Jugendstrafrecht: Zuchtmittel müssen positiv auf den Erziehungseffekt wirken
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Unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Köln zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht - Jugendrichter - Köln hat die Angeklagte mit Urteil vom 25. August 2010 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verwarnt und ihr die Weisung erteilt, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils 40 Stunden Sozialdienst nach näherer Weisung des Jugendamts Köln zu leisten. Ersatzweise hat es Jugendarrest bis zu vier Wochen verhängt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte die Angeklagte am 17. November 2009 im Rahmen einer Demonstration aus der Menge heraus gezielt mit einer leeren Glasflasche in Richtung der die Veranstaltung sichernden Polizeibeamten geworfen, wobei die Flasche das linke Ohr eines der Beamten streifte.
Zur Begründung der Rechtsfolgenentscheidung heißt es im Urteil:
„Bei Würdigung des Verhaltens der Angeklagten war zu berücksichtigen, dass sie sich in keiner Weise einsichtig zeigte. Sie hinterließ auch nicht den Eindruck, dass sie grundsätzlich das Bewerfen der Polizeibeamten auf der Demonstration missbilligte. Strafschärfend waren bei der Angeklagten die zahlreichen Vorverfahren zu berücksichtigen.“
Mit dem fristgerecht zur Revision bestimmten Rechtsmittel der Angeklagten wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt. II.
Die gemäß § 335 StPO statthafte (Sprung-)Revision begegnet auch hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen im Übrigen keinen Bedenken. Sie hat in der Sache nur bezüglich des Rechtsfolgenausspruchs (vorläufigen) Erfolg und führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts.
Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch richtet, hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Das Rechtsmittel war daher entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Im Rechtsfolgenausspruch kann das Urteil indessen keinen Bestand haben.
Die Urteilsgründe müssen, unabhängig davon, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung gelangt, im Hinblick auf die Rechtsfolgenentscheidung eine Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erkennen lassen. Dabei müssen Tat und Täterpersönlichkeit umfassend gewürdigt werden (SenE v. 18.03.2008 - 83 Ss 18/08 -; SenE v. 24.03.2009 - 83 Ss 22/09 -). Sollen Umstände zu Lasten des Angeklagten herangezogen werden, müssen die zugrundeliegenden Strafzumessungstatsachen im Urteil in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise dargelegt werden (vgl. SenE v. 26.02.2008 - 82 Ss 9/08 -). Darüber hinaus darf dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen, dass er die Tat bestreitet und infolgedessen auch keine Schuldeinsichtigkeit und Reue zeigt. „Uneinsichtigkeit“ darf nur zu Lasten berücksichtigt werden, wenn der Angeklagte bei seiner Verteidigung ein Verhalten zeigt, das im Hinblick auf die Tat und seine Persönlichkeit auf besondere Rechtsfeindschaft und Gefährlichkeit schließen lässt (SenE v. 07.07.2009 - 83 Ss 53/09 -).
Im Bereich des Jugendstrafrechts ist weiter zu beachten, dass dieses vom Erziehungsgedanken geprägt ist und daher für die Rechtsfolgenentscheidung in erster Linie erzieherische Gesichtspunkte maßgebend sind. Es stellt einen Rechtsfehler dar, wenn die Rechtsfolgenentscheidung ausschließlich mit Umständen begründet wird, die auch bei einem Erwachsenen Erwähnung hätten finden müssen, obwohl sich die Erörterung erzieherischer Belange aufdrängt.
Die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht die Verhängung der Weisung gegen die Angeklagte begründet hat, genügen den genannten Anforderungen an die Begründung nicht.
Eine echte Abwägung unter Berücksichtigung des Tatunrechts und der Persönlichkeit der Angeklagten ist nicht erkennbar. Obgleich es im Urteil heißt, es werde „nach Abwägung der für und gegen sie sprechenden Umstände“ auf die verhängten Sanktionen erkannt, werden ausschließlich belastende Gesichtspunkte gewürdigt. Das lässt besorgen, dass zugunsten der Angeklagten sprechende Umstände (so etwa die ausgebliebene Vollendung der Tat) nicht gewichtet worden sein könnten.
Die Erwägungen lassen zudem - jedenfalls ganz überwiegend - erkennen, dass sich der Tatrichter „straferschwerend“ an Kriterien (Uneinsichtigkeit, zahlreiche Vorverfahren) orientiert hat, die bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts zu berücksichtigen gewesen wären. Soweit das Amtsgericht der Angeklagten dabei vorgeworfen hat, „in keiner Weise einsichtig“ gewesen zu sein, handelt es sich zudem um eine unzulässige Erwägung. Die Angeklagte hat ausweislich der Urteilsgründe in Abrede gestellt, Polizeibeamte (in Verletzungsabsicht) beworfen zu haben. Aus diesem erlaubten Verteidigungsverhalten durfte das Amtsgericht keine für sie nachteiligen Folgen herleiten.
Soweit schließlich (allein) mit der Erwägung, die Angeklagte habe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie das Bewerfen der Polizeibeamten auf der Demonstration missbillige, möglicherweise auf einen Erziehungsgesichtspunkt abgestellt wird, bleibt offen, auf welchem Wege sich der Tatrichter die Überzeugung von diesem Eindruck verschafft hat und ob die Feststellung auf einer tragfähigen Beweisgrundlage beruht. Der bestreitenden Einlassung der Angeklagten lässt sich ein Rückschluss auf ihre allgemeine Einstellung gerade nicht entnehmen.
Die Erwägungen des Amtsgerichts sind nach alledem in mehreren Beziehungen rechtsfehlerhaft. Anders als die Generalstaatsanwaltschaft vermag der Senat daher nicht auszuschließen, dass bei Zugrundelegung rechtsfehlerfreier Erwägungen die Rechtsfolgenentscheidung für die Angeklagte günstiger ausgefallen wäre, etwa indem die Anzahl der zu leistenden Sozialstunden niedriger bemessen worden wäre.
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(1) Ein Urteil, gegen das Berufung zulässig ist, kann statt mit Berufung mit Revision angefochten werden.
(2) Über die Revision entscheidet das Gericht, das zur Entscheidung berufen wäre, wenn die Revision nach durchgeführter Berufung eingelegt worden wäre.
(3) Legt gegen das Urteil ein Beteiligter Revision und ein anderer Berufung ein, so wird, solange die Berufung nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen ist, die rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form eingelegte Revision als Berufung behandelt. Die Revisionsanträge und deren Begründung sind gleichwohl in der vorgeschriebenen Form und Frist anzubringen und dem Gegner zuzustellen (§§ 344 bis 347). Gegen das Berufungsurteil ist Revision nach den allgemein geltenden Vorschriften zulässig.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.