Verwaltungsgericht München Urteil, 12. März 2015 - M 12 K 14.50277

bei uns veröffentlicht am12.03.2015

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. Mai 2014 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist nach eigenen Angaben pakistanischer Staatsangehöriger und reiste am 22. November 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 4. Dezember 2013 Asylantrag.

Bereits bei der Anhörung zur Identitätsklärung durch die Regierung von Oberbayern am ... Dezember 2013 teilte die Mutter des Klägers mit, dass sie am 22. Juli 2012 mit ihrer Tochter und dem Kläger auf dem Luftweg nach Belgien gereist sei und sich dort 17 Monate aufgehalten habe. Am 24. Juli 2012 habe sie mit ihrer Tochter und dem Kläger in Belgien Asyl beantragt. Der Asylantrag in Belgien sei ebenso wie zwei Folgeanträge abgelehnt wurde. Sie habe ein Schriftstück mit der endgültigen Ablehnung und der Ausreisepflicht bis 24. November 2013 erhalten. In der Folge sei sie mit ihren Kindern nach Deutschland gereist und habe sich dort asylsuchend gemeldet.

Auf ein Übernahmeersuchen der Beklagten an Belgien vom 14. Februar 2014 erklärte Belgien am 18. Februar 2014 seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Klägers.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 6. Mai 2014 hat der Kläger die Angaben seiner Mutter bestätigt.

Mit Bescheid vom 15. Mai 2014, zugestellt am 19. Mai 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Belgien an (Ziff. 2).

Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Belgien aufgrund des dort bereits abgelehnten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. e) Dublin-II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Da auch im Verfahren der Mutter und der Schwester des Klägers die Abschiebung nach Belgien angeordnet worden sei, könne es auch zu keiner Trennung des Klägers von seinen Familienangehörigen kommen. Der Asylantrag werde in der Bundesrepublik nicht materiell geprüft. Die Anordnung der Abschiebung nach Belgien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Mit Schriftsatz vom ... Mai 2014, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Kläger durch seinen damaligen Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes vom 15. Mai 2014 aufzuheben.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid sei insbesondere deshalb rechtswidrig, weil er auf einer Rechtsgrundlage beruhe, die unbeachtlich sei. Die Vorschrift des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG verstoße gegen höherrangiges Recht. Sie sei nicht mit der Dublin-II-VO vereinbar und widerspreche insbesondere Art. 19 Abs. 2 Dublin-II-VO, da § 34a AsylVfG zwingend eine Abschiebung anordne. Art. 19 Abs. 2 Dublin-II-VO ermächtige hingegen lediglich zu einer Überstellung. Überstellungen und Abschiebungen seien nicht identisch. Art. 19 Abs. 2 Dublin-II-VO sehe die Möglichkeit vor, sich freiwillig zu überstellen und trage damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung. Dem widerspreche das AsylVfG durch die kompromisslose Anwendung des Zwangsmittels der Abschiebung.

Mit Beschluss vom 3. Juni 2014 hat das Gericht den gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt (Az. M 12 S 14.50278). Der Beschluss wurde dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11. Juni 2014 und dem Bundesamt am 16. Juni 2014 zugestellt.

Mit Schreiben vom ... Januar 2015 hat die jetzige Bevollmächtigte des Klägers ausgeführt, dass die Überstellungsfrist abgelaufen sei. Der Bescheid müsse daher aufgehoben werden. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sei sie einverstanden.

Mit Schreiben vom 4. Februar 2015 hat die Beklagte ebenfalls auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Nach telefonischer Auskunft des Bundesamtes vom 10. Februar 2015 wurde der Kläger bislang nicht nach Belgien überstellt und die Überstellungsfrist wurde nicht verlängert.

Mit Beschluss vom 12. März 2015 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Zum Sachverhalt im Übrigen wird auf die Gerichts- und die Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

1. Die zulässige Klage ist begründet.

Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts erweist sich im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er kann auch nicht im Wege der Umdeutung nach § 47 VwVfG als Sachentscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG aufrechterhalten werden.

Maßgebend ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50 S. 1 - nachfolgend: Dublin II-VO), da der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden war. Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO), die im Juli 2013 in Kraft getreten ist, ist nicht anwendbar (vgl. Art. 49 Dublin III-VO).

Die sechsmonatige Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 Satz 1 Buchst d) Dublin-II-VO ist abgelaufen. Danach erfolgt die Überstellung eines Asylbewerbers nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.

Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob bezüglich des Fristbeginns auf den Zeitpunkt der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Belgien oder auf den Zeitpunkt der ablehnenden Eilentscheidung, die dem Bundesamt am 16. Juni 2014 zugestellt wurde, abzustellen ist, da die sechsmonatige Überstellungsfrist auch im letztgenannten Fall abgelaufen ist.

Der Bescheid ist damit objektiv rechtswidrig geworden. Denn der Fristablauf begründet gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte für die Prüfung des Asylbegehrens. Der Asylantrag ist damit nicht mehr nach § 27a AsylVfG wegen Unzuständigkeit der Beklagten unzulässig. Folglich kommt nach den einschlägigen europarechtlichen Regularien eine Anordnung der Abschiebung in den ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat nach § 34a AsylVfG ebenfalls nicht mehr in Betracht (vgl. VG Regensburg, U. v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217 - juris Rn. 20).

Der Kläger ist hierdurch auch in seinen Rechten verletzt. Zwar handelt es sich bei den Dublin-Regularien an sich um rein objektive Zuständigkeitsvorschriften, welche grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylantragsteller begründen (vgl. BeckOK AuslR/Günther AsylVfG § 27a Rn. 30; Anm. Berlit v. 16.6.2014 zu BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6/14 - juris). Wenn allerdings - wie hier - die Überstellungsfrist abgelaufen ist und allein die Zuständigkeit der Beklagten bleibt, kann der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem dann zuständigen Staat geltend gemacht werden (VG Regensburg, U. v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217 - juris Rn. 20).

Eine Umdeutung des maßgeblichen streitgegenständlichen Bescheides in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a Abs. 1 AsylVfG kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen für eine Umdeutung nach § 47 VwVfG nicht erfüllt sind (s. zum Folgenden: VG Regensburg, U. v. 21.10.2014 - a. a. O. Rn. 22 ff.).

Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

Vorliegend hätte ein Bescheid nach § 71a AsylVfG nicht in der geschehenen Verfahrensweise erlassen werden dürften, da der Kläger ausweislich des vorgelegten Behördenakts nicht zu den im Rahmen des § 71a Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Tatsachen (materielle Fluchtgründe) und Umständen (Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) angehört worden ist. Ausweislich des vorgelegten Behördenakts kam es ausschließlich zu einer Befragung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens, welche lt. Niederschrift mit dem Hinweis endete, dass zunächst die Durchführung eines Dublin-Verfahrens geprüft werde. Ergebnis war die Einleitung eines Dublin-Verfahrens und der Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheides. Gelegenheit zum Vortrag materieller Fluchtgründe oder zur Klärung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bestand dagegen nicht. Die Beklagte konnte sich auf Basis der gegebenen Aktenlage deshalb auch nicht hilfsweise mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Fall des § 71a Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegt oder nicht. Zwar kann gemäß § 71a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG von der Anhörung abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Insbesondere mit Blick auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ist eine sichere Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, bei der vorliegenden Sachlage jedoch nicht möglich.

Auch eine Umdeutung der Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides (Anordnung der Abschiebung in den ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat) in eine Anordnung der Abschiebung in das Herkunftsland scheidet angesichts der Tatbestandsvoraussetzungen des § 34a AsylVfG vorliegend aus. Eine Umdeutung in eine Androhung der Abschiebung in das Herkunftsland nach § 34 AsylVfG würde dazu führen, dass der umgedeutete Verwaltungsakt nicht mehr im Sinne von § 47 Abs. 1 VwVfG auf das gleiche Ziel gerichtet wäre. Darüber hinaus würde eine solche Umdeutung für den Betroffenen entgegen § 47 Abs. 2 VwVfG eine ungünstigere Rechtsfolge herbeiführen, da er nach erfolgter Abschiebung in den Herkunftsstaat - anders als bei der Abschiebung nach Belgien - keine Möglichkeit mehr hätte, weiterhin um Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat nachzusuchen (s. hierzu VG Regensburg, U. v. 21.10.2014 - a. a. O. Rn. 26 ff; VG München, U. v. 4.11.2014 - M 10 K 13.30627)

Der angefochtene Bescheid ist somit aufzuheben. Die Beklagte hat ein ordnungsgemäßes behördliches Verfahren durchzuführen und mit gesondertem rechtsmittelfähigem Bescheid abzuschließen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Urteil, 12. März 2015 - M 12 K 14.50277

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht München Urteil, 12. März 2015 - M 12 K 14.50277

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht München Urteil, 12. März 2015 - M 12 K 14.50277 zitiert 9 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 101


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens


(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn 1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen g

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 47 Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes


(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können un

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht München Urteil, 12. März 2015 - M 12 K 14.50277 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Verwaltungsgericht München Urteil, 12. März 2015 - M 12 K 14.50277 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Verwaltungsgericht München Beschluss, 03. Juni 2014 - M 12 S 14.50278

bei uns veröffentlicht am 03.06.2014

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gründe I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die angeordnete Abschiebung nach Belgien im Rahm

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 19. März 2014 - 10 B 6/14

bei uns veröffentlicht am 19.03.2014

Gründe I. 1 Der Kläger, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2009 über den Se
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht München Urteil, 12. März 2015 - M 12 K 14.50277.

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 07. Mai 2015 - 1 B 120/15

bei uns veröffentlicht am 07.05.2015

Gründe 1 Der Antrag ist gemäß § 88 VwGO dahingehend sachdienlich auszulegen, dass der Antragsteller gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Aussetzung der im Bescheid der Antragsgegnerin enthaltenen angedrohten Abschiebung begehrt. 2 Der so verstan

Referenzen

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die angeordnete Abschiebung nach Belgien im Rahmen des so genannten „Dublin-Verfahrens“.

Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben pakistanischer Staatsangehöriger und reiste am 22. November 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 4. Dezember 2013 Asylantrag.

Bereits bei der Anhörung zur Identitätsklärung durch die Regierung von Oberbayern am 9. Dezember 2013 teilte die Mutter des Antragstellers mit, dass sie am 22. Juli 2012 mit ihrer Tochter und dem Antragsteller auf dem Luftweg nach Belgien gereist sei und sich dort 17 Monate aufgehalten habe. Am 24. Juli 2012 habe sie mit ihrer Tochter und dem Antragsteller in Belgien Asyl beantragt. Der Asylantrag in Belgien sei ebenso wie zwei Folgeanträge abgelehnt wurde. Sie habe ein Schriftstück mit der endgültigen Ablehnung und der Ausreisepflicht bis 24. November 2013 erhalten. In der Folge sei sie mit ihren Kindern nach Deutschland gereist und habe sich dort asylsuchend gemeldet.

Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin an Belgien vom 14. Februar 2014 erklärte Belgien am 18. Februar 2014 seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Antragstellers.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) hat der Antragsteller die Angaben seiner Mutter bestätigt und angegeben, in Deutschland seinen religiösen Glauben in der Ahmadiyya ausüben zu wollen. Diese Vereinigung werde in Pakistan bedroht und verfolgt.

Mit Bescheid vom 15. Mai 2014, zugestellt am 19. Mai 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Belgien an (Ziff. 2).

Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Belgien aufgrund des dort bereits abgelehnten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. e) Dublin-II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Da auch im Verfahren der Mutter und der Schwester des Antragstellers die Abschiebung nach Belgien angeordnet worden sei, könne es auch zu keiner Trennung des Antragstellers von seinen Familienangehörigen kommen. Der Asylantrag werde in der Bundesrepublik nicht materiell geprüft. Die Anordnung der Abschiebung nach Belgien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2014, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamtes vom 15. Mai 2014 aufzuheben.

Gleichzeitig hat er gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid sei insbesondere deshalb rechtswidrig, weil er auf einer Rechtsgrundlage beruhe, die unbeachtlich sei. Die Vorschrift des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG verstoße gegen höherrangiges Recht. Sie sei nicht mit der Dublin-II-VO vereinbar und widerspreche insbesondere Art. 19 Abs. 2 Dublin-II-VO, da § 34a AsylVfG zwingend eine Abschiebung anordne. Art. 19 Abs. 2 Dublin-II-VO ermächtige hingegen lediglich zu einer Überstellung. Überstellungen und Abschiebungen seien nicht identisch. Art. 19 Abs. 2 Dublin-II-VO sehe die Möglichkeit vor, sich freiwillig zu überstellen und trage damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung. Dem widerspreche das AsylVfG durch die kompromisslose Anwendung des Zwangsmittels der Abschiebung.

Zum Sachverhalt im Übrigen wird auf die Gerichts- und die Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Die danach vorzunehmende Abwägung des sich aus § 75 Abs. 1 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylVfG - wonach die Aussetzung der Abschiebung nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes angeordnet werden darf - ist vorliegend nicht anwendbar (vgl. hierzu mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens VG Trier, B.v. 18.9.2013 - 5 L 1234/13.TR).

Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage.

1. Das Bundesamt hat nach summarischer Prüfung den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft i.S. von § 27a AsylVfG finden sich aktuell in der „Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist“ (sog. Dublin-III-VO), die gemäß ihres Art. 49 Abs. 1 am 30. Juni 2013 in Kraft getreten ist. Gemäß ihres Art. 49 Abs. 2 Satz 1 ist die Dublin-III-VO auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt wurden, und sie gilt ferner – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – ab dem 1. Januar 2014 für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Für einen Antrag auf internationalen Schutz, der - wie hier - vor dem 1. Januar 2014 eingereicht wurde, erfolgt nach der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 Satz 2 der Dublin-III-VO die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates weiterhin nach der Vorgängerregelung, also der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin-II-VO).

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Vorliegend ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO Belgien für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig, da Belgien der erste EU-Mitgliedsstaat war, dessen Grenze der Antragsteller illegal überschritten und in dem er einen Asylantrag gestellt hat. Der nach der Dublin-II-VO zuständige Mitgliedstaat ist gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. e) Dublin-II-VO auch verpflichtet, Drittstaatsangehörige, deren Antrag er abgelehnt hat und die sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhalten, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin-II-VO wieder aufzunehmen. Das Bundesamt hat daher ein Wiederaufnahmeersuchen an Belgien gerichtet. Die belgischen Behörden haben sich am 18. Februar 2014 bereit erklärt, den Antragsteller wieder aufzunehmen.

Die gem. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO bestehende Frist für die Wiederaufnahme von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Aufnahme ist vorliegend noch nicht abgelaufen.

Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht, etwa nach Art. 3 Abs. 2 oder Art. 15 Dublin-II-Verordnung, gehalten, trotz der Zuständigkeit Belgiens den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.

Die Auslegung der Dublin-II-VO, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, U.v. 21.12. 2011 – N.S. u.a., C-411/10 und C-493/10 – Slg. 2011, I-13905; EuGH, U.v. 14.11.2013 – Pui, C-4/11 – juris; EuGH, U.v. 10.12.2013 – Abdullahi, C-394/12 – juris).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich – ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) – auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedsstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10 - NVwZ 2012, 417, juris Rn. 75 u. 78; vgl. dazu: Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406). Auf der Grundlage dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen, die davon ausgeht, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303, S. 1) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH, a.a.O., Rn. 79 f., vgl. auch VGH Baden-Württemberg, B.v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 -).

Die Rechtsprechung lässt in eng begrenzten Ausnahmefällen Abweichungen von diesem Konzept zu. Das Konzept der normativen Vergewisserung wird danach insbesondere dann mit der Folge durchbrochen, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erfolgreich ist, wenn – wie dies der Europäische Gerichtshof formuliert – ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im Zielstaat der Abschiebung systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Asylbewerbers i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) implizieren (vgl. EuGH v. 21.12.2011, verbundene Rechtssachen C 411/10 und C 393/ 10, NVwZ 2012, 417).

Zu prüfen ist demnach, ob die Mindeststandards bei der Behandlung von Asylbewerbern im Allgemeinen eingehalten werden. Fehlleistungen im Einzelfall stellen das Konzept der normativen Vergewisserung nicht in Frage. Erst wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im nach der Dublin-II-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedsstaat grundlegende, systembedingte Mängel aufweisen, die gleichsam zwangsläufig eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesen Mitgliedsstaat überstellten Asylbewerber befürchten lassen, ist ein Abweichen von den Bestimmungen der Dublin-II-VO mit der Folge geboten, dass die Bundesrepublik Deutschland von ihren Selbsteintrittsrechten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen muss. Mit anderen Worten muss in derartigen Fällen in der Bundesrepublik Deutschland ein Asylverfahren durchgeführt werden, und die Abschiebung in den die Mindeststandards nicht einhaltenden Mitgliedsstaat ist unzulässig (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 6.8.2013, a.a.O.).

Es bestehen keine Gründe für die Annahme, dass das belgische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Belgien derartige systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.

Dabei ist hier insbesondere auch zu beachten, dass der Antragsteller bereits ein Asyl- und zwei Folgeverfahren in Belgien durchlaufen hat, die negativ abgeschlossen wurden. Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren in Belgien systemische Mängel aufweist, sind dabei ebenso wenig ersichtlich wie Gründe, weshalb der Antragsteller Anspruch auf ein weiteres Asylverfahren in Deutschland haben könnten. In diesem Zusammenhang ist auf aktuelle Gerichtsentscheidungen hinzuweisen, die jeweils feststellen, dass keine Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens in Belgien vorliegen (VG Düsseldorf, B.v. 28.2.2014 – 13 L 148/14.A – juris unter Bezugnahme auf den aida-Bericht, Asylum Information Database, National Country Report Belgium vom 30.4.2013; VG Köln, B.v. 11.11.2013 – 1 L 1564/13.A – juris; VG Göttingen, B.v. 11.10.2013 – 2 B 806/13 – juris; VG Magdeburg, B.v. 12.9.2013 – 2 B 284/13 – juris; VG Augsburg B.v. 8.5.2012 – Au 6 E 12.30159 – juris; B.v. 8.4.2014 - Au 7 S 14.30260 - juris).

Auch sonstige außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ausnahmsweise eine eigene Prüfungspflicht der Bundesrepublik Deutschland begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

2. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt im Fall des § 27a AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

An der Vereinbarkeit der Vorschrift des § 34a AsylVfG mit der Dublin-II-VO bestehen aus Sicht des Gerichts keine Zweifel. Die Dublin-II-VO schließt es entgegen den Ausführungen des Bevollmächtigten des Antragstellers nicht aus, dass Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens zwingend durch Abschiebung erfolgen. Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO regelt vielmehr ebenso wie der vorliegend einschlägige Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Satz 2 Dublin-II-VO, dass Überstellungen gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats erfolgen. Die Dublin-II-VO trifft somit gerade keine Regelung dahingehend, ob und ggf. wann die Überstellung in Form der Abschiebung zulässig ist oder Asylbewerbern die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise einzuräumen wäre. Daher spricht auch der vom Bevollmächtigten des Antragstellers in Bezug genommene Art. 19 Abs. 2 Dublin-II-VO - ebenso wie Art. 20 Abs. 1 Buchst. e) Satz 2 Dublin-II-VO - lediglich davon, dass gegebenenfalls (d.h. wenn das nationale Recht eine freiwillige Ausreise vorsieht) dem Asylbewerber Zeitpunkt und Ort zu nennen ist, an dem er sich zu melden hat. Ein Verbot, Überstellungen ausschließlich in Form der Abschiebung durchzuführen, lässt sich daraus nicht ableiten. Dies wird im Übrigen auch durch die Neuregelung in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO bestätigt, die in Unterabsatz 1 ebenfalls ausdrücklich regelt, dass Überstellungen nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften erfolgen, und für den Fall, dass Überstellungen in Form einer kontrollierten Ausreise oder Begleitung erfolgen, die Mitgliedstaaten in Unterabsatz 2 lediglich verpflichtet sicherzustellen, dass diese in humaner Weise und unter Wahrung der Grundrechte und Menschenwürde durchgeführt werden.

Es liegt damit in der alleinigen Entscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten, die Form der Überstellungen nach der Dublin-II-VO wie auch nach der Dublin-III-VO zu regeln. Der Bundesgesetzgeber hat sich in § 34a Abs. 1 AsylVfG in nicht zu beanstandender Weise dafür entschieden, Überstellungen ausschließlich in Form der Abschiebung durchzuführen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht nach Auffassung des Gerichts auch fest, dass die Abschiebung nach Belgien im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG durchgeführt werden. Tatsächliche Hindernisse bestehen nach der Erklärung der belgischen Behörden vom 18. Februar 2014 nicht. Rechtliche sind ebenfalls nicht ersichtlich, insbesondere ergeben sich solche nicht aus dem belgischen Asylrecht und den dortigen Aufnahmebedingungen (s.o.).

Demnach sind derzeit die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nicht gegeben.

3. Die Anträge waren daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 28 ist entsprechend anzuwenden.

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2009 über den Seeweg nach Italien ein und stellte dort einen Asylantrag. Im Juli 2009 stellte er in der Schweiz einen weiteren Asylantrag und entzog sich der Überstellung nach Italien. Auf seinen am 1. Oktober 2010 in Österreich gestellten Asylantrag überstellten ihn die österreichischen Behörden im Juli 2011 nach Italien. Im November 2011 wurde der Kläger in Deutschland aufgegriffen und stellte erneut einen Asylantrag. Dem Übernahmeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stimmten die italienischen Behörden im Februar 2012 zu. Daraufhin entschied das Bundesamt mit Bescheid vom 7. Mai 2012, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

II.

2

Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie einen Gehörsverstoß des Berufungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, hat keinen Erfolg.

3

1. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

"welchen rechtlichen Anforderungen der Begriff der 'systemischen Mängel' unterliegt, insbesondere welcher Wahrscheinlichkeits- und Beweismaßstab für die Annahme erforderlich ist, dass für einen Asylbewerber eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden."

4

Diese Frage rechtfertigt mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lässt sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt ist, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung und des nationalen Prozessrechts ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

5

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).

6

Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).

7

Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.

8

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ("systemic failure") abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/Niederlande und Italien - Rn. 138).

9

Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus. Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt.

10

2. Mit der Gehörsrüge macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe zusammen mit seiner Ankündigung vom 8. Oktober 2013, dass erwogen werde, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO zu entscheiden, darauf hingewiesen, dass der 3. Senat des Gerichts in vergleichbaren Fällen ebenso entschieden habe. Trotz entsprechender Aufforderung habe das Berufungsgericht die damals noch nicht abgesetzten Entscheidungen des anderen Senats nicht zugänglich gemacht und auch die Frist zur Stellungnahme nicht verlängert. Die Gehörsrüge greift nicht durch.

11

Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Verwertung tatsächlicher Feststellungen aus anderen Verfahren für den zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit unterliegt - nicht anders als andere tatsächliche Feststellungen - dem Gebot des rechtlichen Gehörs (Urteil vom 8. Februar 1983 - BVerwG 9 C 847.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 132 = InfAuslR 1983, 184). Dagegen verstößt ein Gericht, wenn es anstelle einer eigenen Beweiserhebung auf Entscheidungen mit umfangreichen tatsächlichen Feststellungen verweist, ohne die Entscheidungen den Beteiligten so zugänglich zu machen, dass sie sich dazu hätten äußern können. Zieht ein Gericht aber andere Entscheidungen nur als bestätigenden Beleg dafür heran, dass andere Gerichte die Lage (einer bestimmten Gruppe) in einem Land tatrichterlich in ähnlicher Weise gewürdigt und deshalb rechtlich die gleichen Schlussfolgerungen gezogen haben, unterliegen solche Bezugnahmen nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (Urteil vom 22. März 1983 - BVerwG 9 C 860.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 133; Beschluss vom 12. Juli 1985 - BVerwG 9 CB 104.84 - Buchholz 310 § 103 VwGO Nr. 8 = NJW 1986, 3154).

12

An diesem Maßstab gemessen erweist sich die Gehörsrüge als unbegründet. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Lage der Asylbewerber in Italien unter Auswertung verschiedener Quellen selbstständig tatrichterlich gewürdigt. Es hat die in dem Schreiben vom 8. Oktober 2013 genannten Entscheidungen des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ausweislich der Entscheidungsgründe nicht verwertet. Daher ist nicht ersichtlich, wie die angefochtene Entscheidung durch die - sicherlich prozessual ungeschickte - Vorgehensweise des Berufungsgerichts das rechtliche Gehör des Klägers hätte verletzen können. Denn die Auskunftsquellen als Grundlagen der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts waren dem Kläger mit dem gerichtlichen Schreiben vom 8. Oktober 2013 bekannt gegeben worden, so dass er sich dazu äußern konnte.

13

Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 28 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.

(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

(4) § 28 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.