Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 15. März 2017 - 6 K 3225/14

bei uns veröffentlicht am15.03.2017

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich im Wesentlichen gegen die Rücknahme einer durch Genehmigungsfiktion erteilten Baugenehmigung und die Ablehnung ihres Bauantrags für die Nutzung eines Wirtschaftsgebäudes zu Wohnzwecken.

2

Die Kläger sind Eigentümer des Vorhabengrundstücks A. Straße (Flurstück ..., Gemarkung M...). Dieses Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Wandsbek, verkündet durch Gesetz vom 10. September ..., der für den vorderen Teil des Grundstücks der Kläger und der umliegenden Grundstücke ein Baufeld durch vordere und rückwärtige Baulinien parallel zur A. Straße festsetzt. Zwischen diesen Baulinien ist in der Planzeichnung die Festsetzung „W 3 g“ eingezeichnet. Die rückwärtigen Grundstücksbereiche weist der Bebauungsplan als „private Grünflächen“ aus.

3

Der vordere Teil des Grundstücks der Kläger ist mit einem zweigeschossigen Wohngebäude bebaut. Im rückwärtigen Bereich befand sich schon bei Planaufstellung ein Gebäude an der westlichen Grundstücksgrenze (nachfolgend: Hintergebäude). Dieses Hintergebäude wurde ursprünglich als Wirtschaftsgebäude einer Fleischerei genutzt. In der Vergangenheit wurde außerdem ein Verbindungsbau zwischen dem vorderen Gebäude und dem Hintergebäude errichtet, der ebenfalls an die Grundstücksgrenze heranreicht. Es ist nicht näher bekannt, wann der Verbindungsbau errichtet wurde. Im Bebauungsplan Wandsbek ist der Verbindungsbau nicht dargestellt. Baugenehmigungen für das Hintergebäude oder den Verbindungsbau sind den Bauakten nicht zu entnehmen.

4

Im Jahr 2010 zeigte ein Nachbar Bauarbeiten an dem Hintergebäude an. Eine Genehmigung für die Bauarbeiten war nicht erteilt worden. Die Beklagte ordnete mit Bescheid vom 5. Oktober 2010 die Einstellung der Bauarbeiten an. Die Kläger stellten daraufhin einen Bauantrag für die „Sanierung und Teilerweiterung der Bestandsgebäude zu Wohnzwecken“. Mit Bescheid vom 12. Januar 2011 wurde dieser Antrag abgelehnt. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erklärten die Kläger, den ursprünglichen Zustand des Bestandsgebäudes wieder herzustellen. Der gegen die Ablehnung zunächst erhobene Widerspruch wurde zurückgenommen und das Widerspruchsverfahren eingestellt.

5

Im Jahr 2012 wies ein Nachbar die Bauprüfabteilung der Beklagten erneut darauf hin, dass Bauarbeiten an dem Hintergebäude vorgenommen würden. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 hörte die Beklagte die Kläger zu einer beabsichtigten Anordnung des Rückbaus des Gebäudes „auf das ursprünglich genehmigte und in der Widerspruchsverhandlung festgelegte Maß“ an. Die Kläger kündigten daraufhin die Stellung eines Bauantrags zur Nutzungsänderung des Gebäudes im hinteren Grundstücksbereich an. Mit Schreiben vom 24. April 2013 überreichten sie von ihrem Architekten angefertigte Bauzeichnungen zum Bestand des hinteren Grundstücksbereichs und baten die Beklagte um eine Abstimmung der Pläne.

6

Mit Schreiben vom 15. Mai 2013 teilte die Beklagte mit, die angefertigten Pläne entsprächen nicht dem aktuellen amtlichen Flurkartenplan und der Verpflichtung der Kläger im zurückliegenden Widerspruchsverfahren, die hinteren Gebäude zum ursprünglichen Bestand zurückzubauen. Sie forderte die Kläger auf, die Rückbaumaßnahmen vorzunehmen und kündigte erneut an, anderenfalls eine entsprechende Anordnung zu erlassen.

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Mit Schreiben vom 14. Juni 2013 führten die Kläger aus, es fehle für den geforderten Rückbau an einem rechtlichen Grund. Die übernommene Rückbauverpflichtung aus dem vormaligen Widerspruchsverfahren sei umgesetzt worden, denn die Decke im ersten Obergeschoss sei zurückgebaut worden. Die darüber hinaus durchgeführten Maßnahmen seien vom Bestandsschutz des Gebäudes gedeckt. Es sei nunmehr anvisiert, das Gebäude für Wohnzwecke zu nutzen. Kurzfristig werde daher ein entsprechender Bauantrag eingereicht.

8

Mit Bescheid vom 25. Juni 2013 erließ die Beklagte eine Anordnung zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände. Sie ordnete den Rückbau des gesamten zweigeschossigen Hintergebäudes und des Verbindungsbaus und die gärtnerische Gestaltung der nicht überbaubaren Fläche an. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Das gesamte Dach mit der tragenden Konstruktion, die Decke über dem Erdgeschoss mit der tragenden Konstruktion, die gesamte östliche Außenwand des Erdgeschosses und die gesamte östliche Außenwand des Obergeschosses seien entfernt worden. Die abgebrochenen konstruktiven Teile seien in erweiterter Form und Größe, über das ursprüngliche Maß hinausgehend, wieder neu errichtet worden. Die Änderungen an dem Gebäude seien so umfassend, dass bei einem Rückbau der neuen konstruktiven Gebäudeteile, die verbleibenden alten Gebäudereste allein nicht mehr standsicher wären. Der Bestandsschutz sei daher erloschen. Eine Genehmigung für den Neubau könne aus planungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Gründen nicht erteilt werden.

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Am 25. Juli 2013 erhoben die Kläger hiergegen Widerspruch, über den bislang nicht entschieden worden ist.

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Mit Bauantrag vom 18. Juli 2013 beantragten die Kläger die „Nutzungsänderung des Wirtschaftsgebäudes der ehemaligen Fleischerei in Wohnen“ und stellten dabei Abweichungsanträge für die Festsetzung der privaten Grünfläche und der Bebauung außerhalb der Baugrenzen. Dieser Antrag wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 7. August 2013 zunächst mit Hinweis auf die Ablehnung des Bauantrags aus 2010 für die „Sanierung und Teilerweiterung der Bestandsgebäude zu Wohnzwecken“ ungeprüft an die Kläger zurückgesandt.

11

Mit Schreiben vom 14. August 2013 reichten die Kläger den von der Beklagten zurückgesandten Bauantrag erneut ein und wiesen darauf hin, dass, entgegen der Auffassung der Beklagten, noch nicht abschließend über die Nutzung des hinteren Grundstücksbereichs entschieden worden sei. Der Bauantrag für eine Wohnnutzung aus dem Jahr 2010 sei nicht mit dem neuen Antrag identisch. Eine Teilerweiterung des Bestandsgebäudes werde heute nicht mehr verfolgt. Daraufhin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 20. September 2013 weitere Ausfertigungen der Bauvorlagen nach.

12

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2013 lehnte die Beklagte den Bauantrag der Kläger ab. Das Vorhaben widerspreche öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Planungsrechtliche Befreiungen für das Abweichen von der zulässigen Art der baulichen Nutzung, die Bebauung mit einem zweigeschossigen Wohngebäude auf einer als „privaten Grünfläche“ ausgewiesenen Fläche und die Bebauung außerhalb der Baugrenzen des Bebauungsplanes Wandsbek seien nicht vertretbar, da die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht vorlägen. Insbesondere sei die Befreiung auf Grund des geltenden Bebauungsplanes städtebaulich nicht vertretbar. Der Bebauungsplan schütze in Kenntnis der vorhandenen rückwärtigen Bebauung die Ausweisung „private Grünfläche“ und sehe nur im vorderen Bereich eine Bebauung vor. Die Befreiungen könnten auch wegen der präjudizierenden Wirkung nicht zugelassen werden. Die erforderlichen bauordnungsrechtlichen Abweichungen würden ebenfalls nicht erteilt.

13

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2013 forderten die Kläger die Beklagte auf, die Genehmigungsfiktion des Bauantrags zu bestätigen, da die Bearbeitungsfrist von zwei Monaten abgelaufen sei.

14

Mit Bescheid vom 17. März 2014 bestätigte die Beklagte daraufhin die Genehmigungsfiktion, nahm die Genehmigungsfiktion gleichzeitig wieder zurück und lehnte den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung ab.

15

Mit Schreiben vom 15. April 2014 erhoben die Kläger hiergegen Widerspruch. Die Genehmigungsfiktion sei eingetreten, die Kläger seien mittlerweile rechtmäßig in das Hintergebäude eingezogen.

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2014 wies die Beklagte den Widerspruch vom 15. April 2014 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus:

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Das rückwärtige Gebäude genieße keinen Bestandsschutz, denn es seien so umfangreiche Bauarbeiten an diesem durchgeführt worden, dass die Identität des Gebäudes nicht mehr gewahrt sei. Es sei im Rahmen von Umbau- bzw. Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten erheblich in die vorhandene Substanz eingegriffen worden. Überschlägig sei wenigstens die Hälfte der vorhandenen Bausubstanz beseitigt worden.

18

Die Genehmigungsfiktion sei eingetreten, da der Bauantrag nicht innerhalb der zweimonatigen Frist nach § 61 Abs. 3 HBauO beschieden worden sei und nicht rechtzeitig eine Nachforderung von Bauvorlagen erfolgt sei. Die Rücknahme der Genehmigungsfiktion nach § 48 HmbVwVfG sei jedoch rechtmäßig. Die Bestätigung der Genehmigungsfiktion sei ein rechtswidriger Verwaltungsakt, denn es sei gegen die Abstandsflächenvorschriften verstoßen worden. Da der Bestandsschutz erloschen sei, seien die Abstandsflächenvorschriften einzuhalten. Das rückwärtige Gebäude befinde sich außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche auf einer ausgewiesenen privaten Grünfläche. Die überbaubare Grundstücksfläche werde im Bebauungsplan Wandsbek parallel zur A. Straße durch vordere und hintere Baugrenzen festgesetzt. Innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche finde sich die Festsetzung „W3g“. Die Festsetzung der geschlossenen Bauweise beschränke sich nach den planerischen Festsetzungen auf den Bereich zwischen vorderer und rückwärtiger Baugrenze. Der rückwärtige Baukörper befinde sich jedoch an der Grundstücksgrenze, damit würden die nach § 6 Abs. 5 HBauO einzuhaltenden Abstandsflächen nicht auf eigenem Grund nachgewiesen.

19

Eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften liege auch insoweit vor, als das Dach an der Grundstücksgrenze gegenüber dem früheren Bestand um ca. 40 cm erhöht worden sei. Diese Erhöhung des Daches werde nach Osten hin sogar noch größer, an der östlichen (neuen) Außenwand sei das Dach ca. 90 cm höher als der frühere Bestand.

20

Soweit der Verbindungsbau zwischen der vorderen und hinteren Bebauung die hintere Baugrenze überschreite, liege auch hinsichtlich dieses Verbindungsbaus ein Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften nach § 6 HBauO vor.

21

Darüber hinaus sei die Bestätigung der Genehmigungsfiktion auch deshalb rechtswidrig, weil die Bauvorlagen offensichtlich falsch seien. So seien in der Bauvorlage 22/5 die innen liegenden Wände im Obergeschoss als zu erhaltender Bestand eingezeichnet. Diese Wände seien jedoch im Rahmen der Bauarbeiten restlos beseitigt worden.

22

Das Ermessen hinsichtlich der Rücknahme sei rechtmäßig und zweckmäßig ausgeübt worden. Da hier eine Abstandsflächenunterschreitung zum westlich angrenzenden Grundstück vorliege und damit Nachbarrechte verletzt seien, sei das Ermessen sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des „Wie“ einer Rücknahme eingeschränkt. Einer Nachbarrechtsverletzung könne nur durch Rücknahme der Genehmigungsfiktion abgeholfen werden. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei keine Teilablehnung möglich, da es sich um ein einheitliches Bauvorhaben handele.

23

Der Bauantrag, der nach Rücknahme der Genehmigungsfiktion wieder auflebe, sei aus den gleichen Gründen abzulehnen.

24

Am 3. Juli 2014 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus:

25

Die Rücknahme nach § 48 HmbVwVfG sei bereits formell rechtswidrig, weil die Kläger nicht vor der Rücknahme angehört worden seien. Der Verfahrensmangel sei nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 HmbVwVfG geheilt. Die Regelung nach § 45 Abs. 2 HmbVwVfG, nach der eine erforderliche Anhörung noch bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden könne, stelle einen rechtspolitischen Fehler dar und sei nicht mit den Verfahrensgarantien des Europarechts vereinbar. Die Regelung müsse zumindest einschränkend dahingehend ausgelegt werden, dass eine Anhörung nur dann als nachgeholt gelten könne, wenn die Behörde tatsächlich eine ergänzende oder erweiterte Entscheidung in der Sache treffe. Eine Heilung des Verfahrensmangels komme vorliegend aber schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Anhörung bisher nicht ausdrücklich nachgeholt worden sei. Der Verfahrensmangel sei nicht durch das Widerspruchsverfahren geheilt, weil die Kläger den Widerspruch schon nicht sachlich begründet hätten.

26

Der Verfahrensmangel sei auch nicht gemäß § 46 HmbVwVfG unbeachtlich, da dies nur der Fall sei, wenn der Verstoß im konkreten Fall schlechthin nicht kausal für die Entscheidung gewesen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die Kläger in einer Anhörung vor der Rücknahme nochmals ausführlich ausgeführt hätten, dass der Bestandsschutz nicht entfallen sein könne. Die Beklagte hätte dann möglicherweise anders entschieden.

27

Die Rücknahme sei aber auch materiell rechtswidrig. Es bestehe ein Anspruch auf die Baugenehmigung, da das Wirtschaftsgebäude Bestandsschutz genieße. Es sei im Rahmen der Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten nicht so erheblich in die Bausubstanz eingegriffen worden, das rechtlich von einem Neubau ausgegangen werden könne. Richtig sei zwar, dass Teile der Innenwände und der Decke über dem Erdgeschoss, das Dach und die östliche Außenwand hätten entfernt werden müssen, allerdings sei die Identität des Gebäudes hierdurch nicht verloren gegangen. Die Außenmaße des Gebäudes, die tragenden Innen- und Außenwände und die Dachform seien nach wie vor identisch. Insbesondere sei keine statische Nachberechnung aufgrund der Sanierungsmaßnahmen notwendig. Ein durchschnittlicher Beobachter würde nicht den Eindruck haben, dass ein neues Gebäude errichtet worden sei, sondern vielmehr nur, dass das alte Bestandsgebäude renoviert worden sei. Die Beklagte sei bis zum Erlass der Rückbauverfügung selbst davon ausgegangen, dass der Bestandsschutz zuvor zu keinem Zeitpunkt entfallen sei. Sie habe etwa im Schreiben vom 15. Mai 2013 den Rückbau „auf den ursprünglich genehmigten Gebäudebestand“ verlangt. Dies impliziere, dass die Beklagte selbst noch von einem Bestandsschutz ausgegangen sei.

28

Aufgrund des Bestandsschutzes bedürfe es keiner Abweichung von den vorgegebenen Abstandsflächen. Eine Abstandsflächenunterschreitung liege aber auch dann nicht vor, wenn der Bestandsschutz entfiele. Denn in dem Bebauungsplan Wandsbek sei für das gesamte Grundstück eine geschlossene Bauweise festgesetzt. Aus der Planzeichnung folge nicht, dass sich die geschlossene Bauweise nur auf den vorderen Bereich der Grundstücke beziehe.

29

Die Kläger beantragen,

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1. den Bescheid vom 17. März 2014 und den Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2014 insoweit aufzuheben, als damit

31

a. eine aufgrund des Bauantrages vom 18. Juli 2013 fiktive Baugenehmigung und eine Bestätigung derselben aufgehoben wurden
sowie
b. der Bauantrag vom 18. Juli 2013 abgelehnt wurde,

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2. hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. März 2014 und des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2014 - soweit sie entgegenstehen - zu verpflichten, den Klägern die mit Bauantrag vom 18. Juli 2013 beantragte Baugenehmigung zu erteilen

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und

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3. weiter hilfsweise festzustellen, dass das bestehende Wirtschaftsgebäude Bestandsschutz genießt.

35

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt sie mit Schreiben vom 1. August 2014 aus: Zwar sei eine Anhörung vor der Rücknahme der Genehmigungsfiktion nicht durchgeführt worden, es spreche aber schon vieles dafür, dass eine Anhörung entbehrlich gewesen sei, da eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig gewesen sei. Darüber hinaus sei ein möglicher Verstoß gegen § 28 Abs. 1 HmbVwVfG durch die Erhebung des Widerspruches nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 HmbVwVfG geheilt. Der Verweis auf die Verfahrensgarantien des Europarechts führe vorliegend schon deshalb zu keiner anderen Bewertung, da es sich nicht um einen Fall des (indirekten) Vollzuges von Europarecht handele. Rein vorsorglich höre sie die Kläger zur Rücknahme der Genehmigungsfiktion und Ablehnung des Bauantrages nochmals an. Sie fordere die Kläger auf, sich bis zum 6. Oktober 2014 zur geplanten Rücknahme zu äußeren.

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Der Bestandsschutz sei ausweislich der in den Bauakten befindlichen Unterlagen und Lichtbilder erloschen. Es stünden vom ursprünglichen Gebäude nur noch drei Außenwände, in die ein neues Gebäude mit eigenen tragenden Wänden hineingebaut worden sei. Das Gebäude komme bei einer Gesamtwürdigung der Umstände einem Neubau gleich.

39

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagten-Vertreter erklärt, dass er in Anwendung von § 114 VwGO die Ermessenserwägungen im Widerspruchsbescheid ergänzen wolle. Das im Rahmen der Rücknahme bestehende Ermessen werde unter Berücksichtigung des Bestandes und der durchgeführten Bauarbeiten ausgeübt. Gegen die Rücknahme spreche das Interesse der Kläger als Eigentümer. Für die Rücknahme spreche hier die Aufrechterhaltung des planerischen Grundkonzepts des Bebauungsplanes, das explizit eine Bebauung im rückwärtigen Grundstücksbereich ausschließe, und dass eine solche Bebauung auch präjudizielle Auswirkung auf andere Grundstücke habe.

40

Die Sachakten der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt und auf den Inhalt der Gerichtsakte wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

41

Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.

I.

42

Der Antrag zu 1a. hat keinen Erfolg. Gegenstand des Antrags zu 1 a. ist sowohl die Rücknahme der fiktiven Baugenehmigung als auch die Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion (hierzu 1.). Der so verstandene Antrag ist zwar zulässig (hierzu 2.), aber unbegründet (hierzu 3.).

43

1. Gegenstand des Antrags zu 1 a. ist sowohl die Rücknahme der fiktiven Baugenehmigung als auch die Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion.

44

a. Die Beklagte hat im Bescheid vom 17. März 2014 und im Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2014 sowohl die Rücknahme der Genehmigungsfiktion als auch die Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion ausgesprochen.

45

Bei der Auslegung der Bescheide ist in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB nicht der innere Wille der Beklagten maßgebend, sondern der in der Erklärung zum Ausdruck kommende, also der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.3.2013, 5 C 16/12, juris Rn. 10). Nach diesem Maßstab bezieht sich die von der Beklagten erklärte Rücknahme sowohl auf die Genehmigungsfiktion als auch auf die Bestätigung der Genehmigungsfiktion. Zwar spricht die Beklagte im Tenor des Bescheids vom 17. März 2014 nur von der „Rücknahme der Genehmigungsfiktion“. In der Begründung des Bescheids wird allerdings ausdrücklich auch auf die Bestätigung der Genehmigungsfiktion Bezug genommen (dort Seite 2: „…ist es zwingend geboten, die eingangs bestätigte Fiktion des Bauantrages…zurückzunehmen“). Im Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2014 stellt die Beklagte schon in den Ausführungen zur Zulässigkeit des Widerspruchs sowohl auf die „Rücknahme der Genehmigungsfiktion“ als auch auf die „Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion“ ab (dort Seite 5). Im Rahmen der Begründetheitsprüfung heißt es zum einen, die „Rücknahme der Genehmigungsfiktion nach § 48 HmbVwVfG ist rechtmäßig“ (dort Seite 7) und einer Nachbarrechtsverletzung könne nur „durch Rücknahme der Genehmigungsfiktion … abgeholfen werden“ (dort Seite 9). Zum anderen formuliert die Beklagte, „die Bestätigung der Genehmigungsfiktion war ein rechtswidriger Verwaltungsakt“ (dort Seite 7). In der Zusammenschau dieser Aspekte ergibt sich für den objektiven Empfänger, dass der Wille der Beklagten dahin ging, sowohl die Genehmigungsfiktion als auch die Bestätigung der Genehmigungsfiktion zurückzunehmen.

46

b. Die Beklagte ist auch zutreffender Weise davon ausgegangen, dass sie die Rücknahme sowohl hinsichtlich der Genehmigungsfiktion als auch hinsichtlich der Bestätigung der Genehmigungsfiktion erklären musste, um das in den Bescheiden zum Ausdruck kommende Ziel zu erreichen, eine auf die Genehmigungsfiktion gestützte Nutzungsänderung des Hintergebäudes durch die Kläger zu vermeiden. Denn sowohl bei der Genehmigungsfiktion (hierzu aa.) als auch bei der Bestätigung der Genehmigungsfiktion (hierzu bb.) handelt es sich um der Bestandskraft fähige und der Rücknahme nach § 48 Abs. 1 HmbVwVfG unterliegende Verwaltungsakte (insoweit wohl anders noch: VG Hamburg, Beschl. v. 30.12.2015, 7 E 4890/15, n.v. und Beschl. v. 17.5.2016, 6 E 982/16, n.v.).

47

aa. Die Genehmigungsfiktion, die nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO von Gesetzes wegen eintritt, wenn die Genehmigung des Antrags nicht innerhalb der Fristen nach den Sätzen 1 bis 3 des § 61 Abs. 3 HBauO versagt wurde, ist ein Verwaltungsakt. Wie das Hamburgische Oberverwaltungsgerichts zutreffend festgehalten hat, steht die fiktive Baugenehmigung „in jeder Hinsicht“ der erteilten Baugenehmigung gleich (OVG Hamburg, Beschl. v. 2.9.2010, 2 Bs 144/10, juris Rn. 3). Aus dieser Gleichstellung folgt auch, dass es sich bei der fiktiven Baugenehmigung wie bei der erteilten Baugenehmigung um einen Verwaltungsakt handelt (vgl. allgemein zu fiktiven Verwaltungsakten Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 35 Rn. 64 und § 42a Rn. 2 m.w.N.). Nicht entscheidend ist insoweit, dass bei der fiktiven Baugenehmigung ein Handeln einer Verwaltungsbehörde fehlt (so aber Niere, in: Alexejew, HBauO, Stand: Januar 2016, § 61 Rn. 70; den Verwaltungsaktcharakter eines fiktiven Verwaltungsakts verneinend auch Caspar, AöR, Band 125 (2000), S. 131 (138 ff.)), denn gerade auch hierüber hilft die Fiktionswirkung hinweg.

48

bb. Auch die Bestätigung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 61 Abs. 3 Satz 5 HBauO ist ein (feststellender) Verwaltungsakt und nicht etwa nur eine unverbindliche Auskunft (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 12.2.2009, 2 A 256/08, juris Rn. 27; insoweit auch: VG Hamburg, Beschl. v. 30.12.2015, 7 E 4890/15, n.v.; Beschl. v. 17.5.2016, 6 E 982/16, n.v.; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 4.3.2015, 8 K 2909/14.F., juris Rn. 37; Niere, in: Alexejew, HBauO, Stand: Januar 2016, § 61 Rn. 67). Die Regelung besteht darin, dass verbindlich festgestellt wird, dass die Genehmigungsfiktion nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO besteht (vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 17.5.2016, 6 E 982/16, n.v.). Allein dies entspricht dem Sinn und Zweck der Regelung des § 61 Abs. 3 Satz 5 HBauO, dem Bauherrn Rechtssicherheit darüber zu verschaffen, ob er im Besitz einer (fiktiven) Baugenehmigung ist und dementsprechend bauen darf oder nicht (vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 17.5.2016, 6 E 982/16, n.v.; Niere, in: Alexejew, HBauO, Stand: Januar 2016, § 61 Rn. 67). Besonders deutlich wird dies für den Fall, dass die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion objektiv nicht vorliegen und die Fiktionswirkung damit nicht von Gesetzes wegen eintritt, aber dennoch von Seiten der Baubehörde eine (rechtswidrige) Bestätigung über die Fiktionswirkung nach § 61 Abs. 3 Satz 5 HBauO erteilt wird. Wäre die Bestätigung der Genehmigungsfiktion in diesem Fall kein der Bestandskraft fähiger Verwaltungsakt, könnte dem Bauherrn auch noch nach Jahren die formelle Illegalität seines Vorhabens entgegengehalten werden. Dieses Ergebnis ist aus Sicht der Kammer unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen.

49

Soweit zu der allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelung zu der Genehmigungsfiktion, § 42a (Hmb)VwVfG, zum Teil vertreten wird, die dort nach Abs. 3 vorgesehene Fiktionsbescheinigung sei kein Verwaltungsakt und eine irrtümliche Ausstellung der Bescheinigung bleibe folgenlos, da die Bescheinigung keine eigene Wirksamkeit entfalte (so etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 42a Rn. 30; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 42a Rn. 97; für das Vorliegen eines Verwaltungsakts allerdings Schemmer, in: BeckOK VwVfG, Stand: Januar 2017, § 42a Rn. 15 m.w.N.), ist dies für die Auslegung der Regelung des § 61 Abs. 3 Satz 5 HBauO nicht maßgeblich. Denn die Regelungen in § 42a Abs. 3 (Hmb)VwVfG und § 61 Abs. 3 Satz 5 HBauO unterscheiden sich bereits in ihrem Wortlaut und können schon aus diesem Grund nicht miteinander verglichen werden; so wird nach § 42a Abs. 3 (Hmb)VwVfG der Eintritt der Fiktion „bescheinigt“, während es in § 61 Abs. 3 Satz 5 HBauO „bestätigen“ heißt. Darüber hinaus handelt es sich bei der Regelung des § 61 Abs. 3 Satz 5 HBauO um die gegenüber § 42a Abs. 3 (Hmb)VwVfG für das Baurecht speziellere Regelung; auch dies hindert einen Rückgriff auf etwaige Erwägungen zu § 42a Abs. 3 (Hmb)VwVfG.

50

2. Die Klage ist im Hinblick auf den so verstandenen Antrag zu 1 a. zulässig. Insbesondere ist sie als Anfechtungsklage gegen die mit Bescheid vom 17. März 2014 von der Beklagten verfügte und mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2014 bestätigte Rücknahme der Genehmigungsfiktion und die Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion, die Verwaltungsakte darstellen (vgl. oben unter 1. b.), statthaft, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

51

3. Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1 a. jedoch unbegründet. Die Rücknahme der fiktiven Baugenehmigung (hierzu a.) und die Rücknahme der Bestätigung der fiktiven Baugenehmigung (hierzu b.) sind nicht i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtswidrig und verletzen die Kläger daher auch nicht in ihren Rechten.

52

a. Die Rücknahme der fiktiven Baugenehmigung ist rechtmäßig.

53

aa. Rechtsgrundlage für die Rücknahme ist § 48 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

54

bb. Die im Bescheid vom 17. März 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2014 verfügte Rücknahme ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Rücknahme der Genehmigungsfiktion nicht deshalb formell rechtswidrig, weil die Kläger vor der Rücknahme nicht angehört wurden. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Kläger vor der Rücknahme der fiktiven Baugenehmigung überhaupt von der Beklagten angehört werden mussten oder ob ein Fall des § 28 Abs. 2 Nr. 1 HmbVwVfG vorlag. Denn jedenfalls wäre ein derartiger Verfahrensfehler nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 HmbVwVfG unbeachtlich geworden.

55

Eine Verletzung von Verfahrensfehlern, die den Verwaltungsakt nicht nach § 44 HmbVwVfG nichtig macht, ist gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 HmbVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Handlungen nach § 45 Abs. 1 HmbVwVfG können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (§ 45 Abs. 2 HmbVwVfG). Eine Heilung des Verfahrensfehlers tritt allerdings nur ein, soweit die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt wird und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Der Beteiligte muss nachträglich eine vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und die Behörde die vorgebrachten Argumente zum Anlass nehmen, die ohne die vorherige Anhörung getroffene Entscheidung kritisch zu überdenken. Aufgrund der nachträglichen Einwendungen muss eine neue, unvoreingenommene Prüfung durch die Behörde stattfinden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 17.4.2013, 2 Bf 139/13, n.v.). Nach diesen Maßstäben ist die fehlende Anhörung der Kläger vorliegend geheilt.

56

Für die Kläger bestand bereits im Rahmen des Widerspruchsverfahrens eine vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Rücknahme der fiktiven Baugenehmigung. Aus dem Bescheid vom 17. März 2013 waren den Klägern die Gründe für die Rücknahmeentscheidung der Beklagten bekannt. Insbesondere machte die Beklagte im Bescheid vom 17. März 2013 auch Ausführungen zum Bestandsschutz (dort Seite 2). Die Kläger hatten daher die Möglichkeit mit Erhebung ihres Widerspruchs umfassend zu der Rücknahme der Genehmigungsfiktion Stellung zu nehmen. Die Kläger haben außerdem von sich aus im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausführlich Stellung genommen (Schriftsatz vom 11. Juli 2014). Die Beklagte hat den Klägern im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 1. August 2014 im Übrigen nochmals ausdrücklich Gelegenheit gegeben, Stellung zu nehmen. Die Beklagte hat damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie gewillt ist, die Anhörung der Kläger formell ordnungsgemäß nachzuholen und sich (nochmals) mit den Argumenten der Kläger auseinanderzusetzen.

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Soweit die Kläger geltend machen, eine Heilung könne deshalb nicht eingetreten sein, da die Heilungsvorschriften nach §§ 45 Abs. 1 Nr. 3, 45 Abs. 2 HmbVwVfG aus europarechtlichen Gründen nicht angewandt werden könnten, verfängt dies nicht. Gegen die Anwendung dieser Vorschriften bestehen europarechtlich keine grundsätzlichen Einwände. Sofern - wie hier - spezielle europarechtliche Regelungen fehlen, sind die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz aus dem Europarecht erwachsender Rechte gewährleisten sollen, im Rahmen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten von diesen selbst zu regeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2008, 6 C 38/07, juris Rn. 41 f. zu § 46 VwVfG). Zu beachten sind dabei allerdings die Grundsätze der Effektivität und Nichtdiskriminierung (BVerwG, a.a.O.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn. 167). Die Heilungsvorschriften nach §§ 45 Abs. 1 Nr. 3, 45 Abs. 2 HmbVwVfG genügen diesen Anforderungen, denn diese Vorschriften stellen das Europarecht in keiner Weise schlechter als das parallel zu behandelnde deutsche Recht, die Durchsetzung des Europarechts gegenüber etwaigen verfahrensrechtlichen Hindernissen des nationalen Rechts wird lediglich erleichtert (so zutreffend Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn. 167).

58

cc. Auch die materiellen Voraussetzungen einer Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG haben im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorgelegen. Es kann dahinstehen, ob es hinsichtlich der Rücknahme der Genehmigungsfiktion möglicherweise schon an einem Gegenstand fehlt (hierzu (1)). Denn jedenfalls war die Genehmigungsfiktion, falls sie eintrat, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung rechtswidrig, da die Voraussetzungen für die Erteilung der Baugenehmigung nach § 72 Abs. 1 Satz 1 HBauO nicht vorlagen (hierzu (2)). Das Rücknahmeermessen hat die Beklagte rechtsfehlerfrei ausgeübt (hierzu (3)).

59

(1) Gegenstand einer fiktiven Baugenehmigung nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO kann nur jenes Bauvorhaben sein, das zum Ablauf der Bearbeitungsfrist - hier nach § 61 Abs. 3 Satz 1 HBauO - anhand der vollständigen, nach § 70 Abs. 2 Satz 2 HBauO erforderlichen Unterlagen zur Genehmigung gestellt worden ist (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 25.7.2016, 2 Bs 95/16, juris Rn. 12). Vollständig sind die Unterlagen dabei dann, wenn alle für die Beurteilung des Vorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) eingereicht wurden (vgl. § 70 Abs. 2 Satz 2 HBauO). Inwieweit Unterlagen erforderlich sind, regelt dabei die auf Grundlage von § 81 Abs. 6 Nr. 2 HBauO erlassene Bauvorlagenverordnung (BauVorlVO). Die vorzulegenden Bauvorlagen für eine Nutzungsänderung einer baulichen Anlage - hier der von den Klägern beantragten Nutzungsänderung des ehemaligen Wirtschaftsgebäudes zu Wohnzwecken - ergeben sich aus § 4 BauVorlVO. Das Gericht prüft dabei objektiv anhand dieser Norm, ob die Bauvorlagen vollständig im Sinne von § 70 Abs. 2 Satz 2 HBauO sind und somit die Bearbeitungsfrist gemäß § 61 Abs. 3 Satz 1 HBauO in Gang gesetzt wird (VG Hamburg, Beschl. v. 27.10.2016, 6 E 5107/16, n.v.). Vorliegend ist zweifelhaft, ob die von § 4 Abs. 1 Nr. 3 BauVorlVO geforderten Bauzeichnungen den Anforderungen nach § 11 BauVorlVO genügen. Einer Prüfung bedarf es indes nicht, da jedenfalls die Voraussetzungen für die Rücknahme gegeben sind.

60

(2) Die Voraussetzungen für die Erteilung der Baugenehmigung nach § 72 Abs. 1 Satz 1 HBauO für die von den Klägern beantragte „Nutzungsänderung des Wirtschaftsgebäudes der ehemaligen Fleischerei in Wohnen“ lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht vor. Denn dieses Vorhaben stand im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Zwar widerspricht die Nutzungsänderung nicht den bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Abstandsflächen (hierzu (a)). Jedoch widerspricht die Nutzungsänderung der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche nach dem Bebauungsplan Wandsbek (hierzu (b)). Die fiktive Befreiung von den Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche war ebenfalls rechtswidrig (hierzu (c)).

61

(a) Anders als die Beklagte meint, ist die fiktive Baugenehmigung allerdings nicht schon deshalb rechtswidrig, weil das Hintergebäude, das zu Wohnzwecken umgenutzt werden soll, keine Abstandsflächen vor der Außenwand zu der westlichen Grundstücksgrenze einhält. Zwar ist es zutreffend, dass dies nicht den Vorgaben in § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 HBauO entspricht, nach denen vor den Außenwänden von Gebäuden Flächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten sind, wobei die Abstandsflächen auf dem Grundstück liegen und eine Tiefe von 0,4 H, mindestens 2,5 m betragen müssen. Jedoch greift vorliegend die Ausnahmevorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 3 HBauO. Danach ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen oder bauordnungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. So liegt es hier. Nach den planungsrechtlichen Bestimmungen muss vorliegend an die (seitliche) Grundstücksgrenze gebaut werden. Nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Wandsbek gilt für das klägerische Grundstück die geschlossene Bauweise („g“). Diese in der Planzeichnung des Bebauungsplans Wandsbek zwischen den Baulinien eingezeichnete Festsetzung ist nicht auf den Teil des Grundstücks zwischen diesen Baulinien beschränkt. Denn die Festsetzungen über die überbaubare Grundstücksfläche und die Festsetzungen über die Bauweise sind jeweils getrennt voneinander zu betrachten. Bei einer solchen Betrachtung erstreckt sich die geschlossene Bauweise auf die gesamten Grundstücksflächen der mit „g“ markierten Grundstücke und setzt damit planungsrechtlich fest, dass an den seitlichen Grundstücksgrenzen gebaut werden muss (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 7.9.2012, 2 Bs 165/12, juris Rn. 14 ff.).

62

(b) Die Nutzungsänderung widerspricht indes geltendem Planrecht. Sie ist nicht mit den Festsetzungen über die überbaubare Grundstücksfläche vereinbar. Ob darüber hinaus die Festsetzung der „privaten Grünfläche“ verletzt ist, die der Bebauungsplan Wandsbek für den rückwärtigen Bereich des klägerischen Grundstücks vorsieht, oder ob diese Festsetzung lediglich als ergänzende Festsetzung zu der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche anzusehen ist und daher keine hierüber hinausgehenden Anforderungen aufstellt, bedarf daher keiner Entscheidung.

63

Die Nutzungsänderung zu Wohnzwecken ist im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche unzulässig. Die überbaubare Grundstücksfläche wird im Bebauungsplan Wandsbek parallel zur A. Straße durch vordere und hintere Baulinien festgesetzt. Mit der Festsetzung dieser Baulinien hat der Plangeber Hauptnutzungen im rückwärtigen Grundstücksbereich für unzulässig erklärt. Das Hintergebäude, für das die Kläger die Nutzungsänderung zu der Hauptnutzung „Wohnen“ beantragt haben, liegt außerhalb der durch die Baulinien festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche.

64

Anders als die Kläger meinen, können sie sich hinsichtlich der beantragten Nutzungsänderung auch nicht auf Bestandsschutz berufen. Der Bestandsschutz schützt in erster Linie die - ursprünglich rechtmäßige - Bestandsnutzung (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.1.1981, IV C 83/77, juris Rn. 21). Der rechtmäßig geschaffene Zustand und seine Nutzung können sich in ihrer bisherigen Funktion behaupten und sich damit auch gegen neues entgegenstehendes Recht durchsetzen (BVerwG, a.a.O.). Eine Änderung der Funktion des Gebäudes auf Grund einer Nutzungsänderung ist daher nicht vom Bestandsschutz gedeckt (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1970, 4 C 119.68, juris Rn. 25). Dies zugrunde gelegt kann das klägerische Vorhaben schon im Ansatz nicht auf den Bestandsschutz gestützt werden. Weiter kann dahingestellt bleiben, ob das Wirtschaftsgebäude überhaupt jemals formell und/oder materiell rechtmäßig errichtet wurde; an der formell rechtmäßigen Errichtung hat die Kammer Zweifel, weil den von der Beklagten überlassenen Bauakten eine Baugenehmigung für das Hintergebäude nicht zu entnehmen ist. Denn jedenfalls ist mit der Änderung der gewerblichen Nutzung als Wirtschaftsgebäude einer Fleischerei in eine Hauptnutzung zu Wohnzwecken der Bestandsschutz entfallen.

65

Darüber hinaus können die Beklagten sich auch deshalb nicht auf den Bestandsschutz stützen, da sie das ehemalige Wirtschaftsgebäude in so erheblicher Weise baulich verändert haben, dass selbst für eine gewerbliche Nutzung der Bestandsschutz entfallen ist. Der Bestandsschutz erfasst grundsätzlich auch notwendige Maßnahmen zur Erhaltung des Gebäudes, wie insbesondere Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten (BVerwG, Urt. v. 18.10.1974, IV C 75.71, juris Rn. 18). Voraussetzung für vom Bestandsschutz gedeckte Instandsetzungs- und Renovierungsmaßnahmen ist jedoch, dass die Identität der baulichen Anlage erhalten bleibt. Ausbau und Erweiterungen in größerem Umfang sind vom Bestandsschutz nicht gedeckt. Insbesondere dann, wenn der erforderliche Eingriff in die Bausubstanz so intensiv ist, dass er eine statische Nachberechnung notwendig macht, kann Bestandsschutz nicht mehr angenommen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.10.1974, IV C 75.71, juris Rn. 18; Urt. v. 17.1.1986, 4 C 80.82, juris Rn. 12; Beschl. v. 21.3.2001, 4 B 18.01, juris Rn. 11). Nach diesen Maßstäben ist der Bestandsschutz für das Hintergebäude entfallen. Die Kläger haben sowohl die östliche Außenwand des Wirtschaftsgebäudes als auch das Dach vollständig erneuert und erhöht. Sie haben Innenwände im Gebäude eingezogen und die Decke im Erdgeschoss neu geschüttet. Da das Dach nicht mehr auf den bisherigen Außenwänden aufliegt, hat sich die Statik des Gebäudes verändert; eine statische Nachberechnung war damit offensichtlich erforderlich. Ausweislich der in den Sachakten der Beklagten befindlichen Lichtbildern kommen die baulichen Veränderungen - anders als die Kläger meinen - auch für einen objektiven Dritten einem Neubau gleich. Hieran ändert es auch nichts, dass drei der vier Außenwände und die Dachform identisch geblieben sind. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass sich die baulichen Änderungen für die Kläger oder aber auch für etwaige Dritte als „Verbesserung“ der bisherigen baulichen Situation darstellen könnten.

66

Entgegen der Auffassung der Kläger spielt es für die Frage, ob zu ihren Gunsten Bestandsschutz eingreift, keine Rolle, ob die Beklagte zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit möglicherweise selbst davon ausging, dass der Bestandsschutz durch die beschriebenen baulichen Veränderungen nicht entfallen ist. Denn das Gericht ist an eine solche Einschätzung schon nicht gebunden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Beklagte einen Verwaltungsakt mit diesem Inhalt erlassen hätte und dieser Verwaltungsakt bestandskräftig wäre und daher Tatbestandswirkung entfalten würde. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Den Sachakten ist im Übrigen auch nicht zu entnehmen, dass die Beklagte einen Vertrauenstatbestand gegenüber den Klägern geschaffen hätte, auf den sich die Kläger nunmehr berufen könnten. Vielmehr offenbaren die Sachakten der Beklagten, dass den Klägern mehrfach und ausdrücklich mitgeteilt wurde, dass bauliche Veränderungen an dem Hintergebäude - ohne die entsprechenden Baugenehmigungen -nicht durchgeführt werden dürfen.

67

(c) Die Kläger können sich auch nicht auf eine fiktive Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB berufen. Denn auch diese, von der Genehmigungsfiktion miterfasste Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB war rechtswidrig.

68

Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann nach § 31 Abs. 2 BauGB befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, einer der in § 31 Abs. 2 Nr. 1-3 BauGB aufgeführten Befreiungstatbestände gegeben ist und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor. Durch das Vorhaben der Kläger werden bereits die Grundzüge der Planung berührt.

69

Die Grundzüge der Planung werden durch die den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrunde liegende und in ihnen zum Ausdruck kommende planerische Konzeption gekennzeichnet. Eine Befreiung kommt insofern nur in Betracht, wenn von Festsetzungen abgewichen wird, die das jeweilige Planungskonzept nicht tragen oder die für die Verwirklichung der Konzeption nicht ins Gewicht fallen, so dass die im Bebauungsplan zum Ausdruck kommende Konzeption der städtebaulichen Ordnung in ihrem grundsätzlichen Charakter unangetastet bleibt (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 9.3.1990, 8 C 76/88, juris Rn. 19). Die Grundzüge der Planung sind demnach dann berührt, wenn eine Abweichung dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden planerischen Grundkonzept zuwider läuft. So liegt es hier. Der Plangeber hat mit seinen Festsetzungen zu der überbaubaren Grundstücksfläche zum Ausdruck gebracht, dass er keine Hauptnutzungen im rückwärtigen Bereich der Grundstücke wollte. Die Planzeichnung des Bebauungsplans lässt deutlich erkennen, dass Hauptnutzungen nur im vorderen Bereich der Grundstücke entlang der A. Straße erlaubt sein sollen. Das Vorhaben der Kläger, das Hintergebäude zu Wohnzwecken zu nutzen, läuft dieser Konzeption zuwider.

70

(3) Die Rücknahme der fiktiven Baugenehmigung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, § 40 HmbVwVfG, 114 Satz 1 VwGO.

71

Zwar hat die Beklagte ihr Ermessen im Verwaltungsverfahren nicht fehlerfrei ausgeübt. Denn sie hat im Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2014 zwar erkannt, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen hat und hat auch Ermessenserwägungen angestellt. Sie hat in ihren Erwägungen jedoch im Wesentlichen auf eine - nach dem bereits Ausgeführten nicht vorliegende - Abstandsflächenunterschreitung des Vorhabens zum westlich angrenzenden Grundstück abgestellt und damit die für und gegen die Rücknahme sprechenden Gesichtspunkte nicht hinreichend berücksichtigt und gewichtet.

72

Die Beklagte hat ihre Ermessenserwägungen aber im Rahmen der mündlichen Verhandlung nach Maßgabe des § 114 Satz 2 VwGO (noch) hinreichend ergänzt.

73

Nach § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Die Vorschrift setzt dabei voraus, dass bereits vorher, bei der behördlichen Entscheidung, Ermessenserwägungen angestellt worden sind, das Ermessen also in irgendeiner Weise betätigt worden ist (BVerwG, Beschl. v. 14.1.1999, 6 B 133.98; Beschl. v. 9.6.2015, 6 B 60/14, juris Rn. 20). § 114 Satz 2 VwGO schafft somit lediglich die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass eine Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (BVerwG, Urt. v. 5.9.2006, 1 C 20/05, NVwZ 2007, 470).

74

Diese Grenzen sind vorliegend (noch) gewahrt. Die Beklagte hat die bereits im Verwaltungsverfahren getroffene Ermessensentscheidung durch weitere, sachgerechte Ermessenserwägungen ergänzt und vertretbar gewichtet. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Beklagten-Vertreter zu Protokoll erklärt, dass das im Rahmen der Rücknahme bestehende Ermessen unter Berücksichtigung des Bestandes und der durchgeführten Bauarbeiten ausgeübt werde. Gegen die Rücknahme spreche das Interesse der Kläger als Eigentümer; für die Rücknahme spreche hingegen die Ausgestaltung des Grundkonzeptes des Bebauungsplans, nach der eine Bebauung im rückwärtigen Grundstücksbereich nicht vorgesehen sei und dass eine solche Bebauung auch präjudizielle Auswirkung auf andere Grundstücke habe.

75

b. Die Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion ist ebenfalls rechtmäßig. Auch sie beruht auf der Rechtsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG, denn auch bei der Bestätigung der Genehmigungsfiktion handelt es sich um einen Verwaltungsakt (vgl. oben unter I. 1. a. bb.).

76

Die Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion ist auch formell rechtmäßig. Dass die Kläger vor der Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion nicht angehört wurden, ist unbeachtlich, weil sie - wie hinsichtlich der Rücknahme der Genehmigungsfiktion selbst - jedenfalls im Widerspruchsverfahren und im gerichtlichen Verfahren eine vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 HmbVwVfG (vgl. oben unter I. 3. a. bb.).

77

Die materiellen Voraussetzungen einer Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG lagen ebenfalls vor. Die Bestätigung der Genehmigungsfiktion war rechtswidrig, denn die Voraussetzungen für die Bestätigung nach § 61 Abs. 3 Satz 5 HBauO lagen entweder schon nicht vor (vgl. oben unter I. 3. a. cc. (1)) oder sind jedenfalls zeitgleich mit der (rechtmäßigen) Rücknahme der Genehmigungsfiktion entfallen. Die Beklagte hat ihre Ermessenserwägungen, die sie (konkludent) sowohl auf die Rücknahme der Genehmigungsfiktion als auch auf die Rücknahme der Bestätigung der Genehmigungsfiktion erstreckte, fehlerfrei ausgeübt (vgl. oben unter I. 3. a. cc. (3)).

II.

78

Die Klage ist auch hinsichtlich des Antrags zu 1 b. zulässig (hierzu 1.), aber unbegründet (hierzu 2.).

79

1. Die Klage ist auch insoweit als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere fehlt es den Klägern nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Mit ihrem Antrag zu 1 a. ist ihr Rechtsschutzinteresse noch nicht vollständig abgebildet. Denn damit erreichen die Kläger, dass die Genehmigungsfiktion und die Bestätigung der Genehmigungsfiktion wieder aufleben. Jedoch verbleibt die (der Bestandskraft fähige) ablehnende Entscheidung hinsichtlich ihres Bauantrags in der Welt, die dann im Widerspruch zu der Genehmigungsfiktion und der Bestätigung der Genehmigungsfiktion steht.

80

2. Die Ablehnung der von den Klägern begehrten Baugenehmigung war nicht i.S.d. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO rechtswidrig und verletzt die Kläger daher auch nicht in ihren Rechten. Die Kläger verfügen nicht über einen Anspruch auf die Erteilung der Baugenehmigung. Denn wie bereits ausgeführt, stehen dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen (vgl. oben unter I. 3. cc. (2)).

III.

81

Der Hilfsantrag zu 2., die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Baugenehmigung für die Nutzung des Wirtschaftsgebäudes zu erteilen, hat ebenfalls keinen Erfolg. Der Antrag ist zwar als Verpflichtungsklage nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig. Er ist jedoch unbegründet, denn die Kläger haben - wie bereits ausgeführt (vgl. oben unter II. 2.) - keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung.

IV.

82

Schließlich hat auch der weitere Hilfsantrag zu 3., festzustellen, dass dem „bestehende Wirtschaftsgebäude“ Bestandsschutz zukommt, keinen Erfolg.

83

Der Antrag ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Die gesetzliche Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Den Klägern gegenüber ist mit Blick auf den Bestandsschutz des „bestehenden Wirtschaftsgebäudes“ kein Verwaltungsakt erlassen worden, welcher mit Hilfe einer verwaltungsgerichtlichen Gestaltungsklage hätte angefochten werden können. Auch eine Leistungsklage kommt insoweit nicht in Betracht. Die Kläger haben auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Der Begriff des berechtigten Interesses i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO ist weit gefasst. Er umfasst jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 6.2.1986, 5 C 40/84, juris Rn. 28). Ein schutzwürdiges Interesse in diesem Sinne ist hier anzunehmen. Die Kläger müssen befürchten, dass ihnen von der Beklagten auch eine Nutzung des Hintergebäudes als Wirtschaftsgebäude untersagt werden wird.

84

Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn der Bestandsschutz ist aufgrund der erheblichen baulichen Veränderungen des Bestandes nicht nur hinsichtlich einer (Haupt-) Nutzung als Wohngebäude, sondern auch hinsichtlich einer gewerblichen Nutzung entfallen (vgl. oben unter I. 3. a. cc. (2) (b)). Auch haben die Kläger nicht nachgewiesen, dass hinsichtlich des „bestehenden Wirtschaftsgebäudes“ - in Bezug auf welche genaue Bausubstanz auch immer - überhaupt jemals eine Baugenehmigung erteilt worden war.

B.

85

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.

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Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Erhebung eines jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags von einem selbständig tätigen Elternteil.

2

Der Kläger ist Vater einer heute 17-jährigen Tochter, die bereits kurz nach ihrer Geburt in einer Pflegefamilie untergebracht wurde. Das Jugendamt der Beklagten kam aufgrund der vom Kläger vorgelegten Unterlagen, insbesondere des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2006, zu dem Ergebnis, dass der Kläger kostenbeitragspflichtig sei. Es setzte mit Bescheid vom 16. April 2009 einen vorläufigen Kostenbeitrag in Höhe von 425 € monatlich (rückwirkend) ab 1. April 2008 fest.

3

Der Kläger hat sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Höhe des Kostenbeitrags gewandt und die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2008 und 2009 sowie diverse weitere Belege nachgereicht. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte eine erneute Berechnung durchgeführt und mit Schriftsatz vom 8. September 2011 erklärt, dass für das Jahr 2008 ein monatlicher Kostenbeitrag in Höhe von 575 € und für das Jahr 2009 in Höhe von 185,83 € zu fordern sei. Die Neuberechnung hat der Kläger mit dem Argument angefochten, dass tatsächlich geleistete Einkommenssteuer- und Gewerbesteuerzahlungen zu Unrecht nicht berücksichtigt worden seien.

4

Das Verwaltungsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Kostenbeitragsvorschriften seien zu unbestimmt, um bei Selbständigen einen Kostenbeitrag erheben zu können. Die gesetzlichen Regelungen träfen keine Anordnung darüber, welcher Zeitraum für die Erfassung der der Einkommensermittlung zugrunde liegenden Faktoren maßgeblich sein solle. Der maßgebliche Zeitraum sei auch nicht durch Auslegung zu bestimmen. Die Praxis der Jugendämter sei uneinheitlich. Auch werde die Frage, ob für die Beitragserhebung ein monatliches Durchschnittseinkommen zu bilden sei, von den Gerichten unterschiedlich beantwortet. Unabhängig davon sei der angegriffene Bescheid deswegen rechtswidrig, weil er eine vorläufige Kostenbeitragsfestsetzung treffe. Dafür fehle die erforderliche Rechtsgrundlage. Eine analoge Anwendung von § 165 AO komme nicht in Betracht. Außerdem genüge der Bescheid nicht den Bestimmtheitsanforderungen, die an vorläufige Verwaltungsakte zu stellen seien.

5

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Revision vor, dass die gesetzlichen Vorschriften für die Beitragserhebung hinreichend bestimmt seien. Der Kostenbeitrag müsse bei Selbständigen wie im Unterhaltsrecht aufgrund des durchschnittlichen Einkommens der letzten drei Jahre ermittelt werden. Solange die maßgeblichen Einkommensteuerbescheide nicht vorlägen, sei eine vorläufige Beitragserhebung zulässig und notwendig. Im vorliegenden Fall sei die vorläufige Beitragsfestsetzung indes mit Schriftsatz vom 8. September 2011 abgeändert worden, so dass nur noch die endgültig festgesetzte Beitragshöhe für die Jahre 2008 und 2009 im Streit stehe.

6

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und führt im Wesentlichen aus, im Kostenbeitragsrecht fehle eine Regelung zu dem für die Einkommensberechnung maßgeblichen Zeitraum. Diese Lücke könne auch nicht durch Analogie geschlossen werden, da der Gesetzgeber sowohl die Fortgeltung unterhaltsrechtlicher Regelungen als auch die Anwendung sozialhilferechtlicher Berechnungsvorschriften ausgeschlossen habe. Der Rückgriff auf die im Sozialhilferecht geltenden Berechnungsregelungen überschreite die verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung. Darüber hinaus fehle es für eine vorläufige Kostenbeitragsfestsetzung an einer Ermächtigungsgrundlage. Der umstrittene vorläufige Beitragsbescheid sei auch nicht durch die im Prozess vorgelegte Neuberechnung obsolet geworden. Sollte man dies anders sehen, habe der Kläger die Neuberechnung jedenfalls umgehend angegriffen.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses teilt die Rechtsauffassung der Beklagten, dass sich das für die Kostenbeitragserhebung maßgebliche Einkommen durch Auslegung ermitteln lasse.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist begründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich das für die Beitragserhebung maßgebliche Einkommen bei Selbständigen nicht bestimmen lasse, verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Weil der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden kann, ist die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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1. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Kostenbeitragspflicht des Klägers vom 1. April 2008 bis 31. Dezember 2009 (a). Der Beklagte hat für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 16. April 2009 zunächst eine vorläufige Regelung der Kostenbeitragshöhe getroffen, die er später mit Schriftsatz vom 8. September 2011 in eine endgültige Beitragsfestsetzung für das Jahr 2008 in Höhe von 525 € und für das Jahr 2009 in Höhe von 185,83 € abgeändert hat. Der so geänderte Ausgangsbescheid ist Gegenstand des Klageverfahrens geworden (b).

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a) Der Bescheid vom 16. April 2009 ist dahin auszulegen, dass mit ihm eine Kostenbeitragspflicht bis Ende des Jahres 2009 begründet wurde. Das Verwaltungsgericht hat zwar nicht festgestellt, dass der vorläufige Bescheid nur eine bis Ende 2009 begrenzte Regelung enthielt. Das Revisionsgericht darf jedoch den Inhalt des umstrittenen Verwaltungsakts selbst auslegen, sofern es hierzu - wie im vorliegenden Fall - keiner neuen Tatsachenermittlungen bedarf, die über den aus den Akten ersichtlichen Wortlaut des Verwaltungsakts hinausgehen (Urteil vom 26. August 2010 - BVerwG 3 C 35.09 - BVerwGE 137, 377 Rn. 13 = Buchholz 11 Art. 34 GG Nr. 5 Rn. 13). Bei der Auslegung eines Verwaltungsakts ist in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB nicht der innere Wille der Behörde maßgebend, sondern der in der Erklärung zum Ausdruck kommende, also der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (vgl. Urteile vom 18. Juni 1980 - BVerwG 6 C 55.79 - BVerwGE 60, 223 <228 f.> = Buchholz 448.0 § 25a WPflG Nr. 2 S. 5 f. und vom 26. August a.a.O. Rn. 12).

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Der vorläufige Beitragsbescheid bezog sich nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nur auf die Zeit ab 1. April 2008 und nennt für die Dauer der Beitragsverpflichtung keine auf einen bestimmten Zeitpunkt festgelegte Begrenzung. Da nach der dem Kläger bekannten Berechnungspraxis des Beklagten für die Ermittlung der Höhe der Beitragspflicht auf das Durchschnittseinkommen der vorangegangenen drei Jahre abzustellen war und lediglich Unterlagen für die Jahre 2007 und 2008 nachgefordert wurden, ist hinreichend deutlich erkennbar, dass die im Bescheid begründete Zahlungsverpflichtung im Dezember 2009 auslaufen sollte. In der Revisionsverhandlung haben beide Parteien bestätigt, dass der Bescheid ihres Erachtens entsprechend zu verstehen sei.

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b) Die Beklagte hat während des erstinstanzlichen Verfahrens durch die in ihrem Schriftsatz vom 8. September 2011 enthaltene Erklärung den Bescheid vom 16. April 2009 insoweit geändert, als von den vorläufig erhobenen Kostenbeiträgen abweichende Beiträge endgültig festgesetzt worden sind. Zwar sind im Prozess abgegebene Äußerungen und Erklärungen von Beteiligten, insbesondere auch schriftsätzliche Äußerungen, in erster Linie auf den Fortgang des Rechtsstreits und nur ausnahmsweise auch auf die Änderung der materiellen - streitigen - Rechtslage gerichtet. Verbindliche Erklärungen zur Änderung der streitigen Rechtslage führen, soweit ihr Verpflichtungsinhalt reicht, zur Erledigung eines auf entsprechende Verpflichtung gerichteten Rechtsstreits. Deshalb müssen besondere Umstände vorliegen, um annehmen zu können, ein Prozessbeteiligter wolle sich durch eine schriftsätzliche Äußerung materiell-rechtlich binden (Urteil vom 7. Februar 1986 - BVerwG 4 C 28.84 - BVerwGE 74, 15 <17> = Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 231 S. 149).

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Im vorliegenden Fall kommt der Wille der Beklagten, gegenüber dem Prozessgegner eine verbindliche Änderung der streitigen Rechtslage herbeizuführen, eindeutig zum Ausdruck. Der Bescheid vom 16. April 2009 sah die Erhebung eines vorläufigen Kostenbeitrags in Höhe von 425 € bis zur Berechnung des Beitrags auf der Grundlage von vom Kläger einzureichender Unterlagen über seine wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse für die Jahre 2008 und 2009 vor. Nachdem der Kläger die angeforderten Unterlagen vorgelegt hatte, wird in dem Schriftsatz vom 8. September 2011 das Ergebnis der angekündigten Berechnung mitgeteilt. Es wird nicht lediglich in Gestalt einer Wissensmitteilung das Ergebnis einer Berechnung präsentiert. Vielmehr wird der Wille, dass für das Jahr 2008 ein Beitrag von 525 € und für das Jahr 2009 ein Betrag von 185,83 € monatlich zu fordern sei, bereits eingangs formuliert und am Ende des Schriftsatzes vom 8. September 2011 nochmals ähnlich wie ein Bescheidtenor durch Fettdruck hervorgehoben. Diese mit keinerlei Einschränkungen, Abschwächungen oder Vorbehalten verbundene Willenserklärung musste der Kläger als die verbindliche Abänderung der Kostenbeitragshöhe ansehen, die die Beklagte im Bescheid vom 16. April 2009 ausdrücklich angekündigt hatte. Bei verständiger Würdigung war nicht davon auszugehen, dass die Beklagte gleichsam wider besseres Wissen prozessual an einer auf veralteten Berechnungsgrundlagen beruhenden und damit nach ihrer eigenen Ansicht rechtswidrig gewordenen vorläufigen Beitragserhebung festhalten wollte. Vielmehr ist im Schriftsatz vom 8. September 2011 die Absicht erkennbar, eine erneute und endgültige Regelung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG NW in Bezug auf die umstrittene Kostenbeitragshöhe für die Jahre 2008 und 2009 zu treffen.

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Davon ist anscheinend auch der Kläger ausgegangen, der mit seiner Replik vom 6. Oktober 2011 ausschließlich die Neuberechnung angegriffen und die darin fehlende Berücksichtigung der von ihm geleisteten Einkommens- und Gewerbesteuerzahlungen moniert hat. Darin liegt jedenfalls eine den Änderungsbescheid erfassende Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO, auf die sich die Beklagte rügelos eingelassen hat. Folglich kommt es auf die Frage, ob auch eine nach § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 264 ZPO zulässige Antragserweiterung vorliegt, nicht an.

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2. Soweit das Verwaltungsgericht den Kostenbeitragsbescheid der Beklagten aufgehoben hat, beruht dies auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts genügen die für die Kostenbeitragserhebung maßgeblichen Rechtsvorschriften dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Insbesondere kann das Einkommen auch bei Selbständigen durch Auslegung der für die Jahre 2008 und 2009 jeweils maßgeblichen §§ 93 und 94 des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 26. Juni 1990 (BGBl I S. 1163), in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 2006 (BGBl I S. 3134) - für das Jahr 2008 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2403) - für das Jahr 2009 - in der Folge: SGB VIII) bestimmt werden.

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a) Das Verwaltungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger in den Jahren 2008 und 2009 dem Grunde nach kostenbeitragspflichtig gewesen ist. Da seine Tochter Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII erhalten hat, sind nach § 91 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a SGB VIII Kostenbeiträge zu erheben. Die Eltern werden hierbei getrennt entsprechend ihrem Einkommen unter Berücksichtigung ihrer Belastungen und ihrer sonstigen Unterhaltspflichten durch Leistungsbescheid zu einem Kostenbeitrag herangezogen (vgl. §§ 92 bis 94 SGB VIII). Ein Kostenbeitrag kann vom Kläger seit Juli 2007 erhoben werden, weil er nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Ende Juni 2007 über die Hilfegewährung und die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Tochter aufgeklärt worden ist (vgl. § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII).

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b) Es trifft jedoch nicht zu, dass sich das für die Beitragserhebung maßgebliche Einkommen des Klägers nicht durch Auslegung der §§ 93, 94 SGB VIII bestimmen lässt. Diese Vorschriften genügen dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Bestimmtheitsgebot verlangt vom Normgeber, die Rechtsvorschriften so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234 <263>; Beschluss vom 18. Mai 2004 - 2 BvR 2374/99 - BVerfGE 110, 370 <396>). Die Auslegungsbedürftigkeit einer Regelung nimmt ihr jedoch nicht die verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit. Dies gilt auch für Bestimmungen, auf deren Grundlage der Betroffene zu finanziellen Leistungen herangezogen wird (vgl. Urteil vom 1. Dezember 2005 - BVerwG 10 C 4.04 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 100 Rn. 49). Der Normgeber braucht nicht jede einzelne Frage zu entscheiden und ist hierzu angesichts der Vielgestaltigkeit der zu erfassenden Vorgänge oft nicht in der Lage. Vielmehr ist es Sache der Behörden und Gerichte, die bei der Gesetzesauslegung mangels ausdrücklicher Regelungen auftretenden Zweifelsfragen mithilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten (BVerfG, Beschluss vom 18. Mai 2004 a.a.O. S. 397; BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 2005 a.a.O.).

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Nach diesen Maßstäben genügt es, dass der Gesetzgeber in § 91 SGB VIII die für das Entstehen der Kostenbeitragspflicht maßgeblichen Umstände festgelegt hat. Der Kostenbeitragspflichtige wird zusätzlich durch die in § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII enthaltene Aufklärungspflicht auf das Entstehen der Zahlungspflicht hingewiesen. Ferner wird der Umfang der Kostenbeitragsschuld vom Gesetzgeber hinreichend genau umrissen. In § 93 SGB VIII wird die grundlegende Entscheidung getroffen, dass die Höhe des Kostenbeitrags vom bereinigten Nettoeinkommen des Pflichtigen und damit von seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängig ist. Dabei werden sowohl die in Ansatz zu bringenden Einkünfte (§ 93 Abs. 1 SGB VIII) als auch die zu berücksichtigenden Belastungen näher präzisiert (§ 93 Abs. 2 und 3 SGB VIII). Sodann wird in § 94 SGB VIII bestimmt, dass der Kostenbeitrag in angemessener Höhe durch einkommensabhängig gestaffelte Pauschalbeträge nach Maßgabe der Kostenbeitragsverordnung zu erheben ist. Damit werden alle wesentlichen Entscheidungen zur Höhe des Kostenbeitrags durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes getroffen.

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Es trifft zwar zu, dass der Gesetzgeber nicht jede sich im Einzelfall bei der Ermittlung der Kostenbeitragshöhe stellende Frage ausdrücklich entschieden hat. Insbesondere bei der Auslegung des unbestimmten Begriffs des Einkommens bestehen Zweifelsfragen hinsichtlich des maßgeblichen Zeitraums und der damit verbundenen Frage der Durchschnittsbildung. § 93 Abs. 1 SGB VIII beschränkt sich darauf, die anzurechnenden Einkünfte zu umschreiben, ohne die Details der Einkommensberechnung explizit zu regeln. Diese Fragen lassen sich jedoch - wie der Senat im Urteil vom 11. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 22.11 - (NJW 2013, 629 = juris Rn. 18 f.) ausgeführt hat - mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Berücksichtigung der Gesetzessystematik, und im Wege richterlicher Rechtsfortbildung beantworten.

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Soweit die Gesetzesauslegung nicht zu einer endgültigen Gewissheit mit Blick auf die bei der Einkommensermittlung anzulegenden Maßstäbe führt, enthält das Gesetz eine planwidrige Lücke, die durch eine analoge Anwendung von im Sozialhilferecht geltenden Grundsätzen über die Berechnung des Einkommens zu schließen ist. Das Gesetz erweist sich insbesondere insoweit als lückenhaft, als es an Einzelheiten über Ermittlung des Einkommens fehlt, wie sie für das Sozialhilferecht in der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (VO zu § 82 SGB XII) vom 28. November 1962 (BGBl I S. 692), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. März 2005 (BGBl I S. 818), geregelt sind. Diese Lücke entspricht nicht dem gesetzgeberischen Willen. Die hier anwendbaren Fassungen des § 93 SGB VIII gehen u.a. zurück auf das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729). Im Rahmen des dieses Regelungswerk betreffenden Gesetzgebungsverfahrens war vorgesehen, in § 93 SGB VIII eine Regelung aufzunehmen, nach der für die Berechnung des Einkommens die Bestimmungen der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch entsprechend gelten (vgl. BTDrucks 15/3676 S. 16). Eine solche Regelung hat keinen Eingang in das Gesetz gefunden. Dabei ging der Gesetzgeber erkennbar davon aus, dass die jugendhilferechtlichen Bestimmungen zur Ermittlung des Einkommens ausreichen. Dies ist hingegen nicht der Fall, soweit es an Bestimmungen über die Berechnung des Einkommens fehlt, wie sie im Sozialhilferecht vorhanden sind. Dies gebietet eine - wenn auch eingeschränkte - analoge Anwendung der einschlägigen sozialhilferechtlichen Normen über die Einkommensermittlung.

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§ 93 Abs. 1 SGB VIII enthält zwar einen eigenständigen jugendhilferechtlichen Einkommensbegriff (vgl. BTDrucks 16/9299 S.19). Die darin enthaltene Definition des Einkommens ist jedoch der Einkommensdefinition des Sozialhilferechts nachgebildet (vgl. § 76 Abs. 1 BSHG 2002, § 82 Abs. 1 SGB XII und § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Angesichts der deutlichen Parallelen zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch liegt es daher nahe, zur Lückenschließung auf die Berechnungsmethoden des Sozialhilferechts zurückzugreifen. Zwar scheidet eine pauschale Übernahme der gesamten sozialhilferechtlichen Berechnungsvorschriften aus, weil der Gesetzgeber - wie aufgezeigt - den im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagenen Verweis auf die sozialhilferechtliche Einkommensberechnungsverordnung nicht übernommen hat. Jedoch können die im Sozialhilferecht geltenden Einkommensberechnungsregeln sinngemäß Anwendung finden, wenn sie dem gesetzgeberischen Ziel einer einfachen und schnellen Einkommensberechnung Rechnung tragen und wenn sie mit den sonstigen Besonderheiten des jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrechts im Einklang stehen (Urteil vom 11. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 18).

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An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Entgegen der Auffassung des Klägers überschreitet der Senat nicht die von Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gezogenen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Eine Verletzung dieser Grenzen liegt insbesondere nicht darin, dass die entsprechende Anwendung sozialhilferechtlicher Bestimmungen bei der Einkommensermittlung in krassem Widerspruch zu den einschlägigen jugendhilferechtlichen Bestimmungen stände (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011 - 1 BvR 918/10 - BVerfGE 128, 193 <209>). Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil die Analogie ein anerkanntes und verfassungsmäßiges methodisches Instrument richterlicher Rechtsfortbildung ist und hier - wie aufgezeigt - die Voraussetzungen eines Analogieschlusses gegeben sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. April 1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6 <11 ff.>). In der entsprechenden Anwendung sozialhilferechtlicher Bestimmungen liegt kein von der Befugnis zur richterlichen Rechtsfortbildung nicht gedeckter Wechsel des vom Gesetzgeber vorgesehenen Systems der Berechnung des Einkommens im Jugendhilferecht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011 a.a.O. <211 ff.>). Insbesondere verhält es sich nicht so, dass der Gesetzgeber durch den Verzicht auf die ursprünglich vorgesehene Bezugnahme auf die Bestimmungen der Durchführungsverordnung zu § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ein Berechnungssystem begründen wollte, das eine entsprechende Anwendung jener Regelungen ausschließt. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Definition des Einkommens in § 93 Abs. 1 SGB VIII unverändert gelassen und damit die Anlehnung des jugendhilferechtlichen Einkommensbegriffs an den sozialhilferechtlichen Einkommensbegriff nicht aufgegeben. Mit der Streichung des Verweises auf die sozialhilferechtliche Berechnungsverordnung hat er das Näheverhältnis lediglich gelockert. Diesem gesetzgeberischen Modell trägt der Senat Rechnung, indem er die sozialhilferechtlichen Berechnungsgrundsätze nur anwendet, wenn und soweit sie mit den Besonderheiten des jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrechts in Einklang stehen.

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c) Nach diesen Maßstäben kann auch das Einkommen Selbständiger ermittelt werden. Es begegnet keinen Bedenken, dass die Beklagte bei der Ermittlung des Einkommens im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auf die zum Sozialhilferecht entwickelte Zuflusstheorie zurückgegriffen hat (vgl. Urteil vom 11. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 19). Danach gehört zum Einkommen alles, was jemand in der Bedarfs- oder Hilfezeit wertmäßig dazu erhält. Vermögen ist das, was er in der Bedarfs- oder Hilfezeit bereits hat (vgl. Urteil vom 18. Februar 1999 - BVerwG 5 C 35.97 - BVerwGE 108, 296 <299 f.>). Bei einem selbständig Erwerbstätigen kann indes nicht jede seinem Unternehmen zufließende Einnahme auch als privates Einkommen gewertet werden. Vielmehr steht nur der nach Abzug der betriebsbedingten Ausgaben verbleibende steuerliche Gewinn zur Verwendung als persönliches Einkommen zur Verfügung. Davon geht auch § 4 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 VO zu § 82 SGB XII aus. Der steuerliche Gewinn aus dem Gewerbebetrieb oder aus der freiberuflichen Tätigkeit ist bei Selbständigen häufig nur der wichtigste Teil des jugendhilferechtlich relevanten Einkommens. Es können auch Einkünfte aus anderen Einkommenssteuerarten (z.B. aus Vermietung und Verpachtung) hinzutreten und die für die jugendhilferechtliche Berechnung als Ausgangspunkt maßgebliche Summe der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG erhöhen. Ferner können nicht einkommenssteuerpflichtige Einkünfte (insbesondere Einkommenssteuererstattungen, Entlohnungen für ehrenamtliche Tätigkeiten etc.) nach dem Zuflussprinzip zusätzlich zu berücksichtigen sein.

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Ebenfalls zutreffend hat die Beklagte für die Kostenbeitragsberechnung auf das bereinigte Monatseinkommen abgestellt. Dies ergibt sich bereits aus der zu § 94 Abs. 5 SGB VIII erlassenen Kostenbeitragsverordnung, deren Anlage auf das bereinigte Monatseinkommen Bezug nimmt (vgl. Urteil vom 11. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 19). Maßgeblich kann jedoch nicht der in jedem einzelnen Monat exakt erzielte Einkommenszufluss sein, weil bei Selbständigen berufsbedingte Einnahmen und Ausgaben monatsweise häufig stark schwanken. Der Senat hat jedoch bereits im Fall eines angestellten Kostenbeitragspflichtigen entschieden, dass eine Verpflichtung zu einer streng an den jeweiligen Monatsbezügen ausgerichteten Einzelberechnung dem im Jugendhilferecht geltenden Grundsatz der einfachen und schnellen Einkommensberechnung widerspräche (vgl. Urteil vom 11. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 20). Für selbständige Kostenbeitragspflichtige ist daher erst recht auf das durchschnittliche Monatseinkommen abzustellen. Dementsprechend sehen auch die Regelungen des Sozialhilferechts bei Selbständigen die Ermittlung eines monatlichen Durchschnittseinkommens vor. Nach § 4 Abs. 2 VO zu § 82 SGB XII sind bei Selbständigen die Einkünfte für das Jahr zu berechnen, in dem der Bedarfszeitraum liegt. Als Monatseinkommen gilt der zwölfte Teil der Jahreseinkünfte (vgl. § 11 Abs. 1 VO zu § 82 SGB XII). Diese Regelungen können entsprechend im Jugendhilferecht herangezogen werden, weil eine vergleichbare Interessenlage besteht. Eines Rückgriffs auf die davon abweichende unterhaltsrechtliche Ermittlung des durchschnittlichen Monatseinkommens bedarf es - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht. Auch wäre damit für die endgültige Festsetzung des Kostenbeitrags keinerlei Verwaltungsvereinfachung verbunden.

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Für die endgültige Kostenbeitragserhebung ist das Einkommen maßgeblich, das im Zeitraum der Durchführung der beitragspflichtigen Hilfemaßnahme, also im Hilfe- oder Bedarfszeitraum, erzielt wird. Denn der Kostenbeitrag der Eltern tritt an die Stelle der Unterhaltspflicht, solange der Jugendhilfeträger im Rahmen der Hilfemaßnahme den Unterhalt abdeckt. Anhaltspunkte dafür, dass für die Kostenbeitragspflicht frühere oder spätere Einkommenszeiträume maßgeblich sein könnten, enthält das Gesetz nicht. Die Betrachtung anderer Einkommenszeiträume würde die Gefahr zu hoher finanzieller Belastungen in sich bergen und die Lebensbedingungen der Familien - entgegen dem Gesetzeszweck des § 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII - übermäßig belasten. Daher kann auch bei Selbständigen für die abschließende Kostenbeitragsberechnung nur das tatsächlich im Hilfezeitraum erzielte monatliche Durchschnittseinkommen ausschlaggebend sein. Dies schließt es nicht aus, bei Beginn der Beitragserhebung als Prognosegrundlage für das zu erwartende monatliche Durchschnittseinkommen auf ein in der Vergangenheit erzieltes monatliches Durchschnittseinkommen zurückzugreifen (Urteil vom 11. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 21 f.).

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Nach allem ist auch bei Selbständigen eine Einkommensermittlung nach § 93 Abs. 1 SGB VIII grundsätzlich möglich. Die gegenteilige Annahme des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht.

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3. Auf diesem Bundesrechtsverstoß beruht die angegriffene Entscheidung auch. Das Verwaltungsgericht hat für den Zeitraum von April 2008 bis Dezember 2009 die Einkommensberechnung nicht überprüft und die von den Parteien zur Höhe des Einkommens aufgestellten Tatsachenbehauptungen und die vorgelegten Beweismittel nicht gewürdigt. Auf die vom Verwaltungsgericht zusätzlich für die Aufhebung des Bescheids gegebene Begründung, dass eine vorläufige Kostenbeitragserhebung generell oder jedenfalls im vorliegenden Verfahren nicht zulässig sei, kommt es nicht an. Wie ausgeführt hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. September 2011 die vorläufige Kostenbeitragserhebung durch eine endgültige Beitragserhebung ersetzt. Da eine tatrichterliche Überprüfung dieser endgültigen Beitragsfestsetzung nicht stattgefunden hat, ist der Rechtsstreit nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

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Dabei wird das Verwaltungsgericht zu beachten haben, dass nach § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII "auf das Einkommen gezahlte Steuern" abzuziehen sind. Nach dem in dieser Bestimmung enthaltenen Tatsächlichkeitsprinzip sind die entrichteten einkommensbezogenen Steuern grundsätzlich in der tatsächlich geleisteten Höhe anzurechnen. Unter den Begriff der auf das Einkommen gezahlten Steuern können nach dem Zweck des § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII auch tatsächlich geleistete Einkommensteuervorauszahlungen fallen (Urteil vom 11. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 23 f.). Allerdings müssen sich die einkommensbezogenen Steuern oder Vorauszahlungen auf das im maßgeblichen Jahr erwirtschaftete Einkommen beziehen und dürfen nicht bereits bei den Betriebsausgaben abgesetzt worden sein. Werden - wie vorgetragen - auch Steuerrückstände aus Vorjahren getilgt, muss über die Anrechnung dieser Schuldverpflichtungen nach § 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, Satz 4 SGB VIII entschieden werden.

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Soweit der Kläger Gewerbesteuern entrichtet hat, handelt es sich nicht um auf das Einkommen gezahlte Steuern im Sinne des § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII. Denn die Gewerbesteuer stellt eine auf das Unternehmen gerichtete Real- oder Objektsteuer (§ 3 Abs. 2 AO) dar. Zwar konnte sie bis zum Jahr 2007 als Betriebsausgabe von den Betriebseinnahmen abgezogen werden, so dass sie den für die Einkommensberechnung nach § 92 Abs. 1 SGB VIII maßgeblichen Gewinn minderte. Seit dem Jahr 2008 ist ein solcher Abzug aber nach § 4 Abs. 5b EStG nicht mehr statthaft. Das bedeutet jedoch nicht, dass Gewerbesteuern oder Gewerbesteuervorauszahlungen seither unberücksichtigt bleiben könnten. Vielmehr gehören sie zu den mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben im Sinne von § 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII, sofern sie im Berechnungsjahr entstanden sind. Bei der Rückführung von Gewerbesteuerschulden aus Vorjahren ist wie bei Einkommensteuerrückständen eine Anrechnung nach Maßgabe der § 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, Satz 4 SGB VIII möglich.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger; außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der Genehmigung einer Fischzuchthalle mit Quarantänestation.

Mit Bauantrag vom 14.12.2004 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Fischzuchthalle mit Quarantänestation auf dem im Außenbereich gelegenen Grundstück L. 1 in P. (Parzellen-Nrn. 103 und 104 in Flur 4 der Gemarkung H.).

Unter dem 20.12.2004 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass zu seinem Antrag vom 14.12.2004 noch andere Stellen zu hören seien und für sein Vorhaben das vereinfachte Genehmigungsverfahren nah § 64 LBO durchgeführt werde. Der Antrag sei bearbeitungsfähig. Nach fortgeschrittener Prüfung behalte er sich die Nachforderung weiterer Unterlagen vor. Ferner forderte der Beklagte am selben Tag Stellungnahmen weiterer Behörden gemäß § 70 LBO und die Erteilung des Einvernehmens der Beigeladenen gemäß § 36 BauGB an.

In der Folge wies die Untere Naturschutzbehörde darauf hin, dass die Antragsunterlagen nicht erkennen ließen, ob das Vorhaben privilegiert sei, was Voraussetzung für die Herstellung des Einvernehmens gemäß § 12 SNG sei. Die Untere Wasserbehörde meldete ebenfalls noch Klärungsbedarf an. Das Ministerium für Umwelt äußerte aus raumordnerischer Sicht Bedenken. Die Beigeladene teilte mit Schreiben vom 17.2.2005 mit, dass sie das Einvernehmen nicht herstelle, weil das Vorhaben § 35 I BauGB widerspreche, da öffentliche Belange tangiert würden, es den Festsetzungen des rechtsgültigen Flächennutzungs- und des Landschaftsplanes widerspreche, die Erschließung nicht gesichert sei und es auch landwirtschaftlich nicht privilegiert sei.

Mit Schreiben vom 5.4.2005 hörte der Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Ablehnung seines Bauantrags an und gab ihm Gelegenheit, sich hierzu bis zum 10.5.2005 zu äußern. Auf Antrag des Klägers vom 24.4.2005 gewährte der Beklagte ihm eine Fristverlängerung zur Äußerung bis zum 1.7.2005.

Mit Bescheid vom 8.9.2005 lehnte der Beklagte den Bauantrag des Klägers ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass das Bauvorhaben weder die Voraussetzungen nach § 35 I BauGB erfülle, noch nach § 35 II BauGB genehmigt werden könne, da auch hier eine offensichtliche Beeinträchtigung öffentlicher Belange gemäß § 35 III BauGB vorliege. Das Vorhaben widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplanes des damaligen Stadtverbandes B-Stadt und den Darstellungen des Landschaftsplanes, werde voraussichtlich die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie des Bodenschutzes und der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigen (§ 35 III Nr. 5 BauGB). Das Vorhaben sei auch potenziell dazu geeignet, durch die geplante Entnahme und Nutzung von Quellwasser schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen und die nachhaltige Wasserwirtschaft zu gefährden. Es bedürfe sowohl hinsichtlich der Wasserentnahme als auch der Abwassereinleitung zunächst einer wasserfachlichen und –rechtlichen Prüfung. Es sei nicht ersichtlich, ob die geplante Bebauung die Maßgaben des § 56 IV Nr. 2 SWG („Gewässerabstand“) einhalte. Außerdem lasse das Vorhaben die Verfestigung bzw. Erweiterung einer Splittersiedlung im bzw. in den Außenbereich befürchten. Es sei aus landesplanerischer Sicht als städtebauliche Fehlentwicklung zu bezeichnen und stehe auch im Widerspruch zu anderen im Landesentwicklungsplan Siedlung landesplanerisch festgelegten Zielen. Schließlich habe auch die Beigeladene ihr erforderliches Einvernehmen nach § 36 I BauGB nicht hergestellt, da dem Vorhaben öffentliche Belange entgegenstünden und die Erschließung nicht ausreichend gesichert sei. Der Bescheid wurde dem Kläger am 15.9.2005 zugestellt.

Mit am 27.10.2005 beim Beklagten eingegangenen Schreiben vom 16.10.2005 teilte der Kläger mit, dass sein Bauantrag, der bereits am 14.12.2004 vollständig bei der Behörde eingereicht worden sei, am 14.2.2005 gemäß § 64 III LBO durch Verfristung genehmigt worden sei. Da der Beklagte weder innerhalb von drei Monaten nach Eingang des vollständigen Antrags entschieden habe noch eine Fristverlängerung mitgeteilt habe, gelte die Genehmigung als erteilt. Er bitte um schriftliche Bestätigung der Genehmigung gemäß § 64 III 5 LBO. Der Beklagte fasste das Schreiben des Klägers vom 16.10.2005 als Widerspruch auf, den er der Widerspruchsbehörde vorlegte.

Am 24.11.2005 reichte der Kläger einen weiteren Bauantrag für die Errichtung einer Fischzuchthalle mit Quarantänestation auf dem Vorhabengrundstück unter Vorlage einer geänderten Betriebsbeschreibung ein. Der Bauantrag wurde mit Bescheid vom 13.3.2006 ebenfalls abgelehnt, der dagegen erhobene Widerspruch mit Bescheid vom 24.3.2006 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Klage – 5 K 31/06 – wurde wegen Nichtbetreibens weggelegt.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24.3.2006 ergangenem Widerspruchsbescheid wurde das Schreiben des Klägers vom 16.10.2005 als Widerspruch angesehen und wegen Verfristung als unzulässig zurückgewiesen.

Am 24.5.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Die Baugenehmigung gelte wegen Ablaufs der in § 64 III 1 LBO genannten Bearbeitungsfrist gemäß § 64 III 5 LBO als erteilt. Mit Eingang des Bauantrages am 14.12.2004 hätte der Beklagte drei Monate Zeit gehabt, um über den Antrag zu entscheiden. Bis zum Ablauf der Frist am 14.3.2005 sei jedoch keine Entscheidung ergangen. Die Ablehnungsentscheidung datiere vielmehr vom 8.9.2005, somit neun Monate nach Eingang des Bauantrages. Hieran ändere weder die unter dem 14.3.2005 erfolgte „Anhörung“ im Sinne des § 28 SVwVfG noch die vermeintliche Verfristung eines „Widerspruchs“ des Klägers gegen den ablehnenden Bescheid etwas. Die „Anhörung“ stelle keine Entscheidung über den Bauantrag dar. Die Frist des § 64 III 1 LBO könne nicht durch eine Anhörung unterbrochen oder gehemmt werden. Der ablehnende Bescheid vom 8.9.2005 sei rechtlich nicht in der Lage gewesen, eine Widerspruchsfrist auszulösen, da die beantragte Genehmigung bereits unter dem 14.3.2005 erteilt gewesen sei. Die Ablehnung sei deshalb ins Leere gegangen. Sie stelle auch keine Rücknahme einer bereits erteilten (fiktiven) Genehmigung dar, da dies weder dem Wortlaut der Ablehnung noch der Intention der Gründe zu entnehmen sei. Sie könne auch deshalb keine Rücknahme sein, da der Beklagte zum damaligen Zeitpunkt überhaupt nicht davon ausgegangen sei, dass ein Verwaltungsakt bereits existiere, den es zurückzunehmen gelte. Die Antragsunterlagen seien bei Stellung des Bauantrags vollständig gewesen. Dies ergebe sich aus der Benachrichtigung des Beklagten vom 20.12.2004, in der dieser ausgeführt habe, dass der Antrag „bearbeitungsfähig“ sei. Damit stehe unter Berücksichtigung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung fest, dass der Bauantrag vollständig gewesen sei, da grundsätzlich einzig maßgebliches Kriterium zur Beurteilung der Vollständigkeit die Bearbeitungsfähigkeit sei. Zu keinem Zeitpunkt seien Unterlagen nachgefordert worden. Der Beklagte habe nach Annahme eines Bauantrages und Prüfung desselben im vereinfachten Genehmigungsverfahren diesen einfach liegenlassen bzw. gegenüber dem Bauherrn nicht die maßgeblichen Angaben gemacht, um eventuell einen Lauf der Frist zu verhindern oder diesen gar nicht erst in Gang zu setzen. Der Beklagte schiebe die vermeintliche Unvollständigkeit des Bauantrages lediglich vor. In dem Ablehnungsbescheid vom 8.9.2005 befänden sich auch keinerlei Hinweise auf fehlende Unterlagen oder eine nicht gegebene Bearbeitungsfähigkeit. Lediglich hinsichtlich der Abwasserbehandlung werde dargelegt, dass die vorgelegten Unterlagen hierüber keine Aussage machten bzw. widersprüchlich seien und deshalb der Wasserbehörde noch vorgelegt werden müssten. Dass auch dritte Behörden noch beteiligt werden müssten, ändere jedoch an der Vollständigkeit der zunächst eingereichten Unterlagen nichts. Die Vorlage eines Standsicherheitsnachweises sei bei Durchführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens überhaupt nicht Bestandteil der Bauantragsunterlagen bzw. hätte gegebenenfalls direkt unverzüglich vom Kläger eingefordert werden müssen und zwar spätestens, als dritte Behörden beteiligt worden seien und hiermit das vermeintliche Fehlen des Standsicherheitsnachweises aufgefallen sei. In der Regel prüfe die Untere Bauaufsichtsbehörde keine statischen Unterlagen en détail, insbesondere werde der Standsicherheitsnachweis in aller Regel erst nach Erteilung der Baugenehmigung einem Prüfingenieur vorgelegt, der dann von sich aus eventuell weiter benötigte Unterlagen beim Bauwerber anfordere. Seiner Klage fehle auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Eine Rücknahme des Verwaltungsaktes sei nicht möglich, da die Jahresfrist des § 48 IV SVwVfG in jedem Fall verstrichen sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8.9.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 24.3.2006 zu verpflichten, gemäß § 64 III 5 LBO das Bestehen einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Fischzuchthalle mit Quarantänestation auf dem Grundstück L. 1 in P., Flur, Parzellen Nrn. 103 und 104 gemäß dem Bauantrag vom 14.12.2004 zu bestätigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid bezogen und ergänzend ausgeführt: Der Eintritt der Genehmigungsfiktion habe nicht erfolgen können, da der Bauantrag nicht vollständig gewesen sei. Die Bauvorlagenverordnung – BauVorlVO - bestimme, dass u.a. die bautechnischen Nachweise als Bauvorlage in den Verfahren nach den §§ 63 bis 65 LBO einzureichen seien. So müsse der Standsicherheitsnachweis von einer Person erstellt oder durch Unterschrift anerkannt sein, die in die Liste der Tragwerksplanerinnen und –planer nach § 29 des Saarländischen Architekten- und Ingenieurkammergesetzes eingetragen sei. Gemäß § 1 V BauVorlVO seien u.a. Bauvorlagen nach den von der Obersten Bauaufsichtsbehörde öffentlich bekannt gemachten Formularen einzureichen. Nach § 8 der Verordnung sei zum Nachweis der Standsicherheit einschließlich der Feuerwiderstandsdauer u.a. eine Darstellung des gesamten statischen Systems, der Berechnungen und Konstruktionszeichnungen erforderlich. Hieran fehle es vorliegend. Die statische Berechnung der Behältnishalle vom 6.4.2004 sei von Dipl.-Ing. Herrmann Josef B. aufgestellt worden, der nicht in die vorgenannte Liste eingetragen sei. Auch fehle eine Erklärung der Tragwerksplaner nach § 67 III LBO und § 8 II BauVorlVO. Ferner fehlten die Positionspläne und Konstruktionszeichnungen. Statische Berechnungen (bezogen auf das Dach) seien ohne Positionspläne nutzlos. Konstruktionszeichnungen und statische Berechnungen für Wände und Fundamente fehlten ebenfalls. Die zur Quarantänestation eingereichten statischen Berechnungen vom 17.2.2004 hätten keine Erklärung der Tragwerksplaner aufgewiesen. Auch für diesen Teil hätten die Konstruktionszeichnungen einschließlich der hierfür erforderlichen statischen Berechnung für Wände und Fundamente gefehlt. Zudem fehle die bereits im Widerspruchsbescheid erwähnte Betriebsbeschreibung nach § 5 IV BauVorlVO. Da die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei, sei der Bescheid über die Ablehnung des Bauantrages bestandskräftig geworden, nachdem Widerspruch nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Dem Kläger fehle daher das Rechtsschutzinteresse für seine Klage. Zwar habe der Beklagte dem Kläger bestätigt gehabt, dass sein Antrag „bearbeitungsfähig“ sei, dies sei jedoch nicht mit Vollständigkeit der Antragsunterlagen gleichzusetzen.

Die Beigeladene, die keinen Antrag gestellt hat, hat darauf verwiesen, dass sie fristgerecht das Einvernehmen zu dem Bauvorhaben verweigert habe und gegen eine fiktive Baugenehmigung gegebenenfalls Rechtsmittel einlegen müsse.

Mit Urteil vom 23.4.2008 hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Verpflichtungsklage sei als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Ihr fehle auch nicht das Rechtsschutzinteresse. Der Kläger habe jedoch keinen Anspruch auf die begehrte Bestätigung, weil die Voraussetzungen des § 64 III LBO nicht vorlägen. Vorliegend fehle es an einem vollständigen Antrag. Was unter Vollständigkeit eines Antrags zu verstehen sei, bestimme sich nach den Bestimmungen der Bauvorlagenverordnung, die in § 1 die einzureichenden Bauvorlagen aufzähle. Unerheblich sei dabei, dass bei der Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren von den Baugenehmigungsbehörden lediglich die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs und den sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Bauordnungsrechts, ausgenommen die Anforderungen nach der Arbeitsstätten- und Energiesparverordnung, zu prüfen sei, so dass insbesondere die bautechnischen Nachweise nicht mehr geprüft würden. Gleichwohl seien nach § 69 II 1 LBO dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einschließlich der bautechnischen Nachweise beizufügen, auch soweit Anforderungen in den Verfahren nach §§ 64 und 65 LBO nicht geprüft würden. Die Baubehörde sei nicht verpflichtet, den Bauherrn innerhalb der Frist des § 64 III LBO auf eine Unvollständigkeit der Bauvorlagen hinzuweisen, um den Eintritt der Fiktion zu verhindern. Auch wenn die Baubehörde dies unterlasse, könne nicht von einer Vollständigkeit des Antrags im Sinne des § 64 III LBO ausgegangen werden. Zwar sei die Behörde nach § 70 I 1 LBO verpflichtet, den Bauantrag binnen sechs Arbeitstagen nach Eingang auf seine Vollständigkeit zu überprüfen und dem Bauherrn die Bearbeitungsfähigkeit des Antrages unverzüglich mitzuteilen. Das Gesetz sehe jedoch bei Unterbleiben des Hinweises keine Sanktion vor. § 70 I 2 LBO regele lediglich, dass der Bauantrag zurückzuweisen sei, wenn die Bauvorlagen so unvollständig oder fehlerhaft seien, dass sie nicht bearbeitet werden könnten. Außerdem solle die Behörde nach Satz 3 zur Beseitigung geringfügiger Mängel eine Frist setzen; würden die Mängel innerhalb der Frist nicht behoben, gelte der Antrag als zurückgenommen. Das Gesetz sehe also nur eine Sanktionierung im Falle nicht bearbeitungsfähiger Bauvorlagen gegenüber dem Bauherrn vor, nicht jedoch gegenüber der Bauaufsichtsbehörde für den Fall ihrer Untätigkeit. Unterschieden werde zwischen Nicht-Bearbeitungsfähigkeit des Antrages und seiner Unvollständigkeit. Gerade im vereinfachten Verfahren sei ein Bauantrag auch dann bearbeitungsfähig, wenn er nicht vollständig sei, nämlich dann, wenn die Unvollständigkeit die Teile der Bauvorlagen betreffe, die die Bauaufsichtsbehörde überhaupt nicht zu prüfen habe und damit auch nicht bearbeite. Insoweit würden an die Sorgfaltspflichten des Bauherrn bzw. des beauftragten Entwurfsverfassers gerade im vereinfachten Verfahren besonders hohe Anforderungen gestellt als Folge des vom Gesetzgeber im Rahmen der Neufassung der LBO gewollten Rückzugs der Bauaufsichtsbehörden aus präventiven bauaufsichtlichen Prüfungen, die durch entsprechend qualifizierte und verantwortliche Private kompensiert werden sollten. Mit dem Schreiben des Beklagten vom 20.12.2004 sei gerade nicht die Vollständigkeit der Bauvorlagen, sondern lediglich bestätigt worden, dass diese nicht bereits so unvollständig oder fehlerhaft seien, dass sie überhaupt nicht bearbeitet werden könnten. Aus der Regelung des § 69 II 1 und 3 LBO folge, dass im vereinfachten Verfahren zwar eine Baugenehmigung erteilt werden könne, ohne dass bereits die bautechnischen Nachweise vorlägen, der Eintritt der fiktiven Baugenehmigung nach § 64 III 5 LBO jedoch ausgeschlossen sei. Vorliegend habe der Kläger unstreitig unvollständige Bauvorlagen vorgelegt. So fehlten insbesondere die Erklärung des Tragwerkplaners und Positionspläne, wie sie nach den §§ 67 I und II LBO, 8 I BauVorlVO erforderlich seien. Außerdem sei die eingereichte Betriebsbeschreibung unzureichend gewesen.

Die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene Berufung wurde am 23.6.2008 eingelegt. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich nach den einschlägigen Bestimmungen der Bauvorlagenverordnung bestimme, was unter einem vollständigen Antrag im Sinne des § 64 III 1 LBO zu verstehen sei, sei rechtsfehlerhaft und finde auch keine Grundlage in der zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 9.3.2006 – 2 R 8/05 -, bei der es allein um den Begriff des „Antrages“ gegangen sei. Aus der Entscheidung ergebe sich vielmehr, dass primär die Sicht des Bürgers maßgeblich sei. Daher müsse vorliegend sehr wohl von einer Vollständigkeit des Antrages ausgegangen werden, da der Kläger zu keinem Zeitpunkt vor Erlass des ablehnenden Bescheides vom 8.9.2005 auf eine Unvollständigkeit hingewiesen worden sei. Dies belege eindeutig, dass auch der Beklagte von der Vollständigkeit des Antrages ausgegangen sei. Der Antrag sei nachweislich bearbeitungsfähig gewesen, es sei keinerlei Frist zur Beseitigung „geringfügiger Mängel“ gesetzt worden. Es sei unausgesprochen klar gewesen, dass namentlich statische Unterlagen nicht einzureichen gewesen seien, da diese im vereinfachten Genehmigungsverfahren überhaupt nicht geprüft würden. Da sein Antrag die Unterlagen enthalten habe, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren geprüft würden, habe er alles Zumutbare getan, um die Frist des § 64 III 1 LBO auslösen zu können. Er habe auf die Vollständigkeit des Antrages vertrauen dürfen, da dieser als bearbeitungsfähig anerkannt worden sei und keine Unterlagen nachgefordert worden seien. § 69 II 1 LBO spreche davon, dass die erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) dem Bauantrag beizufügen seien, nicht aber davon, dass erst die Kombination von beiden ein „vollständiges Ganzes“ im Sinne des § 64 III 1 LBO ergebe. Dies bestätige auch die Überschrift der Vorschrift. Entsprechendes sei aus der Bauvorlagenverordnung nicht zu entnehmen. In § 64 II LBO sei keinesfalls ausdrücklich bestimmt, dass der Bauherr auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht von der Beibringung der nach § 67 LBO erforderlichen bautechnischen Nachweise befreit sei.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 23. 4. 2008 – 5 K 360/07 - und Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 8.9.2005 und des Widerspruchsbescheids vom 24.3.2006 den Beklagten zu verpflichten, gemäß § 64 III 6 LBO 2004 das Bestehen einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Fischzuchthalle mit Quarantänestation auf den Parzellen Nr. 103 und Nr. 104 in Flur der Gemarkung H. (Anwesen L.) zu bestätigen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass § 64 II LBO ausdrücklich bestimme, dass der Bauherr auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht von der Beibringung der nach § 67 LBO erforderlichen bautechnischen Nachweise befreit sei. Gemäß § 69 II LBO seien dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrages erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einschließlich der bautechnischen Nachweise beizufügen. Zwar könne auf Antrag zugelassen werden, dass einzelne Bauvorlagen nachgereicht würden, grundsätzlich müssten jedoch die bautechnischen Nachweise bei der Antragstellung bereits vorliegen. Eine Nachreichung sei vorliegend nicht beantragt worden. Somit scheide auch eine Erteilung der Baugenehmigung mangels Antrags nach § 69 II 3 LBO aus. Eine nach § 1 I Nr. 4 BauVorlVO i.V.m. § 5 IV BauVorlVO erforderliche detaillierte Betriebsbeschreibung für landwirtschaftliche Betriebe habe der Kläger nicht eingereicht. Bei der Frist des § 64 III 1 LBO handele es sich um keine Bearbeitungs-, sondern um eine Entscheidungsfrist, die erst mit Einreichung eines vollständigen Bauantrags zu Laufen beginne. Die Reichweite der Genehmigungsfiktion könne auch nicht in der Weise ausgedehnt werden, dass die Baugenehmigung bereits dann als erteilt gelte, wenn die Baubehörde die fehlenden Unterlagen nicht innerhalb der Frist des § 64 III 1 LBO nachfordere. Die Vorlage der vollständigen Unterlagen sei dem Verantwortungsbereich des Bauherrn zuzuordnen und nicht der Sphäre der Verwaltungsbehörde. Aus § 70 I 1 LBO lasse sich keine Fiktion der Vollständigkeit des Antrages bei nicht rechtzeitiger Bearbeitung ableiten. Im Übrigen sei der Bauantrag des Klägers mit Bescheid vom 8.9.2005 bestandskräftig abgelehnt worden.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen des Sachverhaltes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 124 II Nr. 3 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig.

Die Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Bestätigung gemäß § 64 III 6 LBO (LBO 2004) , dass die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung einer Fischzuchthalle mit Quarantänestation auf den Parzellen Nr. 103 und Nr. 104 in Flur der Beigeladenen gemäß Satz 5 der Vorschrift als erteilt gilt, ist statthaft (Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 9.3.2006 – 2 R 8/05 – BRS 70 Nr. 148) , da sie auf die Verpflichtung zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes gerichtet ist (Für Zulässigkeit der Klage auf Feststellung, dass Baugenehmigung als erteilt gilt: Hess. VGH, Beschluss vom 20.12.2006 – 9 UE 1572/06 -, BauR 2007, 1389 (ohne Begründung); Gleichrangigkeit von Verpflichtungs- und Feststellungsklage: VG Neustadt, Urteil vom 27.3.2001 – 4 K 1494/00.NW – ; offen gelassen OVG Koblenz, Urteil vom 10.7.2007 – 8 A 10160/07 -) . Die Klage ist auch im Übrigen als Untätigkeitsklage zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Bestätigung gemäß § 64 III 6 LBO, da sein Bauvorhaben nicht als genehmigt gilt. Vorab kann zur Begründung auf die überzeugenden eingehenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen werden.

Unstreitig unterlag der Bauantrag des Klägers vom 14.12.2004 auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Fischzuchthalle mit Quarantänestation auf den Parzellen-Nrn. 103 und 104 in Flur 4 der Gemarkung H. den Vorschriften des vereinfachten Verfahrens nach § 64 LBO. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gilt das eingeschränkte Prüfprogramm nach § 64 II 1 LBO. Geprüft werden nach Nr. 1 nur die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs und den sonstigen öffentlichrechtlichen Vorschriften außerhalb des Bauordnungsrechts, ausgenommen die Anforderungen nach der Arbeitsstättenverordnung und die Anforderungen nach der Energieeinsparverordnung sowie nach Nr. 2 beantragte Abweichungen. Nach Satz 2 der Vorschrift bleibt allerdings § 67 LBO, der bautechnische Nachweise – etwa die Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit - vorschreibt, unberührt.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers ist § 64 III 6 LBO, wonach die Bauaufsichtsbehörde auf Verlangen des Bauherrn die Genehmigung nach Satz 5 schriftlich zu bestätigen hat. Nach § 64 III 5 LBO gilt die Genehmigung als erteilt, wenn über den Bauantrag nicht innerhalb der Frist entschieden worden ist. Über den Bauantrag ist nach Satz 1 der Vorschrift innerhalb von drei Monaten nach Eingang des vollständigen Antrags zu entscheiden.

Was unter einem „vollständigen“ Bauantrag zu verstehen ist, ist im Gesetz zwar nicht definiert, geht aber gleichwohl eindeutig aus den Regelungen der LBO hervor. Dabei kann aus der Überschrift „Bauantrag und Bauvorlagen“ des § 69 LBO entgegen der Meinung des Klägers nicht geschlossen werden, dass zwischen Antrag und den beizufügenden Unterlagen zu unterscheiden sei und es für § 64 III 1 LBO nur darauf ankomme, dass der – „eigentliche“ – Bauantrag vollständig sei. Denn § 69 LBO legt fest, welche Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Bauantrag zu stellen sind. Er ist nicht nur nach Abs. 1 der Vorschrift schriftlich bei der unteren Bauaufsichtsbehörde einzureichen, sondern ihm sind auch nach Abs. 2 Satz 1 „alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen), einschließlich der bautechnischen Nachweise, beizufügen, auch soweit Anforderungen in den Verfahren nach den §§ 64 und 65 nicht geprüft werden“ (§ 69 II 1 LBO). Welche Bauvorlagen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 64 LBO vorzulegen sind, ergibt sich dabei aus §§ 1 ff. BauVorlVO.

Es genügt daher für die In-Lauf-Setzung der Frist des § 64 III 1 LBO nicht, wie der Kläger meint, dass der „eigentliche“ Antrag vollständig ist, dass also alle Unterlagen, die von der Behörde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens gemäß § 64 II LBO geprüft werden (müssen), vorliegen, sondern es müssen auch die nach den §§ 1 ff. BauVorlVO erforderlichen Unterlagen eingereicht sein, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht geprüft werden. Unstreitig hat der Kläger bei Antragstellung am 14.12.2004 zwar alle Unterlagen vorgelegt, die der Beklagte nach dem Prüfprogramm des § 64 II LBO zu prüfen hatte, nicht jedoch alle nach der BauVorlVO erforderlichen Bauvorlagen; dies hat das Verwaltungsgericht eingehend dargelegt und bedarf keiner Wiederholung. Daher sind Beklagter und Verwaltungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 9.3.2006 – 2 R 8/05 –, BRS 70 Nr. 148  und Beschluss vom   3.7.2007 – 2 B 219/07 -, SKZ 2008, 77 Leitsatz Nr. 25) zutreffend von der Unvollständigkeit des Bauantrags ausgegangen. Die 3-Monats-Frist des § 64 III 1 LBO konnte durch diesen Bauantrag nicht in Gang gesetzt werden.

Daran ändert entgegen der Meinung des Klägers auch nichts, dass ihm unter dem 20.12.2004 mitgeteilt wurde, dass sein Bauantrag bearbeitungsfähig sei, ein Hinweis auf das Fehlen von Unterlagen jedoch unterblieb. Ein Bauantrag ist zwar nach Eingang gemäß § 70 I 1 LBO von der Bauaufsichtsbehörde binnen sechs Arbeitstagen auf seine Vollständigkeit zu überprüfen (Vorprüfung). Er ist nach § 70 I 2 LBO – aber nur dann aus formalen Gründen - zurückzuweisen, wenn die Bauvorlagen so unvollständig oder fehlerhaft sind, dass sie nicht bearbeitet werden können. Für die Beseitigung geringfügiger Mängel soll nach § 70 I 3 LBO eine Frist gesetzt werden, nach deren fruchtlosem Ablauf der Antrag nach Satz 4 der Vorschrift als zurückgenommen gilt. Dass bearbeitungsfähige Bauanträge dagegen zwingend vollständig sein müssen, ergibt sich daraus nicht und ist auch tatsächlich vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt (anders die Regelung in § 66 IV 1 LBO Rheinland-Pfalz: Verpflichtung der Behörde zur Mitteilung der Vollständigkeit des Antrags). Angesichts der Tatsache, dass im vereinfachten Genehmigungsverfahren das Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde nach Maßgabe des § 64 II LBO beschränkt ist, jedoch gleichwohl die in § 1 BauVorlVO genannten Unterlagen vorgelegt werden müssen, kann die Bearbeitungsfähigkeit nur von der Vorlage der für die Prüfung erforderlichen Unterlagen abhängen, nicht aber von der Vollständigkeit des Bauantrags insgesamt. Der Kläger verkennt in diesem Zusammenhang die im vereinfachten Verfahren vom Gesetzgeber vorgegebene Reichweite der Prüfungs- und Hinweispflichten der Bauaufsichtsbehörde. Wie das Verwaltungsgericht bereits hervorgehoben hat, werden an die Sorgfaltspflichten der Bauherren bzw. der von ihnen beauftragten Entwurfsverfasser gerade im vereinfachten Verfahren nach § 64 LBO bei der Antragstellung besonders hohe Anforderungen gestellt. Das ist Folge des vom Landesgesetzgeber im Rahmen der Neufassung der Landesbauordnung gewollten Rückzugs der Bauaufsichtsbehörden aus präventiven bauaufsichtlichen Prüfungen, die durch entsprechend qualifizierte und verantwortliche Private kompensiert werden sollten. Wegen dieser erhöhten Sorgfaltspflicht haben in erster Linie die Bauherren für die Vollständigkeit ihrer Bauvorlagen zu sorgen und die Folgen für deren Unvollständigkeit zu tragen.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 II VwGO, wobei für einen Kostenausspruch zugunsten der Beigeladenen, die keinen Antrag gestellt hat und somit kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 III VwGO), kein Anlass besteht (§ 162 III VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

Gründe

Die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 124 II Nr. 3 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig.

Die Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Bestätigung gemäß § 64 III 6 LBO (LBO 2004) , dass die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung einer Fischzuchthalle mit Quarantänestation auf den Parzellen Nr. 103 und Nr. 104 in Flur der Beigeladenen gemäß Satz 5 der Vorschrift als erteilt gilt, ist statthaft (Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 9.3.2006 – 2 R 8/05 – BRS 70 Nr. 148) , da sie auf die Verpflichtung zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes gerichtet ist (Für Zulässigkeit der Klage auf Feststellung, dass Baugenehmigung als erteilt gilt: Hess. VGH, Beschluss vom 20.12.2006 – 9 UE 1572/06 -, BauR 2007, 1389 (ohne Begründung); Gleichrangigkeit von Verpflichtungs- und Feststellungsklage: VG Neustadt, Urteil vom 27.3.2001 – 4 K 1494/00.NW – ; offen gelassen OVG Koblenz, Urteil vom 10.7.2007 – 8 A 10160/07 -) . Die Klage ist auch im Übrigen als Untätigkeitsklage zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Bestätigung gemäß § 64 III 6 LBO, da sein Bauvorhaben nicht als genehmigt gilt. Vorab kann zur Begründung auf die überzeugenden eingehenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen werden.

Unstreitig unterlag der Bauantrag des Klägers vom 14.12.2004 auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Fischzuchthalle mit Quarantänestation auf den Parzellen-Nrn. 103 und 104 in Flur 4 der Gemarkung H. den Vorschriften des vereinfachten Verfahrens nach § 64 LBO. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gilt das eingeschränkte Prüfprogramm nach § 64 II 1 LBO. Geprüft werden nach Nr. 1 nur die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs und den sonstigen öffentlichrechtlichen Vorschriften außerhalb des Bauordnungsrechts, ausgenommen die Anforderungen nach der Arbeitsstättenverordnung und die Anforderungen nach der Energieeinsparverordnung sowie nach Nr. 2 beantragte Abweichungen. Nach Satz 2 der Vorschrift bleibt allerdings § 67 LBO, der bautechnische Nachweise – etwa die Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit - vorschreibt, unberührt.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers ist § 64 III 6 LBO, wonach die Bauaufsichtsbehörde auf Verlangen des Bauherrn die Genehmigung nach Satz 5 schriftlich zu bestätigen hat. Nach § 64 III 5 LBO gilt die Genehmigung als erteilt, wenn über den Bauantrag nicht innerhalb der Frist entschieden worden ist. Über den Bauantrag ist nach Satz 1 der Vorschrift innerhalb von drei Monaten nach Eingang des vollständigen Antrags zu entscheiden.

Was unter einem „vollständigen“ Bauantrag zu verstehen ist, ist im Gesetz zwar nicht definiert, geht aber gleichwohl eindeutig aus den Regelungen der LBO hervor. Dabei kann aus der Überschrift „Bauantrag und Bauvorlagen“ des § 69 LBO entgegen der Meinung des Klägers nicht geschlossen werden, dass zwischen Antrag und den beizufügenden Unterlagen zu unterscheiden sei und es für § 64 III 1 LBO nur darauf ankomme, dass der – „eigentliche“ – Bauantrag vollständig sei. Denn § 69 LBO legt fest, welche Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Bauantrag zu stellen sind. Er ist nicht nur nach Abs. 1 der Vorschrift schriftlich bei der unteren Bauaufsichtsbehörde einzureichen, sondern ihm sind auch nach Abs. 2 Satz 1 „alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen), einschließlich der bautechnischen Nachweise, beizufügen, auch soweit Anforderungen in den Verfahren nach den §§ 64 und 65 nicht geprüft werden“ (§ 69 II 1 LBO). Welche Bauvorlagen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 64 LBO vorzulegen sind, ergibt sich dabei aus §§ 1 ff. BauVorlVO.

Es genügt daher für die In-Lauf-Setzung der Frist des § 64 III 1 LBO nicht, wie der Kläger meint, dass der „eigentliche“ Antrag vollständig ist, dass also alle Unterlagen, die von der Behörde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens gemäß § 64 II LBO geprüft werden (müssen), vorliegen, sondern es müssen auch die nach den §§ 1 ff. BauVorlVO erforderlichen Unterlagen eingereicht sein, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht geprüft werden. Unstreitig hat der Kläger bei Antragstellung am 14.12.2004 zwar alle Unterlagen vorgelegt, die der Beklagte nach dem Prüfprogramm des § 64 II LBO zu prüfen hatte, nicht jedoch alle nach der BauVorlVO erforderlichen Bauvorlagen; dies hat das Verwaltungsgericht eingehend dargelegt und bedarf keiner Wiederholung. Daher sind Beklagter und Verwaltungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 9.3.2006 – 2 R 8/05 –, BRS 70 Nr. 148  und Beschluss vom   3.7.2007 – 2 B 219/07 -, SKZ 2008, 77 Leitsatz Nr. 25) zutreffend von der Unvollständigkeit des Bauantrags ausgegangen. Die 3-Monats-Frist des § 64 III 1 LBO konnte durch diesen Bauantrag nicht in Gang gesetzt werden.

Daran ändert entgegen der Meinung des Klägers auch nichts, dass ihm unter dem 20.12.2004 mitgeteilt wurde, dass sein Bauantrag bearbeitungsfähig sei, ein Hinweis auf das Fehlen von Unterlagen jedoch unterblieb. Ein Bauantrag ist zwar nach Eingang gemäß § 70 I 1 LBO von der Bauaufsichtsbehörde binnen sechs Arbeitstagen auf seine Vollständigkeit zu überprüfen (Vorprüfung). Er ist nach § 70 I 2 LBO – aber nur dann aus formalen Gründen - zurückzuweisen, wenn die Bauvorlagen so unvollständig oder fehlerhaft sind, dass sie nicht bearbeitet werden können. Für die Beseitigung geringfügiger Mängel soll nach § 70 I 3 LBO eine Frist gesetzt werden, nach deren fruchtlosem Ablauf der Antrag nach Satz 4 der Vorschrift als zurückgenommen gilt. Dass bearbeitungsfähige Bauanträge dagegen zwingend vollständig sein müssen, ergibt sich daraus nicht und ist auch tatsächlich vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt (anders die Regelung in § 66 IV 1 LBO Rheinland-Pfalz: Verpflichtung der Behörde zur Mitteilung der Vollständigkeit des Antrags). Angesichts der Tatsache, dass im vereinfachten Genehmigungsverfahren das Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde nach Maßgabe des § 64 II LBO beschränkt ist, jedoch gleichwohl die in § 1 BauVorlVO genannten Unterlagen vorgelegt werden müssen, kann die Bearbeitungsfähigkeit nur von der Vorlage der für die Prüfung erforderlichen Unterlagen abhängen, nicht aber von der Vollständigkeit des Bauantrags insgesamt. Der Kläger verkennt in diesem Zusammenhang die im vereinfachten Verfahren vom Gesetzgeber vorgegebene Reichweite der Prüfungs- und Hinweispflichten der Bauaufsichtsbehörde. Wie das Verwaltungsgericht bereits hervorgehoben hat, werden an die Sorgfaltspflichten der Bauherren bzw. der von ihnen beauftragten Entwurfsverfasser gerade im vereinfachten Verfahren nach § 64 LBO bei der Antragstellung besonders hohe Anforderungen gestellt. Das ist Folge des vom Landesgesetzgeber im Rahmen der Neufassung der Landesbauordnung gewollten Rückzugs der Bauaufsichtsbehörden aus präventiven bauaufsichtlichen Prüfungen, die durch entsprechend qualifizierte und verantwortliche Private kompensiert werden sollten. Wegen dieser erhöhten Sorgfaltspflicht haben in erster Linie die Bauherren für die Vollständigkeit ihrer Bauvorlagen zu sorgen und die Folgen für deren Unvollständigkeit zu tragen.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 II VwGO, wobei für einen Kostenausspruch zugunsten der Beigeladenen, die keinen Antrag gestellt hat und somit kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 III VwGO), kein Anlass besteht (§ 162 III VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

(1) Jeder Vertragschließende kann sich der sofortigen Vollstreckung aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne des § 54 Satz 2 unterwerfen. Die Behörde muss hierbei von dem Behördenleiter, seinem allgemeinen Vertreter oder einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes, der die Befähigung zum Richteramt hat, vertreten werden.

(2) Auf öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 ist das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes entsprechend anzuwenden, wenn Vertragschließender eine Behörde im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ist. Will eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts oder eine nichtrechtsfähige Vereinigung die Vollstreckung wegen einer Geldforderung betreiben, so ist § 170 Abs. 1 bis 3 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden. Richtet sich die Vollstreckung wegen der Erzwingung einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gegen eine Behörde im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2, so ist § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 17. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die im Bescheid vom 10. Februar 2016 erfolgte Rücknahme einer nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO als erteilt geltenden Baugenehmigung.

2

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem älteren Wohnhaus bebauten Grundstücks … in H …, das nach dem Bauantrag umgebaut werden soll. U.a. ist die Einrichtung zusätzlicher Wohnräume im Souterrain, der Einbau eines von dort bis in das Dachgeschoss führenden Fahrstuhls, die Verlegung der erforderlichen Zugangstreppe zum Haus, die Neugestaltung des Treppenhauses sowie ein Umbau des Dachgeschosses vorgesehen. Für das Grundstück gilt der Baustufenplan H … vom 6. September 1955, der insoweit u.a. die Festsetzung „W2g, besonders geschütztes Wohngebiet“ trifft. Ferner liegt das Grundstück im Geltungsbereich der Verordnung über die Erhaltung baulicher Anlagen in H … vom 26. April 1988. Zum Bauantrag vom Oktober 2014 forderte die Antragsgegnerin mehrfach weitere Bauvorlagen nach. Diese wurden – trotz bekundeter gegenteiliger Rechtsauffassung zur Berechtigung der Nachforderung – seitens der Antragstellerin, zuletzt am 12. November 2015, vorgelegt. Die Antragstellerin begehrte von der Antragsgegnerin u.a. im Januar 2016 die Erteilung einer Bescheinigung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion, nachdem die Antragsgegnerin nicht binnen zwei Monaten nach Vorlage der ergänzenden Bauvorlagen am 12. November 2015 über den Bauantrag entschieden hatte.

3

Die Antragsgegnerin vertrat die Auffassung, der Antrag sei insbesondere wegen Mängeln beim Brandschutz und aufgrund der bestehenden Erhaltungssatzung nicht genehmigungsfähig. In einem Gespräch mit Vertretern der Antragstellerin am 3. Februar 2016 stellte die Antragsgegnerin die Erteilung einer Bescheinigung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion in Aussicht, wenn die Antragstellerin bis zum 5. Februar 2016 genehmigungsfähige Unterlagen zum Brandschutz bezüglich der Aufstellungsfläche für die Feuerwehr zur Sicherung des zweiten Rettungsweges aus den Obergeschossen sowie hinsichtlich des Fahrstuhlschachtes vorlege.

4

Am 5. Februar 2016 reichte die Antragstellerin zwei geänderte Bauvorlagen für die Sicherstellung der Aufstellfläche der Feuerwehr ein und erhielt am selben Tag eine „Bestätigung der Genehmigungsfiktion“ vom 5. Februar 2016 für ihren Bauantrag. Die Bestätigung enthielt unter „Hinweise“ die Aufforderung, die „bautechnischen Nachweise gemäß BauVorlVO“ einzureichen und näher bezeichnete Anforderungen der §§ 5, 30 und 37 HBauO bei der Gestaltung der Aufstellfläche für die Feuerwehr, (u.a.) der Errichtung von Dachgauben und Dachaufbauten sowie der Gestaltung des Fahrstuhlschachtes zu beachten. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom selben Tag wandte sich die Antragstellerin gegen die Aufforderung zur Vorlage bautechnischer Nachweise und legte insoweit „Widerspruch“ ein.

5

Mit Bescheid vom 10. Februar 2016 nahm die Antragsgegnerin die „Bestätigung der Genehmigungsfiktion“ vom 5. Februar 2016 unter Anordnung des Sofortvollzugs zurück und lehnte die Baugenehmigung insgesamt ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die durch die Bestätigung erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig, weil sie öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspreche, wie unter Nr. 2.1 bis 2.3 der Ablehnung der Baugenehmigung ausgeführt werde. Das Interesse des begünstigten Bauherrn an der Ausnutzung der fingierten Baugenehmigung sei nicht in dem Maße schutzwürdig, dass es unter Berücksichtigung der Nachbarrechte eines Nachbareigentümers und dem gesetzgeberischen Willen, eine Baugenehmigung nur bei Übereinstimmung des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu erteilen, gegenüber den öffentlichen Interessen überwiege. Für die am 5. Februar 2016 nachgereichte Planung lägen die Voraussetzungen des § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO nicht vor. Zur Begründung der Ablehnung der Baugenehmigung wurde ausgeführt, die Genehmigung nach § 173 Abs. 1 BauGB könne nicht erteilt werden, da sich das Vorhaben typologisch nicht in die Bebauungsstruktur einfüge und milieuschädigend auf das Gebiet auswirke (Nr. 2.1), eine erforderliche Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB für die Verlegung der Eingangstreppe an die Grundstücksgrenze nicht erteilt werden könne, da die Befreiung städtebaulich nicht vertretbar sei und nachbarliche Interessen entgegenstünden (Nr. 2.2) und bauordnungsrechtliche Abweichungen nach § 69 BauO für eine solche von § 5 Abs. 3 HBauO bezüglich der Aufstellfläche für die Feuerwehr (Nr. 2.3.1), von § 6 Abs. 5 HBauO bezüglich der Abstandsfläche der Eingangstreppe (Nr. 2.3.2) und von § 37 Abs. 2 HBauO bezüglich der Feuerwiderstandsfähigkeit der Fahrschachttüren (Nr. 2.3.3) nicht erteilt werden könnten. – Der Sofortvollzug der Rücknahme der Fiktion werde angeordnet, weil andernfalls ein Widerspruch der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung der Rücknahmeentscheidung auslösen und in der Folge davon die Ablehnung der Baugenehmigung rechtswidrig würde. Auch könne der Bauherr dann während des Rechtsstreits das Vorhaben verwirklichen, obwohl es nicht genehmigungsfähig sei. Die damit verbundenen rechtswidrigen Zustände müssten verhindert werden.

6

Den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 15. Februar 2016 gegen die Rücknahmeentscheidung der Antragsgegnerin hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Mai 2016 abgelehnt und zur Begründung im Kern ausgeführt, die Baugenehmigung gelte nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO als erteilt; hierüber habe die Antragsgegnerin unter dem 5. Februar 2016 eine Bestätigung in Form eines feststellenden Verwaltungsaktes erlassen. Sie stelle verbindlich fest, dass die Voraussetzungen des § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO vorliegen. Dieser Verwaltungsakt sei aber rechtswidrig, weil der erforderliche zweite Rettungsweg aus dem Dachgeschoss weiterhin nicht nachgewiesen sei; ob weitere Mängel vorlägen, insbesondere die Neugestaltung des Eingangsbereichs gegen § 172 Abs. 1 BauGB verstoße, könne dahinstehen. Dies sei deshalb der Fall, weil auch unter Berücksichtigung der am 5. Februar 2016 nachgereichten Bauvorlagen 53/47 und 53/48 nicht erkennbar sei, dass das insoweit für den erforderlichen zweiten Rettungsweg allein in Betracht kommende Fenster im 2. Obergeschoss eine erforderliche lichte Öffnung von 0,9 m x 1,2 m aufweise, wie diese nach § 35 Abs. 4 HBauO erforderlich sei. Es sei nämlich den Bauvorlagen nicht zu entnehmen, ob das nach der Bauvorlage 53/39 geteilte Fenster über einen festen Mittelpfosten verfüge, der seine Eignung als Rettungsweg ausschließe. Selbst wenn es geeignet sei, erfülle die Aufstellfläche der Feuerwehr in den Bauvorlagen 53/47 und 53/48, die Gegenstand der Bestätigung seien, nicht die gesetzlichen Anforderungen, weil die Aufstellfläche nach Ziff. 10 der gemäß § 3 Abs. 3 HBauO verbindlichen „Richtlinien über Flächen für die Feuerwehr“ nicht mehr als 1 m von der Außenwand entfernt enden dürfe. Unter Berücksichtigung der nunmehr im Souterrain vorgesehenen Kasematte zur Vermeidung einer zu großen Neigung der Aufstellfläche ergebe sich jedoch ein Abstand von 2 Metern. Die Kasematte reiche bis zu ca. 1,50 m vor die Außenwand des Hauses; hinzu trete, dass das Fenster im 2. Obergeschoss gegenüber der Außenwand im Bereich des Souterrains um weitere ca. 0,5 m zurückgesetzt sei. Die Antragstellerin habe auch im gerichtlichen Verfahren nicht nachgewiesen, dass die Entfernung von 2 Metern den Anforderungen der Richtlinie gleichwertig sei. Das Rücknahmeermessen sei rechtsfehlerfrei begründet worden. Es bestehe auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Umsetzung der Rücknahmeentscheidung, da die fingierte Baugenehmigung andernfalls ausgenutzt werden könne, was mit erheblichen Gefahren für die Nutzer des Gebäudes verbunden wäre.

II.

7

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

8

1. Zwar wird mit der Beschwerde die allein tragende Annahme des Verwaltungsgerichts für seine Entscheidung erschüttert, mit dem Bauantrag der Antragstellerin und den zugehörigen Bauvorlagen werde der nach § 31 Abs. 2 HBauO erforderliche zweite Rettungsweg für die Feuerwehr im Brandfall für die Wohnung im 2. Obergeschoss (und im Dachgeschoss) des Hauses nicht nachgewiesen, weil die Aufstellfläche für die Feuerwehr nicht 1 Meter vor der Außenwand des Gebäudes ende. Mit der Beschwerdebegründung macht die Antragstellerin unter Bezugnahme auf die gutachtliche Stellungnahme des Ingenieurbüros W… vom 24. Juni und 19. Mai 2016 insoweit hinreichend glaubhaft, dass auch ein horizontaler Abstand zwischen dem anleiterbaren Fenster im zweiten Obergeschoss und dem Beginn der Aufstellfläche für die Feuerwehr auf der natürlichen Geländeoberfläche von ca. 2 Metern ausreichend ist, um eine der Regelannahme gleichwertige Sicherheit herzustellen. Der Sachverständige für vorbeugenden Brandschutz Dipl.-Ing. B… hat in seiner Stellungnahme vom 19. Mai 2016 insoweit nachvollziehbar ausgeführt, dass – wenn die sonstigen Anforderungen an die Aufstellfläche erfüllt sind – von der Feuerwehr noch ein Abstand von bis zu 5 Metern als tolerabel angesehen werde.

9

Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass auf die Beschwerde der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wieder herzustellen ist. Vielmehr führt er dazu, dass das Beschwerdegericht nunmehr berechtigt und verpflichtet ist, das streitige Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz ohne Bindung an die mit der Beschwerde dargelegten Gründe umfassend zu prüfen (st. Rspr. OVG Hamburg, Beschl. v. 1.10.2010, 2 Bs 178/10; Beschl. v. 28.7.2009, 2 Bs 67/09, juris).

10

2. Die umfassende Prüfung im Beschwerdeverfahren ergibt jedoch ebenfalls, dass die Antragsgegnerin die nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO bestehende Fiktion einer Baugenehmigung im Bescheid vom 10. Februar 2016 zu Recht zurückgenommen hat.

11

a) Der nach § 31 Abs. 2 Satz 2 HBauO erforderliche zweite Rettungsweg ist für die Wohnung im zweiten Obergeschoss (und Dachgeschoss) nicht vorhanden, weil die Aufstellfläche für die Feuerwehr nach den für den Eintritt der Fiktionswirkung maßgeblichen Bauvorlagen nicht mit den Anforderungen der §§ 5 Abs. 3, 3 Abs. 3 HBauO in Verbindung mit der Technischen Baubestimmung „Richtlinien über Flächen für die Feuerwehr“ übereinstimmt und die Antragsgegnerin unter Ziff. 2.3.1 des Bescheides zu Recht davon ausgegangen ist, dass insoweit die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nach § 69 HBauO nicht vorliegen, weil eine gleichwertige Sicherheit nicht besteht.

12

Denn Gegenstand einer fingierten Baugenehmigung nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO kann nur jenes Bauvorhaben sein, das zum Ablauf der Bearbeitungsfrist – hier nach § 61 Abs. 3 Satz 1 HBauO – anhand der vollständigen, nach § 70 Abs. 2 Satz 2 HBauO erforderlichen Unterlagen zur Genehmigung gestellt worden ist. Spätere Änderungen, die erst nach Eintritt der Fiktionswirkung vorgelegt werden, vermögen den Gegenstand der fingierten Baugenehmigung (ohne ausdrückliche Änderungsgenehmigung) nicht zu verändern. Andernfalls ließe sich der mangels Bescheid vielfach ohnehin erschwert zu ermittelnde Gegenstand des zugelassenen Bauvorhabens nicht hinreichend bestimmen. Diese Geltungsgrenze einer fingierten Baugenehmigung macht auch § 70 Abs. 2 Satz 3 HBauO deutlich, in dem geregelt wird, dass in der Rechtsverordnung nach § 81 Abs. 6 HBauO zwar bestimmt werden kann, dass Bauvorlagen nachgereicht werden können, diese aber bei der Beurteilung der Vollständigkeit des Bauantrags und der daran geknüpften Fristen des § 61 Abs. 3 HBauO außer Betracht bleiben.

13

Gegenstand der fingierten Baugenehmigung für das Bauvorhaben der Antragstellerin sind hier jedoch lediglich jene Bauvorlagen, die mit dem Bauantrag und ergänzend auf die Aufforderung der Antragsgegnerin - zuletzt auf deren Aufforderung vom 12. Oktober 2015 - am 12. November 2015 eingereicht worden sind. Die Fiktionswirkung nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO ist auf der Basis dieser Unterlagen – wie auch die Antragsgegnerin im Verfahren angenommen hat – am 12. Januar 2016 eingetreten. Insoweit kann dahinstehen, ob die Auffassung der Antragstellerin zutreffend war, die vollständigen erforderlichen Unterlagen hätten der Antragsgegnerin bereits am 20. August 2015 vorgelegen und die Nachforderung vom 12. Oktober 2015 sei unberechtigt gewesen mit der Folge, dass die Fiktionswirkung bereits am 20. Oktober 2015 eingetreten sei. Gegenstand dieser Bauvorlagen ist durchgängig ein Bauvorhaben, das die ehemalige Garagenrampe vor dem neuen Wohnraum im ehemaligen Garagenbereich aufrechterhält. Kennzeichnend hierfür ist auch, dass die Beschreibung des Bauvorhabens im Antrag vom 20. Oktober 2014 u.a. den Umbauzweck dahin gekennzeichnet hat, dass im Untergeschoss eine „barrierefreie Zufahrt“ zum Gebäude geschaffen bzw. aufrecht erhalten bleiben und dem Zugang zum Fahrstuhl dienen soll. Dies setzt die Beibehaltung der ehemaligen Garagenzufahrt notwendig voraus.

14

Diese Lösung entspricht bei weitem nicht den Anforderungen der o.g. Technischen Bestimmungen, da die Aufstellfläche mit 13 % eine weitaus größere Neigung als die zulässigen 5 % aufweist und zudem nicht die erforderliche Breite von insgesamt 6 Metern hat (Aufstellfläche 3,5 m zuzüglich erforderlicher Bewegungsfläche je Seite 1,25 m). Die Voraussetzungen für eine Abweichungsentscheidung zu Gunsten der Antragstellerin nach § 69 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HBauO lagen deshalb nicht vor. Dies kommt auch in der Stellungnahme der Feuerwehr Hamburg vom 10. Februar 2015 (Bl. 34 des Genehmigungsvorgangs) zum Ausdruck. Dass eine gleichwertige Eignung der Aufstellfläche in dieser Konstellation noch gegeben sei, ist auch den Ausführungen des Dipl.-Ing. B… nicht zu entnehmen, da Gegenstand seiner Ausführungen ausschließlich das Brandschutzkonzept auf der Basis der Änderung des Vorhabens vom 5. Februar 2016 ist.

15

Die vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Bauvorlagen 53/47 und 53/48, die einen Verzicht auf die Beibehaltung der Rampe (und einen barrierefreien Zugang zum Wohnhaus) enthalten und die erforderliche Breite der Aufstellfläche aufweisen, können für den Inhalt der fingierten Baugenehmigung keine Berücksichtigung finden. Sie sind (erst) am 5. Februar 2016 als Konsequenz des Gesprächs zwischen den Architekten der Antragstellerin und der Bediensteten der Antragsgegnerin vom 3. Februar 2016 eingereicht worden, da letztere deutlich gemacht hatten, dass die Neigung von 13 % nicht genehmigungsfähig sei und zur Rücknahme der Baugenehmigung kraft Fiktionswirkung führen müsse. Soweit die Antragsgegnerin in der „Bestätigung der Fiktionswirkung“ vom 5. Februar 2016 von einer anderen rechtlichen Auffassung ausgegangen sein sollte, ist dies angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung unzutreffend und in der Begründung des Rücknahmebescheids ausdrücklich korrigiert worden. Demgemäß kommt es für die Beurteilung der fingierten Baugenehmigung gemäß § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO auf die vom Verwaltungsgericht als maßgeblich angesehene Überschreitung der horizontalen Entfernung zwischen dem möglicherweise anleiterbaren Fenster im zweiten Obergeschoss und dem hausseitigen Beginn der Aufstellfläche für die Feuerwehr um ca. 1 Meter nicht an.

16

b) Zutreffend hat die Antragsgegnerin unter Nr. 2.3.3 des Bescheids vom 10. Februar 2016 ferner darauf abgestellt, dass die Einhaltung der Brandschutzvorschriften hinsichtlich des einzubauenden Fahrstuhls mit den Angaben in den vorgelegten Bauvorlagen nicht sichergestellt sei. Denn weder die zeichnerischen Bauvorlagen noch die Baubeschreibung (Bauvorlagen 53/12 und 53/26 bzw. 45 – „Angaben zum Fahrstuhl werden nachgereicht“) oder die Ausführungen zum vorgesehenen Brandschutz/Rettungskonzept (in Bauvorlage 53/12) enthalten Angaben dazu, wie die erforderliche Brandsicherheit im Verhältnis zum Treppenhaus als erstem Rettungsweg nach den Regelungen der §§ 33, 37 HBauO hergestellt werden soll. Auch die Stellungnahme der Feuerwehr Hamburg vom 10. Februar 2016 hält insoweit eine Anpassung des Aufzugsschachtes an die gesetzlichen Vorgaben für erforderlich (Ziff. 4 letzter Absatz der Stellungnahme). Soweit die gutachtliche Stellungnahme des Dipl.-Ing. B… vom 19. Mai 2016 detaillierte Angaben über die dem genügende Ausführung des Fahrstuhls enthalten mag, sind diese für die Frage der Rücknahme der fingierten Baugenehmigung ohne Belang, da insoweit allein auf den Inhalt der Antragsunterlagen abzustellen ist, die die Fiktionswirkung ausgelöst haben.

17

Dahinstehen kann im Hinblick auf die Begründung des Rücknahmebescheids, ob die fingierte Baugenehmigung auch hinsichtlich der baulichen Gestaltung des Dachgeschosses brandschutzrechtlich nicht mit den gesetzlichen Anforderungen in Einklang steht (Ziff. 3 der Stellungnahme der Feuerwehr vom 10.2.2016).

18

c) Demgegenüber dürften die weiteren in der Rücknahmeentscheidung angeführten Gründe nicht geeignet sein, diese zu tragen.

19

Insoweit wird die Antragsgegnerin zu Unrecht davon ausgegangen sein, dass die Verlegung der nach den Höhenverhältnissen erforderlichen Zugangstreppe zum Erdgeschoss – die im Übrigen bereits zur Sicherstellung der erforderlichen Aufstellfläche für die Feuerwehr notwendig sein dürfte - an die seitliche Grundstücksgrenze gegen die Abstandsvorschriften des § 6 Abs. 5 HBauO verstoße und überdies eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erfordere (Ziff. 2.2. und 2.3.2 der Begründung). Da der maßgebliche Baustufenplan Harvestehude / Rotherbaum für das Baugrundstück eine geschlossene Bauweise festsetzt und keine nach § 13 Abs. 1 BPVO planungsrechtlich festgelegte vordere Baulinie oder Baugrenze besteht, wird die Zulässigkeit der Zugangstreppe an der Grundstücksgrenze bereits nach § 6 Abs. 1 Satz 3 HBauO aus dem Vorrang des Bauplanungsrechts und der dort festgesetzten geschlossenen Bauweise gegenüber den bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften folgen (vgl. hierzu z.B. OVG Hamburg, Beschl. v. 8.6.2015, 2 Bs 97/15; Beschl. v. 29.3.2010, 2 Bs 30/10). Da auf Grundstücken in der näheren Umgebung, wie auch aus den im Verfahren von der Antragstellerin eingereichten Lichtbildern ersichtlich ist (Bl. 53, 54 GerAkte), seit je her grenzständige Zugangstreppen in den Vorgärten gebäudetypisch vorhanden sind, verstößt eine solche Treppe auch nicht typischerweise gegen das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot; besondere Gründe für eine andere nachbarrechtliche Beurteilung führt die Antragsgegnerin im Bescheid nicht an und sind auch sonst aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich.

20

Auch in Bezug auf die Erhaltungssatzung dürfte die vorgesehene Lage der Zugangstreppe nicht geeignet sein, die im Bescheid nicht weiter konkretisierten städtebaulichen Ziele der Erhaltungssatzung in Frage zu stellen, so dass insoweit die Voraussetzungen für eine Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 173 BauGB ebenfalls nicht erfüllt sein dürften. Gleichermaßen ist die pauschale Begründung, das Vorhaben verstoße – insgesamt - gegen die Zielsetzungen der städtebaulichen Erhaltungsverordnung, weil der geplante Umbau sich typologisch nicht in die vorhandene Bebauungsstruktur einfüge und milieuschädigend auf das Gebiet auswirke (Ziff. 2.1 der Begründung), gänzlich unbestimmt und nicht geeignet, die Rücknahmeentscheidung tragen. Denn auch diese Begründung lässt weder erkennen, welche konkreten Schutzziele der Erhaltungsverordnung durch das Bauvorhaben betroffen sind noch welche konkreten Bestandteile der Baumaßnahmen aus welchen Schutzerwägungen mit der Verordnung nicht vereinbar sein sollen.

21

d) Die Ausübung des Rücknahmeermessens lässt auch unter Berücksichtigung der Ausführungen zu c) im Ergebnis keinen Ermessensfehler i.S.v. § 114 VwGO erkennen.

22

Denn die Begründung der Rücknahmeentscheidung bringt zum Ausdruck, dass die Antragsgegnerin erkannt hat, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte und sie das Rücknahmeermessen auch ausgeübt hat. Denn sie hat das öffentliche Interesse an der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an Bauvorhaben mit dem Interesse der Antragstellerin an einer zügigen Ausnutzung der (fingierten) Baugenehmigung abgewogen und hierbei dem öffentlichen Interesse maßgeblich auch wegen des fehlenden Nachweises der Rettungswege den Vorrang gegeben. Deren besondere Bedeutung für ihre Entscheidung ergibt sich nicht nur aus dem Verweis auf Ziff. 2.3.1 und 2.3.3 der Begründung, sondern - dies stützend – auch aus der der Antragstellerin bekannten Bedeutung, die die Antragsgegnerin im Gespräch vom 3. Februar 2016 der Einhaltung der brandschutzrechtlichen Anforderungen beigemessen hat. Denn in jenem Gespräch hat die Antragsgegnerin ein Absehen von einer Rücknahme der fingierten Baugenehmigung von der kurzfristigen Vorlage brandschutzkonformer Bauvorlagen abhängig gemacht (Aktenvermerk Bl. 26 Genehmigungsakte).

23

Angesichts der Bedeutung der auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 61 HBauO gemäß §§ 61 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 68 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 lit. c) HBauO von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfenden Unterlagen zur Wahrung der Anforderungen des Brandschutzes einschließlich der Anforderungen an Rettungswege für die Gefahrenabwehr sind diese im Rücknahmebescheid genannten Verstöße selbständig geeignet, die Rücknahme der fingierten Baugenehmigung zu rechtfertigen, und lassen den Schluss zu, dass die Antragsgegnerin den Rücknahmebescheid auch erlassen hätte, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass die unter c) genannten Gründe die Rücknahmeentscheidung nicht rechtfertigen dürften.

24

Soweit die Antragstellerin insbesondere erstinstanzlich geltend gemacht hat, die Antragsgegnerin habe ihr Rücknahmeermessen fehlerhaft ausgeübt, weil im Gespräch vom 3. Februar 2016 Einigkeit erzielt worden sei, dass das Vorhaben rechtmäßig sei, wenn konkrete Vorgaben – insbesondere zur Feuerwehraufstellfläche - erfüllt würden, reicht dies deshalb nicht aus, um einen Ermessensfehler zu begründen. Denn Gegenstand der Vorgaben war nach dem zugehörigen Aktenvermerk, dass die Antragstellerin bis zum 5. Februar 2016 eine den gesetzlichen Anforderungen gleichwertige Lösung hinsichtlich der Erfüllung aller Brandschutz- und Rettungsweganforderungen vorlegte. Diese ist für den Fahrstuhlschacht (Ziff. 2.3.3 der Rücknahmegründe) nicht vorgelegt worden, sondern nach den dem Beschwerdegericht vorliegenden Unterlagen erstmals Gegenstand der Ausführungen des Dipl.-Ing. B… vom 19. Mai 2016. Zudem hat die Antragstellerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 5. Februar 2016 „Widerspruch“ gegen die in der Fiktionsbescheinigung enthaltene Aufforderung eingelegt, bautechnische Nachweise zur Statik zur Prüfung einzureichen, weil sie diese aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion für entbehrlich hält und deshalb der Auffassung war/ist, auf der Basis der Fiktionsbescheinigung unmittelbar mit den Bauarbeiten beginnen zu dürfen. Vor diesem Hintergrund ist es weder widersprüchlich noch unverhältnismäßig, wenn sich die Antragsgegnerin letztlich zur Rücknahme der fingierten Baugenehmigung entschlossen hat, weil anderenfalls auf der Basis der Rechtsauffassung der Antragstellerin mit dem für den 8. Februar 2016 bereits angezeigten Baubeginn unmittelbar zu rechnen war.

25

3. Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Beschwerdegericht vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Rücknahme der fingierten Baugenehmigung und dem von der Antragsgegnerin den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügend begründeten öffentlichen Interesse an einem Fortbestand der angeordneten sofortigen Vollziehung der Rücknahme ist dem öffentlichen Interesse letztlich der Vorrang einzuräumen. Denn die inhaltlichen Mängel der von der Fiktionswirkung erfassten Bauvorlagen hinsichtlich der Wahrung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen des Brandschutzes und an die Rettungswege erfordern sowohl hinsichtlich der Aufstellfläche wie bei der Gestaltung des Fahrstuhlschachtes Um- oder Ergänzungsplanungen, die ihrerseits genehmigungspflichtig sind und durch einen Beginn der Bauarbeiten nicht in Frage gestellt werden dürfen.

26

Ein überwiegendes öffentliches Interesse fehlt vorliegend nicht etwa deshalb, weil ein Baubeginn gegenwärtig auch ohne Anordnung des Sofortvollzugs nicht unmittelbar möglich wäre, weil die Antragsgegnerin – in der Bestätigung vom 5. Februar 2016 - zu Recht davon ausgegangen sein dürfte, dass die fingierte Baugenehmigung nach § 61 Abs. 3 Satz 4 HBauO die geforderte Vorlage statischer Nachweise nach § 70 Abs. 2 Satz 3 HBauO nicht erfasst. Da dieser Umstand zwischen den Beteiligten streitig ist und die Antragstellerin Widerspruch gegen die Vorlageforderung eingelegt hat, besteht Anlass, diesen Umstand in die Abwägung einzubeziehen. Denn das in die Abwägung einzustellende Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung des Sofortvollzugs besteht ersichtlich vor allem darin, sogleich allein auf der Basis der fingierten Baugenehmigung während des Widerspruchs- und eines evtl. Klageverfahrens die beantragten Bauarbeiten an ihrem Wohnhaus durchzuführen.

III.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.1.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung 2013).

(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.

(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder
2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 17. September 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 33 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine Allgemeinverfügung, durch welche die Bundesnetzagentur ein Versteigerungsverfahren zur Vergabe von Frequenzen in den Bereichen 800 MHz, 1,8 GHz, 2 GHz und 2,6 GHz für den drahtlosen Netzzugang zum Angebot von Telekommunikationsdiensten angeordnet hat.

2

Die auf Aufhebung dieser Anordnung gerichtete Klage der Klägerin hatte das Verwaltungsgericht abgewiesen. Insoweit hatte das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 22. Juni 2011 - 6 C 5.10 - (Buchholz 442.066 § 55 TKG Nr. 7) auf die Revision der Klägerin das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen: Ein Vergabeverfahren könne gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 TKG 2004 als Versteigerungsverfahren oder als Ausschreibungsverfahren durchgeführt werden. Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 TKG 2004 sei grundsätzlich das Versteigerungsverfahren durchzuführen, falls dieses Verfahren nicht ausnahmsweise ungeeignet sei, die Regulierungsziele zu erreichen. Für diese Bewertung sei ein Beurteilungsspielraum der Bundesnetzagentur anzuerkennen. Dieser Beurteilungsspielraum sei freilich zum einen dadurch eingeschränkt, dass § 61 Abs. 2 Satz 1 TKG 2004 ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Versteigerungsverfahrens vorgebe, also grundsätzlich von der Geeignetheit dieses Verfahrens zur Erreichung der Regulierungsziele ausgehe. Eine gegenläufige Einschränkung ergibt sich aus § 61 Abs. 2 Satz 2 TKG 2004, nach dem die Eignung des Versteigerungsverfahrens zur Sicherstellung der Regulierungsziele ausnahmsweise unter anderem dann fehlen könne, wenn auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt, für den die Funkfrequenzen unter Beachtung des Frequenznutzungsplanes verwendet werden dürften, bereits Frequenzen ohne vorherige Durchführung eines Versteigerungsverfahrens zugeteilt worden seien. Ob dies hier der Fall sei, lasse sich aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen. Die dafür erforderlichen Feststellungen habe das Verwaltungsgericht nachzuholen. Ohne die bislang fehlende Marktabgrenzung könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich die von der Bundesnetzagentur vorgenommene Beurteilung der Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens als unplausibel und damit wegen Überschreitung der Grenzen des Beurteilungsspielraums als rechtswidrig erweise.

3

Während des daraufhin fortgesetzten Klageverfahrens hat die Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur die angegriffene Allgemeinverfügung durch Erwägungen vom 30. November 2012 zur Eignung des Versteigerungsverfahrens ergänzt. Das Verwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweisanträge der Klägerin abgelehnt und die Klage sodann erneut abgewiesen: Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten des Versteigerungsverfahrens sei hier nicht aufgehoben. Auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt seien zuvor noch keine Frequenzen ohne vorherige Durchführung eines Versteigerungsverfahrens zugeteilt worden. Selbst wenn der Markt bzw. die Märkte, für welche die jetzt zu vergebenden Frequenzen verwendet werden dürften, im Sinne des § 61 Abs. 2 Satz 1 TKG 2004 identisch mit dem Markt bzw. den Märkten seien, für welche bereits zuvor Frequenzen ohne vorheriges Versteigerungsverfahren zugeteilt worden seien, sei die Entscheidung für das Versteigerungsverfahren nunmehr beurteilungsfehlerfrei. Die Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur habe ihre hierauf bezogenen Erwägungen in der Allgemeinverfügung in rechtlich zulässiger Weise ergänzt. Die ergänzenden Erwägungen trügen die Entscheidung für ein Versteigerungsverfahren auch unter der Prämisse, dass der Beurteilungsspielraum nicht zu Gunsten dieses Verfahrens gesetzlich vorgesteuert sei.

4

Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

5

Die Beschwerde ist unbegründet. Durchgreifende Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf den ausschließlich geltend gemachten Verfahrensfehlern im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, so sie denn überhaupt vorliegen.

6

Das Verwaltungsgericht hat das angefochtene Urteil auf zwei je selbständig tragende Gründe gestützt. Es hat zum einen angenommen, die Anordnung eines Versteigerungsverfahrens sei rechtmäßig, weil die jetzt zu vergebenden Frequenzen auf einem sachlich und räumlich relevanten Markt verwendet werden dürften, auf dem nicht bereits zuvor Frequenzen ohne vorherige Durchführung eines Versteigerungsverfahrens zugeteilt worden seien, diesem Verfahren daher nach § 61 Abs. 2 TKG 2004 der gesetzlich bestimmte Vorrang vor einem Ausschreibungsverfahren zukomme und die Bundesnetzagentur für diesen Fall schon mit ihren ursprünglichen Erwägungen die Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens ohne Beurteilungsfehler bewertet habe. Das Verwaltungsgericht hat zum anderen angenommen, die Anordnung eines Versteigerungsverfahrens sei auch dann rechtmäßig, wenn die jetzt zu vergebenden Frequenzen auf einem sachlich und räumlich relevanten Markt verwendet werden dürften, auf dem bereits zuvor Frequenzen ohne vorherige Durchführung eines Versteigerungsverfahrens zugeteilt worden seien, diesem Verfahren daher der gesetzlich bestimmte Vorrang vor einem Ausschreibungsverfahren nicht zukomme, denn die Bundesnetzagentur habe für diesen Fall mit ihren ergänzenden Erwägungen die Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens ohne Beurteilungsfehler bewertet.

7

Ist ein Urteil in dieser Weise auf zwei selbständig tragende Gründe gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn gegen beide tragenden Gründe durchgreifende Zulassungsgründe geltend gemacht sind und vorliegen. Wenn nur bezogen auf eine Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Das angefochtene Urteil beruht deshalb nicht auf der Begründung, die hinweggedacht werden kann, und auf mit ihr etwa verbundenen Verfahrensfehlern.

8

Die Klägerin hat jedenfalls insoweit keine durchgreifenden Zulassungsgründe geltend gemacht, als das Verwaltungsgericht sein Urteil auf die Annahme gestützt hat, auch bei fehlendem gesetzlichen Vorrang des Versteigerungsverfahrens habe die Bundesnetzagentur mit ihren ergänzenden Erwägungen sich beurteilungsfehlerfrei für diese Form des Vergabeverfahrens entschieden.

9

1. Ohne Erfolg bleibt die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt.

10

a) Die Klägerin erhebt diesen Vorwurf mit Blick auf die Auffassung des Verwaltungsgerichts, § 61 Abs. 2 Satz 1 TKG 2004 lasse es zu, die Frage offenzulassen, ob die bereits ohne Versteigerung zugeteilten Frequenzen auf einem anderen räumlich und sachlich relevanten Markt zugeteilt wurden, und bei einer Entscheidung für das Versteigerungsverfahren zu unterstellen, dass der Beurteilungsspielraum nicht durch die gesetzliche Vorgabe in § 61 Abs. 2 Satz 1 TKG 2004 vorgesteuert sei. Die Klägerin meint, hiermit setze sich das Verwaltungsgericht in einen offenen Widerspruch zu der zurückverweisenden Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Sie sieht ihren effektiven Rechtsschutz vor allem dadurch beeinträchtigt, dass das Verwaltungsgericht nicht nur von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sei, sondern sie zugleich gehindert sei, diese abweichende Rechtsauffassung mit der Grundsatzrüge zur Überprüfung des Bundesverwaltungsgerichts zu stellen, weil § 61 Abs. 2 Satz 2 TKG 2012 nicht mehr auf den räumlich und sachlich relevanten Markt verweise und die hier noch erhebliche Frage sich daher für die jetzige Fassung des § 61 Abs. 2 TKG nicht mehr stelle.

11

Die Rüge der Klägerin ist nicht dem Gebot effektiven Rechtsschutzes zuzuordnen. Der Sache nach macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsgericht sei von der rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts abgewichen, welche es nach § 144 Abs. 6 VwGO seiner Entscheidung hätte zugrunde legen müssen. Der Verstoß gegen die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO ist ein Verfahrensfehler. Läge er vor, wäre das Urteil des Verwaltungsgerichts allein deshalb aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die abweichende Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts einen Klärungsbedarf wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auslöst. Jenseits dieser Bindung hat das Gericht sich nach der Zurückverweisung der Sache aber umgekehrt - wie auch sonst - nur in Bindung an das Gesetz seine Überzeugung von dessen Inhalt zu bilden. Ebenso wenig wie im Falle erstmaliger Befassung mit der Sache verpflichtet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG das Gericht im Falle einer Zurückverweisung, unabhängig von der eigenen Überzeugung eine Auslegung des Rechts zu wählen, die den Zugang zur Revisionsinstanz (erneut) öffnet. Ebenso wie das Gericht nach Zurückverweisung der Sache seine Entscheidung statt wie zuvor auf revisibles Bundesrecht nunmehr auf irrevisibles Landesrecht stützen könnte, wenn es dies für einschlägig hält, kann es - soweit es ihm durch die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO nicht verwehrt ist - die Entscheidung nunmehr auf eine abweichende Auslegung der einschlägigen Norm stützen, wenn es von der Richtigkeit dieser Auslegung überzeugt ist.

12

Die Rüge der Klägerin ist daher unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 144 Abs. 6 VwGO zu behandeln. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin diese Vorschrift in ihrer Beschwerdebegründung nicht benannt hat. Der Verfahrensfehler, der geltend gemacht werden soll, ist durch die Ausführungen, die ihn sachlich ergeben können, im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet.

13

b) Die Rüge ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist nicht von der rechtlichen Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 22. Juni 2011 - 6 C 5.10 - abgewichen, die es seiner Entscheidung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO zugrunde zu legen hatte.

14

Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Verwaltungsgericht für seine erneute Entscheidung nicht rechtlich vorgegeben, ob die Bundesnetzagentur sich beurteilungsfehlerfrei für ein Versteigerungsverfahren entschieden habe, könne nur auf der Grundlage einer bisher fehlenden Marktabgrenzung nach § 61 Abs. 2 Satz 2 TKG 2004 entschieden werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem zurückverweisenden Urteil vielmehr nicht ausgeschlossen, dass die Frage offenbleibt, ob auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt, für den die Frequenzen verwendet werden dürfen, bereits Frequenzen ohne Versteigerungsverfahren zugeteilt worden seien, sofern die Bundesnetzagentur auch für diesen Fall die Versteigerung beanstandungsfrei als zur Erreichung der Regulierungsziele geeignet beurteilt hat. Das Bundesverwaltungsgericht ist deshalb in dem zurückverweisenden Urteil der Frage nachgegangen, ob ausgehend von der Prämisse, dass auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt, für den die Frequenzen verwendet werden dürfen, bereits Frequenzen ohne Versteigerungsverfahren zugeteilt worden seien, die Bundesnetzagentur die Versteigerung als zur Erreichung der Regulierungsziele geeignet beurteilt hat, und sich aus diesem Grund das seinerzeit angefochtene erste Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig erweist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage nicht deshalb verneint, weil eine solche Unterstellung nicht an Stelle einer tatsächlichen Marktabgrenzung zum Ausgangspunkt genommen werden dürfe. Es hat die Frage vielmehr allein deshalb verneint, weil die Erwägungen, welche die Bundesnetzagentur in der ursprünglichen Fassung ihrer Allgemeinverfügung zur Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens angestellt hatte, für den unterstellten Fall identischer Märkte zu pauschal, teils zirkulär und unplausibel waren und die Beurteilung der Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens damit wegen Überschreitung der Grenzen des Beurteilungsspielraums rechtswidrig war. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht gerade nicht rechtlich ausgeschlossen, dass mit anderen Erwägungen auch ohne tatsächliche Marktabgrenzung auf der Grundlage einer unterstellten Marktidentität die Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens beurteilungsfehlerfrei dargelegt werden kann und die Wahl dieser Verfahrensart sich deshalb als rechtmäßig darstellt.

15

2. Das Verwaltungsgericht hat weder den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG noch seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts aus § 86 Abs. 1 VwGO oder den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO verletzt, indem es angenommen hat, die ergänzenden Erwägungen der Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur vom 30. November 2012 trügen die Entscheidung für ein Versteigerungsverfahren auch dann, wenn auf demselben Markt, für den die zu vergebenden Frequenzen verwendet werden dürften, früher bereits Frequenzen ohne vorheriges Versteigerungsverfahren zugeteilt worden seien.

16

a) Unbegründet ist die Rüge der Klägerin, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sei bereits die Annahme des Verwaltungsgerichts, die ergänzenden Erwägungen der Präsidentenkammer vom 30. November 2012 beanspruchten überhaupt Geltung für diese Sachverhaltsgestaltung.

17

Die Klägerin verweist darauf, in den nachgereichten Verwaltungsvorgängen der Bundesnetzagentur finde sich ein vorbereitender Vermerk, nach welchem die Begründung vorsorglich für den Fall habe ergänzt werden sollen, dass das Verwaltungsgericht "entgegen der Erwartung der Bundesnetzagentur einen GSM-Markt bestimmt". Die Klägerin deutet diesen Vermerk dahin, die Präsidentenkammer habe die Erwägungen nur für den Fall ergänzen wollen, dass das Verwaltungsgericht annehmen sollte, die ohne Versteigerung zugeteilten Frequenzen seien auf einem gesonderten "GSM-Markt" zugeteilt worden, mit der Folge, dass nach § 61 Abs. 2 Satz 1 TKG 2004 ein gesetzlicher Vorrang für das Versteigerungsverfahren gegeben ist.

18

Das Verwaltungsgericht ist auf diesen Vortrag der Klägerin nicht eigens eingegangen. Darin liegt ein Verstoß weder gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör noch gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts oder gegen den Überzeugungsgrundsatz. Auf den Vortrag der Klägerin kam es aus Rechtsgründen nicht an. Außenwirkung haben allein die in den Prozess eingeführten ergänzenden Erwägungen der Präsidentenkammer vom 30. November 2012. Für ihre Auslegung ist entsprechend §§ 133, 157 BGB der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Abzustellen ist auf den Inhalt der Erklärung, aber auch auf die bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Begleitumstände. Hier war bereits der Wortlaut der ergänzenden Erwägungen unzweideutig und keiner weiteren Auslegung bedürftig. Ergänzt werden sollte die Begründung der Allgemeinverfügung für den Fall, dass die Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens ohne gesetzliche Vorsteuerung anhand der Regulierungsziele detailliert zu beurteilen waren. Auf interne Vermerke kam es danach für das Verständnis der ergänzenden Erwägungen von vornherein nicht an.

19

b) Ebenso wenig greifen die Verfahrensrügen der Klägerin, soweit sie sich dagegen richten, dass das Verwaltungsgericht die ergänzenden Erwägungen entscheidungstragend berücksichtigt hat.

20

Wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend zugrunde gelegt, ist dabei zu unterscheiden:

§ 114 Satz 2 VwGO schafft nur die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass defizitäre Ermessenserwägungen ergänzt werden. Die Vorschrift regelt lediglich, unter welchen Voraussetzungen veränderte Ermessenserwägungen im Prozess zu berücksichtigen sind. Ihr Zweck ist es klarzustellen, dass ein verwaltungsverfahrensrechtlich und materiell-rechtlich zulässiges Nachschieben von Ermessenserwägungen nicht an prozessualen Hindernissen scheitert (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 - BVerwGE 147, 81 Rn. 31 und 34). § 114 Satz 2 VwGO sieht nach dem Wortlaut nur eine Ergänzung von Ermessenserwägungen vor. Die Vorschrift setzt mithin voraus, dass bereits vorher, bei der behördlichen Entscheidung, schon Ermessenserwägungen angestellt worden sind, das Ermessen also in irgendeiner Weise betätigt worden ist (BVerwG, Beschluss vom 14. Januar 1999 - 6 B 133.98 - NJW 1999, 2912). Die Vorschrift ist in derselben Weise zumindest entsprechend anzuwenden, wenn die Behörde Erwägungen nachschiebt, die einen ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum ergänzend ausfüllen sollen (BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2014 - 9 B 57.13 - Buchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 30 Rn. 10).

21

Nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht dürfen neue Gründe für einen Verwaltungsakt nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird. Aus § 114 Satz 2 VwGO ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen. Diese Vorschrift regelt nicht die Voraussetzungen für die materiell-rechtliche und verwaltungsverfahrensrechtliche Zulässigkeit des Nachschiebens von Ermessenserwägungen, sondern betrifft nur deren Geltendmachung im Prozess (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 - BVerwGE 147, 81 Rn. 32 und 34).

22

Ob die in zulässiger Weise nachgeschobenen Gründe den Verwaltungsakt nunmehr zu tragen vermögen, richtet sich nach dem für seinen Erlass jeweils einschlägigen materiellen Recht.

23

Ein Verfahrensfehler liegt danach dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die prozessualen Grenzen verkennt, die einer Berücksichtigung nachgeschobener Erwägungen im Prozess durch § 114 Satz 2 VwGO gesetzt sind. Eine Überschreitung dieser Grenzen kann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Hingegen stellt es keinen Verfahrensfehler, sondern einen Verstoß gegen materielles Recht dar, wenn das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen fehlerhaft beurteilt, unter denen nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht ein Nachschieben von Gründen zulässig ist. Die fehlerhafte Beurteilung dieser Voraussetzungen als solche stellt keinen Verfahrensfehler dar. Sie kann nur mit der Sachrüge geltend gemacht werden. Ein Verfahrensfehler kann aber vorliegen, wenn das Verwaltungsgericht bei dieser Beurteilung gegen Verfahrensrecht verstoßen hat. Dasselbe gilt erst recht, wenn das Verwaltungsgericht verkennt, dass auch die nachgeschobenen Gründe den angegriffenen Verwaltungsakt nicht zu tragen vermögen.

24

aa) Unbegründet ist die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe die Grenzen verkannt, die § 114 Satz 2 VwGO einer prozessualen Berücksichtigung nachgeschobener Erwägungen zur Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums setzt. Das Verwaltungsgericht ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen, § 114 Satz 2 VwGO lasse es zu, auch erstmals Erwägungen zur Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums in den Prozess einzuführen.

25

Das Verwaltungsgericht hat mit der Wendung, welche die Klägerin aufgreift,

Die Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO scheitert auch nicht daran, dass die Präsidentenkammer mit ihrer "Ergänzung" erstmals Beurteilungserwägungen zur Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens angestellt hat.

lediglich die Fragestellung umschrieben, der es dann im Folgenden nachgegangen ist. Dort hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen dargelegt, in welcher Weise sich die Bundesnetzagentur in der angegriffenen Allgemeinverfügung bereits mit der Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens auseinander gesetzt hat, sei zwar defizitär und möglicherweise unplausibel. Das Verwaltungsgericht geht mithin nicht davon aus, dass Erwägungen zur Geeignetheit des Versteigerungsverfahrens überhaupt erstmals angestellt werden, sondern davon, dass vorhandene, wenn auch nicht ausreichende Erwägungen durch insoweit dann in der Tat erstmals angestellte Erwägungen ergänzt werden. Damit war das Nachschieben der Erwägungen prozessual zulässig.

26

bb) Unbegründet ist die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft angenommen, die ergänzenden Erwägungen der Präsidentenkammer bewirkten keine Wesensänderung der Allgemeinverfügung, hier der Wahl eines Versteigerungsverfahrens für die angeordnete Frequenzvergabe. Die Klägerin gibt dabei weithin nur den Inhalt von Schriftsätzen aus dem erstinstanzlichen Verfahren wieder, verbunden mit dem pauschalen Vorwurf, einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts und des Überzeugungsgrundsatzes. Diese Vorwürfe werden nicht in Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils begründet. Auf diese Weise kann ein Verfahrensfehler nicht dargelegt werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

27

Ob ergänzende Erwägungen zu einem Verwaltungsakt dessen Wesen ändern, ist eine Frage des materiellen Rechts. Das Verwaltungsgericht hat sie verneint, ohne im konkreten Fall Anlass zu sehen, dies näher zu begründen.

28

(1) Daraus kann nicht geschlossen werden, das Verwaltungsgericht habe möglicherweise entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen und dadurch deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Das Verwaltungsgericht hat sich in anderem Zusammenhang, nämlich bei der Frage, ob die ergänzenden Erwägungen die Entscheidung für ein Versteigerungsverfahren tragen, mit den Einwendungen der Klägerin auseinander gesetzt und sie zurückgewiesen, die Präsidentenkammer habe mit ihren ergänzenden Erwägungen die ursprüngliche Begründung weitgehend ausgetauscht. Das Verwaltungsgericht hat dabei im Einzelnen aufgezeigt, dass die Klägerin bei den von ihr behaupteten Widersprüchen und Gegensätzen in der ursprünglichen Begründung der Allgemeinverfügung und den ergänzenden Erwägungen übersieht, dass die gegenübergestellten Aussagen sich zum Teil auf unterschiedliche Zeitpunkte (der früheren Zuteilung von Frequenzen einerseits, der Anordnung des Vergabeverfahrens andererseits), zum Teil auf unterschiedliche Prämissen (der Vergabe auf getrennten Märkten einerseits, der Vergabe auf unterstellt demselben Markt andererseits) beziehen.

29

Das Verwaltungsgericht hat damit den Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen, aus ihm aber andere rechtliche und tatsächliche Schlussfolgerungen gezogen, als die Klägerin sie für richtig hält. Dagegen schützt der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht.

30

(2) Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht deshalb verletzt, weil es die Beweisanträge der Klägerin abgelehnt hat. Sie hatten die Klärung der Frage zum Gegenstand, ob die ergänzenden Erwägungen der Präsidentenkammer zu einem Austausch der Begründung geführt haben, und boten als Beweismittel hierfür die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Vernehmung eines Mitglieds der Präsidentenkammer als Zeugen an. Soweit die Beweisanträge nicht ohnehin auf Tatsachen zielten, die nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich waren, hat das Verwaltungsgericht sie ohne Verstoß gegen Prozessrecht mit der Begründung abgelehnt, die angebotenen Beweismittel seien ungeeignet. Welche Inhalte ein Verwaltungsakt und eine hierzu nachgeschobene Begründung haben, hat das Gericht nach dem Empfängerhorizont anhand der entsprechenden Schriftstücke zu ermitteln. Inwieweit durch die nachgeschobene Begründung die ursprüngliche Begründung geändert, aufgegeben oder ersetzt worden ist und welche rechtlichen Schlussfolgerungen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts daraus zu ziehen sind, gehört zum Kern der Tatsachenwürdigung und Rechtsfindung des Gerichts, die weder einem Zeugen noch einem Sachverständigen übertragen werden können.

31

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

32

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.