Verwaltungsgericht Greifswald Beschluss, 18. Mai 2016 - 3 B 864/16 As HGW
Tenor
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts B-Stadt vom 22.06.2015 – 3 B 1748/15 As SN – wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage - 3 A 238/16 As HGW – gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.04.2015 – –, mit dem der Asylantrag des Antragstellers abgelehnt und die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet wurde, wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
- 1
Der Antragsteller, afghanischer Staatsbürger, reiste am 16.02.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12.03.2015 einen Asylantrag.
- 2
Aufgrund einer Eurodac-Treffermeldung und der sich hieraus ergebenden Zuständigkeit eines anderen Staates nach Art. 18 Abs. 1 b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) wurde am 19.02.2015 ein Übernahmeersuchen an Bulgarien gerichtet. Die bulgarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 06.03.2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages.
- 3
Mit Bescheid vom 16.04.2015 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an.
- 4
Am 27.04.2015 erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2015 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären internationalen Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise, festzustellen, dass für den Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz im Hinblick auf Afghanistan vorliegen (3 A 238/16 As HGW). Über die Klage ist noch nicht entschieden. Er stellte ferner einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), der mit Beschluss vom 22.06.2015 – 3 B 1748/15 As SN – abgelehnt wurde. Dieser Beschluss wurde dem Bundesamt am 03.07.2015 zugestellt.
- 5
Der im Rahmen einer Anhörungsrüge gestellte Antrag des Antragstellers vom 22.07.2015, das Verfahren über den Beschluss vom 22.06.2015 hinaus fortzusetzen und dann die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 13.08.2015 – 3 B 2824/15 As SN – zurückgewiesen.
- 6
Der Antragsteller trägt vor, dass die Überstellungsfrist seit dem Erlass des Beschlusses vom 22.06.2015 abgelaufen sei. Er legt ferner eine fachärztliche Bescheinigung vom 16.12.2015 vor und trägt vor, dass für den Fall einer Abschiebung auch nach Bulgarien eine akute und krankheitsbedingte Suizidalität vorliege.
- 7
Am 28.12.2015 beantragte der Antragsteller,
- 8
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen und den Beschluss vom 22.06.2015 – 3 B 1748/15 As SN – entsprechend abzuändern.
- 9
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
- 10
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
- 11
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist begründet. Die Sachlage hat sich maßgeblich zugunsten des Antragstellers geändert.
- 12
Die Klage hat nunmehr hohe Erfolgsaussichten, weil die Abschiebungsanordnung zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nach § 77 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) wohl rechtswidrig ist.
- 13
Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist inzwischen abgelaufen, so dass die Verpflichtung des für zuständig gehaltenen Mitgliedstaates zur Entscheidungszuständigkeit entfallen ist. Es kann hier dahinstehen, ob die sechsmonatige Überstellungsfrist durch die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts B-Stadt (Beschluss vom 22.06.2015; Zustellung an das Bundesamt am 03.07.2015) über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der hiesigen Klage (neu) in Lauf gesetzt wurde (so m.w.N. z.B. Verwaltungsgericht B-Stadt, Beschl. v. 05.06.2015 - 3 B 47/15 As -, juris BA S. 4 ff., und Verwaltungsgericht Köln, Urt. v. 27.08.2015 - 15 K 2680/15.A -, juris Rn. 16) oder ob diese bereits mit der Annahme des Aufnahmegesuchs durch Bulgarien am 06.03.2015 zu laufen begann (so etwa Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.08.2015 - 1 A 11020/14 -, juris Rn. 28 ff.) oder ob die Frist mit der Annahme des Aufnahmegesuchs zu laufen begann und für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens lediglich gehemmt war (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 03.11.2015 - 13 A 2255/15.A -, juris Rn. 21). Es ist nämlich offensichtlich, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist unter Zugrundelegung aller Ansätze zwischenzeitlich abgelaufen ist. Der Antragsteller ist indessen nach seinem - unbestritten gebliebenen - Vortrag bisher nicht nach Bulgarien überstellt worden. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers ist mithin auf die Antragsgegnerin übergegangen und der Asylantrag nicht länger aus diesem Grund unzulässig.
- 14
Ob der Antragsteller den Ablauf der Überstellungsfrist unmittelbar als Rechtsverletzung geltend machen kann, kann offen bleiben. Er kann sich jedenfalls darauf berufen, dass die Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht mehr vorliegen, wonach feststehen muss, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies ist jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr der Fall, weil nicht erkennbar ist, dass Bulgarien, obwohl die Überstellungsfrist abgelaufen und die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden ist, nach wie vor ohne weiteres zur Aufnahme des Antragstellers bereit ist.
- 15
Angesichts der hohen Erfolgsaussichten der Klage überwiegt das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit (vgl. auch Verwaltungsgericht München, Beschl. v. 02.03.2016 – M 1 S7 16.50180 - juris).
- 16
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
- 17
Rechtsmittelbelehrung:
- 18
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Kläger.
1
Tatbestand
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland beantragte er am 10.11.2014 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
3Im Verlaufe des Verfahrens stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass sich der Kläger vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Italien aufgehalten hatte. Das Bundesamt ersuchte daraufhin die italienische Regierung am 05.01.2015 unter Bezugnahme auf die "Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist“ - Dublin-III-VO - um eine Übernahme des Klägers; eine Erklärung der italienischen Regierung ging hierauf dem Bundesamt nicht zu.
4Mit Bescheid vom 10.04.2015 lehnte das Bundesamt den vom Kläger gestellten Asylantrag als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Es verwies auf die nach Maßgabe der Dublin-VO gegebene Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylgesuchs des Klägers.
5Am 05.05.2015 hat der Kläger hiergegen einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt, den die Kammer durch Beschluss vom 11.06.2015 (15 L 1201/15.A) abgelehnt hat. Einen am 29.07.2015 gestellten Abänderungsantrag hat die Kammer durch Beschluss vom 28.08.2015 (15 L 1884/15.A) abgelehnt.
6Am 05.05.2015 hat der Kläger auch Klage erhoben. Er trägt vor, dass das italienische Asylverfahren systemische Mängel aufweise. Auch sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
7Der Kläger beantragt,
8den Bescheid des Bundesamtes vom 10.04.2015 aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
12Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf den vorgelegten Verwaltungsvorgang der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe
14Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.04.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
15Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 a Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Soll danach der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Da der Kläger über
16Italien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, ist Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Mitgliedsstaat, an den Deutschland nach Maßgabe der Dublin-III-VO ein Rücküberstellungsersuchen richten konnte. Rechtliche Bedenken gegen die Rückführung des Klägers bestehen nicht, auch ist die Beklagte nicht verpflichtet, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer auf die Gründe ihres Beschlusses vom 11.06.2015 (15 L 1201/15.A).
17Da mithin das Bundesamt den von dem Kläger gestellten Asylantrag zu Recht als unzulässig angesehen und die Abschiebung nach Italien angeordnet hat, hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in Deutschland durchführt und über den geltend gemachten Anspruch auf Asylanerkennung entscheidet.
18Die Überstellung des Klägers nach Italien ist auch nicht wegen einer Versäumung der Überstellungsfrist rechtswidrig, da die Frist bislang nicht abgelaufen ist; es kann daher offen bleiben, ob ein Fristablauf überhaupt subjektive Rechte des Klägers berühren kann. Entgegen der Rechtsaufassung des Klägers beginnt der Lauf dieser Frist nicht bereits mit der - fiktiven - Zustimmung der italienischen Behörden zu einer Rückführung des Klägers. Vielmehr beginnt nach Auffassung der Kammer die sechsmonatige Überstellungsfrist erst mit der Wirksamkeit der Entscheidung des Gerichts im Verfahren nach § 80 VwGO zu laufen. Gemäß § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ist eine Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. § 34a Abs. 1 AsylVfG) vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig; insoweit kann eine Abschiebung des Asylbewerbers von der Ausländerbehörde nicht vorgenommen und zweckmäßigerweise auch noch nicht vorbereitet werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), vgl. Urteil vom 29.01.2009 - C-19/08 - , verfolgt die Frist in Anbetracht der praktischen Komplexität und der organisatorischen Schwierigkeiten, die mit der Durchführung der Überstellung einhergehen, das Ziel, es den beiden betroffenen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich im Hinblick auf die Durchführung abzustimmen, und es insbesondere dem ersuchenden Mitgliedstaat zu erlauben, die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln, die nach den nationalen Rechtsvorschriften dieses letztgenannten Staates erfolgt. Diese Frist muss auch im vollen Umfang erhalten bleiben, wenn die Behörde - wie vorliegend aufgrund des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO - aus Rechtsgründen an einer Vollziehung der Abschiebung zeitweise gehindert ist.
19Soweit in der Rechtsprechung zum Teil ein Ablauf der Überstellungsfrist vor der gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren angenommen wird, folgt dem die Kammer nicht. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 08.09.2014 - 13 A 1347/14.A - betrifft ausschließlich die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-Verordnung. Diese Vorschrift ist vorliegend aber nicht einschlägig, vielmehr ist die Vorschrift des Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1, Abs. 2 Dublin-III-VO anzuwenden.
20Beide Vorschriften sind inhaltlich nicht deckungsgleich. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO ist die Überstellung innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Abs. 3 aufschiebende Wirkung hat, vorzunehmen. Die textlichen Änderungen zur Überstellungsfrist bestehen darin, dass in Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO zu einem auf die neue verpflichtende Regelung des Artikel 27 Absatz 3 zur aufschiebenden Wirkung Bezug genommen wird, zum anderen der Anknüpfungspunkt für den erneuten Fristbeginn nicht alleine mehr die Entscheidung über einen Rechtsbehelf ist, sondern dieser auch eine „Überprüfung“ sein kann. Hierin kommt zum Ausdruck, dass der europäische Normgeber es den Vertragsstaaten überlassen will, wie sie im Detail den nach der Dublin-VO als erforderlich bestimmten Rechtsschutz ausgestalten. Insoweit bestehen keine Zweifel darüber, dass der deutsche Rechtsschutz über § 34 a AsylVfG, § 80 VwGO den Vorgaben der Dublin-VO entspricht, insbesondere eine aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels vorsieht.
21Damit bestehen aber auch keine Gründe, im deutschen System von einem Fristenablauf auch während der Dauer des Verfahrens nach § 34 a AsylVfG, § 80 VwGO auszugehen, obgleich eine aufschiebende Wirkung besteht und dieses Verfahren dazu dient, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen; Anknüpfungspunkt für eine neue Frist kann ja auch eine „Überprüfung“ sein.
22Folglich ist nach Auffassung des Gerichts in dieser Vorschrift eindeutig geklärt, dass erst der Beschluss der Kammer vom 11.06.2015 über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage die Überstellungsfrist von sechs Monaten in Lauf gesetzt hat. Denn der Eilantrag hatte eine aufschiebende Wirkung im Sinne des zweiten Halbsatzes des Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c) Satz 2 der Dublin-III-VO, weil durch ihn ein Abschiebungsvollzugsverbot nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bewirkt worden war. Nur dieses Ergebnis steht mit dem Sinn und Zweck der europarechtlichen Vorgaben in Übereinstimmung (vertiefend dargelegt in den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe - A 5 K 2026/14 - und des Verwaltungsgerichts Cottbus - 5 L 231/14.A -, beide veröffentlicht in Juris) und gewährleistet, dass entsprechend der oben genannten Entscheidung des EuGH der Ausländerbehörde eine ausreichende Zeit verbleibt, die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln.
23Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.
Tenor
Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 14. August 2014 – 2 K 426/14.TR – wird der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Februar 2014 aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit seines in Deutschland gestellten Asylantrages festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird.
- 2
Der Kläger ist eigenen Angaben zufolge am … 1976 geboren und iranischer Staatsangehöriger. Im Jahre 2011 reiste er – ebenfalls nach eigener Darstellung – zunächst über die Türkei und Griechenland nach Italien, wo er sich etwa 17 Monate aufhielt und Asyl beantragte. Im März 2013 reiste er über Frankreich nach Deutschland und stellte dort am 23. April 2013 einen Asylantrag.
- 3
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 30. April 2013 gab der Kläger im Wesentlichen an, im Iran zusammen mit Freunden an Demonstrationen teilgenommen und Parolen gegen die Regierung geschrieben zu haben, woraufhin ein Teil der Freunde verhaftet worden sei. Zudem sei er vom Militärdienst desertiert.
- 4
Die Beklagte stellte, nachdem ihr durch eine Mitteilung aus dem EURODAC-System die illegale Einreise des Klägers nach Italien und die dortige Asylantragstellung bekannt geworden waren, am 12. Dezember 2013 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien, auf das die italienischen Behörden nicht reagierten.
- 5
Mit Bescheid vom 14. Februar 2014 erklärte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers für unzulässig und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an.
- 6
Einen am 24. Februar 2014 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Trier mit Beschluss vom 6. März 2014 – 2 L 353/14.TR – ab.
- 7
Am 5. März 2014 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er im Wesentlichen geltend gemacht hat, dass zwischenzeitlich die in Art. 20 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung festgelegte 6-monatige Frist für eine Überstellung nach Italien abgelaufen und der Bescheid vom 14. Februar 2014 deswegen rechtswidrig geworden und aufzuheben sei.
- 8
Das Verwaltungsgericht Trier hat die Klage mit Urteil vom 14. August 2014 – 2 K 426/14.TR – abgewiesen. Systemische Mängel des italienischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen seien nicht festzustellen. Auch sei die Beklagte vorliegend nicht wegen einer unangemessen langen Dauer des Verwaltungsverfahrens verpflichtet, das ihr eingeräumte Selbsteintrittsrecht auszuüben. Die 6-monatige Überstellungsfrist nach der Dublin II-Verordnung sei ebenfalls noch nicht verstrichen, sondern habe mit Abschluss des Eilverfahrens erneut zu laufen begonnen. Abgesehen davon könne sich der Kläger auf einen Verstoß gegen die entsprechenden Fristenregelungen auch gar nicht berufen, da hieraus keine subjektiven Rechte ableitbar seien.
- 9
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 3. September 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Oktober 2014 die Zulassung der Berufung beantragt. Die mit Beschluss des Senats vom 6. November 2014 – 1 A 10928/14.OVG – wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung hat der Kläger am 8. Dezember 2014 begründet.
- 10
Er macht geltend, Art. 20 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung begründe eine subjektive Berechtigung des Asylbewerbers, wenn die dort festgelegte Frist abgelaufen und eine Überstellung nicht erfolgt sei. Dies sei hier der Fall. Das erfolglos durchgeführte Eilverfahren führe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dazu, dass die Überstellungsfrist erneut zu laufen beginne. Ferner seien sehr wohl systemische Mängel des italienischen Asylverfahrens festzustellen.
- 11
Der Kläger beantragt,
- 12
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 14. August 2014 – 2 K 426/13.TR – den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Februar 2014 aufzuheben.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Berufung zurückzuweisen.
- 15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten (1 Heft) Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
- 16
Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.
- 17
Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen.
- 18
I. Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
- 19
Sie ist als solche insbesondere statthaft, da sie den erforderlichen wie auch ausreichenden Rechtsschutz bietet, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf (vgl. hierzu ausführlich OVG Münster, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, sowie etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 25. Juni 2015 – 11 LB 248/14 –, VGH München, Beschluss vom 18. Mai 2015 – 11 ZB 14.50080 –, OVG Hamburg, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 1 Bf 208/14.AU –, OVG Saarlouis, Beschluss vom 12. September 2014 – 2 A 191/14 –, VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, und OVG Magdeburg, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, alle in juris, m. w. N.).
- 20
II. Die Klage ist auch begründet.
- 21
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Februar 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).
- 22
1. Nach § 27a Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
- 23
An einer derartigen anderweitigen Zuständigkeit fehlt es jedoch im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für die der Entscheidung zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.
- 24
Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats erfolgt vorliegend gemäß Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L 180 S. 31 – Dublin III-VO) nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl EG L 50 S. 1 – Dublin II-VO), da sowohl der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland wie auch der Wiederaufnahmeantrag an Italien noch vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind (vgl. hierzu näher BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7/13 –, juris, Rn. 27).
- 25
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO ist zunächst Griechenland als der Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden, dessen Grenze der Kläger aus einem Drittstaat – hier der Türkei – kommend im Jahr 2011 illegal überschritten hat. Diese Zuständigkeit endete indessen gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II–VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertrittes, so dass Italien, wo sich der Kläger von Ende 2011 bis Anfang 2013 aufgehalten und einen Asylantrag gestellt hat, in Abhängigkeit von dem – den Verwaltungsakten nicht zu entnehmenden – genauen Zeitpunkt der dortigen Antragstellung entweder bereits nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO oder aber nach Art. 13 Dublin II-VO zuständig geworden ist.
- 26
Die so begründete Zuständigkeit Italiens ist jedoch zwischenzeitlich auf die Beklagte übergegangen. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO legt nämlich fest, dass – von zwei hier nicht einschlägigen Ausnahmetatbeständen abgesehen – in den Fällen eines vom ersuchten Mitgliedstaat nach den Modalitäten des Art. 20 Abs. 1 Dublin II-VO akzeptierten Wiederaufnahmegesuchs die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, wenn die Überstellung des Asylbewerbers an den ersuchten Staat nicht innerhalb der in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO vorgesehenen Frist von sechs Monaten erfolgt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben:
- 27
Die Beklagte hat am 12. Dezember 2013 per elektronischer Post ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Dublin II-VO an Italien gestellt. Da der Antrag auf Angaben aus dem EURODAC-System gestützt war, nach Buchst. b somit eine verkürzte Frist zur Beantwortung von zwei Wochen galt und binnen dieser Frist von den italienischen Behörden keine Antwort auf das Gesuch erteilt worden ist, war nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO davon auszugehen, dass Italien die Wiederaufnahme des Klägers akzeptiert. Damit war die Überstellung gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch den ersuchten Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, vorzunehmen.
- 28
Richtiger Anknüpfungspunkt für die Berechnung dieser Frist ist vorliegend die nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO wegen unterbliebener Beantwortung binnen zwei Wochen fingierte Annahme des Wiederaufnahmegesuchs mit Ablauf des 26. Dezember 2013. Denn nach zutreffender Auffassung (vgl. ausführlich OVG Münster, Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A –, juris, Rn. 5 ff., sowie etwa VG Hannover, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 6 B 9277/14 –, VG Karlsruhe, Beschluss vom 15. April 2014 – A 1 K 25/14 –, VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A –, VG Magdeburg, Urteil vom 28. Februar 2014 – 1 A 413/13 –, und VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 – 3 B 7136/13 –, alle in juris) handelt es sich bei dem erfolglos gebliebenen Antrag des Klägers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht um einen mit aufschiebender Wirkung versehenen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO, so dass die Entscheidung hierüber auch nicht einen neuen Lauf der 6-Monats-Frist eröffnet hat.
- 29
Hierfür sprechen zunächst bereits der Wortlaut und die Systematik der Dublin II-VO. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 muss dem Rechtsbehelf selbst aufschiebende Wirkung zukommen. Dies ist bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil nicht der Antrag als solcher, sondern allein die auf einen solchen Antrag ergehende stattgebende gerichtliche Entscheidung zum Eintritt der aufschiebenden Wirkung führt. Zudem ist der in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO in Bezug genommene Rechtsbehelf eindeutig der, der nach Buchst. e Satz 4 der Vorschrift gegen die Mitteilung der Entscheidung an den Asylbewerber eingelegt werden kann, nach deutschem Recht also die Klage. Für diesen Rechtsbehelf sieht Buchst. e Satz 5 ausdrücklich vor, dass er keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung hat; eine Ausnahme hiervon soll nur dann in Betracht kommen, wenn die Gerichte oder zuständigen Stellen dies im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders entscheiden. Im Einklang hiermit legt § 75 AsylVfG fest, dass die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylVfG – abgesehen von den Fällen der §§ 38 Abs. 1, 73, 73b und 73c AsylVfG – keine aufschiebende Wirkung hat; in Betracht kommt lediglich die ausnahmsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Hauptsacheklage im Einzelfall gemäß § 80 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
- 30
Die Richtigkeit dieser Überlegungen wird auch durch eine Folgenbetrachtung bestätigt: Wollte man den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als Rechtsbehelf im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO ansehen, so würde auch bei einer Stattgabe die Überstellungsfrist zu laufen beginnen und möglicherweise oder sogar regelmäßig vor einer Entscheidung in der Hauptsache ablaufen. Dies wäre sinnwidrig und stünde zudem im Widerspruch dazu, dass nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – [Petrosian], juris) sowie mehrerer Obergerichte (OVG Münster, Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A –, OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, VGH Mannheim, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, alle in juris) bei Aussetzung der Vollziehung der Überstellung die Frist erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren beginnt.
- 31
Dass auch das Unionsrecht klar zwischen dem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung und dem Antrag, die Durchführung einer Überstellungsentscheidung auszusetzen, unterscheidet, ergibt sich im Übrigen aus Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO, insbesondere Buchst. c Satz 1, wonach die betreffende Person „zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung … die Möglichkeit (hat), bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs … zu beantragen.“
- 32
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Überstellungsfrist. Diese soll den Mitgliedstaaten Zeit geben, die Modalitäten der Überstellung zu regeln, wozu ihnen grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009, a. a. O.). Als den Fristlauf in Gang setzendes Ereignis sieht Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO regelmäßig die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch den ersuchten Staat an und nur ausnahmsweise dann, wenn dem Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aufschiebende Wirkung zukommt, die abschließende gerichtliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Zwar führt vor diesem Hintergrund § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG, wonach bei rechtzeitiger Stellung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO die Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist, dazu, dass die Beklagte während der bereits laufenden 6-Monats-Frist für die Dauer des Eilverfahrens an der Durchführung der Überstellung gehindert ist. Dadurch wird der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO jedoch noch nicht zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO. Ein solcher ist – wie bereits dargelegt – nach deutschem Recht allein die Klage. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG alsgesetzlich angeordnetes Vollziehungshindernis vermag insoweit bereits von daher keine andere Betrachtungsweise zu rechtfertigen, als Art. 20 Abs. 1 Buchst. e Satz 5 Dublin II-VO eine ausnahmsweise aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung nur ausnahmsweise für den Fall zulässt, dass die Gerichte oder zuständigen Stellen dies im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts so entscheiden, d. h. eine konkret-individuelle gerichtliche oder behördliche Entscheidung verlangen. Zudem führt § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG aber auch nicht zu einer nach Sinn und Zweck der 6-Monats-Frist ins Gewicht fallenden Schlechterstellung der Beklagten in Bezug auf die ihr für die Organisation und Durchführung der Überstellung zur Verfügung stehende Zeit. Zum einen hindert die bloße Hemmung der Vollziehung die Ausländerbehörde nicht, bis zur Entscheidung über den Eilantrag bereits mit der Vorbereitung der weiterhin zulässigen und lediglich noch nicht durchführbaren Überstellung zu beginnen. Zum anderen beruht die Verkürzung des für die Überstellung zur Verfügung stehenden Zeitraums von sechs Monaten um die Dauer des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben war. § 34a Abs. 2 AsylVfG ist zur Anpassung des AsylVfG an die Vorgaben des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c der Dublin III-VO nämlich bereits durch Gesetz vom 28. August 2013 mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl die entsprechende Regelung der Dublin III-VO erst zum 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist.
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Abgesehen davon wäre im vorliegenden Fall die 6-monatige Frist des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aber auch dann abgelaufen, wenn man mit der Gegenauffassung (vgl. etwa VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 – W 6 S 14.50065 –, VG Hamburg, Beschluss vom 4. Juni 2014 – 10 AE 2414/14 –, VG München, Gerichtsbescheid vom 28. April 2014 – M 21 K 13.31396 –, VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. April 2014 – 2 L 55/14.A –, VG Ansbach, Beschluss vom 31. März 2014 – AN 9 S 13.31028 –, VG Regensburg, Beschluss vom 13. Dezember 2013 – RO 9 S 13.30618 –, und VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 – 2 B 887/13 –, alle in juris) als Rechtsbehelf im Sinne dieser Vorschrift auch den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ansehen oder aber für die Zeit zwischen der Zustellung des Bescheids und der Zustellung der negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in entsprechender Anwendung des § 209 BGB eine Ablaufhemmung annehmen wollte (so VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2014 – A 11 S 1285/14 –, juris, Rn. 36 ff.).
- 34
Danach ist vorliegend im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, so dass weder die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß § 27a AsylVfG noch die für den Erlass einer hieran anknüpfenden Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gegeben sind.
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2. Der sonach rechtwidrige Bescheid bewirkt auch eine Rechtsverletzung des Klägers.
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Zwar besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass es sich bei den Zuständigkeitsregelungen der hier noch anwendbaren Dublin II-VO wie auch der Dublin III-VO vom Grundsatz her um objektive zwischenstaatliche Regelungen handelt, die keine individuelle Rechtsposition begründen.
- 37
Ein Asylbewerber hat demnach grundsätzlich kein subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, auch der nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zuständige Staat ist.
- 38
Ebenfalls allgemein anerkannt ist, dass etwas anderes jedenfalls dann gilt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem zur Aufnahme bereiten Mitgliedstaat aufgrund systemischer Mängel so defizitär sind, dass im konkret zu entscheidenden Einzelfall bei einer Überstellung nach dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde (vgl. dazu etwa EuGH, Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – [Abdullahi], und BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 –, mit Anmerkung Berlit, jeweils in juris).
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Ob darüber hinaus weitere Ausnahmen anzuerkennen sind, ist in der Rechtsprechung umstritten.
- 40
Teilweise wird dazu festgestellt, dass der Asylbewerber seiner Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten könne (so etwa EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, a. a. O., BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014, a. a. O., OVG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2015 – 2 LA 15/14 –, OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 –, VGH Kassel, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A –, VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, und OVG Koblenz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13 –, alle in juris).
- 41
Andere lassen demgegenüber bereits den bloßen Ablauf der Überstellungsfrist nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und den hierdurch bewirkten Zuständigkeitsübergang ausreichen, um eine eigene Rechtsverletzung des Betroffenen zu bejahen (so etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 6. August 2013 – 12 S 675/13 –, VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 K 500/14 –, VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 – A 5 K 2026/14 –, VG Münster, Urteil vom 19. November 2014 – 1 K 1136/14.A –, VG Augsburg, Urteil vom 11. September 2014 – Au 7 K 14.50016 –, VG Köln, Urteil vom 27. August 2014 – 3 K 411/14.A –, VG Cottbus, Beschluss vom 24. Juli 2014 – 1 L 174/14.A –, VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 –, VG Magdeburg, Urteil vom 28. Februar 2014 – 1 A 413/13 –, und VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012 – 10 A 227/11 –, alle in juris).
- 42
Wieder andere stellen darauf ab, ob die Überstellung trotz Fristablaufs noch zeitnah möglich ist (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2014 – A 11 S 1285/14 –, juris Rn 59), das Verfahren sich als überlang erweist (so etwa VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Januar 2015 – 11 B 454/15 –, VG Augsburg, Urteil vom 15. Mai 2015 – Au 5 K 15.50002 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 28. Februar 2014 – A 12 K 383/14 –, alle in juris) oder der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz der abgelaufenen Überstellungsfrist noch zur Übernahme des Betroffenen bereit ist (VGH München, Urteil vom 20. Mai 2015 – 11 ZB 14.50036 –, VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 3. November 2014 – RO 9 K 14.30260 –, VG Würzburg, Beschluss vom 30. Oktober 2014 – W 3 E 14.50144 –, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –, alle in juris).
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Zum Teil wird schließlich zur Begründung einer subjektiven Rechtsverletzung auch unmittelbar an eine durch die Unzulässigkeitsentscheidung drohende Gefährdung oder Verletzung des Asylgrundrechts angeknüpft (VG Hannover, Beschluss vom 10. November 2014 – 1 B 12764/14 –, VG Ansbach, Urteil vom 8. Oktober 2014 – AN 10 K 14.30043 –, und VG Osnabrück, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 5 B 12/14 –, alle in juris).
- 44
Unter Berücksichtigung aller in der vorgenannten Rechtsprechung diskutierten Aspekte gelangt der erkennende Senat zu der Auffassung, dass vorliegend der Kläger angesichts des zwischenzeitlichen Übergangs der Zuständigkeit auf die Beklagte durch die Unzulässigkeitsentscheidung und die Anordnung der Abschiebung nach Italien in seinen Rechten verletzt ist.
- 45
Dabei kann offen bleiben, ob bereits die Regelungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO als solche generell oder jedenfalls in Ausnahmesituationen Individualschutz entfalten.
- 46
Hierfür lässt sich immerhin anführen, dass mit den Zuständigkeitsregeln der Dublin II-VO (vgl. dort Erwägung 4) wie auch der Dublin III-VO (dort Erwägung 5) ausdrücklich bezweckt wird, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft bzw. zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, a. a. O., Rn 53:
- 47
„... wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (Urteil N. S. u. a., Randnr. 79)“.
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Zwar kommt der EuGH in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a. a. O.) zu dem Ergebnis, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO in der dort entschiedenen Fallkonstellation einer vorliegenden Zustimmung des ersuchten Mitgliedsstaates zur Aufnahme des Betroffenen nur insoweit individualschützende Wirkung entfalte, als systemische Mängel des Asylerfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedsstaat geltend gemacht würden:
- 50
„62. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 dahin auszulegen ist, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Unionsgebiet, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.“
- 51
Der EuGH hat damit jedoch nicht zu der Frage Stellung genommen, welche Rechtspositionen einem Asylbewerber in den Fällen zustehen, in denen die durch ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung begründete Zuständigkeit eines um Aufnahme bzw. Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaates wegen der Nichteinhaltung von Überstellungsfristen auf den ersuchenden Staat übergegangen ist. Es kann auch nicht angenommen werden, dass der ersuchte Mitgliedstaat, der eine Zustimmungserklärung abgegeben hat, unbefristet zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit ist. Die Zustimmungsklärung ist vielmehr im Kontext der Bestimmungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zu sehen, wonach Zuständigkeiten auch wieder entfallen, wenn Fristen nicht eingehalten werden (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 K 500/14 –, juris, Rn. 34 f.). Die Feststellungen des EuGH schließen es mithin nicht aus, dass der Asylbewerber in den Fällen, in denen von einer Zustimmung des betreffenden Mitgliedstaates nicht mehr ausgegangen werden kann, auch sonstige Gründe gegen die Entscheidung über den zuständigen Mitgliedsstaat geltend machen kann, so z. B. einen Anspruch auf Prüfung seines Schutzgesuches in der Sache in angemessener Zeit.
- 52
Eine entsprechende Sichtweise hat auch der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vom 11. Juli 2013 zur Rechtssache C-394/12 (Abdullahi), vertreten. Dort heißt in den Randnummern 44 und 46 wie folgt:
- 53
„Meines Erachtens kann dieser Rechtsbehelf nur die Einhaltung der Verordnung im Hinblick auf zwei Aspekte zum Gegenstand haben: (A) das Vorliegen von Umständen, die die Vermutung der Wahrung der Grundrechte widerlegen können, auf der das System der Union beruht, und (B) die Anerkennung bestimmter spezieller Rechte durch die Verordnung Nr. 343/2003, die mit dem eigentlichen Asylrecht einhergehen, und ihre entsprechende Gewährleistung.“
- 54
„Der zweite Aspekt besteht meines Erachtens in den Rechten, die die Verordnung Nr. 343/2003 dem Asylbewerber speziell im Verlauf des Verfahrens zur Bestimmung des für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedsstaats gewährt. So verhält es sich mit den Rechten im Hinblick auf die Familienzusammenführung (Art. 7, 8, 14, 15), den Rechten bei Minderjährigkeit (Art. 6) oder den Rechten im Zusammenhang mit einem zügigen Verfahren (Einhaltung von Fristen und Umsetzung der in jedem einzelnen Fall vorgesehenen Rechtsfolgen, wie z.B. Art. 19 Abs. 4). Alles dieses sind Rechte, die letztlich über die Rechtsstellung der Mitgliedsstaaten im Bereich der durch die Verordnung Nr. 343/2003 geregelten Beziehungen hinausgehen und die dem Asylbewerber ein spezifisches und eigenes subjektives Recht verleihen, das sich zudem stets auf einen durch eine Grundrechtsgarantie geschützten Bereich bezieht: das Recht auf Schutz des Familienlebens (Art. 7 und 33 der Charta der Grundrechte), das Recht auf Schutz von Kindern (Art. 24 der Charta der Grundrechte) und das Recht auf eine gute Verwaltung (Art. 41 der Charta der Grundrechte). Es handelt sich bei diesen Rechten letzten Endes nicht um einen bloßen Anspruch auf ordnungsgemäße Abwicklung eines Verfahrens, in dem hauptsächlich die Mitgliedsstaaten betreffende Fragen gelöst werden, sondern um den Anspruch darauf, dass bei der Lösung dieser Fragen bestimmte Rechte und Interessen beachtet werden, die Schutzgegenstand bestimmter Grundrechte sind.“
- 55
Letztlich bedarf die Frage nach einem bereits aus der Dublin II-VO selbst ableitbaren Individualschutz vorliegend aber keiner abschließenden Klärung, da sich ein solcher bereits aus dem materiellen Recht, namentlich dem Asylrecht, ergibt.
- 56
Hat nämlich das Bundesamt einen Asylantrag unter Hinweis auf die nach der Dublin II-VO bzw. Dublin III-VO bestehende Zuständigkeit eines anderen Staates in Anwendung des § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und ist im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Zuständigkeit wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen, so kann der Betroffene dann, wenn man ihm insoweit kein subjektives Recht zuerkennt und dementsprechend die Klage gegen die Entscheidung nach § 27a AsylVfG mangels Rechtsverletzung abweist, letztlich seinen Anspruch auf die ihm durch Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) sowie Art. 3 Abs. 1 der Dublin II-VO bzw. Dublin III-VO garantierte Überprüfung seines Begehrens durch einen Mitgliedstaat nicht mehr wirksam durchsetzen: Die Beklagte kann sich auf die bestandskräftige Ablehnung des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Antrages als unzulässig berufen. Eine Rückkehr in den ursprünglich zuständigen Staat hilft ihm ebenfalls nicht weiter, da er dort wegen der auf die Beklagte übergegangenen Zuständigkeit keinen Anspruch auf Prüfung seines Antrages mehr hat. Und auch ein Weiterwandern in einen dritten Mitgliedstaat führt nicht weiter, weil auch dieser sich auf die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland berufen kann (vgl. zum Ganzen etwa VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 K 500/14 –, VG Würzburg, Urteil vom 30. Oktober 2014 – W 3 14.50144 –, VG Ansbach, Urteil vom 8. Oktober 2014 – AN 10 K 14.30043 –, VG Köln, Urteil vom 27. August 2014 – 3 K 411/14.A –, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –).
- 57
Bereits von daher muss dem Betroffenen auch dann, wenn man eine entsprechende subjektiv-rechtliche Berechtigung nicht bereits unmittelbar den Regelungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO entnehmen will, eine solche letztlich jedenfalls als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylrechts zuerkannt werden (vgl. etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 – 22 K 2262/14.A –, VG Hannover, Beschluss vom 10. November 2014 – 1 B 12764/14 –, VG Regensburg, Urteil vom 23. Oktober 2014 – RN 3 K 14.30180 –, alle in juris, sowie BeckOK AuslR / Günther AsylVfG § 27a Rn. 39).
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Soweit dem in der Rechtsprechung teilweise entgegen gehalten wird, dass der ursprünglich zuständige Staat ja möglicherweise trotz des Zuständigkeitswechsels noch zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme bereit sei – etwa, weil unklar sei, wie sich ein zwischenzeitlich durchgeführtes Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auf die Überstellungsfrist auswirke – und sich der Betroffene dann, wenn ihn dieser ursprünglich zuständige Mitgliedstaat (wieder) aufnehme, nach der Rechtsprechung des EuGH auch nicht auf dessen fehlende Zuständigkeit berufen könne (so etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 25. Juni 2015 – 11 LB 248/11 –, OVG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2015 – 2 LA 17/15 –, VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 – W 6 S 14.50065 –, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –, alle in juris), erscheint dies zwar im Einzelfall durchaus denkbar.
- 59
Der Regelfall wird dies jedoch – insbesondere auch unter den im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuell obwaltenden tatsächlichen Umständen – nicht sein.
- 60
Dagegen spricht bereits generell die praktische Erwägung, dass ein Mitgliedstaat sich schon im Hinblick auf die mit jedem Asylverfahren verbundenen finanziellen und administrativen Belastungen schwerlich entschließen wird, Asylbewerber auch dann noch aufzunehmen, wenn er hierfür nach den einschlägigen Vorschriften gar nicht mehr zuständig ist (VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, juris, Rn. 44).
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Daran ändert auch eine möglicherweise auf das Wiederaufnahmeersuchen hin ergangene Zustimmungserklärung nichts, da diese – wie bereits ausgeführt – im Kontext der Bestimmungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zu sehen ist, wonach Zuständigkeiten auch wieder entfallen, wenn Fristen nicht eingehalten werden.
- 62
Zusätzliches Gewicht erhält die daraus resultierende Annahme, dass in einer Vielzahl der Aufnahme-/Wiederaufnahmeverfahren, in denen die Überstellungsfrist abgelaufen ist, der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat sich hierauf auch berufen und eine Übernahme des Betroffenen ablehnen wird, angesichts der in den letzten Monaten stark angestiegenen und auch aktuell weiterhin ansteigenden Asylbewerberzahlen (vgl. etwa dpa-Meldung vom 31. Juli 2015 „Asylbewerber-Zahl steigt im Juli auf Rekordhoch“) und einer damit einhergehenden Erschöpfung der Aufnahmekapazitäten insbesondere der an den südlichen Außengrenzen der EU gelegenen Mitgliedstaaten. Dies gilt umso mehr, als es sich dabei in der Praxis häufig – wie auch hier – zugleich um die nach der Dublin II-VO bzw. nach der Dublin III-VO ursprünglich zuständigen Mitgliedstaaten handelt. Insoweit wird derzeit diskutiert, Flüchtlinge von dort auf andere Mitgliedstaaten umzuverteilen (siehe z. B. Spiegel Online vom 20. Juli 2015 „EU-Minister verpassen Einigung in Flüchtlingsfrage“). Dass die betreffenden Staaten das so angestrebte Ziel ihrer Entlastung durch die (Wieder-)Aufnahme von Flüchtlingen konterkarieren werden, für deren Verfahren sie nach den Dublin-Verordnungen gar nicht mehr zuständig sind, steht nach der Lebenserfahrung kaum zu erwarten.
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Danach kann nicht quasi von einer Vermutung einer über das Erlöschen seiner Zuständigkeit nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO hinaus fortbestehenden Aufnahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaates ausgegangen werden. Im Gegenteil wird man für den Regelfall vielmehr davon auszugehen haben, dass der wegen Ablaufs der Überstellungsfrist nunmehr nicht mehr zuständige Mitgliedstaat sich auch entsprechend der Zuständigkeitsregelung verhalten, d. h. den Betroffenen nach Erlöschen seiner Verpflichtung hierzu nicht (wieder) aufnehmen wird, und mithin im Falle einer Bestandskraft der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 27a AsylVfG diesem die materielle Überprüfung seines Asylbegehrens letztlich insgesamt versagt bleiben könnte.
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Nach alledem wird man letztlich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10. Dezember 2013 – C 394/12 – [Abdullahi]) eine Rechtsverletzung des Asylbewerbers durch eine objektiv rechtswidrige Entscheidung des Bundesamtes nach § 27a AsylVfG in den Fällen einer nach vorheriger Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates abgelaufenen Überstellungsfrist nur dann verneinen können, wenn der ursprünglich zuständige Staat im gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt in hinreichend eindeutiger Weise – in allgemeiner Form wie z. B. einem Abkommen für bestimmte Fälle oder aber im Einzelfall – zu erkennen gegeben hat, weiterhin zur Aufnahme bereit zu sein (in diesem Sinne auch etwa VGH München, Urteil vom 20. Mai 2015 – 11 ZB 14.50036 –, VGH Mannheim, Urteil vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 –, VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 K 500/14 –, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, alle in juris).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist für den vorliegenden Fall in Ermangelung jeglichen Hinweises auf eine möglicherweise auch nach dem Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte noch fortbestehende Aufnahmebereitschaft des italienischen Staates von einer durch den objektiv rechtswidrigen Bescheid des Bundesamtes vom 14. Februar 2014 bewirkten Verletzung des Klägers in seinen Rechten auszugehen.
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3. Der angefochtene Bescheid kann schließlich nach ganz überwiegender Auffassung (vgl. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 –, VGH München, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 13a ZB 14.50068 –, OVG Hamburg, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 1 Bf 208/14.AZ –, OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 –, OVG Saarlouis, Beschluss vom 12. September 2014 – 2 A 191/14 –, OVG Münster, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, sowie z. B. VG Berlin, Urteil vom 10. Juni 2015 – 33 K 386.13 A –, juris, Rn. 17 ff., mit weiteren Nachweisen), der sich der Senat anschließt, auch nicht in eine rechtmäßige Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71a AsylVfG in Verbindung mit einer Abschiebungsanordnung oder einer Abschiebungsandrohung gemäß § 71a Abs. 4 i. V. m. § 34a bzw. § 34 AsylVfG umgedeutet werden.
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Dem steht in Bezug auf Ziffer 1 des Bescheides schon in prozessualer Hinsicht entgegen, dass die Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 27a AsylVfG – wie bereits eingangs dargelegt – nach ganz herrschender Meinung als Anfechtungsklage zulässig ist. Im Falle der Ablehnung eines Zweitantrages wäre die statthafte Klageart demgegenüber die Verpflichtungsklage, so dass bei einer entsprechenden Umdeutung über den gemäß § 88 VwGO allein von der Klägerseite zu bestimmenden Streitgegenstand hinausgegriffen würde (vgl. VGH München und OVG Saarlouis, jeweils a. a. O.).
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Überdies ginge dem Kläger ansonsten eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien wie der Verpflichtung zur persönlichen Anhörung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG und dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ausgestattet ist (VGH München, Urteil vom 28. Februar 2014 – 13a B 13.30295 –, juris, Rn. 6) und das Gericht würde im Ergebnis nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren, sondern sich anstelle der Exekutive erstmals mit dem Antrag sachlich auseinandersetzen und entscheiden, was unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung zumindest bedenklich erschiene (VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 20 m. w. N.).
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Zudem sind aber auch die Voraussetzungen für eine Umdeutung gemäß § 47 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – nicht gegeben. Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nicht zulässig ist eine Umdeutung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts.
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Demgegenüber sind die Feststellung der Unzulässigkeit nach § 27a AsylVfG und die Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG bereits nicht auf das gleiche Ziel gerichtet. Während erstere der Feststellung dient, dass nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern ein anderer Staat für die Durchführung zuständig ist, das Asylbegehren also nicht inmitten steht, hat die zweite Variante die Prüfung zum Gegenstand, ob Gründe im Sinne des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vorliegen (VGH München, VGH Mannheim, jeweils a. a. O.).
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Nicht auf das gleiche Ziel gerichtet wäre im Falle einer Umdeutung auch die Ziffer 2 des Bescheides. Diese würde sich nunmehr nicht mehr auf Italien als den ursprünglich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat beziehen können, sondern müsste in der Situation eines abgelehnten Zweitantrages gemäß § 71a Abs. 4 i. V. m. den §§ 34 bis 36 AsylVfG als Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat – hier also den Iran – ausgelegt werden (VG Kassel, Urteil vom 10. Juni 2015 – 3 K 211/14.KS.A. –, juris; VG Berlin, a. a. O., Rn. 18).
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Darüber hinaus würde eine entsprechende Umdeutung der im Bescheid explizit genannten Absicht widersprechen, den Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell zu prüfen (VGH München, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 13a ZB 14.50068 –, VG Regensburg, Urteil vom 21. Oktober 2014 – RO 9 K 14.30217, beide in juris).
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Zudem wären schließlich im Falle der Umdeutung der Unzulässigkeitsentscheidung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG dessen Rechtsfolgen ungünstiger als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Während ein Verwaltungsakt nach § 27a AsylVfG gemäß § 34a AsylVfG die Anordnung der Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedsstaat zur Folge hat, wo der Betroffene – etwa durch Stellung eines Folgeantrages – nach Maßgabe entsprechender nationaler Regelungen weiterhin um Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat nachsuchen kann, geht mit dem Erlass eines die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG verneinenden Bescheids die in aller Regel unmittelbar den Herkunftsstaat benennende Abschiebungsandrohung einher (VGH München, Urteil vom 18. Mai 2015 – 11 ZB 14.50080 –, juris, Rn. 13, VGH Mannheim, a. a. O., Rn. 41).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Sache im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats über die Berufung bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung mehr, weil die Dublin III-VO mittlerweile seit mehr als 18 Monaten in Kraft ist und sich deshalb die Frage nach einem durch die Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO bewirkten Individualschutz schon von daher allenfalls noch in einer überschaubaren Zahl weiterhin anhängiger Verfahren stellen dürfte.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. August 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
1Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu. Die aufgeworfene Frage, „ob die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO von 6 Monaten ab der - ggf. fiktiven - Zustimmung der Behörden des anderen Staates zur Rückführung des Betroffenen läuft, oder erst ab der Zustellung eines Eilbeschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG“, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig.
4In Dublin II-Verfahren wirkt sich nach der Rechtsprechung des Senats das erfolglose Eilverfahren auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus. Diese endet also sechs Monate nach (ggf. fingierter) Annahme des Aufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat.
5Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -, sowie Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 5. August 2015 - 1 A 11020/14 -; a.A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, und vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris.
6Ob Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung während des Aussetzungsverfahrens nicht zulässig ist, für Dublin III-Verfahren eine abweichende Lösung dahingehend fordert, dass im Sinne einer Hemmung der Zeitraum des erfolglosen Eilverfahrens in die Überstellungsfrist nicht eingerechnet wird,
7so VGH Bad.-Württ., Urteile vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28, und vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 228.2; a. A. Sächs. OVG, Beschluss vom 5. Oktober 2015 - 5 B 259/15.A -, juris,
8ist nicht entscheidungserheblich, weil auch diese Frist abgelaufen ist. Das Aufnahmeersuchen an Italien datiert vom 5. Januar 2015. Da Italien es nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten beantwortet hat (Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO) ist die 6-Monats-Frist am 5. September 2015 abgelaufen. Rechnet man die Zeit des Eilverfahrens hinzu, das von der Antragstellung am 5. Mai 2015 bis zur Zustellung des ablehnenden Beschlusses am 11. Juni 2015 dauerte, endete die Überstellungsfrist am 12. Oktober 2015.
9Die Frage, ob die Überstellungsfrist erst ab Zustellung des Beschlusses im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu laufen beginnt, lässt sich in Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden und unter Heranziehung der vorhandenen Rechtsprechung verneinend beantworten, ohne dass es der Klärung im Berufungsverfahren bedarf.
10Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 erfolgt die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 aufschiebende Wirkung hat. Gemeint ist mit der aus der Dublin II-Verordnung übernommenen Formulierung, die durch die Ergänzung mit dem Substantiv „Überprüfung“ sprachlich verunglückt ist, dass der Rechtsbehelf oder die Überprüfung aufschiebende Wirkung haben muss.
11Vgl. die englische Sprachfassung: „within six months …. of the final decision on an appeal or review where there is a suspensive effect in accordance with Article 27 (3)".
12Während die Dublin II-Verordnung davon ausgeht, dass ein Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat, sieht die Dublin III-Verordnung in Art. 27 Abs. 3 aus Gründen effektiven Rechtsschutzes generell zumindest eine vorübergehende Aussetzung vor. Die Mitgliedstaaten können in ihrem innerstaatlichen Recht entweder die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung anordnen (lit. a), die automatische Aussetzung der Überstellung für einen bestimmten Zeitraum regeln, innerhalb dessen ein Gericht über die Aussetzung entscheidet (lit. b), oder ein gerichtliches Aussetzungsverfahren vorsehen, während dessen allerdings nicht abgeschoben werden darf (lit. c). Deutschland hat mit § 34a AsylG von der letztgenannten Handlungsalternative Gebrauch gemacht. Die Vorgabe in Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 2 Dublin III-VO, dass die Überstellung ausgesetzt werden muss, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist, ist in § 34a Abs. 2 AsylG umgesetzt, wonach die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zulässig ist.
13Die Dublin III-Verordnung trifft keine Regelung zu der Frage, wie sich der Umstand, dass während des Aussetzungsverfahrens nicht abgeschoben werden darf, auf die Berechnung der Überstellungsfrist auswirkt. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO regelt nur den Fall des Art. 27 Abs. 3 lit. a) Dublin III-VO, in dem Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht die aufschiebende Wirkung der Klage oder der Überprüfung vorsehen, sowie den Fall, in dem nach Art. 27 Abs. 3 lit. c) Dublin III-VO ein Aussetzungsantrag Erfolg hat. Wie die Frist zu berechnen ist, wenn ein Aussetzungsantrag nach Art. 27 Abs. 3 lit. c) Dublin III-VO erfolglos ist, bestimmt die Dublin III-Verordnung nicht.
14Eine Auslegung des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO dahingehend, dass die Überstellungsfrist bei erfolglosem Eilverfahren im Sinne des Art. 27 Abs. 3 lit. c) Dublin III-VO ab der Zustellung eines Eilbeschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO (neu) zu laufen beginnt, scheidet jedenfalls aus. Sie ist mit dem Wortlaut und der Systematik der Art. 27 und 29 Dublin III-VO sowie dem Sinn und Zweck der Vorschriften nicht vereinbar. Ein Rechtsbehelf – ein solcher ist im deutschen Recht vorgesehen, keine Überprüfung – im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 2. Alt. Dublin III-VO ist der Hauptsacherechtsbehelf, d. h. die Klage. Der Verordnungsgeber – das zeigen auch Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 1 Dublin III-VO – unterscheidet klar zwischen dem Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung (Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO) und dem Aussetzungsverfahren (Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO). Erst im Hauptsacheverfahren erfolgt die „endgültige Entscheidung“ im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO. Nach Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 1 Dublin III-VO kann der Antragsteller bis zum Abschluss dieses Rechtsbehelfs die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung beantragen. Während des Aussetzungsverfahrens gilt gemäß Art. 27 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO nur, dass die Mitgliedstaaten für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form sorgen müssen, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. Damit kommt aber nicht dem Aussetzungsantrag aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zu. Schließlich widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin III-VO. Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen.
15Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -.
16Würde die Frist (erneut) mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu laufen beginnen, könnte der überstellende Mitgliedstaat durch eine möglichst späte Zustellung des Bescheids den Fristlauf zu seinen Gunsten beeinflussen.
17Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 228.2.
18Dass die Mitgliedstaaten, die sich für eine Aussetzung kraft Gesetzes nach Art. 27 Abs. 3 lit. a) Dublin III-VO entschieden haben, stets erst bis sechs Monate nach Ergehen der Hauptsacheentscheidung überstellen müssen, erfordert keine andere Betrachtung. Dies ist Folge der in Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eingeräumten Handlungsmöglichkeiten.
19Ob dies zur Folge hat, dass nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 1. Alt. Dublin III-VO die 6-Monats-Frist ab Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs gilt, oder ob Art. 27 Abs. 3 lit. a) Dublin III-VO erfordert, dass der Zeitraum des erfolglosen Eilverfahrens in die Frist nicht eingerechnet werden darf, ist – wie ausgeführt – hier nicht entscheidungserheblich. Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, dass dies der Fall ist. Beließe man es bei der Anwendung dieser Regelung auch in Fällen eines erfolglosen Eilverfahrens, bliebe unberücksichtigt, dass den Mitgliedstaaten grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen, um die Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln.
20Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A
211347/14.A -, juris, Rn. 12.
22Diese Zeit darf wohl nicht durch ein gesetzliches Vollstreckungshindernis verkürzt werden, wie Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 2 Dublin III-VO es – anders als noch die Dublin II-Verordnung – vorgibt. Es erscheint durchaus sachgerecht, die Regelungslücke so zu schließen, dass im Sinne einer Hemmung (vgl. § 209 BGB) der Zeitraum des erfolglosen Eilverfahrens in die Überstellungsfrist nicht eingerechnet wird.
23Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28, und vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff.; siehe auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 228.2.
24Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG). Der angeführte Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A - betrifft die Berechnung der Überstellungsfrist nach der Dublin II-VO. Das Verwaltungsgericht ist deshalb mit seiner Entscheidung zur Dublin III-VO, die – wie ausgeführt – Neuregelungen zur Aussetzung der Überstellung enthält, mit keinem abstrakten Rechtssatz hiervon abgewichen.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
26Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.