Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 08. Jan. 2014 - 17 AE 4953/13
Gericht
Tenor
1. Die Anhörungsrüge der Antragsteller vom 20. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller.
Gründe
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1. Die Anhörungsrüge ist unbegründet.
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Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO ist das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Dies ist hier nicht der Fall.
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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht in Asyl-Eilverfahren, in denen die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen seitens der Antragsgegnerin auf der Grundlage von § 34a AsylVfG verfügte Abschiebungsanordnungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier: Polen) begehren, nicht dazu, für die Beteiligten Erkenntnisquellen-Listen über den jeweils betroffenen Mitgliedstaat bereit zu halten und vor der Entscheidung Erkenntnisquellen in das Verfahren einzuführen.
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Es obliegt vielmehr den Antragstellern, die sich auf eine Abweichung von der Zuständigkeitsregelung der Dublin II-Verordnung als Ausprägung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems berufen, die Voraussetzungen für eine derartige Abweichung – nämlich systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedsstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GRCh implizieren (s. EuGH, Urt. v. 14.11.2013, C-4/11; EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u. C-493/10, juris, Rn. 86) – unter Angabe von Erkenntnisquellen darzulegen (ebenso VG Lüneburg, Beschl. v. 10.10.2013, 2 B 47/13, juris, Rn. 28; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 27a AsylVfG, Rn. 5).
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Hintergrund ist die Annahme, dass die am Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dem Spiel steht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u. C-493/10, juris, Rn. 78 und 83).
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Mit diesem – auch verfassungsrechtlich in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG zum Ausdruck kommenden – gegenseitigen Vertrauen wäre es nicht vereinbar, aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör, – analog zur Vorgehensweise bei potentiellen Verfolgerstaaten – eine Verpflichtung des Gerichts herzuleiten, Erkenntnisquellen-Listen über den jeweils betroffenen Mitgliedstaat bereit zu halten und vor der Entscheidung Erkenntnisquellen in das Verfahren einzuführen.
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b) Darüber hinaus war das Gericht im vorliegenden Verfahren nicht nach § 184 Satz 1 GVG dazu verpflichtet, die von den Antragstellern angeführten englischsprachigen Erkenntnisquellen ins Deutsche übersetzen zu lassen.
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Zwar sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fremdsprachige Urkunden nicht allein deshalb unbeachtlich, weil sie nur im fremdsprachlichen Original ohne deutsche Übersetzung vorgelegt werden. Das folgt unmittelbar aus der nach § 173 VwGO auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Vorschrift des § 142 Abs. 3 ZPO, nach der es im Ermessen des Gerichts liegt, ob es die Beibringung einer Übersetzung anordnen will. Erst wenn eine angeordnete Übersetzung nicht vorgelegt wird, hat das die Unbeachtlichkeit der fremdsprachlichen Urkunde zur Folge (BVerwG, Beschl. v. 8.2.1996, 9 B 418/95, juris, Rn. 6). Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Gerichte auf der Grundlage von § 144 Abs. 1 ZPO, § 96 Abs. 1 VwGO von Amts wegen Übersetzungen einholen, sofern der Ausländer dartut, dass er diese aufgrund finanzieller Notlage nicht beibringen kann, und außerdem darlegt, dass die von ihm eingereichten fremdsprachigen Schriftstücke für das Verfahren bedeutsam sind (BVerfG, Beschl. v. 25.9.1985, 2 BvR 881/85, NVwZ 1987, 785).
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Aus dieser Rechtsprechung ergab sich vorliegend jedoch bereits deshalb keine Verpflichtung des Gerichts zur Übersetzung der seitens der Antragsteller angeführten englischsprachigen Quellen, weil nicht von deren Unverwertbarkeit ausgegangen worden ist.
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Im Übrigen wurde die Bedeutung der Quellen im Hinblick auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Polen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der dorthin überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GRCh implizieren (s. EuGH, Urt. v. 14.11.2013, C-4/11; EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u. C-493/10, juris, Rn. 86) nicht hinreichend dargelegt. Selbst wenn man den vom Prozessbevollmächtigten der Antragsteller wiedergegebenen Inhalt der Quellen zugrunde legte, wären damit systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Polen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der dorthin überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GRCh implizieren, nicht belegt.
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Hinzu kommt, dass der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller in seinen Schriftsätzen ausführlich aus den englischsprachigen Quellen in deutscher Übersetzung zitiert hat. Insoweit wird ergänzend verwiesen auf den dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller und der Antragsgegnerin bekannten Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 6. Januar 2014 im Verfahren 17 AE 4880/13.
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(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
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ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.
(6) § 149 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.
Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.
(1) Das Gericht kann anordnen, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Das Gericht kann hierfür eine Frist setzen sowie anordnen, dass die vorgelegten Unterlagen während einer von ihm zu bestimmenden Zeit auf der Geschäftsstelle verbleiben.
(2) Dritte sind zur Vorlegung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.
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(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist.
(2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.
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(2) Das Gericht kann in geeigneten Fällen schon vor der mündlichen Verhandlung durch eines seiner Mitglieder als beauftragten Richter Beweis erheben lassen oder durch Bezeichnung der einzelnen Beweisfragen ein anderes Gericht um die Beweisaufnahme ersuchen.