Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Okt. 2024 - II ZB 11/23 von Dirk Streifler
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Okt. 2024 - II ZB 11/23
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 22. Oktober 2024
Az.: II ZB 11/23
Tenor
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Die Rechtsbeschwerde des Nebenintervenienten gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 21. Juni 2023 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
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Streitwert: 1.000 €.
Gründe
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I.
Klägerin und Nebenintervenient sind Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten, einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt). Im Gesellschaftsvertrag ist geregelt, dass die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer haben kann. Die Klägerin will mit ihrer Klage festgestellt wissen, dass Gesellschafterbeschlüsse, mit denen sie als Geschäftsführerin abberufen und der Nebenintervenient angewiesen wird, verschiedene Ansprüche der Beklagten gegen sie zu verfolgen, nichtig sind.
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Das Landgericht hat der Beklagten auf Antrag der Klägerin einen Prozesspfleger bestellt. Der dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetretene Nebenintervenient hat gegen die Bestellung des Prozesspflegers "sofortige Beschwerde" eingelegt, der das Landgericht mangels Statthaftigkeit nicht abgeholfen hat. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Nebenintervenient mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
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II.
Das Beschwerdegericht (OLG Bremen, ZIP 2023, 2412) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die sofortige Beschwerde sei unzulässig, da sie nicht statthaft sei.
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Eine sofortige Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers sei nicht gesetzlich vorgesehen (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO); mit der Bestellung eines Prozesspflegers werde auch kein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
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Die sofortige Beschwerde gegen die Bestellung des Prozesspflegers sei hier auch nicht ausnahmsweise deshalb statthaft, weil das Landgericht mit ihr Verfahrensgrundrechte der Beklagten verletzt habe. Zwar habe das Landgericht das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt, indem es sie vor der Pflegerbestellung nicht angehört habe. Die Gehörsverletzung sei auch nicht im Abhilfeverfahren geheilt worden, da das Landgericht die Nichtabhilfe allein mit prozessualen Erwägungen begründet habe und sich mit den sachlichen Einwänden des Nebenintervenienten gegen die Pflegerbestellung nicht auseinandergesetzt habe. Es sei aber nicht aufgrund verfassungskonformer Auslegung geboten, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beklagten eine Beschwerdemöglichkeit einzuräumen. Ein Rechtsmittel auch gegen Zwischenentscheidungen wie die Bestellung eines Prozesspflegers sei von Verfassungs wegen nur erforderlich, wenn in dem Zwischenverfahren abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über den Antrag befunden werde und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden könne. Daran fehle es bei der Bestellung eines Prozesspflegers, da das Gericht die Bestellung jederzeit aufheben und die Partei (bzw. ihr Nebenintervenient) eine Prüfung der Bestellungsvoraussetzungen auch jederzeit anregen könne. Dadurch könne eine etwaige Gehörsverletzung im Bestellungsverfahren geheilt werden. Allein der Umstand, dass bisherige Prozesshandlungen des Prozesspflegers wirksam blieben, rechtfertigten es nicht, der Partei (bzw. ihrem Nebenintervenienten) eine Beschwerdemöglichkeit zuzubilligen, weil jener zur Wahrung ihrer Interessen verpflichtet sei.
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III.
Die Rechtsbeschwerde des Nebenintervenienten ist unzulässig, da sie unstatthaft ist.
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1. Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss ist statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung einer "sofortigen Beschwerde" gegen die Bestellung eines Prozesspflegers ist nicht im Gesetz ausdrücklich bestimmt. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht deswegen statthaft, weil sie das Beschwerdegericht in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO). Nach § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist das Rechtsbeschwerdegericht zwar an die Zulassung gebunden. Dies gilt aber nicht uneingeschränkt: Ist bereits die sofortige Beschwerde nicht statthaft gewesen, ist eine vom Beschwerdegericht mit der Beschwerdeentscheidung zugelassene Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht statthaft; dies gilt auch dann, wenn das Beschwerdegericht sie eigens zur Klärung der Zulässigkeitsfrage zugelassen hat (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZB 46/21, BGHZ 233, 258 Rn. 8 mwN).
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2. So verhält es sich hier. Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass eine sofortige Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 ZPO für eine GmbH nicht statthaft ist.
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a) Eine sofortige Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 ZPOist weder in unmittelbarer Anwendung von § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO noch von Nr. 2 der Vorschrift statthaft (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 - XII ZB 142/15, MDR 2016, 1286 Rn. 12; Beschluss vom 10. Dezember 2020- V ZB 128/19, WM 2021, 346 Rn. 30; jew. mwN). Gegen die dahingehenden Ausführungen des Beschwerdegerichts erinnert die Rechtsbeschwerde auch nichts.
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b) Entgegen der Auffassung des Nebenintervenienten ist die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde auch nicht in verfassungskonform erweiternder Auslegung von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO geboten. Die Eröffnung des Beschwerderechtswegs ist insbesondere nicht zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs erforderlich.
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aa) Fachgerichtlicher Rechtsschutz gegen eine mögliche Gehörsverletzung in Zwischenverfahren ist nach dem Grundsatz wirkungsvollen Rechtsschutzes in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG dann notwendig, wenn in diesem Zwischenverfahren abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über den Antrag befunden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann (BVerfGE 119, 292 Rn. 22; NJW 2009, 833; BGH, Beschluss vom 20. Januar 2009 - Xa ZB 34/08,MDR 2009, 520 Rn. 6).
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bb) Dies hat das Beschwerdegericht seiner Entscheidung auch zutreffend zugrunde gelegt. Nicht frei von Rechtsfehlern ist allerdings seine Annahme, bei der Bestellung eines Prozesspflegers werde wegen jederzeit möglicher Aufhebung der Bestellung nicht abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren entschieden. Das Beschwerdegericht erkennt selbst, dass die Aufhebung der Bestellung nur ex nunc wirkt. Bis zur Aufhebung vom Prozesspfleger vorgenommene Prozesshandlungen bleiben wirksam (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 - XII ZB 142/15, MDR 2016, 1286 Rn. 20). Diese Handlungen können mithin auch nicht später auf Rechtsmittel gegen die Endentscheidung im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden.
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cc) Dies zwingt aber nicht dazu, den Beschwerderechtsweg gegen die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 ZPO zu eröffnen. Vielmehr wird der verfassungsrechtlich gebotene fachgerichtliche Rechtsschutz vor einer Gehörsverletzung dadurch gewährleistet, dass § 321a Abs. 1 ZPO verfassungskonform erweiternd auszulegen ist (vgl. BVerfGE 119, 292 Rn. 21; BGH, Beschluss vom 20. Januar 2009 - Xa ZB 34/08, MDR 2009, 520 Rn. 6; BeckOK ZPO/Bacher, Stand 1.7.2024, § 321a Rn. 7 mwN). Soweit sich eine Partei (bzw. ihr Nebenintervenient) mit einer Gehörsrüge gegen die Pflegerbestellung wendet, stellt der Bestellungsbeschluss, weil seine Rechtswirkungen bei Aufhebung nicht ex tunc entfallen, eine ein selbständiges Zwischenverfahren beendende Endentscheidung i.S.v. § 321a Abs. 1 Satz 2 ZPO dar.
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dd) Ob ein Rechtsmittel wegen seines Devolutiveffekts ausnahmsweise im Falle erheblicher Verletzungen von Verfahrensgrundrechten zugelassen werden müsste (offen gelassen von BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 - XII ZB 142/15, MDR 2016, 1286 Rn. 25), bedarf hier keiner Entscheidung. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Soweit der Bundesgerichtshof trotz der in § 321a Abs. 4 Satz 4 ZPO getroffenen Wertentscheidung des Gesetzgebers die Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde in einem Fall bejaht hat, in dem ein Beweisbeschluss über die Erstellung eines Gutachtens zur Klärung der Prozessfähigkeit der Partei ohne deren vorherige Anhörung erlassen wurde (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 - I ZB 93/08, MDR 2009, 1184 Rn. 8), ist der mit einem solchen Beschluss verbundene Eingriff in die Privat- und Intimsphäre einer natürlichen Person mit der Bestellung eines Prozesspflegers für eine Kapitalgesellschaft nicht vergleichbar (aA Schatz/Lüttenberg, NZG 2022, 1473, 1478).
Einleitung
Mit seinem Beschluss hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 57 ZPO nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist. Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für die Praxis, da sie sowohl prozessuale als auch gesellschaftsrechtliche Fragestellungen betrifft. Der vorliegende Kommentar beleuchtet die Richtigkeit der Entscheidung, die zugrunde liegenden rechtlichen Erwägungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Praxis. Zudem wird auf abweichende Meinungen und alternative Lösungsansätze eingegangen.
Hintergrund der Entscheidung
Im Ausgangsfall hatte das Landgericht auf Antrag einer Gesellschafterin einen Prozesspfleger für eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) bestellt. Diese Bestellung wurde von einem weiteren Gesellschafter, der zugleich Geschäftsführer war, mit der sofortigen Beschwerde angefochten. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Bremen verwarfen die Beschwerde als unzulässig. Der BGH bestätigte diese Entscheidungen und betonte, dass die sofortige Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers gesetzlich nicht vorgesehen ist und auch keine verfassungskonforme Auslegung eine solche Statthaftigkeit erfordert.
Begründung des Gerichts
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Keine gesetzliche Grundlage für die sofortige Beschwerde
Der BGH wies darauf hin, dass § 567 Abs. 1 ZPO die sofortige Beschwerde nur in zwei Fällen vorsieht: wenn sie gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist (Nr. 1) oder wenn das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen wurde (Nr. 2). Keiner dieser Tatbestände ist bei der Bestellung eines Prozesspflegers erfüllt. Die Bestellung ist eine vorbereitende Maßnahme und kein abschließender Beschluss mit Bindungswirkung für das Verfahren. -
Verfahrensgrundrechte und Gehörsverletzung
Das Gericht erkannte zwar eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da die Gesellschaft vor der Bestellung des Prozesspflegers nicht angehört wurde. Es hielt jedoch fest, dass diese Verletzung durch eine Gehörsrüge nach § 321a ZPO geheilt werden könne. Eine darüber hinausgehende Beschwerdemöglichkeit sei weder notwendig noch geboten. -
Keine abschließende Entscheidung im Zwischenverfahren
Der BGH stellte klar, dass Zwischenentscheidungen wie die Bestellung eines Prozesspflegers jederzeit aufgehoben werden können. Sie entfalten daher keine endgültige Bindungswirkung, die eine sofortige Beschwerde rechtfertigen würde. Die Wirkung der Bestellung ex nunc – also ohne rückwirkende Aufhebung – genügt nach Ansicht des Gerichts, um verfahrensrechtliche Grundsätze zu wahren.
Bewertung der Entscheidung
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Richtigkeit der Entscheidung
Die Entscheidung ist juristisch überzeugend und schlüssig. Sie bleibt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben der ZPO und betont die subsidiäre Funktion der Gehörsrüge. Indem der BGH keine neue Beschwerdemöglichkeit schafft, bewahrt er die Systematik der ZPO und verhindert eine unnötige Verlängerung des Verfahrens durch zusätzliche Rechtsmittel. -
Praktische Auswirkungen
Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit im Umgang mit der Bestellung von Prozesspflegern und stärkt den Fokus auf die effiziente Durchführung von Verfahren. Gleichzeitig betont der BGH die Wichtigkeit der Gehörsrüge als Mittel zur Korrektur von Verfahrensfehlern. Praktiker sollten künftig verstärkt darauf achten, Gehörsverletzungen frühzeitig durch entsprechende Rügen geltend zu machen. -
Abweichende Meinungen und kritische Punkte
Kritiker könnten anmerken, dass die fehlende Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde die Rechte von Parteien und Nebenintervenienten beschränkt. Insbesondere bleibt die Wirksamkeit der bis zur Aufhebung des Prozesspflegers getroffenen Maßnahmen bestehen, was in der Praxis zu erheblichen Nachteilen führen kann. Einzelne Stimmen in der Literatur hatten vorgeschlagen, die sofortige Beschwerde aus verfassungsrechtlichen Gründen zuzulassen, um eine direkte Korrektur von Gehörsverletzungen zu ermöglichen.
Lehren aus der Entscheidung
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Stärkung der Gehörsrüge
Der BGH hat die Bedeutung der Gehörsrüge hervorgehoben und sie als hinreichendes Instrument zur Wahrung der Verfahrensgrundrechte bestätigt. Dies unterstreicht, wie wichtig eine präzise Kenntnis dieses Rechtsbehelfs für die Prozessführung ist. -
Effizienz im Verfahren
Die Entscheidung fördert eine effiziente Verfahrensgestaltung, indem sie verhindert, dass Zwischenentscheidungen durch zusätzliche Beschwerdemöglichkeiten verzögert werden. Gleichzeitig bleibt der Schutz der Verfahrensrechte gewahrt. -
Abgrenzung von End- und Zwischenentscheidungen
Der Beschluss verdeutlicht die klare Trennung zwischen Endentscheidungen und Zwischenentscheidungen in der ZPO. Die Möglichkeit zur Korrektur von Verfahrensfehlern durch Inzidentprüfung oder Gehörsrüge wird als ausreichend erachtet.
Fazit
Der Beschluss des BGH vom 22. Oktober 2024 ist ein richtungsweisendes Urteil, das die prozessrechtliche Systematik der ZPO bewahrt und die Bedeutung der Gehörsrüge als Mittel zur Sicherung von Verfahrensrechten unterstreicht. Obwohl einzelne Kritikpunkte in der Literatur bestehen, überzeugt die Entscheidung in ihrer Konsequenz und ihrem Fokus auf Verfahrenseffizienz und Rechtssicherheit. Für die Praxis bietet das Urteil wertvolle Leitlinien im Umgang mit der Bestellung von Prozesspflegern und stärkt das Vertrauen in die gerichtliche Handhabung solcher Zwischenentscheidungen.
Annotations
(1) Die sofortige Beschwerde findet statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte, wenn
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dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist.
(2) Gegen Entscheidungen über Kosten ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.
(3) Der Beschwerdegegner kann sich der Beschwerde anschließen, selbst wenn er auf die Beschwerde verzichtet hat oder die Beschwerdefrist verstrichen ist. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Beschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.