Verwaltungsgericht Trier Urteil, 19. Apr. 2017 - 5 K 2564/16.TR

ECLI:ECLI:DE:VGTRIER:2017:0419.5K2564.16.00
19.04.2017

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin erstrebt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Dem liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

3

Am 01. Juni 2016 stellte die Klägerin bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkten Asylantrag, bei dem sie angab, eritreischer Staatsangehörigkeit zu sein und dem Volksstamm der Tigrinja anzugehören. Sie habe Eritrea am 1. Juli 2015 verlassen und sei am 14. September 2015 per Zug von Österreich nach Deutschland eingereist.

4

Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am Tag der Asylbeantragung (Blatt 48 ff. der Verwaltungsakte) trug die Klägerin vor, dass sie zuletzt in dem Dorf Engerne gelebt und dort als Händlerin gearbeitet habe. Sie habe nur wenig verdient und sei nicht in der Lage gewesen, ihr Kind sowie ihre Mutter, für die sie verantwortlich gewesen sei, zu ernähren. Die staatlichen Steuereintreiber hätten ihr sowohl ihr Geld als auch ihre Waren weggenommen. Zu der Frage, ob sie jemals persönlich angegriffen oder attackiert worden sei, führte die Klägerin seinerzeit aus, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Auch sei sie zu keinem Zeitpunkt bedroht worden. Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden, mit Ausnahme der Steuerbehörde, habe sie nicht gehabt (Bl. 51 der Verwaltungsakte). Nach den Gründen ihrer Flucht befragt gab die Klägerin vor dem Bundesamt an, dass am Tag vor ihrer Flucht die Steuereintreiber gekommen seien und alle Waren mitgenommen hätten. Sie habe nichts mehr gehabt, womit sie ihre Mutter und ihren Sohn habe ernähren können, deshalb sei sie geflohen. Da sie illegal das Land verlassen habe, müsse sie im Falle ihrer Rückkehr befürchten, inhaftiert und schlimmstenfalls getötet zu werden, wobei sie jedoch niemanden persönlich kenne, dem derartiges widerfahren sei, da alle Personen, mit denen sie bekannt sei, bereits vor ihr das Land verlassen hätten. Auf die Frage, ob sie in Eritrea Wehrdienst geleistet habe, gab die Klägerin an, dass sie keinen Wehrdienst geleistet habe, da sie verheiratet und Mutter gewesen und daher nicht wehrdienstpflichtig gewesen sei.

5

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 7. Juni 2016 wurde der Klägerin der subsidiäre Schutzstatus durch die Beklagte zuerkannt und der Asylantrag im Übrigen abgelehnt.

6

Zur Begründung des ablehnenden Teils der Entscheidung führte das Bundesamt aus, dass die Klägerin keine persönlichen Verfolgungsmerkmale vorgetragen habe und aufgrund dessen eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausscheide.

7

Gegen den der Klägerin am 10. Juni 2016 zugestellten Bescheid richtet sich die am 22. Juni 2016 erhobene Klage.

8

Zu ihrer Begründung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 29. Juli 2016 ausgeführt, dass es zwar nicht zu einer persönlichen Auseinandersetzung mit den Steuereintreibern gekommen sei, jedoch sei dies nur darauf zurückzuführen, dass sie den Forderungen stets nachgekommen sei. Im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea müsse sie aufgrund der illegalen Ausreise mit Folter rechnen.

9

Mit Schriftsatz vom 12. April 2017 hat die Klägerin sodann vorgetragen, dass sie von Zollbeamten 2 - 3 Mal im Monat bedrängt und geschlagen worden sei, da man ihr vorgeworfen habe, mit illegalen Waren zu handeln. Zudem habe sie zwei Wochen vor ihrer Ausreise einen Einberufungsbefehl zur Ableistung des nationalen Wehrdienstes erhalten. Sie sei geflohen, um dem Wehrdienst entgehen zu können. Im Falle ihrer Rückkehr drohe ihr auch aufgrund der Wehrdienstentziehung eine empfindliche Strafe bis hin zur Folter. Am Tag ihrer Flucht sei sie aufgrund des Vorwurfs des Handelns mit illegalen Waren festgenommen worden. Aufgrund der großen Anzahl der Gefangenen – etwa 30 – und der geringen Anzahl der Wachen – 6 – sei es ihr gelungen, zu fliehen.

10

In der mündlichen Verhandlung vor Gericht hat die Klägerin die ihr eingeräumte Möglichkeit, sich ergänzend zum Klagebegehren zu äußern, genutzt und ausführliche weitergehende Angaben zur Sache gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Angaben wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift.

11

Die Klägerin beantragt,

12

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Juni 2016 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

13

Die in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertretene Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin unter Bezugnahme auf die Gründe ihrer Entscheidung schriftsätzlich entgegengetreten und beantragt schriftsätzlich,

14

die Klage abzuweisen.

15

Die Kammer hat mit Beschluss vom 28. Juni 2016 den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2017. Die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die auf Blatt 31 ff. der Prozessakte aufgelisteten Unterlagen zu den Verhältnissen in Eritrea lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe

17

Die zulässige Klage, über die der erkennende Einzelrichter trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO entscheiden konnte, bleibt ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten, da sie keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besitzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).

18

Gemäß §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, 31 Abs. 2 Asylgesetz – AsylG – ist die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des in dieser Vorschrift in Bezug genommenen Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) einem Ausländer durch die Beklagte u.a. dann zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe – diese Begriffe werden in § 3b Abs. 1 AsylG im Einzelnen näher erläutert – außerhalb des Landes (Herkunftsland) aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

19

Als Verfolgung im Sinne dieser Norm gelten gemäß § 3a AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.

20

Dabei kommt es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG nicht darauf an, ob der Verfolgte tatsächlich Träger eines Verfolgung verursachenden Merkmals ist; entscheidend ist vielmehr, ob ihm von dem Verfolgenden eines der Merkmale zugerechnet wird.

21

Hinsichtlich der Kreise, von denen eine Verfolgung ausgehen kann, bestimmt § 3c AsylG, dass Verfolgungsauslöser sein können ein Staat, wesentliche Teile eines Staates beherrschende Parteien oder Organisationen sowie nichtstaatliche Akteure, sofern die zuvor genannten Akteure und internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz zu gewähren – und zwar unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Ob maßgebende Akteure hinreichend Schutz gewähren können, richtet sich nach § 3d AsylG. Entscheidend ist insoweit, dass nach Absatz 2 der Norm ein nur vorübergehender Schutz nicht ausreichend ist. Ferner wird gemäß § 3e AsylG einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat, sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Für die Frage, ob ein Ausländer in bestimmten Regionen seines Heimatstaates vor Verfolgung sicher ist und eine ausreichende Lebensgrundlage besteht, kommt es dabei auf die allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet und die persönlichen Umstände des Antragstellers an.

22

Ob eine Verfolgung droht, ist anhand einer Prognose zu beurteilen, die von einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes auszugehen und die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 - 9 C 14/89 -, BVerwGE 85 S. 12/15). Zu bejahen ist eine Verfolgungsgefahr, wenn dem Schutzsuchenden bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren. Insoweit ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann und für ihn nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 - 10 C 10/10 -, juris).

23

Allerdings gilt für den Flüchtlingsschutz auf Grund der Bestimmung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes eine Beweiserleichterung für solche Personen, die bereits verfolgt wurden bzw. von Verfolgung unmittelbar bedroht waren, denn diese Vorverfolgung enthält einen ernsthaften Hinweis darauf, dass die Furcht vor erneuter Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betreffende erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 – 10 C 24.08 -, juris), wobei die Vermutung allerdings selbst dann widerlegt sein kann, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften asylrechtlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs bestünde. Maßgebend ist insoweit eine tatrichterliche Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 -, juris).

24

Grundlage dieser Prognoseentscheidung ist das bisherige Schicksal des Ausländers. Dabei ist es, wie sich aus den in Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten ergibt, seine Aufgabe, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Insoweit muss der Ausländer dem Gericht die Überzeugung vermitteln, dass der von ihm geschilderte Sachverhalt zutrifft. Dabei dürfen allerdings keine unerfüllbaren Beweisanforderungen gestellt werden, zumal sich der Ausländer oftmals in Beweisschwierigkeiten befindet. Vielmehr kann bereits allein sein Tatsachenvortrag zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen, wenn er derart „glaubhaft“ ist, dass sich das Gericht von seinem Wahrheitsgehalt überzeugen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 1990 - 9 C 72/89 -, juris und vom 16. April 1985 - 9 C 109/84 -, BVerwGE 71 S. 180). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigen werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1989 - 9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, S. 349, vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, S. 38 f., und vom 3. August 1990 - 9 B 45.90 -, InfAuslR 1990, S. 344).

25

An der Glaubhaftigkeit eines Verfolgungsschicksals fehlt es allerdings in aller Regel, wenn der Ausländer im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405/89 -, Buchholz 310, § 86 Abs. 1 Nr. 212), wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender oder vergleichbarer Geschehensabläufe unvorstellbar erscheinen sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens erheblich steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Juli 1987 - 11 A 34/87 -).

26

Ausgehend von diesen Grundsätzen steht der Klägerin kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zur Seite. Denn aus dem Vortrag der Klägerin, an dessen Glaubhaftigkeit aufgrund der Widersprüchlichkeit und enormen Steigerung bereits durchgreifende Bedenken bestehen, ergibt sich auch bei Wahrunterstellung keine begründete Furcht vor einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale i.S.v. §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG.

27

a. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass die staatlichen „Steuereintreiber“ sie gezwungen hätten, die von ihr erzielten Verkaufserlöse und eingekauften Handelswaren herauszugeben, da ihr vorgeworfen sei, dass sie die Waren auf illegalem Wege erworben habe, ergibt sich hieraus kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da dieses Vorgehen der staatlichen Bediensteten evident nicht an eines der in § 3 Abs. 1 Ziff. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpft.

28

b. Weiterhin führt auch die von der Klägerin geltend gemachte Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

29

Im Ausgangspunkt stellt sich die Lage zur Ableistung des Wehrdienstes in Eritrea wie folgt dar:

30

Gemäß Art. 8 der Proklamation 82/1995 vom 23. Oktober 1995 („Proclamation on National Service“) sind Männer und Frauen im Alter von 18 bis 40 Jahren verpflichtet, Wehrdienst zu leisten. Die Wehrdienstverpflichtung erstreckt sich dabei, nachdem eine sechsmonatige Ausbildung abgeleistet wurde, offiziell über einen Zeitraum von 12 Monaten (Art. 8 der Proklamation 82/1995). Tatsächlich jedoch werden die Wehrdienstpflichtigen auch nach Ablauf dieses Zeitraums weiterhin zum militärischen Dienst herangezogen oder in Bereichen der staatlichen Daseinsfürsorge eingesetzt, bspw. in den Bereichen des Straßen- und Dammbaus, der Landwirtschaft oder der Verwaltung. Die tatsächliche Inanspruchnahme der Wehrdienstpflichtigen ist dabei zeitlich unbegrenzt und kann sich im Extremfall über mehrere Jahrzehnte erstrecken und auch solche Personen erfassen, die außerhalb der in der Proklamation vorgesehen Altersgrenze liegen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, Ziff. 1.6; EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, November 2016, S. 13; „Just deserters: Why indefinite national service in eritrea has created a generation of refugees“, Amnesty International-Bericht, Dezember 2015, S. 15 ff.; „Ein Jahrzehnt lang Grundwehrdienst“, Online-Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. April 2015 abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/menschen-verlassen-eritrea-wegen -repressionen-13552343.html).

31

Ein Recht zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen oder die Möglichkeit zur Ableistung eines Ersatzdienstes besteht nicht. Lediglich im Falle der Heirat oder der Schwangerschaft besteht für weibliche Wehrdienstpflichtige die Möglichkeit, aus dem Wehrdienst entlassen zu werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, Ziff. 1.6).

32

Im Falle der Wehrdienstverweigerung sind Deserteure gemäß Art. 37 der Proklamation 82/1995 verpflichtet, eine Geldstrafe in Höhe von 3.000 Birr und/oder eine zweijährige Haftstrafe zu verbüßen. Im Falle der illegalen Ausreise nach der Desertation beträgt die Haftstrafe gemäß Art. 37 Abs. 3 der Proklamation 82/1995 fünf Jahre. Dabei sind die Haftbedingungen mitunter unmenschlich hart und lebensbedrohlich und die durch die staatlichen Sicherheitskräfte gegen Deserteure eingesetzte Gewalt und Folter führt nicht selten zum Tode (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, Ziff. 4).

33

Obschon die durch das eritreische Regime für den Fall der Wehrdienstentziehung regelmäßig verhängten Strafen damit ein Maß erreichen, das im Widerspruch zu elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen und Menschenrechten steht (vgl. zutreffend VG Augsburg, Urteil vom 11. August 2016 – 1 K 16.30744 -, BeckRS 2016, 52837), besitzt die staatliche Bestrafung der Desertation keine flüchtlingsschutzrechtliche Relevanz, da sie nicht an ein persönliches Verfolgungsmerkmal i.S.d. § 3 Abs. 1 Ziff. 1 AsylG anknüpft.

34

Grundsätzlich betrifft die Verpflichtung zur Ableistung des staatlichen Wehrdienstes sämtliche Staatsangehörigen Eritreas; eine Selektion anhand flüchtlingsschutzrechtlicher Merkmale erfolgt nicht (vgl. VG München, Urteil vom 29. Dezember 2016 – M 12 K 16.33808 -, BeckRS 2016, 111879). Die bloße Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes ohne Anknüpfung an persönliche Verfolgungsmerkmale kann somit nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, da die Heranziehung zum Militärdienst, wie es in § 3a Abs. 2 Ziff. 5 AsylG zum Ausdruck kommt, flüchtlingsschutzrechtlich nicht dem Schutzversprechen unterfällt (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 11. August 2016 – 1 K 16.30744 -, BeckRS 2016, 52837; BeckOK Ausländerrecht, AsylG, § 3b Rn. 18 [Stand: 01. Februar 2017]).

35

Ebenso wie die unterschiedslose Heranziehung zur Ableistung des Militärdienstes weist auch die im Falle der Desertation verhängte Bestrafung keine Anknüpfung an flüchtlingsschutzrechtlich relevante Merkmale auf.

36

Hierzu ist zu sehen, dass die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, die grundsätzlich dem asylrechtlich nicht berücksichtigungsfähigen souveränen Strafanspruch eines jeden Staates unterfällt, dann eine flüchtlingsschutzrechtliche Relevanz erhält, wenn Deserteuren eine an ihre politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich droht, sog. Politmalus (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16.OVG – BeckRS 2016, 110625; BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 -).

37

Vorliegend bestehen indes, ausgehend von der obigen erkenntnismittelgestützten Darstellung der Lage innerhalb Eritreas, keine Anhaltspunkte dafür, dass Deserteuren, die sich in Eritrea selbst oder durch Flucht in das Ausland dem Wehrdienst entzogen haben, im Falle ihrer Ergreifung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine regimegegnerische Haltung unterstellt und eine hierauf gestützte härtere Bestrafung zuteil wird. Bei der für den Fall der Desertation drohenden Strafverfolgung handelt es sich um eine Strafverfolgung nach den einschlägigen eritreischen Strafvorschriften, die jeden Eritreer gleichermaßen binden. Sie sanktionieren ausschließlich die fehlende Ableistung des Wehrdienstes, ohne an individuelle Persönlichkeitsmerkmale anzuknüpfen. Oftmals erfolgen Verhaftungen willkürlich und ohne Angaben von Gründen. Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Bestrafung der Desertation bestehen damit nicht (vgl. auch VG München, Urteil vom 29. Dezember 2016 a.a.O.; VG Augsburg, Urteil vom 11. August 2016 a.a.O.).

38

Auch die Tatsache, dass es während der gesetzlich vorgesehenen Inhaftierung zu Folter und Misshandlungen bis hin zum Tode kommt, rechtfertigt keine abweichende rechtliche Wertung. Zwar kann es sich bereits bei der Folter als solcher um ein Indiz für den politischen Charakter der Maßnahme handeln. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien, die einen Rückschluss auf die subjektive Verfolgungsmotivation zulassen. Derartige objektive Kriterien sind vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staates, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des einzelnen und die Behandlung von Minderheiten. Maßgeblich ist, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugung seiner Staatsbürger unbeachtet lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische Verfolgung nicht zu begründen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 a.a.O.).

39

Ausgehend hiervon bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die im Falle der Desertation drohende Haft samt Folter eine Anknüpfung an flüchtlingsschutzrechtliche relevante Merkmale aufweist.

40

Seit dem Grenzkrieg mit dem Nachbarstaat Äthiopien ist der demokratische Prozess Eritreas zum Stillstand gekommen. Eritrea bildet seither einen Einparteienstaat unter der Kontrolle eines Militärregimes in Gestalt der einzigen zugelassenen Partei „People’s Front for Democracy and Justice“ (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, Ziff. I). Mithilfe der faktisch unbegrenzten Verpflichtung zur Ableistung des staatlichen Militärdienstes, der im Nachgang zu der Grundausbildung oftmals auch einen Einsatz in der staatlichen Verwaltung umfasst, stellt die eritreische Regierung zuvörderst die Aufrechterhaltung der staatlichen Funktionsfähigkeit sicher. Die gesamte Volkswirtschaft Eritreas sowie der eritreische Staatsapparat fußen auf der Wehrdienstverpflichtung, die bei Lichte besehen eine Form der staatlichen Zwangsarbeit darstellt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 6; „Auf gepackten Koffern“, FAZ-Artikel vom 21. März 2017; „Ein Jahrzehnt lang Grundwehrdienst“, Online-Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. April 2015, a.a.O.).

41

Hieraus folgt, dass der eritreische Staat die politische Überzeugung seiner Bürger im Falle der Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung gänzlich unbeachtet lässt. Vielmehr dient die empfindliche Bestrafung der Desertation allein dazu, die bestehende Herrschaftsstruktur zu sichern und insbesondere das auf der langzeitigen Verpflichtung der eritreischen Staatsbürger beruhende staatliche System aufrechtzuerhalten.

42

Nach alledem knüpft die Pflicht zur Ableistung des nationalen Wehrdienstes sowie die Bestrafung im Falle der Wehrdienstentziehung nicht an flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgungsgründe i.S.d. § 3 Abs. 1 Ziff. 1 AsylG an.

43

c. Schlussendlich vermittelt auch die illegale Ausreise und Asylantragstellung der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da es insoweit sowohl an Anhaltspunkten dafür mangelt, dass Asylbegehrende im Falle der Rückkehr von relevanten Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG betroffen sein könnten, als auch dafür, dass Asylantragstellern von den staatlichen Institutionen Eritreas eine regimekritische Haltung unterstellt wird.

44

Gegen eine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung von Asylbegehrenden spricht zunächst, dass geflohene eritreische Staatsangehörige die Möglichkeit besitzen, nach Zahlung einer sog. „Aufbausteuer“ und der eventuellen Unterzeichnung eines Reuebekenntnisses ohne weitere Sanktionierung zurück nach Eritrea zu reisen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 17; EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, November 2016, S. 29). So ist es gängige Praxis der eritreischen Auslandsvertretungen, dass diese geflüchteten Staatsangehörigen (auch im Falle der Asylantragstellung im Ausland) neue eritreische Personalpapiere ausstellen, wenn die Aufbausteuer entrichtet und das Reuebekenntnis unterzeichnet worden ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 5 und 17). Bereits diese Vorgehensweise spricht gegen eine politische Verfolgung geflohener eritreischer Staatsangehöriger (vgl. VG München, Urteil vom 29. Dezember 2016 a.a.O.).

45

Hinzu tritt, dass Eritrea an den Einkünften im Ausland lebender Staatsbürger maßgeblich partizipiert. Grundsätzlich ist jeder im Ausland lebende Eritreer verpflichtet, 2% seines Einkommens an den eritreischen Staat abzuführen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 17; „Auf gepackten Koffern“, FAZ-Artikel vom 21. März 2017). Aufgrund der defizitären wirtschaftlichen Situation Eritreas, das sich mit einem geschätzten Pro-Kopf-Jahreseinkommen von 694,00 USD an 182. Stelle von 187 Ländern im Human Development Index befindet (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 7), ist Eritrea zur Stabilisierung seiner Wirtschaft und zur Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftslage auf die Zahlungen im Ausland lebender Staatsbürger zwingend angewiesen, wobei die Zahlung unter anderem dadurch sichergestellt wird, dass im Ausland lebende Staatsbürger ohne Zahlung der sog. Diasporasteuer keinerlei staatliche Leistungen wie bspw. die Ausstellung amtlicher Urkunden in Anspruch nehmen kann (vgl. „Von wegen Freiheit“, Online-Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Mai 2016, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/eritreer-in-deutschland-von-wegen-freiheit -14220957.html). Aufgrund dieser finanziellen Partizipation des eritreischen Staates an einer Asylantragstellung seiner Staatsbürger im Ausland droht asylbegehrenden Eritreern im Falle ihre Rückkehr keine staatliche Sanktionierung (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 17;„Auf gepackten Koffern“, FAZ-Artikel vom 21. März 2017).

46

Da der Klägerin nach alledem in ihrem Herkunftsland Eritrea keine Verfolgung in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Ziff. 1 AsylG genannten Persönlichkeitsmerkmale droht, ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

47

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

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Verwaltungsgericht Trier Urteil, 19. Apr. 2017 - 5 K 2564/16.TR zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Trier Urteil, 19. Apr. 2017 - 5 K 2564/16.TR zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Verwaltungsgericht München Urteil, 29. Dez. 2016 - M 12 K 16.33808

bei uns veröffentlicht am 29.12.2016

Tenor I. Die Klagen werden abgewiesen. II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sich

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 01. Juni 2011 - 10 C 10/10

bei uns veröffentlicht am 01.06.2011

Tatbestand 1 Der Kläger, ein 1981 geborener türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Apr. 2010 - 10 C 5/09

bei uns veröffentlicht am 27.04.2010

Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1981 geborener türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

2

Er reiste im September 1996 in das Bundesgebiet ein und begründete seinen Asylantrag damit, dass er gezwungen werden sollte, in seinem Heimatdorf nahe der türkisch-syrischen Grenze Dorfschützer zu werden. Mit Bescheid vom 30. Januar 1997 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Asylantrag ab. Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Beklagte zu der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zwar habe der Kläger die Türkei unverfolgt verlassen, aber ihm drohe bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung aufgrund seiner in Deutschland entfalteten Aktivitäten für eine Unterorganisation der PKK. Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 15. April 2002 beim Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei fest.

3

Angesichts des politischen Reformprozesses in der Türkei leitete das Bundesamt im Juni 2008 ein Widerrufsverfahren ein. Nach Anhörung des Klägers widerrief es mit Bescheid vom 16. Juli 2008 dessen Flüchtlingsanerkennung und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen. Mit Urteil vom 7. April 2009 hat das Verwaltungsgericht die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 9. Februar 2010 die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geändert und den Widerrufsbescheid aufgehoben. Es ist davon ausgegangen, dass die Flüchtlingsanerkennung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu widerrufen sei, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert hätten, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sei. Das gelte entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch, wenn die Flüchtlingsanerkennung nicht auf einer Vorverfolgung im Heimatland, sondern auf im Ausland entwickelter exilpolitischer Betätigung beruhe. Da der abgesenkte Wahrscheinlichkeitsmaßstab z.B. im Fall einer Gruppenverfolgung auch auf Gruppenangehörige Anwendung finde, die persönlich keine Verfolgungsmaßnahmen erlitten hätten, erscheine es unter humanitären Gesichtspunkten nur billig, den anerkannten Flüchtling ebenfalls davon profitieren zu lassen. Der Kläger wäre aber im Falle der Rückkehr in die Türkei vor Verfolgung nicht hinreichend sicher. Trotz der Reformen in der Türkei sei es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Der Senat ziehe aus der Auskunftslage den Schluss, dass Personen, die von den türkischen Sicherheitsbehörden als Sympathisanten und Unterstützer der PKK eingestuft würden, vor Verfolgung nicht hinreichend sicher seien, auch wenn es sich nicht um exponierte Akteure handele. Der Kläger sei zum Zeitpunkt seiner Flüchtlingsanerkennung vom Verwaltungsgericht als hervorgehobener Aktivist eingestuft worden. Zwar habe er seine exilpolitische Betätigung nicht in gleicher Weise fortgesetzt. Es könne aber nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass seine Aktivitäten den Behörden bekannt geworden seien.

5

Zur Begründung ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht habe der Prüfung des Widerrufs zu Unrecht den abgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt. Da die Qualifikationsrichtlinie das Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nicht übernommen habe, setze der Widerruf nur voraus, dass die ursprüngliche Verfolgung nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie könne sich der Kläger mangels Vorverfolgung nicht berufen. Die ursprünglich zur Flüchtlingsanerkennung führende Gefahr der Folter oder Misshandlung wegen exilpolitischer Aktivitäten für der PKK nahestehende Organisationen habe in der Türkei nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mittlerweile nur noch Ausnahmecharakter; darin liege eine erhebliche Veränderung.

6

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil und macht darüber hinaus geltend, dass Anerkennungs- und Widerrufsverfahren nur bedingt spiegelbildlich verliefen. Lege man die Vorschrift des § 73 AsylVfG im Einklang mit der Entscheidung des EuGH vom 2. März 2010 aus, folge daraus zumindest indirekt, dass im Widerrufsverfahren - jedenfalls hinsichtlich einer der ursprünglich drohenden Verfolgung gleichartigen Verfolgung - der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde zu legen sei. Von einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse könne nur ausgegangen werden, wenn eine der ursprünglich geltend gemachten gleichartige Verfolgung hinreichend sicher auszuschließen sei.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet, denn das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat der Verfolgungsprognose, die es bei Prüfung der Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gestellt hat, einen unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt. Mangels der für eine abschließende Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat in der Sache weder in positiver noch in negativer Hinsicht selbst entscheiden. Die Sache ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

8

1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

9

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - juris Rn. 9; zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).

10

2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Insbesondere begegnet er im Hinblick auf die Unverzüglichkeit gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG keinen Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzen kann (Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 13 m.w.N.). Die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG findet jedenfalls in den Fällen keine Anwendung, in denen die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2a AsylVfG widerrufen wird (Urteil vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 14 ff. m.w.N.). Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

11

3. Der angefochtene Bescheid erweist sich auch nicht deshalb als rechtswidrig, weil das Bundesamt bei seiner Widerrufsentscheidung kein Ermessen ausgeübt hat. Durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG ist geklärt, dass in den Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen hat. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar gewordene Altanerkennungen getroffen und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31 Rn. 13 ff.).

12

4. Das Berufungsurteil ist aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen und speziell mit Blick auf den der Verfolgungsprognose zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.

13

a) Diese unionsrechtlichen Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) dahingehend konkretisiert, dass der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie angesprochene "Schutz des Landes" sich nur auf den bis dahin fehlenden Schutz vor den in der Richtlinie aufgeführten Verfolgungshandlungen bezieht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 67, 76, 78 f.). Dazu hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung verhält. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG sieht - ebenso wie Art. 1 C Nr. 5 GFK - vor, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die Umstände, aufgrund derer sie zuerkannt wurde, weggefallen sind, wenn also die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht mehr vorliegen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 65). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit befindet, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 66), soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 76). Die Umstände, die zur Zuerkennung oder umgekehrt zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen, stehen sich mithin in symmetrischer Weise gegenüber (so EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 68).

14

Mit Blick auf die Maßstäbe für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2 der Richtlinie hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein muss, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72). Dafür muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 73).

15

aa) Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, denn reiner Zeitablauf bewirkt für sich genommen keine Sachlagenänderung. Allerdings sind wegen der Zeit- und Faktizitätsbedingtheit einer asylrechtlichen Gefahrenprognose Fallkonstellationen denkbar, in denen der Ablauf einer längeren Zeitspanne ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat im Zusammenhang mit anderen Faktoren eine vergleichsweise höhere Bedeutung als in anderen Rechtsgebieten zukommt (vgl. Urteile vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <84> und vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 <124 f.>).

16

Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft kann seit Umsetzung der in Art. 11 und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Danach setzte der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraus, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (Urteile vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277 <281> und vom 12. Juni 2007 a.a.O. Rn. 18; so auch das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung). Dieser gegenüber der beachtlichen Wahrscheinlichkeit abgesenkte Maßstab ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt worden. Er wurde dann auf den Flüchtlingsschutz übertragen und hat schließlich Eingang in die Widerrufsvoraussetzungen gefunden, soweit nicht eine gänzlich neue oder andersartige Verfolgung geltend gemacht wird, die in keinem inneren Zusammenhang mehr mit der früheren steht (Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 26).

17

Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie 2004/83/EG fremd. Sie verfolgt vielmehr bei einheitlichem Prognosemaßstab für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt (Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 20 ff. und vom 7. September 2010 - BVerwG 10 C 11.09 - juris Rn. 15). Das ergibt sich neben dem Wortlaut der zuletzt genannten Vorschrift auch aus der Entstehungsgeschichte, denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Demzufolge gilt unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 ; Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22).

18

Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich der Maßstab der Erheblichkeit für die Veränderung der Umstände danach bestimmt, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 84 ff., 98 f.). Die Richtlinie kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird. Es spricht viel dafür, dass die Mitgliedstaaten hiervon in Widerrufsverfahren nicht nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen können. Denn die zwingenden Erlöschensgründe dürften zu den Kernregelungen zählen, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen sind, um das von der Richtlinie 2004/83/EG geschaffene System nicht zu beeinträchtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09, B und D - NVwZ 2011, 285 Rn. 120 zu den Ausschlussgründen). Das kann aber hier dahinstehen, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an den oben dargelegten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben des nationalen Rechts festhalten wollte. Vielmehr belegt der neu eingefügte § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht hat.

19

bb) Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründen und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72 ff.). Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Senat hat in einem Fall, in dem ein verfolgendes Regime gestürzt worden ist (Irak), bereits entschieden, dass eine Veränderung in der Regel nur dann als dauerhaft angesehen werden kann, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern (Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 17). Denn der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. So wie die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt (Urteil vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>; Beschluss vom 7. Februar 2008 a.a.O. juris Rn. 37), gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können. Sind - wie hier - Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, sind an deren Dauerhaftigkeit ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet, dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 90). Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit kann indes nicht verlangt werden.

20

b) Das Berufungsgericht hat vorliegend bei seiner Verfolgungsprognose den Maßstab der hinreichenden Sicherheit zugrunde gelegt. Damit hat es § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG verletzt; auf dieser Verletzung beruht die Berufungsentscheidung. Da das Berufungsgericht seine tatsächlichen Feststellungen unter einem - wie dargelegt - rechtlich unzutreffenden Maßstab getroffen hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Denn es ist Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz, die Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer Gesamtschau zu würdigen und mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung des Betroffenen zugrunde lagen, eine Gefahrenprognose unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu erstellen. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat im Übrigen darauf hin, dass sich das Berufungsgericht von den Prognosegrundlagen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugungsgewissheit zu verschaffen hat. Wahrscheinlichkeitsaussagen hinsichtlich tatsächlicher Schlussfolgerungen zu vergangenen oder gegenwärtigen Tatsachen wie dem Bekanntwerden von Nachfluchtaktivitäten (UA S. 17 f.) reichen nicht aus.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

I.

Die Klagen werden abgewiesen.

II.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind nach eigenen Angaben eritreische Staatsangehörige. Sie reisten am 26. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 7. Mai 2015 Asylantrag.

In der Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 7. Mai 2015 erklärte die Klägerin zu 1) u. a., Eritrea im Oktober 2013 verlassen zu haben und über den Sudan (1 Jahr 8 Monate), Libyen (20 Tage) und Italien (3 Tage) nach Deutschland gereist zu sein.

Im Fragebogen „Eritrea“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) hat die Klägerin zu 1) erklärt, dass ihr Vater als Soldat im Krieg gewesen sei. Sie wüssten nicht, ob er im Krieg getötet oder vom Militär oder der Polizei umgebracht worden sei. Im Juli 2013 seien in der Nacht Männer gekommen und hätten ihren Mann und die Männer aus der Nachbarschaft geholt und ins Gefängnis gebracht. Sie wisse nicht, ob ihr Mann und die Männer noch leben. Die Männer vom Militär oder der Polizei seien wiedergekommen und hätten gesagt, sie wollten wiederkommen und auch sie holen. Sie habe große Angst gehabt, dass die Männer kommen und sie ins Gefängnis bringen. Deshalb sei sie in den Sudan geflohen. Im Falle ihrer Rückkehr komme sie für lange Zeit ins Gefängnis. Das Gefängnis sei unter der Erde, ohne Wasser, ohne Licht, ohne Luft. Sie werde gefoltert und misshandelt und vielleicht auch umgebracht.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 12. August 2016 erklärte die Klägerin zu 1) im Wesentlichen, sie habe zuletzt in ... gelebt. Am 14. September 2013 sei sie aus Eritrea ausgereist und über Äthiopien (20 Tage), Sudan (1 Jahr 4 Monate), Libyen (21 Tage) und Italien (8 Tage) am 25. Februar 2015 nach Deutschland gekommen. Sie habe in Eritrea mit ihrem Lebensgefährten zusammengelebt. In einer Nacht im Juni oder Juli 2013 sei ihr Lebensgefährte aus dem Haus entführt worden. Sie wisse nicht, wer es gewesen sei. Die Entführer hätten gesagt, sie würden nochmals kommen und auch sie mitnehmen. Sie sei im 3. Monat schwanger gewesen und habe nicht warten wollen, bis sie kommen. Daher sei sie geflohen. An die Polizei habe sie sich nicht gewandt. Von einer Freundin habe sie gehört, dass ihr Lebensgefährte wieder frei sei. Warum die Entführer sie nicht mitgenommen haben, wisse sie nicht. Sie habe sich noch einige Zeit Gedanken gemacht, aber nicht lange, und sei dann im September geflüchtet.

Mit Bescheid vom 24. August 2016, zugestellt am 13. Oktober 2016, erkannte das Bundesamt den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Nr. 2).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen vor. Aufgrund des ermittelten Sachverhaltes sei davon auszugehen, dass der Klägerin zu 1) in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Die Klägerin zu 1) habe keine konkreten Angaben zu einer Verfolgung machen können. Aus dem Sachvortrag seien weder eine flüchtlingsrechtliche Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich.

Mit Schriftsatz vom ... Oktober 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheids vom 24. August 2016 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, im Fall des Klägers zu 2) zum Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit der Zuerkennung gegenüber der Klägerin zu 1).

Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom ... Dezember 2016 im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin zu 1) schildere, dass sie geflüchtet sei, nachdem ihr Lebensgefährte entführt und sie selbst mit Entführung bedroht worden sei. Damit mache sie Umstände geltend, die über eine allgemeine Gefahrenlage hinausgingen, wie sie in Eritrea allgegenwärtig sei und bereits bei der Gewährung subsidiären Schutzes Berücksichtigung gefunden habe. Auf den EASO-Bericht vom Mai 2015 werde verwiesen, der erkennen lasse, dass bereits unabhängig von konkreten Vorfluchtgründen im Fall der Rückkehr über die Gefahr eines ernsthaften Schadens hinaus Verfolgung aus politischen Gründen drohe, die eine Flüchtlingsanerkennung bedingten. Des Weiteren wurde auf Berichte von Amnesty International zu Zwangsrekrutierungen und den Haftbedingungen in Eritrea Bezug genommen. Der Kläger zu 2) habe Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung gem. § 26 Abs. 2 und 5 AsylG.

Mit Schriftsatz vom ... Oktober 2016 hat der Klägerbevollmächtigte auf mündliche Verhandlung verzichtet. Die Beklagte hat hierauf mit Prozesserklärung vom 25. Februar 2016 allgemein verzichtet.

Die Beklagte hat am 8. November 2016 die Behördenakten vorgelegt.

Mit Beschluss vom 23. Dezember 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Bundesamtsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG113 Abs. 5 VwGO).

Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U. v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können.

Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.

Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, § 77 Abs. 1 AsylG. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337, S. 9-26) - sog. Qualifikationsrichtlinie - RL 2011/95/EG privilegiert dabei den von ihm erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris).

Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U. v. 16.4.1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U. v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).

An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris; HessVGH, U. v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris).

Gemessen an diesen Maßstäben ist der Vortrag der Klägerin zu 1) schon nicht glaubhaft, da er widersprüchlich ist. Dies betrifft bereits das Ausreisedatum sowie den Reiseweg und die Aufenthaltsdauer in den jeweiligen Ländern. So hat die Klägerin zu 1) in der Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 7. Mai 2015 erklärt, Eritrea im Oktober 2013 verlassen zu haben und über den Sudan (1 Jahr 8 Monate), Libyen (20 Tage) und Italien (3 Tage) nach Deutschland gereist zu sein. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 12. August 2016 erklärte sie hingegen, sie habe Eritrea am 14. September 2013 verlassen und sei über Äthiopien (20 Tage), Sudan (1 Jahr 4 Monate), Libyen (21 Tage) und Italien (8 Tage) am 25. Februar 2015 nach Deutschland gekommen. Des Weiteren hat die Klägerin zu 1) im Fragebogen „Eritrea“ des Bundesamtes erklärt, im Juli 2013 seien in der Nacht Männer gekommen und hätten ihren Mann und die Männer aus der Nachbarschaft geholt und ins Gefängnis gebracht. Die Männer vom Militär oder der Polizei seien wiedergekommen und hätten gesagt, sie wollten wiederkommen und auch sie holen. Abgesehen davon, dass die Klägerin zu 1) in der Anhörung am 12. August 2016 von einer Festnahme weiterer Männer ihres Dorfes nichts mehr berichtet hat, hat sie entgegen der vorherigen Angabe, dass es sich um Soldaten oder Polizisten gehandelt habe, erklärt, sie wisse nicht, wer es gewesen sei, und in der Folge von einer Entführung gesprochen. Das Vorbringen ist zudem vage und erscheint nach der Lebenserfahrung unglaubhaft. So hat die Klägerin zu 1) nicht einmal den genauen Zeitpunkt des Geschehens angegeben, sondern nur vage von einer Nacht im Juni oder Juli 2013 gesprochen. Dies wäre jedoch bei einem derart einschneidenden Erlebnis zu erwarten gewesen. Darüber hinaus ist auch in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb die Männer die Klägerin zu 1) nicht - was ein Leichtes gewesen wäre - ebenfalls sofort mitgenommen haben, sondern sie stattdessen vorgewarnt und mit einem weiteren Zugriff mehr als einen Monat zugewartet haben sollten. Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin zu 1), wenn sie tatsächlich bedroht worden wäre, mit einer Flucht über einen Monat zugewartet haben sollte, nachdem ein erneuter Zugriff nach der angeblichen Drohung jederzeit hätte stattfinden können.

Darüber hinaus ergibt sich aus dem Sachvortrag der Klägerin zu 1) keine begründete Furcht vor einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale i. S. v. § 3 Abs. 1 AsylG. Die Klägerin zu 1) konnte weder angeben, wer ihren Lebensgefährten entführt oder festgenommen haben soll, noch aus welchem Grund. Gleiches gilt für die ihr angeblich drohende Entführung bzw. Festnahme.

Die der Klägerin zu 1) möglicherweise drohende Einberufung in den Nationalen Dienst (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.

Die Pflicht zur Ableistung eines staatlichen Dienstes stellt keine staatliche Verfolgung i. S. d. §§ 3 ff. AsylVfG dar. Jeder souveräne Staat hat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehr- bzw. Militärdienst heranzuziehen. Es besteht (bislang) kein Grundrecht auf eine Wehr- bzw. Militärdienstverweigerung (vgl. Treiber in: GK-AufenthG, Stand: März 2016, § 60 Rn. 167 f.). Zudem stellt die (reine) Pflicht zur Ableistung eines Militärdienstes selbst noch keine staatliche Verfolgung dar. Die Heranziehung zum Militärdienst unterfällt daher flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen. Im Übrigen trifft der eritreische Nationaldienst alle Staatsangehörigen ohne Ansehen der Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gleichermaßen.

Eine drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung bzw. Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise wäre vorliegend nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant, wenn sie entweder i. S. v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen, schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen) oder wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden sollen (vgl. Treiber in GK-AufenthG, a. a. O.).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine in Eritrea drohende Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise ergeht nicht in Zusammenhang mit einem Konflikt i. S. v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Denn Eritrea befindet sich derzeit in keinem Konflikt im Sinne dieser Norm - weder mit anderen Staaten (internationaler Konflikt) noch mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt).

Die Strafverfolgung wird auch nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal eingesetzt. In Eritrea gibt es kein Recht, den Wehr- oder Nationaldienst zu verweigern. Wer sich diesen Diensten entzieht, wird mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. So werden Personen, die versuchen, dem Wehr- und Nationaldienst zu entgehen, bei dem (illegalen) Ausreiseversuch verhaftet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 21. November 2016, S. 11). Ein generelles Anknüpfen an ein gem. § 3 Abs. 1 AsylG, § 3b AsylG relevantes Merkmal kann darin jedoch nicht gesehen werden. Denn insoweit handelt es sich um eine Strafverfolgung nach den allgemein in Eritrea geltenden Strafvorschriften, die jeden Eritreer gleichermaßen trifft. Die Strafvorschriften knüpfen nicht an eine bestimmte politische Haltung oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale an, sondern an den Umstand, dass sich die Betroffenen dem Wehr- oder Nationaldienst entzogen haben. Hinweise darauf, dass allein aus dem Umstand der illegalen Ausreise zum Zweck der Wehrdienstentziehung auf eine politische Gegnerschaft geschlossen wird, die zu einer verschärften strafrechtlichen Ahndung führt, sind nicht ersichtlich. Misshandlungen, Folter und Willkür treffen in Eritrea weite Kreise der Bevölkerung. Rechtsstaatliche Verhältnisse und eine militärische oder zivile Rechtsordnung sind nicht vorhanden. Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne Angabe von Gründen sind üblich (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 11). Dies rechtfertigt zwar die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Die aktuellen Erkenntnisse aus den Jahren 2015 und 2016 (EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015; U.S. Department of State vom 13.4.2016, Human Rights Report: Eritrea 2015, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 21.1.2015, Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 21. November 2016 (Stand: November 2016)) lassen aber nicht den Schluss auf eine grundsätzlich politisch motivierte Verfolgung im Falle der illegalen Ausreise und der Verweigerung des National- oder Wehrdienstes zu (vgl. VG Augsburg, U. v. 11.8.2016 - Au 1 K 16.30744 - juris).

Die Asylantragsstellung in Deutschland begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für die Kläger in Eritrea, nachdem sogar anerkannte Asylberechtigte - ggf. nach Entrichtung einer sog. „Aufbausteuer“ - unbehelligt nach Eritrea reisen können (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 17).

Nachdem der Klägerin zu 1) nicht die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, besteht auch keine Grundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger zu 2) als Familienangehörigen gem. § 26 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 AsylG.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.