Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Beschluss, 6. Okt. 2021 - XII ARZ 35/21 von Dirk Streifler - Partner

erstmalig veröffentlicht: 05.11.2021, letzte Fassung: 19.10.2022

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Der Bundesgerichtshof hat sich mit Beschluss vom 06.10.2021 (Az.: XII ARZ 35/21) zur Zuständigkeit der Gerichte in Hinblick auf die Aufhebung von Corona-Schutzmaßnahmen, geäußert. Die Richter entschieden, dass Familiengerichte nicht zuständig sind und deshalb gegenüber schulischen Behörden keine Befugnis haben, die Aufhebung von Maßnahmen, die dem Schutz vor der Ausbreitung des Covid-19-Virus dienen, anzuordnen. 

Dirk Streifler – Streifler&Kollegen – Rechtsanwälte Berlin

 

Beschlüsse des AG Weimar und des AG Weilheim

Bereits im Frühling dieses Jahres sorgte der Beschluss (Az. 9 F 148/21) eines Familienrichters aus Weimar für bundesweite Aufmerksamkeit und viel Kritik. Der Richter am Familiengericht hob im Wege eines Eilverfahrens, die Pflicht zur Befolgung jeglicher Corona-Schutzmaßnahmen an zwei Weimarer Schulen auf. Kurz darauf sind mehrere Strafanzeigen wegen des Verdachts der Rechtsbeugung gegen ihn erstattet worden, seine Wohn- und Arbeitsräume wurden durchsucht und sein Handy beschlagnahmt. Nachdem zunächst das Verwaltungsgericht Weimar, die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen zum Schutz vor einer Covid-19-Infektion an den entsprechenden Schulen festgestellt hatte, hob das Oberverwaltungsgericht Jena (Az. 1 UF 136/21) den Beschluss des Familienrichters auf. 

Auch in Weilheim sorgte eine Richterin für öffentliche Diskussionen: Sie befreite eine Schülerin von der Maskenpflicht, die an der Realschule in Schlehdorf (Landkreis Bad Tölz-Wolfsratshausen), die die Schülerin besuchte, in den Zeitpunkt vorgeschrieben war (Az.: 2 F 192/21). Inhalt des Beschlusses war eine Anordnung gegenüber der Schulleitung, wonach diese der Schülerin das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auf dem Schulgelände nicht vorschreiben darf.

Der dem Beschluss des BGHs zugrunde liegende Fall

Der, dem Beschluss des BGHs zugrunde liegende Fall betraf ebenfalls ein Elternteil (die Mutter), die im April dieses Jahres, ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB angestrebte. Sie begehrte eine Anordnung gegenüber Lehrkräften und der Schulleitung einer Gesamtschule, die ihre Tochter besuchte. Diese Anordnung sollte, die zum Schutz vor einer Covid-Ansteckung getroffenen Maßnahmen, wie das Maske Tragen, Abstandsregelungen sowie die Testpflicht vorläufig aussetzen.

Inhalt des Beschlusses des BGHs 

Das Familiengericht sah sich jedoch nicht zuständig und verwies das Verfahren an das 

Verwaltungsgericht. Allerdings war auch dieses der Ansicht, dass es nicht zuständig ist und da das Verwaltungsgericht in der Verweisung einen groben Verfahrensverstoß sah, wurden die Akten an das Familiengericht zurückgeschickt. Schließlich hat das Familiengericht die Sache dem Bundesgerichtshof zur Feststellung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Negativer Kompetenzkonflik

In dem Fall, dass verschiedene Gerichte, von denen eines für das Verfahren zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, bestimmt das nächsthöhere gemeinsame Gericht die Zuständigkeit (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG). 

Da diese Norm nicht auf die Konflikte zwischen Familien- und Verwaltunsggerichten unmittelbar anwendbar ist und auch keine weitere diesen Fall regelnde Vorschrift existiert, entschied das Gericht, dass diese Regelungslücke dahingehend geschlossen werden müsse, dass eines, der beiden Gerichte übergeordnete oberste Gerichtshof, welches als Erstes angerufen wird, über die Sache entscheidet.

Die Richter des Bundesgerichtshofs sind zwar der Ansicht, dass die Beschlüsse mithilfe derer die Gerichte ihren eigenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das jeweils andere Gericht verwiesen haben eigentlich unanfechtbar sind und keiner weiteren Überprüfung unterliegen. Allerdings sei eine Bestimmung der Zuständigkeit durch ein Gericht, insbesondere in Hinblick auf das Interesse einer funktionierenden Rechtspflege sowie die Rechtssicherheit geboten, sofern sich keines der beiden Gerichte bereit erklärt, das Verfahren zu führen. § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG müsse deshalb analog angewendet werden.

Keine Zuständigkeit der Familiengerichte bei Maßnahmen ggü. schulischen Behörden

Der BGH betont, dass bei Maßnahmen gegenüber schulischen Behörden, der Rechtsweg zu den Familiengerichten im Verfahren nach § 1666 Abs. 1 du 4 BGB nicht eröffnet sei. Das Familiengericht hätte zu Recht den eigenen Rechtsweg für unzulässig erklärt. 

Zuständig seien allein die Verwaltungsgerichte. 

In Hinblick auf die gerichtliche Überprüfung des Handelns der Behörden, insbesondere Infektionsschutzmaßnahmen betreffend, seien allein die Verwaltungsgerichte zuständig. Der Bundesgerichtshof meint zwar, dass Familiengerichte, bei einer Gefährdung des Kindeswohl auch Maßnahmen gegenüber Dritten treffen können. Nicht befugt sind sie hingegen, Anordnungen gegenüber schulischen Behörden zu erlassen.

Für Unterlassungsverlangen die gegenüber einer Schule durchgesetzt werden sollen, sind allein die Verwaltungsgerichte zuständig. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 7) betreffen solche Unterlassungsverlangen „das Rechtsverhältnis zwischen dem Schüler und einer öffentlichen, von einer Gebiertskörperschaft getragenen Schule, deren Handeln in inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulordnungsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt zugerechnet wird“.

Die Befugnis der Familiengerichte das Handeln und Unterlassen staatlicher Stellen zu beeinflussen und zu lenken, würde mit einem Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip einhergehen (OLG Jena, Beschl. v. 14.05.21, Az.: 1 UF 136/21).

Der BGH hat mit diesem Beschluss klargestellt, was viele bereits geahnt haben: Familienrichter:innen können gegenüber Behörden, insbesondere Schulen keine Anordnungen treffen. Insofern kein spektakuläres Urteil. Jedoch eines das Klarheit bringt. 

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls


(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der

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Bundesgerichtshof Beschluss, 6. Okt. 2021 - XII ARZ 35/21

bei uns veröffentlicht am 05.11.2021

  a) Für Maßnahmen gegenüber schulischen Behörden (hier: mit dem Ziel der Unterlassung schulinterner Infektionsschutzmaßnahmen) ist der Rechtsweg zu den Familiengerichten im Verfahren nach § 1666 Abs. 1 und 4 BGB

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS


XII ARZ 35/21


vom
6. Oktober 2021
in dem Zuständigkeitsbestimmungsverfahren


Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja


BGB § 1666 Abs. 1 und 4; FamFG § 151; GVG § 17 a Abs. 2 und 4


BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2021 - XII ARZ 35/21 - AG Wesel

 

Gründe

I.

Die Beteiligte hat mit Schreiben vom 19. April 2021 beim Familiengericht darum nachgesucht, ein Verfahren nach § 1666 BGB zu eröffnen und gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung der von ihrer 15jährigen Tochter besuchten Gesamtschule einstweilig anzuordnen, die schulintern getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), insbesondere die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Abstandsgebote und gesundheitliche Testungen, vorläufig auszusetzen.

Das Familiengericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht verwiesen. Das Verwaltungsgericht hat die ihm übersandten Verfahrensakten an das Familiengericht „zuständigkeitshalber zurückgesandt“, weil das Familiengericht zuständig und die Verweisung an das Verwaltungsgericht wegen eines groben Verfahrensverstoßes nicht bindend sei. Daraufhin hat das Familiengericht die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Das Verfahren ist einzustellen, da zwar die Verwaltungsgerichte für das Rechtschutzbegehren der Beteiligten ausschließlich zuständig sind, eine Rechtswegverweisung in dem hier eingeleiteten Verfahren jedoch nicht in Betracht kommt und die vom Familiengericht ausgesprochene Verweisung nicht bindet (vgl. BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 10).

1. Der Bundesgerichtshof ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Familiengericht und dem Verwaltungsgericht berufen.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG wird, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für das Verfahren zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, das zuständige Gericht durch das nächsthöhere gemeinsame Gericht bestimmt. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Familiengericht und einem Verwaltungsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BGH Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631, 3632; BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 5 mwN). Denn obwohl ein nach § 17 a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den eigenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BGH Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13 - MDR 2013, 1242 Rn. 5 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO; BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 5 zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO).

Eine solche Situation ist vorliegend gegeben. Sowohl das Familiengericht als auch das Verwaltungsgericht haben erklärt, dass der Rechtsweg zu ihnen unzulässig sei. Dabei ist unschädlich, dass sich das Verwaltungsgericht nicht im Beschlusswege für unzuständig erklärt, sondern die Verfahrensakte formlos an das Familiengericht zurückgegeben hat. Denn die Rückgabeverfügung ist mit einer beschlussähnlichen Begründung versehen, welche unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (NJW 2021, 2600) den endgültigen Rechtsstandpunkt einnimmt, dass der Verweisungsbeschluss des Familiengerichts keine Bindungswirkung entfalte. Damit ist der negative Kompetenzkonflikt ausgelöst.

2. Zu Recht hat das Familiengericht den eigenen Rechtsweg für unzulässig erklärt. Es hat das Schreiben der Beteiligten vom 19. April 2021 zutreffend dahin ausgelegt, dass gegen die Schule gerichtete Unterlassungsverlangen durchgesetzt werden sollen. Über derartige Unterlassungsansprüche hätten gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. Sie betreffen das Schulverhältnis als Rechtsverhältnis zwischen dem Schüler und einer öffentlichen, von einer Gebietskörperschaft getragenen Schule, deren Handeln in inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulordnungsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt zugerechnet wird (BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 7). Davon erfasst werden auch von der Schule angeordnete Infektionsschutzmaßnahmen (BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 7; OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1047 f.; OLG Bamberg FamRZ 2021, 1539, 1540; OLG Brandenburg Beschluss vom 27. Juli 2021 - 13 UF 80/21 - juris Rn. 10; OLG München FamRZ 2021, 1538, 1539; OLG Nürnberg FamRZ 2021, 935, 936; BeckOK VwGO/Reimer [Stand: 1. April 2021] § 40 Rn. 71a; vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 - XII ZB 34/21 - FamRZ 2021, 1402 Rn. 13 zur verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit für die Untersagung von Maßnahmen des Jugendamts).

Eine daneben parallel bestehende Regelungskompetenz auf Grundlage des § 1666 BGB ist den Familiengerichten nicht eröffnet. Diese Vorschrift ermöglicht es den Gerichten in erster Linie, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Personensorgeberechtigten zur Einhaltung ihrer Schutzpflichten gegenüber dem Kind anzuhalten (vgl. BT-Drucks. 16/6815 S. 14 f.); als ultima ratio kommt hierbei die Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB). Zwar kann in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen (§ 1666 Abs. 4 BGB), wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht. Eine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden. Denn Dritte im Sinne der Vorschrift sind nicht Behörden und sonstige Träger der öffentlichen Gewalt. Auf Grundlage des § 1666 BGB können die Familiengerichte auch die Jugendämter nicht zur Unterlassung von Maßnahmen der Jugendhilfe wie etwa einer Inobhutnahme verpflichten (Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 - XII ZB 34/21 - FamRZ 2021, 1402 Rn. 13 mwN; vgl. auch BVerwG FamRZ 2002, 668 f.). Umso weniger sind sie befugt, andere staatliche Stellen in ihrem Tun oder Unterlassen anzuweisen. Dies würde nämlich einen Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip bedeuten (OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1048; MünchKommBGB/Lugani 8. Aufl. § 1666 Rn. 181; Johannsen/Henrich/Althammer/Jokisch Familienrecht 7. Aufl. § 1666 a BGB Rn. 17; Meysen FamRZ 2008, 562, 563), für den es an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt. Insbesondere legitimieren die §§ 1666, 1666 a BGB i.V.m. dem staatlichen Wächteramt einen solchen Eingriff nicht. Im Rahmen des schulischen Sonderrechtsverhältnisses sind die zuständigen Behörden ihrerseits an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns - auch hinsichtlich Infektionsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen - obliegt hierbei allein den Verwaltungsgerichten; insoweit haben auch die §§ 23 b GVG, 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 FamFG nicht die Bedeutung einer abdrängenden Sonderzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

3. Eine Zuständigkeitsbestimmung dahin, dass das Verwaltungsgericht zuständig sei, ist dem Senat jedoch verwehrt, da eine Rechtswegverweisung wegen unüberwindbar verschiedener Prozessmaximen des amtswegigen Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Klage- bzw. Antragsverfahrens der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht in Betracht kommt.

Zwar ist auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Verweisung auf einen anderen Rechtsweg nicht generell ausgeschlossen. So kommt beispielsweise die Verweisung einer beim allgemeinen Zivilgericht anhängig gewordenen Klage an das für Wohnungseigentumssachen zuständige Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Betracht, weil das für Wohnungseigentumssachen als sogenannte echte Streitsache ausgestaltete Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ähnlichen Verfahrensgrundsätzen folgt (vgl. BGH Beschluss vom 13. Oktober 1983 - I ARZ 408/83 - NJW 1984, 740). Umgekehrt kann ein beim Gericht für Notarsachen (§ 111 BNotO) anhängig gemachtes Verfahren, das als ein streitiges Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzusehen ist, an die Zivilgerichte verwiesen werden (BGHZ 115, 275 = MDR 1992, 185). Auch konnte ein Zuständigkeitsstreit zwischen dem für Kindschaftssachen zuständigen Familiengericht und dem für Vormundschaftssachen zuständigen Gericht der allgemeinen freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Verweisung gelöst werden (Senatsbeschluss BGHZ 78, 108 = FamRZ 1980, 1107).

Die Vorschrift des § 17 a GVG ist jedoch einschränkend dahin auszulegen, dass eine Verweisung von Amts wegen betriebener Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mangels „Beschreitung eines Rechtswegs“ durch einen Antragsteller oder Kläger nicht in Betracht kommt, sondern diese bei fehlender Zuständigkeit einzustellen sind (BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 11; OLG Karlsruhe NJW 2021, 2054; OLG Frankfurt FamRZ 2021, 1383, 1384; OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1048; OLG Brandenburg Beschluss vom 27. Juli 2021 - 13 UF 80/21 - juris Rn. 5, 10 f.; vgl. auch OLG Köln Beschluss vom 12. Juli 2021 - 14 UF 90/21 - juris Rn. 10 f.). Aufgrund der Eingabe der Beteiligten zu 1 und 2 vom 15. März 2021 hätte beim Familiengericht kein kontradiktorischen Regeln folgendes Antragsverfahren eröffnet werden können, das einer Verweisung an das Verwaltungsgericht zugänglich gewesen wäre (vgl. BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 11 f.), sondern allenfalls ein Verfahren von Amts wegen. Ein Verfahren von Amts wegen mit dem Ziel der Aufhebung schulischer Anordnungen ist der Verwaltungsgerichtsbarkeit jedoch wesensfremd.

4. Das Schreiben der Beteiligten vom 19. April 2021 gibt auch keine Veranlassung, Vorermittlungen für ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten, was der Senat selbst beurteilen kann (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Das Verfahren ist deshalb ohne Verweisung einzustellen.

Dose                                     Schilling                           Nedden-Boeger

                  Guhling                                     Krüger       

                                                                     

 

Vorinstanz:

AG Wesel, Entscheidung vom 23.07.2021 - 49 F 76/21 

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.