Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 02. Nov. 2010 - 11 S 2079/10

bei uns veröffentlicht am02.11.2010

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 4. August 2010 - 12 K 4413/09 - geändert.

Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 21.09.2009 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.11.2009 nicht wirksam geworden sind.

Die Beklagte trägt die Kosten Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am … 1949 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er wurde am 13.11.1985 als Asylberechtigter anerkannt und erhielt in der Folgezeit Aufenthaltserlaubnisse. Nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anerkennung als Asylberechtigter mit Bescheid vom 23.01.1996 widerrufen hatte, widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.1999 die am 28.08.1996 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis und drohte die Abschiebung nach Polen an. Mit Verfügung vom 30.08.2002 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - den Kläger darüber hinaus aus. Am 11.10.2002 wurde er nach Polen abgeschoben. Nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union wurde die Ausweisung im Ausländerzentralregister gelöscht. Nach einer Mitteilung der LPD Stuttgart II vom 13.10.2004 hielt sich der Kläger wieder seit Januar 2004 in Stuttgart auf. In der Folgezeit beging der Kläger – wie auch schon früher – verschiedene Straftaten, die strafgerichtliche Verurteilungen nach sich zogen. Auch befand sich der Kläger mehrfach in stationärer Behandlung. Seit 18.04.2008 wohnte er im Männerwohnheim der Heilsarmee.
Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 21.09.2009 gemäß § 5 Abs. 5 FreizügG/EU den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU auf Einreise und Aufenthalt fest und erließ eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach Polen. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei nicht freizügigkeitsberechtigt, insbesondere halte er sich nicht fünf Jahre ständig rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er habe auch kein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, er lebe schon seit 20 Jahren in Deutschland. Zu Polen habe er keine Beziehung mehr; er habe dort keine Familie. Seine einzige Tochter habe in Belgien gelebt und sei dort ein Jahr zuvor gestorben. Er sei im Jahr 2007 von Jugendlichen absichtlich angezündet worden und sei nach wie vor traumatisiert. Er bedürfe der Betreuung in vollstationärer Langzeithilfe. Eine Abschiebung wäre eine besondere soziale Härte für ihn.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte es aus, der Kläger erfülle keine der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Er sei auch nicht aus anderen Gründen freizügigkeitsberechtigt. Ein Daueraufenthaltsrecht stehe ihm nicht zu. Es liege kein fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt seit seiner letzten Einreise 2004 vor.
Am 27.11.2009 erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart. Er berief sich darauf, nicht geschäfts- und handlungsfähig zu sein. Die angefochtenen Verfügungen seien ihm nicht wirksam zugestellt worden. Eine Ausreise sei nicht zumutbar. Infolge eines auf ihn verübten Brandanschlags sei er entstellt und habe große Probleme beim Sehen und Hören. Er habe sich nicht zwischendurch im Ausland aufgehalten; er habe durchgehend als Obdachloser in Deutschland gelebt. Die Beklagte sei für den Erlass des Bescheids vom 21.09.2009 im Übrigen nicht zuständig.
Mit Beschluss vom 03.05.2010 bestellte das Notariat Stuttgart - Betreuungsgericht - dem Kläger eine Betreuerin und bestimmte zu deren Aufgabenkreis u. a. die ausländerrechtlichen Angelegenheiten. Die Betreuerin erteilte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 15.05.2010 Prozessvollmacht.
Die Beklagte trat der Klage entgegen und machte geltend, die Verfügungen seien rechtmäßig zugestellt worden. Sie seien lange vor Bestellung der Betreuerin zugegangen. Für den Zeitpunkt der Zustellung sei von der Geschäftsfähigkeit des Klägers auszugehen.
Mit Urteil vom 04.08.2010 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Die Klage sei zulässig. Der Kläger sei zwar nicht prozessfähig. Denn er sei nach dem Inhalt des nervenärztlichen Gutachtens des Klinikums Stuttgart vom 16.04.2010 gemäß § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig. Der Kläger werde aber durch seine Betreuerin vertreten. Die Betreuerin habe die Vertretung des Klägers im vorliegenden Verfahren übernommen, indem sie dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Vollmacht erteilt habe. Ausländerrechtliche Angelegenheiten gehörten auch nach dem Beschluss des Notariats Stuttgart vom 03.05.2010 zum Aufgabenkreis der Betreuerin. Die Klage sei aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Die angefochtenen Bescheide seien dem Kläger wirksam zugestellt worden. Es sei allerdings davon auszugehen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Zustellung schon geschäftsunfähig gewesen sei. Dieses lasse sich aus dem Ärztlichen Attest des Klinikums Stuttgart vom 16.12.2009 und dem nervenärztlichen Gutachten des Klinikums Stuttgart vom 16.04.2010 schließen. Schon im Ärztlichen Attest vom 16.12.2009 werde ausgeführt, der Kläger leide an einer langjährigen Alkoholabhängigkeit und an erheblichen mnestischen und kognitiven Defiziten sowie Einschränkungen von Auffassung und Konzentration. Er könne seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen. Eine Verständigung über Sinn und Zweck einer Betreuung sei mit ihm nur bedingt möglich. Im nervenärztlichen Gutachten vom 16.04.2010 werde dies wiederholt und näher konkretisiert. Weiter werde dort ausgeführt, der Kläger befinde sich zum wiederholten Male in der Klinik. Allein im Jahr 2009 bis Januar 2010 sei es zu zehn stationären Aufenthalten im Zentrum für seelische Gesundheit gekommen. Der Kläger sei nicht orientiert, weder zeitlich und örtlich noch situativ. Kontakt im eigentlichen Sinne sei nicht herstellbar. In diagnostischer Hinsicht bestehe eine schwerste Alkoholabhängigkeit sowie ein Benzodiazepin- und Opiatmissbrauch. Nach dieser Darstellung müsse davon ausgegangen werden, dass beim Kläger keine plötzliche oder rapide Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten gewesen sei. Es handele sich vielmehr um eine allmähliche Verschlechterung, die schließlich zum Zustand der Geschäftsunfähigkeit geführt habe. Die unwirksame Bekanntgabe sei aber am 15.05.2010 mit Wirkung für die Zukunft wirksam geworden. Eine solche Heilung trete ein, wenn ein geschäftsunfähiger Empfänger später wieder geschäftsfähig werde und von dem Inhalt des ihm zugestellten Verwaltungsaktes Kenntnis nehme. Im vorliegenden Falle sei zwar der Kläger nicht geschäftsfähig geworden. Die Heilung sei aber dadurch eingetreten, dass die Betreuerin – vermittelt durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers – zum Zeitpunkt des Eintritts in das gerichtliche Verfahren durch Erteilung der Prozessvollmacht am 15.05.2010 Kenntnis von den angefochtenen Bescheiden erhalten habe. Die angefochtenen Bescheide seien auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Verlusts des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 5 Abs. 5 FreizügG/EU lägen vor.
Am 26.08.2010 hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese zugleich unter Stellung eines Antrags begründet.
10 
Zu Begründung stellt er zunächst eine Genehmigung der fehlerhaften Zustellung durch die Betreuerin infrage. Das angegriffene Urteil verkenne, dass der Kläger schon im Januar 2004 nach dem mit Polen geschlossenen MOE-Abkommen zum Aufenthalt berechtigt gewesen sei, weshalb er ein Daueraufenthaltsrecht erworben habe. Im Übrigen folge ein Daueraufenthaltsrecht aus der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Lassal. Jedenfalls sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil die erheblichen gesundheitlichen Defizite ebenso wenig berücksichtigt worden seien wie der Umstand, dass er im Bundesgebiet Opfer eines Brandanschlags geworden sei. Schließlich sei die Beklagte nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht zuständig.
11 
Der Kläger beantragt sinngemäß,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 04.08.20100 - 12 K 4413/10 - zu ändern und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 21.09.2009 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.11.2009 nicht wirksam geworden sind, hilfsweise die genannten Bescheide aufzuheben.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Grundsätzlich müsse davon ausgegangen werden, dass erwachsene Personen geschäftsfähig seien, weshalb der Kläger für eine bei der Zustellung bestehende Prozessunfähigkeit die Beweislast trage. Aus dem erst am 16.04.2010 erstellten Gutachten könne jedoch nicht geschlossen werden, dass bereits bei der Zustellung eine Geschäftsunfähigkeit vorgelegen habe. Im Übrigen hätten die Beklagte und das Regierungspräsidium bei der jeweiligen Bekanntgabe den erforderlichen Bekanntgabewillen gehabt. Zudem habe das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, weshalb der Kläger nicht freizügigkeitsberechtigt sei. Hierauf werde Bezug genommen.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird in erster Linie auf die Schriftsätze vom 24.08.2010, 29.09.2010, 15.10.2010 und 27.10.2010 Bezug genommen.
17 
Dem Senat lagen die Akten der Beklagten und die Widerspruchsakten vor.

Entscheidungsgründe

 
18 
Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
19 
Die zulässige, insbesondere unter Stellung eines Antrags rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache Erfolg.
20 
Auf den mittlerweile gestellten zulässigen Hauptantrag ist festzustellen (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO), dass die im Streit befindlichen Bescheide nicht wirksam zugestellt wurden, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Zustellung nicht geschäftsfähig und damit auch für das Verwaltungsverfahren nicht handlungsfähig im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG war.
21 
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Ärztlichen Attest des Klinikums Stuttgart vom 16.12.2009 sowie dessen nervenärztlichen Gutachtens vom 16.04.2010, das dann in der Folge am 05.05.2010 zur Bestellung der Betreuerin geführt hat. Zwar ist es richtig, dass die Zustellung der hier in Frage stehenden Bescheide vor dem 16.12.2009 erfolgt ist. Unübersehbar ist jedoch, dass es bereits im Attest vom 16.12.2009 ausdrücklich heißt, dass eine Verständigung über Sinn und Zweck einer Betreuung mit dem Kläger nur noch bedingt möglich ist, was im Zusammenhang mit den dort festgehaltenen Feststellungen und dem Gutachten vom 16.04.2010 nur den Schluss zulässt, dass der Kläger bereits damals geschäftsunfähig war. Denn wenn ein Betroffener nicht einmal mehr in der Lage ist, vollständig zu begreifen, was der Sinn und Zweck einer Betreuung sind, kann vernünftigerweise nicht mehr davon ausgegangen werden, dass dieser in der Lage ist, eigenverantwortlich seine Angelegenheiten zu regeln bzw. zu besorgen. Da nach Aktenlage der Zustand des Klägers auf einer langjährigen Entwicklung beruht und namentlich nach dem Attest vom 16.12.2009 keine Gesichtspunkte zu Tage getreten sind, wonach sich der Zustand gerade in den letzten 2 bis 3 Monaten vor dem 16.12.2009 erheblich verschlechtert haben könnte, muss mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen werden, dass die Handlungsunfähigkeit auch bereits am 21.09.2009 vorgelegen hat.
22 
Die beiden Zustellungen an den Kläger persönlich sind damit unwirksam, weshalb die Bescheide keine Wirksamkeit erlangt haben.
23 
Dieser Mangel wurde auch nicht nach § 9 LVwZG bzw. § 8 BVwZG geheilt. Zwar hat in der Folgezeit die Betreuerin des Klägers die Bescheide tatsächlich erhalten und von ihnen Kenntnis genommen. Dieser Umstand ist jedoch in der hier zu beurteilenden Verfahrenskonstellation nicht hinreichend. Zwar kann der rechtliche Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, wonach eine wegen Geschäftsunfähigkeit unwirksame Zustellung nachträglich geheilt wird, wenn der Empfänger später nach wieder hergestellter Geschäftsfähigkeit Besitz und Kenntnis von dem Bescheid erlangt, nicht infrage gestellt werden (vgl. etwa BVerwG, B.v. 11.02.1994 – 2 B 173.93 – NJW 1994, 2633).
24 
Darum geht es hier jedoch nicht. Die Beklagte wie auch das Regierungspräsidium hatten nämlich zu keinem Zeitpunkt der Betreuerin gegenüber den erforderlichen Bekanntgabewillen. Dieser muss nicht nur die Bekanntgabe an sich umfassen, sondern insbesondere auch auf eine näher konkretisierte Person bezogen sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 08.03.2005 - 1 S 254/05 - NuR 2006, 440; U.Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 41 Rdn. 51 und 53; GK-AsylVfG § 12 Rdn. 34 f.). Im vorliegenden Fall konnte zum Zeitpunkt der Zustellung ein auf die Betreuerin bezogener Bekanntgabewille schon deshalb nicht vorliegen, weil sie damals noch gar nicht bestellt war.
25 
Die Betreuerin hat in der Folge auch keine Genehmigung erteilt, die grundsätzlich auch den unzureichenden Bekanntgabewillen heilen kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 08.03.2005 - 1 S 254/05 - NuR 2006, 440; GK-AsylVfG § 12 Rdn. 36). Während des Klageverfahrens wurde vielmehr (namentlich auch nach dem 05.05.2010) durchgängig die Handlungsunfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Zustellung und damit deren Unwirksamkeit geltend gemacht. Dann jedoch muss eine - auch konkludente - Genehmigung ausscheiden, weil dieses unvereinbar mit dem zentralen Klagevorbringen wäre.
26 
Lediglich der Vollständigkeit halber weist des Senat noch darauf hin, dass die Verfügung auch in der Sache keinen Bestand haben könnte und zwar - ungeachtet möglicher Ermessendefizite - schon deshalb, weil die Beklagte nicht für den Erlass zuständig war. Der Senat hat mit (nicht rechtskräftigem) Urteil vom 14.09.2010 - 11 S 1415/10 - (juris) ausgeführt, dass eine durch das Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU mangels sachlicher Zuständigkeit formell rechtswidrig ist. Er hat ausgeführt, dass die dort zur Festlegung der Zuständigkeit herangezogene Bestimmung des § 6 Abs. 3 AAZuVO Baden-Württemberg vom 02.12.2008 (GBl. S. 465) mangels gesetzlicher Ermächtigung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg nichtig ist und eine Ermächtigungsgrundlage sich insbesondere nicht aus § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ergibt, weil § 11 FreizügG/EU die Anwendbarkeit des § 71 Abs. 1 AufenthG für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen sperrt.
27 
Eine sachliche Zuständigkeit der Beklagten als unterer Ausländerbehörde für die hier in Frage stehende Feststellung nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU besteht aber vor dem Hintergrund des Urteils des Senats vom 14.09.2010 (a.a.O.) gleichfalls nicht und kann ebenfalls nicht aus § 71 Abs. 1 AufenthG abgeleitet werden, denn diese Bestimmung ist nach der speziellen und abschließenden Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht anwendbar. § 11 Abs. 2 FreizügG/EU verweist auf die Anwendbarkeit des Aufenthaltsgesetzes erst nach Abschluss des Verfahrens um die Verlustfeststellung.
28 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).
29 
Beschluss vom 2. November 2010
30 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
31 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
18 
Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
19 
Die zulässige, insbesondere unter Stellung eines Antrags rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache Erfolg.
20 
Auf den mittlerweile gestellten zulässigen Hauptantrag ist festzustellen (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO), dass die im Streit befindlichen Bescheide nicht wirksam zugestellt wurden, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Zustellung nicht geschäftsfähig und damit auch für das Verwaltungsverfahren nicht handlungsfähig im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG war.
21 
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Ärztlichen Attest des Klinikums Stuttgart vom 16.12.2009 sowie dessen nervenärztlichen Gutachtens vom 16.04.2010, das dann in der Folge am 05.05.2010 zur Bestellung der Betreuerin geführt hat. Zwar ist es richtig, dass die Zustellung der hier in Frage stehenden Bescheide vor dem 16.12.2009 erfolgt ist. Unübersehbar ist jedoch, dass es bereits im Attest vom 16.12.2009 ausdrücklich heißt, dass eine Verständigung über Sinn und Zweck einer Betreuung mit dem Kläger nur noch bedingt möglich ist, was im Zusammenhang mit den dort festgehaltenen Feststellungen und dem Gutachten vom 16.04.2010 nur den Schluss zulässt, dass der Kläger bereits damals geschäftsunfähig war. Denn wenn ein Betroffener nicht einmal mehr in der Lage ist, vollständig zu begreifen, was der Sinn und Zweck einer Betreuung sind, kann vernünftigerweise nicht mehr davon ausgegangen werden, dass dieser in der Lage ist, eigenverantwortlich seine Angelegenheiten zu regeln bzw. zu besorgen. Da nach Aktenlage der Zustand des Klägers auf einer langjährigen Entwicklung beruht und namentlich nach dem Attest vom 16.12.2009 keine Gesichtspunkte zu Tage getreten sind, wonach sich der Zustand gerade in den letzten 2 bis 3 Monaten vor dem 16.12.2009 erheblich verschlechtert haben könnte, muss mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen werden, dass die Handlungsunfähigkeit auch bereits am 21.09.2009 vorgelegen hat.
22 
Die beiden Zustellungen an den Kläger persönlich sind damit unwirksam, weshalb die Bescheide keine Wirksamkeit erlangt haben.
23 
Dieser Mangel wurde auch nicht nach § 9 LVwZG bzw. § 8 BVwZG geheilt. Zwar hat in der Folgezeit die Betreuerin des Klägers die Bescheide tatsächlich erhalten und von ihnen Kenntnis genommen. Dieser Umstand ist jedoch in der hier zu beurteilenden Verfahrenskonstellation nicht hinreichend. Zwar kann der rechtliche Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, wonach eine wegen Geschäftsunfähigkeit unwirksame Zustellung nachträglich geheilt wird, wenn der Empfänger später nach wieder hergestellter Geschäftsfähigkeit Besitz und Kenntnis von dem Bescheid erlangt, nicht infrage gestellt werden (vgl. etwa BVerwG, B.v. 11.02.1994 – 2 B 173.93 – NJW 1994, 2633).
24 
Darum geht es hier jedoch nicht. Die Beklagte wie auch das Regierungspräsidium hatten nämlich zu keinem Zeitpunkt der Betreuerin gegenüber den erforderlichen Bekanntgabewillen. Dieser muss nicht nur die Bekanntgabe an sich umfassen, sondern insbesondere auch auf eine näher konkretisierte Person bezogen sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 08.03.2005 - 1 S 254/05 - NuR 2006, 440; U.Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 41 Rdn. 51 und 53; GK-AsylVfG § 12 Rdn. 34 f.). Im vorliegenden Fall konnte zum Zeitpunkt der Zustellung ein auf die Betreuerin bezogener Bekanntgabewille schon deshalb nicht vorliegen, weil sie damals noch gar nicht bestellt war.
25 
Die Betreuerin hat in der Folge auch keine Genehmigung erteilt, die grundsätzlich auch den unzureichenden Bekanntgabewillen heilen kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 08.03.2005 - 1 S 254/05 - NuR 2006, 440; GK-AsylVfG § 12 Rdn. 36). Während des Klageverfahrens wurde vielmehr (namentlich auch nach dem 05.05.2010) durchgängig die Handlungsunfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Zustellung und damit deren Unwirksamkeit geltend gemacht. Dann jedoch muss eine - auch konkludente - Genehmigung ausscheiden, weil dieses unvereinbar mit dem zentralen Klagevorbringen wäre.
26 
Lediglich der Vollständigkeit halber weist des Senat noch darauf hin, dass die Verfügung auch in der Sache keinen Bestand haben könnte und zwar - ungeachtet möglicher Ermessendefizite - schon deshalb, weil die Beklagte nicht für den Erlass zuständig war. Der Senat hat mit (nicht rechtskräftigem) Urteil vom 14.09.2010 - 11 S 1415/10 - (juris) ausgeführt, dass eine durch das Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU mangels sachlicher Zuständigkeit formell rechtswidrig ist. Er hat ausgeführt, dass die dort zur Festlegung der Zuständigkeit herangezogene Bestimmung des § 6 Abs. 3 AAZuVO Baden-Württemberg vom 02.12.2008 (GBl. S. 465) mangels gesetzlicher Ermächtigung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg nichtig ist und eine Ermächtigungsgrundlage sich insbesondere nicht aus § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ergibt, weil § 11 FreizügG/EU die Anwendbarkeit des § 71 Abs. 1 AufenthG für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen sperrt.
27 
Eine sachliche Zuständigkeit der Beklagten als unterer Ausländerbehörde für die hier in Frage stehende Feststellung nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU besteht aber vor dem Hintergrund des Urteils des Senats vom 14.09.2010 (a.a.O.) gleichfalls nicht und kann ebenfalls nicht aus § 71 Abs. 1 AufenthG abgeleitet werden, denn diese Bestimmung ist nach der speziellen und abschließenden Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht anwendbar. § 11 Abs. 2 FreizügG/EU verweist auf die Anwendbarkeit des Aufenthaltsgesetzes erst nach Abschluss des Verfahrens um die Verlustfeststellung.
28 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).
29 
Beschluss vom 2. November 2010
30 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
31 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 08. März 2005 - 1 S 254/05

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Gründe   1  Bei Würdigung des Vorbringens des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) ist der Senat anders als das Verwaltungsgericht der Auffassung, dass dem Antragsteller der begehrte vorläufige Recht
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 02. Nov. 2010 - 11 S 2079/10.

Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 24. Apr. 2014 - W 4 K 14.319

bei uns veröffentlicht am 24.04.2014

Tenor I. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt U... gewährt. II. Die Antragstellerin hat die Kosten der Prozessführung in monatlichen Raten von 409,00 EUR aufzubringen. Gründe

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Geschäftsunfähig ist:

1.
wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,
2.
wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

Gründe

 
Bei Würdigung des Vorbringens des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) ist der Senat anders als das Verwaltungsgericht der Auffassung, dass dem Antragsteller der begehrte vorläufige Rechtsschutz nur zu einem geringen Teil gewährt werden kann.
Allerdings hat das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbegehren jedenfalls im Ergebnis in sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) zu Recht als einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO behandelt.
Voraussetzung der Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist grundsätzlich das Vorliegen eines Verwaltungsaktes; diese Frage kann demnach auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht offen gelassen werden (vgl. nur VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.8.1987 - 8 S 1001/87 -, VBlBW 1988, 146). Ausnahmslos gilt dies aber nur für die rechtliche Einordnung einer Maßnahme als Verwaltungsakt i. S. v. § 35 Abs. 1 VwVfG. Anders verhält es sich indessen bei der Frage, ob eine Maßnahme, die - wie hier die streitige Verfügung - ohne weiteres die Merkmale eines Verwaltungsaktes erfüllt, ordnungsgemäß bekannt gegeben und folglich rechtlich existent geworden ist. Behauptet der Antragsteller, dass die Bekanntgabe fehlgeschlagen ist, sind oft Tatsachenfragen aufgeworfen, die sich mit den beschränkten Erkenntnismöglichkeiten eines gerichtlichen Eilverfahrens nicht klären lassen. Im Interesse des Gebots effektiven Rechtsschutzes, das der dienenden Funktion des Verwaltungsprozessrechts Rechnung trägt, ist vor-läufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren, auch wenn nach dem Vortrag des Antragstellers ein Nicht-Verwaltungsakt vorliegt; mit dieser verfahrensrechtlichen Einordnung kann auch weiteres Vorbringen, das sich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bezieht, ohne prozessuale Schwierigkeiten geprüft werden (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 20.8.1980 - IX R 3/80 -, ESVGH 34, 144 <145 f.>; P. Stelkens/U. Stelkens in: Stelkens u.a. , VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 41 Rn. 28a; a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7.12.1990 - 10 S 2466/90 -, NVwZ 1991, 1195 f.).
Im Rahmen der bei § 80 Abs. 5 VwGO geforderten Abwägung der gegenläufigen Interessen überwiegt das Interesse des Antragstellers, vor der endgültigen Klärung der Rechtslage vom Vollzug der angefochtenen Verfügung verschont zu bleiben, nur hinsichtlich der Zahnbehandlung der Stute „Vireusina“ das gegenläufige öffentliche, nach § 80 Abs. 3 VwGO ordnungsgemäß begründete Interesse an der baldigen Verwirklichung einer beanstandungsfreien Tierhaltung. Dem stehen die vom Verwaltungsgericht - vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit wiederholt diagnostizierten psychischen Erkrankungen des Antragstellers und auf Wahnvorstellungen hindeutenden Äußerungen in seinen Schriftsätzen - zutreffend aufgezeigten Zweifel an der passiven Handlungsfähigkeit des Antragstellers (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG) im Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung nicht entgegen.
Die Frage, ob der Antragsteller damals von seinen geistigen Fähigkeiten her in der Lage war, jedenfalls die den Rechtskreis der Pferdehaltung betreffenden Angelegenheiten eigenverantwortlich zu erledigen, ist nicht infolge der Bestellung eines Prozesspflegers rechtlich unerheblich geworden; denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kenntnisnahme der tier-schutzrechtlichen Anordnung durch den Antragsteller jedenfalls damit als erfolgt gilt und der Verwaltungsakt existent geworden ist.
Nach der Rechtsprechung liegt eine wirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsakts auch dann vor, wenn und sobald der - im Zeitpunkt des Zugangs geschäfts- und handlungsunfähig gewesene - Empfänger später wieder geschäfts- und handlungsfähig wird und in diesem Zustand von dem Verwaltungsakt Kenntnis hat oder erhält (BVerwG, Beschluss vom 11.2.1994 - 2 B 173.93 -, NJW 1994, 2633 <2634> m.w.N.). Anders ist aber die Situation zu beurteilen, wenn später ein gesetzlicher Vertreter bestellt wird; dessen bloße Kenntnisnahme von dem an den Handlungsunfähigen gerichteten Schreiben reicht aus Gründen der Verfahrensklarheit nicht aus (vgl. BayVGH, Urteil vom 25.10.1983 - 11 B 83 A. 496 -, NJW 1984, 2845; P. Stelkens/U. Stelkens, a.a.O., § 41 Rn. 30a, 56a). Hier kommt nur die Genehmigung der gegenüber dem Handlungsunfähigen erfolgten Bekanntgabe in Betracht. Der Prozesspfleger des Antragstellers hat die von ihm erteilte Genehmigung jedoch auf die Erhebung des Widerspruchs sowie die Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO beschränkt. Der Zulässigkeit dieses Vorgehens steht die in der Rechtsprechung einhellig vertretene Auffassung nicht entgegen, wonach sich die Genehmigung fehlerhafter Prozesshandlungen nicht auf einzelne Teilhandlungen in dem Verfahren beschränken darf, sondern die gesamte Prozessführung umfassen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.4.1978 - II C 5.74 -, Buchholz 237.2 § 79 LBG Berlin Nr. 2; BGH, Beschluss vom 19.7.1984 - X ZB 20/83 -, BGHZ 92, 137 <140 f.>). Denn im vorliegenden Fall geht es um die Unterscheidung zwischen dem Bescheid als Auslöser des Rechtsstreits und dem nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren. Insoweit muss auch dem Handlungsunfähigen die Möglichkeit eröffnet werden, die daraus folgende Unwirksamkeit des Verwaltungsakts geltend zu machen. Hier kann letztlich nichts anderes gelten als in sonstigen Fällen von Bekanntgabefehlern, die der Adressat vor Gericht nur bei „rügeloser Einlassung“ nicht geltend machen kann (vgl. P. Stelkens/U. Stelkens, a.a.O., § 41 Rn. 31).
Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann die Frage, ob der Antragsteller partiell geschäfts- und handlungsunfähig war, nicht abschließend geklärt werden. Daraus folgt aber nicht, dass der Antragsgegner sich so behandeln lassen müsste, als sei die angefochtene Verfügung als Grundlage für die beabsichtigte Vollstreckung nicht existent.
 
Die Frage nach den Rechtsfolgen von Zweifeln an der Wirksamkeit eines Verwaltungsakts lässt sich nicht einheitlich beantworten; vielmehr ist hier maßgeblich auch darauf abzustellen, welche Seite hinsichtlich der geltend gemachten Umstände, die zu einer fehlerhaften Bekanntgabe geführt haben sollen, materiell beweisbelastet ist. Beruft sich der Adressat einer belastenden Verfügung auf seine Handlungsunfähigkeit, liegt die Beweislast - anders als bei der Frage des Zugangs des Bescheids (siehe § 4 Abs. 1 2. Hs. VwZG; § 41 Abs. 2 2. Hs. VwVfG, vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluss vom 20.8.1980 - IX R 3/80 -, ESVGH 34, 144 <146>) - nicht bei der Behörde, sondern beim Empfänger, der einen Ausnahmetatbestand für sich in Anspruch nimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.2.1994 - 2 B 173.93 -, NJW 1994, 2633 f. m.w.N.). In dieser Situation ist dem Gericht bei der Interessenabwägung eine Berücksichtigung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nicht verwehrt. Die Unsicherheit über dessen rechtliche Existenz ist dann ein Gesichtspunkt unter mehreren, der bei der gerichtlichen Entscheidung in Rechnung zu stellen ist; ihm kommt um so größere Bedeutung zu, je schwerwiegender und endgültiger die mit dem Verwaltungsakt verbundene Belastung für den Adressaten ist.
Hiernach kommt dem Umstand, dass die rechtliche Existenz der Verfügung wegen des geltend gemachten Bekanntgabefehlers durchaus fraglich erscheint, keine allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn dem Antragsteller werden in der angefochtenen Verfügung lediglich für eine ordnungsgemäße Tierhaltung selbstverständliche Maßnahmen abverlangt. Schwerwiegende Auswirkungen auf seine Rechtspositionen sind damit - auch in finanzieller Hinsicht - nicht verbunden.
10 
Auf der Grundlage dieser Erwägungen stützt der Senat seine Interessenabwägung maßgeblich auf die Bewertung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung. Hierbei ist der Senat ebenso wie bereits das Verwaltungsgericht der Auffassung, dass die angeordneten Maßnahmen - mit Ausnahme einer Zahnbehandlung für die Stute „Vireusina“ - von Rechts wegen nicht zu beanstanden sind; der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Der Vortrag des Antragstellers gibt keinen Anlass für eine abweichende Bewertung; insbesondere hat er bislang nicht belegt, dass er die - jedenfalls teilweise wohl auch von ihm als erforderlich erachteten - Maßnahmen mittlerweile entsprechend seiner Ankündigung auch tatsächlich fachgerecht hat durchführen lassen.
 
11 
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs gegen die - von Gesetzes wegen sofort vollziehbare (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 12 LVwVG) - Zwangsgeldandrohung kommt - wiederum mit Ausnahme des auf eine Zahnbehandlung für die Stute „Vireusina“ bezogenen Zwangsgeldes - gleichfalls nicht in Betracht. Denn es ist nicht ersichtlich, dass das Vollstreckungsmittel des Zwangsgeldes hier untunlich ist. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsteller in so desolaten finanziellen Verhältnissen lebt, dass ein Zwangsgeld als Beugemittel von vornherein seinen Zweck verfehlen könnte. Dagegen spricht schon der Umstand, dass der Antragsteller sieben Pferde hält. Soweit er vorbringt, dass ihm bei Verhängung von Zwangsgeldern Mittel entzogen würden, die er für die Versorgung der Pferde benötige, verfängt dies nicht; denn diese Folge kann er schon dadurch vermeiden, dass er den Tieren die seitens sachkundiger Stellen für erforderlich erachtete medizinische Versorgung zukommen lässt.
12 
Im Hinblick auf die zwischenzeitlich abgelaufene Frist zur Erfüllung der Anordnung gibt der Senat zu bedenken, dass eine Zwangsgeldfestsetzung erst für den Fall des Nichtbefolgens der Anordnung nach Verstreichen eines angemessenen Zeitraums nach Zustellung dieses Beschlusses in Betracht kommen dürfte.
13 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
14 
Die Änderung und Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 63 Abs. 3 GKG. Dabei orientiert sich die Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa den Beschluss vom 27.3.2003 - 1 S 235/03 - m.w.N.) an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (nunmehr Fassung Juli 2004, Nr. 35.2, abgedruckt in NVwZ 2004, 1327), der bei Klageverfahren um eine gegen einen Tierhalter getroffene Anordnung die Festsetzung des Auffangstreitwerts gemäß § 52 Abs. 2 GKG vorsieht; im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist dieser Wert zu halbieren. Die Zwangsgeldandrohung ist nach der ständigen Praxis des erkennenden Gerichtshofs (vgl. nur Beschluss vom 12.4.2002 - 14 S 315/02 m.w.N.; siehe auch Hess. VGH , Beschluss vom 23.9.1999 - 8 TE 860/93 -, ESVGH 50, 54 <55 f.> mit Nachweisen auch zur Gegenansicht) mit einem Viertel des Gesamtbetrags in die Berechnung des Streitwerts einzustellen.
15 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31. Mai 2010 - 3 K 4155/08 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Verlustes seines Freizügigkeitsrechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland sowie die Androhung seiner Abschiebung nach Italien.
Der am … 1954 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er wuchs in Italien auf und reiste im Juni 1972 als so genannter „Gastarbeiter“ in das Bundesgebiet ein. Seit Oktober 1975 war er bis zu seiner Inhaftierung im Oktober 2004 durchgehend bei demselben Arbeitgeber als Maschinenführer im Schichtdienst tätig und arbeitete nebenher als Aushilfe in einem Gartenbaubetrieb. Seit dem 23.03.1987 ist er im Besitz einer unbefristeten „Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG“. Am 17.12.1992 heiratete er die deutsche Staatsangehörige S., mit der er zwei 1993 und 1995 geborene Töchter hat.
Im Jahre 2000 begann S., sich gegen den Willen des Klägers kommunalpolitisch zu engagieren und kam hierdurch in Kontakt mit dem Vorsitzenden ihres Ortsverbandes und stellvertretenden Bürgermeister H. P. der Wohngemeinde. Der Kläger beschuldigte seine Frau, mit H. P. ein Verhältnis zu haben. Nach den Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts ... vom 15.07.2005 entstand zwischen den Eheleuten bis Ende 2002 eine eskalierende Konfliktsituation. Der Kläger habe sich in seiner familiären Existenz bedroht und in seiner Ehre als bestimmendes Oberhaupt der Familie herabgewürdigt gefühlt. In Folge stellte er nicht nur seiner Frau nach, gegenüber der er auch gewalttätig wurde und die im Dezember 2002 mit den Töchtern aus dem gemeinsamen Haus auszog, sondern auch dem vermeintlichen Liebhaber H. P. und dessen Familie. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 11.06.2003 - 1 Cs 24 Js 9980/03 - wurde der Kläger, nachdem er seine Frau bedroht und gewürgt hatte, wegen Körperverletzung, Nötigung sowie Bedrohung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt. Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 15.01.2004 - 1 Ds 24 Js 33090/03 - wurde er, nachdem er seiner Frau am Telefon mitgeteilt hatte, er werde sie, den H. P. und sich selbst erschießen, wenn er sie und H. P. noch einmal gemeinsam auf dem Marktplatz sehe, wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt.
Am 15.10.2004 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen und mit dem seit 08.02.2006 rechtskräftigen Urteil des Landgerichts ... vom 15.07.2005 - KLs 200 Js 37697/04 - wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die er derzeit in der JVA ... verbüßt. Zwei Drittel der Strafe werden am 14.06.2011 abgelaufen sein; das Strafzeitende ist auf den 14.10.2014 festgelegt. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass der Kläger im Laufe des Frühsommers 2004 den locker mit ihm befreundeten D. Q. beauftragte, dafür Sorge zu tragen, dass dem H. P. „eine Abreibung verpasst“ werde. Als Entlohnung hatte der Kläger dem D. Q. 600 EUR übergeben. In der Folgezeit vereinbarte D. Q. mit seinem 1988 geborenen Sohn J. Q., dass dieser mit ein paar Freunden Anfang September 2004 dem H. P. auflauern und ihm die verabredete Abreibung verpassen solle, indem mittels eines Teleskopschlagstockes beide Knie zertrümmert werden. Weil H. P. nicht erschien, wurde die Tat nicht ausgeführt. Daraufhin forderte der Kläger den D. Q. am 14.10.2004 auf, gemeinsam mit seinem Sohn den Auftrag nun endlich zu erledigen, den H. P. noch am Abend nach eine Parteiversammlung im Hof seines Anwesens abzupassen und mit einer Schusswaffe in beide Knie zu schießen. Als H. P. gegen 23.15 Uhr nach Hause kam, gab J. Q. vermummt mit einer Sturmhaube aus ca. 6 m Entfernung einen Schuss auf das rechte Knie des Opfers ab, welcher knapp danebenging. H. P. flüchtete an das Ende des Hofes. J. Q. folgte ihm und schoss aus einer Entfernung von maximal 1,5 m mehrfach hintereinander in die Dunkelheit auf den Oberkörper des H. P.; zwei der Schüsse drangen in den Brustbereich ein, ein Schuss war tödlich.
Die Ehe des Klägers wurde am 11.01.2005 geschieden. Infolge einer Verzichtserklärung des Klägers liegt das alleinige Sorgerecht für die Töchter bei seiner geschiedenen Ehefrau. Da sich diese mit den Töchtern in einem Zeugenschutzprogramm befinden, d.h. dem Kläger deren Adresse nicht mitgeteilt wird, hat er seit Jahren keinen persönlichen Kontakt mehr zu ihnen. Das zu Beginn der Ehe erworbene Familieneigenheim musste zwischenzeitlich verkauft werden; mit seinem Erlösanteil bezahlte der Kläger die Strafverteidigung.
Nach vorheriger Anhörung stellte das Regierungspräsidium Karlsruhe mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 09.12.2008 gegenüber dem Kläger den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland fest und zog die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht ein (Nr. 1). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Italien, frühestens einen Monat nach Unanfechtbarkeit der Verlustfeststellung, angedroht (Nr. 2). Für den Fall der Haftentlassung wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen (Nr. 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen einer Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU seien gegeben. Da der Kläger rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von über fünf Jahren verurteilt worden ist, lägen auch die aufgrund seines über 10-jährigen Aufenthalts in Deutschland gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erforderlichen zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit vor. Der Kläger habe massive kriminelle Energie gezeigt und sei offenbar nicht tateinsichtig, sodass die Wahrscheinlichkeit eines wiederholten Gewaltdelikts bestehe. Insbesondere der Schutz der Öffentlichkeit vor schwerer Kriminalität sei ein Grundinteresse der Gesellschaft. Auch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK stünden der Verlustfeststellung und Abschiebung nach Italien nicht entgegen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 16.12.2008 zugestellt.
Am 23.12.2008 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und sich zur Begründung vor allem auf seinen 36-jährigen Aufenthalt in Deutschland berufen. Mit Italien verbinde ihn, abgesehen von seltenen familiären Kontakten, praktisch nichts mehr. Bis zu den Ehekonflikten mit seiner Frau sei er jahrzehntelang ein rechtschaffender Bürger gewesen, habe immer gearbeitet, eine Familie begründet, ein Eigenheim erworben und keinerlei Straftaten begangen. In der JVA habe er zudem sein Deutsch weiter verbessert und nehme an Behandlungsprogrammen, dem Bibelworkshop und Freizeitangeboten teil. Nach Einschätzung der Anstaltstherapeuten seien seine Hauptprobleme auch nicht Aggressionen, sondern Ängste und Minderwertigkeitskomplexe. Es treffe nicht zu, dass er das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht respektiere und vor schweren Rechtsverstößen nicht zurückschrecke. Auch wenn die abgeurteilte Anstiftung nicht einer impulsiven und spontanen Enthemmung entsprungen sei, sei sie nicht Ausdruck einer allgemeinen kriminellen, die Rechtsordnung verachtenden Einstellung gewesen. Aufgrund des spezifischen Zusammenhangs der Straftaten mit den Ehekonflikten könne nicht davon ausgegangen werden, dass er grundsätzlich in Konfliktsituationen die Kontrolle verliere und andere Personen verletze. Es bestehe keine tatsächliche und hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass erneute Straftaten begangen würden; dies beurteile die JVA-Sozialinspektorin A. ebenso. Der Kläger halte weiterhin regelmäßigen Kontakt zu deutschen Bekannten, was seine Verwurzelung illustriere. Dass ihn sein Bruder aus Italien besucht habe, lasse nicht darauf schließen, dass er von diesem bei einer Rückkehr nach Italien Hilfe bei der Wiedereingliederung bekommen könnte. Sein Bruder habe eine eigene Familie und versorge zudem die weit über 80-jährige bei ihm wohnende Mutter, die schwer herzkrank sei.
Mit Urteil vom 31.05.2010 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 09.12.2008 aufgehoben. Ob der Bescheid schon deshalb rechtswidrig sei, weil das Regierungspräsidium wegen Nichtigkeit der Zuständigkeitsregelung in § 6 Abs. 3 AAZuVO unzuständig gewesen sei, könne offen bleiben. Der angefochtene Bescheid sei jedenfalls materiell rechtswidrig. Im Lichte von Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG sei der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ in § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU eng auszulegen; er umfasse nur die innere und äußere Sicherheit des Mitgliedstaats, nicht aber auch schwere kriminelle Taten, die sich vornehmlich gegen Individualrechtsgüter richten. Da der Kläger unter keinen Umständen als eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für den Bestand des Staates und seiner Institutionen oder das Überleben der Bevölkerung angesehen werden könne, genieße er weiterhin unionsrechtliche Freizügigkeit im Bundesgebiet. Die Berufung gegen das am 10.06.2010 zugestellte Urteil wurde zugelassen.
Das beklagte Land hat hiergegen am 14.06.2010 Berufung eingelegt und diese am 21.07.2010 begründet. Es ist der Auffassung, die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO sei gültig, weil § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG das Land zu ihrem Erlass ermächtigt habe. Denn § 71 Abs. 1 AufenthG könne als „Gesetz“ im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und das FreizügG/EU als „anderes Gesetz“ im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eingestuft werden. Materiell-rechtlich umfasse der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ in § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU auch die Strafrechtsordnung, wie Generalanwalt Bot am 08.06.2010 (Rs. C-145/09) überzeugend ausgeführt habe. Von dem Kläger ginge im Übrigen weiterhin eine erhebliche Gefahr aus, was schon daraus deutlich werde, dass seine geschiedene Frau und die beiden Töchter weiterhin im Zeugenschutzprogramm seien. Der Kläger habe zudem bisher keine Sozialtherapie erfolgreich abgeschlossen. Die andere Gefährdungseinschätzung durch die JVA-Sozialinspektorin A. sei nicht hinreichend nachvollziehbar.
10 
Der Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 31.05.2010 - 3 K 4155/08 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er betont erneut, dass es sich um Beziehungstaten in einer sehr speziellen Lebenssituation gehandelt habe und er weder jemals zuvor entsprechend straffällig geworden sei noch nach seiner Haftentlassung erneut Straftaten begehen werde. Nach nunmehr bald vierzig Jahren Aufenthalt in Deutschland könne man ihn nicht einfach nach Italien abschieben. Er habe seine Strafe vielfältig bekommen. Seine Unrechtseinsicht werde grundlos in Abrede gestellt.
15 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts vor. Hierauf wird wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ungeachtet des EuGH-Vorlageverfahrens Tsakouridis (Rs. C-145/09) die insbesondere vom beklagten Land im Hinblick auf die Ausführungen im Senatsurteil vom 22.03.2010 - 11 S 1626/08 (InfAuslR 2010, 281) - zeitnah für klärungsbedürftig erachtete Frage der Gültigkeit von § 6 Abs. 3 AAZuVO ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 09.12.2008 zu Recht aufgehoben. Dieser Bescheid ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, U. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297) jedenfalls formell rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18 
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtswidrig. Er wurde vom Regierungspräsidium Karlsruhe ohne sachliche Zuständigkeit erlassen. Denn der für die Zuständigkeit in Anspruch genommene § 6 Abs. 3 der Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Asylverfahrensgesetz und dem Flüchtlingsaufnahmegesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer vom 02.12.2008 (GBl. 2008, S. 465; Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO) ist mangels gesetzlicher Ermächtigung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV) nichtig. § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG scheidet als Ermächtigungsgrundlage für § 6 Abs. 3 AAZuVO aus (hierzu 1.). Andere tragfähige Ermächtigungsgrundlagen sind in der AAZuVO weder angegeben noch sonst erkennbar (hierzu 2.) Eine Heilung oder Unbeachtlichkeit des Mangels der sachlichen Zuständigkeit kommt nicht in Betracht (hierzu 3.).
19 
1. § 6 Abs. 3 AAZuVO entbehrt mangels gesetzlicher Ermächtigung der Rechtsgültigkeit und Rechtswirksamkeit; diese Zuständigkeitsregelung ist nichtig. Nach § 6 Abs. 3 AAZuVO sind die Regierungspräsidien bei Unionsbürgern, Staatsangehörigen der EWR-Staaten oder deren Familienangehörigen zuständig für - wie im vorliegenden Fall im Streit stehende - Maßnahmen und Entscheidungen nach § 6 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950, 1986 - FreizügG/EU), geändert durch Art. 2 des (Richtlinienumsetzungs-)Gesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970). Als Rechtsverordnung bedarf § 6 Abs. 3 AAZuVO der Ermächtigung durch ein Parlamentsgesetz, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt (Art. 61 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LV). Nach der rechtsstaatlichen Schutzbestimmung des Zitiergebots in Art. 61 Abs. 1 Satz 3 LV ist in der Verordnung zudem die Rechtsgrundlage anzugeben. Fehlt es an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage oder ist diese nicht in der Rechtsverordnung zitiert, hat dies die Nichtigkeit zur Folge (einhellige Meinung, vgl. Feuchte, Verfassung des Landes Bad.-Württ., 1987, Art. 61 Rn. 10 m.w.N.; ausführlich zum Verstoß gegen das Zitiergebot: VGH Bad.-Württ., B. v. 05.07.1985 - 1 S 390/85 - VBlBW 1985, 385).
20 
§ 6 Abs. 3 AAZuVO fehlt es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Sinne von Art. 61 Abs. 1 LV; der von dem Beklagten hierzu benannte und unter Nr. 5 der Einleitungsformel der AAZuVO zitierte § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann diese Zuständigkeitsregelung nicht tragen. Nach der generellen Zuständigkeitsregelung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind die Ausländerbehörden zuständig für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz sowie nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen. Gemäß Satz 2 der Norm kann die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG könnte die Zuständigkeitskonzentration für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf die vier baden-württembergischen Regierungspräsidien mithin der Sache nach durchaus abdecken, selbst wenn hier nicht (wie z.B. in § 15 a Abs. 4 Satz 5 AufenthG) von der Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung die Rede ist.
21 
§ 71 Abs. 1 AufenthG ist jedoch nach der speziellen Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht anwendbar. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU finden auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen entsprechende Anwendung - enumerativ und ausschließlich - § 3 Abs. 2, § 11 Abs. 2, die §§ 13, 14 Abs. 2, die §§ 36, 44 Abs. 4, § 46 Abs. 2, § 50 Abs. 3 bis 7, §§ 69, 73, 74 Abs. 2, § 77 Abs. 1, die §§ 80, 82 Abs. 5, die §§ 85 bis 88, 90, 91, 95 Abs. 1 Nr. 4 und 8, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4, die §§ 96, 97, 98 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2a, 3 Nr. 3, Abs. 4 und 5 sowie § 99 des Aufenthaltsgesetzes. Die Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU stellt die Schnittstelle des Freizügigkeitsgesetzes zum Aufenthaltsgesetz dar und muss im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufentG gesehen werden. Danach findet das Aufenthaltsgesetz keine Anwendung auf Ausländer, deren Rechtsstellung durch das Freizügigkeitsgesetz geregelt ist, soweit nicht - wie etwa in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU - durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Entsprechend dem Verfassungsziel der Verwirklichung eines vereinten Europas (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), dem Verfassungsgrundsatz der Europafreundlichkeit und des Selbstverständnisses der Union als Rechtsgemeinschaft (BVerfG, B. v. 06.07.2010 - 2 BvR 2661/06 - Rn. 53/59 ) sowie dem Grundsatz, dass die Union ihren Bürgerinnen und Bürgern Freizügigkeit (heute: Art. 45 Abs. 1 GRCh, Art. 21 Abs. 1 AEUV) sowie einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen bietet, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist (heute: Art. 3 Abs. 2 EUV-Liss.), sowie im Lichte der mit Anwendungsvorrang ausgestatteten Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dort die Art. 6 ff.), deren Daueraufenthaltsrecht das Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und zum sozialen Zusammenhalt beitragen soll (17. Erwägungsgrund; BVerwG, B. v. 13.07.2010 - 1 C 15.09 - Rn. 26) und deren größtmögliche praktische Wirksamkeit im Sinne des europarechtlichen „effet utile“ die Mitgliedstaaten garantieren müssen, ist das Freizügigkeitsgesetz/EU als ein die Unionsbürger privilegierendes Spezialaufenthaltsrecht zu interpretieren. Dementsprechend ist die spezifische Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU als grundsätzlich abschließend zu begreifen. Für Unionsbürger soll eben nicht das allgemeine Ausländerrecht gelten; der Gesetzgeber spricht deshalb in der Gesetzesbegründung ausdrücklich vom „Grundsatz, dass Unionsbürger und ihre Angehörigen weitestgehend aus dem Geltungsbereich des allgemeinen Ausländerrechts herausgenommen werden“ (BT-Drs. 15/420, S. 106). In § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht genannte Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes sind mithin zum einen insbesondere nur nach Maßgabe der Meistbegünstigungsklausel in Satz 5 der Norm anwendbar, wonach das Aufenthaltsgesetz im Übrigen Anwendung findet, „wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU“, so dass es nicht zu einer nach Unionsrecht unzulässigen Schlechterstellung der Unionsbürger gegenüber sonstigen Ausländern kommen kann (so die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/420, S. 106). Zum anderen findet das AufenthG nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU ausdrücklich erst dann Anwendung, wenn das Nichtbestehen oder der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU behördlich festgestellt worden ist. Auch dadurch wird im Umkehrschluss der abschließende Charakter der Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU deutlich; Unionsbürger sollen erst und nur dann dem allgemeinen Ausländerrecht unterfallen, wenn sie über kein europarechtliches Freizügigkeitsrecht (mehr) verfügen. Maßnahmen und Entscheidungen bis zur bzw. über die Verlustfeststellung hingegen können grundsätzlich nicht auf der Basis des Aufenthaltsgesetzes erlassen werden. Da in § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auch auf Verfahrensnormen (z.B. §§ 73, 77 Abs. 1 AufenthG) und sogar eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen (§ 99 AufenthG) verwiesen wird, kann es kein Redaktionsversehen sein, dass auf die Zuständigkeitsnorm des § 71 Abs. 1 AufenthG gerade nicht verwiesen wurde. Der Bund wollte den Ländern offenbar nicht die Vorgabe machen, für die Verwaltung von Angelegenheiten der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen zwingend die Ausländerbehörden einschalten zu müssen. Der abschließende Charakter des § 11 FreizügG/EU ergibt sich mithin aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte, der Systematik des deutschen Aufenthaltsrechts, aus Sinn und Zweck der Norm sowie vor allem ihrem europarechtlichen Kontext (im Ergebnis ebenso: Hailbronner, AuslR, 10/2007, § 11 FreizügG/EU Rn. 1 f.; Harms in Storr/Wenger u.a., ZuwG, § 11 FreizügG/EU Rn. 2 ff.; Epe in GK-AufenthG 11/2006, § 11 FreizügG/EU Rn. 3; Hoppe in HTK-AuslR, 2/2005, § 11 FreizügG/EU zu Abs. 1; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 11 FreizügG/EU Rn. 2; Hofmann in HK-AuslR, § 11 FreizügG/EU Rn. 4). Der die Konzeption des ausländerrechtlichen Sonderstatus der Unionsbürger nicht hinreichend beachtende Ansatz des Beklagten, § 71 Abs. 1 AufenthG als „Gesetz“ im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und das FreizügG/EU als „anderes Gesetz“ im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einzustufen, überzeugt nach alledem nicht. Ebenso wenig kann vor diesem Hintergrund aus dem Umstand, dass in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU von der „Ausländerbehörde“ die Rede ist, auf eine generelle Anwendbarkeit von § 71 Abs. 1 AufenthG auch für Unionsbürger oder jedenfalls für die Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung geschlossen werden. Und selbst wenn § 11 Abs. 2 FreizügG/EU als bundesrechtliche Zuständigkeitsbestimmung dahingehend zu lesen wäre, dass die Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung zwingend von der Ausländerbehörde zu erlassen ist, kann hierin jedenfalls keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von § 6 Abs. 3 AAZuVO erkannt werden, ganz unabhängig davon, dass § 11 Abs. 2 FreizügG/EU in der Einleitungsformel der AAZuVO auch nicht zitiert wird.
22 
2. Andere tragfähige Ermächtigungsgrundlagen für die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO sind in der AAZuVO selbst nicht angegeben; sie werden vom beklagten Land nicht behauptet und sind auch sonst nicht erkennbar. Die in der Einleitungsformel der AAZuVO weiter zitierten § 4 Abs. 2 LVwVG (Nr. 2), § 15 a Abs. 1 Satz 5 und Abs. 3 Satz 4 AufenthG i.V.m. § 46 Abs. 5 AsylVfG (Nr. 3), § 15 a Abs. 4 Satz 5 und 6 AufenthG (Nr. 4), § 2 Abs. 5 FlüAG (Nr. 6) sowie § 22 Abs. 2 Satz 1, § 46 Abs. 5 und § 88 Abs. 3 AsylVfG (Nr. 7) scheiden aufgrund ihrer anderen sachlichen Anwendungsbereiche offenkundig aus. Der unter Nr. 1 zitierte § 12 Abs. 1 Satz 2 des Landesverwaltungsgesetzes i.d.F. vom 03.02.2005 (GBl. S. 159 - LVG a.F.), wonach einem Regierungspräsidium Aufgaben auch in anderen Regierungsbezirken zugewiesen werden können, betrifft bei einer an sich bestehenden Zuständigkeit der Regierungspräsidien nur den Fall der Konzentration auf ein einziges Regierungspräsidium. Auf § 12 Abs. 1 Satz 1 LVG a.F., wonach die Regierungspräsidien zuständig sind für die ihnen (…) „durch Gesetz, Rechtsverordnung oder eine Anordnung nach § 5 Abs. 3 und 4 (LVG a.F.) zugewiesenen Aufgaben“, wird in der Einleitungsformel der AAZuVO nicht verwiesen; diese Norm enthielte im Übrigen wohl auch keine eigenständige und originäre Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung. Der in der Einleitungsformel unter Nr. 1 zitierte § 5 Abs. 4 LVG a.F., wonach bestimmte Aufgaben nachgeordneter Verwaltungsbehörden auf andere nachgeordnete Behörden übertragen werden können, passt hier ebenso wenig wie § 5 Abs. 3 LVG a.F., wonach die Ministerien ermächtigt sind, eigene bestimmte Aufgaben nachgeordneten Behörden zu übertragen. Denn das bezüglich der am 02.12.2008 erlassenen AAZuVO anwendbare, bis 31.12.2008 gültig gewesene Landesverwaltungsgesetz a.F. unterschied in § 12 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 und § 18 sowie in § 30 zwischen Gesetz, Rechtsverordnung und „Anordnungen“ („nach § 5 Abs. 3 und 4“), d.h. Verwaltungsvorschriften. Da das Gesetz an anderer Stelle ausdrücklich zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigte (vgl. etwa §§ 5 a Abs. 3, 13 Abs. 2, 16 Abs. 2, 25 a Abs. 1, 25 a Abs. 2 Satz 1 LVG a.F. - ebenso die Neufassung in § 4 Abs. 1 LVG 2009), konnte dies bei „Anordnungen nach § 5 Abs. 3 und 4“ nicht gemeint sein. § 5 LVG a.F. kann jedenfalls die unionsbürgerrechtliche Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO nicht tragen.
23 
3. Eine Heilung (§ 45 LVwVfG) oder Unbeachtlichkeit (§ 46 LVwVfG) des Mangels der sachlichen Zuständigkeit kommt generell nicht in Betracht (ganz h.M., vgl. VGH Bad.-Württ., U. v. 17.06.2003 - 1 S 2025/01 - VBlBW 2004, 213; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., § 45 Rn. 10 m.w.N.). Die Verlustfeststellung ist mithin formell rechtswidrig angeordnet worden, so dass es auf die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit - und insbesondere den Ausgang des Vorlageverfahrens Tsakouridis auch zur Auslegung des Begriffs der „öffentlichen Sicherheit“ gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG (vgl. EuGH, Schlussantrag Bot v. 08.06.2010, Rs. C-145/09) - nicht mehr ankommt.
24 
Dieser Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung verletzt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten, denn es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass hier abweichend von allgemeinen Grundsätzen die Zuständigkeitsregeln nicht auch dem Schutz des Betroffenen dienen (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.1996 - 1 C 19.94 - InfAuslR 1997, 239), insbesondere, weil es bei der Verlustfeststellung um eine in Freiheitsrechte eingreifende Ermessensentscheidung geht (Harms in Storr/Wenger u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 10). Vor diesem Hintergrund kommt auch die weitere Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 AAZuVO für eine Übergangszeit nicht in Betracht (vgl. die Ausnahme zur Leistungsverwaltung im Beihilferecht in BVerwG, U. v. 28.05.2008 - 2 C 1.07 - NVwZ 2008, 1380).
25 
4. Mangels spezieller bundes- oder landesrechtlicher Zuständigkeitsregelung greift damit der Grundsatz, dass das materielle Unionsrecht nach den Regeln des nationalen Rechts vollzogen wird (stRspr, vgl. EuGH, U. v. 21.09.1983, Rs. C-205/82 - Slg. 1983, S. 2633 ; BVerwG, B. v. 26.02.2010 - 3 B 4.10 - juris Rn. 6). Für die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU war im Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. § 5 Abs. 2 LVG a.F.) und ist heute gemäß Art. 83, 84 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 LVG 2009 i.V.m. Art. 1 III. der Bekanntmachung der Landesregierung über die Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Ministerien vom 24.07.2001 (GBl. S. 590) das Innenministerium zuständig. Da das Unionsbürgerrecht nicht aus der Perspektive der Gefahrenabwehr, sondern von dem Grundgedanken des „Europas der - freizügigkeitsberechtigten - Bürger“ her vollzogen werden muss (vgl. Art. 2 EUV-Liss., Art. 20 AEUV), ist die Anwendung der Zuständigkeitsregeln des Polizeirechts, insbesondere § 66 Abs. 2 PolG, ausgeschlossen (hierzu: Storr/Wenger, ZuwG, § 71 AufenthG Rn. 4, m.w.N.; Thym, Migrationsverwaltungsrecht, 2010, S. 211 ff.). Eine an die Gefahrenabwehr anknüpfende Ausgestaltung des aufenthaltsrechtlichen Status des Unionsbürgers wäre mit dem Geist des EU-Vertrags nicht in Einklang zu bringen (ausführlich: Bast, Aufenthaltsrechtliche Steuerung der Migration, i.E., Kap. 2 B.).
26 
Dem Innenministerium ist es selbstredend unbenommen, die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO, besser: gemeinsam mit der Landesregierung die gesamte AAZuVO (ggf. wortgleich) auch auf der voraussichtlich hierfür nunmehr tragfähigen gesetzlichen Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Alt. 1 LVG 2009 erneut zu erlassen. Allein das nachträgliche Inkrafttreten des neuen Landesverwaltungsgesetzes am 01.01.2009 (GBl. 2008, S. 313) kann § 6 Abs. 3 AAZuVO hingegen nicht heilen, weil im Zeitpunkt der Ausfertigung einer Norm die Kompetenz zu ihrem Erlass in Geltung gestanden haben muss (BVerfG, U. v. 26.07.1972 - 2 BvF 1/71 - BVerfGE 34, 9 <21, 24>; BVerwG, U. v. 29.04.2010 - 2 C 77/08 - juris Rn. 20).
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
28 
Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die zwischen den Beteiligten umstrittene und entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob § 11 FreizügG/EU die Anwendbarkeit von § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sperrt, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig.
29 
Beschluss vom 14. September 2010
30 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
16 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ungeachtet des EuGH-Vorlageverfahrens Tsakouridis (Rs. C-145/09) die insbesondere vom beklagten Land im Hinblick auf die Ausführungen im Senatsurteil vom 22.03.2010 - 11 S 1626/08 (InfAuslR 2010, 281) - zeitnah für klärungsbedürftig erachtete Frage der Gültigkeit von § 6 Abs. 3 AAZuVO ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 09.12.2008 zu Recht aufgehoben. Dieser Bescheid ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, U. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297) jedenfalls formell rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18 
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtswidrig. Er wurde vom Regierungspräsidium Karlsruhe ohne sachliche Zuständigkeit erlassen. Denn der für die Zuständigkeit in Anspruch genommene § 6 Abs. 3 der Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Asylverfahrensgesetz und dem Flüchtlingsaufnahmegesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer vom 02.12.2008 (GBl. 2008, S. 465; Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO) ist mangels gesetzlicher Ermächtigung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV) nichtig. § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG scheidet als Ermächtigungsgrundlage für § 6 Abs. 3 AAZuVO aus (hierzu 1.). Andere tragfähige Ermächtigungsgrundlagen sind in der AAZuVO weder angegeben noch sonst erkennbar (hierzu 2.) Eine Heilung oder Unbeachtlichkeit des Mangels der sachlichen Zuständigkeit kommt nicht in Betracht (hierzu 3.).
19 
1. § 6 Abs. 3 AAZuVO entbehrt mangels gesetzlicher Ermächtigung der Rechtsgültigkeit und Rechtswirksamkeit; diese Zuständigkeitsregelung ist nichtig. Nach § 6 Abs. 3 AAZuVO sind die Regierungspräsidien bei Unionsbürgern, Staatsangehörigen der EWR-Staaten oder deren Familienangehörigen zuständig für - wie im vorliegenden Fall im Streit stehende - Maßnahmen und Entscheidungen nach § 6 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950, 1986 - FreizügG/EU), geändert durch Art. 2 des (Richtlinienumsetzungs-)Gesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970). Als Rechtsverordnung bedarf § 6 Abs. 3 AAZuVO der Ermächtigung durch ein Parlamentsgesetz, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt (Art. 61 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LV). Nach der rechtsstaatlichen Schutzbestimmung des Zitiergebots in Art. 61 Abs. 1 Satz 3 LV ist in der Verordnung zudem die Rechtsgrundlage anzugeben. Fehlt es an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage oder ist diese nicht in der Rechtsverordnung zitiert, hat dies die Nichtigkeit zur Folge (einhellige Meinung, vgl. Feuchte, Verfassung des Landes Bad.-Württ., 1987, Art. 61 Rn. 10 m.w.N.; ausführlich zum Verstoß gegen das Zitiergebot: VGH Bad.-Württ., B. v. 05.07.1985 - 1 S 390/85 - VBlBW 1985, 385).
20 
§ 6 Abs. 3 AAZuVO fehlt es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Sinne von Art. 61 Abs. 1 LV; der von dem Beklagten hierzu benannte und unter Nr. 5 der Einleitungsformel der AAZuVO zitierte § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann diese Zuständigkeitsregelung nicht tragen. Nach der generellen Zuständigkeitsregelung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind die Ausländerbehörden zuständig für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz sowie nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen. Gemäß Satz 2 der Norm kann die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG könnte die Zuständigkeitskonzentration für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf die vier baden-württembergischen Regierungspräsidien mithin der Sache nach durchaus abdecken, selbst wenn hier nicht (wie z.B. in § 15 a Abs. 4 Satz 5 AufenthG) von der Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung die Rede ist.
21 
§ 71 Abs. 1 AufenthG ist jedoch nach der speziellen Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht anwendbar. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU finden auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen entsprechende Anwendung - enumerativ und ausschließlich - § 3 Abs. 2, § 11 Abs. 2, die §§ 13, 14 Abs. 2, die §§ 36, 44 Abs. 4, § 46 Abs. 2, § 50 Abs. 3 bis 7, §§ 69, 73, 74 Abs. 2, § 77 Abs. 1, die §§ 80, 82 Abs. 5, die §§ 85 bis 88, 90, 91, 95 Abs. 1 Nr. 4 und 8, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4, die §§ 96, 97, 98 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2a, 3 Nr. 3, Abs. 4 und 5 sowie § 99 des Aufenthaltsgesetzes. Die Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU stellt die Schnittstelle des Freizügigkeitsgesetzes zum Aufenthaltsgesetz dar und muss im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufentG gesehen werden. Danach findet das Aufenthaltsgesetz keine Anwendung auf Ausländer, deren Rechtsstellung durch das Freizügigkeitsgesetz geregelt ist, soweit nicht - wie etwa in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU - durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Entsprechend dem Verfassungsziel der Verwirklichung eines vereinten Europas (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), dem Verfassungsgrundsatz der Europafreundlichkeit und des Selbstverständnisses der Union als Rechtsgemeinschaft (BVerfG, B. v. 06.07.2010 - 2 BvR 2661/06 - Rn. 53/59 ) sowie dem Grundsatz, dass die Union ihren Bürgerinnen und Bürgern Freizügigkeit (heute: Art. 45 Abs. 1 GRCh, Art. 21 Abs. 1 AEUV) sowie einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen bietet, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist (heute: Art. 3 Abs. 2 EUV-Liss.), sowie im Lichte der mit Anwendungsvorrang ausgestatteten Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dort die Art. 6 ff.), deren Daueraufenthaltsrecht das Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und zum sozialen Zusammenhalt beitragen soll (17. Erwägungsgrund; BVerwG, B. v. 13.07.2010 - 1 C 15.09 - Rn. 26) und deren größtmögliche praktische Wirksamkeit im Sinne des europarechtlichen „effet utile“ die Mitgliedstaaten garantieren müssen, ist das Freizügigkeitsgesetz/EU als ein die Unionsbürger privilegierendes Spezialaufenthaltsrecht zu interpretieren. Dementsprechend ist die spezifische Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU als grundsätzlich abschließend zu begreifen. Für Unionsbürger soll eben nicht das allgemeine Ausländerrecht gelten; der Gesetzgeber spricht deshalb in der Gesetzesbegründung ausdrücklich vom „Grundsatz, dass Unionsbürger und ihre Angehörigen weitestgehend aus dem Geltungsbereich des allgemeinen Ausländerrechts herausgenommen werden“ (BT-Drs. 15/420, S. 106). In § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht genannte Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes sind mithin zum einen insbesondere nur nach Maßgabe der Meistbegünstigungsklausel in Satz 5 der Norm anwendbar, wonach das Aufenthaltsgesetz im Übrigen Anwendung findet, „wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU“, so dass es nicht zu einer nach Unionsrecht unzulässigen Schlechterstellung der Unionsbürger gegenüber sonstigen Ausländern kommen kann (so die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/420, S. 106). Zum anderen findet das AufenthG nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU ausdrücklich erst dann Anwendung, wenn das Nichtbestehen oder der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU behördlich festgestellt worden ist. Auch dadurch wird im Umkehrschluss der abschließende Charakter der Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU deutlich; Unionsbürger sollen erst und nur dann dem allgemeinen Ausländerrecht unterfallen, wenn sie über kein europarechtliches Freizügigkeitsrecht (mehr) verfügen. Maßnahmen und Entscheidungen bis zur bzw. über die Verlustfeststellung hingegen können grundsätzlich nicht auf der Basis des Aufenthaltsgesetzes erlassen werden. Da in § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auch auf Verfahrensnormen (z.B. §§ 73, 77 Abs. 1 AufenthG) und sogar eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen (§ 99 AufenthG) verwiesen wird, kann es kein Redaktionsversehen sein, dass auf die Zuständigkeitsnorm des § 71 Abs. 1 AufenthG gerade nicht verwiesen wurde. Der Bund wollte den Ländern offenbar nicht die Vorgabe machen, für die Verwaltung von Angelegenheiten der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen zwingend die Ausländerbehörden einschalten zu müssen. Der abschließende Charakter des § 11 FreizügG/EU ergibt sich mithin aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte, der Systematik des deutschen Aufenthaltsrechts, aus Sinn und Zweck der Norm sowie vor allem ihrem europarechtlichen Kontext (im Ergebnis ebenso: Hailbronner, AuslR, 10/2007, § 11 FreizügG/EU Rn. 1 f.; Harms in Storr/Wenger u.a., ZuwG, § 11 FreizügG/EU Rn. 2 ff.; Epe in GK-AufenthG 11/2006, § 11 FreizügG/EU Rn. 3; Hoppe in HTK-AuslR, 2/2005, § 11 FreizügG/EU zu Abs. 1; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 11 FreizügG/EU Rn. 2; Hofmann in HK-AuslR, § 11 FreizügG/EU Rn. 4). Der die Konzeption des ausländerrechtlichen Sonderstatus der Unionsbürger nicht hinreichend beachtende Ansatz des Beklagten, § 71 Abs. 1 AufenthG als „Gesetz“ im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und das FreizügG/EU als „anderes Gesetz“ im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einzustufen, überzeugt nach alledem nicht. Ebenso wenig kann vor diesem Hintergrund aus dem Umstand, dass in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU von der „Ausländerbehörde“ die Rede ist, auf eine generelle Anwendbarkeit von § 71 Abs. 1 AufenthG auch für Unionsbürger oder jedenfalls für die Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung geschlossen werden. Und selbst wenn § 11 Abs. 2 FreizügG/EU als bundesrechtliche Zuständigkeitsbestimmung dahingehend zu lesen wäre, dass die Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung zwingend von der Ausländerbehörde zu erlassen ist, kann hierin jedenfalls keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von § 6 Abs. 3 AAZuVO erkannt werden, ganz unabhängig davon, dass § 11 Abs. 2 FreizügG/EU in der Einleitungsformel der AAZuVO auch nicht zitiert wird.
22 
2. Andere tragfähige Ermächtigungsgrundlagen für die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO sind in der AAZuVO selbst nicht angegeben; sie werden vom beklagten Land nicht behauptet und sind auch sonst nicht erkennbar. Die in der Einleitungsformel der AAZuVO weiter zitierten § 4 Abs. 2 LVwVG (Nr. 2), § 15 a Abs. 1 Satz 5 und Abs. 3 Satz 4 AufenthG i.V.m. § 46 Abs. 5 AsylVfG (Nr. 3), § 15 a Abs. 4 Satz 5 und 6 AufenthG (Nr. 4), § 2 Abs. 5 FlüAG (Nr. 6) sowie § 22 Abs. 2 Satz 1, § 46 Abs. 5 und § 88 Abs. 3 AsylVfG (Nr. 7) scheiden aufgrund ihrer anderen sachlichen Anwendungsbereiche offenkundig aus. Der unter Nr. 1 zitierte § 12 Abs. 1 Satz 2 des Landesverwaltungsgesetzes i.d.F. vom 03.02.2005 (GBl. S. 159 - LVG a.F.), wonach einem Regierungspräsidium Aufgaben auch in anderen Regierungsbezirken zugewiesen werden können, betrifft bei einer an sich bestehenden Zuständigkeit der Regierungspräsidien nur den Fall der Konzentration auf ein einziges Regierungspräsidium. Auf § 12 Abs. 1 Satz 1 LVG a.F., wonach die Regierungspräsidien zuständig sind für die ihnen (…) „durch Gesetz, Rechtsverordnung oder eine Anordnung nach § 5 Abs. 3 und 4 (LVG a.F.) zugewiesenen Aufgaben“, wird in der Einleitungsformel der AAZuVO nicht verwiesen; diese Norm enthielte im Übrigen wohl auch keine eigenständige und originäre Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung. Der in der Einleitungsformel unter Nr. 1 zitierte § 5 Abs. 4 LVG a.F., wonach bestimmte Aufgaben nachgeordneter Verwaltungsbehörden auf andere nachgeordnete Behörden übertragen werden können, passt hier ebenso wenig wie § 5 Abs. 3 LVG a.F., wonach die Ministerien ermächtigt sind, eigene bestimmte Aufgaben nachgeordneten Behörden zu übertragen. Denn das bezüglich der am 02.12.2008 erlassenen AAZuVO anwendbare, bis 31.12.2008 gültig gewesene Landesverwaltungsgesetz a.F. unterschied in § 12 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 und § 18 sowie in § 30 zwischen Gesetz, Rechtsverordnung und „Anordnungen“ („nach § 5 Abs. 3 und 4“), d.h. Verwaltungsvorschriften. Da das Gesetz an anderer Stelle ausdrücklich zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigte (vgl. etwa §§ 5 a Abs. 3, 13 Abs. 2, 16 Abs. 2, 25 a Abs. 1, 25 a Abs. 2 Satz 1 LVG a.F. - ebenso die Neufassung in § 4 Abs. 1 LVG 2009), konnte dies bei „Anordnungen nach § 5 Abs. 3 und 4“ nicht gemeint sein. § 5 LVG a.F. kann jedenfalls die unionsbürgerrechtliche Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO nicht tragen.
23 
3. Eine Heilung (§ 45 LVwVfG) oder Unbeachtlichkeit (§ 46 LVwVfG) des Mangels der sachlichen Zuständigkeit kommt generell nicht in Betracht (ganz h.M., vgl. VGH Bad.-Württ., U. v. 17.06.2003 - 1 S 2025/01 - VBlBW 2004, 213; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., § 45 Rn. 10 m.w.N.). Die Verlustfeststellung ist mithin formell rechtswidrig angeordnet worden, so dass es auf die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit - und insbesondere den Ausgang des Vorlageverfahrens Tsakouridis auch zur Auslegung des Begriffs der „öffentlichen Sicherheit“ gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG (vgl. EuGH, Schlussantrag Bot v. 08.06.2010, Rs. C-145/09) - nicht mehr ankommt.
24 
Dieser Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung verletzt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten, denn es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass hier abweichend von allgemeinen Grundsätzen die Zuständigkeitsregeln nicht auch dem Schutz des Betroffenen dienen (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.1996 - 1 C 19.94 - InfAuslR 1997, 239), insbesondere, weil es bei der Verlustfeststellung um eine in Freiheitsrechte eingreifende Ermessensentscheidung geht (Harms in Storr/Wenger u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 10). Vor diesem Hintergrund kommt auch die weitere Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 AAZuVO für eine Übergangszeit nicht in Betracht (vgl. die Ausnahme zur Leistungsverwaltung im Beihilferecht in BVerwG, U. v. 28.05.2008 - 2 C 1.07 - NVwZ 2008, 1380).
25 
4. Mangels spezieller bundes- oder landesrechtlicher Zuständigkeitsregelung greift damit der Grundsatz, dass das materielle Unionsrecht nach den Regeln des nationalen Rechts vollzogen wird (stRspr, vgl. EuGH, U. v. 21.09.1983, Rs. C-205/82 - Slg. 1983, S. 2633 ; BVerwG, B. v. 26.02.2010 - 3 B 4.10 - juris Rn. 6). Für die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU war im Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. § 5 Abs. 2 LVG a.F.) und ist heute gemäß Art. 83, 84 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 LVG 2009 i.V.m. Art. 1 III. der Bekanntmachung der Landesregierung über die Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Ministerien vom 24.07.2001 (GBl. S. 590) das Innenministerium zuständig. Da das Unionsbürgerrecht nicht aus der Perspektive der Gefahrenabwehr, sondern von dem Grundgedanken des „Europas der - freizügigkeitsberechtigten - Bürger“ her vollzogen werden muss (vgl. Art. 2 EUV-Liss., Art. 20 AEUV), ist die Anwendung der Zuständigkeitsregeln des Polizeirechts, insbesondere § 66 Abs. 2 PolG, ausgeschlossen (hierzu: Storr/Wenger, ZuwG, § 71 AufenthG Rn. 4, m.w.N.; Thym, Migrationsverwaltungsrecht, 2010, S. 211 ff.). Eine an die Gefahrenabwehr anknüpfende Ausgestaltung des aufenthaltsrechtlichen Status des Unionsbürgers wäre mit dem Geist des EU-Vertrags nicht in Einklang zu bringen (ausführlich: Bast, Aufenthaltsrechtliche Steuerung der Migration, i.E., Kap. 2 B.).
26 
Dem Innenministerium ist es selbstredend unbenommen, die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO, besser: gemeinsam mit der Landesregierung die gesamte AAZuVO (ggf. wortgleich) auch auf der voraussichtlich hierfür nunmehr tragfähigen gesetzlichen Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Alt. 1 LVG 2009 erneut zu erlassen. Allein das nachträgliche Inkrafttreten des neuen Landesverwaltungsgesetzes am 01.01.2009 (GBl. 2008, S. 313) kann § 6 Abs. 3 AAZuVO hingegen nicht heilen, weil im Zeitpunkt der Ausfertigung einer Norm die Kompetenz zu ihrem Erlass in Geltung gestanden haben muss (BVerfG, U. v. 26.07.1972 - 2 BvF 1/71 - BVerfGE 34, 9 <21, 24>; BVerwG, U. v. 29.04.2010 - 2 C 77/08 - juris Rn. 20).
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
28 
Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die zwischen den Beteiligten umstrittene und entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob § 11 FreizügG/EU die Anwendbarkeit von § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sperrt, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig.
29 
Beschluss vom 14. September 2010
30 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach Satz 2 kann durch die zuständigen Stellen der betroffenen Länder auch geregelt werden, dass den Ausländerbehörden eines Landes für die Bezirke von Ausländerbehörden verschiedener Länder Aufgaben zugeordnet werden. Für die Vollziehung von Abschiebungen ist in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Die Länder sollen jeweils mindestens eine zentrale Ausländerbehörde einrichten, die bei Visumanträgen nach § 6 zu Zwecken nach den §§ 16a, 16d, 17 Absatz 1, den §§ 18a, 18b, 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19, 19b, 19c und 20 sowie bei Visumanträgen des Ehegatten oder der minderjährigen ledigen Kinder zum Zweck des Familiennachzugs, die in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden, die zuständige Ausländerbehörde ist.

(2) Im Ausland sind für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Das Auswärtige Amt wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Entscheidung über Anträge auf Erteilung eines Visums zu übertragen. Soweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, stehen dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Befugnisse zur Datenverarbeitung sowie alle sonstigen Aufgaben und Befugnisse einer Auslandsvertretung bei der Erteilung von Visa gemäß Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe b sowie gemäß den §§ 54, 66, 68, 69, 72, 72a, 73, 73a, 75, 87, 90c, 91d und 91g zu.

(3) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden sind zuständig für

1.
die Zurückweisung und die Zurückschiebung an der Grenze, einschließlich der Überstellung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird,
1a.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bei oder nach der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/399 (Binnengrenze) aufgegriffen wird,
1b.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bereits unerlaubt eingereist ist, sich danach weiter fortbewegt hat und in einem anderen Grenzraum oder auf einem als Grenzübergangsstelle zugelassenen oder nicht zugelassenen Flughafen, Flug- oder Landeplatz oder See- oder Binnenhafen aufgegriffen wird,
1c.
die Befristung der Wirkungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Ab- und Zurückschiebungen nach § 11 Absatz 2, 4 und 8,
1d.
die Rückführungen von Ausländern aus anderen und in andere Staaten; die Zuständigkeit besteht neben derjenigen der in Absatz 1 und in Absatz 5 bestimmten Stellen,
1e.
die Beantragung von Haft und die Festnahme, soweit es zur Vornahme der in den Nummern 1 bis 1d bezeichneten Maßnahmen erforderlich ist,
2.
die Erteilung eines Visums und die Ausstellung eines Passersatzes nach § 14 Abs. 2 sowie die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2a,
3.
die Rücknahme und den Widerruf eines nationalen Visums sowie die Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009
a)
im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, soweit die Voraussetzungen der Nummer 1a oder 1b erfüllt sind,
b)
auf Ersuchen der Auslandsvertretung, die das Visum erteilt hat, oder
c)
auf Ersuchen der Ausländerbehörde, die der Erteilung des Visums zugestimmt hat, sofern diese ihrer Zustimmung bedurfte,
4.
das Ausreiseverbot und die Maßnahmen nach § 66 Abs. 5 an der Grenze,
5.
die Prüfung an der Grenze, ob Beförderungsunternehmer und sonstige Dritte die Vorschriften dieses Gesetzes und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Anordnungen beachtet haben,
6.
sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen, soweit sich deren Notwendigkeit an der Grenze ergibt und sie vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hierzu allgemein oder im Einzelfall ermächtigt sind,
7.
die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Wege der Amtshilfe in Einzelfällen für Ausländer,
8.
die Erteilung von in Rechtsvorschriften der Europäischen Union vorgesehenen Vermerken und Bescheinigungen vom Datum und Ort der Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates, der den Schengen-Besitzstand vollständig anwendet; die Zuständigkeit der Ausländerbehörden oder anderer durch die Länder bestimmter Stellen wird hierdurch nicht ausgeschlossen.

(4) Für die erforderlichen Maßnahmen nach den §§ 48, 48a und 49 Absatz 2 bis 9 sind die Ausländerbehörden, die Polizeivollzugsbehörden der Länder sowie bei Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Bundespolizei und andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden zuständig. In den Fällen des § 49 Abs. 4 sind auch die Behörden zuständig, die die Verteilung nach § 15a veranlassen. In den Fällen des § 49 Absatz 5 Nummer 5 und 6 sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. In den Fällen des § 49 Absatz 8 und 9 sind auch die Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge befugt, bei Tätigwerden in Amtshilfe die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei ausländischen Kindern oder Jugendlichen, die unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist sind, vorzunehmen; diese Maßnahmen sollen im Beisein des zuvor zur vorläufigen Inobhutnahme verständigten Jugendamtes und in kindgerechter Weise durchgeführt werden.

(5) Für die Zurückschiebung sowie die Durchsetzung der Verlassenspflicht des § 12 Abs. 3 und die Durchführung der Abschiebung und, soweit es zur Vorbereitung und Sicherung dieser Maßnahmen erforderlich ist, die Festnahme und Beantragung der Haft sind auch die Polizeien der Länder zuständig.

(6) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle entscheidet im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt über die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren (§ 3 Abs. 1); die Entscheidungen ergehen als Allgemeinverfügung und können im Bundesanzeiger bekannt gegeben werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

Gründe

 
Bei Würdigung des Vorbringens des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) ist der Senat anders als das Verwaltungsgericht der Auffassung, dass dem Antragsteller der begehrte vorläufige Rechtsschutz nur zu einem geringen Teil gewährt werden kann.
Allerdings hat das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbegehren jedenfalls im Ergebnis in sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) zu Recht als einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO behandelt.
Voraussetzung der Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist grundsätzlich das Vorliegen eines Verwaltungsaktes; diese Frage kann demnach auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht offen gelassen werden (vgl. nur VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.8.1987 - 8 S 1001/87 -, VBlBW 1988, 146). Ausnahmslos gilt dies aber nur für die rechtliche Einordnung einer Maßnahme als Verwaltungsakt i. S. v. § 35 Abs. 1 VwVfG. Anders verhält es sich indessen bei der Frage, ob eine Maßnahme, die - wie hier die streitige Verfügung - ohne weiteres die Merkmale eines Verwaltungsaktes erfüllt, ordnungsgemäß bekannt gegeben und folglich rechtlich existent geworden ist. Behauptet der Antragsteller, dass die Bekanntgabe fehlgeschlagen ist, sind oft Tatsachenfragen aufgeworfen, die sich mit den beschränkten Erkenntnismöglichkeiten eines gerichtlichen Eilverfahrens nicht klären lassen. Im Interesse des Gebots effektiven Rechtsschutzes, das der dienenden Funktion des Verwaltungsprozessrechts Rechnung trägt, ist vor-läufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren, auch wenn nach dem Vortrag des Antragstellers ein Nicht-Verwaltungsakt vorliegt; mit dieser verfahrensrechtlichen Einordnung kann auch weiteres Vorbringen, das sich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bezieht, ohne prozessuale Schwierigkeiten geprüft werden (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 20.8.1980 - IX R 3/80 -, ESVGH 34, 144 <145 f.>; P. Stelkens/U. Stelkens in: Stelkens u.a. , VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 41 Rn. 28a; a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7.12.1990 - 10 S 2466/90 -, NVwZ 1991, 1195 f.).
Im Rahmen der bei § 80 Abs. 5 VwGO geforderten Abwägung der gegenläufigen Interessen überwiegt das Interesse des Antragstellers, vor der endgültigen Klärung der Rechtslage vom Vollzug der angefochtenen Verfügung verschont zu bleiben, nur hinsichtlich der Zahnbehandlung der Stute „Vireusina“ das gegenläufige öffentliche, nach § 80 Abs. 3 VwGO ordnungsgemäß begründete Interesse an der baldigen Verwirklichung einer beanstandungsfreien Tierhaltung. Dem stehen die vom Verwaltungsgericht - vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit wiederholt diagnostizierten psychischen Erkrankungen des Antragstellers und auf Wahnvorstellungen hindeutenden Äußerungen in seinen Schriftsätzen - zutreffend aufgezeigten Zweifel an der passiven Handlungsfähigkeit des Antragstellers (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG) im Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung nicht entgegen.
Die Frage, ob der Antragsteller damals von seinen geistigen Fähigkeiten her in der Lage war, jedenfalls die den Rechtskreis der Pferdehaltung betreffenden Angelegenheiten eigenverantwortlich zu erledigen, ist nicht infolge der Bestellung eines Prozesspflegers rechtlich unerheblich geworden; denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kenntnisnahme der tier-schutzrechtlichen Anordnung durch den Antragsteller jedenfalls damit als erfolgt gilt und der Verwaltungsakt existent geworden ist.
Nach der Rechtsprechung liegt eine wirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsakts auch dann vor, wenn und sobald der - im Zeitpunkt des Zugangs geschäfts- und handlungsunfähig gewesene - Empfänger später wieder geschäfts- und handlungsfähig wird und in diesem Zustand von dem Verwaltungsakt Kenntnis hat oder erhält (BVerwG, Beschluss vom 11.2.1994 - 2 B 173.93 -, NJW 1994, 2633 <2634> m.w.N.). Anders ist aber die Situation zu beurteilen, wenn später ein gesetzlicher Vertreter bestellt wird; dessen bloße Kenntnisnahme von dem an den Handlungsunfähigen gerichteten Schreiben reicht aus Gründen der Verfahrensklarheit nicht aus (vgl. BayVGH, Urteil vom 25.10.1983 - 11 B 83 A. 496 -, NJW 1984, 2845; P. Stelkens/U. Stelkens, a.a.O., § 41 Rn. 30a, 56a). Hier kommt nur die Genehmigung der gegenüber dem Handlungsunfähigen erfolgten Bekanntgabe in Betracht. Der Prozesspfleger des Antragstellers hat die von ihm erteilte Genehmigung jedoch auf die Erhebung des Widerspruchs sowie die Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO beschränkt. Der Zulässigkeit dieses Vorgehens steht die in der Rechtsprechung einhellig vertretene Auffassung nicht entgegen, wonach sich die Genehmigung fehlerhafter Prozesshandlungen nicht auf einzelne Teilhandlungen in dem Verfahren beschränken darf, sondern die gesamte Prozessführung umfassen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.4.1978 - II C 5.74 -, Buchholz 237.2 § 79 LBG Berlin Nr. 2; BGH, Beschluss vom 19.7.1984 - X ZB 20/83 -, BGHZ 92, 137 <140 f.>). Denn im vorliegenden Fall geht es um die Unterscheidung zwischen dem Bescheid als Auslöser des Rechtsstreits und dem nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren. Insoweit muss auch dem Handlungsunfähigen die Möglichkeit eröffnet werden, die daraus folgende Unwirksamkeit des Verwaltungsakts geltend zu machen. Hier kann letztlich nichts anderes gelten als in sonstigen Fällen von Bekanntgabefehlern, die der Adressat vor Gericht nur bei „rügeloser Einlassung“ nicht geltend machen kann (vgl. P. Stelkens/U. Stelkens, a.a.O., § 41 Rn. 31).
Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann die Frage, ob der Antragsteller partiell geschäfts- und handlungsunfähig war, nicht abschließend geklärt werden. Daraus folgt aber nicht, dass der Antragsgegner sich so behandeln lassen müsste, als sei die angefochtene Verfügung als Grundlage für die beabsichtigte Vollstreckung nicht existent.
 
Die Frage nach den Rechtsfolgen von Zweifeln an der Wirksamkeit eines Verwaltungsakts lässt sich nicht einheitlich beantworten; vielmehr ist hier maßgeblich auch darauf abzustellen, welche Seite hinsichtlich der geltend gemachten Umstände, die zu einer fehlerhaften Bekanntgabe geführt haben sollen, materiell beweisbelastet ist. Beruft sich der Adressat einer belastenden Verfügung auf seine Handlungsunfähigkeit, liegt die Beweislast - anders als bei der Frage des Zugangs des Bescheids (siehe § 4 Abs. 1 2. Hs. VwZG; § 41 Abs. 2 2. Hs. VwVfG, vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluss vom 20.8.1980 - IX R 3/80 -, ESVGH 34, 144 <146>) - nicht bei der Behörde, sondern beim Empfänger, der einen Ausnahmetatbestand für sich in Anspruch nimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.2.1994 - 2 B 173.93 -, NJW 1994, 2633 f. m.w.N.). In dieser Situation ist dem Gericht bei der Interessenabwägung eine Berücksichtigung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nicht verwehrt. Die Unsicherheit über dessen rechtliche Existenz ist dann ein Gesichtspunkt unter mehreren, der bei der gerichtlichen Entscheidung in Rechnung zu stellen ist; ihm kommt um so größere Bedeutung zu, je schwerwiegender und endgültiger die mit dem Verwaltungsakt verbundene Belastung für den Adressaten ist.
Hiernach kommt dem Umstand, dass die rechtliche Existenz der Verfügung wegen des geltend gemachten Bekanntgabefehlers durchaus fraglich erscheint, keine allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn dem Antragsteller werden in der angefochtenen Verfügung lediglich für eine ordnungsgemäße Tierhaltung selbstverständliche Maßnahmen abverlangt. Schwerwiegende Auswirkungen auf seine Rechtspositionen sind damit - auch in finanzieller Hinsicht - nicht verbunden.
10 
Auf der Grundlage dieser Erwägungen stützt der Senat seine Interessenabwägung maßgeblich auf die Bewertung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung. Hierbei ist der Senat ebenso wie bereits das Verwaltungsgericht der Auffassung, dass die angeordneten Maßnahmen - mit Ausnahme einer Zahnbehandlung für die Stute „Vireusina“ - von Rechts wegen nicht zu beanstanden sind; der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Der Vortrag des Antragstellers gibt keinen Anlass für eine abweichende Bewertung; insbesondere hat er bislang nicht belegt, dass er die - jedenfalls teilweise wohl auch von ihm als erforderlich erachteten - Maßnahmen mittlerweile entsprechend seiner Ankündigung auch tatsächlich fachgerecht hat durchführen lassen.
 
11 
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs gegen die - von Gesetzes wegen sofort vollziehbare (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 12 LVwVG) - Zwangsgeldandrohung kommt - wiederum mit Ausnahme des auf eine Zahnbehandlung für die Stute „Vireusina“ bezogenen Zwangsgeldes - gleichfalls nicht in Betracht. Denn es ist nicht ersichtlich, dass das Vollstreckungsmittel des Zwangsgeldes hier untunlich ist. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsteller in so desolaten finanziellen Verhältnissen lebt, dass ein Zwangsgeld als Beugemittel von vornherein seinen Zweck verfehlen könnte. Dagegen spricht schon der Umstand, dass der Antragsteller sieben Pferde hält. Soweit er vorbringt, dass ihm bei Verhängung von Zwangsgeldern Mittel entzogen würden, die er für die Versorgung der Pferde benötige, verfängt dies nicht; denn diese Folge kann er schon dadurch vermeiden, dass er den Tieren die seitens sachkundiger Stellen für erforderlich erachtete medizinische Versorgung zukommen lässt.
12 
Im Hinblick auf die zwischenzeitlich abgelaufene Frist zur Erfüllung der Anordnung gibt der Senat zu bedenken, dass eine Zwangsgeldfestsetzung erst für den Fall des Nichtbefolgens der Anordnung nach Verstreichen eines angemessenen Zeitraums nach Zustellung dieses Beschlusses in Betracht kommen dürfte.
13 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
14 
Die Änderung und Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 63 Abs. 3 GKG. Dabei orientiert sich die Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa den Beschluss vom 27.3.2003 - 1 S 235/03 - m.w.N.) an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (nunmehr Fassung Juli 2004, Nr. 35.2, abgedruckt in NVwZ 2004, 1327), der bei Klageverfahren um eine gegen einen Tierhalter getroffene Anordnung die Festsetzung des Auffangstreitwerts gemäß § 52 Abs. 2 GKG vorsieht; im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist dieser Wert zu halbieren. Die Zwangsgeldandrohung ist nach der ständigen Praxis des erkennenden Gerichtshofs (vgl. nur Beschluss vom 12.4.2002 - 14 S 315/02 m.w.N.; siehe auch Hess. VGH , Beschluss vom 23.9.1999 - 8 TE 860/93 -, ESVGH 50, 54 <55 f.> mit Nachweisen auch zur Gegenansicht) mit einem Viertel des Gesamtbetrags in die Berechnung des Streitwerts einzustellen.
15 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31. Mai 2010 - 3 K 4155/08 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Verlustes seines Freizügigkeitsrechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland sowie die Androhung seiner Abschiebung nach Italien.
Der am … 1954 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er wuchs in Italien auf und reiste im Juni 1972 als so genannter „Gastarbeiter“ in das Bundesgebiet ein. Seit Oktober 1975 war er bis zu seiner Inhaftierung im Oktober 2004 durchgehend bei demselben Arbeitgeber als Maschinenführer im Schichtdienst tätig und arbeitete nebenher als Aushilfe in einem Gartenbaubetrieb. Seit dem 23.03.1987 ist er im Besitz einer unbefristeten „Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG“. Am 17.12.1992 heiratete er die deutsche Staatsangehörige S., mit der er zwei 1993 und 1995 geborene Töchter hat.
Im Jahre 2000 begann S., sich gegen den Willen des Klägers kommunalpolitisch zu engagieren und kam hierdurch in Kontakt mit dem Vorsitzenden ihres Ortsverbandes und stellvertretenden Bürgermeister H. P. der Wohngemeinde. Der Kläger beschuldigte seine Frau, mit H. P. ein Verhältnis zu haben. Nach den Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts ... vom 15.07.2005 entstand zwischen den Eheleuten bis Ende 2002 eine eskalierende Konfliktsituation. Der Kläger habe sich in seiner familiären Existenz bedroht und in seiner Ehre als bestimmendes Oberhaupt der Familie herabgewürdigt gefühlt. In Folge stellte er nicht nur seiner Frau nach, gegenüber der er auch gewalttätig wurde und die im Dezember 2002 mit den Töchtern aus dem gemeinsamen Haus auszog, sondern auch dem vermeintlichen Liebhaber H. P. und dessen Familie. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 11.06.2003 - 1 Cs 24 Js 9980/03 - wurde der Kläger, nachdem er seine Frau bedroht und gewürgt hatte, wegen Körperverletzung, Nötigung sowie Bedrohung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt. Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 15.01.2004 - 1 Ds 24 Js 33090/03 - wurde er, nachdem er seiner Frau am Telefon mitgeteilt hatte, er werde sie, den H. P. und sich selbst erschießen, wenn er sie und H. P. noch einmal gemeinsam auf dem Marktplatz sehe, wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt.
Am 15.10.2004 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen und mit dem seit 08.02.2006 rechtskräftigen Urteil des Landgerichts ... vom 15.07.2005 - KLs 200 Js 37697/04 - wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die er derzeit in der JVA ... verbüßt. Zwei Drittel der Strafe werden am 14.06.2011 abgelaufen sein; das Strafzeitende ist auf den 14.10.2014 festgelegt. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass der Kläger im Laufe des Frühsommers 2004 den locker mit ihm befreundeten D. Q. beauftragte, dafür Sorge zu tragen, dass dem H. P. „eine Abreibung verpasst“ werde. Als Entlohnung hatte der Kläger dem D. Q. 600 EUR übergeben. In der Folgezeit vereinbarte D. Q. mit seinem 1988 geborenen Sohn J. Q., dass dieser mit ein paar Freunden Anfang September 2004 dem H. P. auflauern und ihm die verabredete Abreibung verpassen solle, indem mittels eines Teleskopschlagstockes beide Knie zertrümmert werden. Weil H. P. nicht erschien, wurde die Tat nicht ausgeführt. Daraufhin forderte der Kläger den D. Q. am 14.10.2004 auf, gemeinsam mit seinem Sohn den Auftrag nun endlich zu erledigen, den H. P. noch am Abend nach eine Parteiversammlung im Hof seines Anwesens abzupassen und mit einer Schusswaffe in beide Knie zu schießen. Als H. P. gegen 23.15 Uhr nach Hause kam, gab J. Q. vermummt mit einer Sturmhaube aus ca. 6 m Entfernung einen Schuss auf das rechte Knie des Opfers ab, welcher knapp danebenging. H. P. flüchtete an das Ende des Hofes. J. Q. folgte ihm und schoss aus einer Entfernung von maximal 1,5 m mehrfach hintereinander in die Dunkelheit auf den Oberkörper des H. P.; zwei der Schüsse drangen in den Brustbereich ein, ein Schuss war tödlich.
Die Ehe des Klägers wurde am 11.01.2005 geschieden. Infolge einer Verzichtserklärung des Klägers liegt das alleinige Sorgerecht für die Töchter bei seiner geschiedenen Ehefrau. Da sich diese mit den Töchtern in einem Zeugenschutzprogramm befinden, d.h. dem Kläger deren Adresse nicht mitgeteilt wird, hat er seit Jahren keinen persönlichen Kontakt mehr zu ihnen. Das zu Beginn der Ehe erworbene Familieneigenheim musste zwischenzeitlich verkauft werden; mit seinem Erlösanteil bezahlte der Kläger die Strafverteidigung.
Nach vorheriger Anhörung stellte das Regierungspräsidium Karlsruhe mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 09.12.2008 gegenüber dem Kläger den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland fest und zog die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht ein (Nr. 1). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Italien, frühestens einen Monat nach Unanfechtbarkeit der Verlustfeststellung, angedroht (Nr. 2). Für den Fall der Haftentlassung wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen (Nr. 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen einer Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU seien gegeben. Da der Kläger rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von über fünf Jahren verurteilt worden ist, lägen auch die aufgrund seines über 10-jährigen Aufenthalts in Deutschland gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erforderlichen zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit vor. Der Kläger habe massive kriminelle Energie gezeigt und sei offenbar nicht tateinsichtig, sodass die Wahrscheinlichkeit eines wiederholten Gewaltdelikts bestehe. Insbesondere der Schutz der Öffentlichkeit vor schwerer Kriminalität sei ein Grundinteresse der Gesellschaft. Auch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK stünden der Verlustfeststellung und Abschiebung nach Italien nicht entgegen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 16.12.2008 zugestellt.
Am 23.12.2008 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und sich zur Begründung vor allem auf seinen 36-jährigen Aufenthalt in Deutschland berufen. Mit Italien verbinde ihn, abgesehen von seltenen familiären Kontakten, praktisch nichts mehr. Bis zu den Ehekonflikten mit seiner Frau sei er jahrzehntelang ein rechtschaffender Bürger gewesen, habe immer gearbeitet, eine Familie begründet, ein Eigenheim erworben und keinerlei Straftaten begangen. In der JVA habe er zudem sein Deutsch weiter verbessert und nehme an Behandlungsprogrammen, dem Bibelworkshop und Freizeitangeboten teil. Nach Einschätzung der Anstaltstherapeuten seien seine Hauptprobleme auch nicht Aggressionen, sondern Ängste und Minderwertigkeitskomplexe. Es treffe nicht zu, dass er das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht respektiere und vor schweren Rechtsverstößen nicht zurückschrecke. Auch wenn die abgeurteilte Anstiftung nicht einer impulsiven und spontanen Enthemmung entsprungen sei, sei sie nicht Ausdruck einer allgemeinen kriminellen, die Rechtsordnung verachtenden Einstellung gewesen. Aufgrund des spezifischen Zusammenhangs der Straftaten mit den Ehekonflikten könne nicht davon ausgegangen werden, dass er grundsätzlich in Konfliktsituationen die Kontrolle verliere und andere Personen verletze. Es bestehe keine tatsächliche und hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass erneute Straftaten begangen würden; dies beurteile die JVA-Sozialinspektorin A. ebenso. Der Kläger halte weiterhin regelmäßigen Kontakt zu deutschen Bekannten, was seine Verwurzelung illustriere. Dass ihn sein Bruder aus Italien besucht habe, lasse nicht darauf schließen, dass er von diesem bei einer Rückkehr nach Italien Hilfe bei der Wiedereingliederung bekommen könnte. Sein Bruder habe eine eigene Familie und versorge zudem die weit über 80-jährige bei ihm wohnende Mutter, die schwer herzkrank sei.
Mit Urteil vom 31.05.2010 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 09.12.2008 aufgehoben. Ob der Bescheid schon deshalb rechtswidrig sei, weil das Regierungspräsidium wegen Nichtigkeit der Zuständigkeitsregelung in § 6 Abs. 3 AAZuVO unzuständig gewesen sei, könne offen bleiben. Der angefochtene Bescheid sei jedenfalls materiell rechtswidrig. Im Lichte von Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG sei der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ in § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU eng auszulegen; er umfasse nur die innere und äußere Sicherheit des Mitgliedstaats, nicht aber auch schwere kriminelle Taten, die sich vornehmlich gegen Individualrechtsgüter richten. Da der Kläger unter keinen Umständen als eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für den Bestand des Staates und seiner Institutionen oder das Überleben der Bevölkerung angesehen werden könne, genieße er weiterhin unionsrechtliche Freizügigkeit im Bundesgebiet. Die Berufung gegen das am 10.06.2010 zugestellte Urteil wurde zugelassen.
Das beklagte Land hat hiergegen am 14.06.2010 Berufung eingelegt und diese am 21.07.2010 begründet. Es ist der Auffassung, die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO sei gültig, weil § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG das Land zu ihrem Erlass ermächtigt habe. Denn § 71 Abs. 1 AufenthG könne als „Gesetz“ im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und das FreizügG/EU als „anderes Gesetz“ im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eingestuft werden. Materiell-rechtlich umfasse der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ in § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU auch die Strafrechtsordnung, wie Generalanwalt Bot am 08.06.2010 (Rs. C-145/09) überzeugend ausgeführt habe. Von dem Kläger ginge im Übrigen weiterhin eine erhebliche Gefahr aus, was schon daraus deutlich werde, dass seine geschiedene Frau und die beiden Töchter weiterhin im Zeugenschutzprogramm seien. Der Kläger habe zudem bisher keine Sozialtherapie erfolgreich abgeschlossen. Die andere Gefährdungseinschätzung durch die JVA-Sozialinspektorin A. sei nicht hinreichend nachvollziehbar.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 31.05.2010 - 3 K 4155/08 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er betont erneut, dass es sich um Beziehungstaten in einer sehr speziellen Lebenssituation gehandelt habe und er weder jemals zuvor entsprechend straffällig geworden sei noch nach seiner Haftentlassung erneut Straftaten begehen werde. Nach nunmehr bald vierzig Jahren Aufenthalt in Deutschland könne man ihn nicht einfach nach Italien abschieben. Er habe seine Strafe vielfältig bekommen. Seine Unrechtseinsicht werde grundlos in Abrede gestellt.
15 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts vor. Hierauf wird wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ungeachtet des EuGH-Vorlageverfahrens Tsakouridis (Rs. C-145/09) die insbesondere vom beklagten Land im Hinblick auf die Ausführungen im Senatsurteil vom 22.03.2010 - 11 S 1626/08 (InfAuslR 2010, 281) - zeitnah für klärungsbedürftig erachtete Frage der Gültigkeit von § 6 Abs. 3 AAZuVO ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 09.12.2008 zu Recht aufgehoben. Dieser Bescheid ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, U. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297) jedenfalls formell rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18 
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtswidrig. Er wurde vom Regierungspräsidium Karlsruhe ohne sachliche Zuständigkeit erlassen. Denn der für die Zuständigkeit in Anspruch genommene § 6 Abs. 3 der Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Asylverfahrensgesetz und dem Flüchtlingsaufnahmegesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer vom 02.12.2008 (GBl. 2008, S. 465; Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO) ist mangels gesetzlicher Ermächtigung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV) nichtig. § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG scheidet als Ermächtigungsgrundlage für § 6 Abs. 3 AAZuVO aus (hierzu 1.). Andere tragfähige Ermächtigungsgrundlagen sind in der AAZuVO weder angegeben noch sonst erkennbar (hierzu 2.) Eine Heilung oder Unbeachtlichkeit des Mangels der sachlichen Zuständigkeit kommt nicht in Betracht (hierzu 3.).
19 
1. § 6 Abs. 3 AAZuVO entbehrt mangels gesetzlicher Ermächtigung der Rechtsgültigkeit und Rechtswirksamkeit; diese Zuständigkeitsregelung ist nichtig. Nach § 6 Abs. 3 AAZuVO sind die Regierungspräsidien bei Unionsbürgern, Staatsangehörigen der EWR-Staaten oder deren Familienangehörigen zuständig für - wie im vorliegenden Fall im Streit stehende - Maßnahmen und Entscheidungen nach § 6 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950, 1986 - FreizügG/EU), geändert durch Art. 2 des (Richtlinienumsetzungs-)Gesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970). Als Rechtsverordnung bedarf § 6 Abs. 3 AAZuVO der Ermächtigung durch ein Parlamentsgesetz, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt (Art. 61 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LV). Nach der rechtsstaatlichen Schutzbestimmung des Zitiergebots in Art. 61 Abs. 1 Satz 3 LV ist in der Verordnung zudem die Rechtsgrundlage anzugeben. Fehlt es an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage oder ist diese nicht in der Rechtsverordnung zitiert, hat dies die Nichtigkeit zur Folge (einhellige Meinung, vgl. Feuchte, Verfassung des Landes Bad.-Württ., 1987, Art. 61 Rn. 10 m.w.N.; ausführlich zum Verstoß gegen das Zitiergebot: VGH Bad.-Württ., B. v. 05.07.1985 - 1 S 390/85 - VBlBW 1985, 385).
20 
§ 6 Abs. 3 AAZuVO fehlt es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Sinne von Art. 61 Abs. 1 LV; der von dem Beklagten hierzu benannte und unter Nr. 5 der Einleitungsformel der AAZuVO zitierte § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann diese Zuständigkeitsregelung nicht tragen. Nach der generellen Zuständigkeitsregelung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind die Ausländerbehörden zuständig für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz sowie nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen. Gemäß Satz 2 der Norm kann die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG könnte die Zuständigkeitskonzentration für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf die vier baden-württembergischen Regierungspräsidien mithin der Sache nach durchaus abdecken, selbst wenn hier nicht (wie z.B. in § 15 a Abs. 4 Satz 5 AufenthG) von der Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung die Rede ist.
21 
§ 71 Abs. 1 AufenthG ist jedoch nach der speziellen Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht anwendbar. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU finden auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen entsprechende Anwendung - enumerativ und ausschließlich - § 3 Abs. 2, § 11 Abs. 2, die §§ 13, 14 Abs. 2, die §§ 36, 44 Abs. 4, § 46 Abs. 2, § 50 Abs. 3 bis 7, §§ 69, 73, 74 Abs. 2, § 77 Abs. 1, die §§ 80, 82 Abs. 5, die §§ 85 bis 88, 90, 91, 95 Abs. 1 Nr. 4 und 8, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4, die §§ 96, 97, 98 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2a, 3 Nr. 3, Abs. 4 und 5 sowie § 99 des Aufenthaltsgesetzes. Die Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU stellt die Schnittstelle des Freizügigkeitsgesetzes zum Aufenthaltsgesetz dar und muss im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufentG gesehen werden. Danach findet das Aufenthaltsgesetz keine Anwendung auf Ausländer, deren Rechtsstellung durch das Freizügigkeitsgesetz geregelt ist, soweit nicht - wie etwa in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU - durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Entsprechend dem Verfassungsziel der Verwirklichung eines vereinten Europas (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), dem Verfassungsgrundsatz der Europafreundlichkeit und des Selbstverständnisses der Union als Rechtsgemeinschaft (BVerfG, B. v. 06.07.2010 - 2 BvR 2661/06 - Rn. 53/59 ) sowie dem Grundsatz, dass die Union ihren Bürgerinnen und Bürgern Freizügigkeit (heute: Art. 45 Abs. 1 GRCh, Art. 21 Abs. 1 AEUV) sowie einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen bietet, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist (heute: Art. 3 Abs. 2 EUV-Liss.), sowie im Lichte der mit Anwendungsvorrang ausgestatteten Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dort die Art. 6 ff.), deren Daueraufenthaltsrecht das Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und zum sozialen Zusammenhalt beitragen soll (17. Erwägungsgrund; BVerwG, B. v. 13.07.2010 - 1 C 15.09 - Rn. 26) und deren größtmögliche praktische Wirksamkeit im Sinne des europarechtlichen „effet utile“ die Mitgliedstaaten garantieren müssen, ist das Freizügigkeitsgesetz/EU als ein die Unionsbürger privilegierendes Spezialaufenthaltsrecht zu interpretieren. Dementsprechend ist die spezifische Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU als grundsätzlich abschließend zu begreifen. Für Unionsbürger soll eben nicht das allgemeine Ausländerrecht gelten; der Gesetzgeber spricht deshalb in der Gesetzesbegründung ausdrücklich vom „Grundsatz, dass Unionsbürger und ihre Angehörigen weitestgehend aus dem Geltungsbereich des allgemeinen Ausländerrechts herausgenommen werden“ (BT-Drs. 15/420, S. 106). In § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht genannte Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes sind mithin zum einen insbesondere nur nach Maßgabe der Meistbegünstigungsklausel in Satz 5 der Norm anwendbar, wonach das Aufenthaltsgesetz im Übrigen Anwendung findet, „wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU“, so dass es nicht zu einer nach Unionsrecht unzulässigen Schlechterstellung der Unionsbürger gegenüber sonstigen Ausländern kommen kann (so die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/420, S. 106). Zum anderen findet das AufenthG nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU ausdrücklich erst dann Anwendung, wenn das Nichtbestehen oder der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU behördlich festgestellt worden ist. Auch dadurch wird im Umkehrschluss der abschließende Charakter der Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU deutlich; Unionsbürger sollen erst und nur dann dem allgemeinen Ausländerrecht unterfallen, wenn sie über kein europarechtliches Freizügigkeitsrecht (mehr) verfügen. Maßnahmen und Entscheidungen bis zur bzw. über die Verlustfeststellung hingegen können grundsätzlich nicht auf der Basis des Aufenthaltsgesetzes erlassen werden. Da in § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auch auf Verfahrensnormen (z.B. §§ 73, 77 Abs. 1 AufenthG) und sogar eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen (§ 99 AufenthG) verwiesen wird, kann es kein Redaktionsversehen sein, dass auf die Zuständigkeitsnorm des § 71 Abs. 1 AufenthG gerade nicht verwiesen wurde. Der Bund wollte den Ländern offenbar nicht die Vorgabe machen, für die Verwaltung von Angelegenheiten der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen zwingend die Ausländerbehörden einschalten zu müssen. Der abschließende Charakter des § 11 FreizügG/EU ergibt sich mithin aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte, der Systematik des deutschen Aufenthaltsrechts, aus Sinn und Zweck der Norm sowie vor allem ihrem europarechtlichen Kontext (im Ergebnis ebenso: Hailbronner, AuslR, 10/2007, § 11 FreizügG/EU Rn. 1 f.; Harms in Storr/Wenger u.a., ZuwG, § 11 FreizügG/EU Rn. 2 ff.; Epe in GK-AufenthG 11/2006, § 11 FreizügG/EU Rn. 3; Hoppe in HTK-AuslR, 2/2005, § 11 FreizügG/EU zu Abs. 1; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 11 FreizügG/EU Rn. 2; Hofmann in HK-AuslR, § 11 FreizügG/EU Rn. 4). Der die Konzeption des ausländerrechtlichen Sonderstatus der Unionsbürger nicht hinreichend beachtende Ansatz des Beklagten, § 71 Abs. 1 AufenthG als „Gesetz“ im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und das FreizügG/EU als „anderes Gesetz“ im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einzustufen, überzeugt nach alledem nicht. Ebenso wenig kann vor diesem Hintergrund aus dem Umstand, dass in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU von der „Ausländerbehörde“ die Rede ist, auf eine generelle Anwendbarkeit von § 71 Abs. 1 AufenthG auch für Unionsbürger oder jedenfalls für die Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung geschlossen werden. Und selbst wenn § 11 Abs. 2 FreizügG/EU als bundesrechtliche Zuständigkeitsbestimmung dahingehend zu lesen wäre, dass die Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung zwingend von der Ausländerbehörde zu erlassen ist, kann hierin jedenfalls keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von § 6 Abs. 3 AAZuVO erkannt werden, ganz unabhängig davon, dass § 11 Abs. 2 FreizügG/EU in der Einleitungsformel der AAZuVO auch nicht zitiert wird.
22 
2. Andere tragfähige Ermächtigungsgrundlagen für die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO sind in der AAZuVO selbst nicht angegeben; sie werden vom beklagten Land nicht behauptet und sind auch sonst nicht erkennbar. Die in der Einleitungsformel der AAZuVO weiter zitierten § 4 Abs. 2 LVwVG (Nr. 2), § 15 a Abs. 1 Satz 5 und Abs. 3 Satz 4 AufenthG i.V.m. § 46 Abs. 5 AsylVfG (Nr. 3), § 15 a Abs. 4 Satz 5 und 6 AufenthG (Nr. 4), § 2 Abs. 5 FlüAG (Nr. 6) sowie § 22 Abs. 2 Satz 1, § 46 Abs. 5 und § 88 Abs. 3 AsylVfG (Nr. 7) scheiden aufgrund ihrer anderen sachlichen Anwendungsbereiche offenkundig aus. Der unter Nr. 1 zitierte § 12 Abs. 1 Satz 2 des Landesverwaltungsgesetzes i.d.F. vom 03.02.2005 (GBl. S. 159 - LVG a.F.), wonach einem Regierungspräsidium Aufgaben auch in anderen Regierungsbezirken zugewiesen werden können, betrifft bei einer an sich bestehenden Zuständigkeit der Regierungspräsidien nur den Fall der Konzentration auf ein einziges Regierungspräsidium. Auf § 12 Abs. 1 Satz 1 LVG a.F., wonach die Regierungspräsidien zuständig sind für die ihnen (…) „durch Gesetz, Rechtsverordnung oder eine Anordnung nach § 5 Abs. 3 und 4 (LVG a.F.) zugewiesenen Aufgaben“, wird in der Einleitungsformel der AAZuVO nicht verwiesen; diese Norm enthielte im Übrigen wohl auch keine eigenständige und originäre Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung. Der in der Einleitungsformel unter Nr. 1 zitierte § 5 Abs. 4 LVG a.F., wonach bestimmte Aufgaben nachgeordneter Verwaltungsbehörden auf andere nachgeordnete Behörden übertragen werden können, passt hier ebenso wenig wie § 5 Abs. 3 LVG a.F., wonach die Ministerien ermächtigt sind, eigene bestimmte Aufgaben nachgeordneten Behörden zu übertragen. Denn das bezüglich der am 02.12.2008 erlassenen AAZuVO anwendbare, bis 31.12.2008 gültig gewesene Landesverwaltungsgesetz a.F. unterschied in § 12 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 und § 18 sowie in § 30 zwischen Gesetz, Rechtsverordnung und „Anordnungen“ („nach § 5 Abs. 3 und 4“), d.h. Verwaltungsvorschriften. Da das Gesetz an anderer Stelle ausdrücklich zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigte (vgl. etwa §§ 5 a Abs. 3, 13 Abs. 2, 16 Abs. 2, 25 a Abs. 1, 25 a Abs. 2 Satz 1 LVG a.F. - ebenso die Neufassung in § 4 Abs. 1 LVG 2009), konnte dies bei „Anordnungen nach § 5 Abs. 3 und 4“ nicht gemeint sein. § 5 LVG a.F. kann jedenfalls die unionsbürgerrechtliche Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO nicht tragen.
23 
3. Eine Heilung (§ 45 LVwVfG) oder Unbeachtlichkeit (§ 46 LVwVfG) des Mangels der sachlichen Zuständigkeit kommt generell nicht in Betracht (ganz h.M., vgl. VGH Bad.-Württ., U. v. 17.06.2003 - 1 S 2025/01 - VBlBW 2004, 213; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., § 45 Rn. 10 m.w.N.). Die Verlustfeststellung ist mithin formell rechtswidrig angeordnet worden, so dass es auf die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit - und insbesondere den Ausgang des Vorlageverfahrens Tsakouridis auch zur Auslegung des Begriffs der „öffentlichen Sicherheit“ gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG (vgl. EuGH, Schlussantrag Bot v. 08.06.2010, Rs. C-145/09) - nicht mehr ankommt.
24 
Dieser Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung verletzt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten, denn es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass hier abweichend von allgemeinen Grundsätzen die Zuständigkeitsregeln nicht auch dem Schutz des Betroffenen dienen (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.1996 - 1 C 19.94 - InfAuslR 1997, 239), insbesondere, weil es bei der Verlustfeststellung um eine in Freiheitsrechte eingreifende Ermessensentscheidung geht (Harms in Storr/Wenger u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 10). Vor diesem Hintergrund kommt auch die weitere Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 AAZuVO für eine Übergangszeit nicht in Betracht (vgl. die Ausnahme zur Leistungsverwaltung im Beihilferecht in BVerwG, U. v. 28.05.2008 - 2 C 1.07 - NVwZ 2008, 1380).
25 
4. Mangels spezieller bundes- oder landesrechtlicher Zuständigkeitsregelung greift damit der Grundsatz, dass das materielle Unionsrecht nach den Regeln des nationalen Rechts vollzogen wird (stRspr, vgl. EuGH, U. v. 21.09.1983, Rs. C-205/82 - Slg. 1983, S. 2633 ; BVerwG, B. v. 26.02.2010 - 3 B 4.10 - juris Rn. 6). Für die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU war im Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. § 5 Abs. 2 LVG a.F.) und ist heute gemäß Art. 83, 84 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 LVG 2009 i.V.m. Art. 1 III. der Bekanntmachung der Landesregierung über die Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Ministerien vom 24.07.2001 (GBl. S. 590) das Innenministerium zuständig. Da das Unionsbürgerrecht nicht aus der Perspektive der Gefahrenabwehr, sondern von dem Grundgedanken des „Europas der - freizügigkeitsberechtigten - Bürger“ her vollzogen werden muss (vgl. Art. 2 EUV-Liss., Art. 20 AEUV), ist die Anwendung der Zuständigkeitsregeln des Polizeirechts, insbesondere § 66 Abs. 2 PolG, ausgeschlossen (hierzu: Storr/Wenger, ZuwG, § 71 AufenthG Rn. 4, m.w.N.; Thym, Migrationsverwaltungsrecht, 2010, S. 211 ff.). Eine an die Gefahrenabwehr anknüpfende Ausgestaltung des aufenthaltsrechtlichen Status des Unionsbürgers wäre mit dem Geist des EU-Vertrags nicht in Einklang zu bringen (ausführlich: Bast, Aufenthaltsrechtliche Steuerung der Migration, i.E., Kap. 2 B.).
26 
Dem Innenministerium ist es selbstredend unbenommen, die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO, besser: gemeinsam mit der Landesregierung die gesamte AAZuVO (ggf. wortgleich) auch auf der voraussichtlich hierfür nunmehr tragfähigen gesetzlichen Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Alt. 1 LVG 2009 erneut zu erlassen. Allein das nachträgliche Inkrafttreten des neuen Landesverwaltungsgesetzes am 01.01.2009 (GBl. 2008, S. 313) kann § 6 Abs. 3 AAZuVO hingegen nicht heilen, weil im Zeitpunkt der Ausfertigung einer Norm die Kompetenz zu ihrem Erlass in Geltung gestanden haben muss (BVerfG, U. v. 26.07.1972 - 2 BvF 1/71 - BVerfGE 34, 9 <21, 24>; BVerwG, U. v. 29.04.2010 - 2 C 77/08 - juris Rn. 20).
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
28 
Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die zwischen den Beteiligten umstrittene und entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob § 11 FreizügG/EU die Anwendbarkeit von § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sperrt, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig.
29 
Beschluss vom 14. September 2010
30 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
16 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ungeachtet des EuGH-Vorlageverfahrens Tsakouridis (Rs. C-145/09) die insbesondere vom beklagten Land im Hinblick auf die Ausführungen im Senatsurteil vom 22.03.2010 - 11 S 1626/08 (InfAuslR 2010, 281) - zeitnah für klärungsbedürftig erachtete Frage der Gültigkeit von § 6 Abs. 3 AAZuVO ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 09.12.2008 zu Recht aufgehoben. Dieser Bescheid ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, U. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297) jedenfalls formell rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18 
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtswidrig. Er wurde vom Regierungspräsidium Karlsruhe ohne sachliche Zuständigkeit erlassen. Denn der für die Zuständigkeit in Anspruch genommene § 6 Abs. 3 der Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Asylverfahrensgesetz und dem Flüchtlingsaufnahmegesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer vom 02.12.2008 (GBl. 2008, S. 465; Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO) ist mangels gesetzlicher Ermächtigung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV) nichtig. § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG scheidet als Ermächtigungsgrundlage für § 6 Abs. 3 AAZuVO aus (hierzu 1.). Andere tragfähige Ermächtigungsgrundlagen sind in der AAZuVO weder angegeben noch sonst erkennbar (hierzu 2.) Eine Heilung oder Unbeachtlichkeit des Mangels der sachlichen Zuständigkeit kommt nicht in Betracht (hierzu 3.).
19 
1. § 6 Abs. 3 AAZuVO entbehrt mangels gesetzlicher Ermächtigung der Rechtsgültigkeit und Rechtswirksamkeit; diese Zuständigkeitsregelung ist nichtig. Nach § 6 Abs. 3 AAZuVO sind die Regierungspräsidien bei Unionsbürgern, Staatsangehörigen der EWR-Staaten oder deren Familienangehörigen zuständig für - wie im vorliegenden Fall im Streit stehende - Maßnahmen und Entscheidungen nach § 6 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950, 1986 - FreizügG/EU), geändert durch Art. 2 des (Richtlinienumsetzungs-)Gesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970). Als Rechtsverordnung bedarf § 6 Abs. 3 AAZuVO der Ermächtigung durch ein Parlamentsgesetz, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt (Art. 61 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LV). Nach der rechtsstaatlichen Schutzbestimmung des Zitiergebots in Art. 61 Abs. 1 Satz 3 LV ist in der Verordnung zudem die Rechtsgrundlage anzugeben. Fehlt es an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage oder ist diese nicht in der Rechtsverordnung zitiert, hat dies die Nichtigkeit zur Folge (einhellige Meinung, vgl. Feuchte, Verfassung des Landes Bad.-Württ., 1987, Art. 61 Rn. 10 m.w.N.; ausführlich zum Verstoß gegen das Zitiergebot: VGH Bad.-Württ., B. v. 05.07.1985 - 1 S 390/85 - VBlBW 1985, 385).
20 
§ 6 Abs. 3 AAZuVO fehlt es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Sinne von Art. 61 Abs. 1 LV; der von dem Beklagten hierzu benannte und unter Nr. 5 der Einleitungsformel der AAZuVO zitierte § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann diese Zuständigkeitsregelung nicht tragen. Nach der generellen Zuständigkeitsregelung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind die Ausländerbehörden zuständig für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz sowie nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen. Gemäß Satz 2 der Norm kann die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG könnte die Zuständigkeitskonzentration für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf die vier baden-württembergischen Regierungspräsidien mithin der Sache nach durchaus abdecken, selbst wenn hier nicht (wie z.B. in § 15 a Abs. 4 Satz 5 AufenthG) von der Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung die Rede ist.
21 
§ 71 Abs. 1 AufenthG ist jedoch nach der speziellen Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht anwendbar. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU finden auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen entsprechende Anwendung - enumerativ und ausschließlich - § 3 Abs. 2, § 11 Abs. 2, die §§ 13, 14 Abs. 2, die §§ 36, 44 Abs. 4, § 46 Abs. 2, § 50 Abs. 3 bis 7, §§ 69, 73, 74 Abs. 2, § 77 Abs. 1, die §§ 80, 82 Abs. 5, die §§ 85 bis 88, 90, 91, 95 Abs. 1 Nr. 4 und 8, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4, die §§ 96, 97, 98 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2a, 3 Nr. 3, Abs. 4 und 5 sowie § 99 des Aufenthaltsgesetzes. Die Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU stellt die Schnittstelle des Freizügigkeitsgesetzes zum Aufenthaltsgesetz dar und muss im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufentG gesehen werden. Danach findet das Aufenthaltsgesetz keine Anwendung auf Ausländer, deren Rechtsstellung durch das Freizügigkeitsgesetz geregelt ist, soweit nicht - wie etwa in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU - durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Entsprechend dem Verfassungsziel der Verwirklichung eines vereinten Europas (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), dem Verfassungsgrundsatz der Europafreundlichkeit und des Selbstverständnisses der Union als Rechtsgemeinschaft (BVerfG, B. v. 06.07.2010 - 2 BvR 2661/06 - Rn. 53/59 ) sowie dem Grundsatz, dass die Union ihren Bürgerinnen und Bürgern Freizügigkeit (heute: Art. 45 Abs. 1 GRCh, Art. 21 Abs. 1 AEUV) sowie einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen bietet, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist (heute: Art. 3 Abs. 2 EUV-Liss.), sowie im Lichte der mit Anwendungsvorrang ausgestatteten Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dort die Art. 6 ff.), deren Daueraufenthaltsrecht das Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und zum sozialen Zusammenhalt beitragen soll (17. Erwägungsgrund; BVerwG, B. v. 13.07.2010 - 1 C 15.09 - Rn. 26) und deren größtmögliche praktische Wirksamkeit im Sinne des europarechtlichen „effet utile“ die Mitgliedstaaten garantieren müssen, ist das Freizügigkeitsgesetz/EU als ein die Unionsbürger privilegierendes Spezialaufenthaltsrecht zu interpretieren. Dementsprechend ist die spezifische Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU als grundsätzlich abschließend zu begreifen. Für Unionsbürger soll eben nicht das allgemeine Ausländerrecht gelten; der Gesetzgeber spricht deshalb in der Gesetzesbegründung ausdrücklich vom „Grundsatz, dass Unionsbürger und ihre Angehörigen weitestgehend aus dem Geltungsbereich des allgemeinen Ausländerrechts herausgenommen werden“ (BT-Drs. 15/420, S. 106). In § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht genannte Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes sind mithin zum einen insbesondere nur nach Maßgabe der Meistbegünstigungsklausel in Satz 5 der Norm anwendbar, wonach das Aufenthaltsgesetz im Übrigen Anwendung findet, „wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU“, so dass es nicht zu einer nach Unionsrecht unzulässigen Schlechterstellung der Unionsbürger gegenüber sonstigen Ausländern kommen kann (so die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/420, S. 106). Zum anderen findet das AufenthG nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU ausdrücklich erst dann Anwendung, wenn das Nichtbestehen oder der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU behördlich festgestellt worden ist. Auch dadurch wird im Umkehrschluss der abschließende Charakter der Verweisungsnorm des § 11 FreizügG/EU deutlich; Unionsbürger sollen erst und nur dann dem allgemeinen Ausländerrecht unterfallen, wenn sie über kein europarechtliches Freizügigkeitsrecht (mehr) verfügen. Maßnahmen und Entscheidungen bis zur bzw. über die Verlustfeststellung hingegen können grundsätzlich nicht auf der Basis des Aufenthaltsgesetzes erlassen werden. Da in § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auch auf Verfahrensnormen (z.B. §§ 73, 77 Abs. 1 AufenthG) und sogar eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen (§ 99 AufenthG) verwiesen wird, kann es kein Redaktionsversehen sein, dass auf die Zuständigkeitsnorm des § 71 Abs. 1 AufenthG gerade nicht verwiesen wurde. Der Bund wollte den Ländern offenbar nicht die Vorgabe machen, für die Verwaltung von Angelegenheiten der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen zwingend die Ausländerbehörden einschalten zu müssen. Der abschließende Charakter des § 11 FreizügG/EU ergibt sich mithin aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte, der Systematik des deutschen Aufenthaltsrechts, aus Sinn und Zweck der Norm sowie vor allem ihrem europarechtlichen Kontext (im Ergebnis ebenso: Hailbronner, AuslR, 10/2007, § 11 FreizügG/EU Rn. 1 f.; Harms in Storr/Wenger u.a., ZuwG, § 11 FreizügG/EU Rn. 2 ff.; Epe in GK-AufenthG 11/2006, § 11 FreizügG/EU Rn. 3; Hoppe in HTK-AuslR, 2/2005, § 11 FreizügG/EU zu Abs. 1; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 11 FreizügG/EU Rn. 2; Hofmann in HK-AuslR, § 11 FreizügG/EU Rn. 4). Der die Konzeption des ausländerrechtlichen Sonderstatus der Unionsbürger nicht hinreichend beachtende Ansatz des Beklagten, § 71 Abs. 1 AufenthG als „Gesetz“ im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und das FreizügG/EU als „anderes Gesetz“ im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einzustufen, überzeugt nach alledem nicht. Ebenso wenig kann vor diesem Hintergrund aus dem Umstand, dass in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU von der „Ausländerbehörde“ die Rede ist, auf eine generelle Anwendbarkeit von § 71 Abs. 1 AufenthG auch für Unionsbürger oder jedenfalls für die Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung geschlossen werden. Und selbst wenn § 11 Abs. 2 FreizügG/EU als bundesrechtliche Zuständigkeitsbestimmung dahingehend zu lesen wäre, dass die Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung zwingend von der Ausländerbehörde zu erlassen ist, kann hierin jedenfalls keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von § 6 Abs. 3 AAZuVO erkannt werden, ganz unabhängig davon, dass § 11 Abs. 2 FreizügG/EU in der Einleitungsformel der AAZuVO auch nicht zitiert wird.
22 
2. Andere tragfähige Ermächtigungsgrundlagen für die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO sind in der AAZuVO selbst nicht angegeben; sie werden vom beklagten Land nicht behauptet und sind auch sonst nicht erkennbar. Die in der Einleitungsformel der AAZuVO weiter zitierten § 4 Abs. 2 LVwVG (Nr. 2), § 15 a Abs. 1 Satz 5 und Abs. 3 Satz 4 AufenthG i.V.m. § 46 Abs. 5 AsylVfG (Nr. 3), § 15 a Abs. 4 Satz 5 und 6 AufenthG (Nr. 4), § 2 Abs. 5 FlüAG (Nr. 6) sowie § 22 Abs. 2 Satz 1, § 46 Abs. 5 und § 88 Abs. 3 AsylVfG (Nr. 7) scheiden aufgrund ihrer anderen sachlichen Anwendungsbereiche offenkundig aus. Der unter Nr. 1 zitierte § 12 Abs. 1 Satz 2 des Landesverwaltungsgesetzes i.d.F. vom 03.02.2005 (GBl. S. 159 - LVG a.F.), wonach einem Regierungspräsidium Aufgaben auch in anderen Regierungsbezirken zugewiesen werden können, betrifft bei einer an sich bestehenden Zuständigkeit der Regierungspräsidien nur den Fall der Konzentration auf ein einziges Regierungspräsidium. Auf § 12 Abs. 1 Satz 1 LVG a.F., wonach die Regierungspräsidien zuständig sind für die ihnen (…) „durch Gesetz, Rechtsverordnung oder eine Anordnung nach § 5 Abs. 3 und 4 (LVG a.F.) zugewiesenen Aufgaben“, wird in der Einleitungsformel der AAZuVO nicht verwiesen; diese Norm enthielte im Übrigen wohl auch keine eigenständige und originäre Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung. Der in der Einleitungsformel unter Nr. 1 zitierte § 5 Abs. 4 LVG a.F., wonach bestimmte Aufgaben nachgeordneter Verwaltungsbehörden auf andere nachgeordnete Behörden übertragen werden können, passt hier ebenso wenig wie § 5 Abs. 3 LVG a.F., wonach die Ministerien ermächtigt sind, eigene bestimmte Aufgaben nachgeordneten Behörden zu übertragen. Denn das bezüglich der am 02.12.2008 erlassenen AAZuVO anwendbare, bis 31.12.2008 gültig gewesene Landesverwaltungsgesetz a.F. unterschied in § 12 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 und § 18 sowie in § 30 zwischen Gesetz, Rechtsverordnung und „Anordnungen“ („nach § 5 Abs. 3 und 4“), d.h. Verwaltungsvorschriften. Da das Gesetz an anderer Stelle ausdrücklich zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigte (vgl. etwa §§ 5 a Abs. 3, 13 Abs. 2, 16 Abs. 2, 25 a Abs. 1, 25 a Abs. 2 Satz 1 LVG a.F. - ebenso die Neufassung in § 4 Abs. 1 LVG 2009), konnte dies bei „Anordnungen nach § 5 Abs. 3 und 4“ nicht gemeint sein. § 5 LVG a.F. kann jedenfalls die unionsbürgerrechtliche Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO nicht tragen.
23 
3. Eine Heilung (§ 45 LVwVfG) oder Unbeachtlichkeit (§ 46 LVwVfG) des Mangels der sachlichen Zuständigkeit kommt generell nicht in Betracht (ganz h.M., vgl. VGH Bad.-Württ., U. v. 17.06.2003 - 1 S 2025/01 - VBlBW 2004, 213; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., § 45 Rn. 10 m.w.N.). Die Verlustfeststellung ist mithin formell rechtswidrig angeordnet worden, so dass es auf die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit - und insbesondere den Ausgang des Vorlageverfahrens Tsakouridis auch zur Auslegung des Begriffs der „öffentlichen Sicherheit“ gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG (vgl. EuGH, Schlussantrag Bot v. 08.06.2010, Rs. C-145/09) - nicht mehr ankommt.
24 
Dieser Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung verletzt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten, denn es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass hier abweichend von allgemeinen Grundsätzen die Zuständigkeitsregeln nicht auch dem Schutz des Betroffenen dienen (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.1996 - 1 C 19.94 - InfAuslR 1997, 239), insbesondere, weil es bei der Verlustfeststellung um eine in Freiheitsrechte eingreifende Ermessensentscheidung geht (Harms in Storr/Wenger u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 10). Vor diesem Hintergrund kommt auch die weitere Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 AAZuVO für eine Übergangszeit nicht in Betracht (vgl. die Ausnahme zur Leistungsverwaltung im Beihilferecht in BVerwG, U. v. 28.05.2008 - 2 C 1.07 - NVwZ 2008, 1380).
25 
4. Mangels spezieller bundes- oder landesrechtlicher Zuständigkeitsregelung greift damit der Grundsatz, dass das materielle Unionsrecht nach den Regeln des nationalen Rechts vollzogen wird (stRspr, vgl. EuGH, U. v. 21.09.1983, Rs. C-205/82 - Slg. 1983, S. 2633 ; BVerwG, B. v. 26.02.2010 - 3 B 4.10 - juris Rn. 6). Für die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU war im Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. § 5 Abs. 2 LVG a.F.) und ist heute gemäß Art. 83, 84 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 LVG 2009 i.V.m. Art. 1 III. der Bekanntmachung der Landesregierung über die Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Ministerien vom 24.07.2001 (GBl. S. 590) das Innenministerium zuständig. Da das Unionsbürgerrecht nicht aus der Perspektive der Gefahrenabwehr, sondern von dem Grundgedanken des „Europas der - freizügigkeitsberechtigten - Bürger“ her vollzogen werden muss (vgl. Art. 2 EUV-Liss., Art. 20 AEUV), ist die Anwendung der Zuständigkeitsregeln des Polizeirechts, insbesondere § 66 Abs. 2 PolG, ausgeschlossen (hierzu: Storr/Wenger, ZuwG, § 71 AufenthG Rn. 4, m.w.N.; Thym, Migrationsverwaltungsrecht, 2010, S. 211 ff.). Eine an die Gefahrenabwehr anknüpfende Ausgestaltung des aufenthaltsrechtlichen Status des Unionsbürgers wäre mit dem Geist des EU-Vertrags nicht in Einklang zu bringen (ausführlich: Bast, Aufenthaltsrechtliche Steuerung der Migration, i.E., Kap. 2 B.).
26 
Dem Innenministerium ist es selbstredend unbenommen, die Zuständigkeitsregelung des § 6 Abs. 3 AAZuVO, besser: gemeinsam mit der Landesregierung die gesamte AAZuVO (ggf. wortgleich) auch auf der voraussichtlich hierfür nunmehr tragfähigen gesetzlichen Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Alt. 1 LVG 2009 erneut zu erlassen. Allein das nachträgliche Inkrafttreten des neuen Landesverwaltungsgesetzes am 01.01.2009 (GBl. 2008, S. 313) kann § 6 Abs. 3 AAZuVO hingegen nicht heilen, weil im Zeitpunkt der Ausfertigung einer Norm die Kompetenz zu ihrem Erlass in Geltung gestanden haben muss (BVerfG, U. v. 26.07.1972 - 2 BvF 1/71 - BVerfGE 34, 9 <21, 24>; BVerwG, U. v. 29.04.2010 - 2 C 77/08 - juris Rn. 20).
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
28 
Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die zwischen den Beteiligten umstrittene und entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob § 11 FreizügG/EU die Anwendbarkeit von § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sperrt, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig.
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Beschluss vom 14. September 2010
30 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach Satz 2 kann durch die zuständigen Stellen der betroffenen Länder auch geregelt werden, dass den Ausländerbehörden eines Landes für die Bezirke von Ausländerbehörden verschiedener Länder Aufgaben zugeordnet werden. Für die Vollziehung von Abschiebungen ist in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Die Länder sollen jeweils mindestens eine zentrale Ausländerbehörde einrichten, die bei Visumanträgen nach § 6 zu Zwecken nach den §§ 16a, 16d, 17 Absatz 1, den §§ 18a, 18b, 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19, 19b, 19c und 20 sowie bei Visumanträgen des Ehegatten oder der minderjährigen ledigen Kinder zum Zweck des Familiennachzugs, die in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden, die zuständige Ausländerbehörde ist.

(2) Im Ausland sind für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Das Auswärtige Amt wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Entscheidung über Anträge auf Erteilung eines Visums zu übertragen. Soweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, stehen dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Befugnisse zur Datenverarbeitung sowie alle sonstigen Aufgaben und Befugnisse einer Auslandsvertretung bei der Erteilung von Visa gemäß Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe b sowie gemäß den §§ 54, 66, 68, 69, 72, 72a, 73, 73a, 75, 87, 90c, 91d und 91g zu.

(3) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden sind zuständig für

1.
die Zurückweisung und die Zurückschiebung an der Grenze, einschließlich der Überstellung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird,
1a.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bei oder nach der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/399 (Binnengrenze) aufgegriffen wird,
1b.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bereits unerlaubt eingereist ist, sich danach weiter fortbewegt hat und in einem anderen Grenzraum oder auf einem als Grenzübergangsstelle zugelassenen oder nicht zugelassenen Flughafen, Flug- oder Landeplatz oder See- oder Binnenhafen aufgegriffen wird,
1c.
die Befristung der Wirkungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Ab- und Zurückschiebungen nach § 11 Absatz 2, 4 und 8,
1d.
die Rückführungen von Ausländern aus anderen und in andere Staaten; die Zuständigkeit besteht neben derjenigen der in Absatz 1 und in Absatz 5 bestimmten Stellen,
1e.
die Beantragung von Haft und die Festnahme, soweit es zur Vornahme der in den Nummern 1 bis 1d bezeichneten Maßnahmen erforderlich ist,
2.
die Erteilung eines Visums und die Ausstellung eines Passersatzes nach § 14 Abs. 2 sowie die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2a,
3.
die Rücknahme und den Widerruf eines nationalen Visums sowie die Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009
a)
im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, soweit die Voraussetzungen der Nummer 1a oder 1b erfüllt sind,
b)
auf Ersuchen der Auslandsvertretung, die das Visum erteilt hat, oder
c)
auf Ersuchen der Ausländerbehörde, die der Erteilung des Visums zugestimmt hat, sofern diese ihrer Zustimmung bedurfte,
4.
das Ausreiseverbot und die Maßnahmen nach § 66 Abs. 5 an der Grenze,
5.
die Prüfung an der Grenze, ob Beförderungsunternehmer und sonstige Dritte die Vorschriften dieses Gesetzes und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Anordnungen beachtet haben,
6.
sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen, soweit sich deren Notwendigkeit an der Grenze ergibt und sie vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hierzu allgemein oder im Einzelfall ermächtigt sind,
7.
die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Wege der Amtshilfe in Einzelfällen für Ausländer,
8.
die Erteilung von in Rechtsvorschriften der Europäischen Union vorgesehenen Vermerken und Bescheinigungen vom Datum und Ort der Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates, der den Schengen-Besitzstand vollständig anwendet; die Zuständigkeit der Ausländerbehörden oder anderer durch die Länder bestimmter Stellen wird hierdurch nicht ausgeschlossen.

(4) Für die erforderlichen Maßnahmen nach den §§ 48, 48a und 49 Absatz 2 bis 9 sind die Ausländerbehörden, die Polizeivollzugsbehörden der Länder sowie bei Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Bundespolizei und andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden zuständig. In den Fällen des § 49 Abs. 4 sind auch die Behörden zuständig, die die Verteilung nach § 15a veranlassen. In den Fällen des § 49 Absatz 5 Nummer 5 und 6 sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. In den Fällen des § 49 Absatz 8 und 9 sind auch die Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge befugt, bei Tätigwerden in Amtshilfe die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei ausländischen Kindern oder Jugendlichen, die unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist sind, vorzunehmen; diese Maßnahmen sollen im Beisein des zuvor zur vorläufigen Inobhutnahme verständigten Jugendamtes und in kindgerechter Weise durchgeführt werden.

(5) Für die Zurückschiebung sowie die Durchsetzung der Verlassenspflicht des § 12 Abs. 3 und die Durchführung der Abschiebung und, soweit es zur Vorbereitung und Sicherung dieser Maßnahmen erforderlich ist, die Festnahme und Beantragung der Haft sind auch die Polizeien der Länder zuständig.

(6) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle entscheidet im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt über die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren (§ 3 Abs. 1); die Entscheidungen ergehen als Allgemeinverfügung und können im Bundesanzeiger bekannt gegeben werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.