringen der Beklagten ließ insoweit außer dem lapidaren Hinweis auf eine „zwischenzeitlich erfolgte Entschuldigung“ des Dr. H jeden erklärenden Hintergrund vermissen, weshalb im Zeitraum zwischen dem 18.04.2011 und dem 09.05.2011 der leitende Oberarzt des ZIM das Vertrauen entweder nie verloren hatte oder aber mit welchen Maßnahmen mit ihm ein Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden konnte, das die Beklagte zugleich gegenüber dem Kläger in vollem Umfang für die Zukunft in jeglicher Hinsicht als zerrüttet betrachtet. |
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| e) Die Beklagte hat am 22.08.2011 nach ihren Angaben an sämtliche Unterzeichner des offenen Briefes eine sogenannte Ermahnung erteilt. Darin hat sie gerügt, dass der offene Brief wegen seiner Wortwahl und seines Adressatenkreises nicht akzeptabel sei, weil er in weiten Teilen persönliche Kritik an die Stelle sachlicher Auseinandersetzung setze und sich nicht an die verantwortlichen Entscheidungsträger sondern an die gesamte Kliniköffentlichkeit wende (vgl. Anlage B 33, ABl. 241, Anlagenband 2). Die Kammer konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Zeitpunkt der Erteilung der Ermahnung dem Gang des mit dem Kläger geführten Verfahrens geschuldet war, denn die Beklagte hat bis zu dieser Ermahnung immerhin 4 Monate verstreichen lassen. Auch gegenüber dem Kläger hätte die Beklagte die von ihr beanstandete und als persönlich empfundene Kritik sowie die gewählte Verbreitungsform in unmissverständlicher Weise beanstanden können, um dem Kläger vor Augen zu führen, wo ihrer Meinung nach das Terrain sachlicher Auseinandersetzung verlassen wird. Dem Kläger hätte auf diese Weise klargemacht werden können, dass auch einem Abteilungsleiter und Chefarzt Grenzen gesetzt werden, deren erneute Überschreitung durchaus arbeitsrechtliche Konsequenzen zeitigen und den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden kann. Mit einer solchen Maßnahme hätte die Beklagte auch nicht mehrere Monate warten müssen sondern sofort unsachliche Polemik und persönlich empfundene Angriffe als nicht hinnehmbar rügen können. Ihrer im Schriftsatz vom 11.07.2011 dargelegten Befürchtung, der Kläger hätte - wenn nicht gekündigt worden wäre - jede ihm missliebige Entscheidung zum Anlass für eine erneute Auseinandersetzung mit der Beklagten genommen, konnte die Kammer so nicht folgen. Die Beklagte kann auch nicht kündigen, um generell sachliche Auseinandersetzungen zu vermeiden; sie kann sich wehren gegen unsachliche, persönliche und als beleidigend empfundene Angriffe. Grund zur Annahme, dass der Kläger diesbezüglich hartnäckig und uneinsichtig verweigert hätte, die Vertragswidrigkeit seines Tuns zu erkennen und nicht zu wiederholen, hatte die Kammer nicht. |
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| Der Kläger hatte bereits erkennen müssen, dass die Beklagte einem Aufhebungsvertrag durchaus zugeneigt gegenüberstand und hätte in dieser Lage eine Abmahnung als genau denjenigen Warnschuss verstanden, der zur Einsicht führen soll. Ob danach freilich jegliche Auseinandersetzungen in der Sache unterblieben wären, mag bezweifelt werden - aber die Beklagte hätte dem Kläger mit einer Abmahnung ja auch nicht generell das Recht auf Meinungsäußerung absprechen sondern für die Zukunft polemische und unsachliche Formulierungen ausschließen wollen. |
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| f) Nicht zuletzt ist bei der Frage der ultima ratio auch das bislang störungsfreie, langjährige und von besonders hohem Vertrauen der Beklagten in die - nicht ausschließlich ärztlichen, sondern auch wirtschaftlichen und organisatorischen - Fähigkeiten des Klägers geprägte Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen, in dessen Verlauf er wichtige zusätzliche Funktionen überantwortet bekam oder solche übernahm. Auch das Schreiben des Sozialdezernenten B vom 23.07.2009 legt über die von der Beklagten anerkannten und gewürdigten Verdienste des Klägers deutliches Zeugnis ab (vgl. Anl. QP 2, ABl. 71, Anlagenband 1). Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt seit 01.06.2009 wiedergewählter Ärztlicher Direktor bis 31.05.2012 - auch hier setzte die Beklagte ihr volles Vertrauen in die Person des Klägers. Atmosphärische Störungen, die in der zweiten Jahreshälfte 2010 zunahmen, wurden zu keinem Zeitpunkt arbeitsrechtlich relevant. |
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| Aus all diesen Erwägungen war festzustellen, dass die außerordentliche Kündigung vom 29.04.2011 keinen Bestand haben kann. |
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| Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 29.04.2011 ist bereits unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit unwirksam, weil die Beklagte den Kläger angesichts der ihm vorzuwerfenden Pflichtwidrigkeit hätte abmahnen können, um dieser angemessen zu begegnen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen unter I.4.a) Bezug genommen. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 29.04. 2011 kann das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.2011 beenden. |
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| Die außerordentliche Kündigung vom 20.05.2011 ist unwirksam, da sie vom Oberbürgermeister der Stadt K ohne zu Grunde liegenden Beschluss des Stiftungsrates ausgesprochen wurde, ein diesen Umstand rechtfertigender Eilfall nicht vorlag und die Kündigung vom Stiftungsrat nicht nachträglich wirksam genehmigt wurde. |
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| 1. Grundsätzlich hat gemäß § 4 Ziff. 3 der Betriebssatzung der Beklagten in der zuletzt gültigen Fassung vom 13.07.2009 der Stiftungsrat zu beschließen über die Angelegenheiten im Sinne von § 24 Abs. 2 Satz 1 Gemeindeordnung, nämlich die Ernennung, Einstellung und Entlassung von Chefärzten. Gemäß § 7 Abs. 3 dieser Betriebssatzung entscheidet der Oberbürgermeister an Stelle des an sich zuständigen Gremiums in dringenden Angelegenheiten, die nach Gesetz oder Satzung in die Zuständigkeit des Stiftungsrates fallen, deren Erledigung auch nicht bis zu einer ohne Frist und formlos einberufenen Sitzung aufgeschoben werden kann. Gemäß § 10 Abs. 1 der Geschäftsordnung für den Gemeinderat der Stadt K, der identisch ist mit dem Stiftungsrat, lädt der Oberbürgermeister den Gemeinderat zu den Sitzungen ein, wenn es die Geschäftslage erfordert; regelmäßiger Sitzungstag ist Donnerstag. Gemäß § 10 Abs. 2 der Gemeindeordnung erfolgt die Einberufung mit angemessener Frist. Sie soll in der Regel sieben Tage vor der Sitzung unter gleichzeitiger Mitteilung der Tagesordnung und der für die Vorbereitung erforderlichen Unterlagen erfolgen. Gemäß § 10 Abs. 5 der Gemeindeordnung kann der Gemeinderat ohne Frist, formlos und unter Angabe der Verhandlungsgegenstände einberufen werden, wobei dann die rechtzeitige ortsübliche Bekanntgabe der Sitzung unterbleiben kann, § 10 Abs. 5 Satz 2 Gemeindeordnung (vgl. zur Betriebssatzung Anlage B 1, Aktenblatt 1 bis 5 im Anlagenband 1 und zur Gemeindeordnung Anlage B 43, Aktenblatt 258 bis 261 in Anlagenband 2). |
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| a) Entgegen der erstmals im Schriftsatz vom 21.10.2011 von der Beklagten aufgestellten Rechtsmeinung ist der Oberbürgermeister nicht auf der Grundlage des § 42 Abs.1 Satz 2 GemO BW i.V.m. § 6 Abs.2 Satz 1 der Satzung der Spitalstiftung vom 21.03.2007 (Anl. B 45, ABl. 608 ff.) als alleiniger gesetzlicher Vertreter - und unabhängig von der Beschlussfassung durch den Stiftungsrat - berechtigt zum Ausspruch (jeder) der Kündigungen (vgl. ABl. 601). Für den Eigenbetrieb der Beklagten gilt vorrangig die Betriebssatzung, zuletzt in der Fassung vom 13.07.2009, deren § 7 Abs.3 die Rechte des Oberbürgermeisters/Stiftungsratsvorsitzenden aus der Satzung der Spitalstiftung einschränkt. |
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| b) Die außerordentliche Kündigung des Klägers wegen der im Zusammenhang mit der Ausräumung seines Dienstzimmers am 06.05.2011 streitigen Abläufe ist bereits keine dringende Angelegenheit im Sinne des § 7 Abs. 3 der Betriebssatzung. |
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| aa) Dringend ist eine Angelegenheit dann, wenn sie keinen Aufschub duldet, weil ein Unterbleiben des (Gemeinderats-)Beschlusses Nachteile mit sich bringen würde, die nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Gleiches gilt, wenn unaufschiebbare rechtliche Verpflichtungen nicht erfüllt werden können (so die von beiden Parteien zitierte Entscheidung des Arbeitsgerichts Naumburg, 1 Ca 1904/07, Urteil vom 28.02.2008 - Juris). Der Gesichtspunkt der Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB allein rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich nicht die Anwendung einer Eilfallregelung (vgl. BAG, Urteil vom 18.10.1978, 4 AZR 188/77 und BAG, Urteil vom 18.05.1994, 2 AZR 930/93 - Juris). Weiter ist das Bundesarbeitsgericht der Auffassung, dass eine Eilfallzuständigkeit nur in begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden kann, nämlich dann, wenn im Hinblick auf die öffentlichen Belange oder kommunale Interessen eine Angelegenheit derart schnell erledigt werden muss, dass die normalerweise gebotene Einschaltung des zuständigen Gremiums zu einer ernstlichen Schädigung kommunaler, bzw. allgemeiner Interessen führen würde. Dies wird in aller Regel nur bei Katastrophen, drohender Gemeingefahr und nicht voraussehbaren öffentlichen Notständen der Fall sein (BAG, Urteil vom 20.04.1977, 4 AZR 778/75, Rdnr. 25 der Entscheidungsgründe - Juris). |
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| bb) Diese Maßstäbe zu Grunde gelegt, bestand am 20.05.2011 keine Eilfallzuständigkeit des Oberbürgermeisters zur außerordentlichen Kündigung des Klägers gemäß § 7 Ziff. 3 der Betriebssatzung vom 13.07.2009. Zum Einen war dem Oberbürgermeister zu diesem Zeitpunkt seit dem Abend des 06.05.2011 zurechenbar bekannt, welche näheren Umstände das Ausräumen des Dienstzimmers begleitet hatten. Die Information des zuständigen Sozialbürgermeisters B war durch die Geschäftsleitung der Beklagten umgehend erfolgt, wie sich aus Punkt 6, Unterpunkt 1 der Anlage QP II-1, Sitzungsvorlage zur (nächsten turnusgemäßen) Gemeinderatssitzung am 26.05.2011 eindeutig ergibt, (ABl. 198, Anlagenband 2). Allein durch den 14-tägigen Zeitablauf am 20.04.2011 seit Kenntnis von den wesentlichen, aus Sicht des Oberbürgermeisters zur Kündigung berechtigenden Gründen kann aber kein Eilfall „entstehen“. |
|
| Zum Anderen hätte der dafür allein zuständige Oberbürgermeister im Zeitraum zwischen dem 06.05.2011 und dem - von der Beklagten nach ihren Ausführungen im Schriftsatz vom 20.07.2011 letztmöglichen, unstreitig als fristwahrend anzusehenden - Kündigungszeitpunkt 20.05.2011 nicht nur eine Gemeinderatssitzung nach § 10 Abs. 2 Geschäftsordnung des Gemeinderats einberufen können mit einer Vorlauffrist von sieben Tagen, sondern er hätte notfalls auch von der Regelung nach § 10 Abs. 5 der Gemeindeordnung Gebrauch machen können, indem er den Gemeinderat ohne Frist, formlos und nur unter Angabe des Verhandlungsgegenstandes hätte einberufen können. Sitzungstag des Gemeinderats ist üblicherweise Donnerstag. Für den 19.05.2011 hätte ohne weiteres eine reguläre Sitzung nach § 10 Abs. 2 Gemeindeordnung - wenn auch außerhalb des üblichen Turnus - anberaumt werden können. Die - ohnehin als unmaßgeblich im Sinne eines Notfalls einzustufenden - wirtschaftlichen Aspekte einer möglichst frühzeitigen Kündigung wären damit ebenfalls voll umfänglich gewahrt worden. Die Argumentation der Beklagten im Schriftsatz vom 14.10.2011, dort Seite 42 ff. vermag die Entscheidung des Oberbürgermeisters, keine Gemeinderatssitzung einzuberufen, nicht zu rechtfertigen und damit auch keinen Eilfall zu begründen: Ein „noch stärkeres Licht der Öffentlichkeit“, in das die Angelegenheit durch eine Sondersitzung des Gemeinderats gezogen worden wäre, mag politisch erwägenswert erscheinen, entfaltet aber keine rechtliche Bedeutung. |
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| c) Zugleich hat die Beklagte an oben bezeichneter Stelle im Schriftsatz vom14.10.2011 selbst ausgeführt, es habe sich am 20.05.2011 um eine „weniger gewichtige Entscheidung“ gehandelt, weil bereits am 29.04.2011 außerordentlich gekündigt worden war. Diese Einschätzung steht im Widerspruch zu der grundsätzlich erforderlichen ernstlichen Schädigung kommunaler oder allgemeiner Interessen als Voraussetzung für die Eilfallzuständigkeit. Im Übrigen stand die Angelegenheit nicht weniger im Lichte der Öffentlichkeit, nachdem sie in der turnusgemäßen Gemeinderatssitzung am 26.05.2011 behandelt worden war und dies war nach dem vorhandenen Medieninteresse seit der ersten außerordentlichen Kündigung und dem Rücktritt des Personalrats am 03.05.2011 zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr anders zu erwarten gewesen. Soweit die Beklagte auf einen „Notfall“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abgestellt hat, weil nur durch die Eilmaßnahme der außerordentlichen Kündigung vom 20.05.2011 dem Kläger ein „klares Zeichen“ habe gesetzt werden können, kann dem nicht gefolgt werden. |
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| Es war bereits außerordentlich gekündigt am 29.04.2011, am 03.05.2011 ein Hausverbot insoweit ausgesprochen worden, als dem Kläger nur nach Rücksprache mit der Geschäftsführung, dem Ärztlichen Direktor oder der Personalleiterin das Klinikum zu betreten erlaubt war (Anlage K 13, ABl. 96) und das Dienstzimmer am 06.05.2011 ausgeräumt worden war. Für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 20.05.2011 wäre daher ein Beschluss des Stiftungsrats zur Ermächtigung des Oberbürgermeisters, diesen Beschluss dann zu vollziehen, erforderlich gewesen. |
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| 2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch keine wirksame nachträgliche Genehmigung der am 20.05.2011 durch den Oberbürgermeister erklärten außerordentlichen Kündigung durch den Stiftungsrat erfolgt. |
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| a) Unbeschadet der von den Parteien umfassend erörterten Rechtsfrage, ob die am 20.05.2011 ausgesprochene Kündigung überhaupt genehmigungsfähig ist und unbeschadet der Frage, ob der Kläger die fehlende Vertretungsmacht des Oberbürgermeisters unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern beanstandet hatte, kann bereits nicht festgestellt werden, dass der Stiftungsrat ausdrücklich die Kündigungserklärung vom 20.05.2011 genehmigt hat. In ihrem Schriftsatz vom 20.07.2011 hatte die Beklagte bereits darauf verwiesen, „der Stiftungsrat habe mit seinem Beschluss vom 26.05.2011 zum Ausdruck gebracht, das Arbeitsverhältnis des Klägers beenden zu wollen und damit konkludent die Kündigungserklärung vom 20.05.2011 genehmigt“ Auf entsprechende hinweisende Verfügung des Gerichts vom 09.09.2011 war sodann mit Schriftsatz der Beklagten vom 17.10.2011 der Beschluss vom 26.05.2011 zur Akte vorgelegt worden, aus dem sich diese konkludente Genehmigung ergeben soll. Unter der Überschrift „Vorsorgliche erneute Kündigung eines Chefarztdienstvertrages (vorsorgliche weitere außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung)“ enthält der Beschluss folgenden Text: |
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| Der Gemeinderat als Stiftungsrat beschließt: |
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| 1. Der Dienstvertrag des Herrn Prof. Dr. G M wird auf Grund der Vorfälle vom 06.05.2011 vorsorglich erneut beendet. Es soll eine vorsorgliche weitere außerordentliche, fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung ausgesprochen werden. |
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| 2. Die Verwaltung (der Geschäftsführer des Klinikums) wird beauftragt, den Beschluss zu Ziff. 1 zu vollziehen. Dies schließt den Ausspruch eventuell erforderlich werdender Wiederholungskündigungen, sowie die Beantragung einer gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit ein, Beschlussantrag angenommen. |
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| Die Umsetzung dieses Beschlusses erfolgte durch die sodann am 26.05.2011 ausgesprochene weitere außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung. |
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| Der Beschluss enthält offensichtlich in keiner Weise eine ausdrückliche Genehmigung der Kündigungserklärung vom 20.05.2011, die in dem gesamten Schriftstück keine Erwähnung findet. |
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| b) Soweit die Beklagte im Beschluss vom 26.05.2011 eine konkludente Genehmigung der Kündigungserklärung vom 20.05.2011 entnehmen will, geht diese Rechtsauffassung fehl. Gemäß § 4 der Betriebssatzung in der Fassung vom 13.07.2009 beschließt der Stiftungsrat über die Entlassung eines Chefarztes und eine Beschlussfassung in einer Angelegenheit setzt grundsätzlich voraus, dass ein entsprechender Wille gebildet und geäußert wird, (vgl. BAG, Urteil vom 27.09.2001, 2 AZR 389/00, Rdnr.32 der Entscheidungsgründe -Juris). Der Stiftungsrat hätte daher am 26.05.2011 zumindest einen Willensbildungsprozess dahingehend bekunden müssen, dass er sich mit der Eilentscheidung des Oberbürgermeisters vom 20.05.2011 überhaupt befasst hat. Bereits dies ist dem letztlich am 26.05.2011 gefassten Beschluss nicht zu entnehmen, selbst wenn man darauf verzichtet zu verlangen, dass der Stiftungsrat den ausdrücklichen Beschluss hätte fassen müssen, die am 20.05.2011 vom Oberbürgermeister allein ausgesprochene Kündigung nachträglich genehmigen zu wollen - und gegebenenfalls sodann vorsorglich den sodann in der Tat getroffenen Beschluss zu erneuten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung zu treffen. Nicht einmal der Begriff einer „Kenntnisnahme“ von den Abläufen am 20.05.2011 und einer Billigung oder das Konstatieren des Sachverhalts ist der Entscheidung des Stiftungsrates zu entnehmen. Dies, obwohl die Sitzungsvorlage in der Personalangelegenheit für das Gremium Gemeinderat/Stiftungsrat am 26.05.2011, vorgelegt vom Geschäftsführer der Beklagten, jedenfalls unter Punkt 6 Ziff. 3 der angegebenen Begründung zum Sachverhalt und zur rechtlichen Würdigung eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen hat. |
|
| Hier heißt es: „Eine fristlose Kündigung wurde durch bereits durch den Oberbürgermeister am 20.05.2011 beschlossen, handelnd auf Grund seiner Eilfallkompetenz gemäß § 7 Abs. 3 der Betriebssatzung. Herr Bürgermeister B als zuständiger Dezernent, hatte von dem fraglichen Sachverhalt am Abend des 06.05.2011 erfahren. |
|
| Diese Kündigung sollte auf Anraten unseres Rechtsanwalts vorsorglich vom Stiftungsrat bestätigt werden und zwar in der Form der Kenntnisnahme dieser Kündigung, sowie in Form eines neuen Kündigungsbeschlusses“ (vgl. hierzu Anlage QP II-1, Aktenblatt 198 im Anlagenband II). Dem Beschluss des Stiftungsrates vom 26.05.2011 ist im Gegensatz dazu jedoch keinerlei Bezugnahme auf die am 20.05.2011 ausgesprochene Kündigung zu entnehmen. Zwar enthält der Beschluss vom 26.05.2011 den unmissverständlichen Willen des Stiftungsrates, den Dienstvertrag auf Grund der Vorfälle vom 06.05.2011 vorsorglich erneut zu beenden, orientiert sich jedoch ausschließlich an der Zukunft: Es soll eine weitere außerordentliche, fristlose und hilfsweise Kündigung ausgesprochen werden und die Verwaltung wird beauftragt, den Beschluss zu vollziehen. Eine vergangenheitsbezogene Beschäftigung mit der Kündigung vom 20.05.2011 ist hingegen in keiner Weise erfolgt. Die entgegen der Regelung im § 7 Abs. 3 Betriebssatzung vom 13.07.2009 ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 20.05.2011 ist demgemäß auch nicht nachträglich wirksam genehmigt worden. Sie kann daher insgesamt keine rechtliche Wirkung entfalten. |
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| 3. Die außerordentliche Kündigung vom 20.05.2011 ist im Übrigen auch deshalb unwirksam, weil kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Weil die Gründe dieser auch bereits formell unwirksamen Kündigung identisch sind mit denjenigen der nach Beschluss des Stiftungsrates ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung vom 26.05.2011, wird insoweit auf die Ausführungen unter IV. vollumfänglich verwiesen. |
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| Die außerordentliche Kündigung vom 26.05.2011 ist zwar formal wirksam erfolgt, da sie innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zugegangen ist (dazu unter 1.). Die auf die Abläufe und das Verhalten des Klägers anlässlich der Ausräumaktion seines Dienstzimmers am 06.05.2011 gestützte Kündigung ist jedoch unwirksam, weil ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt (dazu unter 2.). |
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| 1. Die dem Kläger am 26.05.2011 zugegangene außerordentliche Kündigung gleichen Datums ist innerhalb der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt. |
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| a) Die Ausschlussfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB begann nicht bereits am 06.05.2011 zu laufen, sondern maßgeblicher Zeitpunkt für ihren Beginn ist die Kenntnis des Stiftungsrats von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Nach § 4 Ziffer. 3 der Betriebssatzung der Beklagten in der zuletzt gültigen Fassung vom 13.07.2009 i.V.m. § 24 Abs. 2 Satz 1 GemO BW hat der Stiftungsrat über eine außerordentliche Kündigung eines Chefarztes zu beschließen. Für die Berechnung der zweiwöchigen Ausschlussfrist ist daher die vollständige Kenntnis des Stiftungsrates als kündigungsberechtigtes Gesamtgremium maßgebend. Unstreitig erhielten die Mitglieder des Stiftungsrates am 23.05.2011 per Boten eine Sitzungsvorlage für die turnusmäßig am 26.05.2011 stattfindende Gemeinderatssitzung, in der sodann die außerordentliche Kündigung des Klägers beschlossen wurde. |
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| b) Nicht zuzurechnen ist dem Stiftungsrat die Kenntnis des Stiftungsratsvorsitzenden seit dem 06.05.2011 von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Dessen Kenntnis müsste sich der Stiftungsrat nämlich nur dann zurechnen lassen, wenn der Zeitraum zwischen dem 06.05.2011 und dem 26.05.2011 durch eine schuldhaft fehlerhafte Organisation des Betriebes bedingt ist. Allein die Tatsache, dass der Stiftungsratsvorsitzende in bestimmten Ausnahmefällen des § 7 Abs. 3 der Betriebssatzung auch allein Kündigungsberechtigung hat, reicht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht aus (BAG Urteil vom 18.05.1994, 2 AZR 930/93 - Juris). Zwar hätte der Vorsitzende des Stiftungsrates wie oben unter III. ausgeführt, nach Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen eine Sondersitzung des Gemeinderats einberufen können, um einen Beschluss des Stiftungsrates herbeizuführen. Maßgebend ist aber, dass er dazu nicht verpflichtet war, weil die nächste turnusgemäße Sitzung für den 26.05.2011 bereits anberaumt war und der Termin feststand. Damit hatte es entgegen der vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 22.09.2011, dort Seite 22 vertretenen Rechtsauffassung der Stiftungsratsvorsitzende gerade nicht in der Hand, den Beginn der Zweiwochenfrist durch Nichtinformation des Stiftungsrates dauerhaft zu verhindern: Da zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Stiftungsratsvorsitzenden am 06.05.2011 der Termin für die nächste turnusgemäße Sitzung am 26.05.2011 bereits feststand, wäre die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB lediglich dann nicht gewahrt worden, wenn die Frage der außerordentlichen Kündigung nicht auf die Tagesordnung genommen worden oder in dieser Sitzung kein Beschluss über die Frage der außerordentlichen Kündigung herbeigeführt worden wäre. Eine „dauerhafte Verhinderung“ hätte also nicht stattfinden können. |
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| Es war dem Stiftungsratsvorsitzenden zwar verwehrt, sich auf einen Eilfall zu berufen und ohne zugrunde liegenden Beschluss des Stiftungsrates außerordentlich zu kündigen, aber es stellt kein Organisationsverschulden dar, keine Sondersitzung einzuberufen, sondern die nächste turnusgemäße Sitzung für eine Entscheidung vorzusehen (BAG Urteil vom 18.05.1994, 2 AZR 930/93). |
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| 2. Die außerordentliche Kündigung vom 26.05.2011 ist jedoch deshalb unwirksam, weil keine Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, § 626 BGB. In Ansehung sämtlicher Umstände, die bei der Ausräumung des Dienstzimmers am 06.05.2011 zu berücksichtigen waren und in Würdigung der Aussagen der am 25.10.2011 gehörten Zeugen zum Verhalten des Klägers konnte die Kammer das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Begründung einer außerordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht feststellen. |
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| Grobe Beleidigungen und Beschimpfungen eines Arbeitnehmers gegenüber Vertretern und Repräsentanten des Arbeitgebers oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, können einen gewichtigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen (vgl. BAG Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 534/08 - Juris). Zu von der Rechtsprechung anerkannten Verstößen gehören sowohl abfällige, ehrverletzende Äußerungen, pauschale Diffamierungen und Verleumdungen als auch das Verwenden grober Schimpfwörter, wobei es stets auf die Umstände, die Sprachgewohnheiten und den üblichen Umgang ankommt (BAG, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 534/08, Hess. LAG, Urteil vom 20.1.2011, 5 Sa 342/10 jeweils mit weiteren Nachweisen; zitiert nach Juris). |
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| a) Hierunter sind bereits nicht alle von der Beklagten beanstandeten Äußerungen des Klägers zu fassen - weder für sich betrachtet noch im Gesamtkontext. So sind Aussagen wie „Sie sind persönlich haftbar für alles, was in der Zukunft passiert“, „Ich hoffe, dass Ihnen das später nachgehen wird“, „All dies werden Sie Ihr Leben lang nicht vergessen“, „Sie werden noch sehen, wie der Südkurier über das alles hier noch berichten wird“ oder „Ich werde immer hier sein, wenn nicht materiell, dann immateriell“ - unabhängig davon, ob sie nun tatsächlich (so im Wortlaut) gefallen sind und in welchem genauen weiteren Kontext - bereits keine Pflichtwidrigkeit. |
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| Sie vermögen sicherlich, insbesondere bei mehrfacher Wiederholung, Anspannung zu erzeugen und in der Augenblickssituation nicht förderlich zu sein, sie mögen auch inhaltlich schlicht falsch sein oder als Überschätzung der eigenen Person des Klägers bewertet werden - kündigungsrelevante Pflichtverletzungen stellen sie jedenfalls nicht dar. |
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| Ebenso wenig können Aussagen beleidigenden Charakters von an der Ausräumaktion beteiligten Dritten dem Kläger zugerechnet werden. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob es sich um Familienangehörige oder sonstige Personen handelt. Die Kammer folgt nicht der Einschätzung der Beklagten, der Kläger habe solche Äußerungen zu verantworten, hätte sie verhindern oder unterbinden müssen. Angesichts der Tatsache, dass zeitweise bis zu 15 (!) Personen in den Räumlichkeiten anwesend und emsig beschäftigt waren, die allesamt einem sicherlich nicht alltäglichen Ereignis beiwohnten und emotional betroffen waren, kann nicht dem Kläger jede spitzzüngige, polemisch gefärbte Anmerkung des einen oder anderen zur Last gelegt werden. Wäre den Helfern klar gewesen oder von den anwesenden Vertretern der Beklagten deutlich klar gemacht worden, dass ihr Verhalten auf den Kläger zurückfallen würde, hätte mit Sicherheit jeder geschwiegen, um dem Kläger nicht zu schaden. Eine Lebenssituation wie die Räumung des Dienstzimmers einer Persönlichkeit, die die Beklagte selbst in ihren Schriftsätzen als (früheres) Aushängeschild und besonders starken Repräsentanten ihrer Einrichtung bezeichnet, ist physisch wahrnehmbar als Entfernung dieser Person mit allem, was sie äußerlich ausmacht - und da dies nicht freiwillig erfolgte, sind wenig geschmackvolle Äußerungen von Beteiligten und gezogene Vergleiche mit der DDR zumindest vertretbar. |
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| Der Umstand persönlicher Betroffenheit und Parteinahme gilt in ganz besonderem Maß auch für die Ehefrau des Klägers, die im Übrigen selbst in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten steht. Was der Beklagten an ihrem Verhalten inakzeptabel erschienen ist, mag auch ihr gegenüber in geeignet erscheinender Weise gerügt werden. |
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| b) Als im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung erheblicher Verstoß gegen die Interessen des Arbeitgebers sind dagegen grundsätzlich die folgenden Äußerungen zu bewerten: |
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- Haben Sie Ihr Gewissen an der Pforte abgegeben? |
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- Wollen Sie etwa die Nachfolge ihres Chefs antreten? |
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Dazu sind Sie unfähig und ungeeignet. |
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- So handeln Mitläufer in Diktaturen |
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- Man hätte das Ganze auch würdevoll machen können, aber so etwas wie Würde haben Sie ja nicht. |
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- Wollen Sie nicht mithelfen? Ach besser nicht, dann klauen Sie wieder, wie Sie das schon vorher getan haben“ |
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- Von Geschäftsführung und solchen Dingen haben Sie keine Ahnung“ |
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- Viermal etwas zu sagen reicht nicht aus, Herr Z ist so dumm, dass man alles mindestens 5 Mal sagen muss“ |
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| Es handelt sich hierbei um abfällige, ehrverletzende Verbalangriffe, die auch eine bewusste Verletzung und Abqualifizierung der/des jeweils Angesprochenen bezwecken sollen und ganz eindeutig und zweifellos eine kränkende Zielrichtung haben. Die haltlose Bezichtigung eines Diebstahls ist zudem verleumderisch. Derartige, von einem Chefarzt gegenüber Ärztlichem Direktor und stellvertretender Personalleiterin abgegebene Angriffe muss der Arbeitgeber nicht hinnehmen. Hinzu kommt erschwerend, dass diese Äußerungen nicht unter vier oder sechs Augen und in vertraulicher Situation sondern hörbar für weitere Personen, auch Mitarbeiter der Beklagten und Klinikfremde, gefallen sind. Der Aspekt empfundener Abschätzigkeit und Herabwürdigung wiegt umso schwerer, wenn Dritte diese ebenfalls wahrnehmen können - auch wenn nicht jeder einzelne andere Anwesende jede der Äußerungen gehört haben mag. Allerdings sind die konkreten Einzelfallumstände, entlastende Momente und vom Arbeitgeber mitverursachte Vorbedingungen zu berücksichtigen, wenn der Grad der Schwere der Pflichtverletzung zu bewerten ist: Aufgrund der einem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht gegenüber seinen Arbeitnehmern ist er gehalten, zur Wahrung des Betriebsfriedens geeignete Maßnahmen durchzuführen, um das geordnete Zusammenleben der Betriebsgemeinschaft zu gewährleisten. Von entscheidender Bedeutung kann daher sein, ob und wie der Arbeitgeber im Vorfeld Bedingungen geschaffen hat, die den Mitarbeitern betriebsfriedliches Verhalten erschweren. Hieran müssen auftretende Störungen sich messen lassen. |
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| 3. Gemäß § 286 ZPO kann das Gericht im Wege der freien Beweiswürdigung eine Behauptung als bewiesen ansehen, wenn es von ihrer Wahrheit überzeugt ist. Hierfür genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und die Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, ein für einen vernünftigen, den Lebenssachverhalt klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGHZ 53, 254 (256); Thomas - Putzo, ZPO, 21. Auflage § 286 Rdnr. 2). Einen solchen Grad von Gewissheit vom Vorliegen der Handlungsabläufe insgesamt und der Verhaltensweise des Klägers am 06.05.2011 vermochte sich die Kammer zu verschaffen, weil die diesbezüglichen Aussagen der Zeugen Dr. Z, Dr. B1 und Frau W bei Heranziehen der üblichen vernehmungstechnischen Erkenntnismethoden eine Reihe beachtlicher Anhaltspunkte für ihre Glaubwürdigkeit, aber keine Lügensignale aufweisen. Ergänzend herangezogen hat das Gericht diejenigen Aufzeichnungen und Gedächtnisstützen, die alle Zeugen zeitnah für sich angefertigt hatten sowie die von Frau W und Dr. Z abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen vom 25. bzw.26.5.2011. |
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| a) Eine zuverlässige Erinnerung setzt eine fehlerfreie Wahrnehmung der Geschehnisse voraus. Wahrnehmung ist keine bloße passive Aufnahme eines Geschehens; sie ist vielmehr eine geistige Leistung, eine Art Entscheidungsvorgang. Sie hängt nicht nur davon ab, wie die Dinge sind, sondern auch davon, in welcher Stimmung sich der Wahrnehmende befindet. Wahrnehmung ist immer bruchstückhaft, schon deshalb, weil den menschlichen Sinnesorganen Grenzen gesetzt sind und nur ein beschränktes gleichzeitiges Fassungs-/Aufnahmevermögen besteht (vgl. hierzu Wendler/Hofmann, Technik und Taktik der Befragung im Gerichtsverfahren, Stuttgart, Kohlhammer-Verlag 2009). Die Kammer hat sich im Bewusstsein dieser objektiven Einschränkungen einer absoluten Wahrheitsfindung ihre Überzeugung gebildet. Erheblich war für das Gericht außerdem, welchen - teils unterschiedlichen, teils übereinstimmenden - zentral erlebten Handlungskern die Zeugen bei ihren jeweiligen Schilderungen in den Vordergrund gestellt haben. |
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| b) Es ist ein besonderes Anliegen der Kammer klargestellt zu wissen, dass sich aus dem Aussageverhalten aller drei Zeugen keinerlei Anhaltspunkte dafür ergaben, dass sie mit einer konkreten Zielrichtung, bewusst belastend oder entlastend oder auch nur in einzelnen Punkten bewusst wahrheitswidrig ausgesagt hätten. |
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| Die Zeugen haben sich alle um ein hohes Maß an Sachlichkeit bemüht und ihr Erinnerungsvermögen an einen immerhin zu diesem Zeitpunkt mehr als 5 Monate zurückliegenden Vorfall äußerst konzentriert und sehr konstruktiv bemüht. Sie haben dadurch eine ausgesprochen eindrückliche, dichte und besonders gut nachempfindbare Darstellung der Gesamtsituation durch die Kammer ermöglicht. Viel deutlicher, als aus den Schriftsätzen der Parteien erkennbar, haben die Ausführungen der Zeugen der Kammer plastisch vor Augen geführt, in welch unerträglicher Anspannung und für ausnahmslos alle Beteiligten unwürdigen Situation sich der Teilnehmerkreis der „Ausräumaktion“ am 06.05.2011 befunden hat. Hingegen konnte nicht erwartet werden, dass jede einzelne Wahrnehmung aus dem überaus komplexen Geschehen am 06.05.2011 ohne inzwischen stattgefundene Verfestigungen, Beeinträchtigungen und ohne Veränderungen gegenüber ursprünglich gemachten Angaben würde wiedergegeben werden können: Zu berücksichtigen hatte die Kammer deshalb, dass die Zeugen ihre Wahrnehmungen im Verlauf der mündlichen Vernehmung nicht mehr nur allein auf der Grundlage ihrer Erinnerungen gemacht haben, sondern eine Verfestigung der Erinnerung bereits durch die zeitnah erfolgten schriftlichen Niederlegungen eingetreten war. Alle Zeugen waren überdies mit dem vorliegenden Verfahren befasst und darin involviert, was sich aus ihren Äußerungen zwanglos ergab. Auch dies führt zu dem Phänomen der Erinnerung an das bereits Erinnerte. |
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| Bei den Zeugen Dr. Z und Frau W war außerdem zu berücksichtigen, dass die gefühlte Bindung an eine einmal erklärte eidesstattliche Versicherung nicht unterschätzt werden darf. Hierin bezogen sich beide Zeugen summarisch auf einen Unterpunkt (I.) in einem Schreiben des Beklagtenvertreters vom 19.05.2011 zur Darstellung der Sach- und Rechtslage gegenüber Sozialbürgermeister B und Geschäftsführer O (vgl. Anlage QP II - 1, ABl. 199 bis 210, Anlagenband 2). Die in Bezug genommene Darstellung in diesem Schreiben ist aber - zwischenzeitlich wohl unstreitig, jedenfalls nach der Beweisaufnahme - nicht durchgehend völlig richtig: So ist die dem Kläger zugeschriebene wörtliche Aussage gegenüber Dr. R „Dass ein Mann wie Sie so nette Eltern haben kann“ von der Ehefrau des Klägers gemacht worden. Die Zeugen an Eides Statt versichern zu lassen, was bereits einer Zusammenfassung und Wiedergabe durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzogen wurde, auch wenn dies auf ihren Angaben beruhte, übt erheblichen Druck aus, sich jedenfalls unter keinen Umständen von diesen Angaben mehr lösen zu dürfen. |
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| c) Vorliegend stehen zur Überzeugung der Kammer nach Durchführung der Beweisaufnahme am 25.10.2011 folgende Äußerungen des Klägers fest, die er gegenüber Frau W abgegeben hat: |
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- Haben Sie Ihr Gewissen an der Pforte abgegeben? |
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- Wollen Sie etwa die Nachfolge ihres Chefs antreten? |
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Dazu sind Sie unfähig und ungeeignet. |
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- So handeln Mitläufer in Diktaturen |
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| und folgende Äußerung, die der Kläger gegenüber Dr. Z gemacht hat: |
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- Man hätte das Ganze auch würdevoll machen können, aber so etwas wie Würde haben Sie ja nicht. |
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| In Ansehung des Protokolls der Kammerverhandlung bestanden keine Zweifel des Gerichts, dass diese Äußerungen so im Wortlaut gefallen sind und auch vom Kläger selbst gegenüber Dr. Z und Frau W gemacht wurden und nicht von einem/einer Dritten. Die Schilderungen der Zeugen Dr. Z und Frau W geben im Verlauf einer unterschiedlichen, individuell formulierten und sehr ausführlichen chronologischen Ablaufbeschreibung die umstrittenen Sätze wieder; der Zeuge B1 hat die Frage des Klägers an Frau W, ob sie ihr Gewissen an der Pforte abgegeben habe, ebenfalls bestätigt. Die Zeugen W und Dr. Z steuerten auch nicht zielorientiert auf diese bekanntermaßen kündigungsauslösenden Sätze zu und es war weder inhaltlich noch emotional ihren Ausführungen zu entnehmen, dass sie den Kläger gerade hiermit besonders belasten wollten. Nachvollziehbar war auch, dass jeder der Zeugen vor allem das wiedergeben konnte, was ihn/sie persönlich betraf - in dieser überaus stark aufgeladenen Atmosphäre, bei dem bestehenden Zeitdruck und den mannigfachen, parallel ablaufenden Ereignissen und der Vielzahl anwesender Personen war eine völlig objektivierte Wahrnehmung niemandem möglich. Im Vordergrund der Aussage aller drei Zeugen standen denn auch weniger konkrete Äußerungen und die wörtliche Wiedergabe verbaler Attacken, sondern in viel stärkerem Maße die Beschreibung der Abläufe an sich. Aus dieser Schilderung wurde für das Gericht offensichtlich, dass die geschaffene und in diesen zwei Stunden zu lösende Gesamtsituation an sich auch in der Wahrnehmung der Zeugen das Hauptproblem dargestellt hat. |
|
| Das Protokoll mit den im Wortlaut wiedergegebenen der Zeugenaussagen sei an dieser Stelle insgesamt und vollumfänglich in Bezug genommen und es wird hinsichtlich der für bewiesen erachteten Aussagen auf eine weitergehende Auseinandersetzung hiermit verzichtet. |
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| d) Die weiteren von der Beklagten zur Begründung der Kündigung angeführten Äußerungen des Klägers hat die Kammer dagegen für nicht bewiesen erachtet. |
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| aa) Was den Vorwurf der Beklagten angeht, der Kläger habe über die gesamte Dauer der Ausräumaktion hinweg „ununterbrochen“ Dr. Z, Frau W (und Herrn R, der aber nur in der letzten Stunde anwesend war) „beschimpft“, ist dazu festzuhalten, dass hierunter offensichtlich jede Äußerung des Klägers gefasst wurde, die er überhaupt abgab. Bekundet wurde von den Zeugen Dr. Z und Frau W in ihrer mündlichen Vernehmung, dass sie etwa Äußerungen wie diejenige, Dr. Z sei haftbar für alles was hier passiere, beide müssten die Konsequenzen tragen, wenn Patienten Schaden entstünde, alle würden sich noch an diesen Tag erinnern, es gehe so nicht und der Kläger wolle eine einstweilige Verfügung erwirken, auch unter die von ihnen so bezeichneten „fortlaufenden Schimpftiraden“ eingeordnet haben. Bei beiden Zeugen ging es in ihren Schilderungen großenteils um solche, für sie persönlich offenbar sehr unangenehmen und als belastend empfundenen Aussagen des Klägers, mit denen sie sich auch unter Druck gesetzt fühlen mochten. Dies sind aber objektiv keine Beschimpfungen, mag der Tonfall des Klägers „barsch“ sein oder nicht. In Ansehung der von den Zeugen tatsächlich geschilderten Abläufe gelangte das Gericht zu der Einschätzung, dass die Beklagte in ihren Darlegungen insoweit stark übertrieben hat. |
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| bb) Weiter ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger den Zeugen direkt und persönlich als „so dumm“ bezeichnet hat, „dass es nicht reiche, ihm alles vier mal zu sagen, man müsse es fünfmal sagen“. Der Zeuge mag dies so erinnern und aus den komplexen Wahrnehmungen in einer von ihm als hochemotional bezeichneten Situation auch in dieser Weise irgendwann geschlussfolgert und abgespeichert haben. Zum Vorwurf von Dummheit ihm gegenüber hatte der Zeuge allerdings in seiner handschriftlichen Notiz nichts notiert. Unter Ziffer 13. seiner Mitschrift (Anlage B 37/Rückseite) hat der Zeuge notiert „man muss hier alles viermal“. |
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| Die Kammer ist zu der Auffassung gelangt, dass der Zeuge seiner sonstigen Diktion in dieser Notiz in Ichform gefolgt wäre und „ich bin dumm“ notiert hätte, wenn die Verknüpfung mit dem Vorwurf mehrmaligen Wiederholenmüssens von Aussagen tatsächlich so gefallen wäre. Dann hätten nämlich diese deutlichen und einfachen Worte im Vordergrund seiner Wahrnehmung gestanden und nicht die vergleichsweise komplizierte Fragestellung, wie oft man etwas sagen müsse. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Kläger - sicher auch ärgerlich und in entsprechendem Tonfall gefragt hat, ob es nicht reiche, alles viermal zu sagen, ob man es fünfmal sagen müsse. Dass auch Ungesagtes die Wirkung entfalten kann, sich abgekanzelt zu fühlen, bezweifelt die Kammer nicht, und eine solche Fragestellung impliziert Ungeduld und Zweifel an der Aufnahmefähigkeit des Gegenübers. Dennoch steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger Dr. Z explizit Dummheit vorgeworfen hat. |
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| cc) Nicht bewiesen ist für die Kammer auch, dass der Kläger Dr. Z vorgeworfen hat, er „klaue bzw. habe früher schon geklaut“. Ein solcher Vorwurf ist eine Verleumdung, wenn er nicht den Tatsachen entspricht und davon geht die Kammer aus. Eine wie auch immer geartete Begründung für diesen Satz gab es nicht. Der Zeuge hat ihn zwar (als vom Kläger ihm gegenüber geäußert) in seiner Vernehmung wiedergegeben, aber in seiner handschriftlichen Notiz (Anl. B 37/Rückseite) steht unter Ziffer 12.: „Bezichtigung des Diebstahls“. Dies ist - verglichen mit der sonstigen Diktion - eine abstrakte und vor allem unpersönliche Formulierung. „Ich klaue“ oder „Ich habe geklaut“ wäre die zentrale Wahrnehmung des Vorwurfs gewesen, hätte dieser tatsächlich dem Zeugen selbst gegolten (Ziff. 6 „Ich habe keine Würde“, auch Ziff.2, 5, 7, 8, 9, 10). Das Gericht hat auch nicht nachvollziehen können, dass bei einem derartigen, von der Zeugin W ihrerseits als erstaunlich und überraschend bezeichneten Wortlaut keine spontane Nachfrage von Dr. Z gekommen sein soll - trotz Deeskalation um jeden Preis ist dies nicht stimmig. Auch bei der Zeugin W fehlt im Übrigen diese Sequenz in ihrer Aufzeichnung vom 06.05.2011 ganz (Anl. B 41, ABl. 253, Anlagenband 2). Sie hat sich darin allerdings vorwiegend mit den ihr gegenüber geäußerten Anwürfen befasst und mag in diesem Punkt im Nachgang der Ereignisse und der durchgeführten Befragungen und kündigungsvorbereitenden Stellungnahmen der Erinnerung des Zeugen Z gefolgt sein. |
|
| Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die erinnerten Abläufe durchaus vor dem Hintergrund von Kontrollen zu sehen sind, die der Kläger empfinden musste, als würde e r Verbotenes mitnehmen wollen. Dies bestimmte die die gesamte Szenerie überlagernde Atmosphäre; so hat es der Zeuge Dr. B1 anschaulich und bildhaft geschildert. Er hat auch ausgeführt, dass es gegen Ende der Veranstaltung dann noch um das Handy des Klägers ging, das „nicht wegkommen sollte“ - s e i n e Vermutung begründend, wie und weshalb Dr. Z s i c h bezichtigt gefühlt haben könnte. |
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| dd) Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass der Kläger Dr. Z grundsätzlich abgesprochen hat, von „Geschäftsführung und solchen Dingen keine Ahnung zu haben“, allein um ihn - wie die Beklagte behauptet hat - mit einer solchen Äußerung vor allen anderen Anwesenden bloßzustellen oder ihn herabzuwürdigen. Für die Kammer steht vielmehr fest, dass die Äußerung im Zusammenhang stand mit Unterlagen aus früherer Tätigkeit des Klägers, die eingepackt wurden und wiederum kontrolliert wurden. Hierbei ist in ganz besonderem Maße der situative Kontext zu berücksichtigen: Der Zeuge Dr. Z hat insoweit bestätigt, dass es um Unterlagen aus Stralsund ging. Er hat beschrieben, dass der Kläger kniete, die Unterlagen einpackte und auf das Herunterbeugen und entsprechende Nachfragen des Zeugen hin dann gesagt habe „da geht es um Geschäftsführung und solche Dinge, aber davon verstehen Sie ja nichts“. Genau diese Situation der körperlichen Haltung beider Personen hat auch der Zeuge Dr. B1 beschrieben, als von ihm in hohem Maße demütigend für den Kläger empfunden. Der Zeuge hat auch - zu einem späteren Zeitpunkt seiner Aussage - sehr objektivierend angenommen, dass der Zeuge Dr. Z selbst die Provokation, die er mit den durchgeführten Kontrollen ausgelöst hat, „vermutlich so nicht empfunden hat, weil er sich ja verantwortlich gefühlt hat“ (vgl. ABl. 640, Seite 17 des Protokolls vom 25.10.2011). Diese Einschätzung des Zeugen teilt die Kammer und sieht die inkriminierte Äußerung daher erwiesenermaßen als ausschließlich augenblicksbezogen an. |
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| 4. Die als erwiesen zu erachtenden Äußerungen des Klägers gegenüber dem Ärztlichen Direktor Dr. Z und der stellvertretenden Personalleiterin Frau W anlässlich der Ausräumaktion am 06.05.2011 sind jedoch nicht als so schwere Pflichtwidrigkeit zu bewerten, dass sie eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können. |
|
| Entgegen der Auffassung der Beklagten handelte es sich gerade nicht um einen „vollkommen unspektakulären Termin“, den der Kläger zum Anlass genommen hat, „die bezeichneten Personen bewusst herabzuwürdigen und ihrem Ansehen zu schaden, nachdem er für eine möglichst große Öffentlichkeit gesorgt hatte“ (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 20.07.2011, Seite 8, ABl. 201). Der Ausräumaktion vom 06.05.2011 war vielmehr eine Vorgehensweise der Beklagten vorausgegangen, die die Zeugen W und Dr. B1 in ihren chronologischen Aussagen auch geschildert haben und die nicht unberücksichtigt bleiben kann, will man die Abläufe am 06.05.2011 angemessen bewerten. |
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| a) Die Beklagte hatte den Kläger zunächst am 29.04.2011 im Nachgang zur außerordentlichen Kündigung vom 28.04.2011 aufgefordert, sein Dienstzimmer an diesem Tag bis 17:00 Uhr zu räumen. Dabei war klargestellt worden, dass dienstliche oder im Eigentum des Klinikums stehende Unterlagen, Urkunden, Aufzeichnungen, Schriftstücke, Korrespondenzen, Notizen, Entwürfe und dergleichen dort zu belassen seien. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, sämtliche in seinem Besitz befindlichen Schlüssel ebenfalls bis 17:00 Uhr herauszugeben und es wurde ihm mitgeteilt, dass sein E-Mail-Account durch die IT-Abteilung um 17:00 Uhr gesperrt werde. Dieses Schreiben war vom Geschäftsführer der Beklagten, Herrn O, unterzeichnet. Nach Intervention des seinerzeitigen Rechtsanwalts des Klägers wurde sodann mündlich vereinbart, diese Räumungsfrist zu verlängern bis Montag, 02.05.2011 / 11:00 Uhr. Der Kläger hätte demzufolge im Zeitraum vom 29.04. - 02.05.2011 sein Dienstzimmer räumen sollen und können - und zwar ohne jegliche Kontrollen durch die Beklagte, denn diesbezüglich waren keinerlei Vorgaben oder Maßnahmen getroffen worden. Dem Kläger hätte es auch offen gestanden - die Beklagte hat dies sogar erwartet - das Zimmer vollständig leerzuräumen unter Hinterlassung der im Schreiben vom 29.04.2011 bezeichneten, selbstverständlich dort zu belassenden Unterlagen und Gegenstände. Der Kläger verfügte auch weiterhin bis zum 02.05.2011 über seine Schlüssel, so dass es ihm ohne Weiteres möglich gewesen wäre, (mit oder ohne externe Helfer) so zu verfahren, wie es dann am 06.05.2011 der Fall war, nämlich die ihm gehörenden persönlichen Gegenstände und Unterlagen in Kisten zu verpacken und abzutransportieren. Dies war nicht geschehen - dem Kläger zufolge deshalb, weil an dem dazwischen liegenden Samstag und Sonntag eine entsprechende Organisation von Helfern, geeignetem Auto etc. nicht möglich gewesen sei. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. |
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| Erheblich ist vielmehr, dass entgegen den Darlegungen der Beklagten im Schriftsatz vom 14.10.2011, Seite 18, ABl. 508 der Kläger sehr wohl davon hatte ausgehen dürfen, dass „er als fristlos gekündigter Chefarzt mit jahrzehntelangem Zugang zu allen Unterlagen des Klinikums ohne jede Begleitung durch Klinikvertreter sein Büro würde räumen können“. Genau dies war für die Zeit vom 29.4.bis 02.05.2011 gestattet worden. |
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| b) Am Vormittag des 02.05.2011 fand Frau W mit dem Kläger zusammen um 11:00 Uhr morgens das nicht leer geräumte Zimmer vor, in dem der Kläger bereits Sortierungen und sonstige Vorbereitungsarbeiten getätigt hatte (Papierstapel auf dem Schreibtisch, in der Ecke stehende Bilder). Angesichts der Fülle von zu entfernenden Gegenständen, von vollen Schränken und der gemeinsam besichtigten vorhandenen Menge von Material, gestattete Frau W sodann dem Kläger im Beisein u.a. des Oberarztes Dr. B1, die Ausräumarbeiten bis zum Freitag, den 06.05.2011 fortzusetzen (vgl. dazu die Aussage beider Zeugen). Bereits das später an diesem Tag verfasste Schreiben von Frau W vom 02.05.2011, das auch eingangs auf den am Morgen durchgeführten Termin Bezug nimmt, weist keinerlei Begründung dafür aus, weshalb nun das Packen der Gegenstände am Freitag, den 06.05.2011 beginnend ab 15:00 Uhr unter Aufsicht durchgeführt werden sollte. Frau W bat in diesem Schreiben lediglich um Verständnis, „dass wir uns aus organisatorischen Gründen zu dieser Vorgehensweise entschlossen haben“. Betont wurde das Interesse eines reibungslosen Weiterbetriebes der Abteilung und angekündigt wurde, dass Frau W und Herr Dr. Z am 06.05.2011 anwesend sein würden (vgl. Anl. K12, ABl. 95). |
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| c) Diese kurzfristige Abkehr von der am Morgen getroffenen Vereinbarung durch die Beklagtenseite wurde in der Folge noch drastisch verschärft durch das Auswechseln der Schlösser an den Türen des Dienstzimmers am Abend des 02.05.2011. Der Zeuge Dr. B1 hat bekundet, auf welches erhebliche Unverständnis diese Maßnahme bei den Mitarbeitern der Beklagten gestoßen ist, die sowohl vom Auswechseln der Türschlösser als auch von dem am 03.05.2011 sodann erteilten Hausverbot Kenntnis hatten. Die Oberärzte des ZIM etwa waren davon auch direkt betroffen, weil sie ebenfalls das Dienst -und Untersuchungszimmer nicht mehr betreten konnten. Es hat sich hierbei um eine einmalige, nach Kenntnis des Zeugen so im Klinikum noch nie vorgekommene Maßnahme gegenüber einem Mitarbeiter gehandelt, die naturgemäß großes Aufsehen erregte. |
|
| Das unter Datum vom 03.05.2011 (vgl. Anlage K 13, ABl. 96) ausgesprochene Hausverbot des Geschäftsführers O wurde letztlich damit begründet, dass der Kläger gegenüber Frau W (naturgemäß entsprechend der am Morgen des 02.05.2011 mit ihr getroffenen Absprache) angekündigt habe, am 04.05.2011 im Klinikum zu erscheinen. Zugleich wurde in dem Hausverbot deutlich gemacht, dass ein Übergabegespräch, wie vom Kläger als notwendig angesehen und angekündigt, nicht erwünscht sei. Die von der Zeugin W abgegebene Begründung für dieses Fernhalten des Klägers war - in ihren Worten ausgedrückt - die Befürchtung der Klinikleitung, das Ausräumen des Zimmers über mehrere Tage hinweg könne zum „Tribunal“ werden - also Unruhe im Haus verursachen. Dies zu verhindern, waren die dann angeordneten Maßnahmen jedoch nicht geeignet. |
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| d) Soweit die Beklagte ausgeführt hat, dass es sich dabei um einen ganz normalen und üblichen Vorgang handle, wenn ein außerordentlich gekündigter Mitarbeiter binnen kürzester Frist unter Aufsicht seine persönlichen Gegenstände zusammenpacken und den Betrieb verlassen müsse, ist dies in Anbetracht des langjährigen Arbeitsverhältnisses des Klägers und in Ansehung des ursprünglich kündigungsauslösenden Grundes so von der Kammer nicht gesehen worden. Welche Sachlage im Zeitraum zwischen dem 29.04.2011 und dem 06.05.2011 berechtigtermaßen dazu geführt haben soll, jetzt umfassende Kontrollen der vom Kläger auszusortierenden und mitzunehmenden Gegenstände durchzuführen, hat sich dem Gericht nicht erschlossen. Nachdem die Beklagte eine solche Notwendigkeit selbst über die Dauer von 4 Tagen nicht gesehen hatte, gab es für ihr plötzliches Umschwenken auch für den Kläger keinerlei erkennbare, sachlich gerechtfertigte Gründe. Die Beklagte hat geltend gemacht, man habe sich wegen des Risikos einer möglichen Weiterbeschäftigung nach außerordentlicher Kündigung gemäß § 625 BGB dazu entschlossen, keinerlei Übergabegespräche stattfinden zu lassen und dem Kläger keine Gelegenheit zu geben, in seinem Dienstzimmer möglicherweise arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeiten zu verrichten und sich später darauf zu berufen. Unbeschadet der Frage, ob die von der Beklagten so eingeschätzte Rechtslage diese Gefahren tatsächlich geborgen hätte und wie mit ihnen anders hätte umgegangen werden können, ist diesem Risiko bereits mit dem Auswechseln der Schlösser begegnet worden. Schon die Begründung dafür ist dem Kläger aber nicht klar verdeutlicht worden. |
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| Erst recht fehlt es aber an einem Grund für Kontrollen der einzupackenden Unterlagen und Gegenstände - denn dafür gibt der Verweis auf § 625 BGB keine Begründung ab. Die Beklagte behauptet, diese Kontrollen seien zu Recht vom Arbeitgeber durchgeführt worden angesichts der vertraulichen Patientendaten und Klinikunterlagen und der auch klinikfremden Helfer des Klägers im Dienstzimmer des Klägers. Dass diese Problematik noch eine Woche zuvor überhaupt keine Rolle gespielt hatte, bleibt bei der Einschätzung der Beklagten außer Betracht. Für den Kläger hat sich im Zeitraum zwischen dem 29.4./02.05. und dem 06.05.2011 die Sachlage ganz maßgeblich dahingehend verändert, dass er plötzlich behandelt wurde, als sei ihm nicht über den Weg zu trauen, als gehe von ihm die akute Gefahr unberechtigter Mitnahme ihm nicht zustehender Unterlagen und/oder der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht aus und dies müsse verhindert werden. Dafür gab es aber nicht die geringsten Anhaltspunkte und auch der Kündigungssachverhalt - Offener Brief - rechtfertigt die angeordneten Kontrollvorgaben nicht: Solche Maßnahmen trifft man gegenüber gekündigten Mitarbeitern, denen etwa strafbewehrte Sachverhalte vorgeworfen werden, die vertuscht oder verschleiert werden könnten und deshalb einer Absicherung bedürfen (z.B. vertragswidrige private Internetnutzung, Wettbewerbsverstöße etc.). |
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| e) Letzter Tropfen auf diesen bereits heißen Stein war dann die schriftliche Mitteilung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 06.05.2011, mit der Dr. Z instruiert wurde, welche Gegenstände der Kläger mitnehmen darf und welche nicht. Nichts anderes war bereits im Schreiben vom 29.04.2011 aufgezählt und damit dem Kläger bekannt gemacht worden. Welchen Unterschied es aber macht, wenn der Nachfolger des Klägers im Amt des Ärztlichen Direktors dieses Schreiben vor versammelter Mannschaft verliest (und damit nur der ihm auferlegten Verpflichtung nachkommt) und dadurch den Eindruck vermittelt, hier müsse (von ihm persönlich) aufgepasst werden, hat die Beklagte nach dem Dafürhalten der Kammer in psychologischer Hinsicht unterschätzt. Die ausgewechselten Schlösser, das erteilte Hausverbot und dann das unter Kontrolle gestellte Ausräumen waren sicherlich Maßnahmen, zu denen der Arbeitgeber rein rechtlich gesehen greifen darf - in der Summe aber ist ein Übermaß entstanden, das als Schikane verstanden und als Provokation empfunden werden durfte. |
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| Dies bildlich nachvollziehen zu können, wurde der Kammer möglich durch die Beweisaufnahme, in der alle Zeugen eindringlich die von Beginn an unerträgliche Situation geschildert und auch beschrieben haben, dass an sich objektiv gar keine sachgerechte Kontrolle der Massen von Unterlagen möglich war. |
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| Dennoch wurde kontrolliert: Dr. Z war in die Pflicht genommen worden und hatte diese Aufgabe zu erfüllen, Die Begründung seiner Vorgesetzten dafür war nach seinen Angaben in der Beweisaufnahme, dass es auch um medizinische Unterlagen ginge und ein Arzt dabei sein müsse; das habe er nicht delegieren können. Frau W befand sich in der unguten Situation, mit dem Kläger eine Absprache getroffen zu haben, die nicht einzuhalten war, weil sie ihrerseits anderslautende Weisungen erhalten und diesen zu folgen hatte. Der Kläger war der Überzeugung, dass eine geordnete Übergabe der Patientenakten und der Abteilung völlig anders auszusehen hätte und formulierte entsprechende Haftungsfragen, die wiederum Druck auf die ohnehin angespannten Vertreter der Beklagten ausübten. Die Kontrollsituation als solche wurde - nicht nur vom Kläger - als demütigend empfunden und auch wenn die Zeit zum Ausräumen knapp bemessen gewesen sein mag, sind gute zwei Stunden in einer solchen Atmosphäre kaum zu ertragen. Die immer wieder beschworene Deeskalation musste bei diesem Szenario ein reines Wunschdenken bleiben; die Beklagte hatte einem wichtigen Repräsentanten und Chefarzt ihrer größten Einzelabteilung eine Räumung des Arbeitsplatzes verordnet, die nach ausgesprochener fristloser Kündigung als ein weiteres „Abstrafen“ empfunden werden musste. In dieser am 06.05.2011 entstandenen Situation wäre es sicher wünschenswert gewesen, der Kläger hätte völlig beherrscht und emotionsfrei stillschweigend seine Sachen gepackt - dazu wäre es vermutlich eher gekommen, wenn nicht gerade Dr. Z und Frau W die Aufsicht und Kontrolle durch den urlaubsabwesenden Geschäftsführer übertragen worden wäre, sondern etwa die Personalratsmitglieder M1 und Dr. K1 als „neutrale“ SachW den Vorgang begleitet hätten - die zwar erschienen, aber als unzuständig weggeschickt worden waren. |
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| 5. Diese Einzelfallumstände sind maßgeblich zu berücksichtigen und die Äußerungen des Klägers vor diesem Hintergrund als pflichtwidrig, aber nicht als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bewerten. Auf die Ausführungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit bereits unter I.4. wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. |
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| Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 26.05.2011 ist ebenfalls bereits unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit unwirksam, weil die Beklagte den Kläger angesichts der ihm vorzuwerfenden Pflichtwidrigkeit hätte abmahnen können, um dieser angemessen zu begegnen. Damit hätte die Beklagte sich auch mit deutlichen Worten vor ihre Mitarbeiter Dr. Z, Prof. R und Frau W stellen können. Die Äußerungen des Klägers am 06.05.2011 waren einer von der Beklagten in hohem Maße mitverursachten Ausnahmesituation geschuldet, die sich so auch nicht wiederholen würde. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 26.05. 2011 ist sozial ungerechtfertigt und kann das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.2011 beenden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zu den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit auf I.4.a) verwiesen. |
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| In Abwägung sämtlicher Umstände des vorliegenden Einzelfalles ist festzuhalten, dass die jeweils für die Kündigungen herangezogenen Gründe weder für sich betrachtet noch in der Gesamtschau der Pflichtverletzungen geeignet sind, die außerordentliche oder ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach mehr als 14 Jahren zu rechtfertigen. |
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| Der am 21.10.2011 gestellte Auflösungsantrag der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. |
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| Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen und diesen zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestands- und kein Abfindungsgesetz. Dieser Grundsatz wird bei einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers durch die Regelung des § 9 unter der Voraussetzung durchbrochen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt hiernach nur ausnahmsweise in Betracht. An die Auflösungsgründe sind strenge Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. nur Urteil vom 23.10.2008, 2 AZR 483/07 - Juris). |
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| Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung; in diesem Zeitpunkt ist zu fragen, ob in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Dabei ist auf der Grundlage der bei Erlass des Urteils vorliegenden Umstände eine zukunftsgerichtete Prognose anzustellen. Als zu beachtende Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellte Aufgabe und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die bloße Weigerung von Arbeitskollegen mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, kann die Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG genauso wenig rechtfertigen, wie es dem Arbeitgeber gestattet sein kann, sich auf Auflösungsgründe zu berufen, die von ihm selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind (BAG Urteil vom 23.10.2008, 2 AZR 403/07 - Juris). Soweit die Beklagte durch die unverhältnismäßige Reaktion, dem Kläger fristlos zu kündigen selbst eine Belastung des Arbeitsverhältnisses herbeigeführt hat, kann sie hieraus kein schutzwürdiges Auflösungsinteresse herleiten. |
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| 1. Gemessen an diesen Grundsätzen, kann der Auflösungsantrag der Beklagten nicht zum Erfolg führen. Die Beklagte hat angeführt, dass das Vertrauensverhältnis des Geschäftsführers Herrn O mit dem Kläger künftig nicht wieder herstellbar sei, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Ärztlichen Direktors Dr. Z mit dem Kläger auch ausgeschlossen sei und die Beklagte hat sich zur Begründung hierfür auf die zum Anlass für die Kündigung herangezogenen Gründe nochmals voll umfänglich berufen. Als weitergehender, außerhalb der eigentlichen Kündigungsbegründungen liegender Auflösungsgrund wurden behauptete (vom Kläger bestrittene) vertrauliche 4-Augen-Gespräche mit Dr. Z und Dr. K aus dem Jahr 2009, vor Dienstantritt des Herrn O angeführt (unter Verweis auf den Schriftsatz vom 07.10.2011, Seite 7, ABl. 445). Unabhängig von der Frage, ob der Vortrag überhaupt als hinreichend konkret zu bewerten ist, sei auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.12.2009, 2 AZR 534/08 hingewiesen: Im Kollegenkreis darf sich der Arbeitnehmer auf die Vertraulichkeit des Wortes verlassen und darauf, dass auch angreifbare Bemerkungen nicht nach außen dringen. |
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| Soweit sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2011 einen Eindruck verschaffen konnte, sowohl vom Geschäftsführer Herrn O, vom Ärztlichen Direktor Dr. Z, der als Zeuge vernommen wurde und vom Kläger selbst, ist die Kammer davon ausgegangen, dass es sich bei diesen drei Personen um Führungspersönlichkeiten handelt, die mit einem hohen Intellekt ausgestattet sind und sich in ihrem Arbeitsalltag auf ihre Ratio verlassen können und müssen. Dass dies in Zukunft wieder -emotionsfreier- möglich sein und einen respektvollen Umgang miteinander erlauben wird, hält das Gericht für erwartbar. Dass der Offene Brief des Klägers und der übrigen Unterzeichner in eine für die Beklagte hochgradig schwierige wirtschaftliche und von wichtigen Entscheidungen geprägte Phase gefallen ist, war hierbei zu berücksichtigen und schließt nicht für alle Zukunft aus, dass alle ausschließlich zum Wohl des Klinikums handeln wollenden Führungskräfte auch wieder zusammenfinden können. So hat die Kammer vom Zeugen Dr. Z im Rahmen seiner ausführlichen Vernehmung uneingeschränkt den Eindruck gewonnen, dass er durchaus besonnen, sachlich abwägend und mit analytischem Verstand ausgestattet ist. Von jedweden Animositäten zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten war im Verlauf der doch immerhin mehr als sechsstündigen Verhandlung nichts zu spüren - kein provokatives Verhalten, keine unangebrachten Seitenhiebe und auch keine Anzeichen für eine aussichtslos vergiftete Atmosphäre. Der Kläger ist seinem Dienstvertrag zufolge Chefarzt des Zentrums für innere Medizin und dadurch nicht zuletzt (eher vorrangig) mit der Wahrnehmung ärztlicher Aufgaben betraut. Diese langjährig geleistete, auch von der Beklagten nie in Zweifel gezogene erfolgreiche Tätigkeit für ihre Einrichtung kann der Kläger nach Einschätzung der Kammer auch künftig ausüben, ohne dass permanente Auseinandersetzungen oder Reibungsverluste zu befürchten wären. |
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| 2. Soweit die Beklagte den Auflösungsantrag damit begründet hat, der Kläger habe durch seinen Vortrag im vorliegenden Verfahren das Vertrauensverhältnis zum zuständigen Sozialbürgermeister B zerstört und hierzu einzelne Zitate aus den Schriftsätzen des Klägers auflistet, konnte die Kammer dieser Einschätzung nicht folgen. In der Tat hat der Kläger seine Kündigung als politische Kündigung bezeichnet und dieser Argumentation folgend die Abläufe seit Juli 2009 in diesem Licht aufbereitet. Er ist in Konsequenz dessen letztlich zu der Schlussfolgerung gelangt, die Beklagte - und Herr B als für das Gesundheitswesen in K zuständiger Dezernent - hätten sich des Klägers entledigen wollen in einer Situation, in der von der politischen Linie abweichende Meinungen nicht erwünscht gewesen seien. Da der Kläger nicht lediglich pauschale Behauptungen und Wertungen aufgestellt hat, sondern diese jeweils auch eingehend begründet hat, kann ihm dies nicht zum Vorwurf gemacht und ein Auflösungsbegehren darauf nicht gestützt werden. |
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| Da das Arbeitsverhältnis des Klägers weder am 20.05.- oder am 26.05.2011 geendet hat und auch nicht am 31.12.2011 enden wird, hat der Kläger einen Weiterbeschäftigungsanspruch auf der Grundlage seines Arbeitsvertrages als Chefarzt des Zentrums für innere Medizin. |
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| Außer im Falle einer offensichtlichen unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG Großer Senat Beschluss vom 27.02.1985, GS 1/84). |
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| In Ansehung dieser Rechtsgrundsätze ist der Kläger vorliegend weiter zu beschäftigen. Der Kläger hat sowohl hinsichtlich der ausgesprochenen Kündigung vom 29.04.2011 obsiegt, wie auch hinsichtlich der Folgekündigungen vom 20.05. und 26.05.2011. Es ist daher von einem Überwiegen des Arbeitnehmerinteresses auszugehen. |
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| Soweit die Beklagte den Antrag gestellt hat, die vorläufige Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsanspruchs im Urteil auszuschließen, war dieser Antrag zurückzuweisen, weil bereits nicht ersichtlich ist, dass das Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung dasjenige des Klägers an der Weiterbeschäftigung übersteigt. Ein nicht zu ersetzender Nachteil, der der Beklagten durch die Beschäftigung des Klägers entstehen würde, ist danach erst recht nicht ersichtlich und auch nicht glaubhaft gemacht. Die Parteien haben vorliegend gerade durch die im Urteil getroffene Entscheidung über jede einzelne der dem Kläger gegenüber ausgesprochenen Kündigungen erhebliche Rechtssicherheit erzielt. Grundsätzlich ist im Fall eines erstinstanzlichen Obsiegens des Arbeitnehmers die Unwirksamkeit der Kündigung im Allgemeinen wahrscheinlicher als ihre Wirksamkeit, sodass die mit Ausspruch der Kündigung eingetretene Ungewissheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. |
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| Diese Ungewissheit ist vorliegend für alle von der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen beseitigt, sodass die Beklagte auch nicht ein überwiegendes Interesse an Nichtbeschäftigung damit begründen kann, dass Zweifel an der Wirksamkeit einer der Folgekündigungen bestehen (vgl. LAG Hamm 21.12.2010, 18 Sa 1827/10 Juris). |
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| Die Kosten des Verfahrens waren vorliegend der Beklagten aufzuerlegen, weil der Kläger mit den von ihm gestellten Anträgen voll umfänglich obsiegt hat, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. |
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| Der Streitwert war vorliegend festzusetzen gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG i. V. m. 42 Abs. 3 GKG. Der Streitwert war auf insgesamt drei Bruttomonatsgehälter festzusetzen zuzüglich eines weiteren Bruttomonatsgehalts für den gestellten Weiterbeschäftigungsantrag. Daraus errechnete sich der Streitwert mit 66.668,00 EUR. |
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