Amtsgericht Solingen Urteil, 15. Juli 2015 - 13 C 198/14
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 708,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.07.2013 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Forderung zu Ziffer 1) aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne des § 850 f Abs. II ZPO stammt.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 EUR zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Hiervon ausgenommen sind die durch die Verweisung entstandenen Mehrkosten, die dem Kläger auferlegt werden.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Rückerstattung von Zahlungen für nicht geliefertes Gas.
3Er nimmt den Beklagten persönlich aus dessen früherer Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH neben der selbst und Herrn aus in Anspruch.
4Der Kläger schloss zunächst mit der GmbH einen Gaslieferungsvertrag. Die GmbH übertrug den mit dem Kläger abgeschlossenen Energielieferungsvertrag auf die GmbH. Die GmbH als „Kerngesellschaft“ kaufte die Energie in Form von Strom und Gas ein und fungierte als Schuldnerin, u.a. der Netzentgelte und Gas- bzw. Stromsteuern. Gleichzeitig war die GmbH auch Gläubigerin der Forderungen gegen den jeweiligen Endkunden, also auch gegenüber dem Kläger.
5Die GmbH verkaufte ihre Forderungen gegen den Endkunden im Wege des echten Factoringvertrags zum Preis von 99,2 % an die GmbH. Auf Grundlage des echten Factoringvertrages machte die GmbH die eigens erworbenen Forderungen in voller Höhe gegenüber den Kunden geltend.
6Der Beklagte war ab dem 28.04.2008 als Geschäftsführer der GmbH tätig. Dort war er im Bereiche Customer Care, also für die EDV-technische Verwaltung der Kunden tätig. Neun Monate später, am 01.02.2009, bestellte die Muttergesellschaft AG den Beklagten zum Vorstandsmitglied. Die AG wiederum war die Muttergesellschaft mehrerer Gesellschaften, u. a. der GmbH und der GmbH, nicht jedoch der GmbH. Die GmbH und die GmbH befanden sich im Eigentum der AG. Innerhalb der Muttergesellschaft war der Beklagte für die Bereiche Customer Care zuständig. Der Beklagte war nicht als Chief Financial Officer, also für die Sicherstellung der Liquidität zuständig, sondern als Chief Operating Officer für die EDV-technische Verwaltung der Kunden, die von der GmbH gewonnen wurden und denen von der Strom und/oder Gas geliefert wurde. Er war zu keinem Zeitpunkt mit der Sicherstellung der Preise und Energieversorgung befasst. Zuständig hierfür war der Geschäftsführer der GmbH.
7Über das Vermögen der GmbH, der GmbH und AG wurde am 01.09.2011 aufgrund entsprechender Anträge u.a. vom 14.06.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Zeuge bestellt.
8Zum Geschäftsmodell der GmbH gehörte unter anderem, Vorauszahlungen zu verlangen, wodurch der Energiebezug besonders günstig werden sollte. Dabei konnten die Kunden der GmbH wahlweise monatlich, quartalsweise oder jährlich Vorauszahlungen leisten. Der Kläger wählte das Vorauszahlungsmodell für ein Jahr.
9Die GmbH machte gegenüber dem Kläger die nachfolgenden Beträge geltend, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob der Kläger diese Forderungen bediente:
10Zahlungsaufforderung (vom) |
(Behauptete) Zahlung |
17.12.2010: Monatlich 282,00 € |
01.03.2011 bis 1.10.2011: Monatlich 282,00 € durch Überweisung Insgesamt: 2.820,00 € |
Durch Bescheid des Hauptzollamtes vom 04.06.2009 wurde eine Stromsteuernachforderung für das Jahr 2008 in Höhe von 18.823.459,70 € festgesetzt, welche die GmbH nicht bezahlt hat. Die monatlichen Stromsteuervorauszahlungen an das Hauptzollamt in Höhe von jeweils einer Million Euro zum 25.02.2009, 25.03.2009, 25.04.2009 und 25.05.2009 hat die GmbH nicht entrichtet. Die GmbH stellte einen Stundungsantrag, der vom Hauptzollamt nicht positiv beschieden worden ist.
12Am 10.06.2009 kam es zu einer außerordentlichen Vorstandssitzung, an der auch der Beklagte teilnahm und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO teilnahm. Der genaue Inhalt dieser Sitzung ist zwischen den Parteien streitig.
13Nachdem der Vorstand der (gemeint offenbar der AG) sich einen ersten Überblick über die Liquiditätslage verschaffte, teilte er dem Aufsichtsrat in einem am 09.07.2009 vom Beklagten mitunterzeichneten Schreiben mit:
14„In der KW 25 wurde der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit nach gründlicher Überprüfung und Verifizierung von offenen Verbindlichkeiten, Forderungen und sonstigen kurzfristigen liquidierbaren Vermögenswerten festgestellt. (…)“
15„Ab Datum der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit besteht für den Vorstand und die Geschäftsführung laut der Insolvenzordnung eine 2-wöchige Frist zur Umsetzung von Maßnahmen zur Behebung der Zahlungsunfähigkeit und beim Scheitern dieser Maßnahmen besteht die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen. (…)
16Für den Fall, dass bis zur geplanten Aufsichtsratssitzung am Freitag, den 17.07.2009, kein belegbarer Kapitalzufluss stattgefunden hat … (bleibt) dem Vorstand und der Geschäftsführung folgende Option übrig (bleiben): a) Antrag auf Insolvenz (…)“
17Am 16.09.2009 beauftragte die AG die Rechtsanwälte mit der Erstellung eines Unternehmensstatus unter insolvenzrechtlichem Aspekt. Einen Tag später empfahl die Kanzlei dem damaligen Finanzvorstand der AG, alle Zahlungen zu stoppen, da die Insolvenzreife des Konzerns mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sei. Am 22.09.2009 wies Rechtsanwalt die AG darauf hin, dass schon länger eine Insolvenzverschleppung vorliege, sofern das Hauptzollamt die rückständigen Stromsteuern ernsthaft einfordere. Am 06.10.2009 legte die Anwaltskanzlei das Mandat nieder und bot ihre Hilfestellung für die Erstellung des Insolvenzantrags an.
18Am 13.10.2009 kam die beauftragte Kanzlei aus Frankfurt/Main, die mit der Prüfung insolvenzrechtlicher Tatbestände für die AG und deren Tochtergesellschaften beauftragt wurde, zu dem Ergebnis, dass der „gesamte Konzern“ insolvenzreif sei.
19Am 28.10.2009 bewertete die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO die wirtschaftliche Lage des Konzerns wie folgt:
20„Die uns vorgelegten Unterlagen legen den Schluss nahe, dass die Gesellschaft zum 31.12.2008 finanziell überschuldet war und vermutlich auch weiterhin ist“.
21Am 28.04.2010 wurde die Kanzlei aus Bonn mit der Erstellung eines Sanierungsgutachtens beauftragt. Mit Schreiben vom 10.06.2010, gerichtet an den Vorstand der AG, kamen die Rechtsanwälte zu folgendem Ergebnis:
22„Um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, muss zwingend eine Brückenfinanzierung vorgenommen werden“.
23Im Sommer 2010 führte die GmbH ein neues Tarifmodell im Bereich von Strom ein. Dabei kauften Kunden einen günstigen Paketpreis. Sie zahlten einen Festpreis für eine bestimmte, von der GmbH über einen Zeitraum von einem Jahr zu liefernde Energiemenge, wobei der Preis für ein Stromvolumenpaket im Voraus fällig wurde.
24Am 22.10.2010 kündigte das Bankhaus seine Lastschriftvereinbarung mit der GmbH. Die Postbank als letzte verbleibende Hausbank erhöhte die Sicherheiten, die sie für den Lastschrifteinzug verlangte. Die erhöhten Sicherheiten konnte die GmbH nicht leisten. GmbH konnte deshalb von ihren Kunden nicht mehr die vereinbarten Vorauszahlungen per Lastschrift einziehen. In einem Schreiben der GmbH vom 31.01.2011 an ihre Kunden heißt es hierzu:
25„Sehr geehrter Kunde, wie haben uns in den vergangen Monaten kontinuierlich damit befasst, unsere Abläufe noch effizienter zu gestalten. (…)
26Das heißt, wir beenden nunmehr das mit Ihnen vereinbarte Lastschrifteinzugsverfahren ordentlich und fristgerecht zum 10.02.2011. (…)“
27Am 03.01.2011 kündigte die Deutsche Postbank das Lastschriftinkassoverfahren.
28Die wirtschaftlichen Verhältnisse der AG und der GmbH waren dem Beklagten bekannt.
29Der Kläger behauptet, er habe i.H.v. 708,56 € keine Gaslieferung erhalten. Im Rahmen der außerordentlichen Vorstandssitzung am 10.06.2009, sei die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO zu dem Ergebnis gekommen, dass die AG liquide sei und ab diesem Zeitpunkt eine 3wöchige Insolvenzantragspflicht zu laufen beginne. Der Kläger ist der Ansicht, die wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Gesellschaften könnten nicht isoliert betrachtet werden, weil es interne Verflechtungen im Konzern und einen faktischen Cashpool gegeben habe, so dass sich wirtschaftliche Schwierigkeiten einer Konzerngesellschaft automatisch auch auf alle anderen Gesellschaften ausgewirkt hätten. Lediglich einen Cashpool im Rechtssinne habe es nicht gegeben. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe als Vorstandsmitglied die wirtschaftlichen Verhältnisse der AG und als Geschäftsführer der GmbH auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des gesamten Konzerns gekannt. Zum Zeitpunkt der Anforderung der Vorauszahlungen habe sich der gesamte Konzern in ganz erheblicher finanzieller Schieflage befunden und sei zahlungsunfähig überschuldet gewesen. Der Konzern sei seit Mai 2009 durchgängig insolvenzreif gewesen. Die im Sommer 2010 angebotenen Strompakete seien teilweise unter dem Einkaufspreis an die Kunden verkauft worden. Der Erlös sei zur Tilgung eines Teils der seit langem rückständigen fälligen Verbindlichkeiten verwendet worden und eben nicht für den Einkauf von Energie für die „Paketkunden“ um die Lieferpflichten aus den Strompaketen erfüllen zu können. Der Konzern habe wie ein „Schneeballsystem“ funktioniert. Die Vorkassenleistungen der Kunden seien nicht dazu benutzt worden, die an den zahlenden Kunden zu liefernde Energie einzukaufen, sondern, um Altverbindlichkeiten zu bedienen und Energie für die Altkunden einzukaufen.
30Die AG und die GmbH seien spätestens seit Juli 2009 zahlungsunfähig und überschuldet gewesen. Eine Brückenfinanzierung wie von der Kanzlei aus Bonn gefordert worden sei, habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben.
31Durch Beschluss vom 17.01.2014 hat sich das Amtsgericht Pinneberg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Solingen verwiesen.
32Der Kläger beantragt,
33den Beklagten als Gesamtschuldner neben der GmbH aus Troisdorf und Herrn aus zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 708,56 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.07.2013 zu zahlen,
34sinngemäß den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 € zu zahlen,
35im Übrigen wie erkannt.
36Der Beklagte beantragt,
37die Klage abzuweisen.
38Der Beklagte behauptet, er habe keine Pflichten gegenüber den Gesellschaften, in denen er Organfunktionen innehatte verletzt. Auch habe er keine etwa bestehenden Pflichten gegenüber Endkunden und auch keine Insolvenzantragspflicht verletzt. Es existiere allenfalls eine „ Gruppe“, jedoch kein „ Konzern“. Er habe niemals eine Bereitschaft zur Leistung von Strom und / oder Gas vorgespiegelt und damit nach seiner Ansicht keinen vermeintlichen Betrug begangen. Eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung über die Leistungsfähigkeit der habe nur deren Geschäftsführer abgegeben. Allein durch die Geschäftsführer der GmbH sowie der GmbH, die angeblich zu spät einen Insolvenzantrag gestellt hätten, könne daher kausal ein Vermögensschaden des Klägers verursacht worden sein. Selbst wenn der Beklagte in seiner Funktion als Geschäftsführer der GmbH oder als Vorstand der AG Insolvenzanträge zu spät gestellt haben sollte, was bestritten werde, könne dies von vornherein keinen Vermögensnachteil des Klägers verursacht haben.
39Durch die Rechnungsstellung über eine abgetretene Forderung werde nichts über die Fähigkeit zur Vertragserfüllung ausgesagt, eine solche Aussage liege allenfalls im Abschluss eines Vertrages bzw. in der Verlängerung eines Vertrages. Es gebe keinen Cashpool innerhalb der Gruppe. Für eine nicht fristgerechte Insolvenzantragstellung durch den Beklagten für die GmbH und / oder die AG am 14.06.2011 sei nichts Konkretes von dem Insolvenzverwalter festgestellt worden. Der Beklagte habe die wirtschaftlichen Verhältnisse der AG und der GmbH gekannt und für beide Gesellschaften fristgerecht Insolvenzantrag am 14.06.2011 gestellt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der übrigen Gesellschaften habe er hingegen nicht gekannt. Der Kläger habe seinen Schaden nicht substantiiert dargelegt. Im Zeitpunkt der Anforderung der Vorauszahlungen sei die GmbH nicht zahlungsunfähig und / oder überschuldet gewesen.
40Die GmbH sei nicht aufgrund von monatlichen Stromsteuervorauszahlungen bereits 2009 oder in der Folge vor Anfang Juni 2011 insolvenzantragspflichtig gewesen. Die Insolvenzantragspflicht könne allenfalls den früheren Geschäftsführer der GmbH treffen, nicht jedoch den Beklagten. Auf die beantragte Stundung der Verbindlichkeiten in Höhe von 28.318.903,70 € gegenüber dem Hauptzollamt habe dieses die Forderung nicht mehr aktiv geltend gemacht.
41In der außerordentlichen Vorstandssitzung, bei dem die Vertreter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO AG teilgenommen hätten, sei der Vorstand zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Deckungslücke von 24 Millionen Euro vorgelegen habe. Als Ergebnis der Sitzung habe man festgehalten:
42„Es wird Stand heute gemäß den Berechnungen der BDO Deutsche Warentreuhand AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft eine Liquidität festgestellt. Das Rechnungswesen und das Controlling werden angewiesen, die Liquiditätsübersicht zu verifizieren und dem Vorstand zu melden. Ab diesem Datum besteht eine 3-wöchige Insolvenzantragspflicht für Vorstände und Geschäftsführer.“
43Der Beklagte vertritt hierzu die Ansicht, dass eine unmittelbare Pflicht zur Insolvenzantragstellung, die allenfalls für die damalige Geschäftsführung der GmbH bestanden hätte, nicht bestanden habe. Vielmehr hätte die Frist zur Stellung des Insolvenzantrages erst ab dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, ab dem die Liquiditätslage der jeweiligen Gesellschaften der Gruppe eindeutig verifiziert gewesen wäre. Da weder der zuständige Finanzvorstand von noch die Geschäftsführung der GmbH in der Folge einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hätten, habe auch für den Beklagten kein Anlass bestanden, dies zu tun. Externe Wirtschaftsprüfer oder die Rechtsanwälte hätten nicht „laufend“ an den Geschäftsleitersitzungen teilgenommen.
44Die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ab Mitte 2009 werde auch durch die Bekundungen des Herrn vom 25.03.2011 bestätigt. Danach habe dieser gegenüber der „ “ Ende Juni mitgeteilt, dass sich die wirtschaftliche Lage der GmbH, die aufgrund ihres Geschäftsmodells in erheblichem Umfang von dem Strompreis abhängig gewesen sei, durch die niedrigen Strompreise und die Finanzkrise verbessere.
45Der auf das Insolvenzrecht spezialisierte Rechtsanwalt Dr. habe im Rahmen einer außerordentlichen Führungskreissitzung am 22.09.2009 mitgeteilt, dass nach seiner Einschätzung bislang noch keine Insolvenzverschleppung stattgefunden habe. Es sei nicht erkennbar gewesen, dass das Hauptzollamt die Stromsteuer „ernsthaft eingefordert“ habe. Faktisch habe damit eine Stundung vorgelegen.
46Der von der Klägerseite beschriebene „ Konzern“ habe kein „Schneeballsystem“ betrieben. Die Holding habe rechtlich keine Möglichkeit gehabt, in ihre Tochtergesellschaften „hinein zu regieren“.
47Die AG sei auch nicht im Jahre 2007 insolvenzantragspflichtig gewesen. Überdies wäre – selbst wenn eine bilanzielle Überschuldung vorgelegen hätte – diese durch eine bereits im Dezember 2009 vorgenommene Kapitalerhöhung
48der AG um 5 Millionen Euro überkompensiert worden, so dass keine Insolvenzantragspflicht der AG bestanden habe.
49Es greife die Sperrwirkung des § 92 Satz 1 der InsO.
50Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Dr. . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 20.05.2015 verwiesen.
51Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
52E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
53I.
54Die Klage ist zulässig.
55Der Kläger ist prozessführungsbefugt. § 92 Satz 1 der InsO steht dem nicht entgegen. Ansprüche aus geltend gemachten Individualschäden können auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden. Hierunter fallen insbesondere deliktische Ansprüche.
56Gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ist das Amtsgericht Solingen en die Verweisungsbeschluss gebunden.
57Das Feststellungsinteresse gem. § 256 ZPO folgt aus § 302 InsO, § 850 f Abs. 1 und 2 ZPO.
58II.
59Die Klage ist begründet.
60Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung des austenorierten Betrages gemäß § 823 Abs. II BGB in Verbindung mit §§ 263, 13 StGB zu.
61Es liegt eine Täuschung durch Unterlassung vor. Der Beklagte war seit Mai 2009 unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz verpflichtet, für die AG einen Insolvenzantrag zu stellen, um Schäden von den Kunden abzuwenden. Darüber hinaus hätte er den Kläger vor der Aufforderung zur Zahlung von Abschlägen bzw. vor dem Einzug der (angekündigten) Forderungen darüber aufzuklären müssen, dass er nach Erfüllung der Forderung die vertraglich vereinbarte Gegenleistung von der GmbH aufgrund der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich nicht erhalten wird, was ihm bekannt war.
62Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hinreichend sicher zur Überzeugung des Gerichts fest.
631. Zahlungsunfähigkeit der GmbH
64(1)
65Die Zahlungsunfähigkeit der GmbH zum 1.5.2009 liegt auf Grundlage des unstreitigen Parteivorbringens nahe. In dem Schreiben u.a. des Beklagten vom 09.07.2009 – gerichtet an den Aufsichtsrat der AG – heißt es, dass in der Kalenderwoche 25 der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit nach gründlicher Überprüfung und Verifizierung von offenen Verbindlichkeiten, Forderungen und sonstigen kurzfristigen liquidierbaren Vermögenswerten festgestellt worden sei. Dabei ist Gegenstand der Untersuchung nicht eine einzelne Gesellschaft gewesen, sondern sämtliche Gesellschaften, der Beklagte spricht selbst von der „ Grupp(e)“ und der “aktuellen Entwicklung der Gesellschaften“.
66Die Tatsache der Zahlungsunfähigkeit hat der Zeuge Dr. sowohl in seinem Insolvenzbericht als auch in seiner Zeugenaussage dezidiert und gut nachvollziehbar dargelegt und damit die von dem Beklagten selbst festgestellte Zahlungsunfähigkeit bestätigt. Die Wirtschaftsprüfergesellschaft AG habe nach der Aussage des Zeugen Dr. von Mai 2009 bis zur Antragstellung im Jahr 2011 wöchentlich die Liquidität überprüft. In diesem Zeitraum habe es, mit Ausnahme von einer Woche, keinen Liquiditätsüberschuss gegeben. Bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft AG handele es sich um eine sehr erfahrene Gesellschaft in diesem Bereich, was auch nicht bestritten worden ist. Sie sei in dem Unternehmen und in der Kanzlei des Zeugen gewesen und habe die drei Gutachten erstellt. Alle drei Gutachten habe der Zeuge auf Plausibilität überprüft und praktisch jedes Wort hinterfragt. Die Unterdeckung sei so hoch gewesen, dass auch die Zahlung der russischen Investoren von ca. 104 Millionen Euro keinen Ausgleich erbracht hätte.
67(2)
68Alle mit der Überprüfung des Status der Unternehmen beauftragten Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwälte kamen zu dem Ergebnis, dass die Gesellschaften entweder zahlungsunfähig waren oder dringend binnen kurzer Zeit eine (Brücken-) Finanzierung erforderlich war. Am 16.09.2009 beauftragte die AG die Rechtsanwälte mit der Erstellung eines Unternehmensstatus unter insolvenzrechtlichem Aspekt. Einen Tag später empfahl die Kanzlei dem damaligen Finanzvorstand der AG, alle Zahlungen zu stoppen, da die Insolvenzreife des Konzerns mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sei. Am 22.09.2009 wies Rechtsanwalt Dr. die AG darauf hin, dass schon länger eine Insolvenzverschleppung vorliege, sofern das Hauptzollamt die rückständigen Stromsteuern ernsthaft einfordere. Am 06.10.2009 legte die Anwaltskanzlei das Mandat nieder und bot ihre Hilfestellung für die Erstellung des Insolvenzantrags an. Am 13.10.2009 kam die beauftragte Kanzlei aus Frankfurt/Main, die mit der Prüfung insolvenzrechtlicher Tatbestände für die AG und deren Tochtergesellschaften beauftragt worden ist, zu dem Ergebnis, dass der „gesamte Konzern“ insolvenzreif sei. Am 28.10.2009 bewertete die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO die wirtschaftliche Lage des Konzerns und kam zu dem Ergebnis, dass die vorgelegten Unterlagen den Schluss nahelegen würden, dass die Gesellschaft zum 31.12.2008 finanziell überschuldet war und „vermutlich auch weiterhin ist“.
69Mit Schreiben vom 10.06.2010, gerichtet an den Vorstand der AG, kamen die Rechtsanwälte die Kanzlei aus Bonn zu dem Ergebnis, dass zwingend eine Brückenfinanzierung vorgenommen werden müsse, um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Eine Brückenfinanzierung habe es nach der Aussage des Zeugen Dr. jedoch niemals gegeben.
70Am 21.06.2010 wiesen die Rechtsanwälte den Vorstand der AG noch einmal darauf hin, dass ohne Brückenfinanzierung ein Insolvenzantrag zu stellen sei. Auch die Rechtsanwälte haben eine solche Brückenfinanzierung offensichtlich nicht feststellen können, denn wie aus dem Gutachten ersichtlich wiesen sie am 29.10., 29.11. und 02.12.2010 den Vorstand der AG schriftlich auf die bestehende Zahlungsunfähigkeit und die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags hin. Sie sollten ein Sanierungsgutachten und ein sog. „Negativtestat“ erstellen, was wiederum Voraussetzung dafür gewesen sei, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO die Jahresabschlüsse testiere und dass Hauptzollamt Köln den Stundungsantrag vom 11.06.2009 positiv bescheiden könne. Hierzu sei es jedoch – vom Beklagten auch nicht widersprochen - nicht gekommen, weshalb das Hauptzollamt auch nicht über den Stundungsantrag habe entscheiden können.
71(3)
72Der Beklagte kann nicht mit Erfolg einwenden, dass es faktisch eine Stundung der Verbindlichkeiten durch das Hauptzollamt Köln gegeben habe. Insoweit unstreitig ist der Umstand, dass das Hauptzollamt Köln über den Stundungsantrag vom 11.06.2009 mangels Vorlage geeigneter Unterlagen und fehlender Umsetzung der vom „ Konzern“ mehrfach angekündigter „Restrukturierungsmaßnahmen“ nicht entscheiden konnte. Der Beklagte verteidigt sich mit der rechtlich nicht vertretbaren Ansicht, das Hauptzollamt habe die Steuerschuld nicht ernsthaft eingefordert. Nach der Rechtsprechung des BGH und sämtlicher Oberlandesgerichte sind an das Merkmal des ernsthaften Einforderns geringe Anforderungen zu stellen. Das Merkmal bezweckt lediglich, gestundete Forderungen aus der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit auszunehmen. Jede außergerichtliche Mahnung und sogar eine einzige bloße Übersendung der Rechnung mit der Bitte um Begleichung genügen bereits. Ein weitergehendes Bedrängen oder gar zusätzliche Maßnahmen von Gläubigern, etwa Klagen oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, sind nicht erforderlich (BGH, Urt. v 08.10.1998 – IX ZR 337/97, juris; OLG Dresden, Urt. v. 27.08.1998 – 4 U 293/98, juris; OLG Celle, Urt. v. 22.05.2008 – 13 U 117/07, juris). Unstreitig ist, dass die Stromsteuernachforderung 2008 durch Bescheid vom 04.06.2009 i.H.v. 18.823.459,70 € festgesetzt worden ist. Durch Änderungsbescheid vom 04.06.2009 erhöhte das Hauptzollamt Köln die monatlichen Stromsteuervorauszahlungen am 25.06.2009 von 1 Millionen Euro auf monatlich 3.285.432,00 €. Weitere monatliche Erhöhungen folgten durch Bescheid vom 16.12.2009 auf 3.965.430,00 und durch Bescheid vom 17.02.2010 auf 4.689.191,00 €, zuletzt wurde durch Bescheid vom 30.03.2010 eine Sicherheitsleistung i.H.v. 7,9 Millionen Euro festgesetzt. Mehrfach wies das Hauptzollamt darauf hin, mangels geeigneter Unterlagen nicht über den Stundungsantrag entscheiden zu können. Damit hat das Hauptzollamt unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Stromschulden ernsthaft eingefordert werden. Es bedurfte gerade keiner weiteren Vollstreckungsmaßnahmen. Ob es tatsächlich eine Ratenzahlungsvereinbarung hinsichtlich der Mitte 2009 aufgelaufenen Steuerverbindlichkeiten mit dem Hauptzollamt gegeben hat, kann dahin stehen. Denn nach dem eigenen Vortrag des Beklagten wurde eine von angeblich zwei vereinbarten Raten nicht pünktlich beglichen und vom Hauptzollamt angemahnt, mithin ernsthaft eingefordert. Auch ist zu dem Inhalt der behaupteten Stundung nicht substantiiert vorgetragen.
73(4)
74Die bestehende Liquiditätslücke konnte nicht durch die eingeführten Strompakete im Sommer 2010 gedeckt werden. Die Strompakete sind nach der überzeugenden Aussage des Zeugen Dr. nicht kostendeckend gewesen und haben deshalb die finanzielle Situation der Energy verschlechtert. Ein dem Zeugen vorliegendes Gutachten vom 27.08.2010 der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH aus , welches im Auftrag der GmbH erstellt worden sei, sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die durch das neue Tarifmodell über die gesamte Laufzeit ergebenen Verluste allein bei den Bestandskunden auf ca. 14.736.000,00 € belaufen würden. Verluste bei den Neukunden würden sich auf ca. 5.642.000,00 € belaufen.
75Dies haben ausweislich des Gutachtens des Zeugen Dr. auch die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater aus festgestellt (Seite 34 des Gutachtens). Danach hätten die kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten zum 17.12.2010 58.827.493,84 € betragen. Sie wiesen ausdrücklich daraufhin, dass es sich nicht nur um eine Zahlungsstockung handeln würde. Der Richtigkeit dieser Feststellung durch die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ist der Beklagte nicht entgegengetreten. Aufgrund welcher anderweitigen Fakten zu welchen Daten der vom Beklagten benannte Steuerberater zu einer abweichenden Erkenntnis gelangen soll, hat er nicht vorgetragen, dem Ausforschungsbeweisantritt war daher nicht nachzugehen. Zudem wies das Hauptzollamt in diesem Zusammenhang wörtlich auf folgendes hin:
76„Nach dem mir vorliegenden Wertgutachten der Wirtschaftsprüfergesellschaft (Ermittlung des Wertes des Geschäftsbetriebs zum 31.08.2010) verkaufen Sie weiterhin, um ausreichend Liquidität zu generieren, Strom auch zu Verkaufspreisen, die unter den Einkaufspreisen der benötigten Strommengen liegen. (…) Auch sind, bei Preisbindung gegenüber den Kunden, die Einkaufspreise nicht gegenüber Preissteigerungen abgesichert. (…).“ Bei dem Verkauf dieser Strompakete handelt es sich daher zweifelsfrei um ein sog. „Schneeballsystem“. Es ist daher gut nachvollziehbar, dass der Zeuge Dr. hierzu bekundet hat, dass lediglich ein bilanzieller Passivaustausch stattgefunden habe. Vorher sei der Gläubiger das Hauptzollamt gewesen. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Strompakete sei – wie ausgeführt - unter anderem das Hauptzollamt bedient worden, so dass nach der Zahlung die Stromkunden die Gläubiger gewesen seien.
77(5)
78Die Rangrücktrittsvereinbarungen räumen die Zahlungsunfähigkeit nicht aus. Diese erfolgten nach dem Vortrag des Beklagten in den Jahren 2006/2007. Diese wurden von dem Zeugen Dr. – und offenbar auch von den beauftragten Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Rechtsanwälten – in den Bilanzen berücksichtigt. Niemand der mit den Bilanzen befassten Personen hat ausweislich des Akteninhaltes eine hierdurch verursachte Überkompensation festgestellt. Im Übrigen bezieht sich die Behauptung des Beklagten auf den hier nicht streitgegenständlichen Zeitpunkt Ende des Jahres 2007.
79Vielmehr sei die Unterdeckung nach der Aussage des Zeugen Dr. so hoch gewesen, dass auch die Zahlung u.a. der russischen Investoren von ca. 104 Millionen Euro keinen Ausgleich erbracht hätte. Dies wird auch daran deutlich, dass eine Vielzahl von Gläubigern bis zur Insolvenzantragsstellung nicht mehr bedient worden sind. Zudem seien die neu aufgelaufenen Steuerschulden so spät gezahlt worden, dass der Zeuge Dr. diese im Wege der Insolvenzanfechtung habe geltend machen können.
80Die behauptete Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ab Mitte 2009 aufgrund der niedrigen Strompreise und der Finanzkrise steht diametral zu dem Inhalt des vom Beklagten mitunterzeichneten Schreibens vom 09.07.2009, wonach eine Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantragspflicht bestand.
81Das Gericht hat bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Dr. berücksichtigt, dass dieser gegenüber dem Beklagten zahlreiche Insolvenzanfechtungsverfahren führt und damit ein nicht auszuschließendes Eigeninteresse am Ausgang der Verfahren hat. Dennoch ist der Zeuge frei von Belastungstendenzen. Er hat sein Gutachten teilweise sogar korrigiert, beispielsweise im Zusammenhang mit dem (rechtlichen) Cashpool oder der Überschuldung und Erinnerungslücken eingeräumt. Die Aussage ist glaubhaft, der Zeuge hat sein Gutachten nachvollziehbar erläutern können, die Aussage ist durchweg schlüssig, widerspruchsfrei und anhand von – in weiten Bereichen vom Beklagten nicht bestrittenen – Fakten belegt.
822. Rechtspflicht zum Handeln
83Für den Beklagten bestand unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz eine Rechtspflicht zum Handeln. Er hätte auf Grundlage der vorgenannten Ausführungen für die AG ab Mai 2009 als Vorstandsmitglied einen Insolvenzantrag stellen müssen. Die rechtzeitige Einleitung eines Insolvenzverfahrens dient dem Schutz von Alt- und Neugläubigern. Hätte er rechtzeitig für die AG einen Insolvenzantrag gestellt, dann wäre das neue Tarifmodell im Sommer nicht aufgelegt worden (so auch LG Berlin, Urt. v. 22.07.2014 – 49 S 40/13; LG Bielefeld, Urt. v. 11.02.2015 – 21 S 85/14). Weil der Beklagte den Insolvenzantrag für die AG nicht rechtzeitig gestellt hat und es aufgrund des „Schneeballsystems“ zwangsläufig zu Vermögensschäden kommen musste, war der Beklagten darüber hinaus gehalten, in geeigneter Weise einen Schadenseintritt bei den Alt- und Neukunden abzuwenden. Unter anderem war der Beklagte daher verpflichtet, die Kunden vor der Zahlungsaufforderung bzw. vor dem Forderungseinzug auf die nichtwerthaltigen Forderungen hinzuweisen oder auf die Geltendmachung gänzlich zu verzichten. Rechtlich unerheblich ist daher der Umstand, dass der Beklagte nicht der Geschäftsführer der GmbH war. Es handelt sich um einen einheitlichen Konzern mit einem faktischen Cashpool handelte. Insbesondere aus der Handlungsanweisung des damaligen kaufmännischen Leiters der AG vom 9.11.2009 folgt eindeutig, dass die Holding faktisch in die übrigen Gesellschaften „hinein regieren“ konnte und auch „hinein regiert“ hat. Der damalige kaufmännische Leiter der Holding hat am 9.11.2009 die Weisung erteilt, dass die Auszahlungen an die Kunden aus Schlussrechnungen bzw. Jahresverbrauchsabrechnungen soweit es gehe verschoben werden sollten. Es ist daher auch nicht entscheidungserheblich, ob tatsächlich ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag der Muttergesellschaft zu den Tochtergesellschaften bestand oder ob es einen rechtlichen Cashpool gegeben hat. Das benötigte Geld wurde nach der Aussage des Zeugen Dr. dort geholt, wo es sich gerade befand. Der Beklagte bezeichnet die GmbH selbst als „Kerngesellschaft“ unter den Gesellschaften. Der Zeuge Dr. hat die GmbH in diesem Zusammenhang als Herzstück des Konzerns bezeichnet. Alle anderen Gesellschaften waren finanziell von ihr abhängig gewesen. In seinem Schreiben vom 09.07.2009 an den Aufsichtsrat der AG hat der Beklagte selbst darauf hingewiesen, dass sowohl für den Vorstand als auch die einzelnen Geschäftsführer die Option der Insolvenzantragsstellung oder der Mandatsniederlegung bestehe. Wenn der Beklagte gleichzeitig behauptet, es handele sich um eine Gruppe und nicht um einen Konzern, dann ist nicht ersichtlich, weshalb die finanzielle Situation aller Gesellschaften von der Holding AG geprüft worden ist, zumal diese angeblich für Aufgaben wie die Bürobereitstellung zuständig gewesen sei.
84Der Beklagte trägt weiter vor, dass man sich im Anschluss an die außerordentliche Vorstandssitzung einen Überblick über die Liquiditätslage verschafft habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ohne belegbaren Kapitalfluss bis zur geplanten Aufsichtsratssitzung am Freitag, dem 17.07.2009 dem Vorstand und der Geschäftsführung die Option übrig bleiben würde, einen Antrag auf Insolvenz zu stellen und die Ämter als Geschäftsführer niederzulegen. Der Kapitalfluss konnte faktisch nur durch die Energy als „Kerngesellschaft“ generiert werden, die übrigen Gesellschaften waren offensichtlich finanziell von der Energy abhängig. Daraus folgt, dass die AG und die übrigen Tochtergesellschaften finanziell miteinander verflochten waren.
853. Irrtum
86Durch die Täuschungen ist bei dem Kläger ein Irrtum eingetreten. Hätte der Beklagte pflichtgemäß auf die Zahlungsunfähigkeit der GmbH hingewiesen, dann hätte der Kläger nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Vorauszahlung nicht erbracht oder die Einziehungsermächtigung gekündigt.
874. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
88Der Kläger hat eine Vermögensverfügung vorgenommen, durch den ein Vermögensschaden in Höhe des austenorierten Betrages entstand. Der Kläger hat die Zahlungen im Einzelnen dargelegt und hierzu vorgetragen, dass sich die Klageforderung aus der Verbrauchsabrechnung ergebe. Damit hat er entgegen der Auffassung des Beklagten seiner Substantiierungspflicht genügt. Der Beklagte ist dem nicht erheblich entgegengetreten. Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Kläger im laufenden Insolvenzverfahren möglicherweise eine Quote auf seine Insolvenzforderung erhält. Ob der Kläger tatsächlich eine Quote erhält, ist nicht absehbar.
89Zu einer etwaigen gesamtschuldnerischen Haftung der GmbH und Herrn fehlt der erforderliche Sachvortrag.
905. Subjektiver Tatbestand
91Der Beklagte handelte vorsätzlich. Der Beklagte kannte die Umstände, welche die Zahlungsunfähigkeit begründet haben. Dies folgt bereits aus seinem eigenen Vortrag. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.06.2015 vorgetragen, dass die Geschäftsführer bzw. Vorstände „natürlich (…) miteinander kommuniziert“ haben. Der Beklagte ging ausweislich des Schreibens vom 09.07.2009 selbst davon aus, dass die Zahlungsunfähigkeit und damit die Insolvenzantragspflicht bestanden. In zahlreichen Schreiben u.a. der Deutschen Post AG im Zusammenhang mit der Kündigung des Lastschriftinkassos vom 31.10.2011, der Schreiben der Rechtsanwälte vom 10.01.2010, beide gerichtet an den Beklagten, wurde die finanzielle Situation besprochen. Im letztgenannten Schreiben nehmen die Rechtsanwälte zusätzlich Bezug auf eine Mitteilung an den Beklagten vom 2.12.2010, die ebenfalls im Zusammenhang mit der finanziellen Situation gestanden hat. Am 29.10., 29.11. und 02.12.2010 wiesen die Rechtsanwälte den Vorstand der AG schriftlich auf die bestehende Zahlungsunfähigkeit und die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags hin. Der Beklagte war zum Teil auch Ansprechpartner für die Rechtsanwälte und damit genauestens informiert. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Beklagte „laufend“ an den Führungs- und Aufsichtsratssitzungen teilgenommen hat. Die Behauptung, lediglich über die finanzielle Situation der GmbH und AG informiert gewesen zu sein, ist ersichtlich unwahr, lebensfremd und dient offenbar dem Selbstschutz, zumal die finanziellen Gegebenheiten der vorgenannten Gesellschaften aufgrund der Verflechtungen nicht isoliert betrachtet werden können (faktischer Cashpool) und der Beklagte selbst in dem Schreiben vom 09.07.2009 bereits im Jahre 2009 von der Zahlungsunfähigkeit ausging. Die fortwährende Überwachung der Finanzlage als Pflichtaufgaben – insbesondere in Krisenzeiten – können vom Geschäftsführer und Vorstandsmitglied ohnehin nicht delegiert werden. Auch die von der AG vorgeschlagene Ratenzahlung und Stundung sind nach der Rechtsprechung ein sicheres Beweisanzeichen für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit (statt vieler OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.02.2013 – 13 U 50/12, juris). Dabei ist unerheblich, ob der Beklagte selbst bei den Gesprächen mit dem Hauptzollamt zugegen war. Dass er Kenntnis hiervon hatte, bestreitet er nicht und geht auch aus dem Schreiben des Beklagten vom 09.07.2009 hervor. Dem steht auch nicht entgegen, dass zum Teil Kundenverträge noch bis in das Jahr 2011 hinein bedient worden sind. Die nicht kostendeckenden Strompakete haben – wie ausgeführt – lediglich zu einem bilanziellen Passivaustausch geführt und die Situation der GmbH noch verschlimmert, weil diese die Energie nicht kostendeckend weiterveräußert, mithin ein Schneeballsystem betrieben hat. Insbesondere aufgrund dieses eingeführten Schneeballsystems steht die Bereicherungsabsicht des Beklagten sicher zur Überzeugung des Gerichts fest.
92Der Zinsanspruch sowie der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltsgebühren folgt aus §§ 823 Abs. II BGB in Verbindung mit § 263 Abs. I, 13 StGB, §§ 286, 291 und 288 Abs. I BGB. Bei der Bezifferung der Rechtsanwaltsgebühren auf 20,67 € handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit, die einer Auslegung entsprechend der Klagebegründung zugänglich ist (analog § 133 BGB).
93III.
94Der Feststellungsantrag ist aufgrund der vorstehenden Ausführungen begründet.
95IV.
96Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. II Nr. 1, 281 Abs. III S. 2 ZPO. Soweit die Klage abgewiesen worden ist, handelt es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung, durch die kein Kostensprung verursacht worden ist.
97Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
98Der Schriftsatz des Beklagten vom 10.06.2015 gab keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
99Streitwert: 885,70 € (Feststellungsantrag gem. § 287 ZPO geschätzt: 177,14 € = 25 % der Klageforderung, vgl. BGH, Beschl. v. 22.01.2009 – IX ZR 235/08, juris)
100Rechtsbehelfsbelehrung:
101Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
1021. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
1032. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
104Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Wuppertal, Eiland 1, 42103 Wuppertal, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
105Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Wuppertal zu begründen.
106Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Wuppertal durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
107Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Amtsgericht Solingen Urteil, 15. Juli 2015 - 13 C 198/14
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Urteil einreichenAmtsgericht Solingen Urteil, 15. Juli 2015 - 13 C 198/14 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), können während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Richten sich die Ansprüche gegen den Verwalter, so können sie nur von einem neu bestellten Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.
(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.
(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.
(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.
(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.
Von der Erteilung der Restschuldbefreiung werden nicht berührt:
- 1.
Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, oder aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist; der Gläubiger hat die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Absatz 2 anzumelden; - 2.
Geldstrafen und die diesen in § 39 Abs. 1 Nr. 3 gleichgestellten Verbindlichkeiten des Schuldners; - 3.
Verbindlichkeiten aus zinslosen Darlehen, die dem Schuldner zur Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens gewährt wurden.
(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat, - 2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, - 3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt, - 4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder - 5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.
(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.
(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.
(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).
(7) (weggefallen)
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 11.481,19 € festgesetzt.
Gründe:
- 1
- Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Klägerin begehrt gegenüber dem beklagten Schuldner die Feststellung, ihre zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung beruhe auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Schuldners. Ihre Beschwer beträgt, wie vom Berufungsgericht in tatrichterlich vertretbarer Würdigung angenommen , 11.481,19 € und erreicht nicht den für die Zulässigkeit der Beschwerde maßgeblichen Wert von über 20.000 € (§ 26 Nr. 8 EGZPO). Der Heraufsetzungsantrag der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
- 2
- 1. Die Frage, nach welchen Maßstäben der Streitwert einer Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, eine angemeldete Forderung beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (§ 184 InsO), zu bestimmen ist, wird in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Einhelligkeit besteht nur darin, dass die Bestimmung des § 182 InsO, nach der für den Wert der Insolvenzfeststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter oder einen bestreitenden Gläubiger ausschließlich die zu erwartende Insolvenzquote maßgeblich ist, auf die Klage nach § 184 InsO nicht anzuwenden ist (FK-InsO/Kießner, 5. Aufl. § 182 Rn. 11; MünchKomm-InsO/ Schumacher, 2. Aufl. § 182 Rn. 4; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 182 Rn. 10; Graf-Schlicker, InsO § 182 Rn. 6; HmbKomm-InsO/Herchen, 2. Aufl. § 182 Rn. 3; Braun/Specovius, InsO 3. Aufl. § 182 Rn. 11).
- 3
- a) Eine Ansicht geht davon aus, der Streitwert bemesse sich nach dem Nominalwert der geltend gemachten Forderung abzüglich einer etwaigen Insolvenzquote. Das Interesse des Feststellungsklägers bestehe in erster Linie darin zu verhindern, dass der Insolvenzschuldner nach Abschluss der Wohlverhaltensperiode von der - bereits titulierten - Schuld befreit wird. Dieses Interesse, den titulierten Anspruch materiell zu erhalten, werde unabhängig von den konkreten Befriedigungsmöglichkeiten durch dessen Höhe bestimmt. Der Streitwert sei daher nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 2, 3 ZPO) zu bestimmen (OLG Hamm NZI 2007, 249; OLG Karlsruhe JurBüro 2007, 648; LG Mühlhausen ZVI 2004, 504; FK-InsO/Kießner, aaO § 182 Rn. 11a; MünchKomm-InsO/ Schumacher, aaO § 184 Rn. 3; HmbKomm-InsO/Herchen, aaO; Braun/ Specovius, aaO; Musielak/Heinrich, ZPO 6. Aufl. § 3 Rn. 30 Stichwort Insolvenzverfahren ).
- 4
- b) Nach anderer Auffassung ist nicht der Nominalwert der Insolvenzforderung maßgeblich, sondern auf die späteren Vollstreckungsaussichten des Insolvenzgläubigers nach Beendigung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung abzustellen. Auch müsse berücksichtigt werden, dass es sich lediglich um eine Feststellungsklage handele und der Schuldner nicht die Forderung an sich bestreite, sondern nur die geltend gemachte vorsätzliche Begehungsweise. Müssten die künftigen Vollstreckungsaussichten "eher zurückhaltend" beurteilt werden, so sei ein deutlicher Abschlag von 75 % gerechtfertigt (OLG Celle ZInsO 2007, 42 [4. ZS]; NZI 2007, 473 [7. ZS]). Diesem Ansatz folgt auch das OLG Rostock (NZI 2007, 358). Es hat jedoch aus einzelfallbezogenen Erwägungen in der angeführten Entscheidung die späteren Vollstreckungsaussichten als sehr günstig angesehen und deshalb nur einen Abschlag von 20 % für gerechtfertigt angesehen. Das LG Kempten (ZInsO 2006, 888) hat den Abschlag auf 80 % bemessen. Auch im Schrifttum wird diese Beurteilung geteilt (HK-InsO/Depré, 5. Aufl. § 182 Rn. 1; Pape, in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, § 184 Rn. 113 f).
- 5
- 2. Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
- 6
- In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass sich bei einer Feststellungsklage die Beschwer des Beklagten danach bemisst, wie hoch oder gering das Risiko einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Feststellungskläger ist (vgl. BGH, Urt. v. 14. Februar 1958 - VI ZR 43/57, VersR 1958, 318; Beschl. v. 28. November 1990 - VIII ZB 27/90, AnwBl 1992, 451; Urt. v. 13. Dezember 2000 - IV ZR 279/99, NJW-RR 2001, 316, 317). Die zweifelhafte Realisierbarkeit des festzustellenden Anspruchs ist auch für die Festsetzung des Streitwerts maßgeblich (Hk-ZPO/Kayser, 2. Aufl. § 3 Rn. 15 Feststellungsklage ; Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl. Stichwort Feststellungsklagen). Dies gilt ebenfalls für die hier in Rede stehende Feststellungsklage nach § 184 InsO. Bei der Mehrzahl der insolventen Verbraucher wird dann, wenn ein Vollstreckungstitel von der Restschuldbefreiung ausgenommen wird, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens eine Vollstreckung gegen den Schuldner nicht möglich sein, so dass das wirtschaftliche Interesse an der Feststellung des Anspruchsgrundes als auf unerlaubter Handlung beruhend nicht allzu hoch ist. Dieser allgemein bekannten Erfahrung muss bei der Bemessung des Streitwerts einer Feststellungsklage angemessen Rechnung getragen werden, indem die späteren Vollstreckungsaussichten des Feststellungsklägers nach Erteilung der Restschuldbefreiung für den Schuldner konkret bewertet werden. Können diese anhand der voraussichtlichen wirtschaftlichen Lage des Schuldners auch für die Zeit nach Erteilung der Restschuld nicht als günstig angesehen werden, sind deutliche Abschläge vom Nominalwert der Deliktsforderung sachlich gerechtfertigt.
- 7
- Diesen 3. Maßstäben entspricht die Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts. Sie beruht offensichtlich auf den aus dem Prozessstoff erkennbaren wirtschaftlichen Gegebenheiten des Schuldners. Der Umstand, dass diese, den landgerichtlichen Beschluss abändernde Entscheidung verfahrensfehlerhaft erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung getroffen wurde, hat sich nicht zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt. Sie hat weder in ihrer Streitwertbeschwerde noch in der Nichtzulassungsbeschwerde Anknüpfungstatsachen vorgetragen oder Gesichtspunkte aufgezeigt, nach denen die Vollstreckungsaus- sichten gegenüber dem Beklagten günstiger beurteilt werden könnten. Es besteht mithin keine Veranlassung, ihr Feststellungsinteresse abweichend von der berufungsgerichtlichen Wertfestsetzung zu beurteilen.
Fischer Grupp
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 13.07.2007 - 10 O 537/06 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 23.04.2008 - 7 U 180/07 -