Erbkrankheit: Muskelkrankheit Myotone Dystrophie Typ 1 ist eine schwerwiegende Erbkrankheit – PID im Einzelfall zulässig

erstmalig veröffentlicht: 06.01.2021, letzte Fassung: 19.10.2022

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID), bei einem genetisch mit Myotone Dystrophie Typ 1 vorbelasteten Paar, im Einzelfall erlaubt sein kann, und zwar dann, wenn für die Nachkommen dieses Paares das hohe Risiko besteht, diese Krankheit zu vererben.

Dirk Streifler – Streifler&Kollegen – Rechtanwälte Berlin

Bundesverwaltungsgericht: Myotone Dystrophie ist eine schwerwiegende Erbkrankheit

Die von der Klägerin beantragte Zustimmung für die Durchführung einer PID ist am 14. März 2016 von der Bayrischen Ethikkommission abgelehnt worden. Zur Begründung führte diese aus, dass eine PID nur vorgenommen werden dürfe, wenn das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit bestehe, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Klägerin selbst ist nicht von der Krankheit betroffen. Bei ihrem Partner liege eine genetische Disposition für die Muskelerkrankung Myotone Dystrophie Typ 1 vor. Diese Krankheit geht oft mit Muskelsteifheit und Muskelschwäche einher. Dabei ist insbesondere die Gesichtsmuskulatur, die Hals- und Nackenmuskulatur sowie die Muskulatur von Oberarmen und Schenkeln betroffen. Da die schwere kindliche Form der Krankheit zumeist von der Mutter vererbt werde, bestehe hierfür lediglich eine geringe Wahrscheinlichkeit.

Ansicht der Vorinstanzen: PID nur bei schwerwiegenden Erbkrankheiten

Der Bayrischer Verwaltungsgerichtshof nimmt an, eine PID sei nur bei Erbkrankheiten, welche mindestens den schweregrad einer Muskeldystrophie von Typ Duchene (DMD) aufweisen zulässig. DMD ist eine schwerwiegende Erbkrankheit, welche durch einen schnell voranschreitenden Muskelschwund gekennzeichnet ist und in den meisten Fällen im jungen Erwachsenenalter zum Tode führt.

Die Klagen vor dem Verwaltungsgericht München und vor dem Bayrischen Verwaltungsgericht blieben erfolglos, die erhoffte Zustimmung blieb aus. Anders entschieden die Richter des Bundesverwaltungsgerichts. Diese gaben der Revision der Klägerin statt und verpflichteten den Freistaat Bayern, den Antrag der Klägerin zuzustimmen. Das Risiko für die Nachkommen an einer schwerwiegenden Erbkrankheit zu erkranken, liegt vor. Die Ethikkommission habe keinen Beurteilungsspielraum, was das Vorliegen der Voraussetzungen betreffe.

Wann ist eine Erbkrankheit schwerwiegend?

Bei der Beurteilung, ob es sich bei der Erbkrankheit um eine schwerwiegende handle, seien mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Schwerwiegende Erbkrankheiten zeichnen sich grundsätzlich durch eine geringe Lebenserwartung, eine besondere Schwere des Krankheitsbildes oder eine schlechte Behandelbarkeit von anderen Krankheiten ab, vgl. § 3a ESchG.

Begründung des Bundesverwaltungsgerichts

Vorliegend sei jedoch nicht allein die vererbte Empfänglichkeit des Partners entscheidend, sondern vielmehr alle anderen Umstände, welche mit dieser genetischen Disposition in Zusammenhang stehen. So müsse berücksichtigt werden, dass das Paar bereits ein Kind hat, welches an dieser schweren Erbkrankheit leidet oder, dass der Partner der Klägerin selbst erkrankt ist. Die Wahrscheinlichkeit der Vererbbarkeit an die Nachkommen liege bei 50%.

Die Symptome der Menschen, die an Myotone Dystrophie leiden beginnen im frühen Erwachsenenalter, manchmal schon in der Jugend. Die Betroffenen erwartet eine erhebliche Beeinträchtigung in der Lebensgestaltung sowie eine geringe Lebenserwartung. Die mit der Krankheit einhergehenden Veränderungen betreffen nicht nur die Muskeln, sondern auch das Auge, das Herz, das Zentralnervensystem und den Hormonhaushalt. Obwohl der Typ 1 der Krankheit nicht so schwerwiegend verläuft wie DMD (siehe oben), sei hier von einer schwerwiegenden Erbkrankheit auszugehen. Die Ethikkommission müsse der Präimplantationsdiagnostik zustimmen.

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Gesetze

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1 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Embryonenschutzgesetz - ESchG | § 3a Präimplantationsdiagnostik; Verordnungsermächtigung


(1) Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht (Präimplantationsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Besteht auf Grund der genetischen Disposition

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Referenzen

(1) Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht (Präimplantationsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, oder von beiden für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik Zellen des Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit genetisch untersucht. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplantationsdiagnostik mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.

(3) Eine Präimplantationsdiagnostik nach Absatz 2 darf nur

1.
nach Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der von der Frau gewünschten genetischen Untersuchung von Zellen der Embryonen, wobei die Aufklärung vor der Einholung der Einwilligung zu erfolgen hat,
2.
nachdem eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission an den zugelassenen Zentren für Präimplantationsdiagnostik die Einhaltung der Voraussetzungen des Absatzes 2 geprüft und eine zustimmende Bewertung abgegeben hat und
3.
durch einen hierfür qualifizierten Arzt in für die Präimplantationsdiagnostik zugelassenen Zentren, die über die für die Durchführung der Maßnahmen der Präimplantationsdiagnostik notwendigen diagnostischen, medizinischen und technischen Möglichkeiten verfügen,
vorgenommen werden. Die im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen, einschließlich der von den Ethikkommissionen abgelehnten Fälle, werden von den zugelassenen Zentren an eine Zentralstelle in anonymisierter Form gemeldet und dort dokumentiert. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere
1.
zu der Anzahl und den Voraussetzungen für die Zulassung von Zentren, in denen die Präimplantationsdiagnostik durchgeführt werden darf, einschließlich der Qualifikation der dort tätigen Ärzte und der Dauer der Zulassung,
2.
zur Einrichtung, Zusammensetzung, Verfahrensweise und Finanzierung der Ethikkommissionen für Präimplantationsdiagnostik,
3.
zur Einrichtung und Ausgestaltung der Zentralstelle, der die Dokumentation von im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen obliegt,
4.
zu den Anforderungen an die Meldung von im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen an die Zentralstelle und den Anforderungen an die Dokumentation.

(4) Ordnungswidrig handelt, wer entgegen Absatz 3 Satz 1 eine Präimplantationsdiagnostik vornimmt. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.

(5) Kein Arzt ist verpflichtet, eine Maßnahme nach Absatz 2 durchzuführen oder an ihr mitzuwirken. Aus der Nichtmitwirkung darf kein Nachteil für den Betreffenden erwachsen.

(6) Die Bundesregierung erstellt alle vier Jahre einen Bericht über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik. Der Bericht enthält auf der Grundlage der zentralen Dokumentation und anonymisierter Daten die Zahl der jährlich durchgeführten Maßnahmen sowie eine wissenschaftliche Auswertung.