Verwaltungsgericht München Urteil, 24. Juli 2019 - M 9 K 18.5334

bei uns veröffentlicht am24.07.2019

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Die Baugenehmigung vom 4. Oktober 2018, Gz. 42-BV-Nr. 1238-2018-B, wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen eine ihrer Nachbarin erteilte Baugenehmigung.

Die Baugenehmigung bezieht sich auf FlNr. 35/4, Gemarkung D. Die Kläger grenzen mit ihren Grundstücken (FlNrn. 35 und 35/3, Gemarkung D.) südlich und westlich an. Alle Flurstücke liegen im Bereich eines einfachen Bebauungsplans und im Geltungsbereich einer Veränderungssperre.

Die Beigeladene beantragte unter dem 12. Juli 2018 bzw. 5. September 2018 die Baugenehmigung (Bl. 1ff. d. BA). Der Bauantrag enthält - auf An- bzw. Nachforderung seitens des Landratsamts - einen Abweichungsantrag (Bl. 30 d. BA) folgenden Wortlauts:

Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen hinsichtlich der Länge (der) an der Grenze und auf dem Baugrundstück insgesamt zulässigen Grenzbebauung.

Begründung:

Die Nachbarn (Flnr. 35, 35/3 und 36) werden durch die Errichtung des Bauvorhabens nicht negativ eingeschränkt. Eine Beeinträchtigung ist weder hinsichtlich der Belichtung, Belüftung noch der Besonnung zu erwarten. Des Weiteren werden bei der Bauausführung die gesetzlichen Brandschutzvorschriften (Art. 28 BayBO) in Verbindung mit § 9 Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen (GaStellV) beachtet und eingehalten.

Die Beigeladene zu 2. stellte unter dem 26./30. Juli 2018 das gemeindliche Einvernehmen her (Bl. 11ff. d. BA), auch hinsichtlich einer Ausnahme von der Veränderungssperre.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 4. Oktober 2018, Gz. 42-BV-Nr. 1238-2018-B, zugestellt gegen Postzustellungsurkunde am 9. Oktober 2018 (Bl. 39a ff. d. BA), wurde die Baugenehmigung erteilt. Der Bescheid enthält eine Ausnahme von der Veränderungssperre und folgende Abweichungsentscheidung:

Von der Einhaltung der Abstandsflächen wird gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO aufgrund des gesamten Grenzverbaus an allen Grundstücksgrenzen von mehr als 15 m eine Abweichung erteilt.

Das Bauvorhaben liege im Innenbereich. Die beantragte Abweichung von Art. 6 Abs. 5 und 6 BayBO habe erteilt werden können, da keine negative Beeinträchtigung durch die Errichtung der zulässigen Grenzgarage zu FlNr. 35 im Hinblick auf Belichtung, Belüftung, Besonnung zu erwarten sei. Die Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 BayBO lägen vor.

Der Bevollmächtigte der Kläger hat unter dem 30. Oktober 2018 Klage erhoben. Er beantragt,

die Baugenehmigung aufzuheben.

Das Vorhaben stelle eine Grenzgarage nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO dar, durch die bereits bestehende Grenzbebauung werde jedoch der in Satz 2 geregelte maximale Grenzverbau überschritten. Die Abweichung sei nur pauschal und zudem nur für FlNr. 35 begründet worden, obwohl auch FlNr. 35/3 beeinträchtigt werde; es sei nämlich anzunehmen, dass die Zufahrt entlang der dortigen Grundstücksgrenze verlaufe. Hinzukomme, dass die Beigeladene bereits über eine Grenzgarage verfüge; die planungsrechtliche Zulässigkeit erschließe sich somit bereits in Bezug auf die Anzahl der genehmigten Grenzgaragen nicht. Im Übrigen entstehe ein Einmauerungseffekt gegenüber den Nachbargrundstücken, welchen Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO gerade vermeiden wolle. Dabei komme es nicht auf eine isolierte Betrachtung des konkret betroffenen Grenzgrundstücks (hier FlNr. 35) an; die Kläger könnten dies somit rügen. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme sei damit gegeben. Im Rahmen der Abwägung seien weder die Interessen der Kläger hinreichend gewürdigt noch der Umstand berücksichtigt worden, dass an der Grenze zu FlNr. 36 bereits eine Garage auf dem Vorhabengrundstück existiere. Der durch die Realisierung entstehende Einmauerungseffekt sei bei den Erwägungen gänzlich außer Betracht geblieben. Das Abstandsflächenrecht biete in der Regel keine Möglichkeit, seine Ziele auf andere Weise zu erreichen; eine Reduzierung verschlechtere regelmäßig die Belichtung und Belüftung oder belaste den Wohnfrieden. Zwar sei das Grundstück FlNr. 35 noch unbebaut, das dürfe aber nicht zulasten der Kläger gehen; die Genehmigung beschränke die Möglichkeiten einer künftigen Bebauung.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auf den Antragsunterlagen sei auch das Gebäude ersichtlich, das sich über die Grundstücksgrenzen der FlNrn. 35 und 35/4 erstreckt habe und das in der Zwischenzeit beseitigt worden sei; im Vergleich und im Gegensatz zur geplanten Bebauung habe dieser Altbestand sehr wohl eine Beeinträchtigung dargestellt. Der östliche Angrenzer, FlNr. 36, habe die Pläne unterschrieben. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Da sich das Vorhaben an der südlichen Grenze befinden werde, scheide eine Beeinträchtigung der FlNr. 35/3 aus. Aufgrund der Lage des Nachbargrundstücks FlNr. 35 im Außenbereich und der Dimensionierung der Grenzgarage habe das Landratsamt die Abweichung unter Abwägung der möglichen Beeinträchtigungen erteilt. Die Entscheidungsgründe für die Abweichung lägen auf der Hand, da die geplante Garage für sich genommen eine Grenzgarage nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO sei. Die bestehende Grenzbebauung befinde sich an der Grenze zu FlNr. 36; auf Basis einer differenzierten Betrachtungsweise der Vorgaben des Art. 6 Abs. 9 BayBO sei die Überschreitung der 15 m damit hinzunehmen; entscheidend sei, dass die gesamte Grenzbebauung nicht nur an der Grenze zu FlNr. 35 vorherrschen solle, sondern auch zur FlNr. 36.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins. Auf die Feststellungen in der Niederschrift wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 24. Juli 2019.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Baugenehmigung verletzt die Kläger in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Vorhaben verletzt Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO als drittschützende Vorschriften (1.); diesen Verstoß vermag auch die erteilte Abweichung nicht zu überwinden, da diese rechtswidrig ist (2.).

1. Die Kläger werden durch die Baugenehmigung in Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO verletzt. Der Nachbar kann sich auf die Nichteinhaltung der Privilegierungsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO -Höchstmaß der zulässigen Grenzbebauung - insofern berufen, als dass dann - mangels Erfüllung der Voraussetzungen des Privilegierungstatbestands - Abstandsflächenrecht verletzt ist. Dies gilt unabhängig davon, ob er auf einer Grundstücksseite anliegt, für die isoliert betrachtet die Privilegierungsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO eingreifen, da die Vorgaben des Art. 6 Abs. 9 BayBO insgesamt zu erfüllen sind (vgl. statt aller VG München, U.v. 6.7.2016 - M 9 K 15.1939 - juris mit ausführlicher Begründung).

2. Die nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 BayBO erteilte Abweichung ist rechtswidrig.

Da von nachbarschützendem Recht abgewichen wird, ist die Abweichungsentscheidung auch im Rahmen des Drittrechtsbehelfs vollumfänglich zu überprüfen.

Vorliegend fehlt es an der tatbestandlichen Voraussetzung einer atypischen Grundstückssituation - festgemacht an der Formulierung „Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen“ (vgl. nur Simon/Busse, BayBO, Stand: 132. EL Dezember 2018, BayBO Art. 63 Rn. 18ff.; aus der Rechtsprechung: BayVGH, Endurteil v. 9.11.2017 - 2 B 17.1742 - juris; B.v. 5.11.2015 - 15 B 15.1372 - juris; B.v. 20.9.2011 - 2 CS 11.1849 - juris; VG München, B.v. 18.7.2011 - M 9 SN 11.2628 - EA). Nach einer Grundentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris) kann sich eine atypische Fallgestaltung etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben; in solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen.

Nichts davon ist vorliegend gegeben. Eine sog. Atypik ist auch im Übrigen in keiner Weise ersichtlich. Allein der Wunsch der Bauherrin, ihr Grundstück stärker auszunutzen als dies nach den gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften zulässig ist, begründet noch keine Atypik. Eine (noch) stärkere Ausnutzung ist vorliegend auch insofern wenig nachvollziehbar, als die Beigeladene zu 1. aufgrund bestandskräftiger Baugenehmigung - vorgezeigt im Termin - bereits über mindestens sieben Stellplätze verfügt. Dementsprechend verhält sich die Abweichungsentscheidung zu alledem auch mit keinem Wort.

Ohne atypische Situation aber ist ein Abgehen von den Maßgaben des Art. 6 BayBO unzulässig, da jede Verkürzung der Abstandsflächen zu einer Verschlechterung der Nachbarsituation führt. Fallgestaltungen, in denen das Normziel auf andere Weise erreicht werden kann, sind im Bereich des Abstandsflächenrechts kaum vorstellbar, da der Zweck der Vorschriften in der Regel nicht bspw. durch eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Bauausführung gewahrt werden kann (BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO, Stand: 11. Ed. 1.3.2019, Art. 63 Rn. 40).

Hinsichtlich Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO gilt:

Die Beteiligten haben vorliegend, wie sich aus dem Verwaltungs- und Gerichtsvorgang ergibt, ersichtlich nicht auf die durch die BayBO-Novelle 2018 eingeführte Regelung abgestellt.

Unabhängig davon führt die Gesetzesänderung nicht zu einer anderen Beurteilung des Falls. Die Regelung bzw. ihre beabsichtigten Wirkungen erschließen sich nur und ausschließlich durch ein Studium der Gesetzesbegründung. Eine auch nur ansatzweise Umsetzung im Gesetzestext ist nicht erfolgt (vgl. BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO, Stand: 11. Ed. 1.3.2019, Art. 63 Rn. 42). Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO enthält deshalb unter Wahrung des Auslegungsprinzips, wonach auch eine extensive Auslegung ihre Grenze jedenfalls stets im Wortlaut der Regelung findet (statt aller BVerfG, B.v. 28.7.2015 - 2 BvR 2558/14, 2 BvR 2571/14, 2 BvR 2573/14 - NJW 2015, 2949), nur eine Klarstellung, nämlich, dass Abweichungen auch im Bereich des Abstandsflächenrechts möglich sind (zum Verhältnis Gesetzestext - Gesetzesbegründung bspw. BFH, U.v. 28.7.2011 - VI R 38/10 - juris). Diese Abweichungen richten sich (nur) nach Art. 63 BayBO und den dortigen Vorgaben. Die Notwendigkeit einer atypischen Grundstückssituation aber leitete die bisherige Rechtsprechung ohnehin nur aus dem Tatbestand des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ab. Daran ist demnach festzuhalten.

Wollte man die - inkonsistente - Gesetzesbegründung dennoch heranziehen, so müsste man sich sinnvollerweise auf die dort explizit aufgeführten Fälle beschränken - Terrassengeschosse, Änderung von Bestandsgebäuden -, da die Zulassung von Abweichungen ansonsten, mit Ausnahme der Abwägung der betroffenen Belange, willkürlich möglich wäre, wie der vorliegende Fall zeigt. Andererseits hätte es jedenfalls für die Änderung von Bestandsgebäuden keiner Neuregelung - bzw. richtiger: keiner entsprechenden Begründung - bedurft, da diese Fallgestaltungen auch bis dato als atypische Situation angesehen und in die Fallgruppe des sog. normativen Überhangs eingeordnet wurden (Simon/Busse, BayBO, Stand: 132. EL Dezember 2018, Art. 63 Rn. 28). Dementsprechend verweist auch der Standardkommentar (Simon/Busse, BayBO, Stand: 132. EL Dezember 2018, Art. 6 Rn. 65a) zu Recht darauf, dass die Neuregelung

(klarstellend) erreichen [will], dass Abweichungen vom Abstandsflächenrecht beim Aufstocken von Bestandsgebäuden erleichtert möglich sind. Die Rechtsprechung hat gerade für Abweichungen vom Abstandsflächenrecht das Erfordernis der Abweichung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal betont. Dies hat dazu geführt, dass insbesondere die Fälle der Aufstockung vorhandener grenzständiger Gebäude problematisch wurden: Bei profilgleichem Aufstocken ist das Aufstocken abstandsflächenrechtlich unproblematisch zulässig, weil dann ein Fall von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 vorliegt. Erfolgt das Aufstocken aber nicht profilgleich, muss eine fiktive Außenwand gebildet werden, die nicht an der Grenze steht, also abstandsflächenpflichtig ist; Abs. 1 Satz 3 ist auf diese Fälle nicht anwendbar, sodass die zurückgesetzte Aufstockung nur im Wege der Abweichung zulässig ist. In diesen Fällen fehlt es aber sehr oft an der von der Rechtsprechung geforderten Atypik. Hier setzt nun die klarstellende Regelung des neuen Satzes 4 an.

Weiteren Sinn sieht auch Simon/Busse, a. a. O., zu Recht nicht in der Regelung (offen gelassen bei VG Würzburg, B.v. 13.11.2018 - W 5 S 18.1260 - juris).

Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat sich mangels Antragstellung nicht in ein Kostenrisiko begeben, weswegen es nicht der Billigkeit entspräche, der Klägerin auch seine außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger begehren von der Beklagten bauaufsichtliches Einschreiten gegen einen Schwarzbau der Beigeladenen.

Die Kläger sind Eigentümer der nordwestlich des Grundstücks der Beigeladenen gelegenen FlNr. ... Der streitgegenständliche Schwarzbau, der nach der Baukontrolle der Beklagten (Bl. 43 des Behördenakts) eine Höhe von ca. 2,80 m - gemessen ab dem Nachbarsockel - und inklusive Dachüberstand eine Länge von ca. 14,50 m aufweist, befindet sich in der nordöstlichen Ecke des Beigeladenengrundstücks (FlNr. ...). Er erstreckt sich über die gesamte gemeinsame Grundstücksgrenze zur FlNr. ... und grenzt mit seiner östlichen Stirnseite an die FlNr. ... An der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu FlNr. ... weist er noch eine Ausdehnung von 1,32 m auf, zu der noch ein Dachüberstand von 1,45 m hinzutritt.

Die Kläger beantragten bei der Beklagten am 6. Februar 2015 bauaufsichtliches Einschreiten bzw. einen rechtsmittelfähigen Bescheid.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom ... April 2015 (Az. ...) ab.

Ein öffentliches Interesse an einem Einschreiten könne nicht erkannt werden, weil die grenzständigen Anlagen bereits seit Jahrzehnten geduldet würden und auf benachbarten Anlagen (FlNr. ...) längere grenzständige Anlagen stünden. Es müssten für eine (Teil-) Beseitigungsanordnung gravierende Verletzungen nachbarschützender Vorschriften und ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen festzustellen sein. Die Grenzbebauung zum klägerischen Grundstück habe eine Länge von ca. 1,32 m (Grenzgebäude) + ca. 1,45 m (Dachüberstand), insgesamt ca. 2,90 m bei einer Höhe von ca. 2,80 m. Die zu FlNr. ... und ... grenzständigen Gebäude würden nach Augenschein als Holzlager, Abstellplatz und Werkraum/Werkstatt - nach Aussagen der Beigeladenen und ihres Ehemanns ausschließlich privat - genutzt. Letztere hätten ausweislich von Luftbildern aus 2001, 2006 und 2013 bereits damals Bestand gehabt. Die Kläger hätten zudem selbst, wie der Ortstermin ergeben habe, an der Grenze zu der Beigeladenen ein Nebengebäude mit einer Länge von ca. 3 m bei einer Höhe von ca. 2,75 m ab Sockel. Somit tangiere die klägerische Grenzbebauung die gemeinsame Grundstücksgrenze mindestens im gleichen Umfang wie die Bebauung der Beigeladenen. Nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO dürften Gebäude ohne Aufenthaltsräume je Grundstücksgrenze 9 m betragen; wenn auch die Gesamtlänge 15 m nicht überschreiten dürfe, so ergebe sich daraus doch, dass jeder Nachbar eine Grenzbebauungslänge von bis zu 9 m hinzunehmen habe. Die Nachbarn auf FlNr. ..., deren Grenze vollständig verbaut sei, hätten eine schriftliche Erklärung abgegeben, wonach sie mit dem Grenzbau der Beigeladenen vollstens einverstanden seien und keine Einwände hätten.

Die Bevollmächtigte der Kläger hat am 15. Mai 2015 Klage gegen den Bescheid erhoben. Sie beantragt:

1. Der Bescheid der Beklagten vom ...4.2015 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, bauaufsichtlich gegen die Eigentümerin des Grundstücks mit der Flurnummer ... (...) einzuschreiten.

Der 15-18 m lange Grenzanbau sei mehrfach gerügt worden, sowohl durch die Kläger als auch durch die Voreigentümerin des klägerischen Grundstücks. Der Grenzanbau werde als Werkstatt genutzt, es würden u. a. Schweißarbeiten und damit lärmende Arbeiten durchgeführt. Der Grenzanbau sei nicht genehmigt und nicht genehmigungsfähig. Er werde nicht seit Jahren geduldet, die Kläger hätten vielmehr von Anfang an deutlich gemacht, dass sie mit dem Grenzanbau nicht einverstanden seien. Auch die Voreigentümerin habe den Grenzanbau gegenüber der Beklagten mehrfach gerügt. Zunächst habe es sich bei dem Grenzanbau nur um eine überdachte Unterstellmöglichkeit gehandelt. Diese sei im Folgenden nicht nur erweitert, sondern zu einem verschlossenen, gemauerten Gebäude mit Fenstern ertüchtigt worden inklusive Verputz und Estrich. Auch das Dach sei mit Pfeilern ausgestattet und erneuert worden. Es möge zutreffen, dass sich die Verpflichtung zum bauaufsichtlichen Einschreiten nicht allein aus einem Verstoß gegen die nachbarschützende Vorschrift ergebe, hier gingen vom Grenzanbau aber auch erhebliche Belästigungen aus.

Die Beklagte beantragt,

die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Im Rahmen der Ermessensabwägung seien öffentliche Interessen nicht erkennbar, da die Grenzbauten vom Straßenraum aus nicht erkennbar seien und somit Fragen der Gestaltung des Straßen- und Ortsbildes nicht aufgeworfen seien. Der Nachbar sei über das Maß von 9 m hinaus nicht zu schützen; die Regelung zur Gesamtlänge von 15 m sei nicht nachbarschützend, da der Nachbar durch Grenzbauten an Seiten, die nicht an sein Grundstück angrenzen, typischerweise tatsächlich nicht betroffen sei. Im Übrigen sei die Erteilung einer Abweichung denkbar, da die hauptbetroffenen Nachbarn mit der Grenzbebauung einverstanden seien

Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragt,

die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Der seit ca. 35 Jahren bestehende, sich nicht auf die gesamte gemeinsame Grundstücksgrenze beziehende Grenzanbau sei lediglich in den bereits bestehenden Dimensionen renoviert bzw. saniert worden. Es seien keine „Räumlichkeiten“ geschaffen worden. Es handele sich weiterhin lediglich um Stauräume, die bereits vor der Renovierung existent gewesen seien. Diese hätten stets Wände und ein Dach gehabt, es seien nunmehr lediglich die Materialien ausgetauscht worden. Gegenüber der Beigeladenen hätten die Kläger nie die Beseitigung des Grenzanbaus gefordert. Bis zur Klage habe ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis bestanden. Die Beigeladene habe in Absprache mit den Klägern einen anderen ca. 9 m langen Grenzanbau entfernt, um diesen die Errichtung eines gemauerten Gartenhäuschens samt Gabionenzaun zu ermöglichen; daraus ergebe sich, dass die gemeinsame Grundstücksgrenze größtenteils durch klägerische Bebauung und nicht durch Bauten der Beigeladenen bebaut sei. Der Grenzanbau werde hauptsächlich als Unterstellmöglichkeit genutzt; in ihm werde keine Werkstatt betrieben, sondern lediglich privat anfallende Arbeiten durchgeführt; die Beigeladene und ihr Ehemann seien ganztags berufstätig und könnten allein aus diesem Grund keinen gewerblichen Betrieb führen; „Lärm“ verursachende Arbeiten würde zu Zeiten ausgeführt, die nicht störend seien. Schweißarbeiten seien vom Rechtsvorgänger der Beigeladenen, deren Onkel, für Privatzwecke durchgeführt worden; dieser sei jedoch im August 2011 gestorben, seither seien keine Schweißarbeiten mehr durchgeführt worden. Der Grenzanbau sei durch die Renovierung optisch aufgewertet worden und betreffe nur einen kleinen Teil der gemeinsamen Grundstücksgrenze. Die Bestätigung vom 15.8.2015 zeige, dass die übrigen Nachbarn durch den Grenzanbau keinerlei Einschränkungen empfänden. Die gesamte nördliche Grenzbebauung habe eine Länge von nur 14,5 m.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die Behördenakte, insbesondere auf das Protokoll des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung vom 6. Juli 2016.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten bzw. auf Erlass einer Beseitigungsanordnung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten durch Erlass einer Beseitigungsanordnung kann sich auf Art. 76 Satz 1 BayBO stützen. Art. 76 Satz 1 BayBO bestimmt, dass die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen kann, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Art. 76 Satz 1 BayBO stellt es demnach in das pflichtgemäße Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, ob sie gegen eine Anlage vorgeht, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurde. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob ein Dritter ein Einschreiten der Behörde erzwingen können soll. Ein Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten im hier bestehenden Dreiecksverhältnis zwischen Behörde, Nachbar und Bauherr setzt deshalb zum einen voraus, dass die Kläger als Nachbarn durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt sind, zum anderen, dass das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist, ein Einschreiten ihrerseits also die einzig verbleibende ermessensgerechte Entscheidung darstellt (VG München, U. v. 25.3.2015 - M 9 K 14.3343 - juris Rn. 35). Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, haben die Kläger nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, B. v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11).

Zwar werden die Kläger vorliegend durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten tangiert (1.), das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, ob sie einzuschreiten gedenkt oder nicht, ist aber nicht auf Null reduziert (2.).

1. Die Kläger werden durch den Schwarzbau der Beigeladenen in Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO, die Drittschutz vermitteln, verletzt. Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO bestimmen, dass vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen freizuhalten sind, deren Tiefe 1 H, mindestens jedoch 3 m, zu betragen hat und die auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen. Vorliegend wirft der grenzständige Bau davon abweichend auf einer Länge von bis zu 2,90 m Abstandsflächen auf das Grundstück der Beigeladenen.

Zwar wird, worauf die Beklagte hinweist, mit guten Argumenten vertreten, dass die Kläger in einer Konstellation wie der vorliegenden schon nicht in nachbarschützenden Vorschriften verletzt sind. Diese Ansicht stützt sich darauf, dass nur der Nachbar tatsächlich in den genannten Vorschriften verletzt ist, an dessen eigener Grundstücksgrenze die Privilegierungsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO, bei dessen Vorliegen kraft Gesetzes kein Abstandsflächenverstoß mehr gegeben ist, nicht eingehalten werden; Gleiches gelte dann auch für die Gesamtlänge von 15 m nach Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO (Molodovsky/Famers, BayBO, Stand 31. Update 03/16, Art. 6 Rn. 257 und 281; VGH BW, B. v. 2.2.2009 - 3 S 2875/08 - juris Rn. 2ff. mit Verweis auf st.Rspr.). Damit wären die Kläger vorliegend nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt - womit es bereits an der ersten Voraussetzung eines etwaigen Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten fehlen würde -, weil der Anbau an ihrer eigenen Grundstücksgrenze mit eine Gesamtlänge von bis zu 2,90 m die Maximallänge von 9 m bei weitem unterschreitet.

Mit der wohl herrschenden Ansicht wird man aber dem Nachbarn, der von dem streitgegenständlichen Grenzanbau an seiner Grundstücksgrenze zumindest auch betroffen ist, zugestehen müssen, gleichsam „abstrakt“ die Einhaltung der Voraussetzungen des gesetzlichen Privilegierungstatbestands des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO - sollten die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten erfüllt sein - einfordern zu können. Liegen dessen Voraussetzungen nicht vor, so ist auch bei dem Nachbar ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO gegeben, dem gegenüber das Bauwerk an sich die 9 m-Grenze unterschreitet (OVG RhPf, B. v. 26.7.2004 - 8 B 11477/04 - juris; Simon/Busse, BayBO, Stand 122. EL Januar 2016, Art. 6 Rn. 602; zum 16 m-Privileg: BayVGH, B. v. 17.4.2000 - GrS 1/1999, 14 B 9714 B 97.2901 - juris Rn. 20; U. v. 29.10.2015 - 2 B 15.1431 - juris Rn. 36f.). Vorliegend sind die Kläger an ihrer Grundstücksgrenze im Ausmaß von maximal 2,90 m - wobei der darin eingerechnete Dachüberstand von 1,45 m aber wohl keine abstandsflächenrechtlichen Wirkungen entfaltet (Simon/Busse, BayBO, Stand 122. EL Januar 2016, Art. 6 Rn. 425) - von dem mindestens 14,50 m langen grenzständigen Schwarzbau zumindest auch betroffen. Damit sind sie nach dieser Auffassung, der sich die Kammer anschließt, in ihren Nachbarrechten verletzt, da die Voraussetzungen des gesetzlichen Privilegierungstatbestandes - bezogen auf die Grundstücksgrenze der Beigeladenen - nicht eingehalten sind.

2. Die Verletzung in nachbarschützenden Rechten ist aber nach dem oben Gesagten nur eine erste Voraussetzung dafür, als Nachbar die Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde erzwingen zu können, gegen eine Anlage einzuschreiten (BayVGH, B. v. 25.9.2013 - 14 ZB 12.2033 - juris Rn. 16). Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sind nur dann gegeben, wenn zum Verstoß gegen eine drittschützende Vorschrift besonders qualifizierte Beeinträchtigungen der nachbarlichen Rechtsstellung treten, namentlich, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind und die Abwägung der Beeinträchtigung des Nachbarn mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Überwiegen der Interessen des Nachbarn ergibt (BayVGH, B. v. 20.4.2010 - 9 ZB 08.319 - juris Rn. 3; B. v. 18.6.2008 - 9 ZB 07.497 - juris Rn. 4; VG München, U. v. 25.3.2015 - M 9 K 14.3343 - juris Rn. 34).

Vorliegend ist keine Ermessensreduzierung auf Null gegeben, da keine unzumutbaren Belästigungen vorliegen und kein deutliches Überwiegen der Klägerinteressen gegeben ist.

An der gemeinsamen Grundstücksgrenze befinden sich auf Klägerseite ein Nebengebäude und eine Gabionenwand. Eine nennenswerte Beeinträchtigung in den Belangen Belichtung, Belüftung und Besonnung wäre deswegen von vorn herein schwer zu begründen (BayVGH, B. v. 18.6.2008 - 9 ZB 07.497 - juris Rn. 5f., VG München, U. v. 13.10.2015 - M 1 K 15.2563 - juris Rn. 22). Hinzu kommt, dass der streitgegenständliche Grenzbau die Kläger nur an einer Ecke ihres Grundstücks minimal tangiert: Der vor den grenzständigen Schuppen tretende Dachüberstand von 1,45 m entfaltet nach Ansicht der Kammer keine abstandsflächenrechtlichen Wirkungen (vgl. Simon/Busse, BayBO, Stand 122. EL Januar 2016, Art. 6 Rn. 425), weswegen der Grenzbau nur 1,32 m an der gemeinsamen Grundstücksgrenze verläuft. Selbst bei Einrechnung des Dachüberstands ergäben sich keine gewichtigen Auswirkungen hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung.

Auch das klägerische Argument, in dem Schuppen befinde sich eine Werkstatt, in der Schweißarbeiten und andere lärmende Tätigkeiten ausgeführt würden, verhilft der Klage nicht zum Erfolg. Ein gewerblicher Charakter wurde diesbezüglich vonseiten der Beigeladenen von Anfang bestritten. Der Augenschein bestätigte, dass die Werkstatt weder in ihren Dimensionen noch hinsichtlich der verwendeten Gerätschaften über eine reine Privatnutzung hinausgeht. Bezüglich der Schweißarbeiten erklärte die Beigeladene - insoweit unwidersprochen -, diese seien nur früher durch ihren Onkel ausgeführt worden. Dieser sei aber bereits 2011 verstorben. Dementsprechend war in der mündlichen Verhandlung nur noch von Kompressorgeräuschen die Rede. Der Ehemann der Beigeladenen führte dazu aus, dass er den Kompressor benötige, um die Reifen der familiären Kraftfahrzeuge zu wechseln. Substantiierter Vortrag dazu, dass bzw. inwiefern diese und andere Geräusche über das hinzunehmende Maß privater Garten- und sonstiger Arbeiten hinausgehen, unterblieb (BayVGH, B. v. 18.6.2008 - 9 ZB 07.497 - juris Rn. 5). Der Eindruck, dass keine unzumutbaren Belästigungen gegeben sind, wird dadurch bestätigt, dass die durch den Grenzbau hauptsächlich tangierten Nachbarn auf FlNr. ... und FlNr. ... eine Erklärung abgegeben haben, wonach dieser sie in keiner Weise beeinträchtige, insbesondere keine gravierenden Lärmbelästigungen vorlägen (Bl. 76 des Gerichtsakts). Für das Gericht sind keine unzumutbaren und schwerwiegenden Beeinträchtigungen auf Klägerseite erkennbar.

Auch der lange Zeitraum von 35 Jahren, in dem der Grenzbau in diesen Dimensionen bereits existiert, spricht gegen von ihm ausgehende unzumutbare Beeinträchtigungen (VG München, U. v. 13.10.2015 - M 1 K 15.2563 - juris Rn. 22). Zwar hat die Bevollmächtigte der Kläger in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich bereits die Voreigentümerin des klägerischen Grundstücks 1997 bei der Beklagten über den Grenzbau beschwert habe. In dem in der mündlichen Verhandlung dazu vorgelegten Schriftstück, das ein handschriftliches Protokoll einer auf diese Beschwerde hin erfolgten Baukontrolle der Beklagten enthielt, war aber nur von einem Grenzbau von 4 m² die Rede. Das Gericht geht davon aus, dass damit der mittlerweile abgebrochene Grenzbau im Nordwesten des Grundstücks der Beigeladenen gemeint war, dessen Grundfläche - anders als die des nun streitgegenständlichen Grenzbaus - wohl ca. 4 m² betrug. Diesen hatte die Beigeladene beseitigt, um den Klägern die Errichtung ihres grenzständigen Nebengebäudes zu ermöglichen und die abstandsflächenrechtliche Situation zu verbessern. All das ist aber von vorn herein irrelevant, da die Voreigentümerin nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gehalten gewesen wären, ihr Begehr nachdrücklicher zu verfolgen, um die von der Kammer angenommene Indizwirkung zu entkräften. Eine - nachgewiesene - Rüge bis zum nun anhängigen Verfahren der Rechtsnachfolger reicht für ein nachdrückliches Bemühen, einen Schwarzbau bekämpfen zu wollen, keinesfalls aus (BayVGH, B. v. 8.1.2014 - 15 ZB 12.1236 - juris Rn. 5; B. v. 21.3.2012 - 14 ZB 11.2148 - juris Rn. 12).

Auch die Ertüchtigung des Schuppens durch die neu aufgemauerten Seitenwände verändert die Situation für die Kläger nicht nachteilig. Es ist im Gegenteil eher davon auszugehen, dass eine massivere Außenwand etwaige Geräusche sogar stärker abmildert. Den Klägern ist es vorliegend zudem ohne weiteres möglich und zumutbar, Beeinträchtigungen nach § 1004 BGB zivilrechtlich geltend zu machen (BayVGH, B. v. 25.9.2013 - 14 ZB 12.2033 - Rn. 20), was einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ebenfalls entgegensteht. Ein deutliches Überwiegen ihrer Interessen ist nicht gegeben.

Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Nachbar lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, B. v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11). Der Ablehnungsbescheid der Beklagten weist aber keine Ermessensfehler auf, da er u. a. mit der eigenen grenzständigen Bebauung der Kläger argumentiert, auf die Erklärung der haupttangierten Nachbarn abstellt und auch den langen Bestand des Grenzanbaus ins Feld führt. Deshalb besteht auch kein - als Minus im Vornahmeantrag enthaltener und damit ebenfalls geltend gemachter - Anspruch auf Neuverbescheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch ihre Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben, weswegen es der Billigkeit entspricht, ihre außergerichtlichen Kosten den Klägern aufzuerlegen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 7.500 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,-- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 7. April 2016 wird die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2015, der sie zum Rückbau ihrer grenzständigen Garage verpflichtet.

1. Der Klägerin wurde mit Bescheid vom 3. Februar 2010 die Erweiterung einer Garage auf dem Grundstück FlNr. 374 der Gemarkung R … genehmigt. Anlässlich einer Baukontrolle am 28. August 2012 wurde festgestellt, dass die Garage planabweichend errichtet wurde. Entgegen der genehmigten Planung wurde die Garage im Norden an der Grenze zum Grundstück FlNr. 374/3 mit einer Höhe von 3,60 m und im Süden zur gleichen Grundstücksgrenze hin in einer Höhe von ca. 5,50 m errichtet. Die mittlere Wandhöhe beträgt damit ca. 4,55 m anstatt der genehmigten 3 m. Mit Bescheid vom 29. August 2012 hat die Beklagte die Bauarbeiten zur Erweiterung der Garage eingestellt. Der Bauausschuss der Beklagten hat in seiner Sitzung am 23. September 2013 die Abweichungen von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts abgelehnt und den Rückbau beschlossen. Die Klägerin wurde daraufhin mehrfach zum Rückbau der planabweichenden Garage aufgefordert. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2013 hat die Klägerin den Abbruch der östlichen Attika angezeigt. Diese Anzeige wurde von der Beklagten als Antrag auf nachträgliche Erteilung einer baurechtlichen Genehmigung für die planabweichend errichtete Garage gewertet. Der nachträgliche Genehmigungsantrag wurde mit Bescheid vom 9. Dezember 2013 abgelehnt, weil trotz des vorgesehenen Teilrückbaus der Attika die Höhe von 3 m im Mittel an der genannten Grundstücksgrenze deutlich überschritten wird. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 13. Januar 2014 Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben. In der mündlichen Verhandlung nahm die Klägerin ihren nachträglichen Genehmigungsantrag zum teilweisen Rückbau der Attika zurück. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt (B 2 K 14.22).

Mit Schreiben vom 20. Mai 2015 forderte die Beklagte die Klägerin letztmals unter Fristsetzung zum Rückbau der Garage entsprechend den genehmigten Plänen auf. Nachdem die Klägerin dem nicht nachgekommen ist, verpflichtete die Beklagte sie mit Bescheid vom 12. November 2015, die grenzständige Garage auf dem Anwesen FlNr. 374 der Gemarkung R … (U … S …weg …, F … ) so zurückzubauen, dass diese den Vorschriften der Bayerischen Bauordnung (Abstandsflächen – Art. 6 ff. BayBO) entspricht (Ziffer 1). Der Rückbau/Umbau kann nach Satz 2 der Ziffer 1 auch so vorgenommen werden, wie diese im bestandskräftigen Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2010 genehmigt wurde.

Am 4. Dezember 2015 erhob die Klägerin zum Verwaltungsgericht Bayreuth Klage gegen den Bescheid vom 12. November 2015. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Beklagte auf der Basis einer fehlerhaften Ermessensausübung eine unverhältnismäßige Rückbauverpflichtung erlassen habe, die die Klägerin in ihren Rechten verletze. Sie argumentiere damit, dass man verhindern wolle, dass ohne Baugenehmigung Gebäude errichtet würden, insgesamt aber aufgrund der früheren Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin im Bauausschuss andere Maßstäbe anzusetzen seien als im Fall anderer Bauherrn. Diese Begründung gehe an der Sache vorbei und verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Klägerin habe mehrfach gegenüber der Beklagten ihre Bereitschaft zu umfangreichen Umbaumaßnahmen (Abriss der Attika) erklärt. Hätte die Beklagte die Rückbauverpflichtung darauf beschränkt, wäre ein Nachahmungseffekt in keinster Weise zu befürchten gewesen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass auf dem Nachbargrundstück FlNr. 378/1 ebenfalls eine Grenzgarage errichtet worden sei, deren mittlere Wandhöhe die Höhenbegrenzung nach der Bayerischen Bauordnung überschreite. Dieses Garagengebäude weise bereits zur Straße hin eine Wandhöhe von 4,10 m auf. Ferner sei eine Einschränkung geschützter Belange der Nachbarn T … nicht ersichtlich. Auf dem Nachbargrundstück befinde sich ein Garagengebäude, das mit einem Spitzdach ausgeführt worden sei und daher das Garagengebäude der Klägerin höhenmäßig überrage. Auch dem Umstand der Atypik des Grundstücks der Klägerin werde im angefochtenen Bescheid in keiner Weise Rechnung getragen. Das Grundstück der Klägerin sei ebenso wie die Nachbargrundstücke von einem starken Gefälle in südlicher Richtung geprägt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei auf Klägerseite der erhebliche finanzielle Aufwand eines Rückbaus sowie das Interesse an einer effektiven Grundstücksnutzung zu berücksichtigen.

Zur Begründung ihres Antrags auf Klageabweisung ließ die Beklagte vortragen, dass der für das Baugrundstück geltende Bebauungsplan Nr. 10/5 aus dem Jahr 1981 sowohl ein Wohnbaurecht als auch ein Garagenbaurecht innerhalb von Baugrenzen vorsehe. Das zeichnerisch festgesetzte Garagenbaurecht sei für eine 5 m breite Garage an der östlichen Grundstücksgrenze mit dem Garagenbaurecht des Nachbaranwesens zusammengefasst. Nebengebäude und Garagen könnten grundsätzlich auch in den Abstandsflächen der Hauptgebäude liegen. Der Nachweis zur Einhaltung der Abstandsflächen bleibe davon aber unberührt, gleich ob sich der Baukörper innerhalb oder teilweise außerhalb des Baurechts befinde. Eine nachträgliche Genehmigung der planabweichend errichteten Garage sei deshalb nur über die Erteilung einer Abweichung von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts möglich. Die Voraussetzungen hierfür seien vorliegend nicht gegeben, weil ein Sonderfall der Atypik nicht vorliege. Auch das Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden. Es handle sich bei einer Überschreitung der zulässigen mittleren Wandhöhe um 1,55 m nicht mehr um eine geringfügige Überschreitung. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Gleichheitsgrundsatz seien beachtet worden. Die Beklagte habe in der Vergangenheit wiederholt ähnlich gelagerte Fälle verfolgt und baurechtswidrige Zustände bereinigt.

Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat mit Urteil vom 7. April 2016 den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2015 aufgehoben. Die verfügte Beseitigungsanordnung sei zur Herstellung rechtmäßiger Zustände nicht erforderlich. Diese sei auch durch die Erteilung einer Abweichung von den Anforderungen nach Art. 6 BayBO zu erreichen. Vorliegend bestehe die erforderliche atypische Fallgestaltung darin, dass die Nachbargrenzgarage östlich direkt an das Garagengebäude der Klägerin angrenze. Zudem weise die Nachbargrenzgarage auf FlNr. 374/3 ein Satteldach und damit eine massivere Kubatur als das klägerische Flachdachgaragengebäude auf. Die Nachbargarage reiche mit ihrem Giebel über die klägerische Garage hinaus. Besondere Umstände stünden der Erteilung einer Abweichung nicht entgegen.

2. Mit Beschluss vom 4. September 2017 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Beklagten wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils vom 7. April 2016 zugelassen.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, dass weder eine Atypik noch ein ganz besonderer Ausnahmefall vorliege. Bei der Grenzgarage mit Satteldach der Nachbarn handle es sich dagegen um einen speziell geregelten Fall und nicht um einen vom Gesetz nicht berücksichtigten Ausnahmefall. Zudem wäre eine Abweichung bei einer Überschreitung der zulässigen mittleren Wandhöhe der Garage um 0,95 m oder mehr mit den nachbarlichen Belangen nicht vereinbar. Selbst nach einem Teilrückbau der Attika wäre die mittlere Wandhöhe von 3,95 m zu hoch. Der Bestand einer Grenzgarage auf dem Nachbargrundstück könne eine Abweichung zugunsten einer Grenzgarage, welche die gesetzlich vorgesehene Höhenbegrenzung deutlich überschreite, gerade nicht rechtfertigen. Eine Überschreitung der Höhe um 0,95 m oder um ca. 30% sei deutlich mehr als geringfügig. Vor dem Hintergrund der Pflicht zur Gleichbehandlung wäre es auch anderen Bauherrn nicht zu vermitteln, dass die strittige Garage über einen Teilrückbau der Attika und eine entsprechende Abweichung von den Abstandsflächen legalisiert werden könne, während sie grundsätzlich regelkonform, also nicht mehr als 3 m hoch im Mittel ihre Grenzgaragen errichten müssten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 7. April 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die von der Beklagten angegriffene Bauweise der Garage im Umfeld des klägerischen Anwesens sei nicht atypisch, sondern vielmehr prägend für die gesamte Umgebung. Damit stelle sich bereits die Frage nach einer Funktionslosigkeit des Bebauungsplans. Da die gegenständliche Garage eine Bauweise repräsentiere, wie sie im gesamten Umfeld regelmäßig wiederzufinden sei, sei dem Einfügungsgebot Rechnung getragen.

Zumindest mit einer Abweichung hätten ohne weiteres bauordnungsrechtlich zulässige Verhältnisse geschaffen werden können. So sei bereits im Baugenehmigungsbescheid vom 3. Februar 2010 im Zusammenhang mit der Frage der Möglichkeit einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans damit argumentiert worden, dass die aus Beklagtensicht maßgeblichen Belange, die Aufrechterhaltung der Belichtung und Belüftung des Nachbaranwesens und die Grundzüge der Stadtplanung durch eine Abweichung von dem im Bebauungsplan vorgesehenen Baufenster nicht eingeschränkt würden.

Mit Blick auf die öffentlichen Belange sei der Schutzzweck des Abstandsflächenrechts im Wesentlichen in einer erwünschten aufgelockerten Wohnnutzung, einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung des Gebäudes und damit einer Verbesserung insbesondere der Arbeits- und Wohnverhältnisse sowie der Sicherstellung des Brandschutzes zu sehen. Diese öffentlich-rechtlichen Belange würden durch die Bauweise der klägerischen Grenzgaragen nicht beeinträchtigt. Der Schutzzweck der aufgelockerten Wohnnutzung könne angesichts des unmittelbaren Umfelds um den gegenständlichen Bau nicht eingeschränkt sein, da dort Grenzbauten und eine hohe Grundstücksverdichtung der üblichen Bauweise entsprächen. Die Belange der Nachbarn würden durch die nunmehrige Änderung der Garage ebenso wenig beeinflusst. Auf Seite der Klägerin seien zu berücksichtigen das Eigentumsrecht, aber ebenso auch das Interesse der Klägerin an einer effizienten Nutzung der Grundstücksfläche und der Schaffung einer barrierefreien umhausten Abstellfläche für ihr Kraftfahrzeug. Es sei auf den Belang des Art. 118a BV hinzuweisen. Würde die Garage wie von den Beklagten gewünscht abgeknickt ausgeführt, hätte dies ganz erhebliche Auswirkungen auf die Nutzbarkeit der Garage im Fall von Behinderungen und altersbedingten Beweglichkeitsdefiziten. Wegen der Attika werde nochmals betont, dass die Klägerin bereit sei, diese zurückzubauen. Damit könnten die genannten klägerischen Belange gewahrt werden, auch wenn unter diesen Umständen eine Nutzung als Terrasse naturgemäß ausscheiden würde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenakten und die Niederschriften über die Einnahme des Augenscheins vom 24. Oktober 2017 sowie die mündliche Verhandlung vom 8. November 2017 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten (§ 124 VwGO) hat Erfolg.

Die Anfechtungsklage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2015, der sie zum Rückbau ihrer grenzständigen Garage verpflichtet, ist nicht begründet, weil dieser sie nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Demzufolge ist die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 7. April 2016 abzuweisen.

Rechtsgrundlage für die Anordnung zur teilweisen Beseitigung der Garage ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.

1. Die Grenzgarage der Klägerin ist formell rechtswidrig, da sie entgegen der mit Bescheid vom 3. Februar 2010 genehmigten Planung errichtet wurde. Die Grenzgarage ist auch materiell rechtswidrig, da sie entgegen den Anforderungen des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO errichtet wurde. Die zulässige mittlere Wandhöhe von 3 m wird unstreitig überschritten. Die Grenzgarage wurde im Norden an der Grenze zum Grundstück FlNr. 374/3 mit einer Höhe von 3,60 m und im Süden zur gleichen Grundstücksgrenze hin in einer Höhe von ca. 5,50 m errichtet. Die mittlere Wandhöhe beträgt damit ca. 4,55 m anstatt der genehmigten 3 m.

2. Es können auch nicht auf andere Weise im Sinn von Art. 76 Satz 1 BayBO rechtmäßige Zustände hergestellt werden. Die seitens der Klägerin geforderte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Anforderungen der Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO kann mangels einer atypischen Fallgestaltung nicht zugelassen werden. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Zulassung einer Abweichung Gründe erfordert, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2002 – 2 CS 01.5 – juris; B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris). Insoweit muss es sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln. Bei der Zulassung einer Abweichung ist eine atypische Situation zu fordern. In besonderen städtebaulichen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch die Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris; U.v. 19.3.2013 – 2 B 13.99 – BayVBl 2013, 729). Soll auch in diesem Bereich eine zeitgemäße, den Wohnbedürfnissen entsprechende Sanierung, Instandsetzung, Aufwertung oder Erneuerung der zum Teil überalterten Bausubstanz ermöglicht werden, so kommt man im Einzelfall nicht umhin, Ausnahmen vom generalisierenden Abstandsflächenrecht zuzulassen (vgl. BayVGH, U.v. 7.10.2010 – 2 B 09.328 – juris; B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.503 – juris).

Im vorliegenden Fall ist eine atypische Fallgestaltung nicht zu erkennen. Die Klägerin besitzt auf ihrem Grundstück eine Garage, deren Erweiterung zu einer Doppelgarage mit dem Baugenehmigungsbescheid vom 3. Februar 2010 zugelassen wurde. Eine weitere Optimierung dieser bereits großzügigen Doppelgarage rechtfertigt keine Verkürzung der Abstandsflächentiefe. Soweit sich die Klägerin auf die Hanglage ihres Grundstücks beruft, ändert dies nichts an dieser Beurteilung. Das Grundstück FlNr. 374 ist mit 684 m² ausreichend groß und ziemlich regelmäßig geschnitten. Die Bebauung in der Hanglage mit einem Einfamilienhaus sowie einer Doppelgarage ist damit ohne weiteres möglich, wie auch der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 3. Februar 2010 zeigt. Im Übrigen handelt es sich nach den Bekundungen der Beteiligten beim Augenscheinstermin des Senats hier um einen ehemaligen Weinberg, dessen Gebiet durch den Bebauungsplan Nr. 10/5 vom 25. Februar 1981 beplant wurde. Hätten sich demnach auf zahlreichen Baugrundstücken Schwierigkeiten in Bezug auf die abstandsflächengerechte Errichtung von Garagen ergeben, so hätte dies zunächst im Bebauungsplan durch entsprechende Festsetzungen geregelt werden müssen. Zudem hätte der Satzungsgeber den Bebauungsplan insoweit auch später noch nachbessern können. Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO vom Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO können jedenfalls nicht im großen Umfang als Ersatz hierfür herangezogen werden. Dies gilt zumindest für Bebauungspläne, die wie der vorliegende Plan in jüngerer Zeit aufgestellt worden sind.

Soweit die Klägerin eine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans Nr. 10/5 in den Raum stellt, würde dies an vorstehender Beurteilung nichts ändern. Denn die erforderliche Atypik für eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts fehlte weiterhin. Die vom Verwaltungsgericht angeführten Gründe für eine atypische Fallgestaltung führen ebenso wenig auf eine atypische Grundstückssituation beim Anwesen der Klägerin. Eine beengte Grundstückssituation wie in historisch gewachsenen städtischen Lagen ist nicht zu erkennen.

3. Die Ermessensentscheidung der Beklagten hinsichtlich der Anordnung der teilweisen Beseitigung der Grenzgarage nach Art. 76 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist nicht zu beanstanden. Sie hat hierzu ausgeführt, dass grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Herstellung ordnungsgemäßer baulicher Zustände bestehe. Würde dieser Zustand geduldet, würde man der Bevölkerung suggerieren, dass man im Stadtgebiet der Beklagten ohne entsprechende Genehmigung bauen könne und eine nachträgliche Genehmigung dann nur eine Art „Formsache“ darstelle. Soweit darüber hinaus auf die frühere Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin als Mitglied des Bauausschusses hingewiesen wird, handelt es sich hier wohl nur um einen Aspekt des Lokalkolorits. Im Übrigen hat die Beklagte ihre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 25. Februar 2016 noch ausreichend ergänzt (§ 114 Satz 2 VwGO). Insbesondere hat sie herausgestellt, dass hier keine geringfügige Überschreitung der zulässigen mittleren Wandhöhe durch eine Grenzgarage vorliege. In ihrer Berufungsbegründung vom 11. Oktober 2017 hat sie zudem ergänzt, dass auch im Fall eines teilweisen Rückbaus der Attika durch die Klägerin noch eine Überschreitung der zulässigen mittleren Wandhöhe um 0,95 m oder um ca. 30% vorliege. Dies sei deutlich mehr als „geringfügig“ und ein Nichteinschreiten anderen Bauherren nicht zu vermitteln.

Aus Art. 118a der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) ergibt sich nichts anderes. Hiernach dürfen Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligt werden (Satz 1). Der Staat setzt sich für gleichwertige Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung ein (Satz 2). Diese Verfassungsvorschrift wurde im Rahmen des Bauordnungsrechts durch Art. 48 BayBO umgesetzt. Diese Vorschrift befasst sich nur in ihrem Abs. 2 Satz 2 Nr. 9 mit Garagen. Hiernach müssen auch Garagen, die öffentlich zugänglich sind, in den dem allgemeinen Besucher- und Benutzerverkehr dienenden Teilen barrierefrei sein. Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um eine Garagenanlage, die öffentlich zugänglich ist. Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargetan, dass bei der Planung und beim Bau der Erweiterung ihrer Garage die Situation von Menschen mit Behinderung eine Rolle gespielt hätte. Vielmehr soll es sich nach der Klagebegründung vom 8. Februar 2016 um einen Fehler des ausführenden Unternehmens gehandelt haben, indem die Garage dann nicht – wie bescheidsmäßig vorgesehen und von der Klägerin beauftragt – mit einem dem Geländeverlauf entsprechenden „Knick“ ausgeführt, sondern gerade nach hinten gezogen worden sei.

Ein Ermessensfehler der Beklagten ergibt sich auch nicht aus einem behaupteten Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet die Behörde grundsätzlich nicht, in einem Bereich, in dem sie baurechtswidrige Zustände beobachtet hat, schlagartig gegen alle Schwarzbauten vorzugehen. Dazu wäre die zuständige Bauaufsichtsbehörde schon in personeller und sachlicher Hinsicht regelmäßig nicht in der Lage. Die Behörde darf sich vielmehr auf ein Vorgehen gegen einzelne Störer beschränken, sofern sie hierfür sachliche Gründe hat (vgl. Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: Mai 2017, Art. 76 Rn. 232). Einen solchen sachlichen Grund kann es auch darstellen, zunächst gegen neu errichtete Schwarzbauten vorzugehen. Die Klägerin hat nicht aufzuzeigen vermocht, dass die Beklagte insoweit willkürlich vorgegangen wäre. Die von ihr beim Augenscheinstermin des Senats sowie in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen angeblichen Bezugsfälle eignen sich hierfür nicht. Die von ihr herangezogenen Garagenanlagen liegen zum Teil bereits nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 10/5. Dieser Bebauungsplan kann aufgrund seines erheblichen Umgriffs als Begrenzung für mögliche Bezugsfälle herangezogen werden. Für weiter auseinanderliegende Bauvorhaben fehlt es an dem gebotenen Zusammenhang. Das Anwesen der Klägerin liegt auch nicht am Rand des Bebauungsplangebiets.

Bei den als mögliche Bezugsfälle genannten Garagen fehlt in den meisten Fällen zudem die Vergleichbarkeit. Es handelt sich bei zahlreichen der vom Senat beim Augenschein festgestellten Anlagen um Einzelgaragen, die nicht mit der massiven Doppelgarage der Klägerin verglichen werden können. Einige der Garagen sind nicht direkt an der Grundstücksgrenze errichtet oder deckungsgleich mit der Nachbargarage errichtet worden. Einige der Garagen sind mit ihrer Rückseite in den Hang hineingebaut worden, so dass die zulässige mittlere Wandhöhe augenscheinlich eingehalten ist. Zudem sind die meisten vom Senat in Augenschein genommenen Garagen wesentlich älteren Errichtungsdatums als die Doppelgarage der Klägerin.

Hinsichtlich der danach noch für mögliche Bezugsfälle verbleibenden Garagenanlagen, in deren diesbezügliche Bauakten in der mündlichen Verhandlung des Senats am Richtertisch Einblick genommen wurde, wurden mit einer Ausnahme Baugenehmigungen erteilt. Hierbei lag überwiegend eine zulässige mittlere Wandhöhe von maximal 3 m vor. In einem Fall wurde ein gegenseitiges Grenzanbaurecht durch eine Grunddienstbarkeit gesichert. Zudem liegen die Baugenehmigungsverfahren bzw. Freistellungsverfahren sowie Abweichungen und Befreiungen wesentlich länger zurück. Bei den klägerseits angeführten möglichen Bezugsfällen ist demnach keine Garagenanlage mit einer mittleren Wandhöhe von über 3 m vorzufinden, die von der Beklagten in den letzten 20 Jahren genehmigt worden wäre. Eine vergleichbar massive Doppelgarage findet sich darunter ohnehin nicht. Es ist von daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte hier dagegen vorgeht, um eine deutliche negative Vorbildwirkung zu verhindern.

Bezüglich des einzigen in der mündlichen Verhandlung des Senats nicht näher aufklärbaren möglichen Bezugsfalls beim Nachbaranwesen auf der FlNr. 378/1 ist folgendes festzustellen: Es handelt sich bereits nicht um eine vergleichbar massive Garagenanlage wie im Fall der Klägerin. Es liegt vielmehr lediglich eine unterkellerte Einzelgarage vor. Das Wohnhaus auf dem Anwesen wurde am 30. März 1973 genehmigt und im Jahr 1973 errichtet, eine Baugenehmigung für die grenzständige Garage findet sich nicht. Nach dem Eindruck des Augenscheins geht der Senat jedoch nicht davon aus, dass die Garage wesentlich jüngeren Errichtungsdatums als das Wohnhaus ist. Hierzu wurde seitens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, es werde beim Eigentümer des Nachbaranwesens wegen der Baugenehmigung nachgefragt werden. Dadurch ist die Beklagte jedoch nicht gehindert, gegen die wesentlich neuere und massivere Garagenanlage der Klägerin vorzugehen. Zudem würde ein einziger nachgewiesener Bezugsfall das Vorgehen der Beklagten nicht in Frage stellen. Daraus würde sich keinesfalls ergeben, dass die Beklagte weitgehend nicht gegen Schwarzbauten bei Garagenanlagen vorgeht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Aufwendungen für eine Berufsausbildung als Verkehrsflugzeugführer zu vorweggenommenen Werbungskosten führen. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) absolvierte ab 5. Juli 2004 seine erstmalige Berufsausbildung, eine Ausbildung als Verkehrspilot, bei der C, einer Tochtergesellschaft der Y. Dem Kläger entstanden dafür nach seinen eigenen Angaben im Streitjahr (2004) Ausbildungskosten in Höhe von 27.879 €. Die Y stellte den Kläger im Anschluss an dessen Ausbildung ab März 2006 als Verkehrsflugzeugführer an, nachdem sie ihm bereits im Jahr 2005 eine dementsprechende Zusage erteilt hatte. Daneben war der Kläger vom 1. September 2004 bis zum 1. Oktober 2005 bei C im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung tätig.

2

Der Kläger beantragte mit seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr einen verbleibenden Verlustvortrag in Höhe von 27.879 € auf den 31. Dezember 2004 festzustellen. Er sah in den von ihm in dieser Höhe getragenen und darlehensfinanzierten Ausbildungskosten vorweggenommene Werbungskosten für seine künftige nichtselbständige Tätigkeit als Pilot.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte das mit Hinweis auf die Neuregelung in § 12 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab. Der Einspruch dagegen blieb erfolglos.

4

Die dagegen erhobene und auf Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 in Höhe von 27.879 € gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1686 veröffentlichten Gründen ab.

5

Mit der dagegen eingelegten Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

6

Der Kläger beantragt,

das Urteil des FG des Saarlandes vom 4. Mai 2010 aufzuheben und den Ablehnungsbescheid vom 25. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 2005 über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 dahingehend abzuändern, dass der verbleibende Verlustvortrag um Werbungskosten in Höhe von 27.879 € erhöht wird.

7

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit Schriftsatz vom 6. Mai 2011 den Beitritt zum Verfahren nach § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erklärt.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für dessen Ausbildung als Berufspilot zu Unrecht vom Abzug als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Die Sache ist allerdings nicht entscheidungsreif. Denn das FG hat zur Höhe der dem Kläger im Einzelnen entstandenen Kosten keine Feststellungen getroffen.

10

1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Nach Angleichung des Begriffs der Werbungskosten an den der Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. März 1986 VIII R 188/84, BFHE 146, 151, BStBl II 1986, 373) liegen Werbungskosten vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Nach dem einkommensteuerrechtlichen Nettoprinzip ist für die Abgrenzung beruflicher Aufwendungen das Veranlassungsprinzip maßgebend. Die Aufwendungen sind danach beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs geleistet werden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1/07 u.a., BVerfGE 122, 210; BFH-Beschluss vom 21. September 2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672). Dabei ist ausreichend, wenn die Ausgaben den Beruf des Arbeitnehmers im weitesten Sinne fördern (Urteile des erkennenden Senats vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407; jeweils m.w.N.).

11

a) Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen (BFH-Urteile vom 18. April 1996 VI R 89/93, BFHE 180, 353, BStBl II 1996, 449; vom 19. April 1996 VI R 24/95, BFHE 180, 360, BStBl II 1996, 452).

12

b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407) kann der erforderliche Veranlassungszusammenhang auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein. Denn § 9 EStG enthält keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten. Entscheidend bleibt daher nach den vorgenannten Grundsätzen auch insoweit, ob die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur nachfolgenden auf die Erzielung von Einkünften gerichteten Berufstätigkeit stehen.

13

c) Der Werbungskostenabzug ist gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig. Das ist ein allgemeiner, für alle Sonderausgaben durch den Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG normierter Grundsatz. Wie der Senat schon früher entschieden hatte (Urteile in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407), steht § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG dem Abzug der Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Denn nach dem Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind".

14

Dieser Vorrang für den Werbungskostenabzug gilt unverändert und insbesondere auch nach der Neuregelung des Abzugs der Berufsausbildungskosten und der Einführung des § 12 Nr. 5 EStG durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1753). Denn auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG i.d.F. dieses Änderungsgesetzes (BGBl I 2004, 1753) sieht den Abzug der Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung nur dann als Sonderausgaben vor, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind". Danach entfaltet § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unverändert keine Sperrwirkung gegenüber dem Werbungskostenabzug (vgl. zuletzt Senatsentscheidung vom 18. Juni 2009 VI R 14/07, BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816, m.w.N.). Der Abzug der Aufwendungen als Erwerbsaufwendungen bleibt danach vielmehr gegenüber deren Abzug als Sonderausgaben vorrangig.

15

d) Auch § 12 Nr. 5 EStG lässt den Vorrang des Werbungskostenabzugs gegenüber dem als Sonderausgaben unberührt und steht daher dem Abzug der Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Dies gilt nicht nur für den vom Senat schon entschiedenen Fall, dass der Ausbildung oder dem sog. Erststudium eine abgeschlossene Berufsausbildung vorangegangen ist (dazu Urteil in BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816), sondern auch dann, wenn die Ausbildung eine Erstausbildung ist und die dafür getätigten Aufwendungen in einem hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang mit der späteren der Einkünfteerzielung dienenden Berufstätigkeit stehen.

16

aa) Nach § 12 Nr. 5 EStG sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium nur insoweit weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, als "in § 10 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 6, 7 und 9, § 10a, § 10b und §§ 33 bis 33c nichts anderes bestimmt ist". § 12 Nr. 5 EStG schließt damit nicht per se und ausnahmslos den Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzug aus, wie dies etwa § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 11 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG als allgemeines einkommensteuerrechtliches Regelungsmodell zur Begrenzung des Abzugs normiert, wenn der Aufwand zugleich auch die private Lebenssphäre berührt (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, C.II.1.). § 12 Nr. 5 EStG steht vielmehr --wie auch § 12 Nrn. 1 bis 4 EStG und vergleichbar mit § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG-- unter dem Anwendungsvorbehalt seines Einleitungssatzes. Danach bestimmt der dort in Bezug genommene § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG insoweit etwas anderes, als die Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung als Sonderausgaben abgezogen werden können, wenn sie weder Werbungskosten noch Betriebsausgaben sind. Wenn indessen § 12 Nr. 5 EStG den vorrangigen Sonderausgabenabzug anordnet, der vorrangige Sonderausgabenabzug aber seinerseits --wie dargelegt-- unter dem Vorbehalt steht, dass die Aufwendungen nicht als Erwerbsaufwendungen (Werbungskosten, Betriebsausgaben) zu beurteilen sind, bleibt im Ergebnis auch durch § 12 Nr. 5 EStG der vorrangige Werbungskostenabzug grundsätzlich unberührt. Deshalb sind Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als Werbungskosten abziehbar, sofern ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen den Aufwendungen und der späteren auf Einkünfteerzielung gerichteten Berufstätigkeit besteht.

17

bb) Das (klarstellende) Abzugsverbot in § 12 Nr. 5 EStG ist damit allerdings nicht gegenstandslos. § 12 Nr. 5 EStG hat eine ähnliche Funktion wie der systematisch gleichrangige § 12 Nr. 1 EStG. § 12 Nr. 5 EStG begrenzt den Werbungskostenabzug in keinem größeren Umfang als etwa § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG, der zwar privat veranlasste Kosten im einkommensteuerrechtlich Unerheblichen belässt, aber deren beruflich veranlassten Teil nicht vom Werbungskostenabzug ausnimmt, so etwa die dem beruflichen Teil zuzuordnenden Reise-, PKW- oder Telefonkosten (BFH-Beschluss in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672). Der Senat (Urteile in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407) hatte bereits vor Ergänzung des § 12 EStG durch dessen Nr. 5 entschieden, dass § 12 Nr. 1 Satz 1 und Satz 2 EStG einem Abzug der Aufwendungen für ein aus beruflichen Gründen aufgenommenes Erststudium als Werbungskosten nicht entgegensteht, weil solche Kosten nicht zugleich Aufwendungen für die private Lebensführung darstellten, welche die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt. § 12 Nr. 1 EStG wolle insbesondere verhindern, dass ein Steuerpflichtiger die Aufwendungen für seine Lebensführung nur deshalb steuerlich geltend machen könne, weil er einen entsprechenden Beruf habe, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen aus versteuerten Einkommen decken müssten. Sind die Aufwendungen indessen aus beruflichen Gründen entstanden, liegen eben keine Aufwendungen der privaten Lebensführung vor, die i.S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt. Das die Aufwendungen auslösende, maßgebliche Moment entstammt dann der beruflichen und nicht der privaten Sphäre (so zuletzt Senatsurteil in BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816, m.w.N.). Die Aufwendungen sind dann als Werbungskosten abziehbar; das gebietet nicht zuletzt auch das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (BFH-Beschluss in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672).

18

In vergleichbarer Weise regelt § 12 Nr. 5 EStG den Bereich der Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung. Danach sind allgemeine Bildungsaufwendungen, die in keinem hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zu einer gegenwärtigen oder künftigen beruflichen Tätigkeit stehen, auf Grundlage des Anwendungsvorbehalts des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG als Sonderausgaben abziehbar. Besteht indessen ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen diesen Aufwendungen und einer beruflichen Tätigkeit, schließt § 12 Nr. 5 EStG mit seinem ausdrücklichen Verweis auf § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG den dort normierten Anwendungsvorrang des Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzugs nicht aus.

19

e) Das FA und das beigetretene BMF können sich zur Begründung ihrer entgegenstehenden Rechtsauffassung nicht auf den Willen des Gesetzgebers stützen. Denn die allein im Ausschussbericht (BTDrucks 15/3339, S. 10 f.) erkennbar gewordene Auffassung, nach der jedenfalls die Ausschussmehrheit die Aufwendungen für die erste Berufsausbildung den Kosten der Lebensführung zurechnen wollte, bildet sich nicht in einer Weise hinreichend konkret in dem an § 12 EStG angefügten Nr. 5 und dem im Übrigen unveränderten Normengefüge ab, dass darauf gestützt der Werbungskostenabzug für Aufwendungen der ersten Berufsausbildung auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Aufwendungen einen hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur späteren Berufstätigkeit und den damit erzielten Einkünften aufweisen. Im Zweifel ist mangels eindeutiger gesetzlicher Regelungen bei der Auslegung der Norm dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenwirken der §§ 9 Abs. 1, 10 Abs. 1 Nr. 7, 12 EStG sowie dem für den Werbungskostenabzug tragenden Veranlassungsprinzip der Vorzug zu geben.

20

aa) Ausweislich der Einzelbegründung zu § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG und § 12 Nr. 5 EStG (BTDrucks 15/3339, S. 10 f.) sollte die jüngste Rechtsprechung des BFH zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung der Ausbildungskosten zum Anlass genommen werden, diese einkommensteuerrechtliche Behandlung neu zu ordnen, um die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für seine Ausbildung in erheblich größerem Umfang als bisher gesetzlich zu berücksichtigen. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH (Urteile in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407; vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884), welche die Aufwendungen für eine Umschulungsmaßnahme, die Aufwendungen für ein berufsbegleitendes erstmaliges Hochschulstudium sowie die Aufwendungen für eine --nach abgebrochenem Studium-- erstmalige Berufsausbildung als Pilot jeweils als Werbungskosten qualifizierte, sollte sich die Neuordnung der Berufsausbildungskosten weitgehend an diesem grundsätzlichen Ansatz des BFH orientieren. Andererseits gehöre --so die Begründung-- auch in einer modernen entwickelten Gesellschaft die erste Berufsausbildung typischerweise zu den Grundvoraussetzungen für eine Lebensführung. Das Erlernen der Grundlage eines Berufs diene dem Erwerb einer selbständigen und gesicherten Position, so dass die Aufwendungen für die erste Berufsausbildung und für ein Erststudium ebenso wie die für Erziehung und andere Grundbedürfnisse schwerpunktmäßig und untrennbar zu den Kosten der Lebensführung gehörten.

21

bb) Der neu geschaffene § 12 Nr. 5 EStG setzt jedoch, wie dargelegt, nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang das für den Werbungskostenabzug tragende Veranlassungsprinzip nicht außer Kraft. Aber auch unter Berücksichtigung der vorgefundenen Gesetzesmaterialien lässt sich kein grundlegender Systemwechsel erkennen, der das gesamte und insbesondere unverändert fortgeltende übrige Normengefüge des Werbungskosten- und Sonderausgabenabzugs (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 11, § 9 Abs. 1, 5, § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG) außer Kraft setzen sollte. Denn zum einen sollten danach die aus § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG hergeleiteten Grundsätze der Rechtsprechung des BFH zu dem für den Werbungskostenabzug erforderlichen und für die Zuordnungsentscheidung tragenden Veranlassungszusammenhang zwischen Berufsausbildungskosten und späteren Einkünften offenbar unverändert fortgelten. Zum anderen ordnet sogar der mit der Neuregelung geschaffene § 12 Nr. 5 2. Halbsatz EStG selbst die Aufwendungen für eine auch erste Berufsausbildung nicht vorrangig dem Sonderausgabenabzug zu. Die Neuregelung selbst geht damit offensichtlich davon aus, dass solche Aufwendungen jedenfalls dann Werbungskosten sein können, soweit sie im Rahmen eines Dienstverhältnisses entstehen, also offenkundig einen hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur Berufstätigkeit aufweisen. Und dieses Wortlautverständnis wird gerade durch die Begründung zu § 12 Nr. 5 2. Halbsatz EStG bestätigt. Denn danach dienen diese Kosten unmittelbar dazu, Einnahmen in einem bestehenden Dienstverhältnis zu erzielen, und werden daher zu mit positiven Einkünften verrechenbaren Werbungskosten erklärt (BTDrucks 15/3339, S. 11).

22

cc) Ein grundlegender Systemwechsel setzt die Schaffung eines wirklich neuen Regelwerks voraus. Davon kann insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn trotz Bekundungen im Gesetzgebungsverfahren bei der Neuregelung im Übrigen unverändert an bisherigen Grundentscheidungen und Grundprinzipien festgehalten wird. Lässt sich aus der neu geschaffenen materiellen Rechtslage ein solcher grundlegender Systemwechsel nicht entnehmen, kann nach dem Urteil des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Pendlerpauschale (in BVerfGE 122, 210 zur Neuregelung des § 9 Abs. 2 Sätze 1, 2 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2007 --StändG 2007-- vom 19. Juli 2006, BGBl I 2006, 1652) die gesetzliche Neuregelung mangels verfassungsrechtlich erforderlicher Folgerichtigkeit verfassungswidrig sein. Vergleichbar damit bietet mangels eines festzustellenden grundlegenden Systemwechsels allein eine Äußerung im Gesetzgebungsverfahren auch noch keine tragfähige Grundlage für eine Auslegung, die aus den vorgenannten Gründen dem Wortlaut und einer im Übrigen erkennbar beibehaltenen Systematik zuwiderläuft.

23

dd) Angesichts dessen kann hier dahinstehen, ob und inwieweit der Gesetzgeber von Verfassungs wegen berechtigt wäre, abweichend von der bisherigen einfachrechtlichen einkommensteuerrechtlichen Qualifikation der Berufsausbildungsaufwendungen als Werbungskosten diese als privat mitveranlasst anzusehen und insoweit den Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzug auszuschließen. Denn auch bei einem auf multikausale und multifinale Wirkungszusammenhänge gestützten weiten Typisierungsspielraum des Gesetzgebers (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, C.II.4.) wäre zu beachten, dass die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers steht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG kommt es nicht auf die einfachrechtliche Differenzierung zwischen beruflichem und privatem Veranlassungszusammenhang an, sondern auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem und pflichtbestimmtem Aufwand andererseits (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, C.I.3.c, m.w.N.).

24

Ebenso kann deshalb die Frage dahinstehen, ob die Neuregelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, weil sie --etwa vergleichbar mit § 9 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 --von dem nach dem einkommensteuerrechtlichen Nettoprinzip für die Abgrenzung beruflicher Aufwendungen maßgeblichen Veranlassungsprinzip singulär abweicht (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, C.II.1.). Entsprechendes gilt schließlich für die Frage, ob das aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes hergeleitete Prinzip des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes einer rückwirkenden Anwendung des § 12 Nr. 5 EStG entgegensteht.

25

f) Auf Grundlage der vorgenannten Gründe hält der erkennende Senat nicht mehr an der in seinen Urteilen vom 18. Juni 2009 (in BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816; VI R 31/07, BFH/NV 2009, 1797; u.a.) vertretenen, dort allerdings nicht entscheidungserheblichen Auffassung fest, wonach § 12 Nr. 5 EStG in typisierender Weise bestimme, dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung --von dem in Halbsatz 2 der Vorschrift genannten Fall abgesehen-- noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang stehen. Denn diese Auffassung könnte zwar der Sichtweise der Begründung des § 12 Nr. 5 EStG (BTDrucks 15/3339, S. 10) entsprechen, findet aber, wie dargelegt, keine hinreichende Grundlage im Wortlaut der Norm.

26

2. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze sind die vom Kläger geleisteten Aufwendungen für seine Ausbildung zum Berufspiloten auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG dem Grunde nach vorweggenommene Werbungskosten. Denn es besteht ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen diesen Aufwendungen zur Ausbildung als Pilot und der nachfolgenden Berufstätigkeit des Klägers als Pilot und den daraus erzielten Einkünften.

27

3. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Denn das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- zu den einzelnen vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen noch keine Feststellungen getroffen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen hat die Antragstellerin zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich als Eigentümergemeinschaft der Wohnungseigentümer des Anwesens auf den Grundstücken Fl.Nr. …4 und …6 der Gemarkung W., … Straße ...2, ...2a, ...2b und ...2c in W., gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 9. Juli 2018 erteilte Baugenehmigung zum Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern mit 22 Wohneinheiten und einer Tiefgarage auf dem Grundstück Fl.Nr. …4 und …4/1 der Gemarkung Würzburg, …Straße ...0 in Würzburg (Baugrundstück).

1. Das Baugrundstück wie auch das Grundstück der Antragstellerin befinden sich im Geltungsbereich des „Baulinienauflageplan für das Gebiet zwischen F. Straße, S.-straße, A.-straße (jetzt F.-straße) und W.-straße“ vom 6. August 1927, in der Fassung der Änderung vom 7. Oktober 1998. Dieser setzt u.a. Baugrenzen und Baulinien fest und enthält die Formulierung, dass für die Abstandsflächen Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO anzuwenden sei.

Das Baugrundstück der Beigeladenen, das (in Ost-West-Richtung) ca. 20 m breit und (in Nord-Süd-Richtung) ca. 78 m lang ist, grenzt im Osten an das Grundstück der Antragstellerin an und war bisher unbebaut.

Die Eigentumswohnanlage der Antragstellerin, bestehend aus 22 Wohneinheiten und einer Tiefgarage, wurde mit Baugenehmigungsbescheid der Stadt Würzburg vom 10. Mai 2006 genehmigt. Ausweislich der genehmigten Planunterlagen handelt es sich um einen (in Nord-Süd-Richtung) ca. 45 m langen Gebäudetrakt, bestehend aus vier Baukörpern mit drei, sechs, drei und fünf Vollgeschossen. Hierbei wurde von der vorgeschriebenen Tiefe der Abstandsfläche auf der Ostseite (grundsätzlich erforderlich: maximal 14,873; geplant: minimal 8,66) wie auch vom Verbot der Überlagerung von Abstandsflächen eine Abweichung zugelassen.

2. Mit Bauantrag vom 14. Juli 2017 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern mit 23 Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit 23 Stellplätzen und zwei Außenstellplätzen auf dem Baugrundstück. Unter dem Datum 12. Januar 2018 legte die Beigeladene einen 2. Tekturantrag zum Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern (Haus 1 im Süden, viergeschossig und Haus 2 im Norden, dreigeschossig) mit 22 Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit 28 PKW-Stellplätzen und einem Außenstellplatz auf dem Baugrundstück vor. Unter dem 12. Januar 2018 wurde ein Antrag auf Abweichung gemäß Art. 6 BayBO hinsichtlich der Verringerung der Abstandsflächen gestellt. So wurde u.a. bzgl. Haus 1 Richtung Westen gegenüber Grundstück Fl.Nr. …4 eine Verringerung der Abstandsfläche von 10,51 m um 6,60 m und gegenüber Fl.Nr. …6 von 10,525 um 6,605 m beantragt. Hinsichtlich Haus 2 wurde u.a. eine Reduzierung Richtung Westen beantragt gegenüber Grundstück Fl.Nr. …6 von 8,71 m um 4,80 m. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Überlagerungen und der daraus notwendige Verringerungsantrag sich durch den schmalen langen Grundstückszuschnitt ergäben. Bedingt durch die vorhandene, hohe Nachbarbebauung lägen die bestehenden Abstandsflächen der Nachbargrundstücke Fl.Nr. …3, …4, …6, …2 und …4/2 ebenfalls auf ihrem Baugrundstück. Aus dem Abstandsflächenplan Nachbarn sei ersichtlich, wie die Abstandsflächen von besagten Nachbargrundstücken auf die beplanten Grundstücke Fl.Nr. …4 und …4/1 zum Liegen kämen. Belichtung, Belüftung und Brandschutz seien gewährleistet.

Mit Bescheid vom 9. Juli 2018 erteilte die Stadt Würzburg der Beigeladenen die Baugenehmigung nach den Plänen vom 20. Dezember 2017, 12. Januar 2018 und 12. April 2018, geändert am 12. April 2018 und 19. Juni 2018. Des Weiteren wurden Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von der gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO vorgeschriebenen Tiefe der Abstandsfläche auf drei Seiten zugelassen, so u.a. auf der Westseite (grundsätzlich erforderlich: 3,00 m - 13,31 m; Verkürzung auf: 0,00 m - 6,72 m). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass von der Einhaltung der nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO vorgeschriebenen Tiefe der Abstandsfläche auf der Westseite eine Abweichung gewährt worden sei, da es sich um eine gegenseitige Grenzverletzung im ungefähr gleichen Ausmaß handele. Es bestünden keine Bedenken hinsichtlich der Belichtung, der Belüftung und des Brandschutzes. Der Mindestabstand (3 m) werde durch die geplanten Wohngebäude eingehalten, eine Unterschreitung des Mindestabstandes erfolge ausschließlich durch die öffnungslose Tiefgarage. Die Durchführung der Vorschrift würde in diesem Fall zu einer unbilligen Härte führen. Die Abweichungen seien auch unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar.

3. Gegen den Bescheid vom 9. Juli 2018 ließ die Antragstellerin am 9. August 2018 durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben (W 5 K 18.1047). Sie stellte am 5. Oktober 2018 im hiesigen Verfahren den Antrag;

die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. August 2018 anzuordnen.

Zur Begründung der Klage wie auch des Sofortantrags wurde vorgetragen: Der Antrag sei zulässig und begründet. Die Antragstellerin sei insbesondere antragsbefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO, wobei diese sich aus den gleichen Gründen ergebe wie die Klagebefugnis in der Klage vom 9. August 2018. Soweit die Beigeladene dies in Zweifel ziehe, verkenne sie, dass die gesamte äußere Gebäudehülle und auch die Balkone und Terrassen im Gemeinschaftseigentum und nicht im Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer stünden. Auch die Wohngärten hätten einen Schutzanspruch. Der Klage kämen hohe Erfolgsaussichten zu. Die Antragstellerin sei insbesondere klagebefugt, weil sie geltend machen könne, zumindest möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu werden. Im Falle einer Eigentumswohnanlage sei jedenfalls für die hier in Rede stehenden Beeinträchtigungen ein eigenes Abwehrrecht der Eigentümergemeinschaft anerkannt. Im vorliegenden Fall stehe im Kern die Befreiung des Bauvorhabens von der Einhaltung der Abstandsflächen gegenüber dem Anwesen der Antragstellerin im Streit. Die Abstandsflächen wirkten als solches auf das gesamte Grundstück und nicht nur auf einzelne Wohnungseigentümer, auch wenn diese durch die hinter dem Abstandsflächenrecht stehenden Schutzgüter (z.B. Belichtung und Belüftung) zum Teil unterschiedlich stark betroffen würden.

Die angegriffene Baugenehmigung verletze die Antragstellerin in ihrem Recht auf Einhaltung der Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO. Es dürfte außer Streit stehen, dass die Abstandsflächen des Bauvorhabens in erheblichem Umfang, d.h., bis fast zur Hälfte nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO in Richtung zum Anwesen der Antragstellerin die Grundstücksgrenze überschreiten würden. Hinzu komme, dass sich diese Abstandsflächen auch mit den Abstandsflächen des Anwesens der Antragstellerin überlappten, obwohl dies nach Art. 6 Abs. 3 BayBO grundsätzlich unzulässig sei. Des Weiteren entstehe durch die Brüstungsmauer der Tiefgarage eine unmittelbar grenzständige oberirdische Mauer von ca. 1 m Höhe. Die der Beigeladenen erteilte Abweichung von den nach Art. 6 BayBO einzuhaltenden Abstandsflächen in Richtung des Anwesens der Antragstellerin sei rechtswidrig und verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Es sei schon fraglich, ob aus rechtssystematischen Gründen überhaupt eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO zulässig sei. Im hier vorliegenden Streitfall führe die erteilte Abweichung dazu, dass die minimal notwendige Belichtung der Wohn- und Aufenthaltsräume im Erdgeschoss des Anwesens der Antragstellerin nach Osten nur noch gerade so gewahrt bleibe. Soweit sich an der Ostfassade auch Balkone und kleine Nutzgärten der dahinterliegenden Wohneinheiten befänden, werde der durch die Abstandsflächen geschützte „Sozialabstand“ drastisch unterschritten. Generell verlange die Gewährung einer Abweichung, dass eine Atypik des konkreten Falls gegenüber dem gesetzlich normierten Fall gegeben sei. In der Begründung der Abweichung werde aber nicht erläutert, worin die Atypik liegen solle. Aber selbst dann, wenn man im vorliegenden Fall von einer ausreichenden Atypik ausgehen sollte, fehle jede Auseinandersetzung mit der Frage, warum hier bei der faktischen Verkürzung des Gebäudeabstandes um die Hälfte der in Art. 6 BayBO geschützte Sozialabstand noch gewahrt bleibe. Ob durch die seit dem 1. September 2018 geltende Hinzufügung des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO nunmehr die Rechtsprechung zum Erfordernis der Atypik nicht mehr gelte, ergebe sich nicht ohne weiteres. Es sei sehr zweifelhaft, ob mit der Neuregelung die ständige Rechtsprechung zum Erfordernis der Atypik als Voraussetzung für die Ausnahme nach Art. 63 Abs. 1 BayBO überwunden werden könne. Die Festsetzung im Baulinienplan, dass die Abstandsflächen des Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO einzuhalten seien, beruhe auf Art. 98 Abs. 1 Ziff. 5 und 6 BayBO 1994, sie seien als örtliche Bauvorschriften in den Baulinienauflageplan nach Art. 98 Abs. 3 BayBO integriert, es handele sich nicht um einen lediglich deklaratorischen Hinweis, vielmehr um ein tragendes Gestaltungsprinzip des Baulinienauflageplans. Es bedürfe insoweit einer Befreiung am Maßstab des § 31 Abs. 2 BauGB, eine solche sei aber weder beantragt noch erteilt worden. Die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB lägen auch nicht vor. Der Antragstellerin sei es auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Einhaltung des Abstandsflächenrechts zu berufen. Weder könne der Antragstellerin ein unredlicher Erwerb der eigenen Abwehrrechtsposition vorgehalten werden, noch habe sie gegenüber dem Voreigentümer des Baugrundstücks eigene Pflichten verletzt. Der dem Abstandsflächenrecht innewohnende Schutz der gesunden Wohnverhältnisse sei auch dann noch schutzwürdig, wenn im Jahr 2006 für das Anwesen der Antragstellerin eine Abweichung von den Abstandsflächen im ungefähr ähnlichen Umfang gewährt worden sei. Eine entscheidende Rolle spiele hierbei zum einen, dass der damalige Eigentümer seine Nachbarunterschrift erteilt habe, und zum anderen, dass der historische Zustand als Wald eine Bebauung in ähnlichem Umfang nicht habe erwarten lassen. Die objektive Tatsache, dass für das Anwesen der Antragstellerin eine Abweichung von den Abstandsflächen erteilt worden sei, die im Umfang ungefähr der jetzt streitigen Abweichung entspreche, rechtfertige für sich allein noch nicht diese Abweichung. Maßgeblich sei stets, ob der grundsätzlich bestehende Anspruch auf Einhaltung der Abstandsflächen schutzwürdig sei. Dies sei hier der Fall. Wenn die frühere Eigentümerin des Baugrundstücks sich eine eigene Bebauung im heute streitgegenständlichen Umfang hätte sichern wollen, hätte sie entweder die Nachbarunterschrift verweigern müssen oder aber mit dem damaligen Bauträger des Anwesens der Antragstellerin einen Vertrag über einen wechselseitigen Verzicht auf die Einhaltung der Abstandsflächen schließen müssen.

Davon abgesehen verlange auch das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme die Einhaltung eines ausreichenden Abstandes zwischen den Gebäuden. Bauplanungsrechtlich spiele dabei neben der Belichtung und Belüftung gerade auch die ausreichende Wahrung des Sozialabstandes eine Rolle. Weiterhin werde die Frage aufgeworfen, ob bei einer nahezu Halbierung des jeweiligen Abstandes im konkreten Fall schon eine bedrängende Wirkung entstehe.

4. Die Stadt W. stellte den Antrag,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei unbegründet, da die erhobene Anfechtungsklage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 9. Juli 2018 mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben werde. Die Erteilung der Befreiung von der südlichen Baugrenze sowie die Abweichungen von den grundsätzlich erforderlichen Abstandsflächen, auch gerade gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin, deren Wohnanlage die grundsätzlich erforderlichen Abstandsflächen in vergleichbarem Ausmaß nicht einhalte, seien in zulässiger Weise gewährt worden. Die Baugenehmigung begegne planungsrechtlich keinen Bedenken. Das Flurstück …4 sei ein Baugrundstück, da im Baulinienauflageplan von 1928 im Süden über die gesamte Breite des Grundstücks eine Gebäudefluchtlinie festgesetzt sei. Der tatsächlich vorhandene Bewuchs und die entsprechende Darstellung im Baulinienauflageplan von 1998 ändere hieran nichts. Eine weitere Befreiung von den Festsetzungen des Baulinienauflageplans sei für das Bauvorhaben, das sich ersichtlich nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfüge, nicht ersichtlich. Der im Baulinienauflageplan enthaltene Verweis auf die Abstandsflächenregelung in Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO stelle keine selbständige örtliche Bauvorschrift dar, da weder eine über die Regelabstände hinausgehende (Art. 98 Abs. 1 Ziff. 5 BayBO) noch eine die Regelabstände unterschreitende Abstandsfläche (Art. 98 Abs. 1 Ziff. 6 BayBO) festgesetzt worden sei. Damit sei die allein nach Art. 63 BayBO erfolgte Beurteilung der beantragten Abweichungen von den Abstandsflächen ausreichend. Diese hätten gerade unter Einbeziehung der nachbarlichen Interessen zugelassen werden können, da die Wohnanlage der Antragstellerin die Abstandsflächen gegenüber dem Grundstück der Beigeladenen in vergleichbarem Ausmaß nicht einhalte, aufgrund der Festsetzungen des Baulinienauflageplans nie davon habe ausgegangen werden können, dass das Grundstück der Beigeladenen nicht bebaut werde, und die Wohnanlage der Antragstellerin selbst einer bedeutsamen Befreiung von der Einhaltung der Baulinie bedurft habe.

5. Die Bevollmächtigte der Beigeladenen stellte den Antrag,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei unbegründet, denn die Klage in der Hauptsache habe nach summarischer Prüfung keinen Erfolg. Im Übrigen wäre der Antrag selbst bei offenen Erfolgsaussichten abzulehnen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei es der Beigeladenen wegen der immensen finanziellen Verluste nicht zumutbar, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Die Klage sei bereits unzulässig. Denn die Antragstellerin sei als Wohnungseigentümergemeinschaft zumindest im vorliegenden Fall nicht klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Eine entsprechende Rechtsverletzung sei von vornherein ausgeschlossen. Die gerügten Verstöße gegen die Abstandsflächenvorschriften beträfen hier denknotwendig nicht das Gemeinschaftseigentum. Die einzelnen Wohnungen und deren Nutzung zu Wohnzwecken seien ausschließlich dem Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer zugeordnet. Die Eigentümergemeinschaft könne insoweit nicht beeinträchtigt sein.

Die Klage sei auch nicht begründet, der angegriffene Genehmigungsbescheid sei rechtmäßig, insbesondere verletze er die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Die erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften sei nicht rechtswidrig. Nicht nachvollziehbar sei die von der Antragstellerin geäußerte Rechtsauffassung, wonach aus rechtsdogmatischen Gründen eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO nicht bzw. nur ausnahmsweise und unter sehr strengen Anforderungen zulässig sein soll. Die Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO seien erfüllt. Insbesondere sei eine Beeinträchtigung geschützter Nachbarbelange nicht erkennbar. Die ausreichende Belichtung und Belüftung des Anwesens der Antragstellerin bleibe erhalten. Auch hinsichtlich des Sozialabstands komme eine Beeinträchtigung nicht in Betracht. Die Gebäude seien an der engsten Stelle mindestens knapp 10 m voneinander entfernt, in anderen Bereichen sogar bis zu 20 m. Die Erteilung der Abweichung sei im Übrigen auch mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Die Umgebungsbebauung in der Z. weise generell eine verdichtete Bauweise auf. Die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO würden vielfach nicht eingehalten. So sei insbesondere auch für die Errichtung des Anwesens der Antragstellerin eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zum Grundstück der Beigeladenen hin in einem Umfang erteilt worden, der den Umfang der vorliegend streitgegenständlichen Abweichung noch übersteige, jedenfalls nicht hinter diesem zurückbleibe und insoweit vergleichbar sei. Die Erteilung der Abweichung sei auch nicht insoweit rechtswidrig, als das Erfordernis der Atypik nicht gegeben sein solle. Mit der Novellierung der Bayerischen Bauordnung zum 1. September 2018 habe der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass das Vorliegen eines atypischen Falles nicht Voraussetzung für die Erteilung einer Abweichung sei. Es könne dahinstehen, ob diese Änderung zugleich auch eine Auslegungsregelung für die Zeit vor der Novellierung darstelle oder nicht. Jedenfalls könne die Beigeladene diese Klarstellung für sich in Anspruch nehmen. Denn ausnahmsweise sei auf den Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Entscheidung abzustellen, wenn - wie hier - Verwaltungsakte noch nicht vollzogen seien bzw. es sich um Dauerverwaltungsakte handele. Letztlich komme es hierauf nicht an, und zwar vor dem Hintergrund, dass tatsächlich ein atypischer Fall vorliege. Denn der schlauchförmige Grundstückszuschnitt des Baugrundstücks lasse eine sinnvolle Bebauung, die sich nach dem Maß der baulichen Nutzung an der Umgebungsbebauung orientiere, unter Einhaltung der Abstandsflächen nicht zu. Die angegriffene Baugenehmigung sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans im Hinblick auf die Abstandsflächen erforderlich gewesen wäre. Selbst wenn es sich bei dem Verweis auf die (damaligen) Abstandsflächenvorschriften um eine Festsetzung handeln sollte (dies sei anzuzweifeln), so stelle dieser inhaltlich einen bloßen Verweis ohne eigenen Regelungsgehalt dar. Soweit die Antragstellerin meine, dass Abstandsflächenvorschriften auch durch die Oberkante der Tiefgarage verletzt werden würden und soweit eine Abweichung erforderlich sei, sei dies aus verschiedenen Gründen unzutreffend bzw. nicht entscheidungserheblich. Ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung sei die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt. Denn die von der Antragstellerin gerügten Verstöße gegen die Abstandsflächenvorschriften und damit zugleich Beeinträchtigungen der Schutzzwecke Belichtung und Sozialabstand beträfen denknotwendig nicht das Gemeinschaftseigentum, sondern ausschließlich das Sondereigentum und könnten ausschließlich durch die jeweils konkret betroffenen Sondereigentümer geltend gemacht werden. Ungeachtet dessen scheide eine Rechtsverletzung auch deshalb aus, als das Anwesen der Antragstellerin selbst durch eine Abweichung in vergleichbarem Umfang errichtet worden sei und zudem deutlich höher sei als das Vorhaben der Beigeladenen.

6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat keinen Erfolg; er ist jedenfalls unbegründet.

1. Es kann offenbleiben, ob der Antrag bereits unzulässig ist.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil sie sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wendet (§ 212a BauBG). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.

Die Beigeladenenseite ist der Auffassung, dass es der Klage der Antragstellerin bereits an der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO fehle, dementsprechend wäre dann auch von einer mangelnden Antragsbefugnis entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO auszugehen.

Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Für ein Verfahren nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO gilt die Bestimmung im Hinblick auf die Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes zum Hauptsacheverfahren entsprechend (vgl. BVerwG, B.v. 30.10.1992 - 4 A 4/92 - juris; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 134).

Die Bejahung der Klage- bzw. Antragsbefugnis setzt voraus, dass es auf der Grundlage des Tatsachenvorbringens des Betroffenen zumindest möglich erscheint, dass dieser durch den angefochtenen Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt wird (sog. Möglichkeitstheorie, vgl. BVerwG, B.v. 21.1.1993 - 4 B 206/92 - juris).

Im Falle der Anfechtung eines an einen anderen gerichteten begünstigenden Verwaltungsakts durch einen Dritten kann sich eine eigene, die Klage- bzw. Antragsbefugnis begründende Rechtsposition aus einer im Verfahren zu prüfenden drittschützenden Norm ergeben. Ob eine die behördliche Entscheidung tragende Norm Dritten, die durch die Entscheidung betroffen werden, Schutz gewährt und Abwehrrechte einräumt, hängt vom Inhalt der jeweiligen Norm sowie davon ab, ob der Drittbetroffene in den mit der behördlichen Entscheidung gestalteten Interessenausgleich eine eigene schutzfähige Rechtsposition einbringen kann. Drittschutz vermitteln nur solche Vorschriften, die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm für die Behörde auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren, sich von der Allgemeinheit unter-scheidenden Personenkreises dienen (st. Rspr. vgl. BVerwG, Ue.v. 19.9.1986 - 4 C 8/84 - u. 16.3.1989 - 4 C 36/85 - beide juris).

Die drittschützende Wirkung einer Norm wird also durch eine sachliche - Gebot der Rücksichtnahme auf bestimmte Interessen Dritter - wie auch eine personale Komponente - Betroffensein eines nach dem Schutzzweck der Norm zu ermittelnden Personenkreises - bestimmt. Im Hinblick auf die im Genehmigungsverfahren für das streitgegenständliche Vorhaben zu prüfenden Vorschriften verhält es sich so, dass diese Bestimmungen drittschützend sind - das gilt sowohl für die Vorschriften des Abstandsflächenrechts als auch das in § 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BauNVO bzw. § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme. Fraglich und zwischen den Beteiligten streitig ist allerdings, ob sich die Antragstellerin hierauf auch berufen kann, ob sie als Wohnungseigentümergemeinschaft des Nachbargrundstücks zu dem Personenkreis gehört, dem nach den vg. Bestimmungen Abwehrrechte gegen die Erteilung einer Baugenehmigung eingeräumt werden.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat insoweit darauf abgestellt, dass im Kern die Befreiung des Bauvorhabens von der Einhaltung der Abstandsflächen gegenüber dem Anwesen der Antragstellerin im Streit stehe. Die Abstandsflächen wirkten als solches auf das gesamte Grundstück und nicht nur auf die einzelnen Wohnungseigentümer, auch wenn diese durch die hinter dem Abstandsflächenrecht stehenden Schutzgüter (z.B. Belichtung und Belüftung) zum Teil unterschiedlich stark betroffen würden. Es stünden die gesamte äußere Gebäudehülle und auch die Balkone und Terrassen im Gemeinschaftseigentum und nicht im Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer. Auch die Wohngärten hätten einen Schutzanspruch. Demgegenüber hat die Bevollmächtigte der Beigeladenen geltend gemacht, dass die gerügten Verstöße gegen die Abstandsflächenvorschriften hier denknotwendig nicht das Gemeinschaftseigentum beträfen. Denn die einzelnen Wohnungen und deren Nutzung zu Wohnzwecken seien ausschließlich dem Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer zugeordnet. Die Eigentümergemeinschaft könne insoweit nicht beeinträchtigt sein.

Grundsätzlich kann der einzelne Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nach § 13 Abs. 1 Halbs. 2 WEG geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums im Raum steht (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2012 - 2 B 12.1211 - juris unter Verweis auf BVerwG, B.v. 20.8.1992 - 4 B 92/92 - juris; BayVGH, B.v. 2.10.2003 - 1 CS 03.1785 - BayVBl. 2004, 664; B.v. 11.2.2004 - 2 CS 04.18 - juris; B.v. 10.6.2008 - 2 CS 08.1298 - juris; B.v. 21.1.2009 - 9 CS 08.1330-1336 - juris; B.v. 22.3.2010 - 15 CS 10.352 - juris). Gegenstand des Sondereigentums sind die gemäß § 3 Abs. 1 WEG bestimmten Räume (eine bestimmte Wohnung oder nicht zu Wohnzwecken dienende bestimmten Räume) sowie die zu diesen Räumen gehörenden Bestandteile des Gebäudes, die verändert, beseitigt oder eingefügt werden können, ohne dass dadurch das gemeinschaftliche Eigentum oder ein auf Sondereigentum beruhendes Recht eines anderen Wohnungseigentümers über das nach § 14 WEG zulässige Maß hinaus beeinträchtigt oder die äußere Gestaltung des Gebäudes verändert wird (§ 5 Abs. 1 WEG). Demgegenüber ist die Gesamtheit der Wohnungseigentümer Inhaberin der das Gemeinschaftseigentum - dies sind das Grundstück sowie die Teile, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes, die nicht im Sondereigentum oder im Eigentum eines Dritten stehen (§ 1 Abs. 5 WEG) - betreffenden öffentlich-rechtlichen Abwehrrechte (vgl. Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 66 Rn. 12).

Die Antragstellerin macht ausschließlich eine Verletzung des Abstandsflächenrechts sowie des Gebots der Rücksichtnahme durch die Abstandsflächenverkürzung geltend. Insoweit ist fraglich, ob die Verletzung des Abstandsflächenrechts überhaupt eine Beeinträchtigung des Gemeinschaftseigentums darstellen kann oder ob dies ausschließlich das Sondereigentum betrifft. „Vor“ den Außenwänden von Gebäuden sind Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden einzuhalten (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Somit fällt die auf der Westseite der beiden streitgegenständlichen Gebäude der Beigeladenen vor dem freistehenden Teil der Wand jeweils anfallende Abstandsfläche auch auf einen Teilbereich des Grundstück Fl.Nr. …4 und …6. Die von der Abstandsfläche (grundsätzlich) betroffene Fläche des Grundstück Fl.Nr. …4 und …6 ist aber Teil des Gemeinschaftseigentums der Antragstellerin. Dies spricht aus Sicht der Kammer dafür, dass vorliegend (auch) das Gemeinschaftseigentum der Antragstellerin berührt sein könnte und damit eine Antragsbefugnis entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO zu bejahen wäre. Letztlich kann diese Frage aber auch offenbleiben.

2. Denn der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist (jedenfalls) unbegründet.

Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 - 1 BvR 165/09 - NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 - 26 CS 87.01144 - BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2018, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.

Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt.

Vorliegend lässt sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung anhand der Akten feststellen, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung der Stadt Würzburg vom 9. Juli 2018 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, da der angefochtene Bescheid die Antragstellerin nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO (i.d.F. der Bek. vom 14.8.2007, zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 12.7.2017) ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Nach Art. 59 BayBO ist im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren der Prüfungsrahmen beschränkt. Die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften der Bayerischen Bauordnung wird grundsätzlich nicht mehr geprüft. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO hat die Bauaufsichtsbehörde aber die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die baulichen Anlagen nach § 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO zu prüfen und nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO beantragte Abweichungen i.S.d. Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO.

2.1. Der Vortrag der Antragstellerseite, dass die angegriffene Baugenehmigung die Antragstellerin in ihrem Recht auf Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO verletze, kann nicht zum Erfolg des Antrags führen. Denn es liegt keine Verletzung abstandsflächenrechtlicher Vorschriften zu Lasten der Antragstellerin vor.

2.1.1.  Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Diese Abstandsflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO nach der Wandhöhe und beträgt gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 1 H, mindestens 3 m. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig und lässt sich auch den genehmigten Planunterlagen (vgl. Abstandsflächenplan) unzweifelhaft entnehmen, dass bzgl. des streitgegenständlichen Vorhabens, und zwar sowohl hinsichtlich des Hauses 1 als auch des Hauses 2, die nach Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO erforderlichen Abstandsflächen von 1 H in Richtung Westen nicht eingehalten werden können und sich teilweise auf das Grundstück der Antragstellerin erstrecken.

2.1.2.  Allerdings hat die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid nach Art. 63 Abs. 1 BayBO u.a. hinsichtlich der Westseite - und damit in Richtung des Anwesens der Antragstellerin - eine Abweichung erteilt, die jedenfalls nach summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Im Einzelnen:

Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen u.a. von Anforderungen dieses Gesetzes zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar sind.

2.1.3.  Soweit von Seiten des Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgebracht wird, dass es schon fraglich sei, ob aus rechtssystematischen Gründen überhaupt eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO zulässig sei, kann diese Rechtsauffassung von Seiten der Kammer nicht geteilt werden. Die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO ist unter den dort genannten Voraussetzungen „von Anforderungen dieses Gesetzes“, also von allen Anforderungen der Bayerischen Bauordnung und damit auch von denen der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften zulässig. Ausdrückliche Regelungen, die eine Abweichung hinsichtlich des Art. 6 BayBO ausschließen, enthält die Bauordnung nicht. Dem steht auch nicht entgegen, dass - wie von Antragstellerseite vorgebracht wird - in Art. 6 BayBO bereits selbst umfangreiche Regelungen enthalten sind, wann die grundsätzlich einzuhaltenden Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO nicht gelten bzw. von diesen abgewichen werden kann. Denn diese Sonderregelungen, in denen für spezifische Bereiche unter besonderen Voraussetzungen Abweichungen kraft Gesetzes zugelassen werden, so u.a. in Art. 6 Abs. 3 Halbs. 2 und Abs. 6 BayBO stehen selbständig neben der Generalklausel des Art. 63 BayBO (vgl. Dhom in Simon/Busse, BayBO, 130. Erg. Lief. Juli 2018, Art. 63 Rn. 10), in deren Anwendungsbereich eine Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde erforderlich ist. Hinzuweisen ist auch noch darauf, dass sich auch in zahlreichen anderen Vorschriften der Bayerischen Bauordnung solche Sonderregelungen finden und auch insoweit keine rechtlichen Bedenken bestehen, dass nach der Generalklausel des Art. 63 BayBO im Rahmen einer behördlichen Einzelfallentscheidung Abweichungen erteilt werden können.

2.1.4. Auch das weitere Vorbringen der Antragstellerseite, dass die Gewährung einer Abweichung verlange, dass eine Atypik des konkreten Falls gegenüber dem gesetzlich normierten Fall gegeben sei, vorliegend in der Begründung der Abweichung im streitgegenständlichen Genehmigungsbescheid aber nicht erläutert werde, worin die Atypik liegen solle, kann dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen.

Da bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Schutzzweck der Norm nicht auf andere Weise entsprochen werden kann, muss es - so die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2011 - 2 CS 11.997 - juris) wie auch der Kammer - im Einzelfall besondere Gründe geben, die es rechtfertigen, dass die Anforderung zwar berücksichtigt, ihrem Zweck aber nur unvollkommen entsprochen wird. Es müssen rechtlich erhebliche Umstände vorliegen, die das Vorhaben als einen atypischen Fall erscheinen lassen und die dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 63 Rn. 12; Beck´scher Online-Kommentar Bauordnungsrecht Bayern, 8. Edition Stand Juli 2018, Art. 63 Rn. 41). Voraussetzung für einen atypischen Sachverhalt ist also, dass Gründe vorliegen, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen.

In Reaktion auf diese Rechtsprechung hat der Bayerische Landesgesetzgeber mit der Novellierung der Bayerischen Bauordnung durch § 1 des Gesetzes zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10. Juli 2018 (GVBl. S. 523) mit Wirkung zum 1. September 2018 dem Art. 6 Abs. 1 BayBO einen Satz 4 angefügt, wonach Art. 63 unberührt bleibt. Damit soll - ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. LT-Drucksache 17/21574, S. 13) - ausdrücklich klargestellt werden, dass tatbestandliche Voraussetzungen einer Abweichung von Vorgaben des Abstandsflächenrechts ausschließlich in Art. 63 BayBO geregelt sind. Die Gesetzesbegründung stellt weiter darauf ab, dass eine „Atypik“, wie sie die Rechtsprechung auch nach der Änderung der abstandsrechtlichen Vorschriften durch das Gesetz vom 12. April 1994 (GVBl. Nr. 8/1994, S. 210) als zusätzliches (nunmehr ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal) einer Abweichung verlangt, vom Gesetz nicht gefordert wird.

Die Neuregelung ist auch dem hiesigen gerichtlichen Verfahren zugrunde zu legen. Zwar ist bei Nachbarklagen maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung (vgl. BayVGH, U.v. 4.10.1991 - 2 B 88.284 - juris). Aus Gründen der Prozessökonomie sind jedoch nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn zu berücksichtigen, weil ihm aufgrund der veränderten Umstände im Falle der Aufhebung der Baugenehmigung ein Anspruch auf erneute Genehmigungserteilung zustünde (BayVGH, U.v. 4.10.1991 - 2 B 88.284; BVerwG, B.v. 22.4.1996 - 4 B 54.96; beide juris).

Nach allem wäre gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Erteilung einer Abweichung nicht vom Erfordernis der „Atypik“ abhängig. Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin gegen die Neuregelung vorbringt, dass sich aus dieser nicht ohne Weiteres ergebe, dass nunmehr die Rechtsprechung zum Erfordernis der Atypik nicht mehr gelte und dem Gesetzgeber insbesondere die Umsetzung einer entsprechenden Absicht „nicht überzeugend im Wortlaut gelungen“ sei, muss dem nicht weiter nachgegangen werden, weil die Kammer keinen Zweifel daran hat, dass hier tatsächlich ein atypischer Fall vorliegt.

Zwar hat die Antragsgegnerin in der Begründung der Abweichungsentscheidung - wie der Bevollmächtigte der Antragstellerin zu Recht rügt - keine Begründung für eine Atypik vorgebracht. Allerdings hat die Beigeladene zur Begründung ihres Antrags auf Abweichung ausgeführt, dass die Überlagerungen und der daraus notwendige Verringerungsantrag sich durch den schmalen langen Grundstückszuschnitt ergäben. Denn das schlauchförmige Grundstück mit einer Breite von ca. 20 m und einer Länge von ca. 78 m lässt - wie die Bevollmächtigte der Beigeladenen vorgetragen hat - eine sinnvolle Bebauung, die sich nach dem Maß der baulichen Nutzung an der Umgebungsbebauung orientiert, unter Einhaltung der Abstandsflächen schlicht nicht zu. Anders als der Bevollmächtigte der Antragstellerin meint, liegt hier zur Überzeugung der Kammer, den diese aus den in den Behördenakten enthaltenen Katasterauszügen, einem Luftbild und dem vorgelegten Baulinienauflageplan gewinnen konnte, eine atypische Fallgestaltung vor. Die Besonderheit des Falles, die eine Abweichung von der Einhaltung der Regelabstandsflächen gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin rechtfertigt, ergibt sich jedenfalls aus der Lage der betroffenen Grundstücke und der hierauf errichteten (Wohn-)Gebäude, insbesondere dem Zuschnitt des Baugrundstücks und dessen Umgriff im Stadtteil Z. Im fraglichen Bereich, sowohl innerhalb des Geltungsbereichs des „Baulinienauflageplan für das Gebiet zwischen F. Straße, S.-straße, A.-straße (jetzt F.-straße) und W.-straße“ als auch darüber hinaus halten nur vergleichsweise wenige Gebäude die nach heutigen Maßstäben erforderlichen Abstandsflächen des Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO ein. Dies gilt gerade auch für die an das Baugrundstück im Osten und Westen angrenzenden Anwesen, so auch das der Antragstellerin.

2.1.5. Anders als der Bevollmächtigte der Antragstellerin meint, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung vorliegend zu bejahen. Denn die erteilte Abweichung erweist sich unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere mit den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar.

Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz - wie bei dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme - eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (Dhom, in Simon/Busse, BayBO, Art. 63 Rn. 31 ff.). Werden die nachbarlichen Interessen nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt, dann wird der Nachbar auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Vorschrift, von der die Abweichung zugelassen wird, nicht dem Nachbarschutz dient. Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris). Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist der Zweck der jeweiligen Anforderung‚ in diesem Fall des Abstandsflächenrechts‚ zu berücksichtigen. Insofern entspricht es gesicherter Auffassung‚ dass der Zweck des Abstandsflächenrechts darin besteht‚ eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für notwendige Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern (z.B. BayVGH‚ U.v. 14.10.1985 - 14 B 85 A.1224 - BayVBl 1986‚ 143; U.v. 14.12.1994 - 26 B 93.4017 - VGHE n.F. 48‚ 24). Dies kann bereits unmittelbar den gesetzlichen Vorschriften des Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 2‚ Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 BayBO entnommen werden.

Insoweit bleibt zunächst festzustellen, dass eine ausreichende Belichtung und Belüftung des Anwesens der Antragstellerin erhalten bleibt. Auch die Antragstellerseite geht davon aus, dass die notwendige Belichtung der Wohn- und Aufenthaltsräume im Erdgeschoss des Anwesens der Antragstellerin nach Osten (gerade so) gewahrt bleibt, dass nämlich selbst dort (gemessen an der Unterkante der Fenster- oder Türöffnung) ein Lichteinfallswinkel von mindestens 45° eingehalten wird. Beeinträchtigungen der Belüftung des Anwesens der Antragstellerin sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden.

Soweit sich die Antragstellerin auf eine Beeinträchtigung des Wohnfriedens durch die an der Ostfassade ihres Anwesens befindlichen Balkone und Nutzgärten beruft und auch vorbringt, dass der Einblick in die jeweilige Wohnung oder auf den Balkon oder den Nutzgarten frontal ermöglicht werde, kann dies dem Antrag ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Die Kammer ist zwar der Auffassung‚ dass über die vg. Zwecke hinaus auch der sog. Wohnfrieden (Sozialabstand) als Zweck des Abstandsflächenrechts anzuerkennen ist. Hierzu gehört der Schutz der Privatsphäre vor unerwünschten Einblickmöglichkeiten und vor dem unerwünschten Mithören sozialer Lebensäußerungen in der Nachbarschaft. So sollen die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften auch dem Interesse dienen‚ unmittelbare Einblicke zu begrenzen (vgl. BayVGH‚ B.v. 20.7.2010 - 15 CS 10.1151 - juris; U.v. 8.5.2008 - 14 B 06.2813 - juris). Allerdings lässt sich vorliegend eine solche Beeinträchtigung nicht feststellen. Das Haus 1 der Beigeladenen weist ausweislich des Abstandsflächenplans einen (Mindest-)Abstand von 3,91 m zur östlichen Grundstücksgrenze auf, das südlich gelegene Gebäude der Antragstellerin Nr. 12 (ausweislich des Abstandsflächenplans Nachbarn) einen Abstand von 7,29 m und das sich in nördlicher Richtung anschließende Haus Nr. ...2a einen Abstand von 6,04 m zur östlichen Grundstücksgrenze auf. Die Gebäude sind demnach an der engsten Stelle knapp 10 m (genau 9,95 m) voneinander entfernt, im Übrigen mindestens 11,20 m. Das Haus 2 der Beigeladenen weist ebenfalls einen Grenzabstand Richtung Westen von 3,91 m auf, das diesem gegenüberliegende Haus Nr. ...2c der Antragstellerin einen Abstand von 6,07 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze, so dass die Gebäude ebenfalls an der engsten Stelle knapp 10 m (genau 9,98 m) voneinander entfernt sind. Dass insoweit der notwendige Sozialabstand nicht eingehalten wäre, kann aus Sicht der Kammer nicht nachvollzogen werden.

Des Weiteren ist hier von wesentlicher Bedeutung, dass die teilweise deutlich höheren (nämlich teilweise fünf- und sechsgeschossigen) Wohngebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin zum Grundstück der Beigeladenen die nach Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalten und selbst unter Erteilung von Abweichungen hinsichtlich der Abstandsflächen erbaut wurden. So würden ausweislich des Abstandsflächenplans Nachbarn des südlich gelegenen, fünfgeschossigen Gebäudes der Antragstellerin eine Abstandsfläche mit einer Tiefe von 7,04 m, hinsichtlich des sich nördlich anschließenden dreigeschossigen Gebäudes von 2,94 m, hinsichtlich des sich wiederum Richtung Norden anschließenden sechsgeschossigen Gebäudes von 8,19 m und hinsichtlich des nach Norden abschließenden dreigeschossigen Gebäudes von 2,20 m auf dem Grundstück der Beigeladenen zum Liegen kommen. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid wurden der Beigeladenen bzgl. Haus 1 Richtung Westen gegenüber Grundstück Fl.Nr. …4 und gegenüber Fl.Nr. …6 eine Verringerung der Abstandsfläche um 6,60 m genehmigt. Hinsichtlich Haus 2 wurde u.a. eine Reduzierung Richtung Westen genehmigt gegenüber Grundstück Fl.Nr. …6 um 4,80 m. Damit kann - wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat - festgestellt werden, dass die Wohnanlage der Antragstellerin gegenüber dem Grundstück der Beigeladenen die Abstandsflächen (des Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO) in vergleichbarem Ausmaß nicht einhält wie die streitgegenständliche Wohnanlage der Beigeladenen gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin.

Die Antragstellerin kann aus dem Umstand, dass das Grundstück der Beigeladenen bisher nicht bebaut war genauso wenig eine Schutzwürdigkeit ableiten, wie aus dem Umstand, dass die Voreigentümerin des Baugrundstücks im Jahr 2006 die Zustimmung zu dem damaligen Bauvorhaben erteilt hat. Nach allem erweist sich die der Beigeladenen erteilte streitgegenständliche Abweichung nach Art. 63 BayBO nach summarischer Prüfung als rechtmäßig.

Darüber hinaus folgt die Kammer dem von der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Rechtssatz, dass sich ein Nachbar nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen kann, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift nicht entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu - gemessen am Schutzzweck der Vorschrift - schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH, U.v. 4.2.2011 - 1 BV 08.131; VGH Mannheim, B.v. 29.9.2010 - 3 S 1752/10; beide juris). Nach diesem Maßstab stünde der Antragstellerin das geltend gemachte Abwehrrecht auch dann nicht zu, wenn die mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Abweichung nicht den Anforderungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO entsprechen würde.

2.1.6. Soweit die Antragstellerseite Verstöße gegen Abstandsflächenvorschriften bzgl. der Tiefgarage rügt, wonach die Brüstungsmauer der Tiefgarage (sowie ihrer Einfahrtsrampe) über die natürliche Geländeoberfläche hinausrage, kann auch dies dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen.

Denn hinsichtlich der Tiefgarage wurde eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften überhaupt nicht von Seiten der Beigeladenen beantragt. Nach Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO setzt aber die Zulassung von Abweichungen nach Abs. 1 Satz 1 einen gesonderten, also ausdrücklich gestellten schriftlichen Antrag mit Begründung voraus. Ein solcher wurde hier bzgl. der Tiefgarage aber gerade nicht gestellt. Denn ausweislich des „Antrag auf Abweichung gemäß Art. 6 BayBO - Verringerung Abstandsflächen auf Nachbargrundstücke“ vom 12. Januar 2018 (Bl. 41 der Bauakte) wurden lediglich Abweichungen von den Abstandsflächen hinsichtlich des Hauses 1 und des Hauses 2 beantragt, nicht aber hinsichtlich der Tiefgarage. Damit handelt es sich insoweit nicht um eine beantragte Abweichung i.S.v. Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO (i.d.F. der Bek. vom 14.8.2007, zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 12.7.2017), so dass sie nicht dem Prüfungsrahmen unterfällt.

2.1.7. Soweit die Antragstellerseite rügt, dass eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlich gewesen wäre, aber nicht erteilt worden sei, kann dies dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Denn der im „Baulinienauflageplan für das Gebiet zwischen F. Straße, S.-straße, A.-straße (jetzt F.-straße) und W.-straße“ vom 6. August 1927, in der Fassung der Änderung vom 7. Oktober 1998 enthaltene Verweis auf die Abstandsflächenregelung in Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO stellt keine selbständige örtliche Bauvorschrift dar, da weder eine über die Regelabstände hinausgehende (Art. 98 Abs. 1 Ziff. 5 BayBO 1994) noch eine die Regelabstände unterschreitende Abstandsfläche (Art. 98 Abs. 1 Ziff. 6 BayBO 1994) festgesetzt wurde. Es handelt sich also um einen bloßen Hinweis auf die gesetzliche Regelung des Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO.

2.2. Auch aus bauplanungsrechtlichen Gründen spricht nach summarischer Prüfung nichts für einen Erfolg der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren.

Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das Vorhaben der Beigeladenen nach dem „Baulinienauflageplan für das Gebiet zwischen F. Straße, S.-straße, A.-straße (jetzt F.-straße) und W.-straße“ vom 6. August 1927, in der Fassung der Änderung vom 7. Oktober 1998 sowie ergänzend nach § 34 BauGB. Derartige bei In-Kraft-Treten des Bundesbaugesetzes bestehende baurechtliche Vorschriften und festgestellte städtebauliche Pläne wurden gemäß § 173 Abs. 3 BBauG 1960 als einfache Bebauungspläne übergeleitet, soweit sie verbindliche Regelungen der in § 9 BBauG bezeichneten Art enthalten, und entfalten gemäß § 233 Abs. 3 BauGB nach wie vor Geltung. Unerheblich für die Überleitung ist es, ob die alten Vorschriften und Pläne in der Form von Verwaltungsakten, Rechtsverordnungen oder Bebauungsplänen erlassen worden sind. Daran hat sich durch das In-Kraft-Treten des Baugesetzbuches 1987 nichts geändert (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.1983 - 4 B 15.83; B.v. 16.12.2003 - 4 B 105.03; BayVGH, U.v. 11.9.2003 - 2 B 00.1400; alle juris). Soweit ein einfacher Bebauungsplan Regelungen bzw. Festsetzungen enthält, bestimmt sich die Zulässigkeit eines Vorhabens allein danach, ob es diesen Festsetzungen widerspricht oder nicht. Lediglich ergänzend - soweit keine Festsetzungen vorhanden sind - sind die Bestimmungen der §§ 34 oder 35 BauGB heranzuziehen, was § 30 Abs. 3 BauGB ausdrücklich klarstellt.

Entgegen der Meinung der Antragstellerseite geht die Kammer auch davon aus, dass die streitgegenständliche Wohnanlage der Beigeladenen nicht gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte und nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Im Einzelnen:

Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22/75 - juris) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78 - juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die der Antragstellerin aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihr als Nachbarin billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, Vorbem. zu §§ 29 - 38 Rn. 49).

Die anhand des Rücksichtnahmegebots durchzuführende Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin dem Interesse der Beigeladenen an der Verwirklichung des Vorhabens keine überwiegenden eigenen Interessen entgegenzusetzen hat. Im Einzelnen:

Auch wenn die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht mehr zum Prüfungsgegenstand gehört, ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die vom Abstandsflächenrecht geschützten Belange einer ausreichenden Belichtung, Belüftung, Besonnung und Wahrung des Wohnfriedens auch städtebauliche Bedeutung haben (BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 17/90 - NVwZ 1992, 165). Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, das selbständig neben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften zu prüfen ist, im Hinblick auf die genannten Belange auch dann verletzt sein kann, wenn die Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind (BVerwG, B.v. 11.1.1999 - 4 B 128/98 - NVwZ 1999, 879; s.a. BayVGH, B.v. 21.1.2008 - 15 ZB 06.2304 - juris). Mit diesem Grundsatz lässt sich zwar nicht im Umkehrschluss bei jedem Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot herleiten; diesbezüglich kommt es vielmehr stets auf die tatsächlichen Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls an (BayVGH, B.v. 9.10.2006 - 26 ZB 06.1926 - juris). Es ist aber zumindest bei offenkundig nicht eingehaltenen Abstandsflächen zu prüfen, ob hierin nicht zugleich auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gesehen werden kann (Wolf in Simon/Busse, BayBO, Art. 59 Rn. 43).

Von derart offenkundig nicht eingehaltenen Abstandsflächen kann im vorliegenden Fall allerdings nicht die Rede sein. Vielmehr werden unter Berücksichtigung der nicht zu beanstandenden Entscheidung der Antragsgegnerin über die Zulassung einer Abweichung die Abstandsflächenvorschriften eingehalten (s.o. unter 2.1.).

Soweit die Antragstellerseite eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme unter dem Aspekt einer „bedrängenden Wirkung“ anspricht, kann auch dies nicht zum Erfolg des Antrags führen.

In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung (auch) dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78 - juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 - 4 C 34/85 - juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 - 1 CS 08.2770 - juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 - 14 CS 11.814 - juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung.

Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen der Antragstellerin gegenüber erdrückende Wirkung entfalten würde, hat von vornherein auszuscheiden. Eine erdrückende Wirkung der drei- bzw. viergeschossigen Wohnanlage der Beigeladenen mit einer Wandhöhe von ca. 8 m und ca. 12 m auf das drei- bis sechsgeschossige Anwesen der Antragstellerin mit einer Wandhöhe von ca. 8 m, ca. 14 m und ca. 17 m scheidet sowohl von den Ausmaßen als auch bzgl. der baulichen Gestaltung aus. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 - 2 CS 10.454 - juris). Vielmehr überragt hier das Gebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin das Gebäude der Beigeladenen in der Höhe um einige Meter.

Auch die Möglichkeit der Einsichtnahme in ihr Grundstück muss die Antragstellerin hinnehmen. Das öffentliche Baurecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 440). Das bauplanungsrechtliche Gebot des Einfügens bezieht sich nur auf die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmale der Art der baulichen Nutzung, des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche. Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist - als nicht städtebaulich relevant - davon nicht angesprochen (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 - 4 B 72.89 - NVwZ 1989, 1060 und B.v. 3.1.1983 - 4 B 224.82; BayVGH, B.v. 9.10.2012 - 15 CS 12.1852; alle juris). Das Gebot der Rücksichtnahme bietet in aller Regel keinen Schutz vor Einsichtsmöglichkeiten auf Grundstücke (vgl. BayVGH, B.v. 6.8.2010 - 15 CS 09.3006, m.w.N.; OVG Schleswig, B.v. 16.10.2009 - 1 LA 42/09; VGH Mannheim, B.v. 3.3.2008 - 8 S 2165/07; OVG Münster, U.v. 12.9.2006 - 10 A 2980/05; alle juris).

Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem Einblicksmöglichkeiten in das Nachbargrundstück, die durch ein neues Bauvorhaben geschaffen werden, unter besonders gravierenden Umständen als Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angesehen werden, sind hier nicht ersichtlich. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn durch das neue Bauvorhaben unmittelbare Einsichtsmöglichkeiten aus kurzer Entfernung in Wohnräume geschaffen werden, zumal in rückwärtig gelegene Räume, die sich wegen ihrer Lage besonders zur Nutzung als Schlafräume anbieten (so OVG Thüringen, B.v. 11.5.1995 - 1 EO 486/94 und OVG Bremen, B.v. 14.5.2012 - 1 B 65/12 - beide juris) oder wenn eine Dachterrasse aus kurzer Entfernung Einsichtsmöglichkeiten nicht nur in einen Innenhof, sondern auch in die Fenster eines Nachbargebäudes eröffnet (vgl. OVG Magdeburg, B.v. 12.12.2011 - 2 M 162/11 - juris).

3. Nachdem die Klage der Antragstellerin nach allem voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt das Interesse der Beigeladenen an einer baldigen Ausnutzung der Baugenehmigung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Somit konnte der Antrag keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Da sich die Beigeladene durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt hat, entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Nachbarklagen werden nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR im Hauptsacheverfahren bewertet. Die Kammer hält im vorliegenden Fall in der Hauptsache einen Streitwert von 12.500,00 EUR für angemessen, der für das vorliegende Sofortverfahren zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.