Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 03. Feb. 2017 - 15 A 3692/16 As SN

bei uns veröffentlicht am03.02.2017

Tenor

Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. November 2016 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die am ... März 1995 geborene Klägerin hat nach eigenen Angaben die eritreische Staatsangehörigkeit. Sie gehört der Volksgruppe Tigrinya an, ist christlich-orthodoxen Glaubens und spricht amharisch. In einem am 6. August 2015 erklärte sie in einem Gespräch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), sie sei „vor ca. zwei Jahren“ (= August 2013) aus Eritrea ausgereist und am 22. Juli 2015 in das Bundesgebiet eingereist. Am 6. August 2015 stellte sie einen Asylantrag.

3

Den Antrag, den sie auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus beschränkte begründete sie wie folgt: Mit ihrer Mutter sei sie mit drei Jahren (=1998) nach Äthiopien geflohen. In Eritrea hätten sie in Assab gewohnt. Nach einem Monat seien sie in den Sudan gegangen, wo sie bis zu Tode ihrer Mutter in ihrem 12. Lebensjahr (= 2007) gelebt hätten. Auf der Suche nach einem besseren Leben sei sie nach Libyen gegangen. Sie habe viel Leid gehabt. Sie habe niemanden in Eritrea. Nationaldienst habe sie nicht geleistet. Ihr Vater sei vor ihrer Geburt zum Militärdienst mitgenommen worden und dort verstorben, wie ihre Mutter ihr erzählt habe. Im Sudan sei sie bis 2013 gewesen. Einen Aufenthaltsstatus habe sie dort nicht gehabt. Ihre Mutter habe einen in Eritrea wohnenden Bruder, über den sie nichts wisse. Im Sudan und Libyen habe sie als Hausmädchen gearbeitet. Im Sudan sei sie wegen fehlender Aufenthaltspapiere von der Polizei verhaftet worden und habe 6 Monate im Gefängnis verbracht. Sie habe etwas bezahlt, um aus dem Gefängnis zu kommen.

4

Mit Bescheid vom 28. November 2016 erkannte das Bundesamt der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Zur Begründung führte es aus: Der Klägerin stehe der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu, weil ihr im Falle ihrer Rückkehr unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Die Flüchtlingseigenschaft stehe der Klägerin indessen nicht zu, da sie keiner flüchtlingsrelevanten Bedrohungssituation ausgesetzt gewesen sei. Allein die Furcht vor der Einberufung zum Nationaldienst und vor einer Gefangennahme genüge hierfür nicht. Der Bescheid ist am 1. Dezember 2016 zugestellt worden.

5

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 9. Dezember 2016 Klage erhoben. Zur Begründung verweist sie auf ihre Angaben im Verwaltungsverfahren und insbesondere in der Anhörung. Aus Sicht der eritreischen Behörden halte sie sich im Ausland auf. Die Asylantragstellung werde zusätzlich als oppositionelle Tätigkeit gewertet.

6

Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, ihr – der Klägerin - unter entsprechend teilweiser Änderung des Bescheides vom 28. November 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung verweist die Beklagte auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

12

Das Gericht konnte die Sache verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist. Die Beklagte ist unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ordnungsgemäß geladen worden.

II.

13

Die Klage ist zulässig, insbesondere auch fristgerecht erhoben worden. Die Klage ist auch begründet, soweit der Antrag der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt worden ist. Diesbezüglich ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin auch in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 4 VwGO). Die Klägerin hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

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1. Nach Auffassung des Gerichts ist die Klägerin eritreische Staatsangehörige. Dies wird auch von der Beklagten nicht angezweifelt. Aufgrund ihres Lebensalters unterliegt sie nach den Erkenntnissen des Gerichts der Dienstpflicht zum nationalen Dienst bzw. könnte bei einer Rückkehr nach Eritrea zeitnah zum Militärdienst eingezogen werden.

15

Zum Nationaldienst siehe zunächst EASO, Fokus Eritrea (Mai 2015), S. 32 ff.

16

Deshalb ist ihr nach Auffassung des Gerichts der Flüchtlingsstatus gemäß § 3 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) zuzuerkennen, da ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedenfalls nach ihrer wahrscheinlichen Einberufung zum Nationaldienst ein Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung drohen könnte. Ob eine Verfolgung auch wegen ihrer Ausreise im Alter von drei Jahren aus Eritrea drohen könnte, lässt das Gericht im vorliegenden Fall dahinstehen.

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2. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt, dass ein Ausländer Flüchtling ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Dabei ist unerheblich, ob er ein zur Verfolgung führendes Merkmal tatsächlich aufweist, sofern ihm ein solches Merkmal von seinem Verfolger zugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG).

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Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die Furcht der Klägerin vor Verfolgung begründet, weil ihr im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG drohen, die i.S.d. § 3a Abs. 3 AsylG an Verfolgungsgründe i.S.d. jedenfalls des § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 AsylG anknüpfen.

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3. Dabei kommt es aus der Sicht des Gerichts nicht darauf an, ob die Klägerin Eritrea verfolgt oder unverfolgt verlassen hat, sondern allein auf die Frage, mit welchen Maßnahmen sie im Falle ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu rechnen hätte.

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a) Bezüglich dieser Prognose kann auch nicht allein auf ein bei objektiver Betrachtung der Klägerin zuzurechnendes Verhalten – z.B. eine exilpolitische Betätigung – abgestellt werden, sondern es ist vielmehr in den Blick zu nehmen, wie die eritreischen Staatsorgane unter Berücksichtigung der Erkenntnislage wahrscheinlich das Verhalten der Klägerin würdigen würden. Dabei kommen nach Auffassung des Gerichts der Entziehung vom nationalen Dienst sowie der illegalen Ausreise grundsätzlich maßgebliche Bedeutung zu.

21

Näher dazu VG Schwerin, Urteil vom 29. Februar 2016 – 15 A 3628/15 As SN –, juris Rn. 22 ff., 55 ff. sowie VG Schwerin, Urteil vom 08. Juli 2016 – 15 A 190/15 As –, juris Rn. 32 ff. jeweils unter Bezugnahme auf Verwaltungsgericht Minden, Urteil vom 13. November 2014 - Az. 10 K 2815/13.A –, juris Rn. 18 ff.; vgl. nunmehr auch VG Schwerin, Urteil vom 20. Januar 2017 – 15 A 3003/16 As SN -, Umdruck, S. 4 ff. mwN (zur Veröffentlichung vorgesehen).

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b) Das Gericht hält im Übrigen auch angesichts der neueren Entwicklung in Eritrea insbesondere bezüglich der derzeitigen Handhabung der sog. Diaspora- oder Aufbau-Steuer

23

- dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea vom 21. November 2016 (Stand: November 2016), S. 17; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 15. August 2016 zu Eritrea: Rückkehr; Eidgenössisches Justiz-und Polizeidepartement Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22. Juni 2016 (aktualisiert am 10. August 2016), S. 32 ff.; EASO, Eritrea: Nationaldienst und illegale Ausreise (November 2016), S. 27 ff. -

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an dieser Linie fest. Dafür spricht Folgendes:

25

aa) Eritrea wird politikwissenschaftlich als totalitäres Regime eingeschätzt.

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Näher Hirt, Sanktionen gegen Eritrea: Anstoß für Reformen oder „Akt der Verschwörung?“, GIGA-Focus (Afrika) 1/2010, S. 1 (2); Dangmann, Eritrea, in: Gieler (Hrsg.), Staatenlexikon Afrika, 2016, S. 151 (161 f.); ausführlich zu totalitären Systemen: Linz, Totalitäre und autoritäre Regime, Potsdamer Textbücher 4, (2000), 20 ff.; ders., Typen politischer Regime und die Achtung der Menschenrechte, in: Jesse (Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1999, 519 (550 f.) je mwN.

27

Insoweit ist die Unberechenbarkeit des Handels der staatlichen Organe Eritreas kennzeichnend und typisch. Aus einer Vielzahl von mündlichen Verhandlungen ist mittlerweile für das Gericht deutlich geworden, dass in Eritrea kritisches Hinterfragen von staatlichen Anordnungen ebenso wie die Ablehnung des Empfangs der Waffe während des nationalen Dienstes und insbesondere der Verdacht, dass der Betroffene sich dem nationalen Dienst entziehen will oder einem anderen bei der Entziehung oder der illegalen Ausreise behilflich war, häufig zu Inhaftierung und auch länger währenden, unbestimmten Haftzeiten führen kann. Kennzeichnend ist dabei augenscheinlich, dass diese Strafen nicht in einem rational nachvollziehbaren formalisierten Verfahren ausgesprochen werden, sondern vielmehr in wenig vorhersehbarer Weise von einzelnen Entscheidungsträgern vor Ort getroffen werden.

28

Ausführlich EASO, Fokus Eritrea (Mai 2015), S. 32 ff.; 38 f., 41 ff.; EASO, Nationaldienst, S. 18 f. mit Hinweisen aus Berichten aus den Jahren 2015 und 2016; ferner Schweizerische Flüchtlingshilfe (Tuor), Eritrea: Wehrdienst und Desertion (Februar 2009), S. 11 ff.; vgl. auch Kibreab, Eine moderne Form der Sklaverei, in: Evangelisches Missionswerk in Deutschland e. V. (Hrsg.), Eritrea: Von der Befreiung zur Unterdrückung (April 2015), S. 28 ff.; Hirt, Zivildienst oder Zwangsarbeit? Der eritreische Nationalservice, in: ebenda, S. 37 ff.

29

Maßgeblich ist dabei aber auch, dass in der Gesamtschau eine harte und im Vollzug zumeist erniedrigende Bestrafung ohne gerichtliches oder geordnetes Verfahren nicht nur in Einzelfällen, sondern häufig stattfindet. Als Folge der Unberechenbarkeit staatlicher Organe Eritreas ist die häufige Einlassung von Klägern zu werten, sie könnten nicht sagen, warum sie inhaftiert oder auch später wieder freigelassen worden seien. Dies ist weniger Ausdruck eines farblosen Vorbringens erfundener Sachverhalte als vielmehr die Ratlosigkeit, warum in ihrem konkreten Fall die staatlichen Organe konkret mit der dargestellten Härte gehandelt haben.

30

bb) Aus der jedenfalls seit 2014 bekannt gewordenen Praxis, wonach illegal ausgereiste Personen, die sich drei Jahre im Ausland aufgehalten haben und nunmehr freiwillig nach Eritrea nach Unterzeichnung einer Reue-Erklärung und Zahlung der 2 %- Diaspora-Steuer zurückkehren, straffrei bleiben sollen,

31

- dazu EASO, Nationaldienst, S. 28; die Diaspora-Steuer gibt es schon seit mindestens 2011; vgl. Nr. 10 und 11 der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 2023 (2011) -; vgl. auch Neue Zürcher Zeitung am Sonntag vom 13. Dezember 2014, Dubiose Aktivitäten: Die harte Hand von Eritreas Regime in der Schweiz, https://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/die-harte-hand-von-eritreas-regime-in-der-schweiz-1.18444408 (Das Auswärtige Amt hat die Aufbausteuer bereits in seinem Lagebericht vom 11. April 2005 [Stand: März 2005], S. 16 erwähnt.) -

32

lässt sich nach Auffassung des Gerichts wegen der geschilderten Unberechenbarkeit des Regimes derzeit nicht schließen, dass die Rückkehrer in diesen Fällen keine Verfolgung mehr zu befürchten haben. Dafür fehlt es bislang an ausreichenden Erfahrungswerten. Zunächst handelt es sich - soweit ersichtlich - um eine relativ kurzzeitige Praxis der eritreischen Behörden, so dass sich angesichts des willkürlichen Verhaltens in der Vergangenheit nicht überblicken lässt, ob und wie lange sich die Behörden daran halten werden. Zudem fehlt es an Rechtsicherheit, weil die dazu ergangene Richtlinie nicht veröffentlicht wurde (EASO, Nationaldienst, S. 9). Es handelt sich insbesondere um keine Amnestie der Rückkehrer, die sich dem nationalen Dienst entzogen haben (vgl. SEM, Nationaldienst, S. 29). Aus dem Inhalt der Reue-Erklärung, die rückkehrwillige Eritreer abgeben müssen, kann nicht geschlossen werden, dass Eritrea auf seinen Strafanspruch verzichtet hat, auch wenn es derzeit scheint, dass die Rückkehrer nicht bestraft werden:

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I [...] confirm [...] that I regret having committed an offence by not completing the national service and am ready to accept appropriate punishment in due course. (Ich bestätige [...], dass ich es bereue, eine Straftat begangen zu haben, indem ich nicht den nationalen Dienst beendet habe und bereit bin, eine angemessene Strafe zu gegebener Zeit zu akzeptieren. [Übersetzung des Gerichts]).

34

- Eine englische Übersetzung des Formblatts Immigration and Citizenship Service Request Form ist beispielsweise über den zitierten Artikel der NZZ abrufbar: http://static.nzz.ch/files/4/6/2/Eritrea+Formular_1.18443462.pdf . vgl. auch: United Nations Security Council, New York. Letter dated 11 July 2012 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 751 (1992) and 1907 (2009) concerning Somalia and Eritrea addressed to the President of the Security Council. S/2012/545. 13.07.2012. S. 62-64. http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/Somalia%20S%202012%20545.pdf

35

Bereits nach dem Wortlaut dieser Erklärung erscheint es zweifelhaft, ob sie die eingereisten Personen vor Verfolgung hinreichend schützen würde. Dieser bezieht sich nicht auf die illegale Ausreise (ebenso SEM, Nationaldienst, S. 37). Vielmehr deutet vieles darauf hin, dass das genannte Schreiben und die Zahlung der Diaspora-Steuer keine Sicherheit für die Rückkehr von Eritreern garantieren. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte zu solchen Rückkehrern, um den Schluss zu ziehen, dass diese Personen vor Verfolgung sicher sind. Soweit ersichtlich, können auch nur freiwillig eingereiste Personen in den Genuss der Straffreiheit gelangen, nicht aber zwangsweise abgeschobene Personen.

36

Dazu auch Upper Tribunal, aaO Nr. 333, 334, 348 f.; a. A. etwa VG Regensburg, Urteil vom 27. Oktober 2016 – RN 2 K 16.31289 –, juris Rn. 31.

37

Die vom SEM insoweit gesammelten Erkenntnisse beruhen zudem auf Gesprächen, die vom eritreischen Außenministerium organisiert und jeweils von einem Mitarbeiter des Ministeriums übersetzt wurden (SEM, Nationaldienst, S. 29). Dadurch ergeben sich durchgreifende Bedenken am Wahrheitsgehalt der gemachten Angaben.

38

In der Gesamtschau ist es den Asylbewerbern nach Auffassung des Gerichts nicht zuzumuten, die Diaspora-Steuer zu entrichten, um unbehelligt nach Eritrea zurückzukehren. Dies kann aber insbesondere auch dann nicht gelten, wenn sie nach Eritrea abgeschoben werden sollen, also die Ausreise nicht freiwillig geschieht. Allenfalls kurzfristige Aufenthalte in Eritrea erscheinen danach gefahrlos möglich zu sein.

39

cc) Nach Einschätzung des Gerichts nehmen zudem eritreische Behörden Verweigerungen oder Unregelmäßigkeiten im Rahmen des nationalen Dienstes zum Anlass, auf eine Regimegegnerschaft der betroffenen Person zu schließen. Zwar dienen regelmäßig Sanktionen wegen Wehrdienstentziehung nicht der politischen oder religiösen Verfolgung, sondern werden ungeachtet solcher Merkmale im Regelfall allgemein und unterschiedslos gegenüber allen Deserteuren oder Verweigerern aus Gründen der Aufrechterhaltung der Disziplin verhängt. Nicht jede Sanktionierung ist automatisch eine flüchtlingsrelevante Verfolgung. Denn die Einberufung zum Wehrdienst und die Bestrafung einer gesetzwidrigen Verweigerung der Erfüllung der Wehrpflicht stellen grundsätzlich nicht Maßnahmen politischer Verfolgung dar. Es ist das Recht eines jeden - auch totalitären - Staates, die Ableistung des Wehrdienstes im Rahmen seiner Gesetze grundsätzlich von allen davon erfassten Bürgern unterschiedslos zu verlangen.

40

Vgl. etwa BayVGH, Urteil vom 24. März 2000 – 9 B 96.35177 - juris Rn. 39; VG Regensburg, Urteil vom 27. Oktober 2016 – RN 2 K 16.31289 –, juris Rn. 27; ferner EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – Shepherd,- C-472/13 – Rn. 47 ff., zu den erforderlichen Maßnahmen eines Staates zur Durchsetzung seines legitimen Rechts auf Unterhaltung seiner Streitkräfte.

41

In eine flüchtlingsrelevante Verfolgung schlägt eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung aber um, wenn sie zielgerichtet gegenüber Personen eingesetzt wird, die durch diese Maßnahme gerade wegen eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmals getroffen werden soll.

42

Vgl. auch VG Osnabrück, Urteil vom 18. Mai 2015 - 5 A 465/14 - [juris/BAMF], Umdruck, S. 4 ff.

43

Gleiches gilt, wenn die zuständigen Behörden aus der Verwirklichung der Tat auf eine Regimegegnerschaft der betroffenen Person schließen und die strafrechtliche Sanktion nicht nur der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern auch der Bekämpfung von politischen Gegnern dient. Die außergewöhnliche Härte einer drohenden Strafe wegen Wehrdienstentziehung gibt regelmäßig insbesondere dann Anlass zur Prüfung ihrer Asylrelevanz, wenn in einem totalitären Staat ein geordnetes und berechenbares Gerichtsverfahren fehlt und solche Strafen - auch und gerade während eines Krieges - willkürlich verhängt werden

44

- vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 – 9 C 131.90 – juris Rn. 19 -

45

bzw. ein solches staatliches Vorgehen über das hinausgeht, was erforderlich ist, damit der betreffende Staat sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft ausüben kann.

46

So EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – Shepherd,- C-472/13 – Rn. 50 ff. unter Hinweis auf Generalanwältin Sharpton, Schlussanträge, Nr. 80.

47

Der eritreische Staat befindet sich eigener Auffassung zu Folge wegen weiter bestehender Differenzen mit Äthiopien nach Beendigung des Krieges im Mai 2000 in einem Zustand der weder Krieg noch Frieden („no war no peace-Situation“) sei, weshalb die Mobilmachung aufrechterhalten blieb.

48

Vgl. EASO, Länderfocus Eritrea, S. 40; dies., Nationaldienst, S. 36 mwN; amnesty international, Gutachten: Staatsangehörigkeitsfragen und Militärdienst vom 15. August 2016 - AFR 40-16.007 - an das erkennende Gericht im Verfahren 15 A 4193/15 As SN, S. 3.

49

Dies bedeutet, dass Strafen einem entsprechend höheren Strafrahmen entnommen werden können. Die nach der Erkenntnislage ohne gerichtliches Verfahren willkürlich verhängten strafrechtlichen Sanktionen dienen in Eritrea nicht nur der Disziplinierung von Armeeangehörigen und der Ahndung kriminellen Unrechts

50

- so aber VG Regensburg, Urteil vom 27. Oktober 2016 – RN 2 K 16.31289 –, juris Rn. 35; Bundesverwaltungsgericht (Schweiz), Urteil vom 30. Januar 2017 - D-7898/2015, Umdruck, S. 41 ff. (Nr. 5) in Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung (Urteil vom 6. April 2010 -D-3892/2008 -, Umdruck, S. 9 ff., Nr. 5.3 ff.); VG Schwerin, Urteil vom 23. November 2016 - 15 A 1444/16 As SN -

51

sondern auch der Bekämpfung von politischen Gegnern.

52

Ebenso Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 17. Januar 2017 – 3 K 2357/16 –, juris LS und Rn. 12 ff. unter Hinweis auf Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 K 403/14 –, juris Rn. 31 ff. mwN.; vgl. auch VG Hannover, Urteil vom 26.Oktober 2016 - 3 A 5251/16 -, (juris), Umdruck, S. 5 ff.; ausführlich VG C-Stadt, Beschluss vom 05. Oktober 2016 – 4 A 3618/16 –, juris LS 1 und Rn. 6 ff., 15, 17 ff.; ebenso Bundesverwaltungsgericht (Österreich), Spruch vom 20. Dezember 2016 - W232 2114135-1 -, Umdruck, S. 8 f., 10 ff.

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5. Ob dies im vollen Umfang auch im Fall der Klägerin gilt, ist fraglich:

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a) Ihr wäre es zwar nicht zuzumuten, nach Zahlung der Diaspora-Steuer nach Eritrea in der Hoffnung zurückzukehren, nicht bestraft zu werden. Nach ihren glaubhaften Schilderungen hat sie aber im bereits im Alter von drei Jahren zusammen mit ihrer Mutter Eritrea illegal verlassen. Ob die eritreischen Behörden das als gleichzeitigen strafbaren Entzug vom Nationaldienst betrachten, ist fraglich. Es kann hier offenbleiben, ob anzunehmen ist, dass die Klägerin bei ihrer Rückkehr deshalb verfolgt würde. Es ist fraglich, ob sie - wie oben dargestellt -, ohne dass ein formelles Verfahren durchgeführt würde, deshalb mit einer erheblichen, entwürdigenden und unverhältnismäßigen Bestrafung wegen illegalem Grenzübertritt und Entziehung vom Wehrdienst rechnen.

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Vgl. insoweit VG Potsdam, Urteil vom 17. Februar 2016 – VG 6 K 1995/15.A –, juris LS 1 und Rn. 15, dessen weitergehende Begründung das erkennende Gericht aber nicht teilt.

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b) Unabhängig hiervon muss sie aber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit ihrer Einberufung zum Nationaldienst rechnen. Dabei muss sie insbesondere befürchten, in ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht verletzt zu werden. Dieser Verfolgungsgrund der geschlechtsspezifischen Verfolgung wird von § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 AsylG hinsichtlich Angehöriger einer sozialen Gruppe erfasst.

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Vgl. näher Marx, AsylG, § 3b Rn. 22; Möller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AsylVfG/AsylG, § 3b Rn. 12 ff. mwN.

58

Nach den Erkenntnissen des Gerichts sind weibliche Rekruten im eritreischen Nationaldienst sexuellen Übergriffen (sexuelle Nötigung bis hin zur Vergewaltigung) durch militärische Vorgesetzte ausgesetzt. Bei einer Weigerung kann das Opfer bestraft werden.

59

Ebenso Auswärtiges Amt, Lagebericht 2016, S. 12; ausführlicher: EASO, Focus Eritrea, S. 34, 39 mwN; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Wehrdienst, aaO, S. 16 mwN.

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Bei dieser Sachlage ist der Klägerin jedenfalls aus diesem Grund der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

III.

61

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Von einer Erklärung der Vollstreckbarkeit des Urteils sieht das Gericht gemäß § 167 Abs. 2 VwGO ab.

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

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Tenor Der Klägerin wird für die erste Instanz Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung bewilligt, soweit sie im Hilfsantrag die Zuerkennung subsidiären Schutzes begehrt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Gründe 1 Die beabsicht

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(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, der nach eigenen Angaben am … 1996 geboren wurde und eritreischer Staatsangehöriger vom Stamm der Tigrinya ist, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Er reiste am 14.11.2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5.10.2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.

Im Rahmen des Asylverfahrens übergab der Kläger an das Bundesamt einen Taufschein, der ihm nach eigenen Angaben von einem Bekannten aus Eritrea mit dem Flugzeug gebracht worden sei.

Im Rahmen seines persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 5.10.2015 in München gab er zu seiner Reiseroute an, dass er am 7.7.2014 Eritrea verlassen habe und über den Sudan (ein Monat und zwei Wochen Aufenthalt), Libyen (zwei Monate und acht Tage Aufenthalt), Italien (zwei Wochen Aufenthalt) und Österreich nach Deutschland gekommen sei. In Italien sei er am 31.10.2014 eingereist.

Im Rahmen des Asylverfahrens übersandte das Bundesamt dem Kläger einen Fragebogen, den der Kläger ausfüllte. Er gab darin zu seinen persönlichen Erlebnissen im Herkunftsland an, dass am Anfang alles in Ordnung war, er aber aus gesundheitlichen Gründen die Schule unterbrochen habe. Dann habe er einen Brief mit dem Befehl erhalten, dass er zum Militärdienst müsse. Wegen der drohenden Einberufung zum National Service sei er geflohen. Da er illegal geflohen sei, rechne er mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe. Er beschränke seinen Antrag auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz. Er wolle daher eine Entscheidung im vereinfachten Verfahren.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 25.1.2016 gab er im Wesentlichen an, er habe in A. im Viertel G. gewohnt. Einen Pass, Passersatz oder Personalausweis habe er nie besessen. Seine Eltern M. und E. würden noch in A. leben. Den letzten telefonischen Kontakt habe er vor zwei Monaten mit ihnen gehabt. Es würden auch noch vier Schwestern, ein Bruder, Onkel und Tanten im Heimatland leben. Er sei bis zur 9. Klasse in die Schule gegangen. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Sein Vater sei Soldat und habe ihnen immer Geld gegeben. Er sei, als er Eritrea 18 jährig verlassen habe, immer noch zur Schule gegangen. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Zu seinen persönlichen Erlebnissen in Eritrea gab er an, dass er immer wieder mitbekommen habe, wie andere unter Zwang als Soldaten mitgenommen worden seien. Seine drei älteren Brüder seien alle mitgenommen worden. Er habe Angst gehabt, dass ihm das gleiche passiere. Bei seiner Rückkehr rechne er mit lebenslangem Gefängnis oder der Todesstrafe, da er das Land illegal verlassen habe. Zu seiner Ausreise gab er an, er habe Eritrea ca. im Mai 2014 verlassen und sei über Sudan, Libyen nach Italien gereist. Dort habe er aber keinen Asylantrag gestellt, weil in Italien Menschen nicht so gut behandelt würden. Sein Ziel sei Deutschland gewesen, weil Deutschland die Menschen gut behandeln würde.

Mit Bescheid vom 10.6.2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1 des Bescheids vom 10.6.2016). Im Übrigen lehnte es den Asylantrag ab (Ziffer 2 des Bescheids vom 10.6.2016). Aufgrund des ermittelten Sachverhaltes sei davon auszugehen, dass dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) drohe, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus vorliegen würden. Der Kläger sei jedoch kein Flüchtling i. S. d. § 3 AsylG. Er habe keine individuellen Verfolgungsgründe geltend gemacht. Aus dem Vorbringen des Antragsstellers sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Für die Feststellung des Flüchtlingsstatus müsse zwischen den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen und den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe eine Verknüpfung bestehen. Die Verfolgung müsse dem Antragssteller gerade wegen mindestens einem dieser Verfolgungsgründe drohen (§ 3a Abs. 3 AsylG).

In der Akte des Bundesamtes befinden sich zwei Vermerke. Im Vermerk vom 30.1.2016 wird festgestellt, dass eine positive Entscheidung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG wahrscheinlich scheint. Zur Asyl- und Flüchtlingseigenschaft wird festgehalten, dass sie aufgrund des fehlenden Vortrags zu möglichen individuellen konkreten Verfolgungsgründen abzulehnen war. In einem weiteren Vermerk vom 10.6.2016 wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Entscheidung (§ 4 Abs. 1 AsylG) getroffen worden war, da der Antragssteller nachvollziehbar dargelegt habe, dass er vor dem Nationaldienst in Eritrea geflohen sei und das Land illegal verlassen habe. Aus diesem Grund drohe ihm eine Bestrafung unter unmenschlichen Haftbedingungen. Weiter wird ausgeführt, dass die Bestrafung zudem an asylerhebliche Merkmale anknüpfe, da der Ausländer wegen illegaler Ausreise und Wehrdienstentziehung als Gegner des eritreischen Staatswesens angesehen werde und die Strafe damit politischen Sanktionscharakter habe. Es wird dabei auf das Urteil des VG Frankfurt (U.v. 14.2.2011 - 8 K 4878/10.F.A bzw. den Gerichtsbescheid des VG Wiesbaden (Gerichtsbescheid v. 14.3.2013 - 5 K 448/12.WI.A) hingewiesen.

Am 4.7.2016 ließ der Kläger Verpflichtungsklage erheben. Er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Im Antrag bringt die Klägervertreterin im Wesentlichen vor, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet sei, weil ihm im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen i. S. d. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG drohen würden, die an Verfolgungsgründe i. S. d. § 3b Abs. 1 AsylG anknüpfen würden. Art. 37 der Proklamation Nr. 82/1995 sähe für Personen, die sich dem aktiven Wehrdienst bzw. der allgemeinen Dienstpflicht entzögen, eine Geldstrafe in Höhe von 3.000 Birr und/oder Freiheitstrafen zwischen zwei und fünf Jahren vor. Abhängig vom konkreten Vergehen käme nach allgemeinem Strafrecht auch bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe in Betracht. Tatsächlich würden Personen, die sich dem Nationalen Dienst entzögen, üblicherweise ohne Anklage und gerichtliche Entscheidung für ein bis zwei Jahre inhaftiert (vgl. Amnesty International, Eritrea - 20 Years of Independence, but still no Freedom, Mai 2013, S. 26 f.; UNHCR, Eligibility Guidlines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Eritrea, 20.4.2011, S. 11). Weitere Repressalien bestünden im Entzug von Genehmigungen zum Betrieb eines Gewerbes und Enteignungen. Nach den Eindrücken von Flüchtlingen scheine die Dauer der Inhaftierung im Ermessen des befehlshabenden Offiziers zu liegen (vgl. Amnesty International, Eritrea - 20 Years of Independence, but still no Freedom, Mai 2013). Nach anderen Berichten könne die Dauer und die Bedingungen der Inhaftierung durch Geldzahlung günstig beeinflusst werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, 15.10.2014, S. 18). Die vorstehenden Ausführungen würden auch für Personen gelten, die außerhalb des eigentlichen militärischen Bereichs, z. B. bei Baufirmen, ihren Dienst ableisten. Diese Personen würden, sofern sie sich der ihnen zugewiesen Arbeit entziehen, von den eritreischen Behörden ebenfalls als Deserteure angesehen. Ferner seien die Haftbedingungen häufig hart und lebensbedrohlich, insbesondere wegen der massiven Überbelegung der Gefängnisse und unzureichender medizinischer Behandlung. Folter und Misshandlungen seien während der Inhaftierung verbreitet. Der Kläger würde im Falle einer Rückkehr zum Militärdienst einberufen werden und könne sich dem nicht straflos entziehen. Dass er bislang nicht einberufen worden wäre, läge lediglich daran, dass er sich im Ausland aufgehalten habe. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, sich nach Eritrea zu begeben und auf seinen Einberufungsbefehl zu warten, um dann erneut zu fliehen. Durch seine Flucht nach Deutschland und die Stellung eines Asylantrags habe der Kläger gegenüber dem eritreischen Regime zum Ausdruck gebracht, dass er seinen Wehrdienst nicht erbringen wolle. Die Ablehnung der Ableistung des Nationalen Dienstes und auch die Tatsache, dass der Kläger in einem anderen Land Schutz suche, würden vom eritreischen Regime als oppositionelle Handlung bewertet. Darüber hinaus gelte der Kläger als Hochverräter, weil er Eritrea illegal verlassen habe. Im Falle seiner Rückkehr würden dem Kläger Festnahme, willkürliche Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen und Ermordung drohen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamts vom 10.6.2016 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt im Schriftsatz vom 13.7.2016 unter Bezugnahme auf die Gründe des angegriffenen Bescheides,

die Klage abzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2016 äußerte der Kläger bei seiner Befragung, dass er fünf ältere Geschwister habe (vier Brüder und eine Schwester). Die Widersprüchlichkeiten bezüglich seiner familiären Situation seien auf Übersetzungsprobleme zurückzuführen. Ferner gab der Kläger an, er hätte sich wegen einer Razzia, die in seiner Schule stattgefunden habe, für mehrere Monate versteckt gehalten und sei dann aus Furcht vor dem Militärdienst geflohen. Die Sach- und Rechtslage wurde in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert. Die Klägervertreterin führte vertiefend zu ihrem Vorbringen in der Klageschrift aus, dass die Bestrafung, die der Kläger zu erwarten hätte, weil er sich dem Nationalen Dienst entzogen hätte und illegal ausgereist sei, politisch motiviert sei. Hierfür spräche, dass die Bestrafung ohne gerichtliches Verfahren erfolge, und der Umfang und die Härte der Bestrafung. Auch sei die Bestrafung von illegalen Ausreisen typisch für repressive Regime.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 10.6.2016 in seiner Nr. 2 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) hat. Subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wurde ihm bereits mit Bescheid vom 10.6.2016 gewährt.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.

Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - Flüchtling, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es aber regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten (vgl. auch VG Augsburg, U.v. 11.8.2016 - Au 1 K 16.30744 - juris). Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.

Unter Würdigung dieser Voraussetzungen steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.

Der Kläger macht geltend, Eritrea verlassen zu haben, um der drohenden Einberufung zum Nationalen Dienst zu entgehen. Es kann dahinstehen, ob das Vorbringen des Klägers trotz gewisser Widersprüchlichkeiten noch glaubhaft ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger vor der drohenden Einberufung geflohen ist und sein Heimatland im Wege der illegalen Ausreise verlassen hat, führt dies nicht zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.

Die Einberufung zum Nationalen Dienst durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.

Jeder souveräne Staat hat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehr- und Militärdienst heranzuziehen (vgl. auch VG Osnabrück, U.v. 18.5.2015 - 5 A 465/14). Ausweislich der Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unterfällt die Heranziehung zum Militärdienst grundsätzlich schon nicht dem Schutzversprechen. Denn diese Vorschrift definiert lediglich Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer Verweigerung des Militärdienstes nur in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen und Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen, schwere politische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der vereinten Nationen) (vgl. hierzu VG München, U.v. 13.7.2016 - M12 K 16.31184 - juris, VG Ansbach, U.v. 26.9.2016 - .AN 3 K 16.30584 - juris). Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, auch wenn zwischen Eritrea und Äthiopien trotz Friedensabkommen von Algier vom 12.12.2000 nach wie vor Spannungen bestehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberechtliche Lage in Eritrea, Stand August 2015, vom 14. Dezember 2015 I.1. S. 7).

Die Heranziehung zum Nationen Dienst in Eritrea knüpft auch nicht an Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an. Denn bei der Heranziehung zum Nationalen Dienst werden in Eritrea alle Gruppen der Gesellschaft im Wesentlichen gleich behandelt; eine Unterscheidung nach Rasse, Religion usw. findet nicht statt (vgl. hierzu etwa VG Potsdam, U.v. 17.2.2016 - 6 K 1995/15.A - juris; VG München, U.v. 13.7.2016 - M 12 K 16.31184 - juris; VGH BW, U.v. 21.1.2003 - A 9 S 297/00 - juris).

Jedoch kann in den Sanktionierungsmaßnahmen einer Wehrpflichtentziehung eine flüchtlingsrelevante Verfolgung i. S. d. § 3a Abs. 2 AsylG liegen.

Das Gericht geht hierbei davon aus, dass auch Personen im dienstpflichtigen Alter, welche den Dienst noch nicht angetreten haben oder dem Aufgebot keine Folge geleistet haben, von den Behörden als Dienstverweigerer angesehen werden und damit bei ihrer Rückkehr - neben der Pflicht zur Ableistung des Nationalen Dienstes - auch Sanktionen, wie z. B. Haft, nicht ausgeschlossen werden können (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016, S. 40). In der Praxis kann die Bestrafung von einer bloßen Belehrung bis zu einer Haftstrafe reichen (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14.12.2015, Stand: August 2015, S. 18).

Allerdings stellt nicht jede Sanktionierung automatisch eine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar. Denn die Einberufung zum Wehrdienst und die Bestrafung einer gesetzwidrigen Verweigerung der Erfüllung der Wehrpflicht stellen grundsätzlich nicht Maßnahmen politischer Verfolgung dar. Es ist das Recht eines jeden Staates, die Ableistung des Wehrdienstes im Rahmen seiner Gesetze grundsätzlich von allen davon erfassten Bürgern unterschiedslos zu verlangen (vgl. BayVGH, U.v. 24.3.2000 - 9 B 96.35177; vgl. auch EuGH, U.v. 26.2.2015 - Shepherd, C-472/13 - Rn. 47 ff, zu erforderlichen Maßnahmen des Staates, um sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft durchzusetzen).

Aber auch wenn man hier in der Bestrafung eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3a Abs. 2 AsylG annimmt, erfordert eine flüchtlingsrelevante Verfolgung gem. § 3a Abs. 3 AsylG einen Zusammenhang zwischen Verfolgungshandlung und den Verfolgungsgründen.

Regelmäßig dienen Sanktionen wegen Wehrdienstentziehung allerdings nicht der politischen oder religiösen Verfolgung, sondern werden ungeachtet solcher Merkmale im Regelfall allgemein und unterschiedslos gegenüber allen Deserteuren/Verweigerern aus Gründen der Aufrechterhaltung der Disziplin verhängt (vgl. auch VG Osnabrück, U. v. 18.5.2015 - 5 A 465/14). In eine flüchtlingsrelevante Verfolgung schlägt eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung erst dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber Personen eingesetzt wird, die durch diese Maßnahme gerade wegen eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 genannten Merkmals getroffen werden soll (vgl. auch VG Osnabrück, U.v. 18.5.2015 - 5 A 465/14), bzw. wenn die zuständigen Behörden aus der Verwirklichung der Tat auf eine Regimegegnerschaft der betroffenen Person schließen und die strafrechtliche Sanktion nicht nur der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern auch der Bekämpfung von politischen Gegnern dient (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.6.1991 - 9 C 131.90 - juris Rn19).

Es kann jedoch nach Ansicht des Gerichts derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die illegale Ausreise, um sich dem Nationalen Dienst zu entziehen, vom eritreischen Staat allgemein als Regimegegnerschaft gesehen wird und der Bestrafung damit ein politischer Sanktionscharakter zukommt.

Explizite Erkenntnisse, dass die eritreische Regierung Personen, die sich dem Nationalen Dienst entziehen und illegal ausreisen, generell als Regimegegner einstuft und politisch verfolgt, ergeben sich für das Gericht aufgrund der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen nicht (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14.12.2015, Stand: August 2015, S. 17 f.; Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016). Diese aktuelleren Berichte zeigen eine große Bandbreite möglicher Folgen bei der Rückkehr von Personen, die illegal ausgereist sind, um sich dem Nationalen Dienst zu entziehen, nämlich von einer Belehrung und Ableistung des Nationalen Dienstes bis zu Haft (Monaten oder Jahre). Diese Bandbreite spricht nach Ansicht des Gerichts dafür, dass diese Personen nicht automatisch als Regimegegner eingestuft werden und damit nicht generell einer politischen Verfolgung unterliegen. Ebenso spricht gegen eine generelle politische Verfolgung aller Personen, die sich dem Nationalen Dienst entziehen, der derzeitige Umgang der eritreischen Regierung mit freiwilligen - zumindest vorübergehenden - Rückkehrern. Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage des Gerichts werden die gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise derzeit für diese Personen nicht angewandt. Sofern sie sich mindestens drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, besteht für die Rückkehrer die Möglichkeit, einen sog. „Diaspora Status“ zu erhalten. Dieser setzt voraus, dass eine Diasporasteuer (2% Steuer) bezahlt wurde und, sofern die nationale Dienstpflicht noch nicht erfüllt wurde, ein sog. „Reueformular“ unterzeichnet wurde. Dieses umfasst auch ein Schuldeingeständnis mit der Erklärung, die dafür vorgesehene Bestrafung anzunehmen. Zumindest in der Mehrheit kommt es nach den Erkenntnisquellen des Gerichts zu keiner tatsächlichen Bestrafung (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016). Mit diesem „Diaspora Status“ ist es möglich drei Jahre in Eritrea zu bleiben, ohne den Nationalen Dienst ableisten zu müssen. Auch eine Ausreise ist mit diesem Status möglich, so dass es temporäre Reisen zu Urlaubs- und Besuchszwecken gibt (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016; S. 39). Diese Optionen, die gerade auch für Personen gelten, die sich dem Nationalen Dienst durch die illegale Ausreise entzogen haben, sprechen gegen eine generelle Einstufung als politischer Gegner.

Nach der zugrundeliegenden Auskunftslage kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass bereits die illegale Ausreise an sich - wie von Klägerseite vorgebracht - vom eritreischen Staat als Hochverrat angesehen wird. Die oben genannten Erkenntnisse betreffen gerade Personen, die illegal ausreisten, um sich dem Nationalen Dienst zu entziehen, also beide Tatbestände verwirklichen.

Damit liegt nach Auffassung des Gerichts in den möglichen Sanktionen für eine Wehrdienstverweigerung durch illegale Ausreise ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine flüchtlingsrelevante Bestrafung mit politischem Charakter (vgl. auch VG Ansbach, U.v. 26.9.2016 - AN 3 K 16.30584 - juris; VG Augsburg, U.v. 11.8.2016 - Au 1 K 16.30744 - juris; bzgl. nur illegaler Ausreise VG Braunschweig, U.v. 7.7.2015 - 7 A 368/14; a.A. VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 - 15 A 190/15 As - juris; VG Schwerin, U.v. 29.2.2016 - 15 A 3628/15 As - juris; VG Minden, U.v. 13.11.2014 - 10 K 2815/13.A - juris, VG Kassel, Gerichtsbescheid v. 22.7.2014 - 1 K 1364/13.KS.A).

Dass die Praxis der Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Wehrdienstentzug aufgrund der in Eritrea herrschenden Willkürherrschaft ohne unabhängiges Justizwesen, mit willkürlichen Inhaftierungen, körperlichen Misshandlungen, Folter und Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen massiv elementare Rechtsgrundsätze und Menschenrechte verletzt, steht außer Zweifel. Dieser Umstand führt jedoch nicht zu einem Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling, sondern er führte zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.

Auch die bloße Asylantragsstellung in Deutschland begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14.12.2015, Stand: August 2015, S. 17 f).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.

Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, der nach eigenen Angaben am … 1996 geboren wurde und eritreischer Staatsangehöriger vom Stamm der Tigrinya ist, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Er reiste am 14.11.2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5.10.2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.

Im Rahmen des Asylverfahrens übergab der Kläger an das Bundesamt einen Taufschein, der ihm nach eigenen Angaben von einem Bekannten aus Eritrea mit dem Flugzeug gebracht worden sei.

Im Rahmen seines persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 5.10.2015 in München gab er zu seiner Reiseroute an, dass er am 7.7.2014 Eritrea verlassen habe und über den Sudan (ein Monat und zwei Wochen Aufenthalt), Libyen (zwei Monate und acht Tage Aufenthalt), Italien (zwei Wochen Aufenthalt) und Österreich nach Deutschland gekommen sei. In Italien sei er am 31.10.2014 eingereist.

Im Rahmen des Asylverfahrens übersandte das Bundesamt dem Kläger einen Fragebogen, den der Kläger ausfüllte. Er gab darin zu seinen persönlichen Erlebnissen im Herkunftsland an, dass am Anfang alles in Ordnung war, er aber aus gesundheitlichen Gründen die Schule unterbrochen habe. Dann habe er einen Brief mit dem Befehl erhalten, dass er zum Militärdienst müsse. Wegen der drohenden Einberufung zum National Service sei er geflohen. Da er illegal geflohen sei, rechne er mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe. Er beschränke seinen Antrag auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz. Er wolle daher eine Entscheidung im vereinfachten Verfahren.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 25.1.2016 gab er im Wesentlichen an, er habe in A. im Viertel G. gewohnt. Einen Pass, Passersatz oder Personalausweis habe er nie besessen. Seine Eltern M. und E. würden noch in A. leben. Den letzten telefonischen Kontakt habe er vor zwei Monaten mit ihnen gehabt. Es würden auch noch vier Schwestern, ein Bruder, Onkel und Tanten im Heimatland leben. Er sei bis zur 9. Klasse in die Schule gegangen. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Sein Vater sei Soldat und habe ihnen immer Geld gegeben. Er sei, als er Eritrea 18 jährig verlassen habe, immer noch zur Schule gegangen. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Zu seinen persönlichen Erlebnissen in Eritrea gab er an, dass er immer wieder mitbekommen habe, wie andere unter Zwang als Soldaten mitgenommen worden seien. Seine drei älteren Brüder seien alle mitgenommen worden. Er habe Angst gehabt, dass ihm das gleiche passiere. Bei seiner Rückkehr rechne er mit lebenslangem Gefängnis oder der Todesstrafe, da er das Land illegal verlassen habe. Zu seiner Ausreise gab er an, er habe Eritrea ca. im Mai 2014 verlassen und sei über Sudan, Libyen nach Italien gereist. Dort habe er aber keinen Asylantrag gestellt, weil in Italien Menschen nicht so gut behandelt würden. Sein Ziel sei Deutschland gewesen, weil Deutschland die Menschen gut behandeln würde.

Mit Bescheid vom 10.6.2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1 des Bescheids vom 10.6.2016). Im Übrigen lehnte es den Asylantrag ab (Ziffer 2 des Bescheids vom 10.6.2016). Aufgrund des ermittelten Sachverhaltes sei davon auszugehen, dass dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) drohe, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus vorliegen würden. Der Kläger sei jedoch kein Flüchtling i. S. d. § 3 AsylG. Er habe keine individuellen Verfolgungsgründe geltend gemacht. Aus dem Vorbringen des Antragsstellers sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Für die Feststellung des Flüchtlingsstatus müsse zwischen den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen und den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe eine Verknüpfung bestehen. Die Verfolgung müsse dem Antragssteller gerade wegen mindestens einem dieser Verfolgungsgründe drohen (§ 3a Abs. 3 AsylG).

In der Akte des Bundesamtes befinden sich zwei Vermerke. Im Vermerk vom 30.1.2016 wird festgestellt, dass eine positive Entscheidung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG wahrscheinlich scheint. Zur Asyl- und Flüchtlingseigenschaft wird festgehalten, dass sie aufgrund des fehlenden Vortrags zu möglichen individuellen konkreten Verfolgungsgründen abzulehnen war. In einem weiteren Vermerk vom 10.6.2016 wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Entscheidung (§ 4 Abs. 1 AsylG) getroffen worden war, da der Antragssteller nachvollziehbar dargelegt habe, dass er vor dem Nationaldienst in Eritrea geflohen sei und das Land illegal verlassen habe. Aus diesem Grund drohe ihm eine Bestrafung unter unmenschlichen Haftbedingungen. Weiter wird ausgeführt, dass die Bestrafung zudem an asylerhebliche Merkmale anknüpfe, da der Ausländer wegen illegaler Ausreise und Wehrdienstentziehung als Gegner des eritreischen Staatswesens angesehen werde und die Strafe damit politischen Sanktionscharakter habe. Es wird dabei auf das Urteil des VG Frankfurt (U.v. 14.2.2011 - 8 K 4878/10.F.A bzw. den Gerichtsbescheid des VG Wiesbaden (Gerichtsbescheid v. 14.3.2013 - 5 K 448/12.WI.A) hingewiesen.

Am 4.7.2016 ließ der Kläger Verpflichtungsklage erheben. Er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Im Antrag bringt die Klägervertreterin im Wesentlichen vor, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet sei, weil ihm im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen i. S. d. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG drohen würden, die an Verfolgungsgründe i. S. d. § 3b Abs. 1 AsylG anknüpfen würden. Art. 37 der Proklamation Nr. 82/1995 sähe für Personen, die sich dem aktiven Wehrdienst bzw. der allgemeinen Dienstpflicht entzögen, eine Geldstrafe in Höhe von 3.000 Birr und/oder Freiheitstrafen zwischen zwei und fünf Jahren vor. Abhängig vom konkreten Vergehen käme nach allgemeinem Strafrecht auch bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe in Betracht. Tatsächlich würden Personen, die sich dem Nationalen Dienst entzögen, üblicherweise ohne Anklage und gerichtliche Entscheidung für ein bis zwei Jahre inhaftiert (vgl. Amnesty International, Eritrea - 20 Years of Independence, but still no Freedom, Mai 2013, S. 26 f.; UNHCR, Eligibility Guidlines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Eritrea, 20.4.2011, S. 11). Weitere Repressalien bestünden im Entzug von Genehmigungen zum Betrieb eines Gewerbes und Enteignungen. Nach den Eindrücken von Flüchtlingen scheine die Dauer der Inhaftierung im Ermessen des befehlshabenden Offiziers zu liegen (vgl. Amnesty International, Eritrea - 20 Years of Independence, but still no Freedom, Mai 2013). Nach anderen Berichten könne die Dauer und die Bedingungen der Inhaftierung durch Geldzahlung günstig beeinflusst werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, 15.10.2014, S. 18). Die vorstehenden Ausführungen würden auch für Personen gelten, die außerhalb des eigentlichen militärischen Bereichs, z. B. bei Baufirmen, ihren Dienst ableisten. Diese Personen würden, sofern sie sich der ihnen zugewiesen Arbeit entziehen, von den eritreischen Behörden ebenfalls als Deserteure angesehen. Ferner seien die Haftbedingungen häufig hart und lebensbedrohlich, insbesondere wegen der massiven Überbelegung der Gefängnisse und unzureichender medizinischer Behandlung. Folter und Misshandlungen seien während der Inhaftierung verbreitet. Der Kläger würde im Falle einer Rückkehr zum Militärdienst einberufen werden und könne sich dem nicht straflos entziehen. Dass er bislang nicht einberufen worden wäre, läge lediglich daran, dass er sich im Ausland aufgehalten habe. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, sich nach Eritrea zu begeben und auf seinen Einberufungsbefehl zu warten, um dann erneut zu fliehen. Durch seine Flucht nach Deutschland und die Stellung eines Asylantrags habe der Kläger gegenüber dem eritreischen Regime zum Ausdruck gebracht, dass er seinen Wehrdienst nicht erbringen wolle. Die Ablehnung der Ableistung des Nationalen Dienstes und auch die Tatsache, dass der Kläger in einem anderen Land Schutz suche, würden vom eritreischen Regime als oppositionelle Handlung bewertet. Darüber hinaus gelte der Kläger als Hochverräter, weil er Eritrea illegal verlassen habe. Im Falle seiner Rückkehr würden dem Kläger Festnahme, willkürliche Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen und Ermordung drohen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamts vom 10.6.2016 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt im Schriftsatz vom 13.7.2016 unter Bezugnahme auf die Gründe des angegriffenen Bescheides,

die Klage abzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2016 äußerte der Kläger bei seiner Befragung, dass er fünf ältere Geschwister habe (vier Brüder und eine Schwester). Die Widersprüchlichkeiten bezüglich seiner familiären Situation seien auf Übersetzungsprobleme zurückzuführen. Ferner gab der Kläger an, er hätte sich wegen einer Razzia, die in seiner Schule stattgefunden habe, für mehrere Monate versteckt gehalten und sei dann aus Furcht vor dem Militärdienst geflohen. Die Sach- und Rechtslage wurde in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert. Die Klägervertreterin führte vertiefend zu ihrem Vorbringen in der Klageschrift aus, dass die Bestrafung, die der Kläger zu erwarten hätte, weil er sich dem Nationalen Dienst entzogen hätte und illegal ausgereist sei, politisch motiviert sei. Hierfür spräche, dass die Bestrafung ohne gerichtliches Verfahren erfolge, und der Umfang und die Härte der Bestrafung. Auch sei die Bestrafung von illegalen Ausreisen typisch für repressive Regime.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 10.6.2016 in seiner Nr. 2 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) hat. Subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wurde ihm bereits mit Bescheid vom 10.6.2016 gewährt.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.

Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - Flüchtling, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es aber regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten (vgl. auch VG Augsburg, U.v. 11.8.2016 - Au 1 K 16.30744 - juris). Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.

Unter Würdigung dieser Voraussetzungen steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.

Der Kläger macht geltend, Eritrea verlassen zu haben, um der drohenden Einberufung zum Nationalen Dienst zu entgehen. Es kann dahinstehen, ob das Vorbringen des Klägers trotz gewisser Widersprüchlichkeiten noch glaubhaft ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger vor der drohenden Einberufung geflohen ist und sein Heimatland im Wege der illegalen Ausreise verlassen hat, führt dies nicht zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.

Die Einberufung zum Nationalen Dienst durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.

Jeder souveräne Staat hat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehr- und Militärdienst heranzuziehen (vgl. auch VG Osnabrück, U.v. 18.5.2015 - 5 A 465/14). Ausweislich der Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unterfällt die Heranziehung zum Militärdienst grundsätzlich schon nicht dem Schutzversprechen. Denn diese Vorschrift definiert lediglich Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer Verweigerung des Militärdienstes nur in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen und Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen, schwere politische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der vereinten Nationen) (vgl. hierzu VG München, U.v. 13.7.2016 - M12 K 16.31184 - juris, VG Ansbach, U.v. 26.9.2016 - .AN 3 K 16.30584 - juris). Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, auch wenn zwischen Eritrea und Äthiopien trotz Friedensabkommen von Algier vom 12.12.2000 nach wie vor Spannungen bestehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberechtliche Lage in Eritrea, Stand August 2015, vom 14. Dezember 2015 I.1. S. 7).

Die Heranziehung zum Nationen Dienst in Eritrea knüpft auch nicht an Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an. Denn bei der Heranziehung zum Nationalen Dienst werden in Eritrea alle Gruppen der Gesellschaft im Wesentlichen gleich behandelt; eine Unterscheidung nach Rasse, Religion usw. findet nicht statt (vgl. hierzu etwa VG Potsdam, U.v. 17.2.2016 - 6 K 1995/15.A - juris; VG München, U.v. 13.7.2016 - M 12 K 16.31184 - juris; VGH BW, U.v. 21.1.2003 - A 9 S 297/00 - juris).

Jedoch kann in den Sanktionierungsmaßnahmen einer Wehrpflichtentziehung eine flüchtlingsrelevante Verfolgung i. S. d. § 3a Abs. 2 AsylG liegen.

Das Gericht geht hierbei davon aus, dass auch Personen im dienstpflichtigen Alter, welche den Dienst noch nicht angetreten haben oder dem Aufgebot keine Folge geleistet haben, von den Behörden als Dienstverweigerer angesehen werden und damit bei ihrer Rückkehr - neben der Pflicht zur Ableistung des Nationalen Dienstes - auch Sanktionen, wie z. B. Haft, nicht ausgeschlossen werden können (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016, S. 40). In der Praxis kann die Bestrafung von einer bloßen Belehrung bis zu einer Haftstrafe reichen (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14.12.2015, Stand: August 2015, S. 18).

Allerdings stellt nicht jede Sanktionierung automatisch eine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar. Denn die Einberufung zum Wehrdienst und die Bestrafung einer gesetzwidrigen Verweigerung der Erfüllung der Wehrpflicht stellen grundsätzlich nicht Maßnahmen politischer Verfolgung dar. Es ist das Recht eines jeden Staates, die Ableistung des Wehrdienstes im Rahmen seiner Gesetze grundsätzlich von allen davon erfassten Bürgern unterschiedslos zu verlangen (vgl. BayVGH, U.v. 24.3.2000 - 9 B 96.35177; vgl. auch EuGH, U.v. 26.2.2015 - Shepherd, C-472/13 - Rn. 47 ff, zu erforderlichen Maßnahmen des Staates, um sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft durchzusetzen).

Aber auch wenn man hier in der Bestrafung eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3a Abs. 2 AsylG annimmt, erfordert eine flüchtlingsrelevante Verfolgung gem. § 3a Abs. 3 AsylG einen Zusammenhang zwischen Verfolgungshandlung und den Verfolgungsgründen.

Regelmäßig dienen Sanktionen wegen Wehrdienstentziehung allerdings nicht der politischen oder religiösen Verfolgung, sondern werden ungeachtet solcher Merkmale im Regelfall allgemein und unterschiedslos gegenüber allen Deserteuren/Verweigerern aus Gründen der Aufrechterhaltung der Disziplin verhängt (vgl. auch VG Osnabrück, U. v. 18.5.2015 - 5 A 465/14). In eine flüchtlingsrelevante Verfolgung schlägt eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung erst dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber Personen eingesetzt wird, die durch diese Maßnahme gerade wegen eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 genannten Merkmals getroffen werden soll (vgl. auch VG Osnabrück, U.v. 18.5.2015 - 5 A 465/14), bzw. wenn die zuständigen Behörden aus der Verwirklichung der Tat auf eine Regimegegnerschaft der betroffenen Person schließen und die strafrechtliche Sanktion nicht nur der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern auch der Bekämpfung von politischen Gegnern dient (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.6.1991 - 9 C 131.90 - juris Rn19).

Es kann jedoch nach Ansicht des Gerichts derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die illegale Ausreise, um sich dem Nationalen Dienst zu entziehen, vom eritreischen Staat allgemein als Regimegegnerschaft gesehen wird und der Bestrafung damit ein politischer Sanktionscharakter zukommt.

Explizite Erkenntnisse, dass die eritreische Regierung Personen, die sich dem Nationalen Dienst entziehen und illegal ausreisen, generell als Regimegegner einstuft und politisch verfolgt, ergeben sich für das Gericht aufgrund der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen nicht (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14.12.2015, Stand: August 2015, S. 17 f.; Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016). Diese aktuelleren Berichte zeigen eine große Bandbreite möglicher Folgen bei der Rückkehr von Personen, die illegal ausgereist sind, um sich dem Nationalen Dienst zu entziehen, nämlich von einer Belehrung und Ableistung des Nationalen Dienstes bis zu Haft (Monaten oder Jahre). Diese Bandbreite spricht nach Ansicht des Gerichts dafür, dass diese Personen nicht automatisch als Regimegegner eingestuft werden und damit nicht generell einer politischen Verfolgung unterliegen. Ebenso spricht gegen eine generelle politische Verfolgung aller Personen, die sich dem Nationalen Dienst entziehen, der derzeitige Umgang der eritreischen Regierung mit freiwilligen - zumindest vorübergehenden - Rückkehrern. Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage des Gerichts werden die gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise derzeit für diese Personen nicht angewandt. Sofern sie sich mindestens drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, besteht für die Rückkehrer die Möglichkeit, einen sog. „Diaspora Status“ zu erhalten. Dieser setzt voraus, dass eine Diasporasteuer (2% Steuer) bezahlt wurde und, sofern die nationale Dienstpflicht noch nicht erfüllt wurde, ein sog. „Reueformular“ unterzeichnet wurde. Dieses umfasst auch ein Schuldeingeständnis mit der Erklärung, die dafür vorgesehene Bestrafung anzunehmen. Zumindest in der Mehrheit kommt es nach den Erkenntnisquellen des Gerichts zu keiner tatsächlichen Bestrafung (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016). Mit diesem „Diaspora Status“ ist es möglich drei Jahre in Eritrea zu bleiben, ohne den Nationalen Dienst ableisten zu müssen. Auch eine Ausreise ist mit diesem Status möglich, so dass es temporäre Reisen zu Urlaubs- und Besuchszwecken gibt (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016; S. 39). Diese Optionen, die gerade auch für Personen gelten, die sich dem Nationalen Dienst durch die illegale Ausreise entzogen haben, sprechen gegen eine generelle Einstufung als politischer Gegner.

Nach der zugrundeliegenden Auskunftslage kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass bereits die illegale Ausreise an sich - wie von Klägerseite vorgebracht - vom eritreischen Staat als Hochverrat angesehen wird. Die oben genannten Erkenntnisse betreffen gerade Personen, die illegal ausreisten, um sich dem Nationalen Dienst zu entziehen, also beide Tatbestände verwirklichen.

Damit liegt nach Auffassung des Gerichts in den möglichen Sanktionen für eine Wehrdienstverweigerung durch illegale Ausreise ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine flüchtlingsrelevante Bestrafung mit politischem Charakter (vgl. auch VG Ansbach, U.v. 26.9.2016 - AN 3 K 16.30584 - juris; VG Augsburg, U.v. 11.8.2016 - Au 1 K 16.30744 - juris; bzgl. nur illegaler Ausreise VG Braunschweig, U.v. 7.7.2015 - 7 A 368/14; a.A. VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 - 15 A 190/15 As - juris; VG Schwerin, U.v. 29.2.2016 - 15 A 3628/15 As - juris; VG Minden, U.v. 13.11.2014 - 10 K 2815/13.A - juris, VG Kassel, Gerichtsbescheid v. 22.7.2014 - 1 K 1364/13.KS.A).

Dass die Praxis der Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Wehrdienstentzug aufgrund der in Eritrea herrschenden Willkürherrschaft ohne unabhängiges Justizwesen, mit willkürlichen Inhaftierungen, körperlichen Misshandlungen, Folter und Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen massiv elementare Rechtsgrundsätze und Menschenrechte verletzt, steht außer Zweifel. Dieser Umstand führt jedoch nicht zu einem Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling, sondern er führte zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.

Auch die bloße Asylantragsstellung in Deutschland begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14.12.2015, Stand: August 2015, S. 17 f).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.

Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.

Tenor

Der Klägerin wird für die erste Instanz Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung bewilligt, soweit sie im Hilfsantrag die Zuerkennung subsidiären Schutzes begehrt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Gründe

1

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat nicht die im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten, soweit die Klägerin im Hauptantrag die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt (dazu I.). Hinreichende Erfolgsaussicht besteht jedoch, soweit sie im Hilfsantrag die Zuerkennung subsidiären Schutzes begehrt (dazu II.).

I.

2

Die Klägerin hat voraussichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

3

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft richtet sich nach § 3 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 18. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftslandes) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Als Verfolgungshandlungen gelten gem. § 3a AsylG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 685, 953) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – keine Abweichung zulässig ist, darunter das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigenden Behandlung und das Verbot der Zwangsarbeit.

4

Für die Frage der Verfolgungswahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 32). Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 1. 6.2011, 10 C 25/10, BVerwGE 140, 22, 33, juris Rn. 24; Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118/90, BVerwGE 89, 162, 169 f.).

5

Bei einer Vorverfolgung greift insoweit die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: Qualifikationsrichtlinie) (so zur früheren Fassung der Qualifikationsrichtlinie BVerwG, Urt. v. 24.11.2009, 10 C 24.08, Rn. 21; Urt. v. 5.5.2009, 10 C 21/08, Rn. 25; OVG NRW, Urt. v. 14.12.2010, 19 A 2999/06.A, Rn. 50; Urt. v. 17.8.2010, 8 A 4063/06.A, Rn. 35 und 41 m. w. N.; – alle in juris). Nach dieser Bestimmung ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

6

Die oben genannten Maßstäbe zugrunde gelegt, besteht nach Überzeugung der Kammer eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im Sinne des § 3 AsylG bei einer Rückkehr nach Eritrea dann, wenn der eritreische Asylsuchende im dienstpflichtigen Alter Eritrea illegal verlassen hat (vgl. Beschluss der Kammer vom 28.9.2016, 4 E 1646/16, juris; VG Schwerin, Urt. v. 8.7.2016, 15 A 190/15 As, juris; VG Frankfurt, GB v. 4.2.2015, 8 K 2300/14.F.A, juris).

7

Die Klägerin hat hingegen vorgetragen, sie habe Eritrea 1998 im Alter von zwei Jahren mit dem Ziel Sudan verlassen. Damit kann sich die Klägerin voraussichtlich weder auf die Beweiserleichterung wegen Vorverfolgung berufen, noch ist zu erwarten, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Eritrea als Deserteurin bzw. Dienstverweigerin behandelt werden würde. Zwar geht die Kammer aufgrund der aktuellen Lage davon aus, dass in Eritrea für alle Personen, die Eritrea illegal – d.h. insbesondere ohne ein (im Regelfall nur schwer zu erhaltendes) Ausreisevisum (vgl. European Asylum Support Office (EASO), EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, abrufbar unter https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-d.pdf, S. 53) – verlassen haben, obwohl sie sich im nationaldienstpflichtigen Alter befanden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3a AsylG aus einem in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgrund gegeben ist. Jedoch unterfällt die Klägerin dieser Gruppe nicht, da sie weit vor Beginn ihrer Dienstpflicht und ohne eigenes Zutun Eritrea verlassen hat.

8

Aus der aktuellen Berichtslage ergibt sich nämlich nur, dass gegen Deserteure bzw. Dienstverweigerer im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea von den eritreischen Behörden aus Gründen der politischen Überzeugung außergerichtlich und willkürlich eine Haftstrafe unter prekären Haftbedingungen vollstreckt wird, welche eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellt (dazu 1)). Dafür, dass auch Personen, die Eritrea als Minderjährige verlassen haben, als Deserteure bzw. Dienstverweigerer behandelt werden, fehlt es hingegen an Anhaltspunkten (dazu 2)).

9

1) In Eritrea haben Personen, die Eritrea im dienstpflichtigen Alter verlassen, mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK zu rechnen, da sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Deserteur bzw. Nationaldienstverweigerer behandelt werden. Die Pflicht zur Ableistung des Nationaldienstes betrifft Personen zwischen ca. 17 und 50 Jahren (dazu a)). Desertion und Dienstverweigerung werden mit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung geahndet (dazu b)). Dies erfolgt nach den Erkenntnissen der Kammer aus Gründen der politischen Überzeugung (dazu c)).

10

a) Nach der eritreischen Proclamation on National Service von 1995 sind alle eritreischen Staatsangehörigen gleich welchen Geschlechts im Alter zwischen 18 und 50 Jahren verpflichtet, einen 18-monatigen Nationaldienst zu absolvieren. Dieser beinhaltet eine sechsmonatige militärische Ausbildung und einen sich an diese anschließenden zwölfmonatigen aktiven Dienst im Militär oder in (zivilen) Entwicklungsarbeiten. Die Dienstdauer kann im Fall eines Krieges oder einer allgemeinen Mobilmachung über diese Zeitdauer hinaus verlängert werden (Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea. Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22. Juni 2016, abrufbar unter https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-update-nationaldienst-d.pdf, S. 45 m.w.Nachw.). In der Praxis und wegen der von der eritreischen Regierung proklamierten „no war no peace“-Situation im Verhältnis zu Äthiopien ist der Nationaldienst zeitlich unbefristet und dauert meist mehrere Jahre (durchschnittlich fünf bis zehn, häufig auch länger), wobei einerseits Frauen deutlich früher als Männer entlassen werden, andererseits eine Entlassung aus dem militärischen Teil des Nationaldienstes kaum vorkommt (SEM, a.a.O., S. 50 und 49 m.w.Nachw.; EASO, a.a.O., S. 40 m.w.Nachw.; s.a. Human Rights Council (HRC), Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 9. Mai 2016, A/HRC/32/47, abrufbar unter http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/CoIEritrea/Pages/2016ReportCoIEritrea.asp, S. 7). In der Praxis werden Eritreer im Alter von ca. 17 bis ca. 50 Jahren als dienstpflichtig behandelt, allerdings werden teilweise auch jüngere Eritreer rekrutiert (EASO, a.a.O., S. 37 und 40 m.w.Nachw.).

11

Die Behörden teilen die Rekruten entweder für eine zivile oder für eine militärische Verwendung ein, ohne dass letztere darauf Einfluss hätten. Ein legales Verlassen des Nationaldienstes ist nur in Ausnahmefällen möglich (SEM, a.a.O., S. 50 m.w.Nachw.). Nationaldienstleistende verdienen monatlich 500 Nakfa (entspricht ca. 22 USD), was zum Lebensunterhalt zu gering ist. Nach einer jüngst von der Regierung angekündigten Lohnreform sollen die Löhne der zivilen Komponente erheblich steigen; an Anhaltspunkten, dass dies bereits umgesetzt wurde, fehlt es aber (SEM, a.a.O., S. 52f m.w.Nachw.).

12

b) Illegal ausgereisten Deserteuren bzw. Dienstverweigerern drohen Haftstrafen, welche außergerichtlich – häufig von den Militärvorgesetzten – verhängt werden und deren Dauer willkürlich festgesetzt wird. Die Haftdauer beträgt in der Regel zwischen sechs Monaten und zwei Jahren (vgl. SEM, a.a.O., S. 28 m.w.Nachw.; Amnesty International, Eritrea: Just Deserters: Why Indefinite National Service in Eritrea Has Created a Generation of Refugees, 2.12.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/download/Documents/AFR6429302015ENGLISH.PDF, S. 9, 44). In den Haftanstalten kommt es zu Folter, die Haft erfolgt teilweise incommunicado (EASO, a.a.O., S. 42 u. 47 m.w.Nachw.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: August 2015, verfügbar über die Asyldokumentation des Gerichts). Bei der Haft handelt es sich um unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (mit diesem Ergebnis auch HRC, a.a.O., 2016, S. 7). Die Haftbedingungen sind prekär, im Bericht des European Asylum Support Office (EASO, a.a.O., S. 46f) heißt es dazu unter sorgfältiger Analyse des Quellenmaterials:

13

- „Einige Haftanstalten sind unterirdisch oder befinden sich in Schiffscontainern. In diesen kann es aufgrund des Klimas in Eritrea extrem heiß werden.
- Die Zellen sind oft derart überfüllt, dass sich die Häftlinge nur abwechselnd oder gar nicht hinlegen können.
- Die hygienischen Bedingungen sind schlecht. In manchen Gefängnissen gibt es anstelle einer Toilette nur ein Loch im Boden oder einen Kübel. Hofgang wird oft nicht erlaubt. Es gibt kaum medizinische Versorgung.
- Die Essensrationen sind klein und wenig nahrhaft, der Zugang zu Trinkwasser eingeschränkt.
- Teils werden die Häftlinge misshandelt oder gefoltert (…) und zu Zwangsarbeit eingesetzt.
- Angehörige haben häufig keinen Zugang zu den Häftlingen.
- Frauen werden üblicherweise getrennt von Männern untergebracht. Dennoch gibt es Berichte über sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung z.B. durch Wächter.
- Aufgrund dieser schwierigen Umstände kommt es Berichten zufolge immer wieder zu Todesfällen in Haft.“

14

c) Die Inhaftierung erfolgt aus Gründen der politischen Überzeugung. Dabei ist es gem. § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob der Asylsuchende tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

15

Personen, die Eritrea im dienstpflichtigen Alter illegal verlassen haben, droht Verfolgung nominell deswegen, weil sie mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben. Dass es sich dabei um eine Verfolgung aufgrund der politischen Überzeugung handelt, ergibt sich für die Kammer aber aus dem ideologischen Stellenwert, den der Nationaldienst als „Schule der Nation“ (vgl. EASO, a.a.O., S. 32) im eritreischen Staat einnimmt. Zweck das Nationaldienstes ist gemäß der Nationaldienst-Proklamation von 1995 u.a. „den Mut, die Entschlossenheit und das Heldentum, das unser Volk in den letzten dreißig Jahren gezeigt hat, zu erhalten und den künftigen Generationen weiterzugeben; eine Generation zu schaffen, die Arbeit und Disziplin liebt und am Wiederaufbau der Nation teilnehmen und dienen will; … das Gefühl der nationalen Einheit in unserem Volk zu stärken um sub-nationale Gefühle zu eliminieren“ (vgl. den Text der Proklamation bei EASO, a.a.O., S. 32). Wer sich dem Nationaldienst entzieht, wird folglich als politischer Gegner des Regimes betrachtet (HRC, a.a.O., S. 13 („Verrat“); VG Darmstadt, Urt. v. 6.10.2015, juris, Rn. 28; VG Minden, Urt. v. 13.11.2014, juris-Rn. 43-45; in diese Richtung auch VG Frankfurt, GB v. 4.2.2015, 8 K 2300/14.F.A, juris, UA S. 4; a.A. VG Braunschweig, Urt. v. 7.7.2015, 7 A 368/14, juris). Dafür spricht die Härte, mit der der eritreische Staat – ggf. auch noch Jahre nach den Vergehen – gegen Deserteure und Dienstverweigerer vorgeht, sowie die Tatsache, dass für Desertion regelmäßig auch Verwandte der Betroffenen zur Rechenschaft gezogen werden (vgl. EASO, a.a.O., S. 43 und den von VG Darmstadt, a.a.O., juris, Rn. 28, entschiedenen Sachverhalt).

16

2) Die Verfolgung als Deserteur bzw. Dienstverweigerer betrifft jedoch grundsätzlich nur Personen, die im dienstpflichtigen Alter Eritrea illegal verlassen (dazu a)), nicht aber Personen, die Eritrea bereits als Minderjährige verlassen haben (dazu b)).

17

a) Die Kammer geht aufgrund der Berichtslage davon aus, dass die dargestellte Verfolgung als Deserteur bzw. Dienstverweigerer sowohl Personen betrifft, die sich aus dem aktiven Dienst entfernt haben oder zu einer erfolgten Einberufung nicht erschienen sind, als auch solche Personen, die Eritrea im dienstpflichtigen Alter illegal verlassen haben.

18

Zwar sind Fälle, in denen tatsächlich eine Rückführung von Eritreern stattgefunden hat, selten, und gestatten die eritreischen Behörden Menschenrechtsbeobachtern keinen Zugang, sodass die Quellenlage eingeschränkt ist (vgl. SEM, a.a.O., S. 5f). Die vorliegenden Berichte belegen aber, dass mit Personen, die das Land illegal trotz ihrer grundsätzlich bestehenden Dienstpflicht verlassen haben, wie mit Deserteuren umgegangen wird (so im Ergebnis auch SEM, a.a.O., S. 5f).

19

So berichtet die Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (HRC, a.a.O., S. 25) von 313 Eritreern, die 2016 zwangsweise aus dem Sudan rückgeführt wurden. Alle Betroffenen wurden inhaftiert, auch jene, die vor ihrer Ausreise noch nicht zum Nationaldienst herangezogen worden waren. Auch das European Asylum Support Office geht davon aus, dass alle Personen im dienstpflichtigen Alter, welche Eritrea illegal verlassen haben, bei ihrer Rückkehr als Wehrdienstverweigerer angesehen werden (EASO, a.a.O., S. 43 mit Verweis auf einen Bericht des UNHCR von 2011). Das Staatssekretariat für Migration der Schweiz (SEM, a.a.O., S. 44), kommt vor diesem Hintergrund zu folgendem Schluss: „Personen im dienstpflichtigen Alter, welche den Dienst noch nicht angetreten haben oder dem Aufgebot keine Folge geleistet haben, sehen die Behörden als Dienstverweigerer an. Sie werden wohl für einige Monate inhaftiert und anschließend militärisch ausgebildet.“

20

Ebenso heißt es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes, (a.a.O., S. 15), dass, wenn einem Rückkehrer die (bloße) illegale Ausreise vorgeworfen wird, davon auszugehen ist, dass der Rückkehrer sich deswegen zu verantworten hat, was von einer bloßen Belehrung bis zur Haftstrafe führen könne. Dabei werden zwei Fälle von Rückkehrern angeführt, welche nach ihrer illegalen Ausreise in Haft genommen wurden, wobei in einem Fall der aktive Militärdienst bereits abgeleistet worden war.

21

Die Feststellungen decken sich auch mit der Einschätzung des Immigration and Refugee Board of Canada, welches in einem Bericht von 2015 mit Verweis auf Expertenmeinungen ausführt, dass (allgemein) dienstpflichtige Eritreer, die Eritrea nach der Einführung des Nationaldienstes 2002 verlassen haben, mit ihrer Inhaftierung zu rechnen haben (Refugee Board of Canada, Eritrea: Situation of People Returning to the Country After They Either Spent Time Abroad, Claimed Refugee Status, or Were Seeking Asylum (September 2014-June 2015), 18. November 2015, abrufbar unter http://www.refworld.org/publisher,IRBC,,ERI,577b6d024,0.html).

22

b) Es fehlt jedoch an Anhaltspunkten dafür, dass solche Personen, die Eritrea als Minderjährige – und insbesondere, wie die Klägerin, lange vor Beginn ihrer Dienstpflicht – verlassen haben, grundsätzlich ebenfalls als Deserteure bzw. Dienstverweigerer angesehen werden. Die zitierten Berichte von Inhaftierungen betreffen Personen, die Eritrea im dienstpflichtigen Alter verlassen hatten, enthalten aber keine Hinweise auf den Umgang mit der hier relevanten Personengruppe. Vielmehr heißt es im Bericht des Schweizer Staatssekretariats für Migration (SEM, a.a.O., S. 44): „Unklar ist, wie mit Personen verfahren wird, die als Minderjährige ausgereist oder im Ausland aufgewachsen sind und erst im dienstpflichtigen Alter nach Eritrea (zurück)reisen.“ Mangels weiterer Anhaltspunkte ist damit eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, bei der die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen, nicht festzustellen.

II.

23

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Erfolgsaussichten jedoch im Hinblick auf die im Hilfsantrag begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes.

24

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Bei der Prüfung, ob einem Ausländer der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, ist für die Verfolgungsprognose der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. oben, I.).

25

Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihr in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 droht (so auch die ganz überwiegende Praxis der Beklagten; anders – ohne weitergehende Würdigung der Natur des Nationaldienstes – VG München, Urt. v. 13.7.2016, M 12 K 16.31184, juris; VG Potsdam, Urt. v. 17.2.2016, VG 6 K 1995/15.A, Rn. 16, juris; VG Osnabrück, Urt. v. 18.8.2015, 5 A 465/16, juris). Wie oben, I.1)a), ausgeführt, hat die mittlerweile 20-jährige Klägerin im Fall ihrer Rückkehr nach Eritrea damit zu rechnen, dass sie zum Nationaldienst eingezogen wird. Bei dem eritreischen Nationaldienst handelt es sich um einen zeitlich unbefristeten Arbeitsdienst unter menschenrechtswidrigen Bedingungen (s.a. oben, a)), welcher als Zwangsarbeit und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu qualifizieren ist, im Gegensatz zu der Verfolgung wegen Desertion bzw. Dienstverweigerung jedoch alle dienstpflichtigen Eritreer unterschiedslos und ohne Anknüpfung an einen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe trifft. Die Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea führt dazu zutreffend aus, dass obligatorischer Militär- bzw. Nationaldienst zwar nicht zwangsläufig eine Menschenrechtsverletzung sei, sich der eritreische Nationaldienst jedoch von dem Militärdienst anderer Staaten unterscheide durch die unbegrenzte und willkürliche Dauer, die die gesetzlich vorgesehene Dauer von 18 Monaten regelmäßig um mehr als ein Jahrzehnt überschreite, durch die Heranziehung der Dienstpflichtigen in Form von Zwangsarbeit für ein weites Spektrum an wirtschaftlichen Tätigkeiten und durch die Begehung von Vergewaltigung und Folter in den Militärlagern sowie das Vorhandensein weiterer häufig unmenschlicher Bedingungen (HRC, a.a.O., S. 7). In ihrem ausführlichen Bericht weist die Commission of Inquiry auf die äußerst schwierigen sanitären und gesundheitlichen Bedingungen sowie mangelnde Ausstattung mit Lebensmitteln und Wasser während des militärischen Teils des Nationaldienstes hin, auf harte und willkürliche körperliche Strafen und die Heranziehung zum Dienst bzw. Bestrafung wegen Dienstverweigerung trotz nachgewiesener Erkrankungen (HRC, Detailed Findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 8. Juni 2016, A/HRC/32/CRP.1 abrufbar unter http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoIEritrea/A_HRC_32_CRP.1_read-only.pdf, S. 20ff). Das Auswärtige Amt verweist in seinem Lagebericht auf Berichte über sexuelle Nötigung bis hin zu Vergewaltigung weiblicher Rekruten; Beischlaf werde durch Androhung der Verschärfung der Dienstbedingungen oder die Verweigerung von Heimreisen erzwungen, die Weigerung führe zu Internierung, Misshandlungen und Folter, z.B. Nahrungsentzug oder dem Aussetzen extremer Hitze (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 12).

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.