Verwaltungsgericht Mainz Urteil, 30. Nov. 2017 - 1 K 166/17.MZ

ECLI:ECLI:DE:VGMAINZ:2017:1130.1K166.17.00
bei uns veröffentlicht am30.11.2017

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die ordnungsrechtliche Verfügung der Beklagten vom 7. September 2012 mit der sein Hund „F.“ als gefährlicher Hund eingestuft wurde, sowie gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2015 mit dem die Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 € festsetzte.

2

Der Kläger ist Halter einer Deutschen Dogge namens „F.“.

3

Am 10. Juli 2012 führten die Frau des Klägers und ihre beiden Töchter den Hund „F.“ aus, als es zu einem Zusammentreffen mit Frau K. und ihrem Zwergspitz „B.“ kam. Hierbei wurde B. von F. gebissen und verletzt. Die Bissverletzung von B. wurde tierärztlich versorgt; jedoch verstarb B. am 12. Juli 2012.

4

Am 1. September 2012 kam es zu einem Vorfall mit dem Jack Russel Terrier „G.“ des Herrn M. Hierbei nahm F. den Jack Russel Terrier ins Maul. Bei der anschließenden tierärztlichen Versorgung wurde eine Lungenkontusion festgestellt.

5

Nach vorheriger Anhörung des Klägers erließ die Beklagte unter dem Datum vom 7. September 2012 eine ordnungsbehördliche Anordnung mit der die Deutsche Dogge F. als gefährlicher Hund im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Landesgesetzes über gefährliche Hunde (LHundG) eingestuft wurde (Ziffer 1). Ferner wurde verfügt, dass der Hund außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern, auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren nur noch angeleint zu führen sei und hierbei einen Maulkorb zu tragen habe. Der Hund dürfe außerhalb des befriedeten Besitztums nur von Personen geführt werden, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten und körperlich in der Lage seien, den Hund sicher zu führen und auch hierfür die erforderliche Zuverlässigkeit besäßen. Das Anwesen sei so zu sichern, dass ein Entweichen des Hundes ausgeschlossen sei. Ferner sei eine Erlaubnis zur Haltung eines gefährlichen Hundes bis zum 24. September 2012 zu beantragen (Ziffer 2). Für den Fall, dass der Kläger der unter Ziffer 1 genannten Aufforderung nicht nachkomme, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 € angedroht (Ziffer 3). Für den Fall, dass der Kläger der unter Ziffer 2 genannten Aufforderung nicht nachkomme, wurde die Ersatzvornahme angedroht (Ziffer 4). Ferner wurde der Sofortvollzug angeordnet (Ziffer 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass sich der Hund F. durch die beiden Vorfälle am 10. Juli 2012 und 1. September 2012 als bissig erwiesen habe und somit gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 LHundG als gefährlich einzustufen sei.

6

Der Kläger legte hiergegen mit Schreiben vom 18. September 2012 Widerspruch ein mit der Begründung, die Einstufung des F. als gefährlich Hund sei nicht gerechtfertigt. Der angeordneten Leinenpflicht werde aber nicht entgegengetreten, allerdings der Pflicht, einen Maulkorb zu tragen.

7

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 bescheinigte die Tierärztin Frau Dr. G., dass der Kläger den Sachkundenachweis nach § 3 Abs. 2 LHundG in Bezug auf den Hund F. bestanden habe. Angefügt war der Hinweis, dass der Hund gemäß § 5 Abs. 5 LHundG vom Maulkorb befreit werden könne, da von ihm keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten sei.

8

Mit Schreiben vom 14. Januar 2013 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers teilte die Beklagte mit, dass sie nicht bereit sei, ihren Bescheid vom 7. September 2012 aufzuheben. Allerdings könne nach der erfolgreich bestandenen Sachkundeprüfung der Antrag des Klägers auf Erlaubnis zur Haltung eines gefährlichen Hundes positiv beschieden werden.

9

Mit Schreiben vom 12. August 2015 teilte Frau K. mit, dass der Hund F. am 9. August 2015 nach ihrem Minimalteser „A.“ gebissen und ihn im Maul wie ein Spielzeug weggeschleppt habe.

10

Nach vorheriger Anhörung des Klägers setzte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Oktober 2015 gegen den Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 € fest. Ferner wurde ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 400,00 € angedroht, wenn der Hund F. außerhalb des befriedeten Besitztums nicht ab sofort angeleint geführt werde und hierbei einen das Beißen verhindernden Maulkorb trage.

11

Der Kläger legte hiergegen mit Schreiben vom 14. Oktober 2015 Widerspruch ein, da ein Zwangsgeld in der festgesetzten Höhe nicht geboten sei, weil der Kläger sich entsprechend der Sachkundeprüfung der Tierärztin Dr. G. darauf verlassen könne, dass er seinen Hund F. auch ohne Maulkorb ausführen könne.

12

Mit Schreiben vom 27. November 2016 (Bl. 146 der Verwaltungsakte) teilte Herr B. (Lebensgefährte von Frau K.) mit, dass Frau K. am 26. November 2016 dem Hund F. begegnet sei, der ohne Leine und Maulkorb ausgeführt worden sei. Hiervon fertigte sie zwei Bilder (Bl. 147 f. der Verwaltungsakte).

13

Mit E-Mail vom 30. November 2016 teilte Herr B. mit, dass F. weiterhin ohne Leine und Maulkorb ausgeführt werde. Hierzu übergab er eine von seinem Nachbarn Herrn H. geführte Liste, auf der 13 Vorfälle angeführt sind.

14

Die Widersprüche des Klägers wurden durch Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2017 – dem Kläger per Postzustellungsurkunde zugestellt am 10. Februar 2017 – zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Einstufung des Hundes F. durch die Verfügung vom 7. September 2012 ihre Rechtsgrundlage in § 1 Abs. 1 Nr. 2 LHundG finde, da sich F. als bissig erwiesen habe, als er am 10. Juli 2012 und am 1. September 2012 einem anderen Hund Bissverletzungen zugefügt habe. Die Pflicht, den Hund anzuleinen, und der Maulkorbzwang ergäben sich aus § 5 Abs. 4 LHundG. Eine Ausnahme vom Maulkorbzwang gemäß § 5 Abs. 5 LHundG komme nicht in Betracht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Hinweis von Frau Dr. G. vom 19. Dezember 2012. Zuständige Behörde für die Genehmigung einer Ausnahme vom Maulkorbzwang sei gemäß § 12 i.V.m. § 5 Abs. 5 LHundG die Beklagte, nicht jedoch die für den Sachkundenachweis zuständige Tierärztin. Die Anleinpflicht für den Hund F. ergebe sich darüber hinaus aus § 2 Abs. 1 der Gefahrenabwehrverordnung über das Halten von Hunden und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen, in öffentlichen Anlagen und auf Feld-, Forst- und Wirtschaftswegen der Verbandsgemeinde G. vom 5. Mai 2003. Die Maulkorbpflicht und der Anleinzwang seien vorliegend angemessen und verhältnismäßig. Die von F. ausgehende Gefahr habe sich auch durch einen weiteren Beißvorfall am 3. August 2015 abermals konkretisiert.

15

Die Festsetzung des Zwangsgeldes in Höhe von 200,00 € durch den Bescheid vom 8. Oktober 2015 sei rechtmäßig, ebenso sei die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes in Höhe von 400,00 € nicht zu beanstanden.

16

Der Kläger hat am 7. März 2017 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass sein Hund F. nicht als gefährlicher Hund im Sinne des Landeshundegesetzes einzustufen sei, da er sich gerade nicht als bissig erwiesen habe, was Frau Dr. G. auch festgestellt habe und was objektiv nachvollziehbar sei. Soweit sich die Beklagte zur Begründung der Bissigkeit auf die Vorfälle vom 10. Juli 2012 und vom 1. September 2012 berufe, sei hinsichtlich der beteiligten Hunde „B.“ und „G.“ von einem erheblichen Mitverschulden der beiden Hunde auszugehen. Das Vorliegen von Arztrechnungen und Berichten beweise nicht, dass sich der Hund F. als bissig erwiesen habe und ständig von einer diesbezüglichen Gefahr auszugehen sei.

17

Die Tierärztin Frau Dr. G. habe im Rahmen der Sachkundeprüfung unstreitig festgestellt, dass der Hund F. tatsächlich nicht gefährlich und seine Einstufung als gefährlicher Hund nicht gerechtfertigt gewesen sei. Deshalb habe sie hier auch gerade eine Maulkorbbefreiung erteilt. Die Beißvorfälle vom 10. Juli 2012 und vom 1. September 2012 hätten deutlich vor der tierärztlichen Empfehlung vom 19. Dezember 2012 gelegen. Insoweit habe die Beklagte nicht abgewogen, ob zwischenzeitlich veränderte Umstände eingetreten seien, die einer Gefährlichkeit des Hundes F. entgegenstünden.

18

Der Kläger beantragt,

19

die Bescheide der Beklagten vom 7. September 2012 und vom 8. Oktober 2015 sowie den Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2017 aufzuheben.

20

Die Beklagte beantragt,

21

die Klage abzuweisen.

22

Sie beruft sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheids und des Widerspruchsbescheids. Sie verweist darauf, dass sich der Hund F. anlässlich der Vorfälle vom 10. Juli 2012, vom 1. September 2012 und vom 3. August 2015 als bissig erwiesen habe. Dies werde auch belegt durch die vorgelegten Arztberichte und Rechnungen. Ungeachtet der tatsächlichen Geschehensabläufe sei zu bezweifeln, ob aufgrund der mittlerweile fast 5 Jahre zurückliegenden Vorfälle durch Zeugenvernehmung jetzt noch eine Klärung des tatsächlichen Geschehensablaufs erfolgen könne. Man habe damals und auch heute noch eine Zeugenvernehmung der Familienangehörigen des Klägers jedenfalls nicht für erforderlich gehalten. Ferner sei darauf zu verweisen, dass Frau Dr. G. im Ergebnisprotokoll zum Sachkundenachweis nicht die Feststellung getroffen habe, dass der Hund F. sich nicht als bissig erwiesen habe, sondern sie habe lediglich empfohlen, dass der Hund vom Maulkorb befreit werden könne, da von ihm keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten sei. In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf hinzuweisen, dass eine Tierärztin keine Maulkorbbefreiung erteilen könne. Insoweit könne sie allenfalls eine Empfehlung aussprechen, die Entscheidung hierüber obliege aber der Beklagten als der zuständigen Ordnungsbehörde. Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom 3. Juli 2012 (1 L 828/12.MZ) genüge bereits ein erstmaliger oder einmaliger Vorfall – hier also der Vorfall vom 10. Juli 2012 – zur Feststellung der Bissigkeit eines Hundes. Deshalb sei die Beklagte im konkreten Fall im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr nicht gehalten gewesen, weitere Vorfälle abzuwarten, bevor sie einen auffällig gewordenen Hund als gefährlich einstuft.

23

Hinsichtlich des festgesetzten Zwangsgeldes von 200,00 € zuzüglich Gebühren und Auslagen (insgesamt 228,50 €) sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger diesen Betrag am 30. März 2017 bar eingezahlt habe.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakte der Beklagten und die Widerspruchsakte der Kreisverwaltung M. verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

25

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist als hinsichtlich aller angegriffenen Bescheide als Anfechtungsklage zulässig, aber unbegründet.

26

Das mit Bescheid vom 8. Oktober 2015 festgesetzte Zwangsgeld hat der Kläger einschließlich der Verwaltungsgebühren und Auslagen zwar in bar beglichen. Damit ist allerdings noch keine Erledigung des der Zahlung zugrundeliegenden Verwaltungsakts eingetreten, da dieser weiterhin Rechtswirkungen entfaltet; nämlich als ein Rechtsgrund für die Beklagte zum Behaltendürfen des Geldes.

27

Die Voraussetzungen der objektiven Klagehäufung gemäß § 44 VwGO liegen vor.

28

Die Klage ist allerdings insgesamt unbegründet, da die angefochtenen Verwaltungsakte rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

29

Der Bescheid der beklagten Verbandsgemeinde vom 7. September 2012 ist rechtmäßig. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 LHundG kann die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere Verstöße gegen Bestimmungen dieses Gesetzes, abzuwehren, wobei sowohl aus dem Gesetzestitel als auch dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften hervorgeht, dass die Gefahr von einem gefährlichen Hund im Sinne von § 1 LHundG ausgehen muss (VG Trier, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 6 L 9992/16.TR –, juris, Rn. 10).

30

Gemäß § 1 Abs. 1 LHundG gelten solche Hunde als gefährlich im Sinne dieses Gesetzes, die sich als bissig erwiesen haben (Nr. 1), durch ihr Verhalten gezeigt haben, dass sie Wild oder Vieh hetzen oder reißen (Nr. 2), in aggressiver oder gefahrdrohender Weise Menschen angesprungen haben (Nr. 3) oder eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe oder andere in ihrer Wirkung vergleichbare Eigenschaft entwickelt haben (Nr. 4).

31

Die Verbandsgemeindeverwaltung der Beklagten als gemäß § 12 LHundG zuständige örtliche Ordnungsbehörde hat den Hund „F.“ zu recht auf Grundlage des § 1 Abs. 1 Nr. 1 LHundG als gefährlich eingestuft, weil er sich als bissig erwiesen hat. Aus dem Wortlaut der Regelung folgt, dass es jedenfalls einen konkreten Vorfall gegeben haben muss, der auf die Bissigkeit des Hundes schließen lässt (vgl. VG Trier, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 6 L 9992/16.TR –, juris, Rn. 14). Dabei kann ein rein artgerechtes Verhalten allerdings nicht die Bissigkeit begründen, soweit es sich in einem Bereich der von der Rechtsgemeinschaft hingenommenen Risiken bewegt, die mit der Haltung von Hunden zwangsläufig verbunden sind (VG Trier, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 6 L 9992/16.TR –, juris, Rn. 15). Als Biss im Sinne des Gesetzes ist bereits das Zuschnappen der Kiefer eines Hundes an einem menschlichen oder tierischen Körper einzuordnen (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 6. März 2017 – 3 M 245/16 –, juris, Rn. 4). Erhebliche Verletzungen sind dafür nicht erforderlich. Anders als beispielsweise in Sachsen-Anhalt sieht der Gesetzgeber in Rheinland-Pfalz bei der Annahme der Bissigkeit gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 LHundG zudem nicht explizit das Erfordernis einer „mehr als geringfügigen Verletzung“ vor (vgl. zu § 3 Abs. 3 Nr. 2 HundeG LSA: OVG LSA, Beschluss vom 6. März 2017 – 3 M 245/16 –, juris, Rn. 4 ff.).

32

Sofern es sich nur um einen einmaligen Beißvorfall handelt, muss dieser allerdings ein derart erhebliches Gewicht besitzen, um einen Hund als gefährlich einstufen zu können (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Oktober 2008 – 4 Bs 149/08 –, juris, Rn. 11 f.; VG Trier, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 6 L 9992/16.TR –, juris, Rn. 16). Die Neigung des Hundes zum Beißen muss durch zumindest einen Beißvorfall hinreichend belegt sein (VG Trier, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 6 L 9992/16.TR –, juris, Rn. 17). Dabei ist der gesamte Geschehensablauf einschließlich der Begleitumstände zu würdigen (Stollenwerk, PdK Rheinland-Pfalz, K 30a RhPf, § 1 LHundG, Ziffer 1.1.3).

33

Es ist erforderlich, dass eine dem Wesen des Hundes nicht regelmäßig entsprechende Schärfe, ein übersteigertes Aggressionsverhalten zu Tage tritt (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 1. März 2000 – 9 W 2/99 –, juris, Rn. 27; OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Oktober 2008 – 4 Bs 149/08 –, juris, Rn. 11 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. März 1997 – 5 B 3201/96 –, NVwZ 1997, 806, juris; VG Saarland, Beschluss vom 4. August 2016 – 6 L 725/16 –, juris; VG Trier, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 6 L 9992/16.TR –, juris, Rn. 17). Wenn es sich ausschließlich um eine Reaktion auf einen Angriff auf sich bzw. seine Aufsichtsperson oder ein bewusst herausgefordertes Verhalten gehandelt hat, kann dies unter Umständen gegen die Annahme der Bissigkeit des Hundes sprechen (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 1. März 2000 – 9 W 2/99 –, juris, Rn. 29; VG Trier, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 6 L 9992/16.TR –, juris, Rn. 17). In diesem Zusammenhang ist eine Würdigung der Gesamtumstände vorzunehmen.

34

Die Voraussetzungen für die Einstufung als gefährlicher Hund liegen vor, da sich F. als bissig erwiesen hat. Der aktenkundige Beißvorfall am 10. Juli 2012 mit dem Zwergspitz „B.“ ist schon für sich genommen hinreichend gewichtig, um die Einstufung als gefährlicher Hund zu rechtfertigen. B. wurde von F. gebissen (vgl. Bl. 39 der Verwaltungsakte) und derart erheblich verletzt, dass er tierärztlich versorgt werden musste und sogar am 12. Juli 2012 verstarb (Bl. 38 der Verwaltungsakte). Dabei ist von einer (jedenfalls äquivalenten) Kausalität zwischen dem Beißvorfall und dem Tod des gebissenen Hundes B. auszugehen – ungeachtet des möglicherweise schon allgemein schlechten Gesundheitszustandes des Hundes.

35

Es handelt sich dabei auch nicht um ein ausschließlich artgerechtes Abwehrverhalten von F. (vgl. dazu etwa OVG Nds., Beschluss vom 18. Januar 2012 – 11 ME 423/11 –, juris, Rn. 9), sondern es demonstriert dessen über das natürliche Maß hinausgehende Aggressivität und Kampfbereitschaft (vgl. auch § 1 Abs. 1 Nr. 4 LHundG). Dies folgt besonders daraus, dass F. sich von der ihn zu diesem Zeitpunkt führenden Person (Frau C.) losgerissen hat und auf B. und seine Halterin (Frau K.) zugelaufen ist (vgl. OVG Nds., Beschluss vom 18. Januar 2012 – 11 ME 423/11 –, juris, Rn. 10; VG Gießen, Urteil vom 5. Juli 2016 – 4 K 414/16.GI –, juris, Rn. 25). Gerade dies wird auch nicht durch die Sachverhaltsschilderung im Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 7. August 2012 an die Rechtsanwälte H. in Abrede gestellt. Dass F. nach dem Zulaufen nur mit B. habe „spielen“ wollen, ist durch die ihm durch F. zugefügten erheblichen Verletzungen nach Überzeugung der Kammer widerlegt. Spielerisches Beißen bei Hunden zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die eigene Beißkraft des Hundes gehemmt wird, um solche erheblichen Verletzungen zu vermeiden. Es ist daher davon auszugehen, dass gerade die nicht nur geringfügigen Bisse die Gefährlichkeit von F. erweisen. Durch den dadurch herbeigeführten Tod des Hundes B. ist dieser Vorfall für sich genommen bereits hinreichend erheblich, um auf eine Gefährlichkeit zu schließen.

36

Selbst wenn der oben dargestellte erste Beißvorfall alleine noch nicht die Bissigkeit als erwiesen erscheinen ließe, so kann dies jedenfalls auf der Grundlage des zweiten Vorfalls vom 1. September 2012 mit dem Jack Russel Terrier „G.“ des Herrn M. angenommen werden. Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass G. „multiple Bissverletzungen“ erlitten hat (vgl. Blatt 50 der Verwaltungsakte) und die dadurch herbeigeführte Lungenkontusion jedenfalls mehr als geringfügig war. Selbst wenn G. auf F. zugelaufen und ihn tatsächlich damit provoziert haben sollte, kann dies jedenfalls nicht als ein derart intensiver Angriff gewertet werden, der das Verhalten von F. als artgerechte Abwehrreaktion erscheinen ließe (vgl. VG Gießen, Urteil vom 5. Juli 2016 – 4 K 414/16.GI –, juris, Rn. 25). Ob F. tatsächlich „einen Satz nach vorne“ gemacht hat (siehe Sachverhaltsschilderung des Herrn M.; Blatt 60 der Verwaltungsakte), kann insoweit offenbleiben. Auf ein Mitverschulden des Herrn M. kommt es im Zusammenhang mit der im Rahmen der Einstufung als gefährlicher Hund anzustellenden Gefahrenprognose ebenfalls nicht an (vgl. VG Köln, Beschluss vom 6. November 2014 – 20 L 1908/14 –, BeckRS 2015, 42239), da bei der Einstufung gemäß § 1 Abs. 1 LHundG das Wesen des Hundes und nicht seines Halters relevant ist. Dies kann allenfalls in einem zivilrechtlichen Haftungsprozess von Bedeutung sein.

37

Auch die Ausführungen der Frau Dr. G. im „Ergebnisprotokoll zum Sachkundenachweis nach § 3 Abs. 2 des Landesgesetzes über gefährliche Hunde“ (Blatt 86 der Verwaltungsakte) lassen keine andere Bewertung zu. Erstens hat Dr. G. in diesem Rahmen nicht den Hund, sondern die Sachkunde des Halters zu begutachten gehabt, sodass durchaus fraglich ist, warum sie in diesem Zusammenhang überhaupt Feststellungen zum Hund getroffen hat. Zweitens lässt sich nicht erkennen, worauf sie ihre Feststellungen, dass von F. keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausginge, stützte. Mangels hinreichender Begründung ihrer Aussage gibt das vorgenannte „Ergebnisprotokoll“ für die Kammer keinen Anlass an der durch die beiden Beißvorfälle erwiesenen Gefährlichkeit des Hundes F. zu zweifeln. Insoweit ist überdies darauf hinzuweisen, dass die Befreiung vom sofort vollziehbaren Maulkorbzwang gemäß § 5 Abs. 5 LHundG durch die Verbandsgemeindeverwaltung der Beklagten zu erfolgen hätte und nicht etwa durch die Tierärztin angeordnet werden konnte. Der Befreiung vom Maulkorbzwang hätte zudem auch ein entsprechender Antrag des Klägers und ein Verwaltungsverfahren beim Beklagten vorausgehen müssen. Gegen eine eventuelle Ablehnung eines solchen Antrags stünden dem Kläger dann gesonderte Rechtsbehelfe zu.

38

Nach alledem war F. als bissig einzustufen, sodass die entsprechenden Rechtsfolgen der §§ 2 ff. LHundG Anwendung finden. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Die Beklagte konnte die vorgelegten Tierarztrechnungen sowie die Sachverhaltsschilderungen der Beteiligten als hinreichenden Anlass nehmen, den Hund F. als gefährlich einzustufen. Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bedurfte es insoweit nicht, da bereits im unstreitigen Teil des Geschehensablaufs hinreichende Anhaltspunkte für eine Gefährlichkeit zu sehen waren. Ferner erscheint die Einstufung als gefährlicher Hund auch nicht als unverhältnismäßig.

39

Der in Ziffer 1a angeordnete Maulkorb- und Leinenzwang ergibt sich insbesondere aus § 5 Abs. 4 LHundG. Demnach sind gefährliche Hunde außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren sowie in sonstigen, von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzten Räumen anzuleinen und haben einen das Beißen verhindernden Maulkorb zu tragen. Darüber hinaus ergibt sich eine Anleinpflicht bereits aus § 2 Abs. 1 der Gefahrenabwehrverordnung über das Halten von Hunden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen, in öffentlichen Anlagen und auf Feld-, Forst und Wirtschaftswegen in der Verbandsgemeinde G. vom 5. Mai 2003. Demnach dürfen Hunde auf öffentlichen Straßen innerhalb bebauter Ortslagen nur angeleint geführt werden. Außerhalb bebauter Ortslagen sind sie umgehend und ohne Aufforderung anzuleinen, wenn sich andere Personen nähern. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen gefährlichen Hund im Sinne des LHundG handelt.

40

Die Anordnung unter Ziffer 1b findet ihre Grundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 LHundG. Danach darf außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren sowie in sonstigen, von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzten Räumen einen gefährlichen Hund nur führen, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, körperlich in der Lage ist, den Hund sicher zu führen, und die zur Führung eines gefährlichen Hundes erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Ferner ergibt sich die Anordnung in Ziffer 1c aus § 4 Abs. 1 Satz 2 LHundG. Dort ist ausdrücklich vorgesehen, dass gefährliche Hunde im sicheren Gewahrsam zu halten sind.

41

Der Kläger ist als Halter des Hundes F. gemäß § 5 POG auch für die Einhaltung der vorgenannten Vorschriften verantwortlich. Gemäß § 5 Abs. 1 POG sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten, wenn von einem Tier oder von einer Sache eine Gefahr ausgeht. Die für Sachen geltenden Bestimmungen dieses Gesetzes sind auf Tiere entsprechend anzuwenden. Ferner können gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 POG Maßnahmen auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden.

42

Da die Haltung eines gefährlichen Hundes gemäß § 3 LHundG erlaubnispflichtig ist, war auch die in Ziffer 2 getroffene Anordnung rechtmäßig. Die Androhung des Zwangsgeldes in Höhe von 200,00 € (Ziffer 3) begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1, 64, 66 LVwVG. Ebenso verhält es sich mit der Androhung der Ersatzvornahme (Ziffer 4), die auf §§ 61 Abs. 1, 63, 66 LVwVG gestützt werden kann.

43

Die Festsetzung eines Zwangsgelds in Höhe von 200,00 € (zuzüglich einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 25,00 € sowie Auslagen in Höhe von 3,50 €) und der gleichzeitigen Androhung eines höheren Zwangsgeldes (in Höhe von 400,00 €) mit Bescheid vom 8. Oktober 2015 waren ebenfalls rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Da gegen den in Ziffer 1 des Bescheids vom 7. September 2012 angeordneten und sofort vollziehbaren Maulkorb- und Leinenzwang verstoßen worden ist, konnte ein entsprechendes Zwangsgeld festgesetzt werden (vgl. etwa Blätter 95, 97 der Verwaltungsakte). Der Maulkorbzwang ist zudem auch nicht zwischenzeitlich aufgehoben worden. Weitergehende rechtliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der vorgenannten Zwangsgeldfestsetzung und -androhung bestehen ebenfalls nicht.

44

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VGO.

45

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.

Beschluss der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 30. November 2017

46

Der Streitwert wird auf 5.228,50 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2, 3 GKG).

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 44


Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

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Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

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Tenor

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der im Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.11.2016 enthaltenden „Auflagen“ (Ziffer 1.-3.) wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die unter Ziffer III. des genannten Bescheides ausgesprochene Zwangsmittelandrohung angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.

3. Der Verfahrensgegenstand wird auf 2500 € festgesetzt.

Gründe

1

A. Soweit sich der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.11.2016 wiederherzustellen, gegen die enthaltenden „Auflagen“ bezüglich der Haltung seines Hundes (Ziff. 1. – 3.) richtet, ist er zulässig (I.), aber nur in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang begründet (II., III.).

2

I. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Alt. 2 i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung statthaft, da unter Ziff. II des Bescheides die sofortige Vollziehung der unter Ziff. 1. bis 3. ausgesprochenen „Auflagen“ angeordnet wird.

3

II. Der Antrag ist auch (teilweise) begründet, da die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO begründet worden und die Anordnung des Sofortvollzugs damit aufzuheben ist.

4

Nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Der Bescheid enthält jedoch keinerlei Begründung für den Sofortvollzug. Eine solche ist auch nicht nach § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO entbehrlich. Danach bedarf es einer besonderen Begründung nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft. Eine Bezeichnung als Notstandsmaßnahme hat die Antragsgegnerin aber nicht vorgenommen.

5

Von einer besonderen Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs kann auch nicht im Hinblick darauf abgesehen werden, dass es ausnahmsweise ausreichen kann, auf die Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsaktes Bezug zu nehmen, wenn sich bereits aus dieser die besondere Dringlichkeit der Vollziehung und die von der Behörde getroffene Interessenabwägung ergibt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 86 m.w.N.). An einer solchen Bezugnahme auf die Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsakts fehlt es im vorliegenden Fall. Zumindest hierauf kann auch in den Fällen, in denen sich bereits aus der Begründung des Verwaltungsaktes die besondere Dringlichkeit der Vollziehung und die von der Behörde getroffene Interessenabwägung ergibt, nicht als „bloße Förmelei“ verzichtet werden, da das Begründungserfordernis insbesondere dazu dient, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, sorgfältig zu prüfen, ob wirklich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 84, 86 m.w.N.). Im vorliegenden Fall geht im Übrigen aus der Begründung der dem Antragsteller gemachten „Auflagen“ bezüglich seiner Hundehaltung nicht hervor, dass deren Vollziehung besonders dringlich ist und weshalb das Vollzugsinteresse höher zu bewerten ist als das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Anlass für diese Anordnung war nämlich lediglich ein einmaliger Vorfall, bei dem der Hund des Antragstellers einen anderen Hund gebissen hat und aufgrund dessen die Antragsgegnerin sich nicht einmal veranlasst gesehen hat, den Hund als gefährlich im Sinne des Landesgesetzes über gefährliche Hunde zu qualifizieren.

6

Wegen dieses Begründungsmangels ist die Vollziehungsanordnung aufzuheben (VG Trier, Beschluss vom 11.9.2014 – 6 L 1605/14.TR –, juris, Rn. 8; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24.8.1994 – 7 B 12083/94 –, juris, Rn. 5 f.)

7

III. Da der Antragsteller nicht nur die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung, sondern die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs insgesamt beantragt hat, darf das Gericht sich jedoch nicht damit begnügen, die Anordnung des Sofortvollzugs wegen des festgestellten Begründungsmangels aufzuheben, sondern hat darüber hinaus ebenfalls zu prüfen, ob die aufschiebende Wirkung aufgrund der vorzunehmenden Interessenabwägung wiederherzustellen ist (OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rn. 6).

8

Das ist jedoch nicht der Fall, denn bei der in Verfahren der vorliegenden Art gebotenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache (vgl. hierzu Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 152 ff. m.w.N.) überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügungen gegenüber dem Interesse des Antragstellers, diesen Anordnungen vorläufig nicht nachkommen zu müssen. Zwar sind die Erfolgsaussichten seines Widerspruchs derzeit offen (1.), allerdings besteht unabhängig hiervon ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse (2.).

9

1. Aufgrund der derzeit vorliegenden Erkenntnisse besteht durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die von der Antragsgegnerin verfügten „Auflagen“ im Hinblick auf die Hundehaltung des Antragstellers aufgrund von § 7 Abs. 1 S. 1 des Landesgesetzes über gefährliche Hunde (LHundG) (a) bzw. § 9 Abs. 1 S. 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) (b) als rechtmäßig erweisen werden und der Widerspruch aufgrund dessen keinen Erfolg haben wird.

10

a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 LHundG kann die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere Verstöße gegen Bestimmungen dieses Gesetzes, abzuwehren, wobei sowohl aus dem Gesetzestitel als auch dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften hervorgeht, dass die Gefahr von einem gefährlichen Hund im Sinne von § 1 LHundG ausgehen muss.

11

aa) Der Heranziehung des § 7 LHundG als Ermächtigungsgrundlage steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin die Ordnungsverfügungen hierauf nicht gestützt hat. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO von Amts wegen zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht, und kann daher auch feststellen, ob der Verwaltungsakt auf Grundlage einer anderen gesetzlichen Regelung rechtmäßig ist, solange dies nicht mit einer Änderung der Begründung verbunden ist, die eine Wesensänderung des Verwaltungsaktes bewirkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.02.1994 — 8 C 14.92 —, BVerwGE 95, 176). Das ist bei einem Austausch des von der Antragstellerin herangezogenen § 9 Abs. 1 S. 1 POG gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 LHundG nicht der Fall (vgl. OVG RP, Beschluss vom 28. Dezember 2011 — 7 B 11443/11.OVG —). Dass die Antragstellerin ausdrücklich von der Einstufung des Hundes als gefährlich abgesehen hat, ist in diesem Zusammenhang irrelevant, denn es obliegt dem Gericht zu entscheiden, ob dieses Tatbestandsmerkmal vorliegt.

12

bb) Die Verwaltung der Antragsgegnerin ist auch nach § 12 LHundG für den Erlass einer auf § 7 LHundG gestützten Verfügung zuständig.

13

cc) Es lässt sich derzeit weder hinreichend sicher feststellen noch ausschließen, dass es sich bei dem Hund des Antragstellers, einem Schäferhund (so im Bescheid) bzw. einem Podenco-Schäferhund-Mix (so der Antragsteller in seiner Stellungnahme gegenüber der Antragsgegnerin) um einen gefährlichen Hund i.S.v. § 1 LHundG handelt. Er gehört allerdings keiner der nach Abs. 2 dieser Vorschrift als gefährlich eingestuften Rassen oder Typen an und stammt nicht von einem Hund einer solchen Rasse oder eines solchen Typs ab. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, er habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er Wild oder Vieh hetzt oder reißt (Abs. 1 Nr. 2). Ebensowenig gibt es Hinweise darauf, dass er in aggressiver oder Gefahr drohender Weise Menschen angesprungen hat (Abs. 1 Nr. 3). Ob er eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe oder andere in ihrer Wirkung vergleichbare Eigenschaft entwickelt hat (Abs. 1 Nr. 4), ist bislang nicht untersucht worden. Als Grund für die Qualifizierung des Hundes als gefährlich kommt somit derzeit allein die Möglichkeit in Betracht, dass er sich im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 LHundG als bissig erwiesen haben könnte.

14

Aus dem Wortlaut der Regelung folgt, dass es einen konkreten Vorfall gegeben haben muss, der auf die Bissigkeit des Hundes schließen lässt. Ein solches Ereignis kann der Beißvorfall, der sich zwischen dem Hund des Antragstellers und einem anderen Hund am Nachmittag des 19. Juni 2016 ereignet hat, gewesen sein. Dass es einen solchen Vorfall gegeben und der Hund des Antragstellers den anderen beteiligten Hund gebissen hat, wird auch vom Antragsteller nicht bestritten. Dass aufgrund dieses Vorfalls die Bissigkeit des Hundes erwiesen ist, lässt sich derzeit aber weder hinreichend sicher feststellen noch ausschließen.

15

Das Gesetz selbst definiert nicht, was unter Bissigkeit zu verstehen ist. Nach der amtlichen Begründung (LT-Drs. 14/3512) sind gefährliche Hunde im Sinne dieses Gesetzes solche, die sich aufgrund ihres Verhaltens als gefährlich erwiesen haben, zum anderen Hunde, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Typ oder einer bestimmten Rasse als gefährlich gelten (a.a.O., S. 9). Weiter heißt es dort (a.a.O., S. 9 f.), in den ersten drei Fallvarianten des § 1 Abs. 1 LHundG beruhe die Einstufung auf tatsächlichem gefahrverursachendem Fehlverhalten, das zur Verletzung eines Menschen oder Tieres geführt haben könnte. Bereits daraus folgt, dass ein Hund nicht ohne weiteres bereits dann bissig ist, wenn er, unter welchen Umständen auch immer, ein Tier oder auch einen Menschen gebissen hat. Ein „Fehlverhalten“, das die Qualifizierung eines Hundes als bissig rechtfertigt, liegt vielmehr dann nicht vor, wenn ein Hund ein artgerechtes Verhalten zeigt, das den Bereich der von der Rechtsgemeinschaft hingenommenen Risiken, die mit der Haltung von Hunden zwangsläufig verbunden sind (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 04. Juli 2001 – VGH B 12/00, VGH B 18/00, VGH B 8/01 –, AS 29, 23, juris), nicht überschreitet.

16

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Qualifizierung eines Hundes als gefährlich nach den §§ 2 ff. LHundG schwerwiegende rechtliche Folgen auslöst und das Gesetz hiervon Ausnahmen oder behördliche Entscheidungsspielräume nur in sehr begrenztem Umfang zulässt bzw. eröffnet (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Oktober 2008 – 4 Bs 149/08 –, juris). Daher muss einem – insbesondere einmaligen – Fehlverhalten zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ein entsprechendes Gewicht zukommen, um die Folgen einer solchen Qualifizierung zu rechtfertigen. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz trägt auch § 7 Abs. 1 S. 1 LHundG Rechnung, wonach der zuständigen Behörde die Möglichkeit eingeräumt wird, die Vorführung und sachverständige Begutachtung eines Hundes anzuordnen, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Gefährlichkeit eines Hundes vorliegen. Daraus folgt, dass ein Hund aufgrund eines Fehlverhaltens ohne Begutachtung nur dann als gefährlich anzusehen ist, wenn es derart gewichtig ist, dass kein vernünftiger Zweifel an der Gefährlichkeit des Tiers besteht (so auch OVG Hamburg, a.a.O.).

17

Aufgrund dieser Erwägungen und auch nach dem Wortsinn liegt Bissigkeit als besondere Ausprägung der Gefährlichkeit dann vor, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die eine Neigung des Hundes zum Beißen belegen. Erforderlich ist somit, dass also eine dem Wesen des Hundes nicht regelmäßig entsprechende Schärfe, ein übersteigertes Aggressionsverhalten zu Tage tritt (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 01. März 2000 – 9 W 2/99 –, AS 28, 243; OVG Hamburg, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06. März 1997 - 5 B 3201/96 -, NVwZ 1997, 806, juris; VG Saarland, Beschluss vom 4. August 2016 – 6 L 725/16 –, juris). Selbst wenn ein Hund einen Menschen oder ein Tier durch einen Biss verletzt hat, hat er sich dadurch nicht als bissig erwiesen, wenn es sich ausschließlich um eine Reaktion auf einen Angriff auf sich bzw. seine Aufsichtsperson oder ein bewusst herausgefordertes Verhalten gehandelt hat (vgl. OVG Saarland, a.a.O.; VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 11. April 2013 – 5 L 214/13.NW –; so auch das Gemeinsame Rundschreiben des Ministeriums des Innern und für Sport und des Ministeriums für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz vom 5. Juli 2006, Ministerialblatt 2006, S. 128).

18

Nach den dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Feststellungen soll sich der Hund des Antragstellers am 19. Juni 2016 um 16:30 Uhr frei und ohne Aufsicht von der seitlichen Terrasse seines Wohnanwesens auf die angrenzende M...straße entfernt und den Hund der dort passierenden Frau S..., einen Zwergdackel, sofort und unvermindert angegriffen und dabei nicht unerheblich verletzt haben. Der Hund der Geschädigten habe Bissverletzungen und schwere innere Hämatome davongetragen und habe anschließend in der Tierklinik behandelt werden müssen. Auch die Hundeführerin, Frau S..., sei durch den Angriff zu Fall gekommen, dabei aber nicht verletzt worden.

19

Nach dem in der Verfahrensakte vorhandenen Schriftverkehr mit der Versicherung des Antragstellers handelt es sich bei dem verletzten Zwergdackel um den Hund der Frau S..., der von ihrer Tochter ... ausgeführt wurde. Diese hatte den Vorfall am 22. Juni 2016 bei der Polizeiinspektion ... gemeldet und um ein Vermittlungsgespräch gebeten. Ausweislich des hierüber verfassten Vermerks soll sie angegeben haben, sie habe den Zwergdackel in der M...straße in K... angeleint auf dem Gehweg geführt. Als sie in Höhe des Anwesens M...straße … – des Wohnanwesens des Antragstellers – gewesen sei, sei ein freilaufender Schäferhund von diesem Grundstück gelaufen und habe den Zwergdackel attackiert und durch Bisse verletzt. Der telefonisch kontaktierte Hundehalter habe seine Aufsichtspflichtverletzung eingesehen und erklärt, er werde den Vorfall seiner Versicherung melden und die Rechnungen bezahlen. Als Zeugin wurde Frau J... benannt. Die in der Verfahrensakte befindlichen, an Frau S... adressierten Rechnungen einer tierärztlichen Klinik für die Behandlung des Zwergdackels H... weisen die Diagnose „Bissverletzung“ und „MED“ aus.

20

In einem an die Versicherung des Antragstellers gerichteten Schreiben vom 22. Juli 2016 gab Frau S... an, sie habe sich mit dem angeleinten Zwergdackel in Höhe des Hauses der Familie des Antragstellers mitten auf der Straße befunden. Plötzlich sei der Hund der Familie des Antragstellers durch die Thujahecken von deren Terrasse wie ein Blitz herausgeschossen und sofort auf ihren Hund losgegangen. Bei dem Versuch, beide auseinander zu bringen, sei sie gestürzt. In dem Moment sei der Antragsteller angerannt gekommen und habe nur mit sehr großer Mühe seinen Hund von dem ihrigen trennen können. Ihr Hund habe sich wohl bei dem Bemühen, sich aus den Fingern zu befreien, aus seinem Halsband herausgewunden und sei davongerannt.

21

Die als Zeugin benannte Frau J... erklärte in einem Schreiben vom zweiten 20. Juli 2016 gegenüber der Versicherung des Antragstellers, Frau S... sei ihr aus Richtung K...straße in die M...straße entgegengekommen. An der Leine habe sie ein kleines Hündchen gehabt und sei mitten auf der Straße gegangen, als von dem Grundstück M...straße … ein riesengroßer Schäferhund herausgesprungen sei und sich auf dieses kleine Hündchen gestürzt habe. Sie habe aus Angst um den kleinen Hund geschrien, da sie gedacht habe, der beiße ihn tot. Nach einer Weile sei der Hundebesitzer gekommen und habe mit Gewalt den kleinen Hund aus den Fängen des großen Hundes befreien können.

22

Im Rahmen des gegen ihn eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahrens nahm der Antragsteller dahingehend Stellung, der Vorfall habe sich auf ihrem Grundstück, nämlich auf der Wiese im Vorgarten, und nicht im Bereich der öffentlichen Straße ereignet. Frau S... habe den Dackel auf der Wiese sein kleines Geschäft machen lassen. Ihr Hund, ein mittelgroßer (ca. 60 cm) Podenko-Schäferhund-Mix, sei friedlich auf der Wiese gelegen, er selbst sei ca. 2 m dahinter gestanden. Ihr Hund sei aufgestanden und zu dem Dackel gelaufen. Dieser habe ihren Hund sofort gebissen, daraufhin habe sich ihr Hund gewehrt. Da er unmittelbar dahinter gestanden habe, habe er ihren Hund sofort am Nacken festgehalten. Er habe die beiden Tiere nicht getrennt. Der Dackel habe ihn sogar in den Daumen gebissen, denn Frau S... habe ihm Leine gegeben, bis sie ihn dann hochgehoben und abgeleint habe. Der Dackel habe ihrem Hund – dem Hund der Familie des Antragstellers – drei Bisswunden im Gesicht zugefügt. Die genannte Zeugin sei 83 Jahre alt, wohne in der Nachbarschaft von Frau S... und habe den Vorfall unmöglich beobachtet haben können. Der Antragsteller hat Lichtbilder vorgelegt, auf denen die Verletzungen seines Hundes zu erkennen sein sollen.

23

Wie sich der Vorfall vom 19. Juli 2016 tatsächlich zugetragen hat, lässt sich derzeit nicht zuverlässig feststellen. Es erscheint durchaus möglich, dass der Hund des Antragstellers den Hund von Frau S... attackiert und durch Bisse erheblich verletzt hat, ohne von diesem angegriffen oder provoziert worden zu sein. Je nach den konkreten Umständen könnte dieser einmalige Vorfall ausreichen, um den Hund des Antragstellers als gefährlich im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 LHundG zu qualifizieren. Hierfür spricht neben den Angaben der Tochter der Hundehalterin und der genannten Zeugin insbesondere, dass der Antragsteller nach dem Vermerk der Polizeiinspektion ... eingeräumt haben soll, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben.

24

Andererseits sprechen gegen diese Version des angeblichen Tatgeschehens zum einen die Angaben des Antragstellers, zum anderen aber auch der Umstand, dass die Tochter der Hundehalterin nach dem Vermerk der Polizeiinspektion ... erklärt haben soll, sie habe den Zwergdackel auf dem Gehweg vor dem Anwesen des Antragstellers geführt, während sie gegenüber dessen Versicherung erklärt hat, sie habe sich mitten auf der Straße befunden. Gewisse Bedenken gibt es auch gegen die Zuverlässigkeit der von der Zeugin wiedergegebenen Wahrnehmung des Geschehens. Während sie nämlich von einem „riesengroßen Schäferhund“ gesprochen hat, handelt es sich bei dem Hund des Antragstellers nach dessen Angaben um einen mittelgroßen Podenko-Schäferhund-Mix. Daher erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass der Beißvorfall durch den Zwergdackel provoziert wurde bzw. er den Hund des Antragstellers zuerst gebissen hat.

25

dd) Sollte sich der Beißvorfall so oder wenigstens im Wesentlichen so zugetragen haben wie von der Antragsgegnerin angenommen, bestünde auch eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit, da damit gerechnet werden müsste, dass es erneut zu vergleichbaren Beißattacken kommt.

26

ee) Die angeordneten Maßnahmen sind auch geeignet und erforderlich, um eine solche Gefahr zu beseitigen. Die mit ihnen verbundenen Belastungen stehen auch nicht außer Verhältnis zu dem mit ihnen verfolgten Zweck und begegnen auch im Übrigen keinen durchgreifenden Bedenken.

27

(1) Die in dem Bescheid unter Ziff. 1 getroffene Anordnung lautet: „Der Hund ist im Haus und auf dem Grundstück in sicherer Verwahrung zu halten. Dies bedeutet, dass er diesen Bereich nicht ohne menschliches Zutun verlassen kann. Die sichere Verwahrung ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung dritter Personen auszuschließen ist. Sofern der Hund weiterhin auf der seitlichen Terrasse frei gehalten werden soll, ist hier eine Zaunanlage so anzubringen, dass der Hund nicht mehr ungehindert die Terrasse verlassen kann.“

28

Die Anordnung stimmt inhaltlich im Wesentlichen mit § 4 Abs. 1 LHundG überein, wonach gefährliche Hunde so zu halten sind, dass Menschen, Tiere und Sachen nicht gefährdet werden und sie insbesondere in sicherem Gewahrsam zu halten sind (vgl. Stollenwerk, Praxis der Kommunalverwaltung Rheinland-Pfalz, § 4 LHundG Anm. 1). Dass diese Verpflichtungen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, macht eine inhaltsgleiche Anordnung für einen konkreten Einzelfall nicht rechtswidrig, da die gesetzlichen Verpflichtungen hierdurch gegenüber dem Adressaten nochmals festgeschrieben und gegebenenfalls auch im Wege der Vollstreckung durchgesetzt werden können.

29

Die Konkretisierung der Anforderungen an die sichere Verwahrung im Hinblick auf die Terrasse begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Die Anordnung bleibt zwar hinter den gesetzlichen Anforderungen zurück, wenn gefordert wird, die sichere Haltung so zu gestalten, dass eine Gefährdung dritter Personen auszuschließen ist, während nach § 4 Abs. 1 Satz 1 LHundG auch eine Gefährdung von Tieren und Sachen verhindert werden soll. Das stellt die Geeignetheit der Anordnung aber nicht infrage, da bei einer solchen Verwahrung auch einer Gefährdung von Tieren und Sachen entgegengewirkt wird. Im Übrigen werden Rechte des Antragstellers nicht dadurch verletzt, dass ihm gegenüber Anordnungen getroffen werden, die hinter den gesetzlichen Verpflichtungen zurückbleiben.

30

(2) Unter Ziff. 2 wird in dem angefochtenen Bescheid angeordnet: „Innerhalb bewohnter und bebauter Bereiche ist der Hund anzuleiten, wobei die Leinenlänge so zu wählen ist, dass eine Gefährdung Dritter auszuschließen ist.“

31

§ 5 Abs. 4 LHundG regelt bereits eine für gefährliche Hunde geltende Anleinpflicht, die weiter reicht als die „Auflage“ der Antragsgegnerin. Danach sind gefährliche Hunde außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren sowie in sonstigen, von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzten Räumen anzuleinen. Die Ausführungen zu der unter Ziff. 1 getroffenen Anordnung gelten hier entsprechend. Die Anordnung ist auch hinreichend bestimmt i.S.v. § 37 Abs. 1 VwVfG, da der räumliche Geltungsbereich hinreichend klar erkennbar ist (vgl. für einen Anleinzwang „innerhalb bebauter Ortslagen“ OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.9.2006 - 7 C 10539/06.OVG -, AS 33, 440, LKRZ 2007, 101, juris).

32

(3) Unter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheides hat die Antragsgegnerin angeordnet: „Der Hund darf nur von Personen ausgeführt werden, welche aufgrund ihrer körperlichen Eignung dazu in der Lage sind, das Tier jederzeit unter Kontrolle zu bringen bzw. diesen auch festhalten können.“

33

Auch diese Anordnung deckt sich teilweise mit den entsprechenden gesetzlichen Regelungen in § 5 Abs. 2 und 3 LHundG, bleibt aber ebenfalls teilweise hinter diesen zurück. Nach § 5 Abs. 2 LHundG darf außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren sowie in sonstigen, von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzten Räumen einen gefährlichen Hund nur führen, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, körperlich in der Lage ist, den Hund sicher zu führen, und die zur Führung eines gefährlichen Hundes erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, wobei § 3 Abs. 3 LHundG entsprechend gilt. Nach Abs. 2 ist es unzulässig, einen gefährlichen Hund außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren sowie in sonstigen, von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzten Räumen von einer Person führen zu lassen, die nicht die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt.

34

Auch insoweit gelten die Ausführungen zu der unter Ziff. 1 getroffenen Anordnung entsprechend. Mit „Ausführen“ meint die vorliegende Anordnung ersichtlich das Führen des Hundes außerhalb des befriedeten Besitztums.

35

ee) Die Ordnungsverfügungen sind entgegen der Auffassung des Antragsstellers auch insgesamt nicht deshalb zu unbestimmt, weil nicht sicher feststehe, um welchen Hund es sich handele. Es mag zwar zutreffen, dass es der Hund des Antragstellers in dem Bescheid fehlerhaft als Schäferhund bezeichnet wird. Da aber nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller mehrere Hunde hält und er selbst Lichtbilder des an dem Vorfall beteiligten Hundes vorgelegt hat, ist eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen.

36

b) Dass die von der Antragsgegnerin ausgesprochenen Anordnungen auch auf § 9 Abs. 1 S. 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) gestützt werden können, ist nach dem vorliegenden Erkenntnisstand eher unwahrscheinlich. Nach dieser Vorschrift können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit nicht die – im vorliegenden Fall nicht einschlägigen – §§ 9a bis 42 ihre Befugnisse besonders regeln. Die Verwaltung der Antragsgegnerin ist auch als untere Ordnungsbehörde für solche Maßnahmen ebenfalls zuständig (§ 88 Abs. 1 Nr. 1, 89 Abs. 1, 90 Abs. 1, 91 Abs. 1 Nr. 1 POG, § 1 der Landesverordnung über die Zuständigkeit der allgemeinen Ordnungsbehörden).

37

aa) Da das Landesgesetz über gefährliche Hunde spezialgesetzliche Regelungen zur Abwehr von Gefahren trifft, die von solchen Hunden ausgehen, wird die allgemeine polizeiliche Generalklausel des § 9 Abs. 1 S. 1 POG grundsätzlich von § 7 LHundG verdrängt, sofern es sich bei dem Hund des Antragstellers um einen gefährlichen Hund im Sinne von § 1 LHundG handelt (vgl. Stollenwerk, a.a.O., § 7 LHundG Anm. 1). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es wie im vorliegenden Fall um die Abwehr von Gefahren geht, die gerade auf einem Merkmal – hier: Bissigkeit – beruhen, das für die Qualifizierung des Hundes als gefährlich maßgeblich ist.

38

bb) Sofern sich die Gefährlichkeit des Hundes des Antragstellers jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen lassen sollte, wäre der Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel nicht grundsätzlich ausgeschlossen (offengelassen in OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Juni 2013 – 7 B 1051/13 –, LKRZ 2013, 395, juris). Das Gesetz über gefährliche Hunde verfolgt nämlich den Zweck, solche Hunde wegen ihrer überdurchschnittlichen Gefährlichkeit besonders strengen Regelungen zu unterwerfen, nicht jedoch, alle sonstigen Hunde von im Einzelfall erforderlichen Polizei- bzw. ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen freizustellen. So können etwa von Hunden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, auf deren Abwehr das Landesgesetz über gefährliche Hunde nicht ausgerichtet ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Hund unkontrolliert in den öffentlichen Straßenraum entweicht und den Verkehr gefährdet, auf fremden Grundstücken Schäden anrichtet oder Menschen in nicht aggressiver oder Gefahr drohender Weise anspringt und hierdurch Sach- oder Personenschäden verursacht. Es ist auch kein Grund dafür ersichtlich, es der zuständigen Behörde zu verwehren, die im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Hinblick auf einen nicht im Sinne von § 1 LHundG gefährlichen Hund anzuordnen, wenn dieselben Maßnahmen für gefährliche Hunde bereits von Gesetzes wegen zu ergreifen sind (anders VG Stuttgart, Beschluss vom 4. August 2003 – 5 K 1950/03 –, juris, Rn. 5; zurückhaltend Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 4. August 2016 – 6 L 725/16 –, juris, Rn. 9).

39

cc) Im vorliegenden Fall erscheint es jedoch wenig wahrscheinlich, dass sich nach vollständiger Ermittlung der Tatsachen eine Konstellation ergibt, wonach sich aufgrund des Vorfalls vom 19. Juli 2016 zwar nicht die Bissigkeit des Hundes des Antragstellers zuverlässig feststellen lässt, aber dennoch eine Gefahr besteht, aufgrund derer die angeordneten Maßnahmen nach § 9 Abs. 1 S. 1 POG gerechtfertigt wären. Sollte die Aufklärung des Sachverhalts erweisen, dass der Hund des Antragstellers sich ausschließlich gegen einen Angriff des verletzten Zwergdackels zur Wehr gesetzt hat, bestünde eine solche Gefahr jedenfalls nicht.

40

c) Da mit den angeordneten Maßnahmen keine schwerwiegenden und kaum mehr rückgängig zu machenden Grundrechtseingriffe verbunden sind, muss es für die vorliegende Entscheidung im Eilverfahren mit der summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage sein Bewenden haben, insbesondere ist die weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht geboten (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 80, Rn. 158 m.w.N.).2. Trotz der offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache besteht auch ein besonderes Vollzugsinteresse, das gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Denn hier ist zum einen zu berücksichtigen, dass hochrangige Rechtsgüter bedroht sind. Auch wenn der Hund des Antragstellers bislang keine Menschen angegriffen hat, so können diese nämlich auch dadurch verletzt werden, dass sie versuchen, die Hunde zu trennen oder aber – wie hier die Hundeführerin des Dackels – im Rahmen einer Beißattacke zu Fall kommen oder sich auf andere Weise verletzten. Ist es auch schwer möglich, die von einem gefährlichen Hund i.S.d. § 1 LHundG ausgehenden Gefahren von vornherein auf bestimmte Schutzgüter einzugrenzen. Vielmehr läge, sofern sich die Bissigkeit des Hundes des Antragstellers erweisen sollte, die Annahme nahe, dass sich die darin zutage getretene überdurchschnittliche Aggressivität auch gegen Menschen richten kann. Zum anderen ist auch zu sehen, dass die dem Antragsteller aufgegebenen Maßnahmen keine schwerwiegenden und kaum mehr rückgängig zu machenden Folgen haben. Er darf seinen Hund behalten; es sind ihm lediglich Vorgaben zur Art und Weise der Haltung gemacht worden. Ihm kann daher zugemutet werden, den Ausgang der Hauptsache abzuwarten und die Anordnung der Antragsgegnerin bis dahin zu befolgen.

41

B. Hinsichtlich der unter Ziffer III. des Bescheides ausgesprochenen „Zwangsmittelandrohung“ ist der Antrag, der sich gegen den Bescheid vom 10. November 2016 insgesamt richtet, zulässig (I.) und begründet (II.).

42

I. Insoweit ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Alt. 1 VwGO statthaft, da Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) keine aufschiebende Wirkung haben.

43

Zwar handelt es sich bei der Androhung, dem Antragsteller im Falle der Nichtbefolgung der getroffenen Anordnungen gemäß § 7 der Gefahrenabwehrverordnung gefährliche Hunde – gemeint ist wohl § 7 LHundG – und § 9 POG die Hundehaltung zu untersagen, nicht um eine Vollstreckungsmaßnahme i.S.v. §§ 57 ff. POG bzw. §§ 61 ff. des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes (LVwVG). Entsteht aber – wie hier – der Rechtsschein einer wirksamen Zwangsmittelandrohung, gegen die Widerspruch und Anfechtungsklage gem. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 AGVwGO keine aufschiebende Wirkung haben, so muss zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes [GG]) auch hiergegen derselbe Rechtsbehelf statthaft sein wie gegen eine wirkliche Zwangsmittelandrohung (vgl. etwa OVG Schleswig, Urteil vom 7. Juli 1999 – 2 L 264/98 –, juris, Rn. 17 ff.).

44

II. Der gegen die vermeintliche Zwangsmittelandrohung gerichtete Antrag ist auch begründet, da diese offensichtlich rechtswidrig ist. In der Sache handelt es sich nämlich lediglich um die Ankündigung einer weiteren ordnungsbehördlichen Maßnahme. Die Antragsgegnerin ist nicht befugt, eine solche Ankündigung mit dem Rechtsschein einer verbindlichen Regelung zu versehen.

45

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

46

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Gründe

1

1. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 1. Kammer - vom 8. Dezember 2016 hat in der Sache Erfolg. Die dargelegten Gründe rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

2

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 20. Juli 2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Juli 2016 zu Unrecht angeordnet bzw. wiederhergestellt. Nach der im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein veranlassten überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtfertigen die erhobenen Einwendungen eine andere Bewertung, da Erfolgsaussichten im noch anzustrengenden Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht bestehen (a.) und das Interesse des Antragstellers daran, von den Wirkungen des Verwaltungsaktes bis zum Eintritt der Bestandskraft verschont zu bleiben, hinter dem öffentlichen Interesse zurücksteht (b.).

3

a.) Rechtsgrundlage für die Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes des Antragstellers sind im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, mithin bereits unter Geltung des geänderten Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren (Hundegesetz - HundeG LSA -, GVBl. 2009 S. 22 i. d. F. des Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Oktober 2015, GVBl. S. 560), ist § 4 Abs. 4 i. V. m. § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA. Gemäß § 3 Abs.1 Alt. 2 HundeG LSA sind gefährlich die Hunde, deren Gefährlichkeit im Einzelfall festgestellt wird. Im Einzelfall gefährliche Hunde sind gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA insbesondere solche, die sich als bissig erwiesen und eine nicht nur geringfügige Verletzung verursacht haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein. Erhält die zuständige Behörde einen Hinweis darauf, dass ein Hund eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen oder Tiere gebissen hat, so hat sie den Hinweis gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 HundeG LSA von Amts wegen zu prüfen. Ergibt die Prüfung Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigen, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, so stellt die Behörde fest, dass der Hund gefährlich ist, § 4 Abs. 4 Satz 2 HundeG LSA.

4

Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der Hund des Antragstellers ein gefährlicher Hund im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA, denn er hat am 23. Januar 2016 unstreitig den Hund der Zeugin B. (K.) sowie die Zeugin A. (K.) gebissen. Die Feststellung der Bissigkeit erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats lediglich das Zuschnappen der Kiefer eines Hundes an einem menschlichen oder tierischen Körper (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 8. November 2011 - 3 M 397/11 -, juris Rdnr. 6 und vom 29. November 2011 - 3 M 484/11 -, juris Rdnr. 6). An dieser Definition hat auch die Neufassung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA nichts geändert. In dem Vorfall am 23. Januar 2016 haben sich aber nach summarischer Prüfung auch die mit dem Änderungsgesetz eingefügten weiteren Tatbestandsmerkmale des neu gefassten § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA realisiert.

5

Denn der Hund hat durch die Bisse sowohl dem Hund der Zeugin B. (K.) als auch der Zeugin A. (K.) Verletzungen zugefügt, die nicht nur geringfügig waren. Die Rechtsprechung des Senats, die eine irgend geartete Verletzung des Bissopfers gerade nicht forderte, ist mit der Neufassung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA zwar überholt. Gleichwohl sind auch nach der neuen Rechtslage die Anforderungen an das Ausmaß der Verletzung nicht zu überspannen. "Fleischwunden, innere Verletzungen oder Verletzungen des Bewegungsapparates" sind - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht erforderlich. Der unbestimmte Rechtsbegriff der "nicht nur geringfügigen Verletzung" ist dabei ebenso wie die Feststellung, ob der beißende Hund selbst angegriffen worden ist (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 - 5 A 804/14.Z - juris), einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung zugänglich, so dass unerheblich ist, ob die Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid zu Recht davon ausging, dass es sich bei den festgestellten Verletzungen im Einzelnen um geringfügige Verletzungen gehandelt haben könnte.

6

Dabei kann hier dahinstehen, ob es, wenn ein Hund einen Menschen beißt, überhaupt darauf ankommen kann, ob eine daraus entstandene Verletzung geringfügig ist oder nicht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist eine Differenzierung nicht vorgesehen, so dass auch bloß geringfügige Bissverletzungen bei Menschen für die Feststellung der Gefährlichkeit nicht genügen könnten. Die Begründung des Gesetzentwurfs stellt hingegen insoweit nur darauf ab, dass "die Voraussetzungen für eine Gefährlichkeitsfeststellung nach § 4 Abs. 4 dann nicht (mehr) erfüllt [sind], wenn der betroffene Hund ein anderes (Haus-)Tier, insbesondere einen anderen Hund, nur ganz geringfügig verletzt hat" (Drs. 6/4359 Begründung des Gesetzentwurfs S. 19). Daraus könnte abzuleiten sein, dass es bei Bissverletzungen bei Menschen nicht auf deren Schwere ankommen soll.

7

Auch die vom Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt erlassene Verwaltungsvorschrift zum Hundegesetz (VwV-HundeG LSA - MBl. LSA 2016, S. 210, ber. 246 -) gibt nur Maßstäbe für die geringfügige Verletzung anderer Tiere vor. Danach sind die Voraussetzungen für eine Gefährlichkeitsfeststellung nach § 4 Abs. 4 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nicht erfüllt, wenn der betroffene Hund ein anderes (Haus-)Tier, insbesondere einen anderen Hund, nur geringfügig verletzt hat. Geringfügig sind Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung und ohne Dauerfolgen, beispielsweise einzelne herausgerissene Haare oder sehr kleine oberflächliche Kratzer. Dementsprechend wird die Feststellung einer (nicht nur geringfügigen) Verletzung gefordert; es kommt jedoch weder auf deutlich sichtbare Verletzungen des Bissopfers, etwa die Feststellung einer (blutenden) Wunde, noch auf zerstörte Kleidungsstücke an (Ziffer 3.3.1.2 VwV-HundeG LSA). Der Hinweis auf (nicht) zerstörte Kleidungsstücke deutet allerdings darauf hin, dass auch bei Bissen an Menschen eine Qualifizierung stattfinden soll.

8

Die vergleichbaren Regelungen anderer Länder, an denen sich ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs (a. a. O. S. 18) die Neuregelung orientiert, ordnen Bissverletzungen bei Menschen nicht nach deren Schweregrad ein.

9

So bestimmte § 3 Abs. 3 Nr. 2 GefHG SH (GVOBl. 2005, S. 51), dass als gefährlich solche Hunde galten, die einen Menschen gebissen haben, sofern dies nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung geschah, während § 3 Abs. 3 Nr. 4 GefHG SH vorsah, dass Hunde, die ein anderes Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein, oder die einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben, als gefährlich gelten. Auch die Neufassung in § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HundeG SH (GOVBl. 2015, S. 193, ber. S. 369) ändert daran nichts.

10

§ 2 Abs. 2 HundeVO HE (GVBl. I 2003, S. 54) regelt, dass gefährlich auch Hunde sind, die einen Menschen gebissen oder in Gefahr drohender Weise angesprungen haben, sofern dies nicht aus begründetem Anlass geschah (Nr. 1), oder ein anderes Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein, oder die einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben (Nr. 2).

11

§ 4 Abs. 1 Nr. 2 HuHG BE (GVBl. 2004, S. 424) sah vor, dass Hunde, die einen Menschen oder ein Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden zu sein, oder einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben, als gefährlich gelten. Die nunmehr geltende Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 1 HundeG BE (GVBl. 2016, S. 436) sieht vor, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit insbesondere von einem solchen Hund ausgeht, der einen Menschen gebissen oder in sonstiger Weise wiederholt oder schwerwiegend gefährdet, insbesondere in gefahrdrohender Weise angesprungen hat, ohne zuvor angegriffen oder provoziert worden zu sein (Nr. 1) oder der außerhalb der waidgerechten Jagd oder des Hütebetriebes ein anderes Tier gehetzt, gebissen oder getötet hat, ohne zuvor angegriffen worden zu sein (Nr. 2).

12

Auf die Schwere der durch den Biss zugefügten Verletzung kommt es nach diesen Regelungen weder beim Menschen noch bei einem Hund an.

13

Zwar verweisen die in der Gesetzesbegründung weiter aufgeführten Entscheidungen den OVG Niedersachsen (Beschlüsse vom 3. März 2015 - 11 LA 172/14 - und vom 30. Juni 2015 - 11 LA 250/14 -, beide: juris ) darauf, dass die Voraussetzungen der Gefährlichkeitsfeststellung des § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG grundsätzlich bereits dann erfüllt sind, wenn der betroffene Hund ein anderes Tier (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 NHundG) nicht nur ganz geringfügig verletzt hat. Gleiches gelte im Fall der Verletzung eines Menschen. Entscheidungserheblich war dies allerdings nur im Verfahren 11 LA 250/14, in dem ein Hund einen Menschen zweimal in die rechte Hüfte und den rechten Oberschenkel gebissen hatte. An der fehlenden Geringfügigkeit dieses Vorfalls bestanden danach keine Zweifel.

14

Vorliegend kann für den Fall, dass auch Bissverletzungen an Menschen auf ihre Geringfügigkeit hin zu überprüfen wären, dahinstehen, ob - wofür einiges spricht - schon die aus dem zu dem Verfahren 3 M 246/16 vorgelegten Verwaltungsvorgang ersichtlichen Verletzungen der Zeugin A. (K.) als "nicht geringfügig" einzuschätzen sind. Die Zeugin hat ausweislich des "Notfall-/Vertretungsscheins" des vertragsärztlichen Notfalldienstes eine "Hundebissverletzung linker Kleinfinger und Daumen u OS, linke Hand" erlitten, die mit einem Antibiotikum "Doxy 100 (2x1)" behandelt werden musste. Daneben entstanden durch den Biss nach ihren eigenen wie nach den Angaben der Zeugin B. (K.) blaue Flecken. Geht man nach der Gesetzesbegründung (a. a. O. S. 19) davon aus, dass der Gesetzgeber in Anlehnung an die Entscheidungen des OVG Niedersachsen grundsätzlich jede Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit unabhängig von der Schwere als "nicht geringfügig" sehen wollte, wobei nur geringfügige Verletzungen wie etwa einzelne herausgerissene Haare oder sehr kleine oberflächliche Kratzer außer Betracht bleiben sollten (vgl. etwa OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18. Januar 2012 - 11 ME 423/11 -, juris), dürfte jedenfalls die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung mit Antibiotikum dafür sprechen, dass eine nur geringfügige, zu vernachlässigende Verletzung auch bei der Zeugin A. (K.) nicht vorlag.

15

Jedenfalls hat der Hund des Antragstellers dem Hund der Zeugin B. (K.) "nicht nur geringfügige Verletzungen" zugefügt. Der Hund befand sich nach dem Vorfall ausweislich der Stellungnahme der Tierklinik A-Stadt vom 1. Juli 2016 in einem "mäßig reduzierten", mithin beeinträchtigten Allgemeinzustand. Er wies Bissspuren (kleine Einbisse und Kratzspuren) auf, die tierärztlich behandlungsbedürftig waren und antibiotisch sowie schmerzlindernd behandelt wurden. Auch wenn es nach den vorgelegten Quittungen offenbar nicht notwendig war, die Bisswunden zu nähen, ergibt sich doch daraus, dass der gebissene Hund dreimal dem Tierarzt vorgestellt werden musste, dass eine hinreichende Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit vorgelegen hat. Denn die Einfügung dieses Kriteriums soll lediglich Bagatellvorfälle ausscheiden, die jedenfalls dann, wenn eine objektiv nachvollziehbare tierärztliche Behandlung des gebissenen Hundes erfolgt ist, nicht mehr vorliegen.

16

Genügen die hier dokumentierten Verletzungen des gebissenen Hundes, um von einer fehlenden Geringfügigkeit auszugehen, kommt es nicht darauf an, dass die Antragsgegnerin auch aus dem Gesamtbild des Vorfalls auf die Gefährlichkeit eines Hundes des Antragstellers geschlossen hat. Dem Verwaltungsgericht ist insofern jedoch zuzustimmen, dass "das Gesamtbild" eines Vorfalls nicht - etwa in Ermangelung einer irgend gearteten Verletzung - zur Grundlage einer Gefährlichkeitsfeststellung nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 HundeG LSA herangezogen werden kann. Denn die Schwere der Verletzung ist ein isoliert festzustellendes Tatbestandsmerkmal.

17

Hat danach der Hund des Antragstellers bei der Beißerei am 23. Januar 2016 sowohl einen Menschen als auch einen Hund nicht nur geringfügig verletzt, kann der Antragsteller auch nicht mit Erfolg geltend machen, der Hund sei selbst angegriffen worden. Zwar sieht § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA nunmehr vor, dass nur Hunde, die gebissen und eine nicht nur geringfügige Verletzung verursacht haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein, im Einzelfall gefährlich sind. Der Antragsteller vermag indes daraus für sich nichts abzuleiten.

18

Der Gesetzgeber wollte mit den Neuregelungen des § 3 Abs. 3 HundeG LSA die Gefährlichkeitsfeststellungen nach § 4 Abs. 4 Satz 2 HundeG LSA "neu akzentuieren" (Begründung zum Gesetzentwurf a. a. O., S. 17) und als unverhältnismäßig angesehenen Verwaltungsaufwand bei "kleineren Vorfällen" oder "bestimmungsgemäßem Gebrauch" vermeiden. Es sollte der Wertungsspielraum bei der Auslegung der Regelbeispiele des § 3 Abs. 3 HundeG LSA "deutlich erweitert" werden, ohne jedoch den Gesetzeszweck der Gefahrenvorsorge aus dem Blick zu nehmen und deshalb der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich der Feststellung der Gefährlichkeit auch weiterhin einen nur relativ geringen Umfang beizumessen (a. a. O., S. 17). Dem sollte die "Ausnahme von der Pflicht zur Gefährlichkeitsfeststellung" dienen, wenn es sich "bei der Verletzung eines anderen (Haus-)Tieres offensichtlich um ein artgerechtes Abwehrverhalten handelt" (a. a. O., S. 19).

19

Nach dem dem Änderungsgesetz zugrundeliegenden Bericht der Landesregierung zur Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren (Stand 28. Oktober 2014; https://mi.sachsen-ahalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Gefahrenabwehr/Hundegesetz/141028_Evaluationsbericht_Hundegesetz.pdf.) sollte "den Behörden ein Ermessensspielraum bei der Beurteilung von konkreten Vorfällen im jeweiligen Einzelfall eröffnet werden", um so zu ermöglichen, dass ggf. nach Sachverhaltsermittlung und vor abschließender behördlicher Feststellung durch eine "Zweitprüfung" mit hinreichender (ethologischer, kynologischer und veterinärmedizinischer) Fachkenntnis solche Fälle ausgenommen werden können, bei denen der "Ausnahmefall eines eindeutig artgerechten Verteidigungs- oder Abwehrverhaltens vorliegt" (a. a. O., S. 124 f.).

20

In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, die Änderung in § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (mit den Auswirkungen auf § 4 Abs. 4) werde zwar "- anders als nach geltender Rechtslage - dazu führen, dass die Behörde im Rahmen der Sachverhaltsermittlung auch die mögliche Ursache einer Beißerei zu erforschen hat und sich ggf. selbst ein Bild von dem einzuschätzenden Hund machen muss (vgl. auch S. 125 f. und Anlage 4 des EB)". Bei Zweifelsfällen sei zur Begutachtung des Vorfalls die Hinzuziehung praktizierender Tierärzte mit ethologischen bzw. kynologischen Kenntnissen zielführend. "Eine solche Hinzuziehung von Sachverständigen ist den zuständigen Behörden auch ohne spezielle neue gesetzliche Regelung im Rahmen ihrer Sachverhaltsermittlungspflicht möglich und die Kosten sind über § 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 VwKostG LSA als Auslagen gegenüber dem Halter bzw. Kostenschuldner wieder umlegbar und geltend zu machen" (a. a. O., S. 19).

21

Demnach gehen weder die Gesetzesbegründung noch der dort in Bezug genommene Evaluationsbericht davon aus, dass jeder Beißvorfall zwingend sachverständig zu begutachten wäre. Lediglich in Zweifelsfällen, ob ein Ausnahmefall eines eindeutig artgerechten Verteidigungs- oder Abwehrverhaltens vorliegt, ist eine eingehende Untersuchung des Vorfalls, gegebenenfalls unter Hinzuziehung externen Fachverstandes, vorzunehmen. Liegen hingegen greifbare Anhaltspunkte für eine Abwehrhandlung des beißenden Hundes schon nicht vor, kommt eine "Exkulpation" des Hundes nicht in Betracht. Denn als Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht zur Gefährlichkeitsfeststellung ist die Regelung eng auszulegen und setzt voraus, dass greifbare Anhaltspunkte für Zweifel an der Motivationslage des beißenden Hundes bestehen.

22

Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen, die Antragsgegnerin habe eine weitergehende Aufklärungspflicht getroffen, der sie nicht nachgekommen sei. Die Antragsgegnerin hat dem angefochtenen Bescheid eine noch hinreichende Sachverhaltsermittlung zugrunde gelegt und die eingeholten Zeugenaussagen der bei dem Beißvorfall anwesenden Zeuginnen A. und B. (K.) ebenso bewertet wie die Aussage des Antragstellers. Allein dieser konnte keine Angaben aus eigener Beobachtung zu dem Hergang des Vorfalls machen, sondern beschränkte seine Aussagen in dem Schreiben vom 21. Februar 2016 ebenso wie im Widerspruchs- und erstinstanzlichen Verfahren auf Mutmaßungen dazu, wie es zu dem Beißen gekommen sein könnte. Die Aussagen der Zeuginnen seien, so die Begründung des Widerspruchs, "von vornherein als subjektiv gefärbt bzw. parteiisch" anzusehen und daher kritisch zu hinterfragen. Die Antragsgegnerin aber habe es unterlassen, die Zeuginnen A. und B. (K.) sowie weitere Personen zu befragen.

23

Mit diesem Vorbringen dringt der Antragsteller nicht durch. Denn die Antragsgegnerin traf eine solche Pflicht zur Klärung der Frage, ob der Hund des Antragstellers angegriffen worden sei und deshalb zugebissen habe, vorliegend nicht. Der Antragsteller trägt selbst nicht vor, dass sein Hund tatsächlich angegriffen worden sei. Nach seinen Vermutungen könnte der Hund lediglich "auf ein Verhalten, bspw. Anbellen, Aufbäumen an der Leine oder gar einen Angriff" reagiert haben. Tatsächliche Anhaltspunkte liegen dafür jedoch in keinster Weise vor. Es ist auch - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht davon auszugehen, dass die von der Antragsgegnerin schriftlich befragten Zeuginnen die Unwahrheit gesagt oder wesentliche Tatsachen unterschlagen hätten. Eine irgendwie geartete Belastungstendenz ist den Aussagen nicht zu entnehmen. Im Gegenteil relativierten die Zeuginnen sogar die zuvor ärztlich bescheinigte Verletzung des Zeugin A. (K.), indem sie angaben, es seien "eher nur blaue Flecken" zu sehen gewesen.

24

Dem Antragsteller ist auch nicht darin zuzustimmen, dass die Antragsgegnerin eine erhöhte Aufklärungspflicht hinsichtlich des Tathergangs treffe, weil er (aufgrund der Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht) nicht in der Lage sei, Angaben dazu zu machen. Denn jedenfalls dann, wenn sich aus den Zeugenaussagen der den Vorfall unmittelbar beobachtenden Personen ein schlüssiges Gesamtbild ergibt und Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussagen - etwa durch erkennbare Belastungstendenzen oder gesteigertes Vorbringen im Verfahren - sich nicht aufdrängen, ist es der Behörde nicht aufgegeben, jeder bloß denkbaren Entlastungsmöglichkeit für den als gefährlich festzustellenden Hund nachzugehen. Diese Ausnahme soll - siehe oben - auf offensichtliches Abwehrverhalten beschränkt bleiben.

25

Hat die Antragsgegnerin danach ihrer Aufklärungspflicht genügt, indem sie die anwesenden Zeuginnen ebenso wie den betroffenen Hundehalter befragt und (tier-)ärztliche Unterlagen beigezogen hat, und im Ergebnis festgestellt, dass die nicht unerheblichen Verletzungen, die der Hund des Antragstellers dem Hund der Zeugin B. (K.) sowie der Zeugin A. (K.) selbst zugefügt hat, nicht durch ein offensichtliches Abwehrverhalten bedingt waren, hat sie die Gefährlichkeit dieses Hundes zu Recht festgestellt.

26

b.) Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei summarischer Prüfung als gering einzuschätzen, ist die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen kraft Gesetzes vollziehbaren Bescheid aufgrund einer Güterabwägung zwischen den betroffenen Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Suspendierung des Verwaltungsaktes und dem öffentlichen und privaten Interesse an der sofortigen Vollziehung vorzunehmen. Schon der mit dem HundeG LSA verfolgte Schutzzweck, Gefahren für die öffentliche Sicherheit vorzubeugen und abzuwehren, die mit dem Halten und Führen von Hunden verbunden sind, legt nahe, dass dem öffentlichen Interesse, vor gefährlichen Hunden bewahrt zu bleiben, Vorrang vor dem privaten Interesse einzelner an der Haltung solcher Hunde eingeräumt ist. An dieser Einschätzung ändern auch die mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren erfolgten Rechtsänderungen nichts. Denn diese Änderungen - etwa die Einführung weiterer Kriterien für die Bissigkeit eines Hundes oder die Ausnahmeregelungen für Jagd- oder Diensthunde - erfolgten nicht, um den gefahrenabwehrrechtlichen Anspruch des Gesetzes zu senken, sondern um den Beurteilungs- und Wertungsspielraum der zuständigen Behörden zu erweitern (Begründung des Gesetzentwurfs, S. 12). Die niedrige ordnungsrechtliche Eingriffsschwelle sollte damit nicht angehoben werden (a. a. O., S. 18).

27

Sind die Anhaltspunkte für die Gefährlichkeit des Hundes - wie hier - nicht gering, tritt danach das private Interesse des Hundehalters, bis zur rechtskräftigen Klärung der Frage der Gefährlichkeit von den damit verbundenen Folgen verschont zu bleiben, hinter dem Interesse der Öffentlichkeit, vor den von dem Hund möglicherweise ausgehenden Gefahren verschont zu bleiben, zurück (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 20. Juni 2012 - 3 M 531/11 -, juris Rdnr. 8).

28

Erfolgte die Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes des Antragstellers zu Recht, bestehen gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung zu 2. (Leinen- und Maulkorbzwang) unter Ziffer 3. keine Bedenken. Denn die Anordnung wiederholt lediglich die bereits gesetzlich geregelten Pflichten des Hundehalters, der eine Erlaubnis zur Haltung eines im Einzelfall gefährlichen Hundes beantragt, § 5 Abs. 2 HundeG LSA.

29

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

30

3. Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 40, 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung.

31

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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Tenor

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der im Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.11.2016 enthaltenden „Auflagen“ (Ziffer 1.-3.) wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die unter Ziffer III. des genannten Bescheides ausgesprochene Zwangsmittelandrohung angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.

3. Der Verfahrensgegenstand wird auf 2500 € festgesetzt.

Gründe

1

A. Soweit sich der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.11.2016 wiederherzustellen, gegen die enthaltenden „Auflagen“ bezüglich der Haltung seines Hundes (Ziff. 1. – 3.) richtet, ist er zulässig (I.), aber nur in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang begründet (II., III.).

2

I. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Alt. 2 i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung statthaft, da unter Ziff. II des Bescheides die sofortige Vollziehung der unter Ziff. 1. bis 3. ausgesprochenen „Auflagen“ angeordnet wird.

3

II. Der Antrag ist auch (teilweise) begründet, da die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO begründet worden und die Anordnung des Sofortvollzugs damit aufzuheben ist.

4

Nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Der Bescheid enthält jedoch keinerlei Begründung für den Sofortvollzug. Eine solche ist auch nicht nach § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO entbehrlich. Danach bedarf es einer besonderen Begründung nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft. Eine Bezeichnung als Notstandsmaßnahme hat die Antragsgegnerin aber nicht vorgenommen.

5

Von einer besonderen Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs kann auch nicht im Hinblick darauf abgesehen werden, dass es ausnahmsweise ausreichen kann, auf die Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsaktes Bezug zu nehmen, wenn sich bereits aus dieser die besondere Dringlichkeit der Vollziehung und die von der Behörde getroffene Interessenabwägung ergibt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 86 m.w.N.). An einer solchen Bezugnahme auf die Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsakts fehlt es im vorliegenden Fall. Zumindest hierauf kann auch in den Fällen, in denen sich bereits aus der Begründung des Verwaltungsaktes die besondere Dringlichkeit der Vollziehung und die von der Behörde getroffene Interessenabwägung ergibt, nicht als „bloße Förmelei“ verzichtet werden, da das Begründungserfordernis insbesondere dazu dient, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, sorgfältig zu prüfen, ob wirklich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 84, 86 m.w.N.). Im vorliegenden Fall geht im Übrigen aus der Begründung der dem Antragsteller gemachten „Auflagen“ bezüglich seiner Hundehaltung nicht hervor, dass deren Vollziehung besonders dringlich ist und weshalb das Vollzugsinteresse höher zu bewerten ist als das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Anlass für diese Anordnung war nämlich lediglich ein einmaliger Vorfall, bei dem der Hund des Antragstellers einen anderen Hund gebissen hat und aufgrund dessen die Antragsgegnerin sich nicht einmal veranlasst gesehen hat, den Hund als gefährlich im Sinne des Landesgesetzes über gefährliche Hunde zu qualifizieren.

6

Wegen dieses Begründungsmangels ist die Vollziehungsanordnung aufzuheben (VG Trier, Beschluss vom 11.9.2014 – 6 L 1605/14.TR –, juris, Rn. 8; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24.8.1994 – 7 B 12083/94 –, juris, Rn. 5 f.)

7

III. Da der Antragsteller nicht nur die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung, sondern die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs insgesamt beantragt hat, darf das Gericht sich jedoch nicht damit begnügen, die Anordnung des Sofortvollzugs wegen des festgestellten Begründungsmangels aufzuheben, sondern hat darüber hinaus ebenfalls zu prüfen, ob die aufschiebende Wirkung aufgrund der vorzunehmenden Interessenabwägung wiederherzustellen ist (OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rn. 6).

8

Das ist jedoch nicht der Fall, denn bei der in Verfahren der vorliegenden Art gebotenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache (vgl. hierzu Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 152 ff. m.w.N.) überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügungen gegenüber dem Interesse des Antragstellers, diesen Anordnungen vorläufig nicht nachkommen zu müssen. Zwar sind die Erfolgsaussichten seines Widerspruchs derzeit offen (1.), allerdings besteht unabhängig hiervon ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse (2.).

9

1. Aufgrund der derzeit vorliegenden Erkenntnisse besteht durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die von der Antragsgegnerin verfügten „Auflagen“ im Hinblick auf die Hundehaltung des Antragstellers aufgrund von § 7 Abs. 1 S. 1 des Landesgesetzes über gefährliche Hunde (LHundG) (a) bzw. § 9 Abs. 1 S. 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) (b) als rechtmäßig erweisen werden und der Widerspruch aufgrund dessen keinen Erfolg haben wird.

10

a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 LHundG kann die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere Verstöße gegen Bestimmungen dieses Gesetzes, abzuwehren, wobei sowohl aus dem Gesetzestitel als auch dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften hervorgeht, dass die Gefahr von einem gefährlichen Hund im Sinne von § 1 LHundG ausgehen muss.

11

aa) Der Heranziehung des § 7 LHundG als Ermächtigungsgrundlage steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin die Ordnungsverfügungen hierauf nicht gestützt hat. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO von Amts wegen zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht, und kann daher auch feststellen, ob der Verwaltungsakt auf Grundlage einer anderen gesetzlichen Regelung rechtmäßig ist, solange dies nicht mit einer Änderung der Begründung verbunden ist, die eine Wesensänderung des Verwaltungsaktes bewirkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.02.1994 — 8 C 14.92 —, BVerwGE 95, 176). Das ist bei einem Austausch des von der Antragstellerin herangezogenen § 9 Abs. 1 S. 1 POG gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 LHundG nicht der Fall (vgl. OVG RP, Beschluss vom 28. Dezember 2011 — 7 B 11443/11.OVG —). Dass die Antragstellerin ausdrücklich von der Einstufung des Hundes als gefährlich abgesehen hat, ist in diesem Zusammenhang irrelevant, denn es obliegt dem Gericht zu entscheiden, ob dieses Tatbestandsmerkmal vorliegt.

12

bb) Die Verwaltung der Antragsgegnerin ist auch nach § 12 LHundG für den Erlass einer auf § 7 LHundG gestützten Verfügung zuständig.

13

cc) Es lässt sich derzeit weder hinreichend sicher feststellen noch ausschließen, dass es sich bei dem Hund des Antragstellers, einem Schäferhund (so im Bescheid) bzw. einem Podenco-Schäferhund-Mix (so der Antragsteller in seiner Stellungnahme gegenüber der Antragsgegnerin) um einen gefährlichen Hund i.S.v. § 1 LHundG handelt. Er gehört allerdings keiner der nach Abs. 2 dieser Vorschrift als gefährlich eingestuften Rassen oder Typen an und stammt nicht von einem Hund einer solchen Rasse oder eines solchen Typs ab. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, er habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er Wild oder Vieh hetzt oder reißt (Abs. 1 Nr. 2). Ebensowenig gibt es Hinweise darauf, dass er in aggressiver oder Gefahr drohender Weise Menschen angesprungen hat (Abs. 1 Nr. 3). Ob er eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe oder andere in ihrer Wirkung vergleichbare Eigenschaft entwickelt hat (Abs. 1 Nr. 4), ist bislang nicht untersucht worden. Als Grund für die Qualifizierung des Hundes als gefährlich kommt somit derzeit allein die Möglichkeit in Betracht, dass er sich im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 LHundG als bissig erwiesen haben könnte.

14

Aus dem Wortlaut der Regelung folgt, dass es einen konkreten Vorfall gegeben haben muss, der auf die Bissigkeit des Hundes schließen lässt. Ein solches Ereignis kann der Beißvorfall, der sich zwischen dem Hund des Antragstellers und einem anderen Hund am Nachmittag des 19. Juni 2016 ereignet hat, gewesen sein. Dass es einen solchen Vorfall gegeben und der Hund des Antragstellers den anderen beteiligten Hund gebissen hat, wird auch vom Antragsteller nicht bestritten. Dass aufgrund dieses Vorfalls die Bissigkeit des Hundes erwiesen ist, lässt sich derzeit aber weder hinreichend sicher feststellen noch ausschließen.

15

Das Gesetz selbst definiert nicht, was unter Bissigkeit zu verstehen ist. Nach der amtlichen Begründung (LT-Drs. 14/3512) sind gefährliche Hunde im Sinne dieses Gesetzes solche, die sich aufgrund ihres Verhaltens als gefährlich erwiesen haben, zum anderen Hunde, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Typ oder einer bestimmten Rasse als gefährlich gelten (a.a.O., S. 9). Weiter heißt es dort (a.a.O., S. 9 f.), in den ersten drei Fallvarianten des § 1 Abs. 1 LHundG beruhe die Einstufung auf tatsächlichem gefahrverursachendem Fehlverhalten, das zur Verletzung eines Menschen oder Tieres geführt haben könnte. Bereits daraus folgt, dass ein Hund nicht ohne weiteres bereits dann bissig ist, wenn er, unter welchen Umständen auch immer, ein Tier oder auch einen Menschen gebissen hat. Ein „Fehlverhalten“, das die Qualifizierung eines Hundes als bissig rechtfertigt, liegt vielmehr dann nicht vor, wenn ein Hund ein artgerechtes Verhalten zeigt, das den Bereich der von der Rechtsgemeinschaft hingenommenen Risiken, die mit der Haltung von Hunden zwangsläufig verbunden sind (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 04. Juli 2001 – VGH B 12/00, VGH B 18/00, VGH B 8/01 –, AS 29, 23, juris), nicht überschreitet.

16

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Qualifizierung eines Hundes als gefährlich nach den §§ 2 ff. LHundG schwerwiegende rechtliche Folgen auslöst und das Gesetz hiervon Ausnahmen oder behördliche Entscheidungsspielräume nur in sehr begrenztem Umfang zulässt bzw. eröffnet (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Oktober 2008 – 4 Bs 149/08 –, juris). Daher muss einem – insbesondere einmaligen – Fehlverhalten zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ein entsprechendes Gewicht zukommen, um die Folgen einer solchen Qualifizierung zu rechtfertigen. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz trägt auch § 7 Abs. 1 S. 1 LHundG Rechnung, wonach der zuständigen Behörde die Möglichkeit eingeräumt wird, die Vorführung und sachverständige Begutachtung eines Hundes anzuordnen, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Gefährlichkeit eines Hundes vorliegen. Daraus folgt, dass ein Hund aufgrund eines Fehlverhaltens ohne Begutachtung nur dann als gefährlich anzusehen ist, wenn es derart gewichtig ist, dass kein vernünftiger Zweifel an der Gefährlichkeit des Tiers besteht (so auch OVG Hamburg, a.a.O.).

17

Aufgrund dieser Erwägungen und auch nach dem Wortsinn liegt Bissigkeit als besondere Ausprägung der Gefährlichkeit dann vor, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die eine Neigung des Hundes zum Beißen belegen. Erforderlich ist somit, dass also eine dem Wesen des Hundes nicht regelmäßig entsprechende Schärfe, ein übersteigertes Aggressionsverhalten zu Tage tritt (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 01. März 2000 – 9 W 2/99 –, AS 28, 243; OVG Hamburg, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06. März 1997 - 5 B 3201/96 -, NVwZ 1997, 806, juris; VG Saarland, Beschluss vom 4. August 2016 – 6 L 725/16 –, juris). Selbst wenn ein Hund einen Menschen oder ein Tier durch einen Biss verletzt hat, hat er sich dadurch nicht als bissig erwiesen, wenn es sich ausschließlich um eine Reaktion auf einen Angriff auf sich bzw. seine Aufsichtsperson oder ein bewusst herausgefordertes Verhalten gehandelt hat (vgl. OVG Saarland, a.a.O.; VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 11. April 2013 – 5 L 214/13.NW –; so auch das Gemeinsame Rundschreiben des Ministeriums des Innern und für Sport und des Ministeriums für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz vom 5. Juli 2006, Ministerialblatt 2006, S. 128).

18

Nach den dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Feststellungen soll sich der Hund des Antragstellers am 19. Juni 2016 um 16:30 Uhr frei und ohne Aufsicht von der seitlichen Terrasse seines Wohnanwesens auf die angrenzende M...straße entfernt und den Hund der dort passierenden Frau S..., einen Zwergdackel, sofort und unvermindert angegriffen und dabei nicht unerheblich verletzt haben. Der Hund der Geschädigten habe Bissverletzungen und schwere innere Hämatome davongetragen und habe anschließend in der Tierklinik behandelt werden müssen. Auch die Hundeführerin, Frau S..., sei durch den Angriff zu Fall gekommen, dabei aber nicht verletzt worden.

19

Nach dem in der Verfahrensakte vorhandenen Schriftverkehr mit der Versicherung des Antragstellers handelt es sich bei dem verletzten Zwergdackel um den Hund der Frau S..., der von ihrer Tochter ... ausgeführt wurde. Diese hatte den Vorfall am 22. Juni 2016 bei der Polizeiinspektion ... gemeldet und um ein Vermittlungsgespräch gebeten. Ausweislich des hierüber verfassten Vermerks soll sie angegeben haben, sie habe den Zwergdackel in der M...straße in K... angeleint auf dem Gehweg geführt. Als sie in Höhe des Anwesens M...straße … – des Wohnanwesens des Antragstellers – gewesen sei, sei ein freilaufender Schäferhund von diesem Grundstück gelaufen und habe den Zwergdackel attackiert und durch Bisse verletzt. Der telefonisch kontaktierte Hundehalter habe seine Aufsichtspflichtverletzung eingesehen und erklärt, er werde den Vorfall seiner Versicherung melden und die Rechnungen bezahlen. Als Zeugin wurde Frau J... benannt. Die in der Verfahrensakte befindlichen, an Frau S... adressierten Rechnungen einer tierärztlichen Klinik für die Behandlung des Zwergdackels H... weisen die Diagnose „Bissverletzung“ und „MED“ aus.

20

In einem an die Versicherung des Antragstellers gerichteten Schreiben vom 22. Juli 2016 gab Frau S... an, sie habe sich mit dem angeleinten Zwergdackel in Höhe des Hauses der Familie des Antragstellers mitten auf der Straße befunden. Plötzlich sei der Hund der Familie des Antragstellers durch die Thujahecken von deren Terrasse wie ein Blitz herausgeschossen und sofort auf ihren Hund losgegangen. Bei dem Versuch, beide auseinander zu bringen, sei sie gestürzt. In dem Moment sei der Antragsteller angerannt gekommen und habe nur mit sehr großer Mühe seinen Hund von dem ihrigen trennen können. Ihr Hund habe sich wohl bei dem Bemühen, sich aus den Fingern zu befreien, aus seinem Halsband herausgewunden und sei davongerannt.

21

Die als Zeugin benannte Frau J... erklärte in einem Schreiben vom zweiten 20. Juli 2016 gegenüber der Versicherung des Antragstellers, Frau S... sei ihr aus Richtung K...straße in die M...straße entgegengekommen. An der Leine habe sie ein kleines Hündchen gehabt und sei mitten auf der Straße gegangen, als von dem Grundstück M...straße … ein riesengroßer Schäferhund herausgesprungen sei und sich auf dieses kleine Hündchen gestürzt habe. Sie habe aus Angst um den kleinen Hund geschrien, da sie gedacht habe, der beiße ihn tot. Nach einer Weile sei der Hundebesitzer gekommen und habe mit Gewalt den kleinen Hund aus den Fängen des großen Hundes befreien können.

22

Im Rahmen des gegen ihn eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahrens nahm der Antragsteller dahingehend Stellung, der Vorfall habe sich auf ihrem Grundstück, nämlich auf der Wiese im Vorgarten, und nicht im Bereich der öffentlichen Straße ereignet. Frau S... habe den Dackel auf der Wiese sein kleines Geschäft machen lassen. Ihr Hund, ein mittelgroßer (ca. 60 cm) Podenko-Schäferhund-Mix, sei friedlich auf der Wiese gelegen, er selbst sei ca. 2 m dahinter gestanden. Ihr Hund sei aufgestanden und zu dem Dackel gelaufen. Dieser habe ihren Hund sofort gebissen, daraufhin habe sich ihr Hund gewehrt. Da er unmittelbar dahinter gestanden habe, habe er ihren Hund sofort am Nacken festgehalten. Er habe die beiden Tiere nicht getrennt. Der Dackel habe ihn sogar in den Daumen gebissen, denn Frau S... habe ihm Leine gegeben, bis sie ihn dann hochgehoben und abgeleint habe. Der Dackel habe ihrem Hund – dem Hund der Familie des Antragstellers – drei Bisswunden im Gesicht zugefügt. Die genannte Zeugin sei 83 Jahre alt, wohne in der Nachbarschaft von Frau S... und habe den Vorfall unmöglich beobachtet haben können. Der Antragsteller hat Lichtbilder vorgelegt, auf denen die Verletzungen seines Hundes zu erkennen sein sollen.

23

Wie sich der Vorfall vom 19. Juli 2016 tatsächlich zugetragen hat, lässt sich derzeit nicht zuverlässig feststellen. Es erscheint durchaus möglich, dass der Hund des Antragstellers den Hund von Frau S... attackiert und durch Bisse erheblich verletzt hat, ohne von diesem angegriffen oder provoziert worden zu sein. Je nach den konkreten Umständen könnte dieser einmalige Vorfall ausreichen, um den Hund des Antragstellers als gefährlich im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 LHundG zu qualifizieren. Hierfür spricht neben den Angaben der Tochter der Hundehalterin und der genannten Zeugin insbesondere, dass der Antragsteller nach dem Vermerk der Polizeiinspektion ... eingeräumt haben soll, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben.

24

Andererseits sprechen gegen diese Version des angeblichen Tatgeschehens zum einen die Angaben des Antragstellers, zum anderen aber auch der Umstand, dass die Tochter der Hundehalterin nach dem Vermerk der Polizeiinspektion ... erklärt haben soll, sie habe den Zwergdackel auf dem Gehweg vor dem Anwesen des Antragstellers geführt, während sie gegenüber dessen Versicherung erklärt hat, sie habe sich mitten auf der Straße befunden. Gewisse Bedenken gibt es auch gegen die Zuverlässigkeit der von der Zeugin wiedergegebenen Wahrnehmung des Geschehens. Während sie nämlich von einem „riesengroßen Schäferhund“ gesprochen hat, handelt es sich bei dem Hund des Antragstellers nach dessen Angaben um einen mittelgroßen Podenko-Schäferhund-Mix. Daher erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass der Beißvorfall durch den Zwergdackel provoziert wurde bzw. er den Hund des Antragstellers zuerst gebissen hat.

25

dd) Sollte sich der Beißvorfall so oder wenigstens im Wesentlichen so zugetragen haben wie von der Antragsgegnerin angenommen, bestünde auch eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit, da damit gerechnet werden müsste, dass es erneut zu vergleichbaren Beißattacken kommt.

26

ee) Die angeordneten Maßnahmen sind auch geeignet und erforderlich, um eine solche Gefahr zu beseitigen. Die mit ihnen verbundenen Belastungen stehen auch nicht außer Verhältnis zu dem mit ihnen verfolgten Zweck und begegnen auch im Übrigen keinen durchgreifenden Bedenken.

27

(1) Die in dem Bescheid unter Ziff. 1 getroffene Anordnung lautet: „Der Hund ist im Haus und auf dem Grundstück in sicherer Verwahrung zu halten. Dies bedeutet, dass er diesen Bereich nicht ohne menschliches Zutun verlassen kann. Die sichere Verwahrung ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung dritter Personen auszuschließen ist. Sofern der Hund weiterhin auf der seitlichen Terrasse frei gehalten werden soll, ist hier eine Zaunanlage so anzubringen, dass der Hund nicht mehr ungehindert die Terrasse verlassen kann.“

28

Die Anordnung stimmt inhaltlich im Wesentlichen mit § 4 Abs. 1 LHundG überein, wonach gefährliche Hunde so zu halten sind, dass Menschen, Tiere und Sachen nicht gefährdet werden und sie insbesondere in sicherem Gewahrsam zu halten sind (vgl. Stollenwerk, Praxis der Kommunalverwaltung Rheinland-Pfalz, § 4 LHundG Anm. 1). Dass diese Verpflichtungen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, macht eine inhaltsgleiche Anordnung für einen konkreten Einzelfall nicht rechtswidrig, da die gesetzlichen Verpflichtungen hierdurch gegenüber dem Adressaten nochmals festgeschrieben und gegebenenfalls auch im Wege der Vollstreckung durchgesetzt werden können.

29

Die Konkretisierung der Anforderungen an die sichere Verwahrung im Hinblick auf die Terrasse begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Die Anordnung bleibt zwar hinter den gesetzlichen Anforderungen zurück, wenn gefordert wird, die sichere Haltung so zu gestalten, dass eine Gefährdung dritter Personen auszuschließen ist, während nach § 4 Abs. 1 Satz 1 LHundG auch eine Gefährdung von Tieren und Sachen verhindert werden soll. Das stellt die Geeignetheit der Anordnung aber nicht infrage, da bei einer solchen Verwahrung auch einer Gefährdung von Tieren und Sachen entgegengewirkt wird. Im Übrigen werden Rechte des Antragstellers nicht dadurch verletzt, dass ihm gegenüber Anordnungen getroffen werden, die hinter den gesetzlichen Verpflichtungen zurückbleiben.

30

(2) Unter Ziff. 2 wird in dem angefochtenen Bescheid angeordnet: „Innerhalb bewohnter und bebauter Bereiche ist der Hund anzuleiten, wobei die Leinenlänge so zu wählen ist, dass eine Gefährdung Dritter auszuschließen ist.“

31

§ 5 Abs. 4 LHundG regelt bereits eine für gefährliche Hunde geltende Anleinpflicht, die weiter reicht als die „Auflage“ der Antragsgegnerin. Danach sind gefährliche Hunde außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren sowie in sonstigen, von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzten Räumen anzuleinen. Die Ausführungen zu der unter Ziff. 1 getroffenen Anordnung gelten hier entsprechend. Die Anordnung ist auch hinreichend bestimmt i.S.v. § 37 Abs. 1 VwVfG, da der räumliche Geltungsbereich hinreichend klar erkennbar ist (vgl. für einen Anleinzwang „innerhalb bebauter Ortslagen“ OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.9.2006 - 7 C 10539/06.OVG -, AS 33, 440, LKRZ 2007, 101, juris).

32

(3) Unter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheides hat die Antragsgegnerin angeordnet: „Der Hund darf nur von Personen ausgeführt werden, welche aufgrund ihrer körperlichen Eignung dazu in der Lage sind, das Tier jederzeit unter Kontrolle zu bringen bzw. diesen auch festhalten können.“

33

Auch diese Anordnung deckt sich teilweise mit den entsprechenden gesetzlichen Regelungen in § 5 Abs. 2 und 3 LHundG, bleibt aber ebenfalls teilweise hinter diesen zurück. Nach § 5 Abs. 2 LHundG darf außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren sowie in sonstigen, von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzten Räumen einen gefährlichen Hund nur führen, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, körperlich in der Lage ist, den Hund sicher zu führen, und die zur Führung eines gefährlichen Hundes erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, wobei § 3 Abs. 3 LHundG entsprechend gilt. Nach Abs. 2 ist es unzulässig, einen gefährlichen Hund außerhalb des befriedeten Besitztums sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen, in Treppenhäusern und Fluren sowie in sonstigen, von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzten Räumen von einer Person führen zu lassen, die nicht die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt.

34

Auch insoweit gelten die Ausführungen zu der unter Ziff. 1 getroffenen Anordnung entsprechend. Mit „Ausführen“ meint die vorliegende Anordnung ersichtlich das Führen des Hundes außerhalb des befriedeten Besitztums.

35

ee) Die Ordnungsverfügungen sind entgegen der Auffassung des Antragsstellers auch insgesamt nicht deshalb zu unbestimmt, weil nicht sicher feststehe, um welchen Hund es sich handele. Es mag zwar zutreffen, dass es der Hund des Antragstellers in dem Bescheid fehlerhaft als Schäferhund bezeichnet wird. Da aber nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller mehrere Hunde hält und er selbst Lichtbilder des an dem Vorfall beteiligten Hundes vorgelegt hat, ist eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen.

36

b) Dass die von der Antragsgegnerin ausgesprochenen Anordnungen auch auf § 9 Abs. 1 S. 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) gestützt werden können, ist nach dem vorliegenden Erkenntnisstand eher unwahrscheinlich. Nach dieser Vorschrift können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit nicht die – im vorliegenden Fall nicht einschlägigen – §§ 9a bis 42 ihre Befugnisse besonders regeln. Die Verwaltung der Antragsgegnerin ist auch als untere Ordnungsbehörde für solche Maßnahmen ebenfalls zuständig (§ 88 Abs. 1 Nr. 1, 89 Abs. 1, 90 Abs. 1, 91 Abs. 1 Nr. 1 POG, § 1 der Landesverordnung über die Zuständigkeit der allgemeinen Ordnungsbehörden).

37

aa) Da das Landesgesetz über gefährliche Hunde spezialgesetzliche Regelungen zur Abwehr von Gefahren trifft, die von solchen Hunden ausgehen, wird die allgemeine polizeiliche Generalklausel des § 9 Abs. 1 S. 1 POG grundsätzlich von § 7 LHundG verdrängt, sofern es sich bei dem Hund des Antragstellers um einen gefährlichen Hund im Sinne von § 1 LHundG handelt (vgl. Stollenwerk, a.a.O., § 7 LHundG Anm. 1). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es wie im vorliegenden Fall um die Abwehr von Gefahren geht, die gerade auf einem Merkmal – hier: Bissigkeit – beruhen, das für die Qualifizierung des Hundes als gefährlich maßgeblich ist.

38

bb) Sofern sich die Gefährlichkeit des Hundes des Antragstellers jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen lassen sollte, wäre der Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel nicht grundsätzlich ausgeschlossen (offengelassen in OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Juni 2013 – 7 B 1051/13 –, LKRZ 2013, 395, juris). Das Gesetz über gefährliche Hunde verfolgt nämlich den Zweck, solche Hunde wegen ihrer überdurchschnittlichen Gefährlichkeit besonders strengen Regelungen zu unterwerfen, nicht jedoch, alle sonstigen Hunde von im Einzelfall erforderlichen Polizei- bzw. ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen freizustellen. So können etwa von Hunden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, auf deren Abwehr das Landesgesetz über gefährliche Hunde nicht ausgerichtet ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Hund unkontrolliert in den öffentlichen Straßenraum entweicht und den Verkehr gefährdet, auf fremden Grundstücken Schäden anrichtet oder Menschen in nicht aggressiver oder Gefahr drohender Weise anspringt und hierdurch Sach- oder Personenschäden verursacht. Es ist auch kein Grund dafür ersichtlich, es der zuständigen Behörde zu verwehren, die im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Hinblick auf einen nicht im Sinne von § 1 LHundG gefährlichen Hund anzuordnen, wenn dieselben Maßnahmen für gefährliche Hunde bereits von Gesetzes wegen zu ergreifen sind (anders VG Stuttgart, Beschluss vom 4. August 2003 – 5 K 1950/03 –, juris, Rn. 5; zurückhaltend Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 4. August 2016 – 6 L 725/16 –, juris, Rn. 9).

39

cc) Im vorliegenden Fall erscheint es jedoch wenig wahrscheinlich, dass sich nach vollständiger Ermittlung der Tatsachen eine Konstellation ergibt, wonach sich aufgrund des Vorfalls vom 19. Juli 2016 zwar nicht die Bissigkeit des Hundes des Antragstellers zuverlässig feststellen lässt, aber dennoch eine Gefahr besteht, aufgrund derer die angeordneten Maßnahmen nach § 9 Abs. 1 S. 1 POG gerechtfertigt wären. Sollte die Aufklärung des Sachverhalts erweisen, dass der Hund des Antragstellers sich ausschließlich gegen einen Angriff des verletzten Zwergdackels zur Wehr gesetzt hat, bestünde eine solche Gefahr jedenfalls nicht.

40

c) Da mit den angeordneten Maßnahmen keine schwerwiegenden und kaum mehr rückgängig zu machenden Grundrechtseingriffe verbunden sind, muss es für die vorliegende Entscheidung im Eilverfahren mit der summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage sein Bewenden haben, insbesondere ist die weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht geboten (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 80, Rn. 158 m.w.N.).2. Trotz der offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache besteht auch ein besonderes Vollzugsinteresse, das gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Denn hier ist zum einen zu berücksichtigen, dass hochrangige Rechtsgüter bedroht sind. Auch wenn der Hund des Antragstellers bislang keine Menschen angegriffen hat, so können diese nämlich auch dadurch verletzt werden, dass sie versuchen, die Hunde zu trennen oder aber – wie hier die Hundeführerin des Dackels – im Rahmen einer Beißattacke zu Fall kommen oder sich auf andere Weise verletzten. Ist es auch schwer möglich, die von einem gefährlichen Hund i.S.d. § 1 LHundG ausgehenden Gefahren von vornherein auf bestimmte Schutzgüter einzugrenzen. Vielmehr läge, sofern sich die Bissigkeit des Hundes des Antragstellers erweisen sollte, die Annahme nahe, dass sich die darin zutage getretene überdurchschnittliche Aggressivität auch gegen Menschen richten kann. Zum anderen ist auch zu sehen, dass die dem Antragsteller aufgegebenen Maßnahmen keine schwerwiegenden und kaum mehr rückgängig zu machenden Folgen haben. Er darf seinen Hund behalten; es sind ihm lediglich Vorgaben zur Art und Weise der Haltung gemacht worden. Ihm kann daher zugemutet werden, den Ausgang der Hauptsache abzuwarten und die Anordnung der Antragsgegnerin bis dahin zu befolgen.

41

B. Hinsichtlich der unter Ziffer III. des Bescheides ausgesprochenen „Zwangsmittelandrohung“ ist der Antrag, der sich gegen den Bescheid vom 10. November 2016 insgesamt richtet, zulässig (I.) und begründet (II.).

42

I. Insoweit ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Alt. 1 VwGO statthaft, da Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) keine aufschiebende Wirkung haben.

43

Zwar handelt es sich bei der Androhung, dem Antragsteller im Falle der Nichtbefolgung der getroffenen Anordnungen gemäß § 7 der Gefahrenabwehrverordnung gefährliche Hunde – gemeint ist wohl § 7 LHundG – und § 9 POG die Hundehaltung zu untersagen, nicht um eine Vollstreckungsmaßnahme i.S.v. §§ 57 ff. POG bzw. §§ 61 ff. des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes (LVwVG). Entsteht aber – wie hier – der Rechtsschein einer wirksamen Zwangsmittelandrohung, gegen die Widerspruch und Anfechtungsklage gem. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 AGVwGO keine aufschiebende Wirkung haben, so muss zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes [GG]) auch hiergegen derselbe Rechtsbehelf statthaft sein wie gegen eine wirkliche Zwangsmittelandrohung (vgl. etwa OVG Schleswig, Urteil vom 7. Juli 1999 – 2 L 264/98 –, juris, Rn. 17 ff.).

44

II. Der gegen die vermeintliche Zwangsmittelandrohung gerichtete Antrag ist auch begründet, da diese offensichtlich rechtswidrig ist. In der Sache handelt es sich nämlich lediglich um die Ankündigung einer weiteren ordnungsbehördlichen Maßnahme. Die Antragsgegnerin ist nicht befugt, eine solche Ankündigung mit dem Rechtsschein einer verbindlichen Regelung zu versehen.

45

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

46

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der am 08.10.2014 erhobenen Klage– 20 K 5529/14 - gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 09.09.2014 wird hinsichtlich des in Ziffer 3 angeordneten Besuchs einer Hundeschule wiederhergestellt.

    Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

    Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 2/3 und die Antragsgegnerin zu 1/3.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.


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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.