Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 12. Nov. 2014 - 3 S 1419/14

bei uns veröffentlicht am12.11.2014

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 4. Juni 2014 - 2 K 1597/13 - wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtliche Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Flst.Nr. ... (...) auf der Gemarkung der Beklagten, die Beigeladenen sind Eigentümer der Dachgeschosswohnung auf dem nach Süden angrenzenden, ebenfalls mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück Flst.Nr. ... (...). Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Insel - 1. Änderung“ der Beklagten, der die überbaubaren Grundstücksflächen auf den an die Ludwig-Trick-Straße grenzenden Grundstücken durch eine straßenseitige Baulinie und im Übrigen durch Baugrenzen bestimmt.
Auf Antrag der Beigeladenen genehmigte die Beklagte mit Bescheid vom 3.8.2012 den Anbau einer Aufzugsanlage an das auf dem Grundstück Flst.Nr. ... vorhandene Wohnhaus. Der Anbau soll an der südlichen, dem Wohnhaus der Klägerin zugewandten Außenwand errichtet werden, um die Wohnung der Beigeladenen von der Eingangsebene und der im Untergeschoss gelegenen Garage aus mit dem Aufzug erreichen zu können. Die gegen das Vorhaben erhobenen Einwendungen der Klägerin wurden von der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, der geplante Anbau überschreite die südliche Baugrenze mit einer Tiefe von 1,0 m auf einer Länge von 1,7 m nur geringfügig. Nach § 23 Abs. 3 BauNVO könne ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden. Die Aufzugsanlage mit einer Grundfläche von 1,7 m2 sei gegenüber dem Hauptgebäude untergeordnet und diene dem Wohnen. Die Überschreitung der Baugrenze werde deshalb zugelassen. Bauordnungsrechtliche Vorschriften seien nicht verletzt. Nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO müssten mit Vorbauten keine Abstandsflächen eingehalten werden, wenn sie nicht breiter als 5 m seien, nicht mehr als 1,5 m vorträten und von der Nachbargrenze mindestens 2 m entfernt blieben. Das sei hier der Fall.
Die von der Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 4.6.2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die geplante Aufzugsanlage verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften. Zwar überschreite die Anlage die im Bebauungsplan festgesetzte Baugrenze, der zu Gunsten der Klägerin nachbarschützende Wirkung zukomme. Die Beklagte habe dies jedoch nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO ohne Rechtsfehler zugelassen. Der geplante Anbau sei ein „Gebäudeteil“ im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, der in nur geringfügigem Maß die Baugrenze überschreite. Die Zulassung der Überschreitung der Baugrenze habe danach im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten gestanden. Die Beklagte habe dieses Ermessen ohne Fehler ausgeübt.
II.
Der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung.
1. Die südliche, dem Grundstück der Klägerin zugewandte Außenwand des auf dem Grundstück der Beigeladenen vorhandenen Wohnhauses reicht unmittelbar an die im Bebauungsplan der Beklagten festgesetzte Baugrenze. Mit dem geplanten, vor die Außenwand tretenden Anbau wird somit die Baugrenze auf eine Breite von 1,7 m um 1,0 m überschritten.
§ 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO knüpft an die Festsetzung einer Baugrenze die Rechtsfolge, dass „Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten“ dürfen. Nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO kann jedoch ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, steht diese Vorschrift nicht zur Disposition der Gemeinde. Dem Verwaltungsgericht ist auch insoweit zuzustimmen, als es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO bejaht hat. Der geplante Anbau an das bestehende Wohnhaus ist ein bloßer Gebäudeteil, der die Baugrenze nur in geringfügigem Ausmaß überschreitet.
a) § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO begründet eine in das Ermessen der Genehmigungsbehörde gestellte („quasi-gesetzliche“) Ausnahme, die als zwingende Folge mit der Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen verbunden ist (BVerwG, Beschl. v. 27.2.1992 - 4 C 43.87 - BVerwGE 90, 57 ). Die der Baurechtsbehörde insoweit eröffnete Möglichkeit zu der ausnahmsweisen Zulassung eines die in der Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllenden Vorhabens kann nicht durch eine Festsetzung im Bebauungsplan ausgeschlossen werden. Nach § 23 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 BauNVO können im Bebauungsplan lediglich weitere nach Art und Umfang bestimmte Ausnahmen vorgesehen werden. § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO steht also nicht zur Disposition der Gemeinde (Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 23 BauNVO Rn. 39; König in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Aufl., § 23 Rn. 23). Der von der Klägerin behauptete Wille der Beklagten, beim Erlass des hier anzuwendenden Bebauungsplans „möglichst strenge Regeln für die Bebaubarkeit“ zu treffen, vermag die Anwendung des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO somit nicht zu hindern.
b) Nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO kann nur eine Überschreitung der Baugrenze mit Gebäudeteilen, nicht aber mit dem Gebäude selbst zugelassen werden. Unter einem Gebäudeteil im Sinne dieser Vorschrift ist ein nur unwesentlicher Teil des Gebäudes zu verstehen. Eine Überschreitung der Baugrenze mit einem wesentlichen Gebäudeteil wird somit von § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO nicht gestattet. Beim Vortreten eines wesentlichen Gebäudeteils über die Baugrenze wird diese Grenze vielmehr zugleich mit dem Gebäude selbst überschritten (BVerwG, Urt. v. 20.6.1975 - IV C 5.74 - BauR 1975, 313; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.6.2007 - 8 S 967/07 - VBIBW 2007, 387).
Das auf dem Grundstück der Beigeladenen vorhandene Wohnhaus hat eine Grundfläche von ca. 150 m2, die dem Grundstück der Klägerin zugewandte südliche Außenwand des Wohnhauses eine Länge von 15 m. Der geplante, 1,7 m lange und 1,0 m breite Anbau ist danach trotz seiner Höhe von ca. 10,5 m (gemessen ab der Geländeoberfläche) als ein nur unwesentlicher Gebäudeteil zu qualifizieren. Die ihm zugedachte Nutzung ändert daran nichts. Wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bereits entschieden hat, sind Treppenhäuser von der Anwendung des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO nicht ausgenommen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.1.2005 - 8 S 3003/04 - VBIBW 2005, 312). Es spricht daher nichts dagegen, die Vorschrift auch auf den Anbau einer Aufzugsanlage anzuwenden, sofern er sich als ein nur unwesentlicher Gebäudeteil im Verhältnis zu dem Gesamtgebäude darstellt.
10 
c) Zur Beantwortung der Frage, ob der Überschreitung einer Baugrenze durch ein Gebäudeteil als nur geringfügig anzusehen ist, kann - wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist - auf die bauordnungsrechtliche Regelung des § 5 Abs. 6 LBO zurückgegriffen werden. Denn bei Gebäudeteilen, die den in dieser Vorschrift festgelegten Voraussetzungen entsprechen und deshalb bei der Bemessung der Abstandsfläche außer Betracht bleiben, kann zugleich angenommen werden, dass sie nur „in geringfügigem Ausmaß“ im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO „vortreten“ (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.1.2005, a.a.O.; Beschl. v. 3.6.1993 - 5 S 1029/93 - Juris; Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 23 BauNVO Rn. 41).
11 
Nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO bleiben Vorbauten wie Wände, Erker, Balkone, Tür- und Fenstervorbauten bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht, wenn sie nicht breiter als 5 m sind, nicht mehr als 1,5 m vortreten und von Nachbargrenzen mindestens 2 Meter entfernt bleiben. Der geplante Anbau hält sich im Rahmen dieser Vorschrift. Der Anbau tritt vor die eigentliche Außenwand und stellt damit sowohl im allgemeinen Wortsinn als auch im Sinne des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO einen „Vorbau“ dar. Der Umstand, dass der Anbau unter keinen der gesetzlich ausdrücklich genannten Gebäudeteile fällt, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers als Vorbauten im Sinne der Vorschrift anzusehen sind, steht dem nicht entgegen. Die in der Vorschrift enthaltene Aufzählung ist lediglich beispielhaft und daher nicht abschließend (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.1.2005, a.a.O.; Busch in: Schlotterbeck/von Arnim, LBO für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 5 Rn. 74).
12 
Die Qualifizierung des geplanten Anbaus als Vorbau im Sinne des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO wird ferner nicht dadurch gehindert, dass der Anbau die Firsthöhe des bestehenden Wohnhauses um nur ca. 1,4 m unterschreitet. Zwar zeichnen sich die in § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO beispielhaft aufgezählten Erker, Balkone, Tür- und Fenstervorbauten dadurch aus, dass sie sich nicht durchgehend über die ganze Gebäudehöhe erstrecken, sondern entweder oberhalb der Erdoberfläche beginnen und/oder unterhalb des Dachs enden. Der Gesetzgeber hat diese Aufzählung jedoch bereits 1995 durch den Begriff „Wände“ ergänzt und damit zum Ausdruck gebracht, dass Vorbauten sich auch über die gesamte Gebäudehöhe erstrecken können. Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs (LT-Drs. 11/5337, S 81) war es das erklärte Ziel der Ergänzung der Vorschrift, dies im Hinblick auf die damalige anderslautende Rechtsprechung klarzustellen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 4.7.2003 - 8 S 1251/03 - Juris; Beschl. v. 6.9.1996 - 5 S 2049/96 - VBlBW 1997, 144).
13 
Auch von seiner Größe hält sich der Anbau innerhalb des von § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO gezogenen Rahmens, da er lediglich 1,0 m vor die Außenwand des bestehenden Wohnhauses vortritt, nur 1,7 m breit ist und 2 m von der Grenze zum Grundstück der Klägerin entfernt bleibt.
14 
d) Das Verwaltungsgericht hat ferner zutreffend angenommen, dass sich die von der Beklagten ausgesprochene Zulassung auch als ermessensfehlerfrei erweist, da nicht ersichtlich ist, dass sie unzumutbare Beeinträchtigungen der Klägerin als Eigentümerin des südlich angrenzenden Grundstücks zur Folge hat. In der Begründung des Zulassungsantrags werden insoweit auch keine Gesichtspunkte angeführt, die eine andere Beurteilung rechtfertigten.
15 
2. Das Vorhaben der Beigeladenen verletzt auch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht nicht die Rechte der Klägerin. Ein Verstoß gegen § 5 LBO liegt, wie bereits ausgeführt nicht vor. § 39 Abs. 1 LBO betrifft ausschließlich bauliche Anlagen sowie andere Anlagen, die überwiegend von behinderten oder alten Menschen genutzt werden, nicht aber „normale“ Wohnhäuser. Die Vorschrift dient davon abgesehen allein öffentlichen Interessen und ist nicht zum Schutz des Nachbarn bestimmt.
16 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO übernommen haben.
17 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
18 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 162


(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. (2) Die Gebühren und Auslage

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 23 Überbaubare Grundstücksfläche


(1) Die überbaubaren Grundstücksflächen können durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden. § 16 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden. (2) Ist eine Baulinie festgesetzt, so muss auf dieser Linie gebaut wer

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(1) Die überbaubaren Grundstücksflächen können durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden. § 16 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden.

(2) Ist eine Baulinie festgesetzt, so muss auf dieser Linie gebaut werden. Ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Im Bebauungsplan können weitere nach Art und Umfang bestimmte Ausnahmen vorgesehen werden.

(3) Ist eine Baugrenze festgesetzt, so dürfen Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten. Ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

(4) Ist eine Bebauungstiefe festgesetzt, so gilt Absatz 3 entsprechend. Die Bebauungstiefe ist von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu ermitteln, sofern im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist.

(5) Wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, können auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 zugelassen werden. Das Gleiche gilt für bauliche Anlagen, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Die überbaubaren Grundstücksflächen können durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden. § 16 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden.

(2) Ist eine Baulinie festgesetzt, so muss auf dieser Linie gebaut werden. Ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Im Bebauungsplan können weitere nach Art und Umfang bestimmte Ausnahmen vorgesehen werden.

(3) Ist eine Baugrenze festgesetzt, so dürfen Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten. Ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

(4) Ist eine Bebauungstiefe festgesetzt, so gilt Absatz 3 entsprechend. Die Bebauungstiefe ist von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu ermitteln, sofern im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist.

(5) Wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, können auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 zugelassen werden. Das Gleiche gilt für bauliche Anlagen, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können.

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. März 2007 - 11 K 2546/07 - geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage - 11 K 3011/07 - gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. November 2006 und gegen den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 12. März 2007 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500.- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27.3.2007 sind zulässig (vgl. §§ 146, 147 VwGO) und begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6.11.2006 anzuordnen, zu Unrecht abgelehnt. Die angefochtene Baugenehmigung wird jedenfalls in der gegenwärtigen Fassung einer gerichtlichen Überprüfung voraussichtlich nicht standhalten, da sie gegen nachbarschützende Vorschriften zu Lasten der Antragsteller verstößt.
Die Baugenehmigung verstößt gegen die für das Baugrundstück geltende Festsetzung der nördlichen Baugrenze im Bebauungsplan „Größeweg - Strümpfelbacher Weg - Heilbronner Straße“, Neufestsetzung im Bereich „Karl-Friedrich-Goerdeler-Strasse“, Planbereich 04.14/3 vom 21.6.1990, weil das Vorhaben diese Baugrenze überschreitet. Denn gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO 1990 dürfen weder Gebäude noch Gebäudeteile eine festgesetzte Baugrenze überschreiten.
Dieser Rechtsverstoß verletzt die Antragsteller in ihren Rechten. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs kommt hinteren Baugrenzen regelmäßig nachbarschützende Wirkung zu (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10.5.2006 - 8 S 149/06 -, vom 2.6.2003 - 8 S 1098/03 -, VBlBW 2003, 470 und vom 27.12.1995 - 8 S 3002/95 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.2.2003 - 5 S 5/03 -). Der Senat sieht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall keine Veranlassung zu einer ausnahmsweise anderen Einschätzung, da es nach Aktenlage keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gibt, dass es dem Ortsgesetzgeber bei der Festsetzung der für das Baugrundstück geltenden hinteren Baugrenze ausschließlich um die Wahrung städtebaulicher Belange ging und nicht (zumindest auch) darum, die Nachbarn in ein gegenseitiges Verhältnis der Rücksichtnahme einzubinden. Dieser Nachbarschutz wirkt zu Gunsten der der Baugrenze gegenüberliegenden Nachbargrundstücke und damit auch - jedenfalls soweit es der Baugrenze „gegenüber“ liegt - zu Gunsten des Grundstücks der Antragsteller (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 1.2.1999 - 5 S 2507/96 -, PBauE § 23 BauNVO Nr. 8 = BRS 62, 445), so dass sich diese darauf berufen können. Um
Die Antragsteller sind auch nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert, die genannte Überschreitung der Baugrenze im Verhältnis zum Beigeladenen geltend zu machen. Der Senat folgt auch insoweit den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts.
Die Überschreitung der Baugrenze konnte - entgegen dem Rechtsstandpunkt der Antragsgegnerin - nicht gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO 1990 zugelassen werden. Nach dieser Vorschrift kann zwar ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden. Das Vorhaben des Beigeladenen tritt jedoch nicht lediglich mit einem Gebäude teil , sondern mit dem Gebäude selbst über die Baugrenze vor. Der Unterschied zwischen "Gebäude" und "Gebäudeteil" entspricht dabei der Differenzierung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Gebäudeteilen, so dass beim Vortreten eines unwesentlichen Gebäudeteiles lediglich dieser Gebäudeteil, beim Vortreten eines wesentlichen Gebäudeteiles dagegen zugleich das Gebäude selbst die Grenze überschreitet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.6.1975 - IV C 5.74 -, Buchholz 406.11 § 30 BBauG Nr. 11 = BauR 1975, 313 = DVBl 1975, 895). Vorliegend soll das Gebäude mit seiner um 1,20 m vorkragenden nördlichen Außenwand die Grenze überschreiten. Diese Außenwand ist ein wesentlicher Gebäudeteil, so dass das Gebäude selbst vor die Baugrenze vortritt (vgl. BVerwG a. a. O.). Auf die vom Verwaltungsgericht für entscheidungserheblich gehaltene Frage, bis zu welchem Maß ein Gebäudeteil „in geringfügigem Ausmaß“ vortritt, kommt es daher nicht an.
Um das Gebäude in seiner jetzigen Form genehmigen zu können, wäre daher eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlich. Eine dahingehende Entscheidung hat die Antragsgegnerin bisher nicht getroffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 4 GKG).

(1) Die überbaubaren Grundstücksflächen können durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden. § 16 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden.

(2) Ist eine Baulinie festgesetzt, so muss auf dieser Linie gebaut werden. Ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Im Bebauungsplan können weitere nach Art und Umfang bestimmte Ausnahmen vorgesehen werden.

(3) Ist eine Baugrenze festgesetzt, so dürfen Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten. Ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

(4) Ist eine Bebauungstiefe festgesetzt, so gilt Absatz 3 entsprechend. Die Bebauungstiefe ist von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu ermitteln, sofern im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist.

(5) Wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, können auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 zugelassen werden. Das Gleiche gilt für bauliche Anlagen, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 2004 - 13 K 4554/04 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die - zulässige - Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat mit eingehender und zutreffender Begründung den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11.11.2004 anzuordnen, abgelehnt, weil nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung die angefochtene Baugenehmigung keine nachbarschützenden Vorschriften zu Lasten der Antragstellerin verletzt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird deshalb auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die sich der Senat zu Eigen macht, verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen, das keine wesentlichen neuen Aspekte enthält und auf das die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gibt lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Erwägungen:
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts nicht ersichtlich ist. Dass das Vorhaben, soweit mit ihm zum Grundstück der Antragstellerin ein Abstand von 4,98 m eingehalten wird, die nach § 5 Abs. 7 LBO erforderlich Abstandsflächentiefe unterschreitet, behauptet die Antragstellerin selbst nicht. Allerdings ist sie - ohne nähere Begründung - der Auffassung, mit dem an dieser Seite des Gebäudes vorgesehenen Treppenhaus werde die gebotene Tiefe der Abstandsfläche nicht eingehalten. Dies trifft jedoch schon deshalb nicht zu, weil nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO Vorbauten bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht bleiben, wenn sie nicht breiter als fünf Meter sind, nicht mehr als 1,5 m vortreten und von Nachbargrundstücken mindestens 2 Meter entfernt bleiben. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Treppenhauses erfüllt. Insoweit handelt es sich um einen Vorbau im Sinne des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO, da das Treppenhaus aus dem Gebäude „auskragt“; die Aufzählung von Vorbauten in dieser Vorschrift ist lediglich beispielhaft und daher nicht abschließend (vgl. Schlotterbeck/von Arnim, LBO für Baden-Württemberg, 4. Aufl., § 5 RdNr. 68). Auch hält sich das Treppenhaus innerhalb des von § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO gezogenen Rahmens, da es lediglich 0,80 m vor die entsprechende Wand vortritt, nur 2,97 m breit ist und über 4 m von der Grundstücksgrenze der Antragstellerin entfernt bleibt.
Auch einen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint. Soweit die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung nach wie vor die Auffassung vertritt, die Festsetzungen des hier einschlägigen Bebauungsplans über die Grundflächen- und Geschossflächenzahl - insoweit hat die Antragsgegnerin eine Befreiung erteilt - sowie über die Zahl der Vollgeschosse seien nachbarschützend, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass derartige Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung - anders als die Festsetzung von Baugebieten (vgl. insoweit Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.09.1993, BVerwGE 94, 151 = PBauE § 1 Abs. 6 BauGB Nr. 28) - kraft Bundesrechts grundsätzlich nicht dem Schutz des Nachbarn dienen, sondern nur dann, wenn sich den Bebauungsplanunterlagen hinreichend deutlich der Wille der Gemeinde als Planungsträgerin entnehmen lässt, den Maßfestsetzungen diese Wirkung beizulegen (BVerwG, Beschluss vom 23.06.1995, BauR 1995, 823 = PBauE § 31 BauGB Nr. 11; Beschluss vom 19.10.1995, BauR 1996, 82 = PBauE § 30 BauGB Nr. 13). Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin derartige Planungsabsichten bei der Aufstellung des hier maßgeblichen Bebauungsplans verfolgte, werden in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt und sind darüber hinaus auch nicht ersichtlich. Was die Zahl der Vollgeschosse angeht - insoweit hat die Antragsgegnerin keine Befreiung erteilt - hat die Antragstellerin im Übrigen in keiner Weise dargelegt, dass und aus welchen Gründen die Auffassung der Antragsgegnerin, bei dem Untergeschoss handle es sich nicht um ein Vollgeschoss, weshalb die festgesetzte Zahl von zwei Vollgeschossen nicht überschritten sei, unzutreffend sein soll.
Nach § 31 Abs. 2 BauGB sind allerdings die nachbarlichen Belange auch bei der Befreiung von nicht nachbarschützenden Normen unter Beachtung des Gebots der Rücksichtnahme zu würdigen (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 06.10.1989, BVerwGE 82, 343). Zu Recht ist das Verwaltungsgericht aber davon ausgegangen, dass die von der Antragsgegnerin erteilte Befreiung von der festgesetzten Grundflächen- und Geschossflächenzahl nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte kann ein Nachbar, der sich gegen die Verwirklichung eines Bauvorhabens zur Wehr setzt, unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Grundstücks grundsätzlich keine Rücksichtnahme verlangen, die über den Schutz des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts hinausgeht, weil diese landesrechtlichen Grenzabstandsvorschriften ihrerseits eine Konkretisierung des Gebots nachbarlicher Rücksichtnahme darstellen (vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 06.12.1996, ZfBR 1997, 227 m.w.N.). Dies gilt aber nur „grundsätzlich“, d.h. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen möglich sein, da Bundesrecht nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers steht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 31.08.2000, BVerwGE 112, 41 = PBauE § 17 BauNVO Nr. 9 sowie VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.09.1999 - 3 S 1932/99 -, VBlBW 2000, 113, 114).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies folgendes: Mit dem Vorhaben der Beigeladenen werden die bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsflächen eingehalten, so dass das Gebot der Rücksichtnahme unter dem Blickwinkel einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände (etwa bei besonderen topografischen Verhältnissen), die geeignet sind, trotz Einhaltung des bauordnungsrechtlichen Grenzabstandes zu unzumutbaren Beeinträchtigungen des Nachbarn zu führen, verletzt sein könnte. Derartige Umstände lassen sich dem Beschwerdevorbringen jedoch nicht entnehmen.
Allerdings bezieht sich die Konkretisierung des Gebots der Rücksichtnahme durch die landesrechtlichen Grenzabstandsvorschriften nur auf die genannten Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung, was sich im Wesentlichen mit der Auffassung des Senats zur Schutzrichtung des Abstandsflächenrechts deckt (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 10.09.1998 - 8 S 2137/98 -, VBlBW 1999, 26). Dagegen erfährt das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme keine Konkretisierung oder gar Einschränkung durch das Abstandsflächenrecht des Landes, soweit nachbarliche Belange in Rede stehen, die von diesem nicht erfasst werden, wie etwa gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder die Gewährleistung eines störungsfreien Wohnens zur Wahrung des nachbarlichen Wohnfriedens (vgl. Senatsbeschluss vom 10.09.1998 a.a.O. und Senatsbeschluss vom 12.10.1004 - 8 S 1661/04 -, zur Veröffentlichung in VBlBW bestimmt). Dass der Antragstellerin unzumutbare Beeinträchtigungen dieser Art durch die Verwirklichung des Vorhabens der Beigeladenen drohen könnten, lässt sich jedoch ihrem Vorbringen ebenfalls nicht entnehmen.
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass die straßenseitige (vordere) Baugrenze, die nicht eingehalten und von der ebenfalls befreit worden ist, keine nachbarschützende Funktion zu Gunsten des seitlich an das Baugrundstück angrenzenden Nachbargrundstücks der Antragstellerin zukommt. Anhaltspunkte für eine nachbarschützende Wirkung von Baugrenzen werden sich regelmäßig hinsichtlich der seitlichen oder hinteren Baugrenzen zu Gunsten des an derselben Grundstücksseite liegenden Nachbarn ergeben. Denn zu dem an derselben Grundstücksseite liegenden Nachbarn wird ein nachbarrechtliches Austauschverhältnis begründet, das zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zur wechselseitigen Beachtung der festgesetzten Baugrenzen verpflichtet. Dies gilt aber nicht für eine vordere, straßenseitige Baugrenze. Dieser kommt lediglich die Funktion zu, die Anordnung der Gebäude zur Straße aus städtebaulichen Gründen zu gestalten. Einer vorderen, straßenseitigen Baugrenze kommt daher regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung zu (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.1992 - 5 S 1475/92 -, ESVGH 43, 81 = NVwZ-RR 1993, 347 sowie Beschluss vom 1.10.1999 - 5 S 2014/99 -, NVwZ-RR 2000, 348, 349).
Da das Vorhaben der Beigeladenen mit dem Erker zur Grünewaldstraße hin die dortige Baugrenze - relativ geringfügig - überschreitet, bedurfte es allerdings auch insoweit einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass auch der Eintritt unzumutbarer Beeinträchtigungen und damit ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot als Folge der insoweit von der Antragsgegnerin erteilten Befreiung angesichts des geringfügigen Maßes der Überschreitung und des erheblichen Abstandes des betreffenden Gebäudeteils zum Grundstück der Antragstellerin ohne Weiteres ausgeschlossen werden kann. Die Beschwerdebegründung enthält keine Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Mit dem Treppenhausanbau an der dem Grundstück der Antragstellerin zugewandten Seite wird die dortige Baugrenze überschritten. Diese seitliche Baugrenze hat auch nachbarschützende Wirkung zu Gunsten des Grundstücks der Antragstellerin, da zu dem an derselben Grundstücksseite liegenden Nachbarn grundsätzlich ein Austauschverhältnis begründet wird, das zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zur wechselseitigen Beachtung der festgesetzten Baugrenze verpflichtet (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.1992 a.a.O. und Beschluss vom 1.10.1999 a.a.O.). Die Antragsgegnerin hat die entsprechende Überschreitung aber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO zugelassen. Nach dieser Vorschrift kann ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen (hierzu gehören auch Treppenhäuser, vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 23 RdNr. 14) in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden. Die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „in geringfügigem Ausmaß“ entzieht sich einer generellen Festlegung; sie ist vielmehr jeweils bezogen auf die Größenordnung des Gebäudes zu bestimmen und daher relativ (vgl. Fickert/Fieseler a.a.O., § 23 RdNr. 13). Zur Bestimmung des Begriffs „in geringfügigem Ausmaß“ kann ferner unter Berücksichtigung des in § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO enthaltenen Rechtsgedankens auf die bauordnungsrechtliche Regelung des § 5 Abs. 6 LBO zurückgegriffen werden, d.h. bei Gebäudeteilen, die den in dieser Vorschrift festgelegten Voraussetzungen entsprechen und die deshalb bei der Bemessung der Abstandsfläche außer Betracht bleiben, kann zugleich auch angenommen werden, dass sie nur „in geringfügigem Ausmaß“ im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO „vortreten“ (so bereits bezüglich § 23 Abs. 2 Satz 2 BauNVO VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.06.1993 - 5 S 1029/93 -; ebenso Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 23 BauNVO RdNr. 49). Da - wie oben bereits ausgeführt - im Hinblick auf das Treppenhaus die Voraussetzungen des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO erfüllt sind, liegen somit auch die Voraussetzungen nach § 23 Abs. 3 Satz 2 LBO für eine Zulassung des „Vortretens“ des Treppenhauses „in geringfügigem Ausmaß“ vor. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass sich die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Zulassung auch als ermessensfehlerfrei erweist, da nicht ersichtlich ist, dass sie unzumutbare Beeinträchtigungen der Antragstellerin als Eigentümerin des östlich angrenzenden Nachbargrundstücks zur Folge haben könnte. Mit der Beschwerdebegründung werden auch insoweit keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
10 
Soweit die Antragstellerin rügt, das Verwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob die in § 31 Abs. 2 BauGB festgelegten Voraussetzungen für die erteilten Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans vorliegen, geht dies fehl. Zwar stellt eine Befreiung von nachbarschützenden Festsetzungen, die nicht durch die rechtlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB gedeckt ist, zugleich eine Verletzung von Rechten des Nachbarn dar (vgl. Dürr, Baurecht Baden-Württemberg, 11. Aufl., RdNr. 273). Hier sind aber lediglich Befreiungen von   n i c h t   nachbarschützenden Festsetzungen bezüglich der Geschossflächen- und Grundflächenzahl sowie der vorderen straßenseitigen Baugrenze erteilt worden (bezüglich des Treppenhauses erfolgte die Zulassung aufgrund von § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, insoweit handelte es sich nicht um eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB). In derartigen Fällen kommt - unabhängig davon, ob die rechtlichen Voraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB vorliegen - eine Verletzung von Nachbarrechten nur in Betracht, wenn bei Erteilung der Befreiung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen worden ist. An einem solchen Verstoß fehlt es hier aber gerade.
11 
Neben der Sache liegt schließlich der Einwand der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 56 Abs. 5 LBO nicht geprüft. Denn die Antragsgegnerin hat in der angefochtenen Baugenehmigung eine Befreiung von bauordnungsrechtlichen Vorschriften der LBO nach dieser Bestimmung gar nicht erteilt.
12 
Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Baugenehmigung zu Lasten der Antragstellerin gegen nachbarschützende Vorschriften verstößt. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie die Einnahme eines Augenscheins kam im vorliegenden summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem grundsätzlich aufgrund präsenter Beweismittel zu entscheiden ist, nicht in Betracht.
13 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
14 
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 47 Abs. 1 S. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.d.F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 05.05.2004 (BGBl. I S. 718 - GKG n.F. -; vgl. § 72 Nr. 1 GKG n.F.).
15 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG n.F.).

(1) Die überbaubaren Grundstücksflächen können durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden. § 16 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden.

(2) Ist eine Baulinie festgesetzt, so muss auf dieser Linie gebaut werden. Ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Im Bebauungsplan können weitere nach Art und Umfang bestimmte Ausnahmen vorgesehen werden.

(3) Ist eine Baugrenze festgesetzt, so dürfen Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten. Ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

(4) Ist eine Bebauungstiefe festgesetzt, so gilt Absatz 3 entsprechend. Die Bebauungstiefe ist von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu ermitteln, sofern im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist.

(5) Wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, können auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 zugelassen werden. Das Gleiche gilt für bauliche Anlagen, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.