Verwaltungsgericht Münster Urteil, 04. Juli 2014 - 20 K 2384/13.BDG
Verwaltungsgericht Münster
Tenor
Die Dienstbezüge des Beklagten werden wegen Dienstvergehens auf die Dauer eines Jahres um 5 von Hundert gekürzt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und der Beklagte jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet
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T a t b e s t a n d:
2Der am 0000 geborene Beklagte trat am 1. September 1967 in den Dienst der E. C. ein. Seit dem 15. Februar 1980 ist er Beamter auf Lebenszeit. Zum 31. März 1995 wurde er zum Posthauptsekretär befördert. Er war vornehmlich im Schalterdienst eingesetzt. Ab dem 1. Juli 2010 wurde der Beklagte der Q. -G. -GmbH zugewiesen und leistete in der Folgezeit seinen Dienst in den Filialen E1. , B. und T. , wo er bis zum 15. Februar 2012 als Schalterbeamter eingesetzt war. Ab dem 16. Februar 2012 wurde er dem Paketzentrum H. , Abteilung F. , zugewiesen.
3In seiner letzten dienstlichen Beurteilung vom 27. Januar 2010 für das Jahr 2009 wurden seine Leistungen mit 8 Punkten – „übertrifft die Anforderungen“ – bewertet.
4Der Beklagte befand sich in dem Zeitraum vom 1. März 2008 bis zum 28. Februar 2013 in der Arbeitsphase der Altersteilzeit. Mit dem 1. März 2013 begann die Ruhephase der Altersteilzeit, die am 28. Februar 2018 enden wird. Seine Bezüge betrugen im März 2012 1.636,72 Euro netto zuzüglich eines Altersteilzeitzuschlags von 706,32 Euro.
5Der Beklagte ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
6Er ist bisher weder disziplinarisch noch strafrechtlich vorbelastet.
7Mit Verfügung vom 2. März 2012, zugestellt am 10. März 2012, leitete der Gebietsbeauftragte für Disziplinarverfahren, Service-Niederlassung I. S. E2. , ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein. Ihm wurde mitgeteilt, dass gegen ihn der Verdacht bestehe, im Zeitraum Dezember 2011 bis Januar 2012 als T1. privat beschaffte Postwertzeichen im Gesamtwert von 198,00 Euro an Postkunden verkauft und die Erlöse nicht abgerechnet, sondern für sich behalten zu haben und in demselben Zeitraum Erlöse aus dem Verkauf von mit dem Labeldrucker erzeugten Digitalmarken in Höhe von mindestens 100,00 Euro nicht abgerechnet, sondern ebenfalls für sich behalten zu haben.
8Am 15. Februar 2012 war der Beklagte mit diesen Vorwürfen konfrontiert worden und hatte sie eingeräumt. Daraufhin erstattete die Dienstvorgesetzte am 22. Februar 2012 Strafanzeige gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue und des Betruges. Das Verfahren wurde bei der Staatsanwaltschaft N. unter dem Aktenzeichen 0000 geführt. Nachdem der Beklagte Schadenswiedergutmachung in Höhe von 150,00 Euro geleistet hatte und dies der Staatsanwaltschaft mitgeteilt worden war, wurde das strafrechtliche Ermittlungsverfahren durch Verfügung vom 14. Juni 2012 gemäß § 153 Abs. 1 der Strafprozessordnung wegen geringen Verschuldens eingestellt.
9Am 17. August 2012 wurde dem Beklagten das Ermittlungsergebnis im Disziplinarverfahren mitgeteilt; ihm wurde Gelegenheit zu Stellungnahme gegeben, von der der Beklagte Gebrauch machte. Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 17. Mai 2013 auf die Möglichkeit der Beteiligung des Personalrats hingewiesen worden war, wurden dem Betriebsrat die Ermittlungsakten nebst Entwurf der Disziplinarklage zur Stellungnahme zugeleitet. Der Betriebsrat teilte unter dem 14. Juni 2013 mit, er halte eine Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis wegen der ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzung nicht für angemessen. Die Klägerin nahm diese Stellungnahme zur Kenntnis und beantwortete sie. Am 23. Juli 2013 hat sie Disziplinarklage erhoben.
10Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe ein schweres Dienstvergehen dadurch begangen, dass er gegen seine Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung durch den Privatverkauf von Postwertzeichen im Wert von insgesamt 198,00 Euro verstoßen habe. Dadurch sei bei ihr ein Schaden in gleicher Höhe eingetreten. Zudem habe der Beklagte bei der Abrechnung von Freimachungs-Aufklebern, sogenannten Labeldruckern, Erlöse von mindestens 20,00 Euro bis 30,00 Euro veruntreut. Die von dem Beklagten zu seiner Entlastung angeführten Gesichtspunkte der langjährigen beanstandungsfreien Pflichterfüllung und des nur in geringer Höhe eingetretenen Schadens seien nicht so gewichtig, dass sie das Gewicht des als Einheit zu betrachtenden Dienstvergehens mindern und den eingetretenen Vertrauensverlust, der die disziplinare Höchstmaßnahme erfordere, beseitigen könnten.
11Die Klägerin beantragt,
12den Beklagten aus dem Dienst zu entfernen.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er ist der Ansicht, eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei unverhältnismäßig. Er sei bereits mehr als 46 Jahre im Dienst und habe sich noch nie etwas zu Schulden kommen lassen. Ende 2011 habe er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden, da er sich durch Versetzungen kurz vor dem Ende seiner aktiven Phase der Altersteilzeit schikaniert gefühlt habe. Er habe zudem den Verkauf der Briefmarken, die er zuvor von einem Kollegen für 150,00 Euro gekauft habe, nicht als rechtswidrig angesehen. Er selbst habe dadurch nur einen kleinen finanziellen Vorteil in Höhe von 48,00 Euro gehabt. Es sei bei der Klägerin auch kein Vermögensschaden entstanden, da sie mit der Übergabe der Postwertzeichen an den Kollegen, die Möglichkeit geschaffen habe, Briefsendungen mit diesen Postwertzeichen zu befördern. Die von ihm ausgedruckten und nicht abgerechneten Digitalmarken hätten einen Wert von höchstens 20,00 Euro bis 30,00 Euro gehabt und seien nur für seine eigenen Briefsendungen verwandt worden.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Die zulässige Disziplinarklage ist im Umfang der ausgesprochenen Disziplinarmaßnahme begründet.
19I.
20In tatsächlicher Hinsicht geht das Gericht von folgendem Sachverhalt aus:
211. Tatkomplex: Briefmarkenverkauf
22Etwa im Dezember 2011 verkaufte der mit dem Beklagten bekannte Postbetriebsassistent K. B1. aus D. diesem 40 Klappkarten mit jeweils 9 Sonderbriefmarken, insgesamt 360 Briefmarken zu 0,55 Euro, die einen Verkaufswert von insgesamt 198,00 Euro hatten, für 150,00 Euro. Die Sonderbriefmarken waren dem Postbeamten B1. nach seiner Zeugenaussage im disziplinaren Ermittlungsverfahren zuvor als dienstliche Anerkennung für von ihm gemachte Verbesserungsvorschläge überreicht worden. In den folgenden Wochen - von Dezember 2011 bis Januar 2012 - veräußerte der Beklagte, der als T1. in der Postfiliale E1. eingesetzt war, diese Briefmarken am Postschalter zu ihrem Nennwert an eine nicht feststellbare Anzahl von Postkunden und vereinnahmte die Erlöse, insgesamt 198,00 Euro, selbst.
232. Tatkomplex: Digitalmarken
24Der in der Postfiliale E1. für den Verkauf von Freimachungs-Aufklebern eingesetzte Labeldrucker war mit folgendem Fehler behaftet: überstieg die Zahl der zu druckenden Label (Digitalmarken) die auf der Labelrolle noch vorhandene Stückzahl, wurde die vorhandene Anzahl gedruckt, ohne dass deren Wert vom System gebucht wurde. Erst mit dem Einsatz einer neuen Labelrolle im Drucker erfolgte die Buchung der verkauften Digitalmarken im Abrechnungssystem; die auf der alten Labelrolle noch vorhanden gewesene Restzahl von Digitalmarken konnte gedruckt werden, ohne dass der Gegenwert eingenommen werden musste, da insoweit keine Buchung erfolgte.
25Der Beklagte hatte diesen Fehler entdeckt, zwar eine Kollegin darüber informiert, jedoch nicht darauf hingewirkt, dass der Fehler behoben wurde. Der Beklagte nutzte vielmehr den Mangel im Labeldruckersystem zu seinem eigenen Vorteil aus, indem er in einer nicht konkret feststellbaren Anzahl von Fällen restliche „Digitalmarken“ am Ende einer Labelrolle ausdruckte, ohne deren Gegenwert zu verbuchen. Zugunsten des Beklagten – und weil andere Feststellungen nicht getroffen werden konnten – ist entsprechend seinen eigenen Angaben zugrundegelegt worden, dass er auf diese Weise nicht gebuchte Digitalmarken zu einem Gesamtwert von 20,00 Euro bis 30,00 Euro ausdruckte. Ob der Beklagte diese Digitalmarken an Postkunden verkaufte und die erzielten Einnahmen aus der Kasse entnahm oder ob er, wie er angegeben hat, die gedruckten Label zum Freimachen eigener Briefe einsetzte, konnte nicht sicher festgestellt werden. Dem Dienstherrn entstand hierdurch ein Schaden in Höhe von mindestens 20,00 Euro.
26Der Beklagte handelte in beiden Tatkomplexen bei allen Einzelhandlungen vorsätzlich und schuldhaft. Konkrete Anhaltspunkte, die für eine Aufhebung oder auch nur erhebliche Verminderung seiner Schuldfähigkeit bei seinen Handlungen sprechen würden, sind weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.
27II.
28Die disziplinarrechtliche Würdigung des so festgestellten Sachverhalts ergibt, dass sich der Beklagte eines erheblichen - einheitlichen - Dienstvergehens im Kernbereich seiner Pflichten schuldig gemacht hat. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) begeht ein Beamter ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt. Sowohl durch den „Privatverkauf“ von Postwertzeichen als auch durch das unberechtigte Drucken von Digitalmarken – jeweils zu seinem eigenen Vorteil – hat der Beklagte gegen die in § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG normierte Pflicht zu uneigennütziger Amtsführung ebenso verstoßen wie gegen die sich aus § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG ergebende Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten.
291. Tatkomplex
30Durch den „Privatverkauf“ von 360 Briefmarken in seiner Eigenschaft als T1. der E. Post AG und die Vereinnahmung der erzielten Erlöse hat der Beklagte jedenfalls die Pflicht zu uneigennütziger Amtsführung gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG und die allgemeine Wohlverhaltenspflicht gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG verletzt und dabei das Vertrauen des Dienstherrn in seine Integrität in erheblicher Weise missbraucht. Durch sein unlauteres und eigennütziges Verhalten hat er darüber hinaus auch das Vertrauen der Postkunden in die ordnungsgemäße Abwicklung des Geschäftsverkehrs der Post getäuscht.
31Allerdings ist der E. Q1. AG - entgegen der Auffassung der Klägerin - durch diese Handlungen kein Schaden entstanden. Die Briefmarken waren bereits durch die Hingabe als Leistungsprämie in den Geschäftsverkehr gebracht worden und nicht mehr im Vermögen der Klägerin enthalten. Wie diese Postwertzeichen nach der Übergabe als Leistungsprämie verwandt wurden, entzog sich der Einflussmöglichkeit der Klägerin. Es ist insoweit weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der Postbeamte B1. die ihm zuteil gewordene Anerkennung in Form von Briefmarken nur für eigene Zwecke, d.h. etwa zur Freimachung von eigenen Briefen, hätte einsetzen dürfen. Der durch ihn getätigte Verkauf der Postwertzeichen an den Beklagten verminderte das Vermögen der Klägerin ebenso wenig wie ihr späterer Weiterverkauf durch den Beklagten.
32Die diesbezügliche Behauptung der Klägerin, der Vermögensschaden sei der Postkasse in Höhe des entgangenen Betrages von 198,00 Euro entstanden, weil die Postwertzeichen für den Beklagten unverkäuflich gewesen seien, ist unsubstantiiert geblieben. Durch die in der mündlichen Verhandlung dazu geäußerte Auffassung des Klägervertreters, es sei doch selbstverständlich, dass ein Postbeamter (der Postbeamte B1. ) derartige Prämien nicht veräußern dürfe, ist der klägerische Vortrag weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht konkretisiert worden. Die Kammer hat deshalb keinen Anlass gesehen, der Behauptung der Klägerin zur Unverkäuflichkeit der als Leistungsprämie hingegebenen Postwertzeichen von Amts wegen nachzugehen.
33Gegen die Darstellung der Klägerin in diesem Punkt spricht zudem, dass die entsprechende Zeugenaussage des Postbeamten B1. , er habe die als Leistungsprämie erhaltenen Briefmarken an den Beklagten für 150,00 Euro verkauft, in dem gegen den Beklagten gerichteten Disziplinarverfahren bereits am 19. März 2012 vorlag, ohne dass gegen den Postbeamten B1. - soweit aus den vorliegenden Akten ersichtlich - in der Folgezeit ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder andere Maßnahmen ergriffen worden wäre. Wenn aber der dem Dienstherrn bekanntgewordene Privatverkauf von Postwertzeichen durch den Postbeamten B1. ohne disziplinar- oder beamtenrechtliche Folgen blieb, wovon mangels anderweitigen Vortrags auszugehen war, hätte die Behauptung, die Postwertzeichen seien für den Beklagten unverkäuflich gewesen, weiterer Substantiierung bedurft. Mit der Weitergabe oder dem Verkauf durch den Prämienempfänger an einen Dritten musste der Dienstherr auch rechnen, weil er vernünftigerweise nicht davon ausgehen konnte, die Menge von 360 Briefmarken werde durch eine Einzelperson nur bestimmungsgemäß zur Freimachung eigener Sendungen verwendet werden.
34Da ein Schaden bei der Klägerin nicht eingetreten ist, kann dem Beklagten weder ein die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indizierendes Zugriffsdelikt noch ein dem Zugriffsdelikt gleichgestelltes Delikt angelastet werden. Ein Zugriffsdelikt liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann vor, wenn ein Beamter auf Bargeld oder gleichgestellte Werte, die ihm dienstlich anvertraut sind, zugreift und damit den wertmäßigen Bestand der von ihm geführten Kasse unmittelbar verkürzt. Dies gilt etwa dann, wenn der Beamte dienstlich anvertrautes Geld oder Gut unterschlägt, was hier nicht der Fall ist. Aber auch eine Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt kommt nicht in Betracht, da hierfür Voraussetzung wäre, dass der Beamte den kassenmäßigen Bestand seines Dienstherrn auf andere Weise als durch unmittelbaren Zugriff auf Bargeld oder gleichgestellte Waren vermindert.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 6 Februar 2001 - 1 D 67.99 -, und Beschluss vom 23. Februar 2012 -2 B 143/11 - juris.
36Aber auch wenn der Beklagte der Klägerin durch den „Privatverkauf“ der Postwertzeichen keinen Vermögenschaden zufügte, beging er ein schwerwiegendes Dienstvergehen, da er in seiner Eigenschaft als T1. ohne Erlaubnis dienstliche Einrichtungen zur persönlichen Gewinnerzielung nutzte und sowohl den Dienstherrn als auch eine Vielzahl von Postkunden täuschte.
372. Tatkomplex
38Der Beklagte hat sich jedoch eines Zugriffsdelikts schuldig gemacht, soweit er den zum Drucken von Digitalmarken zur Verfügung stehenden Labeldrucker nicht ordnungsgemäß zum eigenen finanziellen Vorteil einsetzte. Hierbei kann es dahinstehen, ob er die beim Verkauf der Digitalmarken eingenommenen Geldbeträge, die auf Grund eines Systemfehlers des Labeldruckers nicht ordnungsgemäß in der Kasse gebucht wurden, aus der Kasse entnahm oder ob er die nicht gebuchten Digitalmarken für die Freimachung eigener Postsendungen verwendete, ohne den entsprechenden Betrag in die Kasse einzulegen. In jedem Fall trat eine unmittelbare Verkürzung des wertmäßigen Kassenbestandes des Dienstherrn ein.
39Allerdings ist die Schwelle zur Geringwertigkeit, die nach der Rechtsprechung bei etwa 50,00 Euro anzusiedeln ist, weder bei den jeweiligen Einzeltaten, deren Anzahl nicht festgestellt werden konnte, noch in der Gesamtschau aller Handlungen erreicht. Die konkrete Höhe des eingetretenen Schadens war bei der Entdeckung der Taten nicht mehr zu ermitteln. Insofern war die Einlassung des Beklagten, er habe Digitalmarken zu einem Wert von höchsten 20,00 Euro bis 30,00 Euro ohne Buchung ausgedruckt, zu seinen Gunsten als richtig zugrundezulegen.
40III.
41Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Dabei ist die Schwere des Dienstvergehens nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG Richtschnur für die Maßnahmebemessung. Bei einem einheitlichen Dienstvergehen, das aus unterschiedlichen Tathandlungen besteht, ist das schwerer wiegende Delikt, hier das Zugriffsdelikt in dem 2. Tatkomplex, maßgebend.
42Ein Zugriffsdelikt, d.h. die Unterschlagung oder Veruntreuung amtlich anvertrauter Gelder und Werte, zieht nach der Schwere des Vergehens im Regelfall die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich, wenn die veruntreuten Beträge oder Werte die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteigen.
43vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2014 - 2 B 87/13 – m.w.N., juris.
44Die Indizwirkung des Zugriffsdelikts für die Entfernung des Beamten aus dem Dienst greift demnach dann nicht, wenn der Zugriff geringwertige Beträge oder Werte betrifft. Dies ist hier gegeben, da der Beklagte nach seinen nicht zu widerlegenden Angaben lediglich insgesamt 20,00 Euro bis 30,00 Euro aus der Kasse entnahm.
45Danach steht zur angemessenen Ahndung der einheitlichen Dienstpflichtverletzung der gesamte Maßnahmenkatalog des § 5 BDG zur Verfügung. Ausgangspunkt für die Bemessung ist die Schwere des Dienstvergehens, wobei maßgeblich auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen ist. Hierfür können objektive (Eigenart und Bedeutung der Pflichtverletzung, Anzahl der Verfehlungen, besondere Umstände der Tatbegehung) und subjektive Handlungsmerkmale (Form und Gewicht der Schuld) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte bestimmend sein. Daneben kommt es auch auf das Persönlichkeitsbild, d.h. die persönlichen Verhältnisse des Beamten und sein sonstiges Verhalten vor, bei und nach dem Dienstvergehen an.
46Sowohl durch den „Privatverkauf“ von 360 Briefmarken an Postkunden als auch durch die rechtswidrige Ausnutzung eines Fehlers des Labeldruckers für Digitalmarken hat der Beklagte hat die Pflicht zu uneigennütziger Amtsführung und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verstoßen. Hierbei handelte es sich nicht um eine bloße Bagatellverfehlung des Beklagten, auch wenn sowohl der bei seinem Dienstherrn hervorgerufene Schaden als auch der von ihm rechtswidrig erlangte Vermögensvorteil gering waren. Durch die Handlungen des Beklagten wurde nämlich das Vertrauen seines Dienstherrn in seine Integrität in gravierender Weise berührt. Erschwerend war hier zu berücksichtigen, dass der Beklagte in einer – nicht zu ermittelnden – Vielzahl von Fällen handelte, wobei er sich in jedem Einzelfall neu über die ihm bekannten Dienstpflichten hinwegsetzte.
47Dem stehen jedoch gewichtige Milderungsgründe gegenüber. Der Beklagte hat sich in seiner mehr als 46 Jahre währenden Dienstzeit weder disziplinarisch noch strafrechtlich etwas zu Schulden kommen lassen. Er hat, als er mit den Vorwürfen konfrontiert wurde, ein Geständnis abgelegt und kurz darauf tätige Reue gezeigt, indem er Schadenswiedergutmachung in Höhe von 150,00 Euro leistete.
48Die gebotene prognostische Gesamtwürdigung aller für und gegen den Beklagten sprechender Umstände ergibt, dass das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die Integrität des Beklagten zwar erheblichen Schaden genommen hat, aber noch nicht endgültig und vollständig zerstört ist. Die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kam deshalb nicht in Betracht, vielmehr erschien eine pflichtenmahnende Maßnahme angemessen. Bei deren Bestimmung sprach zu Gunsten des Beklagten auch der Umstand, dass er sich im Rahmen seiner Altersteilzeit nach dem Blockmodell bereits in der Ruhephase befindet und deshalb das Bedürfnis für eine strenge Mahnung zur Vermeidung zukünftigen Fehlverhaltens im Dienst geringer geworden ist.
49Angesichts all dessen erschien eine Kürzung der Dienstbezüge als schuldangemessene und persönlichkeitsgerechte Ahndung des festgestellten Dienstvergehens, wobei der Kürzungsbruchteil von 5 von Hundert sich an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts orientiert.
50s. BVerwG, Urteil vom 21. März 2001 - 1 D 29/00 -, juris.
51Mit der festgesetzten Dauer von einem Jahr wird der gebotenen Pflichtenmahnung in hinreichender Weise Rechnung getragen.
52IV.
53Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 3 BDG i.V.m. §§ 167 VWGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Außerhalb des Dienstes ist dieses nur dann ein Dienstvergehen, wenn die Pflichtverletzung nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
(2) Bei Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten sowie früheren Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen gilt es als Dienstvergehen, wenn sie
- 1.
sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen, - 2.
an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, - 3.
gegen die Verschwiegenheitspflicht, gegen die Anzeigepflicht oder das Verbot einer Tätigkeit nach Beendigung des Beamtenverhältnisses oder gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen verstoßen oder - 4.
einer Verpflichtung nach § 46 Absatz 1, 2, 4 oder 7 oder § 57 schuldhaft nicht nachkommen.
(3) Die Verfolgung von Dienstvergehen richtet sich nach dem Bundesdisziplinargesetz.
(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben das ihnen übertragene Amt uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Finanzen sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz werden ermächtigt, jeweils für ihren Geschäftsbereich die Einzelheiten zu den Sätzen 2 bis 4 durch Rechtsverordnung zu regeln. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.
(3) Beamtinnen und Beamte sind verpflichtet, an Maßnahmen der dienstlichen Qualifizierung zur Erhaltung oder Fortentwicklung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten teilzunehmen.
Gründe
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Die Beschwerde der Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Das Berufungsurteil beruht auf dem gerügten Verfahrensmangel der unzureichenden Sachaufklärung (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 69 BDG i.V.m. § 58 Abs. 1 BDG, § 86 Abs. 1 VwGO). Dagegen liegt die von der Beklagten gerügte Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor.
- 2
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte, eine bei der DB Personenverkehr GmbH am Fahrkartenschalter eingesetzte Bundesbahnobersekretärin, aus dem Beamtenverhältnis entfernt, nachdem sie das Verwaltungsgericht erstinstanzlich in das Amt einer Bundesbahnsekretärin zurückgestuft hatte. Dem liegt die Feststellung zugrunde, dass die Beklagte von einem Kunden, der mehrere Fahrkarten gekauft hatte, einen überhöhten Gesamtpreis unter Einbeziehung einer nicht gekauften Fahrkarte zum Preis von 182 € vereinnahmt, später diesen Fahrkartenkauf storniert und den überzahlten Betrag für private Zwecke verwendet hatte. Das Oberverwaltungsgericht hat die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Disziplinarmaßnahme angesehen, weil das Fehlverhalten der Beklagten einer Unterschlagung amtlich anvertrauten Geldes (sog. Zugriffsdelikt) gleichstehe und weder ein anerkannter Milderungsgrund noch sonstige mildernde Umstände von erheblichem Gewicht vorlägen.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beklagte geltend, die Gleichstellung des Fehlverhaltens mit einem Zugriffsdelikt stehe in Widerspruch zu dem Urteil vom 6. Februar 2001 - BVerwG 1 D 67.99 - (Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 24). Die Bemessungsgrundsätze des Oberverwaltungsgericht ließen sich nicht mit den Vorgaben des Urteils vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1) vereinbaren. Zudem habe das Oberverwaltungsgericht den bemessungsrelevanten Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Es habe trotz eindeutiger Anhaltspunkte für das Vorliegen einer seelischen Störung der Beklagten versäumt zu prüfen, ob zum Tatzeitpunkt eine erhebliche Verminderung ihrer Schuldfähigkeit anzunehmen sei. Auch den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen der Beklagten sei das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen.
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Die gerügte Divergenz zu den genannten Urteilen liegt nicht vor, weil das Berufungsurteil nicht auf einen Rechtssatz gestützt ist, der von einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne eines prinzipiellen Auffassungsunterschieds abweicht (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26). Dies gilt sowohl für die Einordnung des Dienstvergehens der Beklagten als Zugriffsdelikt als auch für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme.
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Nach der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts begeht ein Beamter ein Zugriffsdelikt, wenn er auf Bargeld oder gleichgestellte Werte zugreift, die ihm dienstlich anvertraut oder zugänglich sind, und damit den wertmäßigen Bestand der Kasse unmittelbar vermindert. Dagegen liegt bei einem buchungsmäßigen Ausgleich von Soll und Haben keine Verminderung des Bestands der dienstlichen Kasse und damit kein Zugriffsdelikt vor. Ein derartiger Ausgleich setzt voraus, dass der Beamte offenlegt, etwa durch die Einlage eines Auszahlungsscheins in die Kasse, dass er Geld entnommen hat (stRspr; vgl. Urteile vom 21. Juli 1998 - BVerwG 1 D 51.97 - juris Rn. 18 und vom 6. Februar 2001 a.a.O. S. 10). Daraus folgt, dass ein Ausgleich des Kassenbestandes nicht schon dann vorliegt, wenn der Beamte die von ihm geführte Kasse aufgrund von Manipulationen scheinbar "buchungstechnisch stimmig" abschließt.
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Einem Zugriffsdelikt steht gleich, wenn der Beamte einem Kunden überhöhte Gebühren in Rechnung stellt, um sich den Differenzbetrag privat anzueignen. Hierin liegt ein Zugriff auf Geld des Dienstherrn, weil der vom Kunden verlangte überhöhte Betrag mit der Übergabe des Geldes an den Beamten in dessen dienstlichen Gewahrsam gelangt. Der vorangehende Betrug zum Nachteil des Kunden schließt die disziplinarrechtliche Einordnung als Zugriffsdelikt nicht aus (stRspr; vgl. Urteil vom 21. Juli 1998 a.a.O. Rn. 18).
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Von diesen Rechtsgrundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht nicht abgewichen; vielmehr hat es sie dem Berufungsurteil zugrunde gelegt. Es hat das Fehlverhalten der Beklagten einem Zugriffsdelikt gleichgestellt, weil die Beklagte den Geldbetrag, der der Schalterkasse und damit der Bahn durch den Betrug an einem Kunden zugeflossen war, später der Kasse entzog und für eigene Zwecke verwandte. Dadurch hat sie eine wertmäßige Verminderung des Kassenbestandes herbeigeführt. Indem die Beklagte den Kaufpreis einer nicht gekauften Fahrkarte zum Schein verbuchte und später stornierte, führte sie keinen buchungsmäßigen Ausgleich der Schalterkasse herbei. Vielmehr versuchte sie die spätere Verminderung des Kassenbestandes zu verdecken.
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Auch eine Divergenz zu dem Urteil des Senats vom 20. Oktober 2005 (a.a.O.) ist nicht gegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat den vom Senat entwickelten Maßstäben für die disziplinarrechtliche Bemessungsentscheidung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nicht prinzipiell widersprochen, sondern sie im vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft angewandt.
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Dagegen hat die Aufklärungsrüge der Beklagten Erfolg. Die Sachaufklärung des Oberverwaltungsgerichts trägt den Anforderungen, die sich aus den gesetzlichen Bemessungsvorgaben nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ergeben, nicht vollständig Rechnung.
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Gemäß § 58 Abs. 1 BDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (Beschlüsse vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 S. 2 und vom 4. September 2008 - BVerwG 2 B 61.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 S. 3 f.; vgl. auch BTDrucks 14/4659, S. 49). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für die Berufungsinstanz. Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich nach den Vorgaben des materiellen Rechts. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich ohne ausdrücklichen Beweisantrag auf, wenn das Gericht nach seinem materiellrechtlichen Standpunkt Anlass zur weiteren Aufklärung sehen muss, weil die bisherigen Tatsachenfeststellungen eine Entscheidung noch nicht sicher tragen (Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 28.10 - NVwZ-RR 2011, 986 Rn. 25
).
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Der Senat hat die Bemessungsregelungen des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG dahingehend ausgelegt, dass die Schwere des Dienstvergehens, die nach Satz 2 des § 13 Abs. 1 BDG Richtschnur für die Maßnahmebemessung ist, bei sog. Zugriffsdelikten und diesen gleichstehenden Verfehlungen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis regelmäßig rechtfertigt, wenn die veruntreuten Beträge oder Werte die Schwelle der Geringfügigkeit deutlich übersteigen. Davon muss aber abgesehen werden, wenn ein anerkannter Milderungsgrund oder stattdessen mildernde (entlastende) Umstände gegeben sind, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht eines Milderungsgrundes vergleichbar ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 f. bzw. Rn. 27 f. und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 20 f.).
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Die auch bei Zugriffsdelikten gebotene prognostische Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände folgt aus dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BDG) geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 16).
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Nach dieser Rechtsprechung kann die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auch dann unangemessen sein, wenn sich der Beamte nicht auf einen anerkannten Milderungsgrund, sondern auf sonstige mildernde Umstände berufen kann. Solche Umstände dürfen nicht allein deshalb außer Betracht bleiben, weil sie zur Erfüllung eines anerkannten Milderungsgrundes nicht ausreichen. So sind beispielsweise ein Handeln in einer wirtschaftlichen Notlage oder die Offenbarung des Fehlverhaltens nicht schon deshalb unbeachtlich, weil die Voraussetzungen des jeweiligen Milderungsgrundes nicht erfüllt sind ("unverschuldete existenzielle wirtschaftliche Notlage"; "Offenbarung ohne Furcht vor Entdeckung"). Vielmehr muss das Tatsachengericht weiter entscheiden, ob die bemessungsrelevanten mildernden Umstände in ihrer Gesamtheit das Fehlen eines Milderungsgrundes kompensieren können. Das Gewicht derartiger Umstände muss umso größer sein, je schwerer das Zugriffsdelikt aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlungen und der Begehung von "Begleitdelikten" und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt (Urteile vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 23 und vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 C 25.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 22). Danach kommt jedenfalls bei einem einmaligen Fehlverhalten mit einem Schaden von weniger als 200 € ernsthaft in Betracht, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen.
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Die rechtsfehlerfreie Anwendung dieser Bemessungsgrundsätze setzt voraus, dass die bemessungsrelevanten Gesichtspunkte erschöpfend aufgeklärt werden. Das Tatsachengericht muss klären, ob tatsächliche Umstände, die als bemessungsrelevant in Betracht kommen, vorliegen, wenn der Sachverhalt hinreichenden Anlass bietet. Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung das Vorliegen eines mildernden Umstands nicht ohne vernünftigen Zweifel ausschließen, ist dieser Umstand nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" in die Gesamtwürdigung einzustellen. Er tritt zu einem anerkannten Milderungsgrund hinzu oder verstärkt das Gewicht der Umstände, die das Fehlen eines derartigen Grundes kompensieren können (Urteile vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 17 und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 Rn. 27).
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Diese Bemessungsgrundsätze hat das Oberverwaltungsgericht auf den vorliegenden Fall angewandt. Seine Würdigung, nach den tatsächlichen Feststellungen läge kein anerkannter Milderungsgrund vor, hat die Beklagte nicht angegriffen. Sie rügt jedoch zu Recht, dass das Oberverwaltungsgericht bemessungsrelevante mildernde Umstände nicht aufgeklärt und von vornherein als unbeachtlich eingestuft hat, obwohl hierzu Anlass bestanden hat:
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Dies gilt zum einen für den Vortrag der Beklagten, sie sei durch einen finanziellen Engpass zur Tat veranlasst worden. Diesem Umstand ist das Oberverwaltungsgericht nicht weiter nachgegangen, weil es ihm mit der Begründung, es liege jedenfalls keine unverschuldete existenzielle Notlage vor, von vornherein die bemessungsrelevante Bedeutung abgesprochen hat. Es gilt zum anderen für die von der Beklagten geschilderte schwierige private Lebenssituation. Diese hat das Oberverwaltungsgericht nicht für bemessungsrelevant gehalten, weil es keinen inhaltlichen Zusammenhang zu der Tat gesehen hat.
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Diese Verkürzung der Sachaufklärung lässt sich nicht damit vereinbaren, dass nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG entsprechend dem Zweck der Disziplinarbefugnis die Berücksichtigung der gesamten Persönlichkeit der Beklagten geboten ist. Die nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG erforderliche prognostische Gesamtwürdigung muss auf der Grundlage der gesamten Persönlichkeitsstruktur der Beklagten getroffen werden. Daher muss ein finanzieller Engpass auch dann berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen des Milderungsgrundes der existenziellen wirtschaftlichen Notlage nicht erfüllt sind. Auch entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass mildernd zu berücksichtigen ist, wenn das Dienstvergehen Folge einer negativen Lebensphase ist, die der Beamte inzwischen überwunden hat (Urteile vom 18. April 1979 - BVerwG 1 D 39.78 - BVerwGE 63, 219; vom 10. November 1987 - BVerwG 1 D 24.87 - juris; vom 23. August 1988 - BVerwG 1 D 136.87 - NJW 1989, 851 und vom 23. November 1999 - BVerwG 1 D 5.99 -; Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - NVwZ 2005, 1199 <1200>, insoweit nicht in Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 abgedruckt).
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Dagegen teilt der Senat nicht die Auffassung der Beklagten, das Oberverwaltungsgericht habe Anlass gehabt, an der Schuldfähigkeit der Beklagten zum Tatzeitpunkt zu zweifeln. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass nach der maßgebenden Sachlage im Berufungsverfahren konkrete Anhaltspunkte für eine Störung der Beklagten im Sinne von §§ 20, 21 StGB vorgelegen haben (vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 31 f.). Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
(1) Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.
(2) Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.
(1) Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte sind:
- 1.
Verweis (§ 6) - 2.
Geldbuße (§ 7) - 3.
Kürzung der Dienstbezüge (§ 8) - 4.
Zurückstufung (§ 9) und - 5.
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10).
(2) Disziplinarmaßnahmen gegen Ruhestandsbeamte sind:
(3) Beamten auf Probe und Beamten auf Widerruf können nur Verweise erteilt und Geldbußen auferlegt werden. Für die Entlassung von Beamten auf Probe und Beamten auf Widerruf wegen eines Dienstvergehens gelten § 34 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 sowie § 37 des Bundesbeamtengesetzes.
(1) Für die Kostentragungspflicht der Beteiligten und die Erstattungsfähigkeit von Kosten gelten die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend, sofern sich aus den nachfolgenden Vorschriften nichts anderes ergibt.
(2) Wird eine Disziplinarverfügung trotz Vorliegens eines Dienstvergehens aufgehoben, können die Kosten ganz oder teilweise dem Beamten auferlegt werden.
(3) In Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Fristsetzung (§ 62) hat das Gericht zugleich mit der Entscheidung über den Fristsetzungsantrag über die Kosten des Verfahrens zu befinden.
(4) Kosten im Sinne dieser Vorschrift sind auch die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
Zur Ergänzung dieses Gesetzes sind die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden, soweit sie nicht zu den Bestimmungen dieses Gesetzes in Widerspruch stehen oder soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.