Verwaltungsgericht Trier Urteil, 10. Dez. 2014 - 5 K 1338/13.TR

ECLI:ECLI:DE:VGTRIER:2014:1210.5K1338.13.TR.0A
bei uns veröffentlicht am10.12.2014

1. Der Bescheid der Beklagten vom 28. August 2013 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Erteilung einer amtlichen Prüfungsnummer für Wein vom 18. August 2013 laut Antrags-Nr. ... als Eiswein erneut und nach Durchführung einer sensorischen Prüfung zu bescheiden.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt die Durchführung einer sensorischen Prüfung und nachfolgend die Erteilung einer amtlichen Prüfungsnummer (AP-Nr. ) für einen 2011er ... Riesling Eiswein. Dem liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

2

Am 16. Juli 2012 stellte der Kläger beim Weinbauamt Wittlich erstmals einen Antrag auf Erteilung einer AP-Nr. für den genannten Wein mit einer Gesamtmenge von 232 Liter und gab an, dass er am 1. und 3. Februar 2012 bei Temperaturen von ca. -9° bis -10° Celsius insgesamt ca. 210 Liter Eiswein der Rebsorte Riesling in der Lage ... geerntet habe. Die Trauben hätten am 31. Januar 2012 – ohne Frosteinwirkung – lediglich ca. 89° Oechsle gehabt und damit im unteren Auslesebereich gelegen. Vor der Kelterung seien die Trauben sortiert worden, um verschimmelte Trauben und Blätter sowie Verunreinigungen auszusortieren. Danach sei der Zustand der Trauben erstaunlich gut und mit früheren Eisweintrauben vergleichbar gewesen.

3

In einem Gutachten vom 11. September 2012 kam das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz zu der Erkenntnis, dass bei einer vollständigen Beprobung des angestellten Erzeugnisses rechnerisch ein ursprüngliches Mostgewicht von 140 bzw. 139° Oechsle ermittelt worden sei. Insoweit seien die angegebenen Mostgewichte und Verschnitte nicht nachvollziehbar. Nach der einschlägigen Literatur betrage der Gesamtsäuregehalt von Eiswein in der Regel 10 % des Mostgewichtes, so dass der Gesamtsäuregehalt vorliegend ca. 14 g/l betragen müsse, tatsächlich aber nur bei 5,6 g/l liege. Enzymisch sei ein Gehalt an Gluconsäure von 4,98 g/l bzw. von 3,85 g/l und ein Mostglycerin von 20,2 g/l und von 15,1 g/l festgestellt worden. Diese (hohen) Werte seien für Trockenbeerenauslese-Moste typisch und dokumentierten einen weit fortgeschrittenen Pilzbefall und damit hochgradig faules Lesegut, das für eine Eisweinherstellung ungeeignet sei.

4

Mit Bescheid vom 5. November 2012 lehnte die Beklagte sodann den Antrag ab und begründete die Entscheidung damit, dass der angestellte Wein aus den vorstehend genannten Gründen den Anforderungen an das Lesegut und die Typizität von Eiswein nicht entspreche. Das Erzeugnis könne wohl als Trockenbeerenauslese in Verkehr gebracht werden. Außerdem sei eine Gesamtsäure von 5,6 g/Ö vor der Säuerung ermittelt worden, sodass die für Eisweine typische Konzentration an Gesamtsäure zumindest von sich aus nicht zu erreichen sei.

5

Den Widerspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, dass der angestellte Wein den an Eiswein zu stellenden gesetzlichen Anforderungen entspreche, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2013 zurück. Die geernteten Trauben seien aufgrund ihres hohen Fäulnisgrades nicht zur Erzeugung von Eiswein geeignet.

6

Die anschließend vom Kläger erhobene und bei dem erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen 5 K 282/13.TR geführte Klage nahm dieser zurück, nachdem die Kammer darauf hingewiesen hatte, dass die Klage nicht fristgerecht erhoben worden sei.

7

Sodann stellte der Kläger den vorstehend genannten Wein unter dem 18. August 2013 erneut zur Erteilung einer amtlichen Prüfungsnummer – nunmehr ... – an.

8

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. August 2013 ab und führte zur Begründung aus, dass ein Wein nach Ablehnung der Erteilung einer amtlichen Prüfungsnummer zwar nach § 22 Abs. 3 Satz 1 WeinverordnungWeinV – erneut zur Qualitätsprüfung angestellt werden könne, die beantragte Prüfungsnummer aber nicht erteilt werden könne, weil der Wein die Voraussetzungen für das Prädikat „Eiswein“ nicht erfülle. Die geernteten Trauben seien aufgrund des hohen Fäulnisgrades nicht für die Erzeugung von Eiswein geeignet. Insoweit werde auf das vorausgegangene Verfahren verwiesen.

9

In der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung wurde zunächst auf die Möglichkeit der Einlegung eines Widerspruchs hingewiesen, dann aber ausgeführt, dass das Widerspruchsverfahren vorliegend entbehrlich erscheine, weil in Bezug auf den identischen Sachverhalt bereits ein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei, so dass sofort Klage erhoben werden könne.

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Am 25. September 2013 hat der Kläger sodann Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass der Wein sensorisch überprüft und ihm die beantragte AP-Nummer erteilt werden müsse. Der Eiswein entspreche den gesetzlichen Anforderungen. Angesichts dessen, dass er mehr als 100 Tage nach Beginn der normalen Traubenlese geerntet worden sei, sei es normal, dass sich Botrytispilz bilde. Der Gluconsäuregehalt früherer Eisweine, die mit der Goldenen Kammerpreismünze ausgezeichnet worden seien, seien zum Teil fast doppelt so hoch wie bei dem jetzt angestellten Wein gewesen. Das eingeholte Gutachten des Landesuntersuchungsamts basiere auf im Jahr 1975 in Franken ermittelten Werten bei Weinen der Rebsorte Ruländer und sei unter Berücksichtigung der hiesigen klimatischen Bedingungen auf Mosel-Riesling nicht übertragbar. Auch sei in Bezug auf den bei der Herstellung des vorliegenden Produktes verwandten Eiswein die Gluconsäure mit 5,1 g/l unzutreffend ermittelt worden, das ABC-Labor Mühlheim habe 4,25 g/l analysiert. Soweit der Säurewert beanstandet werde, müsse gesehen werden, dass Eiswein nach Art. 40 Abs. 3 VO(EG) ein hochwertiger Wein mit äußerst hoher Konzentration an Süße und Säure sei, wobei die Werte von Jahrgang zu Jahrgang stark schwankten.

11

Ferner trägt der Kläger, nachdem das Verfahren im Hinblick auf das bei dem OVG Rheinland-Pfalz anhängig gewesene Klageverfahren 8 A 10489/13.OVG ausgesetzt worden war, im Hinblick auf das in diesem Verfahren ergangene Urteil vom 7. Mai 2014 vor, dass ausweislich der in dem vorgenannten Verfahren von dem Beklagten vorgelegten Unterlagen ein Eiswein von der Mosel aus dem Jahr 2011 eine Gluconsäure von 24,3 g/l aufgewiesen und der Mittelwert 7,53 g/l betragen habe. Seine Weine hätten bei einer Messung am 31. Januar 2012 bei einer Messung (nur) 89° Oechsle aufgewiesen, die dann durch die Frosteinwirkung auf 140° - 150° Oechsle aufkonzentriert worden seien, wobei die Lese bei einer Temperatur zwischen -9° und -10,5° Celsius stattgefunden habe. Das vom OVG Rheinland-Pfalz eingeholte Gutachten des Prof. Steidl sei nicht überzeugend. Soweit die Beklagte behaupte, dass sein Eiswein bereits vor der Lese über 100° Oechsle gehabt habe, sei dies unzutreffend. Die Beklagte solle ihre Behauptung zumindest durch eidesstattliche Versicherungen belegen.

12

Die bei anderen Weinen in der fraglichen Lage erzielten Leseergebnisse seien mit dem vorliegenden Eiswein nicht vergleichbar, weil bei der Eisweinparzelle durch eine zweimalige Spritzung eine erhebliche Reifeverzögerung eingetreten sei. Hinzu komme, dass eine die Reife ebenfalls hemmende starke Entblätterung vorgenommen worden sei, um die Trauben möglichst lange gesund zu erhalten. Eine Teilmenge von 110 l Beerenauslese sei am 21. Oktober 2011 aus der Parzelle gelesen worden, um die edelfaulen Trauben zu entfernen. Außerdem hätten sich die Mostgewichte im Oktober 2011 nach einem starken Regen erheblich reduziert. Die 2012er Eiswein-Werte seien mit denjenigen des Jahrgangs 2011 nicht vergleichbar, weil bei dem Jahrgang 2012 die Eisweinernte viel früher stattgefunden habe.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 28. August 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag auf Erteilung einer amtlichen Prüfungsnummer für Wein vom 18. August 2013 laut Antrags-Nr. ... als Eiswein nach Durchführung einer sensorischen Prüfung erneut zu bescheiden.

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Die Beklagte beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Der Beklagte verweist auf das Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 7. Mai 2014 – 8 A 10489/13.OVG sowie das in diesem Verfahren vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten und führt aus, dass nicht nachvollziehbar sei, dass vor Beginn der Eisweinlese Ende Januar 2012 nur 89° Oechsle vorhanden gewesen seien, obwohl die Ernte des Klägers aus der fraglichen Lage im Herbst 2011 bereits 6.900 l Auslese (Mindestmostgewicht 88° Oechsle), 110 l Beerenauslese (Mindestmostgewicht 110° Oechsle) und 100 l Trockenbeerenauslese (Mindestmostgewicht 150° Oechsle) erbracht habe. Diese hohen Werte würden auch dadurch bestätigt. dass der Kellerwirtschaftliche Informationsservice des Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Mosel die Reifesituation bereits am 5. Oktober 2011 dahingehend beschrieben habe, das Mostgewichte über 90° Oechsle seit einer Woche keine Seltenheit seien. Von daher sei der vom Kläger für Ende Januar 2012 angegebene Wert nicht nachvollziehbar. Er könne allenfalls auf der stichprobenartigen Messung einzelner Beeren beruhen. Insoweit erscheine es als ausgeschlossen, dass der letztlich erzielte Wert auf einem Gefrieren der Trauben beruht habe. Die im Weingut des Klägers im Oktober 2011 geernteten Beeren- und Trockenbeerenauslesen hätten bereits die typischen Fäulnisparameter aufgewiesen, so dass der Frost im Januar 2012 keine entscheidende Veränderung bewirkt habe. Soweit die im Verfahren 8 A 10489/13.OVG vorgelegte Tabelle "Glycerin- und Gluconsäurewerte in Mosten für die Eisweinherstellung der Jahrgänge 2011 und 2012" für das Gebiet Mosel im Jahr 2011 einen Gluconsäure-Mittelwert von 7,53 g/l und einen Mostglycerin-Mittelwert von 22,29 g/l aufgeführt habe, ließen sich hieraus keine Rückschlüsse auf eine Eisweinqualität des vorliegend streitigen Weins ziehen, weil für die in der Tabelle genannten Erzeugnisse keine AP-Nummern für Eiswein erteilt worden seien, da sie für eine Eisweinzubereitung ungeeignet gewesen seien.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2014 und vom 10. Dezember 2014, die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsvorgänge, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

19

Die Klage ist ungeachtet dessen, dass das grundsätzlich gemäß §§ 68 ff. VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – erforderliche Widerspruchsverfahren vor Klageerhebung nicht durchgeführt wurde, zulässig, nachdem die Beklagte durch die ihrem Bescheid vom 28. August 2013 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung und die insoweit abgegebene Begründung zweifelsfrei zu erkennen gegeben hat, dass der Zweck eines neuerlichen Widerspruchsverfahrens – nämlich eine vollständige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des ergangenen Bescheides – nicht mehr zu erreichen ist (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 15. September 2010 – 8 C 21/09 –, juris), und sich im Übrigen uneingeschränkt zur Sache eingelassen hat.

20

Die Klage ist auch in der Sache begründet.

21

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers sind die §§ 20 und 21 des Weingesetzes – WeinG – in Verbindung mit §§ 22 ff. WeinV. Hiernach darf inländischer Wein nur dann als Prädikatswein in Verbindung mit einem der Begriffe Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese oder Eiswein bezeichnet werden, wenn ihm das Prädikat auf Antrag unter Zuteilung einer amtlichen Prüfungsnummer zuerkannt worden ist (§ 20 Abs. 1 WeinG). Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 WeinV hat die zuständige Stelle – hier: die Beklagte – im Rahmen dieses Verfahrens eine Sinnenprüfung zu veranlassen, sofern nicht bereits aufgrund der vorgelegten Unterlagen der Antrag zurückzuweisen oder abzulehnen ist. Abzulehnen ist der Antrag, wenn dem Wein unabhängig von dem Ergebnis einer Sinnenprüfung das beantragte Prädikat – hier: als Eiswein – nicht erteilt werden darf. Eine amtliche Prüfungsnummer als Prädikatswein darf einem inländischer Wein dabei nur erteilt werden, wenn er die für dieses Prädikat typischen Bewertungsmerkmale aufweist und den Vorschriften der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union, des Weingesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entspricht (§ 20 Abs. 2 WeinG). Eine Bezeichnung als Eiswein erfordert nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 4 Nr. 5 WeinG, dass die verwendeten Weintrauben bei ihrer Lese und Kelterung gefroren waren.

22

Im Hinblick auf die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens zur Erteilung einer amtlichen Prüfungsnummer hat die zuständige Stelle – die Beklagte – gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 WeinV stets eine Sinnenprüfung zu veranlassen, sofern der Antrag nicht bereits auf Grund der vorliegenden Unterlagen zurückzuweisen oder abzulehnen ist. Entspricht der Wein indessen den gesetzliche Anforderungen, besteht ein subjektives öffentliches Recht auf Erteilung einer AP-Nummer, weil ohne diese das Erzeugnis nicht in den Verkehr gebracht werden darf (§ 27 Abs. 1 WeinG). Ein Ermessen der Behörde, einen vorschriftsgemäß hergestellten Wein von der Sinnenprüfung auszuschließen, besteht nicht (vgl. insoweit auch VG Neustadt/Weinstr., Urteil vom 19. März 2013 – 2 K 761/12.NW -).

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Darlegungspflichtig für die Tatsache, dass ein Wein die Voraussetzungen der Erteilung einer amtlichen Prüfungsnummer für einen Prädikatswein beanspruchen kann, ist der Weinerzeuger, hier also der Kläger (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Mai 2014 – 8 A 10489/13.OVG -, dem das vorstehend zitierte Urteil des VG Neustadt/Weinstr. zu Grunde lag; BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 1993 – 3 B 131/92 –, juris).

24

Ausgehend hiervon steht dem Kläger ein Rechtsanspruch auf Durchführung einer Sinnenprüfung in Bezug auf den Wein zur Seite, für den er unter dem 18. August 2013 die Erteilung einer AP-Nummer beantragt hat, denn er hat nachvollziehbar dargelegt, dass das von ihm vorgestellte Erzeugnis für eine Eisweinherstellung in Betracht kommt.

25

In Bezug auf eine Eignung des Leseguts zur Herstellung von Eiswein hat das OVG Rheinland-Pfalz in seinem bereits zitierten Urteil vom 7. Mai 2014 ausgeführt:

26

„1.) Die Zuerkennung des Prädikats Eiswein setzt eine Konzentrierung der Inhaltsstoffe der verwendeten Weintrauben voraus, die zumindest wesentlich, also zum deutlich überwiegenden Teil, auf ihrem Gefrieren beruht.

27

a) Dies folgt schon aus der systematischen Auslegung von § 20 Abs. 4 Weingesetz.

28

In dieser Vorschrift sind unter jeweils eigener Ziffer für 5 eigenständige Prädikate die Anforderungen an die Beschaffenheit des Leseguts aufgeführt. Diese Anforderungen unterscheiden sich deutlich und steigern sich von der Spätlese zum Eiswein. Sie betreffen Merkmale, die von Bedeutung für die Qualität und den Charakter des Weines sind.

29

Die Prädikate Spätlese bis Trockenbeerenauslese (Nr. 1-4) knüpfen an den Reifegrad und den Befall mit Edelfäule (etwa "vollreife Weintrauben", "vollreife oder edelfaule Weintrauben" oder "edelfaule oder wenigstens überreife Beeren") an. Der Reifegrad drückt aus, wie weit der Reifeprozess und damit insbesondere die Bildung von Zucker in den Weinbeeren fortgeschritten ist (vgl. Würdig/Woller, Chemie des Weines, 1989, S. 30 f).

30

Die Edelfäule, die durch Befall mit dem Pilz Botrytis cinerea eintritt, führt nicht zu einer weiteren Bildung von Zucker, sondern zu einer Steigerung des vorhandenen Zuckeranteils durch eine Konzentrierung der Inhaltsstoffe der Weintrauben. Denn durch den Pilz wird die Haut der Weinbeeren geschädigt, so dass ihnen durch Verdunstung Wasser entzogen wird, während die Inhaltsstoffe zurückbleiben. Durch den Stoffwechsel des Pilzes wird aber auch die Zusammensetzung des Mostes wesentlich verändert. Dies führt zu einem Abbau von Säure und dem Entstehen einer besonderen Geschmacksnote (Botrytiston) (vgl. Würdig/Woller, a.a.O., S. 33 f; Koch, Weinrecht, 4. Auflage, Stand 2008, "Auslese" Anm. 3.4 und 5.1).

31

Eine Konzentrierung der Inhaltsstoffe wird auch durch das Gefrieren der Weintrauben und das Keltern der gefrorenen Weinbeeren bewirkt. Durch das Gefrieren von Wasseranteilen der Weinbeeren gelangen die zu Eis verfestigten Bestandteile der Weinbeeren nicht in den Most, weil beim Keltern nur die flüssigen Bestandteile aus den gefrorenen Weintrauben herausgepresst werden (vgl. Würdig/Woller, a.a.O., S. 35).

32

Der systematische Vergleich ergibt, dass bei den Anforderungen an die verschiedenen Prädikate jeweils an bestimmte Eigenschaften der Weintrauben und deren Inhaltsstoffe angeknüpft wird. Deshalb wäre es systemwidrig, wenn für Eiswein das bloße Gefrieren der Weintrauben, unabhängig von dessen Auswirkungen auf deren Gehalt, ausreichen würde. Allein der Umstand, dass die Winzer für das Gefrieren der Weintrauben einen Mehraufwand und ein besonderes Risiko in Kauf nehmen, genügt daher noch nicht für die Zuerkennung eines Prädikats.

33

Nicht das im Gesetz allein angesprochene Gefrieren, sondern die stillschweigend vorausgesetzte Konzentrierung der Inhaltstoffe durch das Gefrieren und das Keltern der gefrorenen Weintrauben macht also die Besonderheit des Eisweines aus, die die Eigenständigkeit des Prädikats rechtfertigt. Dabei ist von Bedeutung, dass die Konzentrierung der Inhaltsstoffe durch Edelfäule sich von der durch Gefrieren deutlich unterscheidet. Denn anders als bei der Edelfäule wird die Konzentrierung der Inhaltstoffe durch Gefrieren nicht durch einen biochemischen Prozess, den Stoffwechsel des Botrytis-Pilzes mit seinen Begleiterscheinungen, bewirkt, sondern physikalisch. Sie ist nicht mit einem Säureabbau und Geschmacksveränderungen verbunden. Vielmehr wird auch der Säuregehalt erhöht, wenn auch wegen der Löslichkeitsunterschiede nicht im gleichen Maß wie der Zuckergehalt (vgl. Würdig/Woller, a.a.O., S. 35). Als charakteristisch für Eiswein gilt seine klare fruchtige Art (vgl. Schandelmaier, Eisweinbereitung, Deutsches Weinmagazin 18/1999) und seine äußerst hohe Konzentration an Süße und Säure (vgl. die Begriffsbestimmung des traditionellen Begriffs Eiswein nach E-Bacchus).

34

Die systematische Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte der Regelung bestätigt.

35

§ 20 Abs. 4 Nr. 5 WeinG entspricht der durch das 4. Gesetz zur Änderung des Weingesetzes vom 27. August 1982 dem damaligen § 12 Abs. 3 WeinG angefügten Nr. 5. Die Kennzeichnung als Eiswein war schon während der Geltung des Weingesetzes von 1930 üblich. Ihre Zulässigkeit war jedoch nur durch das Irreführungsverbot und damit durch die Verkehrsauffassung bestimmt. § 12 Abs. 5 WeinG 1971 (BGBL I, 893) lautete dann: "Ist ein Wein ausschließlich aus Weintrauben hergestellt, die bei ihrer Lese und Kelterung gefroren waren, wird zusätzlich das Prädikat Eiswein zuerkannt." Es wurden also sachliche Voraussetzungen für die Zuerkennung des Prädikats Eiswein genannt, das jedoch nur zusätzlich zu den anderen Prädikaten nach § 12 Abs. 3 WeinG 1971 zuerkannt werden konnte. Durch das 4. Änderungsgesetz zum Weingesetz wurde 1982 § 12 Abs. 5 gestrichen und stattdessen § 12 Abs. 3 durch die Nr. 5 ergänzt, die lautet: "Bei Eiswein müssen die verwendeten Weintrauben bei ihrer Lese und Kelterung gefroren sein." Mit dieser Gesetzesänderung wurde das selbständige Prädikat Eiswein eingeführt (vgl. Koch, a.a.O., "Eiswein", Anm. 3). In der Begründung zu dieser Gesetzesänderung heißt es (vgl. BT-Drs. 9/785, S. 28, Nr. 13):

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"Für die Schaffung eines selbständigen Prädikats Eiswein sind folgende Gründe maßgebend: Nach bisherigem Recht darf die Bezeichnung Eiswein neben jedem der anderen Prädikate (Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese) gebraucht werden. Die Erfahrung hat jedoch erwiesen, daß diese Regelung dem Wesen des Eisweins nicht gerecht wird. Bei den oberen Prädikaten kommt die Herstellung von Eiswein praktisch nicht in Betracht, in den unteren erreichen die Weine häufig keinen Eisweincharakter, was aus Gründen des Verbraucherschutzes vor Täuschung und der Erhaltung der Qualität unerwünscht ist. Bei der Trockenbeerenauslese, für die nur weitgehend eingeschrumpftes Lesegut verwendet werden darf, kann wegen des dadurch schon weitgehend erzielten hohen Zuckergehalts der für Eiswein charakteristische Konzentrierungseffekt durch das Gefrieren der Beeren nicht mehr bewirkt werden. Die manuelle Auslese einzelner gefrorener Beeren ist nur in seltenen Einzelfällen möglich, so dass die Herstellung von Eiswein-Beerenauslesen nach der Erfahrung der Praxis kaum in Betracht kommt."

37

Daraus wird deutlich, dass nach Ansicht des Gesetzgebers gerade der durch das Gefrieren bewirkte Konzentrierungseffekt der Beeren für Eiswein charakteristisch ist. Wenn herausgestellt wird, dass bei Trockenbeerenauslese der für Eiswein typische Konzentrierungseffekt wegen des schon erzielten hohen Zuckergehaltes nicht mehr erreicht werden kann, darf daraus nicht geschlossen werden, dass nach dem Verständnis des Gesetzgebers die eisweintypische Konzentrierung nur bei dieser Traubenqualität ausgeschlossen werden kann. Vielmehr wird die Trockenbeerenauslese hier als besonders einleuchtendes Beispiel für die allgemeine Aussage herangezogen, dass bei den oberen Prädikaten die Herstellung von Eiswein praktisch nicht in Betracht kommt.

38

Wenn somit die Weintrauben so gefroren sein müssen, dass dadurch die eisweintypische Konzentrierung ihrer Inhaltsstoffe bewirkt wird, so genügt das Gefrieren nur eines geringen Wasseranteils der Weinbeeren nicht, weil dann nur eine geringfügige Konzentrierung der Inhaltsstoffe durch Gefrieren eintritt. Andererseits ist auch das Gefrieren des gesamten Wasseranteils der Weinbeeren nicht erforderlich, weil mit fortschreitendem Gefrieren die Konzentrierungswirkung abnimmt und im Extremfall beim Keltern keine Flüssigkeit mehr aus den Weintrauben herausgepresst werden könnte und somit eine zur Weinherstellung geeignete Konzentrierung der Inhaltsstoffe nicht einträte. Um dem - vom Gesetzgeber herausgestellten - Wesen des Eisweins und seiner besonderen Charakteristik gerecht zu werden, muss jedoch verlangt werden, dass die Konzentrierung der Inhaltsstoffe überwiegend und damit prägend auf dem Gefrieren beruht. Eisweinschädlich wäre dementsprechend, wenn bereits vor dem Gefrieren der Weintrauben eine erhebliche Konzentrierung der Inhaltsstoffe durch Edelfäule stattgefunden hätte, so dass durch das Gefrieren nur noch eine allenfalls geringfügige weitere Konzentrierung einträte. Dann wäre die insgesamt eingetretene Konzentrierung nicht mehr eisweintypisch, weil sie nicht durch Gefrieren entstanden und durch die für Edelfäule typischen Begleiterscheinungen wie Säureverlust und Botrytisnote gekennzeichnet wäre.

39

Dieses Verständnis der gesetzlichen Anforderungen an das Prädikat "Eiswein" in § 20 Abs. 4 Nr. 5 WeinG wird auch durch die in Literatur und Praxis vertretene Forderung nach der Verwendung von sehr reifen und gesunden Trauben bestätigt (vgl. Koch, Weinrecht, 4. Auflage, Stand 2008, "Eiswein" Anm. 5.2; Radtke/Boch, Weinrecht, Kommentar, 2012, § 20 WeinG, Rn. 39; Schandelmaier, a.a.O.; Scheiblhofer, Wenn es bitterkalt wird, Der Winzer 2005, 19 [Bl. 244 der Gerichtsakte - GA]; Schwarz, So gelingt Eiswein, Der Deutsche Weinbau, 1994, 24 [Bl. 268 GA]). Wird nämlich das für Eiswein verlangte Mostgewicht bei ausschließlicher Verwendung gesunden Leseguts erreicht, kann der Konzentrierungseffekt nicht durch Edelfäule eingetreten sein, sondern muss auf dem Gefrieren beruhen.

40

Entgegen der in Literatur und Praxis weit verbreiteten Forderung nach der ausschließlichen Verwendung gesunden Leseguts lässt sich dem Gesetz ein dahingehendes uneingeschränktes Verbot, edelfaule Weintrauben für die Herstellung von Eiswein zu verwenden, allerdings nicht entnehmen. Ein solches Verbot ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass § 20 Abs. 4 WeinG unter Nr. 2, 3 und 4 edelfaule Weintrauben oder Beeren nennt, nicht aber in Nr. 5. Denn in Nr. 5 werden auch vollreife Weintrauben nicht erwähnt, so dass diese ebenfalls ausgeschlossen wären. Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, sind keine Rechtsvorschriften ersichtlich, die die Verwendung von edelfaulen Weintrauben zur Eisweinherstellung untersagen. Es besteht auch keine Verwaltungsübung oder fachliche Praxis, nach der auf die Verwendung edelfauler Weintrauben gänzlich verzichtet werden muss. Vielmehr werden Probleme durch Edelfäule bei der Eisweinherstellung erörtert; die Verwendung edelfauler Weintrauben wird nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn auch als qualitätsmindernd angesehen (vgl. dazu etwa Koch, a.a.O. "Eiswein" Anm. 4.3 "Botrytiston weniger deutlich"; Klein, Eisweinerzeugung in Österreich, Produktionsgrundlagen und Beziehungen zwischen Lesetemperaturen und Mostgewicht, Mitteilungen Klosterneuburg 42 [1992], S. 3 bis 9, Bl. 269 GA, S. 4: "weitgehend frei von Edelfäule"; Schwarz, a.a.O., S. 24 , Bl. 268 GA "Der Most sollte dann mit Kohle geschönt werden").

41

Wenn danach die Verwendung edelfauler (botrytisbefallener) Weintrauben bei der Herstellung von Eiswein zwar nicht gänzlich ausgeschlossen ist, so verlangt doch der - vom Gesetz herausgestellte - besondere Charakter dieser Prädikatsweine, dass die Konzentrierung der Inhaltsstoffe wesentlich, also zum deutlich überwiegenden Teil, auf dem Gefrieren beruhen muss. Eine nur geringfügige weitere Konzentrierung der Inhaltsstoffe durch das Gefrieren genügt nicht, denn es wäre nicht die geforderte eisweintypische Konzentrierung, die auch zu einer Konzentrierung der Säure führt und die Entstehung eines Botrytistons vermeidet. Da sich die Forderung nach einer - im Wesentlichen - eisweintypischen Aufkonzentrierung der Traubeninhaltsstoffe aufgrund systematischer und historischer Auslegung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, ist die auf die Ermittlung einer Verkehrsauffassung in Deutschland abzielende Beweisfrage unerheblich, so dass dem hilfsweise gestellten Beweisantrag zu 1) nicht nachgegangen werden brauchte. Im Übrigen spricht die Vielzahl der oben zitierten Stimmen von Fachleuten, die für Eiswein die Verwendung nur gesunder Trauben verlangen, dafür, dass auch die Verkehrsauffassung - wie der Gesetzgeber - einen eisweintypischen Konzentrierungseffekt durch Gefrieren fordert.

42

Darüber hinaus schränkt die Verwendung edelfauler Weintrauben die Herstellung von Eiswein dadurch ein, dass infolge der bereits eingetretenen Konzentrierung der Traubeninhaltsstoffe der Gefrierpunkt herabgesetzt ist (vgl. Klein, a.a.O., S. 5).

43

Für die Frage, in welchem Umfang eine frostbedingte Konzentrierung der Traubeninhaltsstoffe stattgefunden haben muss, um noch eine eisweintypische Konzentrierung anzunehmen, orientiert der Senat sich zunächst an der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts. Der früher für das Weinrecht zuständige 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat die Frage, ob bei einem Verschnitt von Eiswein mit 16,7 % Trockenbeerenauslese nicht wenigstens eine Ausnahmegenehmigung für die Vermarktung als Eiswein erteilt werden darf, mit der Begründung verneint, dass es sich um eine nicht nur geringe Abweichung von den geltenden Vorschriften des Weinrechts handele (vgl. OVG RP, Urteil vom 5. Juli 1987 - 7 A 77/87 - , LRE 22, 123 bis 127). Der Sachverständige S. hält einen Botrytisbefall von 10-15 % (Stellungnahme vom 30.4.2014, Bl. 444 GA) bzw. 15 % (Niederschrift zu mündlichen Verhandlung vom 7.5.2014, S. 4) für eisweinschädlich. Eine Anhebung des Mostgewichts durch das Gefrieren um lediglich 20° Oechsle stuft er als sehr niedrig ein. Dabei sei erläuternd darauf hingewiesen, dass sich der Befall des Lesegutes mit Botrytis unterschiedlich darstellen kann. Er kann sich auf wenige Weintrauben beschränken (Botrytisnester) oder mehr oder weniger alle Weintrauben betreffen. Während sich der - noch tolerable - Anteil von Botrytis im Lesegut im ersten Fall noch relativ leicht durch Augenschein feststellen lässt, ist im zweiten Fall schwieriger zu ermitteln, ob der umfassende Befall der Trauben mit Botrytis und der dadurch bedingte Konzentrierungsprozess schon so weit fortgeschritten ist, dass eine wesentliche frostbedingte Konzentrierung nicht mehr stattfinden kann.

44

b) Hinsichtlich der Anforderungen an das - für eine eisweintypische Konzentrierung notwendige - Gefrieren geht der Senat auch aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon aus, dass eine Mindesttemperatur von -7° C über einen längeren Zeitraum von annähernd 10-12 Stunden geherrscht haben muss.

45

Die Mindesttemperatur von -7° C findet sich in der von der Bundesregierung im Rahmen des Schutzes traditioneller Begriffe nach Art. 40 Abs. 1, 48 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 zum Verzeichnis E-Bacchus gemeldeten Begriffsbestimmung, wo es heißt:

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"Eiswein muss aus Weintrauben gewonnen werden, die bei hartem Frost mit Temperaturen von weniger als -7° C geerntet werden; sie werden in gefrorenem Zustand gepresst; es handelt sich um einen einmaligen, sehr hochwertigen Wein mit äußerst hoher Konzentration von Süße und Säure."

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Es kann offenbleiben, ob es sich dabei um eine Regelung mit konstitutiver Wirkung handelt, die für auf die Zuerkennung des Prädikats Eiswein nach § 20 Abs. 2 WeinG maßgeblich ist (ablehnend Boch, ZLR 2013, 435 f), jedenfalls kommt darin die Auffassung der Bundesregierung zum Ausdruck, die zur Auslegung von § 20 Abs. 4 Nr. 5 WeinG herangezogen werden kann (vgl. Boch, Weingesetz, 2. Auflage 2013 - beck-online -, § 20 Rn. 12).

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Auch die Produktdefinition der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV), einer zwischenstaatlichen wissenschaftlichen und technischen Einrichtung mit anerkannter Zuständigkeit in den Bereichen Rebe und Wein, die 2001 durch ein Abkommen geschaffen wurde, dem sich 45 Mitgliedstaaten angeschlossen haben, empfiehlt für die Lese und den Pressvorgang eine Temperatur von mindestens -7° C (http://www.oiv.int/oiv/info/dedefinitionproduit sowie Bl. 158 GA). Die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt Oppenheim verlangt ebenfalls Temperaturen von -7° C (Bl. 266 GA). Nach Koch (vgl. a.a.O., "Eiswein" Anm. 5.2, unter Verweis auf Schwarz, a.a.O) muss der Frost "so stark sein, dass die Trauben hart werden (mehrere Stunden mindestens -6 bis -9° Celsius; je reifer und edelfauler das Lesegut ist, umso kälter muss es sein)."

49

Die Mindesttemperatur von -7° C wird auch von dem Sachverständigen S. für erforderlich gehalten. Dieser stützt sich dabei auf seine Erfahrungen in Österreich als Institutsleiter Weinbau/Abteilung Kellerwirtschaft am Lehr- und Forschungszentrum für Wein- und Obstbau in K. und die Untersuchungen von K. (a.a.O.). Nach dessen aufgrund von 183 Eisweinpartien getroffenen Feststellungen liegt die vom Mostgewicht abhängige Gefriertemperatur von Weintrauben bei einem Mostgewicht von 19° KMW (Klosterneuburger Mostwaage = ca. 94° Oechsle) bei -7° C. Dabei wird unter Gefriertemperatur die Temperatur verstanden, bei der die ersten Eiskristalle ausfrieren, also der Beginn des Gefrierens. Es dauert dann einige Zeit, bis ein ausreichender Wasseranteil gefroren ist. Der Sachverständige S. hat dazu, auch gestützt auf seine eigenen Erfahrungen bei der Erzeugung von Eisweinen, erläutert: Weintrauben mit einem niedrigeren Ausgangsmostgewicht begännen bereits bei höheren Temperaturen zu frieren. Bei ihnen könne aber das für Eiswein erforderliche Mostgewicht nicht erreicht werden. Bei einem Botrytisbefall von ca. 15 % rechne er mit einem Gefrierpunkt von - 9 bis -10 ° C. Die Weinbeeren gefrören von außen nach innen, zunächst werde die Schale hart. Im Inneren der Beere bilde sich dann ein Eiskern. Das Vorhandensein eines Eiskerns sei jedoch noch kein Beleg dafür, dass die Weintraube ausreichend gefroren sei. Vielmehr komme es auf die Größe des Eiskerns an. Die Struktur der Weinbeere sei inhomogen, das Wasser könne sich an unterschiedlichen Stellen befinden. Wenn es an einer Stelle gefriere, sei damit der Gefrierprozess noch nicht abgeschlossen (vgl. Niederschrift vom 7.5.2014, S. 3, 4 und 6).

50

Zur erforderlichen Dauer der Gefriertemperatur finden sich weder im Verzeichnis E-Bacchus noch in der Produktbeschreibung der OIV konkrete Angaben. Soweit bei E-Bacchus von "hartem Frost" die Rede ist, lässt sich daraus kein konkreter Hinweis auf die erforderliche Dauer des Frostes ableiten. Nach Klein (a.a.O) sind bei einem Mostgewicht von 19° KMW 10 bis 12 Stunden erforderlich. Der Sachverständige S. schließt sich den von K. getroffenen Feststellungen an, die er durch die Erfahrungen in der Praxis bestätigt sieht. Er weist ergänzend darauf hin, dass auch an den Tagen vor dem Gefrieren Temperaturen von unter 0° C geherrscht haben müssen (Stellungnahme vom 30.4.2014, Bl. 444 GA und Niederschrift vom 7.5.2014 S. 4). Nach den Erfahrungen der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt Oppenheim muss die Temperatur von mindestens -7° Celsius schon am Vorabend um 22:00 Uhr erreicht sein, damit dann in den frühen Morgenstunden beim Temperaturminimum die Beeren durchgefroren sind (Bl. 266 GA).

51

2.) Die von der Klägerin für die beiden angestellten Weine verwendeten Weintrauben waren nicht in dem von § 20 Abs. 4 Nr. 5 WeinG geforderten Ausmaß gefroren, um die eisweintypische Konzentrierung ihrer Inhaltsstoffe herbeizuführen.“

52

Ausgehend von diesen Ausführungen, die sich die Kammer zu eigen macht, ist sie nicht davon überzeugt, dass das vom Kläger zur Erteilung der beantragten AP-Nummer angestellte Lesegut von vornherein für eine Eisweinherstellung ungeeignet ist, denn der Kläger ist seiner Darlegungspflicht dahingehend, dass die Konzentrierung der Inhaltsstoffe wesentlich durch das Gefrieren der Weintrauben eingetreten ist, nachgekommen. Auch wurde seine Darlegung durch die seitens des Beklagten vorgelegten Untersuchungsergebnisse hinsichtlich des klägerischen Erzeugnisses nicht nachhaltig erschüttert, so dass eine Sinnenprüfung durchzuführen ist.

53

Die Beklagte stützt ihre insoweit vertretene gegenteilige Auffassung zur fehlenden Eignung des Leseguts im Wesentlichen darauf, dass das Erzeugnis aufgrund der bei ihrer Untersuchung festgestellten Analysewerte für eine Eisweinherstellung ungeeignet sei, weil aufgrund der ermittelten Laborwerte der Pilzbefall und die Fäulnis zu weit fortgeschritten gewesen seien. Allein mit dieser Begründung kann indessen vorliegend eine Eignung des klägerischen Leseguts zur Herstellung von Eiswein nicht verneint werden, denn edelfaule Weintrauben sind aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht generell zur Eisweinherstellung ungeeignet. Entscheidend ist vielmehr, ob die eisweintypische Konzentrierung der Inhaltsstoffe wesentlich auf ihrem Gefrieren beruht. Dies hat der Kläger indessen zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft dargelegt.

54

Zum einen hat er – was von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird und was den entscheidenden Unterschied zum Verfahren 8 A 10489/13.OVG ausmacht – dargelegt, dass er die fraglichen Trauben bei einer Temperatur von -9° bis -10° Celsius gelesen hat, so dass die für eine Eisweinherstellung erforderliche Minustemperatur zweifelsfrei erreicht wurde. Des Weiteren hat der Kläger – insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2014 – glaubhaft und nachvollziehbar erläutert, wieso er am 31. Januar 2012 im fraglichen Weinberg noch ein Mostgewicht von (nur) 89° Oechsle ermitteln konnte, obwohl er aus der fraglichen Lage in Herbst 2011 bereits ähnliche oder höhere Mostgewichte erzielt hatte. Insoweit hat der Kläger nämlich dargelegt, dass zur Lage „...“ verschiedene Grundstücksparzellen mit unterschiedlichen Witterungsbedingungen gehören und bei der Ernte im Herbst 2011 vor allem die seinerzeit bereits mit Botrytis befallenen Trauben geerntet wurden, während die seinerzeit noch völlig gesunden Trauben am Stock geblieben seien und die Blätter im Bereich dieser Trauben entfernt worden seien, während die Blätter im oberen Bereich der Rebstöcke belassen worden seien und gleichsam ein Blätterdach zum Schutz der Trauben gebildet hätten. Insoweit ist es daher nachvollziehbar, dass trotz der Witterungsverhältnisse im fraglichen Winter (vgl. hierzu ausführlich OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Mai 2014, a.a.O.) bei den für die Eisweinherstellung verwandten Trauben des Klägers kein Botrytisbefall in dem ansonsten vorhandenen Umfang aufgetreten ist. Wenn auch vor der Lese durchgeführte Messungen der Mostgewichte nur Stichproben hinsichtlich einzelner Trauben beinhalten, während nach dem Keltern das Mostgewicht des Mostes gemessen wird, können Unterschiede vor der Lese und nach dem Keltern auf eine Konzentrierung durch Gefrieren hindeuten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Mai 2014, a.a.O.), so dass ihnen eine gewisse Indiz-Wirkung zukommt. Hinzu kommt, dass der im Verfahren 8 A 10489/13.OVG für die dortige Klägerin tätig gewordene Gutachter Gafner in der zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemachten Stellungnahme (Blatt 159 ff. der Prozessakte) ausgeführt hat, dass eine gemessene Konzentration von Gluconsäure im Wein nicht auf den Gehalt im Traubensaft zurückgerechnet werden und die für einen Botrytisbefall spezifische Mucinsäure bei der Gärung auch als Oxidationsprodukt der Galakturonsäure für Traubenpiktin entstehen kann, und dass in dem dortigen Verfahren das Ergebnis der Begutachtung durch den im Auftrag des Gerichts tätigen Sachverständigen Prof. Dipl.-Ing Steidl, dass der Gehalt an Glycerin- und Gluconsäure in diesem Verfahren einen Rückschluss auf einen Botrytisbefall zulasse, im Wesentlichen darauf beruhte, dass die dortigen Trauben bei milderen Temperaturen als im vorliegenden Verfahren gelesen worden waren und der Sachverständige hieraus den Schluss auf eine geringere frostbedingte Konzentration der Inhaltsstoffe gezogen hat, zumal seine Ausführungen auf Seite 3 seines Gutachtens zum Zusammenhang zwischen Minustemperaturen und Mostgewicht (s. Blatt 156 der Prozessakte) das in Bezug auf den klägerischen Wein ermittelte Eiswein-Mostgewicht nachvollziehbar erscheinen lassen, so dass der Kläger seiner Darlegungspflicht dahingehend nachgekommen ist, dass die Konzentrierung der Inhaltsstoffe wesentlich durch das Gefrieren der Weintrauben eingetreten ist.

55

Soweit die von dem Beklagten ermittelten Analysewerte eine wesentliche Konzentrierung der Inhaltsstoffe durch das Gefrieren der Weintrauben in Frage stellen, vermag dies eine Ablehnung des vorliegenden Antrags allein aufgrund der Unterlagen nicht zu rechtfertigen, da die Frage, ob die festgestellten Analysewerte ihre Ursache in einer (zu) hohen Fäulnis des Lesegutes oder in anderen Ursachen haben, fachlich streitig ist. Bestehen indessen diesbezügliche Zweifel, so ist zur Überzeugung der Kammer die Sinnenprüfung das maßgebende Kriterium für eine Zuteilung einer Prädikatstufe – wie derjenigen des Eisweins –, da bei ihr zu überprüfen ist, ob der Wein die sensorischen Voraussetzungen für die beantragte Qualitätsstufe erfüllt und hinsichtlich Aussehen (Farbe und Klarheit), Geruch und Geschmack in Bezug auf dieses Prädikat frei von Fehlern ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 3 C 8/06 -, juris).

56

Soweit das VG Neustadt in dem bereits zitierten Urteil vom 19. März 2013 die Auffassung vertreten hat, dass die Erteilung einer AP-Nummer ohne Durchführung einer Sinnenprüfung bereits dann abgelehnt werden dürfe, wenn Tatsachen, die sich aus laboranalytischen Untersuchungen der Weinbeeren, des Traubenmostes oder des Weines ergäben, berechtigte Zweifel an der Einhaltung eisweinspezifischer Anforderungen begründeten, vermag sich das Gericht dem angesichts dessen, dass die Versagung einer AP-Nummer für Wein Grundrechte des Winzers im Sinne der Art. 12 und 14 GG tangieren kann (vgl. hierzu auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. August 2005 - 7 A 11902/04.OVG – in der dem Urteil des BVerwG vom 16. Mai 2007 - 3 C 8/06 – vorausgegangenen Instanz), nicht anzuschließen.

57

Von daher kann die Kammer nicht feststellen, dass die Erteilung einer AP-Nummer in Bezug auf den vom Kläger angestellten Eiswein bereits auf Grund der vorliegenden Unterlagen abzulehnen ist, so dass die Beklagte gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 WeinV eine Sinnenprüfung zu veranlassen hat.

58

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

59

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

60

Gründe, nach § 124a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht gegeben, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vor.

61

Beschluss

62

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

Weingesetz - WeinG 1994 | § 20 Qualitätsprüfung der Prädikatsweine


(1) Inländischer Wein darf als Prädikatswein in Verbindung mit einem der Begriffe Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese oder Eiswein nur bezeichnet werden, wenn ihm das Prädikat auf Antrag unter Zuteilung einer amtlichen Pr

Weinverordnung - WeinV 1995 | § 22 Antrag auf Erteilung einer Prüfungsnummer (zu § 21 Absatz 1 Nummer 1 und 3 des Weingesetzes)


(1) Eine Prüfungsnummer kann beantragen:1.für Qualitätswein oder Prädikatswein der Abfüller, im Falle des Absatzes 5 der Hersteller,2.für Sekt, Sekt b.A., Qualitätslikörwein b.A. und Qualitätsperlwein b.A. der Hersteller.Der Antrag ist der zuständige

Weingesetz - WeinG 1994 | § 21 Ermächtigungen


(1) Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Sicherung und Steigerung der Qualität für Qualitätsschaumwein, Qualitätswein, Sekt b.A., Qualitätslikörwein b.A., Qu

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Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Urteil, 19. März 2013 - 2 K 761/12.NW

bei uns veröffentlicht am 19.03.2013

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Berufung wird zugelassen. Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten um die

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 15. Sept. 2010 - 8 C 21/09

bei uns veröffentlicht am 15.09.2010

Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Festsetzung einer angemessenen Vergütung für eine von ihr durchgeführte Abwicklung der Praxis des am 19. Dezember

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(1) Eine Prüfungsnummer kann beantragen:

1.
für Qualitätswein oder Prädikatswein der Abfüller, im Falle des Absatzes 5 der Hersteller,
2.
für Sekt, Sekt b.A., Qualitätslikörwein b.A. und Qualitätsperlwein b.A. der Hersteller.
Der Antrag ist der zuständigen Stelle auf einem Formblatt einzureichen, das die in Anlage 9 Abschnitt I aufgeführten Angaben enthält. Dem Antrag ist unentgeltlich eine Probe von drei Flaschen beizufügen. Die zuständige Stelle kann, soweit die Probe von drei Flaschen zur Beurteilung des Weines nicht ausreicht, weitere unentgeltliche Proben anfordern oder entnehmen lassen. Der Antrag ist mit einer fortlaufenden Nummer zu versehen (Antragsnummer). Die fortlaufende Zählung der Antragsnummern endet mit dem Kalenderjahr. Auf Antrag kann die zuständige Stelle von der fortlaufenden Zählung der Antragsnummern absehen, wenn hierfür ein dringendes Bedürfnis nachgewiesen wird und eine ausreichende Kontrolle gewährleistet ist.

(2) Der Antrag auf Zuteilung einer Prüfungsnummer kann zurückgewiesen werden, wenn für das Erzeugnis die vorgeschriebenen Eintragungen in der Weinbuchführung oder den Begleitpapieren nicht, nicht vollständig oder nicht richtig vorgenommen worden sind, es sei denn, der Antragsteller weist auf andere Weise nach, dass das Erzeugnis den für die Zuteilung der Prüfungsnummer vorgeschriebenen Voraussetzungen entspricht.

(3) Wird ein Antrag auf Zuteilung einer Prüfungsnummer abgelehnt oder mit Auflagen beschieden, so kann das Erzeugnis nach Ablauf der Widerspruchs- oder Klagefrist erneut zur Qualitätsprüfung angestellt werden. Eine erneute Anstellung ist nicht zulässig, wenn der Wein mit der Ablehnung des Antrages herabgestuft worden ist.

(4) Von der Probe ist mindestens eine Flasche bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Erteilung des Prüfungsbescheides aufzubewahren. Die Aufbewahrung kann nach Versiegelung der Flaschen auch dem Antragsteller aufgegeben werden. Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist kann der Antragsteller innerhalb von drei Monaten über die von der zuständigen Stelle aufbewahrte Probe verfügen, soweit sie nicht für Zwecke der Prüfung oder Überwachung verwendet wurde.

(5) Sofern für Qualitätswein, Prädikatswein, Qualitätslikörwein b.A., Qualitätsperlwein b.A., Sekt b.A. oder Sekt ein Antrag gestellt wird, bevor das Erzeugnis abgefüllt ist, ist auch diesem Antrag unentgeltlich eine Probe von drei Flaschen beizufügen. Zur Feststellung der Identität ist nach der Abfüllung eine weitere unentgeltliche Probe von drei Flaschen und ein Untersuchungsbefund nach § 23 Absatz 1 nachzureichen. Abweichend von Satz 2 kann die zuständige Stelle zulassen, dass der nachzureichende Untersuchungsbefund nur die in Anlage 10 genannten Angaben enthalten muss, die zur Feststellung der Identität zwingend erforderlich sind.

(6) Wird der Antrag zurückgenommen oder abgelehnt, oder wird der Prüfungsbescheid aufgehoben, so ist dem Antragsteller die Probe unverzüglich zur Verfügung zu stellen, soweit der von der zuständigen Stelle erlassene Verwaltungsakt nicht angefochten wird. Absatz 4 Satz 3 gilt entsprechend. Die zuständige Stelle kann jedoch die weitere Aufbewahrung der Probe anordnen, wenn sie eine erneute Untersuchung des Erzeugnisses eingeleitet hat.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Festsetzung einer angemessenen Vergütung für eine von ihr durchgeführte Abwicklung der Praxis des am 19. Dezember 1998 verstorbenen Steuerberaters Jörg Sch.

2

Zum Praxisabwickler war sie von der Beklagten mit Urkunde vom 24. Dezember 1998 gemäß § 70 StBerG auf Vorschlag der Witwe des Verstorbenen bestellt worden. Mit Vertrag vom 26. August 1999 verkauften die Erben des verstorbenen Steuerberaters die Praxis zu einem Kaufpreis von 150 000 DM. Der Verkaufserlös wurde in voller Höhe an sie ausgezahlt.

3

Mit Schreiben vom 23. Juli 1999 stellte die Klägerin für ihre Abwicklertätigkeit den Erben des verstorbenen Steuerberaters einen Betrag von 347 693,66 DM in Rechnung, wobei sie geltend machte, die Praxis des verstorbenen Steuerberaters habe sich in einem chaotischen Zustand befunden, so dass ein Einsatz von 3 Steuerberatern und 5 Diplom-Betriebswirten sowie weiterer Mitarbeiter erforderlich gewesen sei, um die Praxis-Unterlagen den betreffenden Akten zuzuordnen, die Rückstände aufzuarbeiten und die laufenden Aufträge fortzuführen. Da hierauf von den Erben lediglich ein Teilbetrag von 60 000 DM gezahlt wurde, erhob die Klägerin gegen diese beim Landgericht M. Klage auf Zahlung einer Praxisabwickler-Vergütung in Höhe von 273 223,71 DM zuzüglich Zinsen. Sie errechnete ihren Anspruch anhand des Zeitaufwandes der von ihr eingesetzten Steuerberater und Diplom-Betriebswirte, den sie auf 2 350,87 Stunden bezifferte. Als Stundensatz legte sie die Mittelgebühr nach § 13 Abs. 2 StBGebV in Höhe von 127,50 DM zugrunde. Nachdem Vergleichsbemühungen des Landgerichts gescheitert waren und die Klägerin der gerichtlichen Anregung, einen Antrag auf Festsetzung der angemessenen Vergütung gemäß § 70 i.V.m. § 69 StBerG bei der Beklagten zu stellen, nicht nähergetreten war, holte das Landgericht bei der Beklagten ein Sachverständigengutachten zu der Angemessenheit der Forderung der Klägerin ein. Das Gutachten der Beklagten vom 19. November 2003 kam unter Zugrundelegung von 1 732,5 Stunden zu dem Ergebnis, dass für die der Praxisabwicklung zurechenbaren Leistungen eine Vergütung von 256 236,75 DM angemessen sei.

4

Nach einem Berichterstatterwechsel wies das Landgericht die Verfahrensbeteiligten darauf hin, dass es angesichts der bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten Aufgabe der Beklagten sei, die Höhe der angemessenen Abwicklervergütung festzusetzen. Den daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag auf Festsetzung der angemessenen Vergütung lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 11. April 2005 mit der Begründung ab, für eine Festsetzung der Abwicklervergütung durch sie sei kein Raum, weil § 69 Abs. 4 Satz 5 StBerG nicht die Fälle betreffe, in denen - wie hier - die Bestellung des Praxisabwicklers auf Antrag der Erben erfolgt sei. Daraufhin wandte sich das Landgericht mit Schreiben vom 29. Juni 2005 an das Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg als Aufsichtsbehörde der Beklagten, das unter dem 4. August 2005 ausführte, es teile die Rechtsauffassung des Landgerichts. Die Beklagte habe die Vergütung des Praxisabwicklers festzusetzen, wenn sich die Beteiligten hierüber nicht einigen könnten. Eine Differenzierung danach, ob die Abwickler-Bestellung auf Antrag oder von Amts wegen erfolgt sei, sehe das Gesetz nicht vor. Die Steuerberaterkammer hafte für die Vergütung des Praxisabwicklers wie ein Bürge. Unter Hinweis auf dieses Schreiben des Finanzministeriums beantragte die Klägerin daraufhin unter dem 11. August 2005 bei der Beklagten die Festsetzung einer angemessenen Abwicklervergütung in Höhe von 131 011,77 € zuzüglich Zinsen. Nach einer Besprechung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 25. Oktober 2005 teilte das Finanzministerium der Beklagten mit Schreiben vom 4. November 2005 mit, aus seiner Sicht könne festgestellt werden, dass der bestellte Praxisabwickler nach § 70 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 4 StBerG Anspruch auf eine angemessene Vergütung habe. Im vorliegenden Fall erscheine es angemessen, die Durchschnittsmonatsvergütung eines angestellten Steuerberaters als Maßstab für die Abwicklervergütung heranzuziehen. Die Beklagte werde gebeten, unter Beachtung der vorstehenden Kriterien die Abwicklervergütung festzusetzen.

5

Mit Bescheid vom 11. November 2005, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt wurde, setzte die Beklagte daraufhin die Höhe der angemessenen Vergütung auf 30 000 € fest. Zwar sei sie nach wie vor der Auffassung, sie sei nicht zur Festsetzung der angemessenen Vergütung verpflichtet; im Interesse des Fortgangs der Angelegenheit habe ihr Präsidium jedoch dessen ungeachtet entschieden, der Bitte des Finanzministeriums zu entsprechen und eine Festsetzung vorzunehmen. Hinsichtlich der Bemessung der Höhe der Vergütung habe sie sich an dem Schreiben des Finanzministeriums vom 4. November 2005 orientiert, wonach entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwischen der Vergütung des Abwicklers und der im Zusammenhang mit der Abwicklung von diesem getätigten Aufwendungen unterschieden werden müsse. Nur für die Festsetzung der Vergütung des Abwicklers sei die Kammer zuständig. Das insoweit anzusetzende durchschnittliche Monatsgehalt eines angestellten Steuerberaters liege ausweislich einer im Jahr 1999 durchgeführten Umfrage bei ungefähr 5 000 €, so dass sich bei einer Dauer der Abwicklertätigkeit der Klägerin von 6 Monaten ein Gesamtbetrag von 30 000 € ergebe.

6

Nachdem die Bemühungen des Landgerichts, in dem noch rechtshängigen Verfahren (Az: 2 0 319/99 LG M.) eine vergleichsweise Einigung herbeizuführen, gescheitert waren, hat die Klägerin auf Anregung des Landgerichts am 27. April 2006 Klage beim Verwaltungsgericht K. erhoben und beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die ihr zustehende Vergütung für die Praxisabwicklung unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 11. November 2005 auf 139 746 € zuzüglich Zinsen festzusetzen. Die Beklagte hat demgegenüber insbesondere geltend gemacht, die Klage sei mangels vorheriger Durchführung des nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderlichen Widerspruchsverfahrens unzulässig, was sie, die Beklagte, ausdrücklich rüge. Das Widerspruchsverfahren sei keinesfalls entbehrlich und hätte Gelegenheit geboten, die Sache nochmals zu erörtern. Vorsorglich und unter ausdrücklicher Klarstellung, dass damit ein Verzicht auf die Rüge der fehlenden Durchführung des Vorverfahrens nicht verbunden sei, halte sie die Klage zudem auch für unbegründet. Dem Einwand der Beklagten, die Klage sei wegen fehlenden Vorverfahrens unzulässig, ist die Klägerin unter Hinweis auf mehrere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur ausnahmsweisen Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens entgegengetreten. Für den Fall, dass das Verwaltungsgericht davon abweichen wolle und ein Widerspruchsverfahren für erforderlich halte, erbitte sie einen entsprechenden Hinweis, damit sie noch vor Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO Widerspruch einlegen könne. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. März 2007 als unzulässig abgewiesen und ausgeführt, es fehle an dem nach § 68 VwGO erforderlichen Vorverfahren.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen von der Klägerin eingelegte Berufung mit Urteil vom 4. März 2009 mit der Begründung zurückgewiesen, das Verwaltungsgericht habe die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Es fehle an dem gemäß § 68 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderlichen Vorverfahren. Eine der in § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO genannten Ausnahmen, in denen es einer solchen Nachprüfung nicht bedürfe, liege nicht vor. Die Erforderlichkeit des Vorverfahrens entfalle auch nicht deshalb, weil die Beklagte selbst zuständige Widerspruchsbehörde gewesen wäre. Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne nicht sicher entnommen werden, ob ein Vorverfahren auch dann entbehrlich sei, wenn sich die Beklagte auf das Fehlen des Vorverfahrens ausdrücklich berufen und nur hilfsweise zur Sache eingelassen habe. In der Kommentarliteratur werde diese Auffassung, die fehlende Durchführung eines Vorverfahrens könne bereits bei hilfsweiser Einlassung der Behörde zur Sache geheilt und das Berufen auf die fehlende Zulässigkeitsvoraussetzung damit unbeachtlich werden, einhellig abgelehnt. Dieser Auffassung sei zu folgen. Bei ausdrücklicher Berufung auf das Fehlen des Vorverfahrens und lediglich hilfsweiser Einlassung sei kein ausreichender Grund dafür ersichtlich, von dem vor Durchführung einer Verpflichtungsklage zwingend vorgeschriebenen Vorverfahren abzusehen. Entgegen der von der Klägerin vorgebrachten Meinung erweise sich das Vorverfahren auch nicht deshalb als entbehrlich, weil sich die Einschätzung der Beklagten bereits als "unabänderlich" erwiesen habe und die Durchführung eines Vorverfahrens daher zwecklos gewesen wäre. Auch die Schreiben des Finanzministeriums rechtfertigten nicht, die von der Klägerin erhobene Klage ohne vorherige Durchführung eines Vorverfahrens für zulässig zu erachten. Dies gelte jedenfalls, wenn, wie hier, eine verbindliche Weisung der Aufsichtsbehörde hinsichtlich der Höhe der der Klägerin zustehenden Vergütung nicht vorliege.

8

Zur Begründung ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, der Verwaltungsgerichtshof sei trotz Vorliegens eines entsprechenden Ausnahmefalles unter Verstoß gegen Bundesrecht von der Notwendigkeit eines Vorverfahrens ausgegangen und habe deshalb die Berufung zu Unrecht zurückgewiesen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei ein Vorverfahren entbehrlich, wenn es seinen Zweck nicht mehr erfüllen könne. Das sei jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Widerspruchsbehörde bereits außerhalb eines Widerspruchsverfahrens mit der Sache befasst gewesen sei und dabei eine sachliche Überprüfung der Entscheidung der Ausgangsbehörde schon vorgenommen habe. Ferner sei von einem Vorverfahren abzusehen, wenn das Verhalten der Widerspruchsbehörde

9

vor oder während eines gerichtlichen Verfahrens mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten lasse, dass ein Widerspruch erfolglos sein würde. Weder die Rechtsschutz-, noch die Kontroll- noch die Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens seien dann noch erfüllbar. Die Beklagte sei bereits seit dem Streit zwischen den Erben und der Beklagten intensiv in den Fall einbezogen gewesen und habe sich wiederholt nicht in der Lage gesehen, ihre Entscheidung zu revidieren. Das Berufungsgericht habe zudem nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Finanzministerium als Aufsichtsbehörde in der Sache bereits entschieden habe. Bei dem Schreiben des Finanzministeriums vom 4. November 2005 handele es sich nicht um eine unverbindliche Empfehlung oder Bitte, sondern um eine staatsaufsichtliche Maßnahme im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 2 StBerG. Angesichts dessen sei nicht mehr zu erwarten gewesen, dass die Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt plötzlich einen anderen Rechtsstandpunkt einnehmen werde. Ein Beschreiten des Rechtsweges sei daher für die Klägerin unvermeidbar gewesen. Aufgrund des gesamten Verlaufs der Ereignisse im Vorfeld des Rechtsstreits habe sie, die Klägerin, davon ausgehen müssen, dass für eine erneute Anrufung der Behörde im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens keine Veranlassung mehr bestanden habe. Für eine solche Fallgestaltung sei auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu verweisen. Auch ein (anderer) Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg habe diese Rechtsprechung mit einer aktuellen Entscheidung vom 27. Juni 2007 (Az: 4 S 2829/06) bestätigt.

10

Die Klage sei auch materiell begründet. Es sei widersprüchlich, wenn die Beklagte in ihrem Kammer-Gutachten im Zivilrechtsstreit vor dem Landgericht M. eine um rund 100 000 € höhere Vergütung für angemessen angesehen habe als in ihrem angegriffenen Bescheid. Im Kammer-Gutachten seien die von ihr, der Klägerin, aufgelisteten Stunden, also der tatsächliche Zeit- und Personalaufwand, als angemessen erachtet worden. Der Begriff der angemessenen Vergütung sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der gerichtlichen Nachprüfung in vollem Umfang unterliege. Ein Anhaltspunkt für die Bemessung sei der Stundensatz oder das Gehalt, das für einen Angestellten oder freien Mitarbeiter in der Steuerberaterpraxis gezahlt werde. Zu berücksichtigen seien aber auch der Zeitaufwand, den der Abwickler für die Bewältigung seiner Aufgabe benötigte, seine berufliche Erfahrung, die Schwierigkeiten und die Dauer der Abwicklung sowie der Umstand, dass die Tätigkeit eines Abwicklers eine Berufspflicht sei, die im Interesse des Berufsstandes geleistet werde. Die Angemessenheit eines Stundensatzes von 65,19 € werde auch durch die Praxis anderer Steuerberaterkammern bestätigt (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteil vom 15. März 2006 - 12 E 300/05 - juris). Die Beklagte sei in ihrem Sachverständigengutachten ebenfalls von einem Stundensatz in dieser Höhe ausgegangen. Im Übrigen habe die Beklagte bei der Berechnung ihrer eigenen Vergütung für die Erstellung ihres Gutachtens im Verfahren vor dem Landgericht M. einen Stundensatz von 51,13 € zugrunde gelegt; nicht einmal diesen billige sie der Klägerin zu. Die Klägerin habe allein für dieses von der Beklagten erstellte Gutachten Kosten von 15 000 DM vorschießen müssen. Der von der Klägerin bei der Praxisabwicklung zu erbringende Arbeitsaufwand sei derart außergewöhnlich gewesen, dass die Beklagte zu Recht in ihrem Gutachten vom 19. November 2003 zu dem Ergebnis gelangt sei, die Festlegung einer pauschalen Abwicklervergütung auf der Basis eines Monatsgehalts wäre nicht angemessen. Was als Gebührenforderung gegenüber den Erben angemessen sei, könne nun im Verhältnis zu der für diese als Bürge haftenden Beklagten nicht unangemessen sein.

11

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. März 2009 und des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2007 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts K. die Beklagte zu verpflichten, die der Klägerin zustehende angemessene Vergütung für die Praxisabwicklung unter Änderung des Bescheides vom 11. November 2005 auf 139 746 € zuzüglich Zinsen festzusetzen.

12

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

13

Die Revision sei bereits deshalb unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen genüge, die § 139 Abs. 3 VwGO an eine Revisionsbegründung stelle. Sie erschöpfe sich weitgehend in Bezugnahmen auf früheres Vorbringen und wiederhole dieses. Zudem setze sie sich nicht hinreichend mit der grundsätzlichen Erforderlichkeit eines Vorverfahrens und der nur ausnahmsweisen Entbehrlichkeit eines solchen Vorverfahrens auseinander. Selbst wenn die Revision zulässig wäre, sei sie unbegründet. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich für den vorliegenden Fall keine Ausnahme von der Erforderlichkeit des Vorverfahrens. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des Schreibens des Finanzministeriums vom 4. November 2005 sei zutreffend. Das Bundesverwaltungsgericht sei an diese Auslegung gebunden. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liege nicht vor.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision der Klägerin ist zulässig (1.) und begründet (2.). Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt Bundesrecht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

15

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO. Sie enthält einen bestimmten Antrag und substantiiert die gerügte Rechtsverletzung in hinreichendem Maße. Denn die Klägerin macht darin ausdrücklich einen Verstoß gegen § 68 VwGO geltend, den sie darin sieht, dass beide vorinstanzlichen Urteile die Klage zu Unrecht mit der Begründung für unzulässig gehalten hätten, das nach § 68 VwGO erforderliche Vorverfahren sei nicht durchgeführt worden und ein solches Vorverfahren sei auch nicht entbehrlich. Zur Begründung führt sie unter Bezugnahme auf mehrere näher bezeichnete Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus, dass nach ihrer Rechtsauffassung ein Widerspruchsverfahren ausnahmsweise dann nicht (mehr) erforderlich sei, wenn es seinen Zweck nicht mehr erfüllen könne. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Widerspruchsbehörde bereits außerhalb eines förmlichen Widerspruchsverfahrens mit der Sache befasst gewesen sei und dabei eine sachliche Überprüfung der Entscheidung der Ausgangsbehörde schon vorgenommen habe.

16

Die Revisionsbegründung ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch aus sich heraus und ohne dass dazu andere Schriftsätze herangezogen werden müssten, verständlich. (vgl. dazu u.a. Urteil vom 1. Juli 1965 - BVerwG 3 C 105.64 - BVerwGE 21, 286 <288> = Buchholz 427.2 § 8 FG Nr. 57a). Soweit die Beklagte die in der Revisionsbegründung erfolgte teilweise wörtliche Wiederholung von Ausführungen aus früheren Schriftsätzen, insbesondere aus der Berufungsbegründung vom 14. März 2008, rügt, ergibt sich daraus kein Verstoß gegen die gesetzliche Begründungspflicht. Der Schriftsatz vom 13. Mai 2009, mit dem die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Revision begründet haben, enthält keine bloße Bezugnahme auf frühere eigene Schriftsätze oder Schreiben der Klägerin, sondern greift darin Begründungselemente aus früheren Schriftsätzen auf.

17

2. Die Revision der Klägerin ist auch begründet. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und beruht hierauf; es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO)

18

2.1 Allerdings ist der Verwaltungsgerichtshof zu Recht davon ausgegangen, dass das Begehren der Klägerin, die Beklagte zur Festsetzung der angemessenen Vergütung nach § 70 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 4 Satz 5 StBerG zu verpflichten, auf den Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes gerichtet ist. Die dafür allein statthafte Klageart ist nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO die Verpflichtungsklage. Vor Erhebung der Verpflichtungsklage sind, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts ganz oder - wie im vorliegenden Fall - teilweise abgelehnt worden ist, nach § 68 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Die erfolglose Durchführung des Vorverfahrens muss im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage von Amts wegen geprüft werden (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 9. Februar 1967 - BVerwG 1 C 49.64 - BVerwGE 26, 161 = Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 35, vom 17. Februar 1981 - BVerwG 7 C 55.79 - BVerwGE 61, 360 = Buchholz 310 § 68 VwGO Nr. 20 und vom 13. Januar 1983 - BVerwG 5 C 114.81 - BVerwGE 66, 342 = Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 7 sowie Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 68 Rn. 33 ff. m.w.N.).

19

Ein Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. November 2005 war auch nicht wegen des Fehlens einer Rechtsbehelfsbelehrung entbehrlich. Die verfahrensrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unterbliebenen Rechtsbehelfsbelehrung sind in § 58 VwGO abschließend geregelt. Ist die Rechtsmittelbelehrung unterblieben, ist nach § 58 Abs. 2 VwGO die Einlegung des Rechtsbehelfs - abweichend von der sonst maßgeblichen Monatsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO - innerhalb eines Jahres zulässig. Dass ein Rechtsbehelf entbehrlich wird, wenn über ihn nicht belehrt wird, ist dort nicht bestimmt. Damit bleibt es auch im Falle einer fehlenden oder unrichtigen Rechtsmittelbelehrung bei der Notwendigkeit eines Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO (Urteil vom 20. April 1994 - BVerwG 11 C 2.93 - BVerwGE 95, 321 = Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13).

20

Innerhalb der nach § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblichen Jahresfrist hat die Klägerin keinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. November 2005 eingelegt. Auch nachdem die Beklagte mit ihrem Klageerwiderungsschriftsatz vom 8. Juni 2006 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist das Fehlen eines Widerspruchsverfahrens ausdrücklich gerügt hatte, hat die Klägerin unter Berufung auf mehrere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur ausnahmsweisen Entbehrlichkeit eines Widerspruchsverfahrens von der (nachträglichen) Einlegung eines Widerspruchs Abstand genommen und keine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO (analog) oder nach § 94 VwGO (vgl. dazu Urteil vom 13. Januar 1983 a.a.O. <345> = juris Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 68 Rn. 4 m.w.N.; Geis, in: Sodan/Ziekow, a.a.O. Rn. 118) beantragt.

21

Das Widerspruchsverfahren war im vorliegenden Fall auch nicht gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO durch Gesetz ausgeschlossen.

22

Da der von der Klägerin begehrte Verwaltungsakt nicht von einer obersten Bundes- oder Landesbehörde, sondern von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlassen war/ist, war ein Widerspruchsverfahren auch nicht nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 VwGO entbehrlich.

23

2.2 Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch verkannt, dass die Klage trotz fehlenden Widerspruchsverfahrens nach § 68 VwGO dennoch zulässig ist.

24

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist über die gesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus ein Vorverfahren ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn dem Zweck des Vorverfahrens bereits Rechnung getragen ist oder der Zweck des Vorverfahrens ohnehin nicht mehr erreicht werden kann (vgl. dazu u.a. Urteile vom 27. Februar 1963 - BVerwG 5 C 105.61 - BVerwGE 15, 306 <310> = Buchholz 310 § 68 VwGO Nr. 2, vom 9. Juni 1967 - BVerwG 7 C 18.66 - BVerwGE 27, 181 <185> = Buchholz 442.15 § 4 StVO Nr. 4, vom 23. Oktober 1980 - BVerwG 2 A 4.78 - Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 14, vom 15. Januar 1982 - BVerwG 4 C 26.78 - BVerwGE 64, 325 <330> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 47, vom 27. September 1988 - BVerwG 1 C 3.85 - Buchholz 130 § 9 RuStAG Nr. 10 und vom 4. August 1993 - BVerwG 11 C 15.92 - Buchholz 436.36 § 46 BAföG Nr. 16).

25

Diese Rechtsprechung ist zwar im Fachschrifttum auf Kritik gestoßen (vgl. dazu u.a. Ulrich Meier, Die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens, 1992, S. 69 ff.; Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 4. Aufl. 2007, § 68 Rn. 29 ff.; Rennert, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 68 Rn. 29 ff.; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 68 Rn. 4 jeweils m.w.N.). Ihr wird vor allem eine Unvereinbarkeit mit dem gesetzlichen Wortlaut und der Systematik sowie dem Zweck der Regelungen der §§ 68 ff. VwGO vorgeworfen.

26

Der Senat hält jedoch nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage an der bisherigen Rechtsprechung fest, wonach ein Widerspruchsverfahren nach § 68 VwGO ausnahmsweise dann entbehrlich ist, wenn dessen Zweck bereits Rechnung getragen ist oder der Zweck des Vorverfahrens ohnehin nicht mehr erreicht werden kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Ausgangsbehörde - wie hier nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO - zugleich Widerspruchsbehörde ist und den in Rede stehenden Bescheid aufgrund einer sie bindenden Weisung der (Rechts-)Aufsichtsbehörde erlassen hat, so dass sie bei Fortbestehen der Weisung den Ausgangsbescheid in einem Widerspruchsverfahren ohnehin nicht mehr ändern könnte.

27

Der Wortlaut des § 68 Abs. 1 VwGO steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Aus dem Normtext des § 68 Abs. 1 VwGO ("sind... nachzuprüfen") folgt nur, dass die Durchführung eines Vorverfahrens für die Beteiligten nicht disponibel ist (vgl. Urteile vom 13. Januar 1983 - BVerwG 5 C 114.81 - BVerwGE 66, 342 <345> = Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 7; Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 68 Rn. 159 m.w.N.). Die Zulässigkeit von (weiteren) Ausnahmen von der Notwendigkeit eines Widerspruchsverfahrens über die in §§ 68 ff. VwGO explizit normierten hinaus hängt davon ab, ob diese abschließenden Charakter ("numerus clausus") haben oder nicht. Diese Frage lässt sich anhand des Wortlautes nicht eindeutig entscheiden. Ihre Beantwortung hängt letztlich vom Sinn der in Rede stehenden Regelung(en) ab. Dieser kann angesichts der Offenheit des Wortlautes nur anhand des Regelungszusammenhangs und der Regelungssystematik, der Gesetzeshistorie sowie der mit der Regelung ersichtlich intendierten Zwecksetzung(en) festgestellt werden.

28

Die Entstehungsgeschichte der Regelungen der §§ 68 ff. VwGO ist hinsichtlich der Voraussetzungen einer (ausnahmsweisen) Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens nicht ergiebig. Die Frage, ob ein Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO - über die im Gesetz normierten Fälle hinaus - ausnahmsweise auch in weiteren Fällen entbehrlich sein kann, ist, soweit ersichtlich, weder in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks 3/55 S. 38 und S. 72 ff.) noch in den Gesetzesberatungen im Parlament thematisiert worden. Im Verlauf der Beratungen des Rechtsausschusses des Bundestages wurde von dem Vertreter der Bundesregierung allerdings darauf hingewiesen, dass der Regierungsentwurf hinsichtlich der Regelung zum Vorverfahren "nicht etwas völlig Neues enthalte, sondern an alte Vorbilder anknüpfe und versuche, diese in ein möglichst gutes Gleis zu bringen" (vgl. die Nachweise bei von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozessvoraussetzung, 1969, S. 102 ff. m.w.N.). Damit war auch - jedenfalls implizit - die vor Inkrafttreten der VwGO zu den Vorgängerregelungen ergangene Rechtsprechung einbezogen. Da sich in den Gesetzgebungsmaterialien keine Hinweise darauf finden, dass der Gesetzgeber der VwGO in der Frage der Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens eine Korrektur der damals bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen einer Entbehrlichkeit des Vorverfahrens (vgl. u.a. Urteile vom 27. Januar 1954 - BVerwG 2 C 113.53 - BVerwGE 1, 72 = Buchholz 332 § 44.MRVO Nr. 1, vom 3. Dezember 1954 - BVerwG 2 C 100.53 - BVerwGE 1, 247 <249>, vom 6. März 1959 - BVerwG 7 C 71.57 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 10 = DVBl 1959, 777 und vom 18. Dezember 1959 - BVerwG 7 C 95.57 - BVerwGE 10, 82 = Buchholz 401.62 Getränkesteuer Nr. 4) vornehmen wollte, liegt der Schluss nahe, dass die §§ 68 ff. VwGO auch insoweit "nicht etwas völlig Neues" in Kraft setzten, sondern "an alte Vorbilder" anknüpfen wollten. Jedenfalls ergibt sich damit aus der Gesetzgebungsgeschichte im Rahmen der sog. historischen Auslegung der hier in Rede stehenden Vorschriften kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass die damals bereits ergangene und vorliegende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur ausnahmsweisen Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens in den Fällen, in denen dessen Zweck bereits Rechnung getragen ist oder der Zweck des Vorverfahrens ohnehin nicht mehr erreicht werden kann, durch den Gesetzgeber der neuen VwGO korrigiert werden sollte.

29

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Gesetzessystematik, namentlich aus dem Regelungszusammenhang, in dem die in § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1, § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 und Nr. 2 sowie in § 75 VwGO normierten Ausnahmen von der Notwendigkeit eines Widerspruchsverfahrens stehen. Für die in diesen Vorschriften normierten Abweichungen ("Ausnahmen") waren jeweils spezifische Gründe und Motive des Gesetzgebers maßgebend. Zwischen der in § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO normierten Grundregelung und den zitierten Vorschriften besteht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Ausnahmevorschriften sind einer erweiternden Auslegung, insbesondere im Wege der Analogie, nicht zugänglich (vgl. dazu u.a. Urteile vom 17. Dezember 1996 - BVerwG 1 C 24.95 - Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 40 Rn. 26, vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <98 >= juris Rn. 249 und vom 17. August 2005 - BVerwG 6 C 15.04 - BVerwGE 124, 110 <121 ff.> = juris Rn. 37 ff.; Muscheler, in: Drenseck/Seer (Hrsg.), Festschrift für Heinrich Wilhelm Kruse zum 70. Geburtstag, 2001, S. 135 ff.<154 ff., 157 ff.>). Um eine solche Erweiterung durch Analogiebildung geht es aber nicht , wenn sich aus Sinn und Zweck der Regelung eine weitere, wenn auch im Gesetz nicht ausdrücklich normierte Ausnahme vom Erfordernis des Widerspruchsverfahrens ergibt und der Regeltatbestand deshalb einschränkend ausgelegt werden muss. Dies gilt namentlich für den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konkretisierten Fall, dass der Gesetzeszweck ein Widerspruchsverfahren deshalb nicht (mehr) gebietet und erfordert, weil im konkreten Fall dem Zweck des Vorverfahrens bereits Rechnung getragen ist oder der Zweck des Vorverfahrens ohnehin nicht mehr erreicht werden kann.

30

Das Vorverfahren soll zum einen im öffentlichen Interesse eine Selbstkontrolle der Verwaltung durch die Widerspruchsbehörde ermöglichen. Außerdem soll es zu einem möglichst effektiven individuellen Rechtsschutz beitragen; für den Rechtsuchenden soll eine gegenüber der gerichtlichen Kontrolle zeitlich vorgelagerte und ggf. erweiterte Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet werden, was insbesondere etwa bei der Kontrolle von Ermessensentscheidungen z.B. im Hinblick auf die im Widerspruchsverfahren für die Widerspruchsbehörde gegebene Möglichkeit einer Prüfung auch der Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts von Bedeutung sein kann. Schließlich soll das Vorverfahren im öffentlichen Interesse die Gerichte entlasten und damit Ressourcen schonen helfen ("Filterwirkung"). Diese dreifache normative Zwecksetzung eines Widerspruchsverfahrens ist allgemein anerkannt (vgl. dazu die Nachweise zur Rechtsprechung und Fachliteratur u.a. bei Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, Vorb. § 68 Rn. 1; Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 68 Rn. 1 FN. 1 und Rn. 2 ff.). Da das Widerspruchsverfahren weder allein den Interessen der Verwaltung noch allein denen des Betroffenen, sondern mehreren Zwecken und damit insgesamt jedenfalls auch dem öffentlichen Interesse an einer über den Gesichtspunkt des Individualrechtsschutzes hinausgehenden (Selbst-)Kontrolle der Verwaltung und einer Entlastung der Verwaltungsgerichte dient, steht es weder im Belieben der Verwaltungsbehörden noch in dem des jeweiligen Rechtsschutzsuchenden, hierauf umstandslos zu verzichten. Wenn allerdings die genannten Zweck(e) eines Vorverfahrens schon auf andere Weise erreicht worden sind oder nicht mehr erreicht werden können, wäre ein Widerspruchsverfahren funktionslos und überflüssig (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 9. Juni 1967 - BVerwG 7 C 18.66 - BVerwGE 27, 181 <185>, insoweit nicht vollständig abgedruckt = Buchholz 442.15 § 4 StVO Nr. 4, vom 23. März 1982 - BVerwG 1 C 157.79 - Buchholz 451.25 LadschlG Nr. 20 S. 1 <6>, vom 24. Juni 1982 - BVerwG 2 C 91.81 - BVerwGE 66, 39 <41> = Buchholz 232 § 61 BBG Nr. 4 und § 62 BBG Nr. 2, vom 2. September 1983 - BVerwG 7 C 97.81 - Buchholz 442.03 § 9 GüKG Nr. 13 = juris Rn. 8 ff., vom 17. August 1988 - BVerwG 5 C 78.84 - Buchholz 424.01 § 65 FlurbG Nr. 5 S. 7<9>, vom 27. September 1988 - BVerwG 1 C 3.85 - Buchholz 130 § 9 RuStAG Nr. 10 S. 37<38 f.>, vom 21. September 1989 - BVerwG 2 C 68.86 - Buchholz 240 § 12 BBesG Nr. 15 S. 8<10>, vom 18. Mai 1990 - BVerwG 8 C 48.88 - BVerwGE 85, 163 <168> = DVBl 1990, 1350, vom 4. August 1993 - BVerwG 11 C 15.92 - Buchholz 436.36 § 46 BAföG Nr. 16 = NVwZ 1995, 76 und vom 20. April 1994 - BVerwG 11 C 2.93 - BVerwGE 95, 321 = Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 = juris Rn. 18). Ob diese Voraussetzung im konkreten Fall vorliegt, bestimmt sich freilich nicht nach der subjektiven Einschätzung der Behörde oder des Rechtsschutzsuchenden. Vielmehr ist auf einen objektivierten Beurteilungsmaßstab abzustellen.

31

Ungeachtet der Frage, ob im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bereits ein hilfsweises Einlassen in der Sache durch die beklagte Behörde ausreicht, um von einem Erreichen der dem Gesetz zugrunde liegenden Regelungszwecke der §§ 68 ff. VwGO auszugehen (bejahend: u.a. Urteile vom 23. Oktober 1980 - BVerwG 2 A 4.78 - Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 14, vom 2. September 1983 - BVerwG 7 C 97.81 - Buchholz 442.03 § 9 GüKG Nr. 13 = NVwZ 1984, 507 und vom 9. Mai 1985 - BVerwG 2 C 16.83 - Buchholz 421.20 Hochschulpersonalrat Nr. 14 = NVwZ 1986, 374 = juris Rn. 21; verneinend: Beschluss vom 26. September 1989 - BVerwG 8 B 39.89 - Buchholz 310 § 68 VwGO Nr. 35 = juris Rn. 8), können die vom Gesetz normierten Zwecke eines Vorverfahrens unabhängig von der subjektiven Einschätzung der Prozessbeteiligten objektiv jedenfalls dann nicht (mehr) erreicht werden, wenn die Behörde durch die zuständige Aufsichtsbehörde zu ihrer Entscheidung verbindlich angewiesen worden ist (vgl. Urteile vom 23. Oktober 1980 a.a.O. und vom 27. September 1988 a.a.O.). Denn im Rahmen eines (nachgeholten) Widerspruchsverfahrens bestünde dann die in § 72 VwGO vorgesehene Abhilfemöglichkeit nicht mehr, so dass angesichts der rechtlichen Bindung der Behörde durch die aufsichtsbehördliche Weisung die von §§ 68 ff. VwGO bezweckte "Selbstkontrolle der Verwaltung" (durch die Widerspruchsbehörde) nicht mehr erreichbar wäre. Damit könnte das Widerspruchsverfahren auch nicht mehr den weiteren normativen Zweck erfüllen, für den Rechtsuchenden eine gegenüber der gerichtlichen Kontrolle zeitlich vorgelagerte und ggf. erweiterte Rechtsschutzmöglichkeit zu eröffnen. Angesichts der rechtlichen Bindung der Widerspruchsbehörde wäre auch der mit dem Widerspruchsverfahren intendierte dritte normative Zweck nicht mehr erreichbar, die Gerichte zu entlasten ("Filterwirkung").

32

Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn das Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg hatte in seiner Eigenschaft als Rechtsaufsichtsbehörde der beklagten Steuerberaterkammer diese nach § 88 Abs. 3 Satz 1 StBerG zur mit dem Bescheid vom 11. November 2005 dann auch erfolgten Festsetzung der angemessenen Abwicklervergütung angewiesen. Hieran war die Beklagte gebunden.

33

Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass das an die Beklagte gerichtete Schreiben des Finanzministeriums vom 4. November 2005 nicht lediglich eine "Empfehlung" bzw. "Bitte" darstellt. Denn unbeschadet der höflich gehaltenen Formulierung wird die Beklagte darin durch ihre Aufsichtsbehörde aufgefordert, die Vergütung "unter Beachtung der vorstehenden Kriterien" festzusetzen. Der Erklärungsgehalt des Schreibens lässt nach dem gemäß §§ 133, 157 BGB (analog) maßgeblichen objektivierten Empfängerhorizont keinen Zweifel daran aufkommen, dass die vom Finanzministerium vorgetragene "Bitte" als verbindliche Weisung zu verstehen war.

34

Der verbindliche "Aufsichtscharakter" des Schreibens wird zudem bei Berücksichtigung der maßgeblichen, dem Adressaten bekannten näheren Umstände seines Zustandekommens und Ergehens deutlich. Bereits mit Schreiben vom 4. August 2005, das der Beklagten zur Kenntnis gegeben wurde, hatte das Finanzministerium auf die unter Vorlage der Akten durch das Landgericht M. erfolgte Anfrage diesem mitgeteilt, es teile die "vorläufig geäußerte Rechtsauffassung des Gerichts in Bezug auf die Pflicht der Steuerberaterkammer N., die umstrittene Verfügung für die Abwicklung festzusetzen". Dabei wird vom Finanzministerium ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein rechtlicher Spielraum für eine andere Interpretation der Vorschriften entgegen der Auffassung der Steuerberaterkammer nicht bestehe. Sowohl die deutliche Formulierung des Schreibens als auch die Tatsache, dass sich das Finanzministerium mit seiner Auffassung "nach außen" hin im amtlichen Verkehr mit einem Gericht festgelegt hat, sprechen dafür, dass es sich nicht um eine bloße Meinungsäußerung oder Empfehlung, sondern um eine verbindliche Auskunft gegenüber dem anfragenden Gericht handelte. Das Schreiben des Finanzministeriums vom 7. September 2005 bestätigte gegenüber der Beklagten, dass eine Rechtspflicht der Beklagten zur Festsetzung der angemessenen Abwicklervergütung bestehe. Zu Recht ist der Verwaltungsgerichtshof deshalb davon ausgegangen, dass die in diesem Schreiben enthaltenen Hinweise auf die "Staatsaufsicht", auf die bislang fehlende Abstimmung durch die Beklagte sowie auf die Möglichkeit einer Vergütungsfestsetzung von Amts wegen durch das Finanzministerium keinen Zweifel an dessen Durchsetzungswillen lassen. Nachdem die Beklagte hiergegen Einwände erhoben hatte, hielt das Landesfinanzministerium dann mit seinem an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 4. November 2005 an seiner Rechtsauffassung ausdrücklich fest und bekräftigte sie unmissverständlich.

35

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs enthält das Schreiben des Finanzministeriums vom 4. November 2005 eine verbindliche Vorgabe allerdings nicht nur bezüglich der Verpflichtung der Beklagten, überhaupt eine Vergütung festzusetzen, sondern auch bezogen auf die umstrittene Höhe der angemessenen Vergütung. Die gegenteilige Auslegung des Berufungsgerichts verletzt revisibles Recht.

36

Der Senat ist befugt, die Auslegung dieses Schreibens durch die Vorinstanz in der Revision am Maßstab der §§ 133, 157 BGB zu überprüfen (vgl. Urteile vom 9. Juni 1983 - BVerwG 2 C 34.80 - BVerwGE 67, 222 <234> = Buchholz 238.5 § 26 DRiG Nr. 1, vom 27. September 1990 - BVerwG 4 C 44.87 - BVerwGE 85, 348 <366> = Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 9, vom 2. September 1999 - BVerwG 2 C 22.98 - BVerwGE 109, 283 <286> = Buchholz 237.7 § 72 NWLBG Nr. 4 und vom 5. November 2009 - BVerwG 4 C 3.09 - BVerwGE 135, 209 <212 f. Rn. 17 ff. > m.w.N. = Buchholz 316 § 35 VwVfG Nr. 60; vgl. auch Eichberger, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rn. 156 zu § 137), die im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden sind (vgl. dazu u.a. Urteile vom 12. Dezember 2001 - BVerwG 8 C 17.01 - BVerwGE 115, 302 <307> = Buchholz 310 § 69 VwGO Nr. 7 und vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 <160> m.w.N. = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264; Vogenauer, §§ 133, 157, Auslegung, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Band I, 2003, S. 562 <583 ff. Rn. 33 ff. und Rn. 44 ff.> m.w.N.). Danach ist nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Es kommt entscheidend auch nicht auf den inneren Willen des Erklärenden, sondern darauf an, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist ("objektivierter Empfängerhorizont"). Dabei tritt der Wortlaut hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird (vgl. Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 70.88 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9 S. 1<5>). Die Auslegung muss sich auf die Erklärung in ihrer Gesamtheit und das mit ihr erkennbar verfolgte Ziel beziehen (vgl. u.a. Beschluss vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 1 B 110.98 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 6 S. 12<14>, Urteil vom 12. Dezember 2001 a.a.O. und hat unter Berücksichtigung aller dem Erklärungsempfänger objektiv erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben zu erfolgen (Urteil vom 15. November 2000 - BVerwG 8 C 28.99 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 40 S. 31<32>). Dabei ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung beim Erklärungsempfänger abzustellen (vgl. Beschluss vom 13. September 1999 - BVerwG 11 B 14.99 - NVwZ-RR 2000, 135 und Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <279> = Buchholz 406.27 § 31 BBerG Nr. 2).

37

Der Verwaltungsgerichtshof hat bei der Bestimmung des Regelungsgehalts des Schreibens des Finanzministeriums vom 4. November 2005 diese Auslegungsmaßstäbe in bundesrechtswidriger Weise angewandt und deshalb zu Unrecht verneint, dass auch hinsichtlich der im Schreiben erwähnten Maßstäbe für die Festsetzung der angemessenen Abwicklervergütung eine verbindliche Anordnung getroffen worden ist.

38

Eine solche Zielrichtung des Schreibens ergibt sich bereits daraus, dass es sich - für den Erklärungsempfänger klar erkennbar - gerade auch mit Einzelfragen der Höhe der Festsetzung der streitigen Vergütung befasst. Zum einen wird "aus der Sicht des Finanzministeriums" - in zeitlicher Hinsicht - festgestellt, dass die Praxisabwicklung ab Januar 1999 erfolgte und spätestens im Juni 1999 durch die Aufgabe von Verkaufsanzeigen abgeschlossen wurde. Des Weiteren wird in dem Schreiben ausgeführt, dass es "im vorliegenden Fall", also konkret bezogen auf die bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen der Klägerin und der Beklagten, angemessen erscheine, die Durchschnittsvergütung eines angestellten Steuerberaters als "Maßstab für die Abwicklervergütung" heranzuziehen. Im anschließenden Schlussabsatz des Schreibens weist dann das Ministerium die Beklagte ausdrücklich an, "unter Beachtung der vorstehenden Kriterien die Abwicklervergütung festzusetzen". Mit "vorstehenden Kriterien" waren ersichtlich alle in dem Schreiben zuvor dargestellten und für die Festsetzung der Vergütung maßgeblichen Kriterien gemeint. Der unmittelbar davor behandelte "Maßstab der Abwicklervergütung" war davon nicht ausgenommen. Das Schreiben war nach seinem für die Beklagte objektiv erkennbaren Sinngehalt insgesamt darauf gerichtet, diese zu veranlassen, aus Rechtsgründen eine bestimmte Einzelfallregelung mit öffentlich-rechtlichem Charakter, nämlich die von der Klägerin auf Anraten des Landgerichts beantragte Festsetzung der angemessenen Vergütung, unter Zugrundelegung der "Durchschnittsvergütung eines angestellten Steuerberaters als Maßstab für die Abwicklervergütung" vorzunehmen. Für die objektive Erkennbarkeit des - auch auf den Maßstab für die Abwicklervergütung bezogenen - Weisungscharakters des Schreibens des Finanzministeriums vom 4. November 2005 ist nicht entscheidend, dass es keine präzise Festlegung auf einen bestimmten ziffernmäßigen Festsetzungsbetrag hinsichtlich der Vergütung enthielt. Das Finanzministerium gab der Beklagten einen handhabbaren Berechnungsmaßstab an die Hand, den die Beklagte dann auch ihrem Festsetzungsbescheid vom 11. November 2005 zugrunde legte. Die betragsmäßige Höhe dieser Durchschnittsvergütung eines angestellten Steuerberaters ließ sich, was die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt hat, dem ihr verfügbaren statistischen Datenmaterial entnehmen. Dementsprechend ist die Beklagte auch verfahren und kam damit - wie sie selbst in ihrem Bescheid vom 11. November 2005 zum Ausdruck gebracht hat - ungeachtet ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung der an sie ergangenen Anweisung nach. Dabei gab sie kund, auch "bei der Bemessung der Höhe der Vergütung" habe sie sich "an dem Hinweis im Schreiben des Finanzministeriums B. vom 4. November 2005 orientiert", der auf die in mehreren ihr bekannten Gerichtsentscheidungen entwickelten Grundsätze zurückgehe.

39

Die von der Beklagten angeführten späteren Erklärungen des Finanzministeriums (Schreiben vom 17. November 2005 sowie dessen E-mail-Korrespondenz mit der Beklagten vom 27. Februar 2009) sind für die Auslegung unerheblich. Denn dafür kommt es auf die Umstände zum Zeitpunkt ihres Zugangs beim Erklärungsempfänger an. Spätere Erklärungen und Stellungnahmen vermögen den objektiven Erklärungsgehalt der auszulegenden Willenserklärung nicht mehr zu beeinflussen.

40

Entgegen der Auffassung der Beklagten ändert auch der Umstand, dass dem Finanzministerium nur die Rechtsaufsicht, jedoch nicht die Fachaufsicht gegenüber der beklagten Steuerberaterkammer obliegt, nichts am festgestellten Inhalt des (Anweisungs-)Schreibens vom 4. November 2005. Für die Auslegung und die Ermittlung des Regelungsgehalts des Schreibens ist nur der geäußerte Wille des Erklärenden entscheidend, aber nicht, ob dieses rechtmäßig war, insbesondere ob es sich innerhalb der rechtlichen Grenzen hielt, die dem Finanzministerium als Rechtsaufsichtsbehörde nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes gegenüber der Beklagten als Selbstverwaltungskörperschaft gezogen sind.

41

Da der Verwaltungsgerichtshof die Berufung wegen des fehlenden Widerspruchsverfahrens und der daraus abgeleiteten Unzulässigkeit der Klage abgewiesen hat, beruht sein Urteil auf dem festgestellten Verstoß gegen Bundesrecht und stellt sich im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Der Senat kann auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Festsetzung einer angemessenen Vergütung in der im Klageantrag genannten Höhe gerichtete Klage trotz ihrer Zulässigkeit abzuweisen ist. Die dafür notwendige Sachprüfung muss zunächst vom Berufungsgericht vorgenommen werden.

42

Auf die Revision der Klägerin war deshalb das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

(1) Inländischer Wein darf als Prädikatswein in Verbindung mit einem der Begriffe Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese oder Eiswein nur bezeichnet werden, wenn ihm das Prädikat auf Antrag unter Zuteilung einer amtlichen Prüfungsnummer zuerkannt worden ist.

(2) Ein Prädikat wird einem Wein zuerkannt, wenn er

1.
die für dieses Prädikat typischen Bewertungsmerkmale aufweist und
2.
den Vorschriften der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union, dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entspricht.
Die amtliche Prüfungsnummer ist auf den Behältnissen anzugeben.

(3) Das Prädikat Kabinett wird einem Wein zuerkannt, wenn eine Anreicherung nicht vorgenommen worden ist.

(4) Die übrigen Prädikatsweine müssen zusätzlich zu den Anforderungen nach Absatz 3 aus Lesegut der folgenden Beschaffenheit hergestellt sein:

1.
Bei der Spätlese dürfen nur vollreife Weintrauben verwendet werden, die in einer späten Lese geerntet worden sind.
2.
Bei der Auslese dürfen nur vollreife oder edelfaule Weintrauben verwendet werden.
3.
Bei der Beerenauslese dürfen nur edelfaule oder wenigstens überreife Beeren verwendet werden.
4.
Bei der Trockenbeerenauslese dürfen nur weitgehend eingeschrumpfte edelfaule Beeren verwendet werden; ist wegen besonderer Sorteneigenschaft oder besonderer Witterung ausnahmsweise keine Edelfäule eingetreten, genügt auch Überreife der eingeschrumpften Beeren.
5.
Bei Eiswein müssen die verwendeten Weintrauben bei ihrer Lese und Kelterung gefroren sein.

(5) Für die Zuerkennung der in Absatz 4 Nr. 3 und 4 genannten Prädikate muss das Erntegut von Hand gelesen worden sein.

(6) Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung zur Sicherung der Qualität oder soweit ein wirtschaftliches Bedürfnis besteht, vorschreiben, dass für die Zuerkennung der Prädikate Auslese oder Eiswein das Erntegut von Hand gelesen worden sein muss.

(1) Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Sicherung und Steigerung der Qualität für Qualitätsschaumwein, Qualitätswein, Sekt b.A., Qualitätslikörwein b.A., Qualitätsperlwein b.A. und Prädikatswein

1.
vorzuschreiben, unter welchen weiteren Voraussetzungen die amtliche Prüfungsnummer zuzuteilen ist; dabei sind insbesondere die Anforderungen an das Erzeugnis oder seine Vorerzeugnisse und die zulässigen Verarbeitungs- und Behandlungsverfahren zu regeln,
2.
vorzuschreiben, dass bei Prädikatswein der natürliche Alkoholgehalt amtlich festzustellen ist,
3.
das Prüfungsverfahren und weitere Einzelheiten der Kontrolle der Produktspezifikationen zu regeln,
4.
vorzuschreiben, in welcher Weise die amtliche Prüfungsnummer anzugeben ist,
5.
vorzuschreiben, unter welchen Voraussetzungen die amtliche Prüfungsnummer zurückzunehmen ist,
6.
vorzuschreiben, unter welchen Voraussetzungen ein Qualitätswein oder Prädikatswein bei der amtlichen Qualitätsweinprüfung zu einem anderen Erzeugnis, insbesondere zu Wein, herabgestuft werden kann.

(2) Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, soweit dies den Interessen des Verbrauchers dient oder ein wirtschaftliches Bedürfnis besteht und Interessen des Verbrauchers nicht entgegenstehen, Ausnahmen von § 19 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 zuzulassen.

(3) Die Landesregierungen bestimmen für die einzelnen Qualitätsweine, Prädikatsweine, Qualitätslikörweine b.A., Qualitätsperlweine b.A. und Sekte b.A. durch Rechtsverordnung über die in auf Grund des Absatzes 1 erlassenen Rechtsverordnungen enthaltenen Voraussetzungen hinaus weitere Grenzwerte für charakteristische Faktoren, soweit dies zur Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union erforderlich ist.


Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Zuteilung von amtlichen Prüfnummern und die Anerkennung von Weinen aus der Lese des Weinwirtschaftsjahres 2011/12 als Eiswein.

2

Mit zwei bei der Beklagten am 13. März 2012 eingegangenen Anträgen vom 12. März 2012 beantragte die Klägerin die Erteilung einer amtlichen Prüfnummer für 4.491 Liter pfälzischen Silvaners (Weinnummer 11212) und 4.782 Liter pfälzischen Pinot Noir (Weinnummer 11213) als Eiswein des Jahres 2011.

3

Die zur Prüfung angestellten Weine waren von der Klägerin aus mehreren Teil-lieferungen von Lesegut und Traubenmost ausgebaut worden, die sie von Erzeugern aus den Gemarkungen E…, K… und W… angekauft hatte. Nach den aktenkundigen Angaben der Erzeugerbetriebe waren die Trauben frühmorgens am 17. und 18. Januar 2012 bei behaupteten Temperaturen zwischen -9,0 Grad (tiefste Temperatur) bis -7 Grad (höchste Temperatur) mittels Vollernter geerntet worden. Die Ernteprotokolle enthalten hinsichtlich des Fäulnisgrades der Trauben zum Zeitpunkt der Lese keine oder nur unvollständige Angaben. Die betriebseigenen Analysen durch die Klägerin ergaben einen Glyceringehalt zwischen 17,3 g/L (höchster Wert) und 9,8 g/L (niedrigster Wert).

4

Die Klägerin verschnitt die Mostpartien zu zwei Fassweinen. Bei deren Ausbau setzte sie einer Teilmenge von 3.564 Litern Silvaner 5,3 kg L-Weinsäure zu und süßte den Wein durch Zuführung von 1.091 Liter aus einer 2009er Eiswein-Süßreserve; 3.970 Litern Pinot Noir wurden 5,9 kg L-Weinsäure und 982 Liter aus einer zugekauften 2009er Eiswein-Süßreserve zugeführt.

5

Am 7. Februar 2012 (Tank) und am 21. März 2012 (Flaschenwein) wurden die Weine bei der Klägerin durch das Landesuntersuchungsamt beprobt.

6

Bei der Begutachtung der Proben ging das Landesuntersuchungsamt davon aus, dass der Eiswein aus Trauben gewonnen werden müsse, die bei hartem Frost (Temperaturen von weniger als –7 Grad) geerntet und in gefrorenem Zustand gepresst worden seien, da es sich bei einem Eiswein um einen einmaligen Wein handle, dessen äußerst hohe Konzentration an Süße und Säure durch das Ausfrieren des Saftwassers im Inneren der Beere erreicht werde. Hinsichtlich der Wetterverhältnisse im Herbst und Winter 2011/12 wird in dem Gutachten ausgeführt, dass der Erntejahrgang 2011 durch einen sehr milden und ab Dezember ungewöhnlich nassen Winter geprägt gewesen sei. Von Dezember bis in die erste Januarhälfte 2012 hätten vergleichsweise hohe Temperaturen zum mildesten Winter seit 40 Jahren geführt. Diese Verhältnisse hätten zu einer stetigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der in den Weinbergen verbliebenen Traubenpartien geführt, der bis zur völligen Fäulnis gereicht habe. Vom 16. Januar bis 18. Januar 2012 seien – insbesondere im Bereich der Weinberge im Umkreis von L… – zwar die bis dahin kältesten Nächte registriert worden. Die eingeholten Übersichten zeigten aber, dass die zur Produktion von Eiswein erforderliche Temperatur von -7 Grad nur geringfügig und zudem nicht flächendeckend unterschritten worden sei; zudem könne von einer Weinlese bei hartem Frost (unter -7 Grad für mindestens 10 bis 12 Stunden) keine Rede sein. Damit seien die Voraussetzungen, die Trauben bei hartem Frost in gefrorenem Zustand ernten und keltern zu können, schon für überwiegend gesundes Lesegut nicht gegeben gewesen: Dies gelte umso mehr für die hier in Rede stehenden Teillieferungen, die im Mittel einen Mostglyceringehalt von 12,7 g/L und einen Gluconsäuregehalt von 2,03 g/L aufgewiesen hätten, weshalb zum Ausfrieren Temperaturen deutlich unterhalb von -7 Grad erforderlich gewesen seien. Zudem sei der natürliche Gesamtsäuregehalt des Weins zu beanstanden. Zwar sei im Weinwirtschaftsjahr 2011/12 eine Säuerung von Weinen erlaubt gewesen. Sie widerspreche aber dem Charakter eines Eisweins diametral, weil bei diesem vorausgesetzt werde, dass der Säuregehalt Folge der Konzentrierung der Beereninhaltsstoffe durch Frosteinwirkung sei. Sowohl aus den meteorologischen Daten als auch aus den ermittelten chemisch-analytischen Untersuchungsergebnissen bezüglich der Gesamtsäure, des Glycerins und der Gluconsäure ergebe sich, dass die Konzentrierung der vorliegenden Moste auf über 147 Grad Oechsle nicht auf eine Frosteinwirkung, sondern auf den Befall des Leseguts mit Botrytis cinerea zurückzuführen sei.

7

Mit Schreiben vom 4. Juni 2012 hörte die Beklagte die Klägerin hierzu an und wies sinngemäß darauf hin, dass Eiswein nach gängiger Lehr- und Rechtsauffassung aus überwiegend gesunden Trauben gewonnen werden müsse. Hier sei aber von einem hochgradigen Befall des Leseguts mit dem Pilz Botrytis cinerea auszugehen, weil in befallsfreien Beeren in der Regel keine Glyceringehalte von mehr als 1g/L festzustellen seien. Glycerin und Gluconsäure seien Stoffwechselprodukte dieses Pilzes und gelangten ausschließlich durch edelfaules Lesegut in den Most. Zudem sei eine Eiskristallbildung durch Frosteinwirkung, die für die bei Eiswein charakteristische Konzentration der Fruchtsäure erforderlich sei, nicht festzustellen. Auch die durchgeführte Säuerung stehe in Widerspruch zu den Begriffsmerkmalen des Eisweines.

8

Die Klägerin trat dem mit Schreiben vom 2. Juli 2012 entgegen. Sie ist der Auffassung, dass es nach dem geschützten traditionellen Begriff des Eisweins ausreiche, dass der Wein aus Weintrauben gewonnen werde, die bei hartem Frost bei weniger als -7 Grad geerntet worden seien. Dies sei nach den Angaben der Erzeuger zum Zeitpunkt der Weinlese in den hier in Rede stehenden Weinbergen der Fall gewesen. In der Fachliteratur seien Hinweise zu finden, wonach Eisweine auch aus Trauben mit Botrytisbefall hergestellt werden könnten. Mit Botrytis befallene Trauben hätten die erforderliche Konzentrierung der Inhaltsstoffe ebenfalls am Rebstock erfahren. Denn ihr Wasseranteil werde durch den Botrytispilz bereits vor der Lese reduziert, die übrigen Inhaltsstoffe verblieben demgegenüber als flüssiges Konzentrat in der Beere und flössen beim Keltern wie gewünscht ab. Das Landesuntersuchungsamt habe keine Grenzwerte hinsichtlich des zulässigen Glyceringehalts für Eiswein genannt. Nach der Praxis der Beklagten in den vergangenen Jahren seien Weine mit einem Glyceringehalt von über 10 g/L und Gluconsäure von mehr als 1,5 g/L nach organoleptischer Prüfung als Eisweine eingestuft worden. Zudem seien für das Jahr 2011/12 sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes Rheinland-Pfalz bei ähnlichen klimatischen Bedingungen durchaus amtliche Prüfnummern für Eiswein erteilt worden. Die zusätzliche Säuerung von Most sei gesetzlich erlaubt gewesen und dürfe der Klägerin nicht entgegen gehalten werden.

9

In einer ergänzenden Stellungnahme führte das Landesuntersuchungsamt vertiefend aus, dass sich die von der Klägerin verarbeiteten Trauben nach den Laborparametern, die einen hochgradigen Botrytisbefall widerspiegelten, im Zustand äußerster Fäulnis befunden hätten. Bei höheren Zuckerkonzentrationen und hohen Gehalten an Glycerin und weiteren Fäulnisprodukten erfolge das Ausfrieren in Abhängigkeit von den Inhaltsstoffen zum Teil erst bei Temperaturen deutlich unter -7 Grad. Langanhaltende Temperaturen unter -7 Grad seien im Zeitraum der Lese aber nicht gegeben gewesen. Zwar könnten auch mit Botrytis befallene Trauben zur Eisweinherstellung verwendet werden; dies setze allerdings voraus, dass der mit dem Pilzbefall verbundene Wasserverlust nicht weit fortgeschritten sei. Weitgehend eingetrocknete Beeren seien ungeeignet, weil der Konzentrierungsprozess bei Eiswein das Ausfrieren von Wasser in der Beere erfordere. Die besonderen klimatischen Verhältnisse des Jahres 2011 in Verbindung mit dem durch die milden Temperaturen begünstigten Botrytisbefall, der im Gegensatz zu der nicht nachhaltigen Frostsituation am 17. und 18. Januar 2012 über viele Wochen habe wirken können, seien einzigartig gewesen und dürften nicht mit den Produktionsverhältnissen der vergangenen Jahre verglichen werden. Das Missverhältnis zwischen den 2011 herrschenden klimatischen Bedingungen und der gemeldeten Menge an Eiswein habe die Beklagte zu der bisher umfangreichsten Kontrolle der Eisweinernte veranlasst.

10

Mit zwei gleichlautenden Bescheiden vom 26. Juli 2012 lehnte die Beklagte die Anträge auf Erteilung von amtlichen Prüfnummern in Verbindung mit dem Prädikat Eiswein für die angestellten Weine ab.

11

Gegen die am 27. Juli 2012 zugestellten Bescheide erhob die Klägerin Widerspruch und verwies zur Begründung auf ihr bisheriges Vorbingen.

12

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2012 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf das Ergebnis der Begutachtung durch das Landesuntersuchungsamt verwiesen und zudem ausgeführt, dass die geernteten Trauben aufgrund des hohen Fäulnisgrades zur Eisweinproduktion nicht geeignet gewesen seien. Die Forderung nach überwiegend gesunden Beeren ergebe sich aus der guten fachlichen Praxis und gesetzessystematischen Erwägungen. So habe der Gesetzgeber in den Vorgaben für Eiswein (§ 20 Abs. 4 Nr. 5 WeinG) im Gegensatz zu den Regelungen für Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen edelfaule Beeren bewusst nicht erwähnt. Soweit sich die Klägerin darauf berufe, in der Vergangenheit hätten Weine mit vergleichbar hohen Glycerin- und Gluconsäurewerten das Prädikat Eiswein erlangt, könne hieraus ein Anspruch auf Zuteilung des Prädikats auch für die hier angestellten Weine nicht abgeleitet werden.

13

Am 3. September 2012 hat die Klägerin Klage erhoben.

14

Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und macht ergänzend sinngemäß geltend:

15

Die Annahme, dass abhängig vom Reifegrad und dem Ausmaß des Botrytisbefalls der Trauben für eine Eisweinlese unterschiedliche Temperaturen erforderlich seien, sei von den gesetzlichen Regelungen nicht gedeckt. Diese seien dahin zu verstehen, dass Trauben als gefroren gälten und damit zur Eisweinherstellung geeignet seien, wenn sie bei -7 Grad geerntet und gefroren gekeltert würden. Das sei hier der Fall gewesen. Damit sei eine vom Zustand und Reifegrad des Leseguts unabhängige einheitliche Temperaturgrenze von -7 Grad vorgegeben. Auch die Entstehungsgeschichte eines eigenständigen Prädikats für Eiswein belege dies. So sei es unter der Geltung des Weingesetzes von 1971 möglich gewesen, auch eine Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese als Eiswein zu bezeichnen, wenn die Trauben gefroren gelesen und gekeltert worden seien. Welchen Reifegrad die Trauben am Rebstock erreicht hätten und ob sie völlig gesund gewesen seien oder nicht, habe für ihre Eignung zur Eisweinherstellung keine Rolle gespielt, sondern sei (lediglich) bei der sensorischen Prüfung zu berücksichtigen gewesen. Hieran habe sich mit der Einführung eines selbständigen Prädikats für Eiswein im Jahre 1982 nichts geändert. Der Gesetzgeber habe nur das Nebeneinander von herkömmlichen Prädikaten und der Zusatzangabe Eiswein beenden und sicherstellen wollen, dass für Eiswein mindestens das gleiche Mostgewicht wie für eine Beerenauslese gelten müsse. Ein Botrytisbefall von Lesegut stehe dessen Verwendung zur Herstellung von Eiswein nicht entgegen. Zur Vermeidung von schädlichen Frosttönen müsse bei der Eisweinproduktion sogar sehr reifes Lesegut verwendet werden. Die von der Klägerin verarbeiteten Beeren seien zwar botrytisch gewesen; sie hätten aber keinen hohen Fäulnisgrad aufgewiesen. Grenzwerte für den Glycerin- und Gluconsäuregehalt lägen für Eiswein nicht vor. Sollten die nunmehr angewendeten Messwerte der Beurteilung zugrunde gelegt werden, habe die Beklagte in der Vergangenheit bei einer Vielzahl von Fällen das Eisweinprädikat zu Unrecht vergeben, zumal einzelne dieser Weine nach sensorischer Prüfung sogar prämiert worden seien. Zudem habe es die Beklagte versäumt, bereits frühzeitig Kontrollen zur Qualität des Leseguts durchzuführen und auf ihre Bedenken hinzuweisen; sie sei vielmehr erst nachträglich eingeschritten.

16

Die Klägerin beantragt,

17

unter Aufhebung der Bescheide vom 26. Juli 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2012 die Beklagte zu verpflichten, die Weine zu Antragsnummer 5 907 663 019 12 (11212) und Antragsnummer 5 907 663 020 12 (11213) als Eisweine zur sensorischen Prüfung zuzulassen.

18

Die Beklagte beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Sie verteidigt ihre Rechtsauffassung und führt ergänzend aus:

21

Maßgeblicher Grund für die Gesetzesänderung im Jahr 1982 sei gewesen, dass der Eisweinbegriff mit den Qualitätsanforderungen an Trockenbeerenauslesen, die aus weitgehend eingeschrumpftem edelfaulem Lesegut herzustellen seien, praktisch nicht vereinbar sei. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers komme die Herstellung von Eiswein aus solchem Lesegut nicht in Betracht, weil wegen des bereits durch die Edelfäule erzielten hohen Zuckergehalts der für Eiswein charakteristische Konzentrierungseffekt durch das Gefrieren der Trauben praktisch nicht (mehr) bewirkt werden könne. Bei der für eine Eisweinernte vorgeschriebenen Mindesttemperatur von -7 Grad handele es sich um einen auf Erfahrungen beruhenden Richtwert, der nicht so verstanden werde dürfe, dass alle Trauben ab -7 Grad zwangsläufig zur Eisweinproduktion verwendet werden dürften. Da mit steigendem Fäulnisgrad der Gefrierpunkt sinke, könne eine starre Temperaturgrenze für die Beurteilung der Weinbeeren nicht herangezogen werden. Bei der Zuerkennung des Prädikats Eiswein sei es daher zur sauberen Abgrenzung von botrytischen Qualitätsstufen erforderlich festzustellen, dass die charakteristische Konzentrierung von Süße und Säure mit hinreichender Sicherheit auf das Ausfrieren des Wasseranteils zurückzuführen sei. Weine dürften nicht schon deshalb als Prädikatsweine bezeichnet werden, weil sie dem Prädikatstyp entsprechend schmeckten; sie müssten auch unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben hergestellt worden sein. Die Beklagte habe in der Vergangenheit keine andere Auffassung vertreten. Allerdings seien im Vertrauen auf die gute fachliche Praxis der Erzeuger nähere Untersuchungen schlichtweg unterblieben. Für die im Weinwirtschaftsjahr 2011/12 durchgeführten Kontrollen habe ein Anlass bestanden, weil trotz der für eine Eisweinproduktion widrigen Wetterverhältnisse enorme Erntemengen gemeldet worden seien.

22

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Sach- und Widerspruchsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Wegen des Vorbringens im Übrigen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 19. März 2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe

23

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angegriffenen Bescheide vom 26. Juli 2012 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid vom 21. August 2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch darauf, die angemeldeten Weine als Eisweine zur sensorischen Prüfung zuzulassen, nicht zu (§ 113 Abs. 5 VwGO).

24

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch sind die §§ 20 und 21 des Weingesetzes (WeinG) i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 der Weinverordnung i.d.F. vom 15. Juni 2010 (WeinV). Hiernach darf inländischer Wein als Prädikatswein in Verbindung mit einem der Begriffe Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese oder Eiswein nur bezeichnet werden, wenn ihm das Prädikat auf Antrag unter Zuteilung einer amtlichen Prüfungsnummer (AP-Nummer) zuerkannt worden ist (§ 20 Abs. 1 WeinG). Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 WeinV hat die zuständige Stelle – hier: die Beklagte – eine Sinnenprüfung zu veranlassen, sofern nicht bereits aufgrund der vorgelegten Unterlagen der Antrag zurückzuweisen oder abzulehnen ist. Abzulehnen ist ein Antrag, wenn dem Wein unabhängig von dem Ergebnis der Sinnenprüfung das beantragte Prädikat – hier: als Eiswein – nicht erteilt werden darf. Eine amtliche Prüfungsnummer als Prädikatswein darf einem inländischer Wein nur erteilt werden, wenn er die für dieses Prädikat typischen Bewertungsmerkmale aufweist und den Vorschriften der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union, des Weingesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entspricht (§ 20 Abs. 2 WeinG). Eine Bezeichnung als Eiswein erfordert, dass die verwendeten Weintrauben bei ihrer Lese und Kelterung gefroren waren (§ 20 Abs. 4 Nr. 5 WeinG). Maßstab für die Beurteilung ist dabei der als traditioneller Begriff geschützte (Art. 40 i.V.m. Anhang XII der VO (EG) 607/2009 und Art. 118u der Gemeinsamen Agrarmarktordnung – VO EG 1234/2007 i.d.F. der VO 491/2009 –) und nunmehr in das von der EU-Kommission für den Weinsektor geführte Register der geschützten Bezeichnungen – Datenbank E-Bacchus – (Art. 1 Nr. 16 der Verordnung (EU) 670/2011) aufgenommene Begriff des Eisweins als Wein, der aus Trauben gewonnen werden muss, die bei hartem Frost mit Temperaturen von weniger als -7 Grad geerntet und in gefrorenem Zustand gepresst wurden.

25

Darlegungs- und beweisbelastet für die Tatsache, dass ein Wein die Voraussetzungen der Erteilung und des Fortbestandes einer amtlichen Prüfungsnummer beanspruchen kann, ist der Weinerzeuger, hier also die Klägerin (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 1993 – 3 B 131/92 –, juris). Entspricht der Wein den gesetzliche Anforderungen, besteht ein subjektives öffentliches Recht auf Erteilung einer AP-Nummer, weil ohne diese das Erzeugnis nicht in den Verkehr gebracht werden darf (§ 27 Abs. 1 WeinG). Ein Ermessen der Behörde, einen vorschriftsgemäß hergestellten Wein von der Sinnenprüfung auszuschließen, besteht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 WeinV nicht. Umgekehrt ist die Prüfbehörde zur Erteilung des hier beantragten Prädikats "Eiswein" nicht verpflichtet, wenn Tatsachen berechtigte Zweifel an der Einhaltung eisweinspezifischer Anforderungen begründen. Solche Zweifel können sich auch aus laboranalytischen Untersuchungen der Weinbeeren, des Traubenmostes oder des Weines ergeben, wenn der Befund die Nichteinhaltung dieser Anforderungen nahelegt. Denn die verschiedenen Prädikate dienen dazu, die betreffenden Weine als jeweils spezifische, traditionelle und besonders hochwertige Produkte der deutschen Weinerzeugung herauszustellen. Diesen Zweck können sie nur erfüllen, wenn der Verbraucher im Vertrauen darauf geschützt wird, dass die spezifischen Anforderungen bei den betreffenden Weinen auch wirklich erfüllt sind (so für Eiswein bereits OVG RP, Urteil vom 5. Juli 1988 – 7 A 77/87 –, juris).

26

Gemessen an diesen Vorgaben war die Beklagte nicht verpflichtet, die angestellten Weine zur Sinnenprüfung zuzulassen, weil objektiv Zweifel bestehen, dass die Anforderungen an die Herstellung von Eiswein erfüllt sind.

27

Dies gilt allerdings nicht schon deshalb, weil die Weine als Folge der Verwendung von botrytischem Lesegut einem Verkehrsverbot nach § 27 Abs. 1 WeinG unterlägen. Das ist nicht der Fall. Den geltenden weinrechtlichen Regelungen lassen sich konkrete Vorgaben für die Beschaffenheit des Leseguts oder des zur Eisweinherstellung verwendeten Traubenmostes nicht entnehmen. Rechtsvorschriften, die die Verwendung von botrytischem Lesegut zur Eisweinherstellung untersagen, bestehen nicht. Ein solchermaßen erzeugter Wein ist deshalb nicht i.S.d. § 27 Abs. 1 WeinG vorschriftswidrig hergestellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. September 1992 – 3 C 17/90 –, juris). Er scheidet daher auch nicht von vorneherein zur Verleihung des Prädikats Eiswein aus. Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass eine Verwaltungsübung oder gute fachliche Praxis bestünde, die es erfordert, bei der Eisweinherstellung auf die Verarbeitung botrytischer Trauben gänzlich zu verzichten. Nach ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung wurde bewusst davon abgesehen, für die Eisweinproduktion Grenzwerte für Glycerin und Gluconsäure (sog. Fäulnisparameter) festzuschreiben. Daraus folgt, dass die Verwendung edelfaulen Leseguts zur Herstellung von Eiswein nach der derzeitigen Rechtslage nicht generell ausgeschlossen ist und mit Botrytis cinerea befallene Beeren im Einzelfall durchaus zur Herstellung von Eiswein geeignet sein können. Hierfür sprechen sowohl die von der Klägerin zitierten Belege aus der Fachliteratur als auch das Verhalten der Beklagten selbst, die – unbestritten – in der Vergangenheit auch Weine mit einem Glyceringehalt von mehr 1 g/L und einem Aufkommen von mehr als 0,3 g/L Gluconsäure (Maßstäbe für befallsfreie Beeren; vgl. Bl. 82 der Behördenakte) als Eisweine zugelassen hat.

28

Dessen ungeachtet ist die Beklagte in ihrer Entscheidung, Wein, der aus botrytisch belasteten Trauben hergestellt worden ist, eine AP-Nummer mit dem Prädikat Eiswein zuzuteilen oder zu versagen, nicht frei. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Frage, ob ein solcher Wein wie Eiswein schmeckt und ob ein möglicher Botrytiston lediglich bei der Qualitätsbeurteilung im Rahmen der Sinnenprüfung zu berücksichtigten ist. Vielmehr hat die Beklagte die Vergabe des Eisweinprädikats an den Vorgaben des unionsrechtlich geschützten traditionellen Begriffs des Eisweins auszurichten, der im Verhältnis der Klägerin zu der Beklagten auch innerstaatlich anzuwenden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2008 – 3 C 5/08 –juris). Maßstab für die rechtliche Beurteilung ist dabei der nach Art. 40 VO (EG) 607/2009 in die E-Bacchus-Datenbank aufgenommene Begriff des Eisweins. Danach handelt es sich bei Eiswein um einen sehr hochwertigen Wein mit einer äußerst hohen Konzentration an Süße und Säure, der aus Weintrauben gewonnen werden muss, die bei hartem Frost mit Temperaturen von weniger als -7 Grad geerntet und in gefrorenem Zustand gepresst wurden.

29

Allerdings wird ein Prädikatswein nicht alleine dadurch zum Eiswein, dass das entsprechende Lesegut in gefrorenem Zustand geerntet und gekeltert worden ist. Mit dieser Voraussetzung wird nur der äußere Aggregatzustand der flüssigen gefrierbaren Beerenbestandteile angesprochen, nicht aber ihr sonstiger (Reife-)Zustand (vgl. Koch, Weinrecht, Stichwort Eiswein, Nr. 5.2.). Um von einem Eiswein sprechen zu können, muss nach dem in Deutschland geltenden Eisweinbegriff hinzutreten, dass die für Eiswein charaktertypische Konzentrierung von Süße und Säure auf die Einwirkung durch länger andauernden Frost zurückzuführen ist, dabei der Wasseranteil in der Beere ausfriert und dieser beim Keltern der gefroren Trauben von den sonstigen Beereninhaltsstoffen getrennt werden kann. Das Gefrieren des Leseguts ist lediglich ein äußeres Indiz für die Konzentrierung der Inhaltsstoffe durch die Frostweinwirkung am Rebstock. Das Abschöpfen der Eiswasserkristalle beim Keltern ist aus weinrechtlicher Sicht das namensgebende Alleinstellungsmerkmal des Verfahrens zur Herstellung von Eiswein und damit zugleich der Anknüpfungspunkt für die weinrechtliche Abgrenzung des Eisweins von Prädikatsweinen, die – wie z. B. die Trockenbeerenauslese oder die Beerenauslese – aus edelfaulem Lesegut erzeugt wurden. Diese können zwar analytisch eine dem Eiswein ähnliche Konzentration der Inhaltsstoffe aufweisen und bei einer Sinnenprüfung – insbesondere nach einer zusätzlichen Säuerung wie im vorliegenden Fall – zu ähnlichen Geschmackserlebnissen führen. Die Konzentration der Inhaltsstoffe ist bei ihnen aber im Gegensatz zum Eiswein nicht die Folge von Frostwirkungen, sondern beruht auf einem Stoffwechselprozesses, der durch den Pilzbefall hervorgerufen wird und den Weinbeeren das Wasser bereits vor dem Keltern am Rebstock entzieht.

30

Kennzeichnend für Eiswein sind damit zwei Eigenschaften: Erstens muss zum Zeitpunkt der Lese – am besten durch einen früh nach der Hauptlesezeit einsetzenden harten Frost – mindestens eine Temperatur von -7 Grad erreicht werden. Mit dieser Temperaturgrenze wird eine obere Schranke gezogen, die die Eisweinproduktion bei höheren Temperaturen verbietet. Dem liegt die Erfahrung zugrunde, dass bei einem im Wesentlichen befallsfreien Lesegut und einem durchschnittlich hohen Mostgewicht das Ausfrieren des Wasseranteils ab -7 Grad (und kälter) zu erwarten ist und deshalb überhaupt nur Lesegut, das unter solchen Bedingungen eingebracht wurde, für die Herstellung von Eiswein geeignet ist. Hieraus folgt zugleich, dass Weinbeeren nicht ungeachtet ihrer sonstigen Beschaffenheit allein deshalb zur Eisweinproduktion genutzt werden dürfen, weil sie bei -7 Grad oder niedrigeren Temperaturen gelesen und in gefrorenem Zustand gekeltert wurden. Die für den Eiswein charakteristische hohe Konzentration der Inhaltsstoffe durch Frosteinwirkung kann nämlich nur dann stattfinden, wenn in der Beere (noch) am Rebstock ein Wasseranteil vorhanden ist und tatsächlich ausfriert. Damit verbietet sich eine Betrachtung, die eine Eisweinproduktion allein schon beim Erreichen dieser Temperaturgrenze ohne Rücksicht auf den Wasseranteil der geernteten Beeren erlaubt. Umgekehrt ist aber auch das tatsächliche Gefrieren des Leseguts nicht die alleinige Voraussetzung für eine Eisweinproduktion. Hinzutreten muss vielmehr die Feststellung, dass durch die Kälteeinwirkung der für Eiswein charakteristische Konzentrationsprozess stattgefunden hat.

31

Aus der historischen Entwicklung des Eisweinbegriffs folgt nichts anderes. Zwar trifft es zu, dass vor 1982 Eiswein kein eigenständiges Prädikat war, der Begriff Eiswein vielmehr grundsätzlich jedem Prädikat beigefügt werden konnte, wenn der betreffende Wein aus gefrorenen Trauben hergestellt worden war. Diese Koppelung des Eisweinbegriffs an die einzelnen Prädikatsstufen war qualitätsneutral und sollte insbesondere der Praxis entgegenwirken, geringwertiges Lesegut gefroren abzukeltern, um es dennoch wirtschaftlich reizvoll vermarkten zu können (vgl. im Einzelnen Koch, Weinrecht, Stichwort: Eiswein, Nr. 3, m.w.N.). Mit der Einführung des selbständigen Prädikats "Eiswein" ab dem Jahr 1982 ist ein Systemwechsel eingetreten, der die Auffassung, dass es zur Eisweinherstellung genüge, dass das Lesegut gefroren geerntet und gekeltert wurde, obsolet werden ließ, auch wenn sich diese ältere Vorstellung bei vielen Verbrauchern bis heute gehalten haben mag. So heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Vierten Gesetz zur Änderung des Weingesetzes vom 4. September 1981 zu den Änderungen des § 12 WeinG a.F. (BT-Drucksache 9/785, S. 28):

32

„Für die Schaffung eines selbständigen Prädikats Eiswein sind folgende Gründe maßgebend: Nach bisherigem Recht darf die Bezeichnung Eiswein neben jedem der anderen Prädikate (Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese) gebraucht werden. Die Erfahrung hat jedoch erwiesen, dass diese Regelung dem Wesen des Eisweins nicht gerecht wird. Bei den oberen Prädikaten kommt die Herstellung von Eiswein praktisch nicht in Betracht, in den unteren erreichen die Weine häufig keinen Eisweincharakter, was aus Gründen des Verbraucherschutzes vor Täuschung und der Erhaltung der Qualität unerwünscht ist. Bei Trockenbeerenauslese, für die nur überwiegend weitgehend eingeschrumpftes edelfaules Lesegut verwendet werden darf, kann wegen des dadurch schon erzielten hohen Zuckergehalts der für Eiswein charakteristische Konzentrierungseffekt durch das Gefrieren der Beeren nicht mehr bewirkt werden.“

33

Damit hat der Gesetzgeber nicht mehr allein auf die Verwendung gefrorenen Lesegutes abgestellt, sondern qualitative Aspekte eingeführt und betont, dass für die Herstellung von Eiswein gerade der Konzentrierungsprozess durch das Gefrieren der Beeren charakteristisch ist. Zudem wurde dieser Konzentrierungsprozess in den Zusammenhang mit dem Schutz des Verbrauchers vor Täuschung und der Sicherung der Qualität von Eiswein gestellt. Waren derartige restriktive, an der Qualitätssicherung und dem Verbraucherschutz orientierte Erwägungen des Gesetzgebers bereits bei der Einführung eines selbständigen Prädikats für Eiswein im Jahre 1982 bestimmend, liegt die Annahme fern, für die Bundesrepublik Deutschland sei in Ausführung der Verordnung (EG) 607/2009 ein hiervon abweichender Eisweinbegriff zur E-Bacchus-Datenbank gemeldet worden. Zwar werden die unterschiedlichen Wege der Konzentrierung von Inhaltsstoffen der Weinbeeren in der Liste der geschützten traditionellen Begriffe der E-Bacchus-Datenbank weder im Zusammenhang mit Eiswein noch mit Erzeugnissen aus edelfaulem Lesegut ausdrücklich genannt. Sie werden dort allerdings stillschweigend vorausgesetzt. Denn es spricht nur wenig dafür, dass die in deutscher Sprache an die E-Bacchus-Datenbank übermittelten traditionellen Weinbegriffe ohne Rücksicht auf die den Weinen jeweils wesensgemäßen Erzeugungsverfahren geschützt werden sollten. Vor dem Hintergrund einer in der Tradition der Mitgliedstaaten verwurzelten Begriffsbildung drängt sich im Gegenteil gerade die Annahme auf, dass der übermittelte Eisweinbegriff die namensgebende und wesensgemäße Konzentrierung der Inhaltsstoffe durch Frosteinwirkung voraussetzt und daher als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in der oben genannten Definition enthalten ist. Auch die Reichweite des Schutzes, der sich nach Art. 40 Abs. 2 Buchst. b) und c) VO (EG) 607/2009 auch auf die wesentliche Eigenschaften des Erzeugnisses bezieht und sich nach Buchstabe b) zudem auf Plagiatsprodukte erstreckt, zeigt, dass die Begriffsbildung nicht auf eine reine namensschützende Wirkung beschränkt ist, sondern auch die verkehrswesentliche Beschaffenheit des Eisweins umfasst. Diese Betrachtung ist letztlich auch deshalb geboten, um den Charakter des Eisweines als eines einmaligen, weil von besonderen Herstellungsbedingungen abhängigen und deshalb nicht beliebig reproduzierbaren, Weines zu erhalten. Das gilt umso mehr als sich die Erwartung einer solchen Einmaligkeit auch in den Verkaufspreisen spürbar niederschlägt.

34

Hieraus ergeben sich für die Eisweinherstellung mittelbar rechtliche Grenzen, wenn edelfaules Lesegut Verwendung findet. In einem solchen Fall ist die Aufsichtsbehörde zur Erteilung des Prädikats Eiswein jedenfalls dann nicht verpflichtet, wenn Tatsachen berechtigte Zweifel begründen, dass die charakteristische Konzentrierung von Süße und Säure nicht auf Frosteinwirkung zurückzuführen ist. Denn eine äußerste Schranke für die Herstellung von Eiswein aus solchen Beeren besteht jedenfalls dort, wo eisweinspezifische Anforderungen nicht mehr gewährleistet sind (vgl. OVG RP, Urteil vom 5. Juli 1988, a.a.O.). Derartige Zweifel können sich auch aus laboranalytischen Untersuchungen der Weinbeeren, des Traubenmostes oder des Weines selbst ergeben, wenn der Befund nach sachverständiger Einschätzung den Schluss nahelegt, dass Lesegut verwendet wurde, dessen Wassergehalt aufgrund des Befalls der Beeren mit Edelfäule bereits im Erntezeitpunkt weitgehend reduziert war, und wenn anzunehmen ist, dass die Konzentrierung der Inhaltsstoffe der Beeren auf die Edelfäule zurückzuführen ist.

35

Dies ist hier der Fall.

36

Nach der sachverständigen Einschätzung des Landesuntersuchungsamtes legen die in der Laboranalyse ermittelten Fäulnisparameter in Verbindung mit dem hohen Zuckergehalt und der Nachsäuerung des in Rede stehenden Leseguts den Schluss nahe, dass die angestellten Weine die für Eiswein charakteristische Konzentration der Inhaltsstoffe nicht durch Frosteinwirkung, sondern maßgeblich durch die Veränderung dieser Stoffe aufgrund des Befalls der Früchte mit dem Pilz Botrytis cinerea erfahren haben. Hierfür sprechen insbesondere die hohen Glycerin- und Gluconsäurewerte, die als Stoffwechselprodukte dieses Pilzes in die Frucht gelangen und im vorliegenden Fall in einem Ausmaß vorhanden waren, das nach Auffassung des Landesuntersuchungsamtes den Rückschluss auf eine bereits weit fortgeschrittene Fäulnis zulässt. Hiervon ausgehend ist die Annahme, dass die festgestellte Konzentration von Süße und Säure nicht auf dem Gefrieren der Trauben beruht, nachvollziehbar und nach der sachverständigen Einschätzung des Landesuntersuchungsamtes auch überzeugend.

37

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte in der Vergangenheit Weine, die aus edelfaulem Lesegut gewonnen worden sein sollen und ähnlich hohe Fäulnisparameter wie die vorliegend in Rede stehenden Weine aufgewiesen haben sollen, als Eisweine anerkannt hat. Hieraus ergäbe sich ein Anspruch auf Zulassung zur Sinnenprüfung allenfalls dann, wenn sich zu den Voraussetzungen der Herstellung von Eiswein zwischenzeitlich bundesweit eine abweichende Verkehrsauffassung gebildet hätte, die die Forderung nach einer Konzentration der Beereninhaltstoffe durch Frosteinwirkung verzichtbar erscheinen ließe. Eine solche abweichende Verkehrsauffassung ist aber nicht festzustellen. Sie ist schon deshalb zu verneinen, weil sich – soweit dies ersichtlich ist – erstmals in dem vorliegenden Klageverfahren die Frage stellt, unter welchen Voraussetzungen die Verleihung des Prädikats Eiswein von einer Konzentrierung der Beereninhaltsstoffe durch Frosteinwirkung abhängig gemacht werden darf. Soweit die Beklagte in der Vergangenheit Eisweinerzeuger möglicherweise rechtswidrig begünstigt haben sollte, besteht jedenfalls kein Anspruch auf eine Wiederholung dieser Praxis. Die Abkehr der Beklagten von dem bisher praktizierten Verfahren, von flächendeckenden Kontrollen im Vertrauen auf eine gute fachliche Praxis abzusehen, ist durch das auffällige Missverhältnis zwischen den milden Temperaturen im Winter 2011/12 und den im Vergleich mit den Vorjahren gleichwohl großen Mengen gemeldeten Eisweins sachlich gerechtfertigt. Es ist Aufgabe der Aufsichtsbehörden, im Interesse der Qualitätssicherung und des Verbraucherschutzes Hinweisen auf eine Fehlentwicklung nachzugehen. Allerdings erscheint es angesichts des Fehlens von Grenzwerten hilfreich, sich nicht auf nachträgliche Kontrollen zu beschränken, sondern den Erzeugern von Eiswein bereits im Vorfeld der Lese eine taugliche Hilfestellung zur Beurteilung der Produktionsrisiken an die Hand zu geben. Dies betreffend hat die Beklagte im laufenden Klageverfahren vorgetragen, dass erwogen werde, eine solche Hilfestellung in Form frühzeitiger Kontrollen zu geben.

38

Dem Hilfsbeweisantrag, zum Beweis der Tatsache, dass das an die Klägerin gelieferte Lesegut bei der Anwendung des winzerüblichen „Fingertests“ (d.h. dem Pressen der Beeren zwischen Daumen und Zeigefinger) im Zeitpunkt der Ernte hart gefroren war, die Erzeuger der gelieferten Partien als Zeugen zu vernehmen, brauchte die Kammer nicht nachzukommen. Auf die unter Beweis gestellte Tatsache kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil die sich aus den ermittelten Fäulnisparametern ergebenden Zweifel daran, dass die Konzentration der Beereninhaltsstoffe auf Frosteinwirkung zurückzuführen ist, durch die Angaben der Zeugen zum „Fingertest“ nicht ausgeräumt werden können.

39

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO.

40

Die Berufung gegen dieses Urteils wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits gemäß § 124 a, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.

41

Beschluss

42

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 37.092,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).

43

Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit derBeschwerde angefochten werden; hierbei bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.