Verwaltungsgericht Münster Beschluss, 16. Feb. 2015 - 9 L 1153/14.A
Verwaltungsgericht Münster
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
1
G r ü n d e
2I. Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 9 K 2779/14.A gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2014 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der zulässige – insbesondere fristgerecht erhobene - Antrag ist in der Sache unbegründet. Bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt im vorliegenden Fall das Vollziehungsinteresse. Im Rahmen summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sprechen überwiegende Gründe dafür, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 11. Dezember 2014 rechtmäßig sein und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen dürfte.
6a) Die Feststellung im streitgegenständlichen Bescheid, dass dem Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht, beruht auf § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Norm ist, wenn der Asylantrag nur nach § 26a AsylVfG abgelehnt wird, nur festzustellen, dass dem Ausländer auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Der Antragsteller, der aus Italien, einem sicheren Drittstaat i. S. v. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG, in die Bundesrepublik eingereist ist, ohne dass einer der Ausnahmefälle des § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG einschlägig ist, kann sich gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf das in Art. 16a Abs. 1 GG verankerte Asylgrundrecht berufen.
7b) Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass in Bezug auf eine Abschiebungsanordnung (§ 34a AsylVfG) des Antragstellers nach Italien, der in diesem Staat bereits als Flüchtling anerkannt worden ist (vgl. Bl. 57 BA: „…He was granted the refugee status in Italy…“) nicht die Vorschriften der VO (EU) Nr. 604/2013 anzuwenden sind,
8vgl. zur – zu verneinenden – Anwendung der VO (EU) Nr. 604/2013 auf Personen, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden sind, überzeugend Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 1. Aufl. 2014, K 22 zu Art. 2, unter Argumentation mit dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013,
9sondern – einfachrechtlich - die §§ 26a, 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG bzw. – verfassungsrechtlich – Art. 16a Abs. 2 GG (sog. Drittstaatenbescheid).
10c) Tatsächliche Umstände, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
11vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 u.a. -, juris, Rn. 189,
12ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des dem Art. 16a Abs. 2 GG zugrunde liegenden Konzepts normativer Vergewisserung berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind, hat der Antragsteller nicht dargelegt. Zwar sind auch Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greift, nicht vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat umfasst.
13Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 u.a. -, juris, Rn. 189.
14Auch hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
15vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 -, juris, Rn. 32; BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2333/08 u.a. -, juris, Rn. 88,
16im Urteil vom 21. Januar 2011 – Nummer 30696/09 – („M.S.S. gegen Belgien und Griechenland“) ausgeführt, dass er die Möglichkeit nicht ausgeschlossen hat, dass die Verantwortung eines Staates gemäß Art. 3 EMRK begründet werden kann in Bezug auf eine Behandlung, in deren Rahmen ein Antragsteller, der vollkommen von staatlicher Unterstützung abhängig ist, in einer Lage schwerwiegender Entbehrungen oder Not, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist, mit behördlicher Gleichgültigkeit konfrontiert wird.
17Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – Nummer 30696/09 – M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Rn. 253: “The Court reiterates that it has not excluded “the possibility that the responsibility of the State may be engaged [under Article 3] in respect of treatment where an applicant, who was wholly dependent on State support, found herself faced with official indifference in a situation of serious deprivation or want incompatible with human dignity”.”
18Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer jedoch nur dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen.
19Vgl. BVerfG, BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 u.a. -, juris, Rn. 190.
20Diesen Darlegungsanforderungen hat der volljährige Antragsteller nicht genügt. Nach summarischer Prüfung kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festgestellt werden, dass eine Ausnahmesituation, in der Italien gegenüber dem Antragsteller gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) verstößt, vorliegt.
21aa) Soweit sich dessen Vortrag auf die allgemeinen Lebensumstände von Asylbewerbern/Begünstigten internationalen Schutzes/Aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen in Italien bezieht, ist darauf zu verwiesen, dass das beschließende Gericht bereits mit Beschluss vom 11. Dezember 2014
22vgl. VG Münster, Beschluss vom 11. Dezember 2014 – 9 L 928/14.A -, juris,
23unter eingehender Auseinandersetzung mit der jüngeren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgeführt hat, dass es an seiner bisherigen (in sog. Dublin-Verfahren ergangenen) ständigen Rechtsprechung, dass wesentliche Gründe für die Annahme i. S. v. Art. 3 Abs. 2 UA 2 VO (EU) Nr. 604/2013, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, nach der im Eilverfahren möglichen Prüfungsdichte nicht generell vorliegen dürften, auch unter Berücksichtigung dieser jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festhält. Dem Prüfungsmaßstab des Art. 4 EU-Grundrechtecharta dürfte im vorliegenden Fall – streitgegenständlich ist hier keine Überstellung aufgrund eines sog. Dublin-Verfahrens, sondern ein sog. Drittstaatenbescheid – in der Sache Art. 3 EMRK entsprechen (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EU-Grundrechtecharta). An der bisherigen ständigen Kammerrechtsprechung – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Antragstellers Bl. 2 f. GA und Bl. 19 ff. GA – wird aus diesem Grund auch in der hiesigen Konstellation eines sog. Drittstaatenbescheids festgehalten.
24bb) Anhaltspunkte dafür, dass er sich in einer möglicherweise beachtlich in Erwägung zu ziehenden individuellen Sondersituation befindet, hat der volljährige Antragsteller nicht vorgetragen.
25d) Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruht auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Hinreichende Zweifel daran, dass die Abschiebung nach Italien im Sinne dieser Norm durchgeführt werden kann, bestehen im maßgeblichen Prüfungszeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylVfG) im Hinblick auf das Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 17. November 2014 (Bl. 140 BA) sowie die gesicherte Verwaltungsübung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien zur Durchführung entsprechender Überstellungen
26vgl. zu diesem Gesichtspunkt etwa Funke-Kaiser, in: AsylVfG, Band 3, § 34a AsylVfG Rn. 20,
27nicht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der schriftsätzlichen Ausführungen des Antragstellers Bl. 2 GA und Bl. 19 f. GA.
28II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben.
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(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
1
G r ü n d e
2I. Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 9 K 2349/14.A gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. Oktober 2014 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5A. Ob der Zulässigkeit des fristgerecht erhobenen Antrags entgegensteht, dass das Rechtsschutzbedürfnis fehlen könnte, da der Antragsteller sich ausweislich der Begründung des Antrags gegen eine Abschiebung nach Somalia wendet, die jedoch von der Antragsgegnerin nicht angedroht worden ist, kann offenbleiben.
6B. Der Antrag ist nämlich jedenfalls in der Sache unbegründet. Bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt im vorliegenden Fall das Vollziehungsinteresse. Im Rahmen summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sprechen überwiegende Gründe dafür, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 29. Oktober 2014 rechtmäßig sein und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen dürfte.
7Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet die Antragsgegnerin die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, wenn der Ausländer in diesen Staat abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Italien, ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, ist sicherer Drittstaat i. S. v. Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG und dürfte darüber hinaus nach summarischer Prüfung der zuständige Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens sein (§ 27a AsylVfG) (dazu im Folgenden).
8a) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die VO (EU) Nr. 604/2013 vorliegend anwendbar. Ihre Anwendbarkeit ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Antragsteller mit seinem angekündigten Verpflichtungsantrag im Hauptsacheverfahren 9 K 2349/14.A (lediglich) die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Somalia beantragt, nicht jedoch weitergehend die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG oder die Feststellung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 AsylVfG. Ob dies eine konkludente Rücknahme des Asylantrages darstellt, kann offen bleiben. Eine Rücknahme des Asylantrages dürfte nämlich dann keine Auswirkungen auf die weitere Anwendbarkeit der VO (EU) Nr. 604/2013 haben, wenn in einem Mitgliedstaat bereits ein Asylantrag gestellt wurde und nachfolgend ein in einem anderen Mitgliedstaat gestellter (weiterer) Asylantrag zurückgenommen wird.
9Vgl. etwa VG Göttingen, Beschluss vom 21. Oktober 2013 – 2 B 828/13 -, juris, Rn. 4; VG Münster, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – 3 L 925/14.A -.
10Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach die – der VO (EU) Nr. 604/2013 vorhergehende - VO (EG) Nr. 343/2003 dahin auszulegen ist, dass die Rücknahme eines Asylantrags im Sinne ihres Art. 2 Buchst. c, die erfolgt, bevor der für die Prüfung dieses Antrags zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat, zur Folge hat, dass diese Verordnung nicht mehr anzuwenden ist,
11vgl. EuGH, Urteil vom 3. Mai 2012 – C-620/10 -, juris („Kastrati“),
12erfasst nämlich ausschließlich Fälle, in denen von Anfang an nur ein Asylantrag gestellt worden war und dieser zurückgenommen wurde, bevor die Zustimmung des an sich zuständigen Mitgliedstaats erfolgte. In dem vom EuGH entschiedenen Sachverhalt war lediglich ein Asylantrag in Schweden, jedoch kein Asylantrag im aufnahmebereiten Mitgliedstaat Frankreich gestellt worden, und nur der in Schweden gestellte Asylantrag vor Zustimmung der französischen Stellen zur Aufnahme zurückgenommen worden. Anders liegt der Fall hier: Der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens, der ausweislich seines Eurodac-Treffers der Kategorie 1 (Bl. 38 BA) bereits in Italien einen Asylantrag gestellt haben muss (vgl. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 VO (EG) Nr. 407/2002), stellte in der Bundesrepublik Deutschland am 16. April 2014 einen weiteren Asylantrag (Bl. 3 BA).
13Unabhängig davon hat der EuGH auch – wie oben bereits ausgeführt - ausdrücklich entschieden, dass die VO (EG) Nr. 343/2003 dahin auszulegen ist, dass die Rücknahme eines Asylantrags im Sinne ihres Art. 2 Buchst. c, die erfolgt, bevor der für die Prüfung dieses Antrags zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat, zur Folge hat, dass diese Verordnung nicht mehr anzuwenden ist. Im Umkehrschluss dürfte dies bedeuten, dass die VO (EG) Nr. 343/2003 (bzw. nunmehr die VO (EU) Nr. 604/2013) nach wie vor anzuwenden ist, wenn der Antragsteller den Asylantrag erst zurücknimmt, nachdem der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedsstaat der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat.
14Vgl. VG Minden, Beschluss vom 18. Juli 2012 – 1 L 268/12.A -, juris, Rn. 15 ff.; VG Augsburg, Urteil vom 11. Januar 2013 – Au 6 K 12.30358 -, juris, Rn. 32; anders etwa – jedoch im Widerspruch zur ausdrücklichen Formulierung des EuGH „bevor“ - VG Hamburg, Urteil vom 17. März 2014 – 8 A 445/14 -, juris, Rn. 23 ff.
15b) Der von der Antragsgegnerin fristgerecht gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b) i. V. m. Art. 23 Abs. 2 UA 1 VO (EU) Nr. 604/2013 gestellte, auf Angaben aus dem Eurodac-System gestützte Wiederaufnahmeantrag ist von der Italienischen Republik nicht innerhalb der in Art. 25 Abs. 1 Satz 2 VO (EU) Nr. 604/2013 normierten zweiwöchigen Frist beantwortet worden, so dass gem. Art. 25 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 Italien zuständig geworden ist.
16c) Wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen (Art. 3 Abs. 2 UA 2 VO (EU) Nr. 604/2013), dürften bei summarischer Prüfung nicht bestehen.
17aa) Die beschließende Kammer hat unter eingehender Würdigung der tatsächlichen Erkenntnislage und unter Auseinandersetzung auch mit der obergerichtlichen Judikatur bislang in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass wesentliche Gründe für die Annahme i. S. v. Art. 3 Abs. 2 UA 2 VO (EU) Nr. 604/2013, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, nach der im Eilverfahren möglichen Prüfungsdichte zum gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylVfG) nicht generell vorliegen dürften, und vereinzelt bestehende Unzulänglichkeiten in Italien keinen systemischen Schwachstellen gleichstehen dürften.
18Vgl. etwa VG Münster, Beschlüsse vom 6. Mai 2014 - 9 L 288/14.A -, 31. März 2014 - 9 L 165/14.A -, 27. März 2014 - 9 L 204/14.A -, vom 26. Februar 2014 - 9 L 56/14.A -, vom 7. Februar 2014 - 9 L 2/14.A -, vom 14. Januar 2014 ‑ 9 L 809/13.A -, vom 18. November 2013 - 9 L 689/13.A -, vom 24. Juni 2013 - 9 L 322/13.A -, vom 2. April 2013 - 9 L 163/13.A -, und vom 28. Februar 2012 - 9 L 85/12.A -; vgl. ferner aus der obergerichtlichen Rspr. etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 ‑ 1 A 21/12.A -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 30. Januar 2014 ‑ 4 LA 167/13 -, juris.
19Der Einzelrichter hält an dieser Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung der neueren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (dazu sogleich) nach im Eilverfahren nur möglicher und gebotener summarischer Prüfung grundsätzlich fest.
20bb) Die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
21BVerfG, Beschlüsse vom 17. September 2014 – 2 BvR 939/14 – und – 2 BvR 1795/14 -, juris,
22dürfte diesem Ergebnis nicht generell entgegenstehen. Aus ihr dürfte lediglich folgen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen hat, der Tatsache, dass gegenwärtig – so das Bundesverfassungsgericht – aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung in Italien bestehen dürften, angemessen Rechnung zu tragen hat, indem es vor dem Hintergrund der berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen allgemein besonders zu beachtenden Gesichtspunkte der Familieneinheit und des Kindeswohls (vgl. etwa Erwägungsgrund 16 der VO (EU) Nr. 604/2013) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen hat, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen. Zu einer derartigen Personengruppe zählt der nach eigenen Angaben im Jahre 1990 geborene Antragsteller nicht.
23cc) Auch die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
24EGMR (Große Kammer), Urteil vom 4. November 2014 – Nr. 29217/12 – (Tarakhel ./. Schweiz)
25dürfte der Judikatur der Kammer nicht generell entgegenstehen. Vielmehr hat der EGMR in o.g. Urteil sinngemäß u.a. ausgeführt, dass die gegenwärtige Situation in Italien in keinerlei Weise mit der Situation in Griechenland zur Zeit des M.S.S. Urteils vergleichbar sei („… the current situation in Italy can in no way be compared to the situation in Greece at the time of the M.S.S. judgment…”(Rn. 114)) und die Struktur und Gesamtsituation der Aufnahmeeinrichtungen in Italien nicht als solche jegliche Überstellungen von Asylsuchenden nach Italien ausschließen könnten („… the structure and overall situation of the reception arrangements in Italy cannot therefore in themselves act as a bar to all removals of asylum seekers to that country…”(Rn. 115)). Angesichts dessen, dass – so der EGMR weiter sinngemäß – dennoch ernsthafte Bedenken in Bezug auf die gegenwärtigen Kapazitäten des Systems bestünden („… the data and information set out above nevertheless raise serious doubts as to the current capacities of the system“(Rn. 115)) und ausgehend davon, dass Asylbewerber eine besonders unterprivilegierte und verletzliche Bevölkerungsgruppe bildeten, die speziellen Schutz benötigten („… as a „particularly underprivileged and vulnerable“ population group, asylum seekers require „special protection“…“,(Rn. 118)), und dieses Erfordernis in Bezug auf Kinder – und zwar auch dann, wenn sie von ihren Eltern begleitet würden - besonders bedeutsam sei („This requirement of „special protection” of asylum seekers is particularly important when the persons concerned are children… This applies even when, as in the present case, the children seeking asylum are accompanied by their parents” (Rn. 119)), folgert der EGMR (lediglich) sinngemäß, dass die Aufnahmebedingungen für Kinder deren Alter angepasst werden müssten, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK auszuschließen („…the reception conditions for children seeking asylum must be adapted to their age… Otherwise, the conditions in question would attain the threshold of severity required to come within the scope of the prohibition under Article 3 of the Convention” (Rn. 119)), und kommt dementsprechend in dem von ihm entschiedenen Fall einer afghanischen Familie, bestehend aus einem Ehepaar und ihren sechs minderjährigen Kindern, deren Überstellung aus der Schweiz nach Italien in Streit stand, (lediglich) zu dem Ergebnis, dass es den schweizerischen Behörden obliege, Garantien der italienischen Behörden zu erlangen, dass die Antragsteller in Italien in Einrichtungen und unter Bedingungen, die dem Alter der Kinder angemessen seien, empfangen werden, und dass die Familieneinheit gewahrt werde („It is therefore incumbent on the Swiss authorities to obtain assurances from their Italian counterparts that on their arrival in Italy the applicants will be received in facilities and in conditions adapted to the age of the children, and that the family will be kept together” (Rn. 120)); sollten die Antragsteller nach Italien überstellt werden, ohne dass die schweizerischen Behörden zunächst entsprechende Garantien erhalten hätten, so begründete dieser Umstand eine Verletzung von Art. 3 EMRK („It follows that, were the applicants to be returned to Italy without the Swiss authorities having first obtained individual guarantees from the Italian authorities that the applicants would be taken charge of in a manner adapted to the age of the children and that the family would be kept together, there would be a violation of Article 3 of the Convention” (Rn. 122)).
26Ungeachtet der Frage, bis zu welchem Alter diese Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Kinder Geltung beansprucht, und ungeachtet der weiteren Frage nach der innerstaatlichen Bindungswirkung von Urteilen des EGMR zählt der volljährige Antragsteller des vorliegenden Verfahrens aufgrund seines Alters von vornherein nicht zu der Personengruppe, auf die sich das o.g. Urteil des EGMR bezieht.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.