Strafrecht: Jugendstrafe wird verhängt, wenn wegen der schädlichen Neigungen eines Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind und die auch zum Urteilszeitpunkt noch fortbestehen, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nicht mehr ausreichen
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Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das AG Hamm - Jugendrichter - hat den Angeklagten wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte am 6. 1. 2005 die damals 16 Jahre alte J.E2 grundlos einmal mit der Faust und ein weiteres Mal entweder mit der Faust oder mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Darüber hinaus hat der Angeklagte, der Mitglied einer nationalsozialistisch gesinnten Gruppe mit der Bezeichnung „Kameradschaft I“ ist, sich zu rechtem Gedankengut bekennt und sein äußeres dieser Gesinnung zumindest durch einen an die Frisur von Adolf Hitler erinnernden Haarschnitt angepasst hat, am 14. 3. 2005 anlässlich einer Veranstaltung des „rechten Spektrums“ in E eine Rede gehalten und diese mit dem Ausruf „Alles für Deutschland“ beendet, wobei es sich, wie allgemein bekannt ist, um die Losung der SA, d.h. der Sturmabteilung im sogenannten Dritten Reich, handelt.
Zur Begründung des Rechtsfolgenausspruchs hat das AG ausgeführt:
„Zum Zeitpunkt des Vergehens nach § 86 a StGB hatte der Angeklagte bereits den 1-wöchigen Dauerarrest hinter sich, den er sich für eine Straftat der Volksverhetzung eingehandelt hatte (Anmerkung des Senats: der von dem AG angeführten Verhängung des - von dem Angeklagten in der Zeit vom 17. bis zum 24. 2. 2005 verbüßten - Dauerarrestes von einer Woche hatte zugrunde gelegen, dass der Angeklagte am 19. 6. 2004 anlässlich einer anti-türkischen Demonstration in E eine Rede gehalten und sich darin u.a. über (so das AG) „zahlreiche Gruppierungen der Gesellschaft, u.a. Zigeuner, Juden, Neger, Homosexuelle“ verächtlich geäußert hatte). Offensichtlich hat weder die Verurteilung zu dem Arrest noch dessen Verbüßung dem Angeklagten zu einer besseren Einsicht verholfen. Im Gegenteil ist der Angeklagte dem nationalsozialistischen Gedankengut derart verhaftet, dass ihn auch ein verbüßter Dauerarrest nicht von der Begehung weiterer Taten abhalten kann. Das Gericht erkennt deshalb insbesondere für diese Tat das Vorliegen schädlicher Neigungen, die die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich machen. Hinzu kommt das nicht hinnehmbare Verhalten gegenüber der Zeugin E2, die ihm keinerlei Anlass gegeben hatte, derart massiv gegen sie vorzugehen. Auch diese Tat zeigt einen schwerwiegenden Charaktermangel bei dem Angeklagten, welcher die festgestellten schädlichen Neigungen noch erhärtet.
Zugunsten des Angeklagten wurde berücksichtigt, dass es sich lediglich um einen einzigen Satz handelt, den der Angeklagte ausgesprochen hat und der die Strafbarkeit beinhaltet. Weiter wurde dieser Satz nur von Gleichgesinnten gehört, so dass eine schädliche Beeinflussung rechtsschaffener Bürger offenbar nicht stattfinden konnte. Bei der Körperverletzung fiel zu seinem Nachteil ins Gewicht, dass er der Geschädigten keinerlei Anlass für seine Tat gegeben
hatte. Auf der anderen Seite konnte zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, dass die Geschädigte offensichtlich nicht verletzt wurde.
Unter Berücksichtigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände konnte das Gericht es bei der Verhängung der Mindeststrafe von 6 Monaten belassen.
Eine Strafaussetzung zur Bewährung verbietet sich, weil der Angeklagte ganz offensichtlich keine Gewähr dafür bietet, dass die bloße Verurteilung ihm zur Warnung dient. Vielmehr hat der Angeklagte durch entsprechende Bemerkungen in der Hauptverhandlung erkennen lassen, dass er sich auch weiterhin stark für das von ihm vertretene Gedankengut engagieren wird, auch öffentlich auftreten wird, so dass mit Wiederholungen solcher oder ähnlicher Taten zu rechnen ist.“
Gegen dieses Urteil richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er mit näheren Ausführungen die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 31. 10. 2005 zunächst beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, die Sache insoweit an eine andere Abteilung des AG zurückzuverweisen und die Revision im Übrigen gem. § 349 II StPO als unbegründet zu verwerfen. In der Hauptverhandlung hat sie demgegenüber beantragt, die Revision insgesamt zu verwerfen.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Hinsichtlich des Schuldspruchs war die Revision auf den dahingehenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen lässt (§ 349 II StPO). Die vom AG getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 31. 10. 2005 wird insoweit verwiesen.
Auch der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Nachprüfung Stand.
Die (Verfahrens-)Rüge, das AG habe „der in der Hauptverhandlung anwesenden Mutter des zur Tatzeit minderjährigen Angeklagten .... entgegen §§ 67 I, 1 II JGG, §§ 258 II, III StPO nicht das ihr zustehende letzte Wort gewährt“, die im Falle ihrer Begründetheit ausschließlich hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs hätte erfolgreich sein können, geht fehl. Maßgeblich ist insoweit nämlich nicht, wie alt ein Angeklagter bei Begehung der Tat ist, sondern sein Alter zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung. Der am 8. 6. 1987 geborene Angeklagte ist am 8. 6. 2005 volljährig geworden. Die Hauptverhandlung hat aber erst am 28. 6. 2005 stattgefunden, so dass der Mutter des Angeklagten ein Anhörungsrecht nicht mehr zustand.
Die Ausführungen des AG zum Rechtsfolgenausspruch halten der auf die Sachrüge vorzunehmenden revisionsrechtlichen Überprüfung Stand.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und von der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des RevGer. in diese Einzelakte der Strafzumessung ist nur dann möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein.
Insoweit lassen die Urteilsgründe keine Mängel erkennen. Die Verhängung von Jugendstrafe begegnet entgegen der Revision keine Bedenken. Diese verhängt der Richter gem. § 17 II JGG dann, wenn wegen der schädlichen Neigungen eines Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind und die auch zum Urteilszeitpunkt noch fortbestehen, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nicht mehr ausreichen. Solche schädliche Neigungen sind erhebliche - seien es anlagebedingte, seien es durch unzulängliche Erziehung oder Umwelteinflüsse bedingte - charakterliche Mängel, die ohne eine längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten in sich bergen und nicht nur den Charakter von Bagatelldelikten haben.
Dass das AG diese Voraussetzungen bejaht hat, ist nicht zu beanstanden. Mit Recht hat es insoweit darauf abgestellt, dass der Angeklagte sich auch durch die Verbüßung von wegen Volksverhetzung verhängten Dauerarrestes nicht davon hat abhalten lassen, zeitnah die Straftat nach § 86 a StGB zu begehen. Bei der Rede des Angeklagten vom 14. 3. 2005 handelt es sich auch nicht um eine spontane und damit möglicherweise unüberlegte Äußerung. Der Angeklagte war auf dieser Veranstaltung des „rechtsradikalen Spektrums“ als Redner vorgesehen und hatte damit ausreichend Zeit zur Verfügung, seine Rede vorzubereiten und auf mögliche strafbare Inhalte zu überprüfen. Deshalb ist auch auszuschließen, dass gruppendynamische Zwänge als jugendtypisches Phänomen den Angeklagten zu der verfassungsfeindlichen Äußerung veranlasst haben könnten. Die Einschätzung des AG, dass bei dieser Sachlage und unter Berücksichtigung des von dem Angeklagten bei der Begehung der Körperverletzung gezeigten Verhaltens ohne die nachhaltige erzieherische Einwirkung der Jugendstrafe weitere (gleichartige) Straftaten von Gewicht zu erwarten sind, ist deswegen nicht zu beanstanden. Die Verhängung des gesetzlichen Mindestmaßes (§ 18 I S. 1 JGG) von sechs Monaten Jugendstrafe kann unter diesen Umständen nicht rechtsfehlerhaft zum Nachteil des Angeklagten sein.
Rechtlicher Überprüfung halten schließlich auch die Erwägungen Stand, mit denen das AG die verhängte Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Auch insoweit gilt zunächst, dass die dahingehende Entscheidung grundsätzlich Sache des Tatrichters ist. Seine Würdigung, ob die Voraussetzungen einer Strafaussetzung i.S.v. § 21 JGG vorliegen oder nicht, ist vom RevGer. bis an die Grenze des Vertretbaren hinzunehmen. Die Überprüfung beschränkt sich auf Rechts- und Ermessensfehler. Ausgehend hiervon ist die Entscheidung des AG, die auf der Grundlage der Bewertung der Taten des Angeklagten und des von ihm in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks ergangen ist, nicht zu beanstanden. Denn das AG hat nachvollziehbar dargelegt, dass bei diesem Angeklagten - auch mit Rücksicht auf sein in der Hauptverhandlung bewiesenes Festhalten an gerade der Gesinnung, die Grundlage seines strafbaren Verhaltens war - nicht zu erwarten ist, dass er sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenden Lebenswandel, d.h. ein Leben ohne Straftaten, führen wird.
Nach allem war die Revision insgesamt als unbegründet zu verwerfen. Der Senat hat dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt, denn für ein Absehen gem. § 74 JGG besteht kein Anlass. Der Angeklagte, der noch im elterlichen Haushalt lebt, Sozialhilfe erhält und - wenn auch geringe - Einkünfte aus einem „Ein-Euro-Job“ erzielt, kann die Verfahrenskosten aus Mitteln zahlen, über die er selbstständig verfügt.
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(1) Bei der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Jugendlichen, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Das Gericht setzt die Vollstreckung der Strafe auch dann zur Bewährung aus, wenn die in Satz 1 genannte Erwartung erst dadurch begründet wird, dass neben der Jugendstrafe ein Jugendarrest nach § 16a verhängt wird.
(2) Das Gericht setzt unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Jugendstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aus, wenn nicht die Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen geboten ist.
(3) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Jugendstrafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.
Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.