Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 16. Okt. 2014 - 5a K 915/14.A

ECLI:ECLI:DE:VGGE:2014:1016.5A.K915.14A.00
bei uns veröffentlicht am16.10.2014

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 25 Aufenthalt aus humanitären Gründen


(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlau

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 16. Jan. 2014 - 13a B 13.30025

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Tenor I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. März 2012 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Oktober 2011 aufgehoben. II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in b

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2014 - 13a ZB 14.30002

bei uns veröffentlicht am 18.09.2014

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung g

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 30. Jan. 2014 - 13a B 13.30279

bei uns veröffentlicht am 30.01.2014

Tenor I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 24. Oktober 2012 wird die Klage insgesamt abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. III. Das

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 10. Sept. 2014 - 13 A 984/14.A

bei uns veröffentlicht am 10.09.2014

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 20. März 2014 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. 1Der Antr

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 26. Aug. 2014 - 13 A 2998/11.A

bei uns veröffentlicht am 26.08.2014

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. November 2011 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Das Urteil ist hinsichtlich der Ko

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 20. März 2014 - 5a K 4464/11.A

bei uns veröffentlicht am 20.03.2014

Tenor Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 21. März 2012 - 8 A 11050/10

bei uns veröffentlicht am 21.03.2012

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten beider Rechts

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 21. März 2012 - 8 A 11048/10

bei uns veröffentlicht am 21.03.2012

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird festzustellen, dass im

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 06. März 2012 - A 11 S 3177/11

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Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.Die Revisio
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Verwaltungsgericht München Urteil, 17. Dez. 2014 - M 23 K 12.30580

bei uns veröffentlicht am 17.12.2014

Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht München M 23 K 12.30580 Im Namen des Volkes Urteil vom 17. Dezember 2014 23. Kammer Sachgebiets-Nr. 710 Hauptpunkte: Herkunftsland: Afghanistan; Widerruf natio

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 20. März 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


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Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. November 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird festzustellen, dass im Falle des Klägers ein unionsrechtlich begründetes Abschiebungsverbot (hier: § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) vorliegt.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der im Jahre 1981 in der Provinz Ghazni geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Nachdem er nach eigenen Angaben am 11. Februar 2003 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, beantragte er am 25. Februar 2003, als Asylberechtigter anerkannt zu werden. Zur Begründung seines Asylbegehrens führte er im Wesentlichen aus, er habe insgesamt sechs Jahre lang in seinem Heimatland die Schule besucht, wovon er sich drei Jahre lang an einer Koranschule aufgehalten habe. Nach seinem Schulbesuch habe er bei seinem Vater in der Landwirtschaft gearbeitet. Sein Heimatland habe er bereits drei Jahre vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verlassen. Dabei habe er sich eineinhalb Jahre nach seiner Ausreise in Teheran aufgehalten. Sein jüngerer Bruder habe im Zeitpunkt der Anhörung noch in Afghanistan gelebt.

2

Sein Vater sei im Jahre 1998 von den Taliban festgenommen worden und eineinhalb Monate inhaftiert gewesen. Etwa drei bis vier Monate nach seiner Freilassung sei er verstorben. Der Vater sei Mitglied der Wahdat-e Islami und deshalb in der Region bekannt gewesen. Nachdem es immer häufiger zu Auseinandersetzungen mit Taliban und Paschtunen gekommen sei, habe der Kläger sein Heimatland verlassen. Bei einem Granatangriff habe er etwas abbekommen und sei verletzt worden. Zurückkehren könne er nicht, da es in Afghanistan keine Sicherheit und Ordnung gebe.

3

Mit Bescheid vom 6. September 2004 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass in seinem Fall die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Auf die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Koblenz (2 K 3189/04.KO) mit Urteil vom 10. Mai 2005 die von der Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung wegen eines Zustellungsmangels auf und wies die Klage im Übrigen ab.

4

Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6 A 10819/05.OVG) mit Beschluss vom 22. Juni 2005 ab. Unter dem 24. August 2006 erließ die Beklagte gegen den Kläger erneut eine Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Afghanistan.

5

Am 16. November 2006 beantragte der Kläger, in seinem Falle ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Hierzu berief er sich darauf, dass sein Vater von den Taliban geschlagen und gefoltert worden sowie einige Tage nach seiner Freilassung den Folgen der Folter erlegen sei. Er selbst sei gezwungen gewesen, sein Heimatland zu verlassen, da die Taliban der Erzfeind seines Volkes seien. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan müsse er damit rechnen, von den Taliban getötet zu werden, da sein Vater Mitglied der Wahdat-Partei gewesen sei.

6

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte die Beklagte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie die Abänderung ihrer zu § 53 AuslG getroffenen Feststellungen ab.

7

Am 11. Januar 2007 hat der Kläger Klage erhoben, wobei er ergänzend ausgeführt hat, dass seine Eltern und ein Bruder verstorben seien. Der in seiner Anhörung erwähnte Bruder halte sich bei einer Tante im Iran auf. Nachdem der Kläger seinen Antrag in der mündlichen Verhandlung des Gerichts vom 11. April 2007 darauf beschränkt hat, die Beklagte zu verpflichten, ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, hat das Verwaltungsgericht in seinem aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangenen Urteil eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten ausgesprochen. Es hat hierzu dargelegt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen der dort bestehenden schlechten Versorgungslage in eine lebensbedrohliche Bedrängnis geriete und damit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

8

Zur Begründung der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat die Beklagte ausgeführt, dass im Falle des Klägers keine extreme Gefahrenlage bei verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG anzunehmen sei. Bei einer Rückkehr könne eine aus der allgemeinen Lage resultierende Gefahr für Leib und Leben zwar nicht völlig ausgeschlossen werden. Jedenfalls im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage aber nicht so schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schweren Verletzungen ausgeliefert würde. Insbesondere bestünden keine Anzeichen für eine Hungerkatastrophe. Vor dem Hintergrund der persönlichen Lebenssituation des Klägers als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann sei davon auszugehen, dass er im Raum Kabul eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde.

9

Der Kläger hat darauf verwiesen, dass er aus der Provinz Ghazni stamme, die unter der Kontrolle der Taliban stehe. Dort müsse er wegen seines langjährigen Aufenthalts im Westen und seiner auch äußerlich erkennbaren Volkszugehörigkeit sowie seiner schiitischen Religionszugehörigkeit mit Übergriffen durch die Taliban rechnen. Vor diesem Hintergrund sei ihm auch ein Ausweichen nach Kabul nicht zumutbar. Am Zufluchtsort müsse eine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung bestehen und zumindest das Existenzminimum gewährleistet sein. Dies sei indessen angesichts der sozialen Lage in Kabul nicht der Fall. Vielmehr sei auch in Kabul für eine mittellose Person ohne intakten Familienverband die Gefahr des Todes durch Unterernährung gegeben. Von dem Fortbestand intakter Familien- und Stammesstrukturen in Kabul könne indessen nicht ausgegangen werden. In der Herkunftsregion des Klägers bestehe ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit führe. Ein Ausweichen in einen anderen Landesteil sei ihm nicht zumutbar. Er verfüge auch nicht über eine besondere Schul- oder Berufsausbildung, die ihn in besonderer Weise für den Arbeitsmarkt in Afghanistan qualifizierte.

10

Mit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2008 ergangenem Urteil hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass im Falle des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliege. Der Kläger sei bei seiner Rückkehr nach Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen allgemeinen Gefahr in dem Sinne ausgesetzt, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Er wäre nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sichern. Die Versorgungssituation werde auch nicht durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen verbessert. Wegen der zu erwartenden Mangelernährung, die ausschließlich aus Brot und Tee bestehe, werde der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten. Da die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorlägen, erübrige sich eine Entscheidung darüber, ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben seien.

11

Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2010 (− 10 C 10/09 −, BVerwGE 137, 226) die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

12

Im weiteren Verfahren führt die Beklagte ergänzend aus, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vorlägen. Hinsichtlich seiner Herkunft aus dem Dorf S. in der Provinz Ghazni sei nicht von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts auszugehen. Die Annahme einer individuellen Gefährdung, die allein auf den Umstand eines bewaffneten Konfliktes abstelle, erfordere eine Gefahrendichte, wie sie vergleichbar bei der Verfolgungsdichte im Hinblick auf eine Gruppenverfolgung angenommen werde. Von einer derartigen Verfolgungsdichte könne indes angesichts der Opferzahlen in der Provinz Ghazni nicht ausgegangen werden. Zudem wäre dem Kläger ein Ausweichen nach Kabul zuzumuten.

13

Die Beklagte beantragt,

14

unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2007 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz die Klage abzuweisen.

15

Der Kläger beantragt,

16

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass vorrangig das Vorliegen eines unionsrechtlichen Abschiebungshindernisses (Art. 15 QRL) festgestellt wird,

17

hilfsweise,

18

1. den Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Rechtsfrage vorzulegen, ob die Definition des Grades willkürlicher Gewalt bzw. der notwendigen Gefährdungsdichte seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in seinem Urteil vom 27. Februar 2010 – 10 C 4.09 – mit Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG vereinbar ist,

19

2. den Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Frage vorzulegen, ob die inländische Schutzalternative des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzt, dass dort ein normales Leben mit Zugang zu Nahrung, Wasser, Unterkunft und medizinischer Versorgung unter Beachtung der individuellen Bedürfnisse gewährleistet, also sichergestellt ist und ein normales Leben ohne unangemessene Härte mit Garantie der Achtung der grundlegenden Menschenrechtsstandards, einem gewissen Maß an Stabilität und effektiven staatlichen Strukturen und zivilen Schutzstrukturen, die effektiven Schutz vermitteln, und ein normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum ohne ein Leben in Not und mit Entbehrungen auf Dauer gewährleistet, also sichergestellt ist,

20

3. Beweis zu erheben zu der Tatsache, dass junge Männer zwischen ca. 14 und 40 Jahren in Ghazni von Zwangsrekrutierungen durch die Taliban betroffen sind und im Falle der Weigerung mit ihrer Erschießung rechnen müssen, sowie zu der Tatsache, dass junge Männer, die sich jahrelang im Westen aufgehalten haben, unvermeidlich zu erkennen und wegen einer pauschal vermuteten Gegnerschaft zu den Taliban oder einer Spitzeltätigkeit für den Westen an Leib und Leben gefährdet sind, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und sachverständiges Zeugnis des Herrn Dr. M. D.,

21

4. zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger nicht in der Lage ist bzw. es ihm sehr schwer fällt, zeitliche Einordnungen vorzunehmen, und er auch nicht in der Lage ist bzw. es ihm sehr schwer fällt, bei Schilderungen der Vergangenheit sein Alter richtig einzuschätzen, ein medizinisch-psychologisches Sachverständigengutachten einzuholen.

22

Er legt ergänzend dar, dass er von Taliban angegriffen worden sei. Zudem sei es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Paschtunen und Hazara gekommen. Im Hinblick auf das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts habe das nationale Recht das einschränkende Merkmal der „willkürlichen Gewalt“ nicht übernommen. Abgesehen davon werde in seinem Falle auch dieses Merkmal erfüllt. Er sei bei einer Rückkehr infolge willkürlicher Gewalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt. In Afghanistan könne es jederzeit zu Attentaten, Bombenanschlägen und bewaffneten Auseinandersetzungen kommen. Die Sicherheitslage habe sich ständig weiter verschlechtert. Dies gelte insbesondere für vorher als sicher eingeschätzte Regionen. Das Risiko des Einzelnen, Opfer entsprechender Auseinandersetzungen zu werden, sei überall akut. Was die Gefahrendichte in seiner Herkunftsregion angehe, so müsse berücksichtigt werden, dass im Distrikt Nuwar lediglich 81.000 Menschen lebten. Die Taliban gewännen immer stärker die Oberhand. Sie beherrschten die Provinz Ghazni. Die Hazara stünden dabei in besonderem Maße im Blickfeld der Taliban. Anknüpfungspunkt hierfür seien ethnische und religiöse Gründe. Hieraus ergebe sich auch eine besondere Gefährdung für ihn. Zudem müsse er bei einer Rückkehr mit Zwangsrekrutierung und Folter rechnen. Ein Ausweichen nach Kabul komme nicht in Betracht, da er dort über keine Verwandten verfüge und in der Stadt völlig fremd sei.

23

In seiner Anhörung durch den Berichterstatter am 16. Februar 2011 hat der Kläger ergänzend dargelegt, dass er vor seiner Ausreise im Ort A. S. gelebt habe. Nach dem Tod seiner Eltern sei er zu einem Freund seines Vaters in diesen Ort gezogen. Zu der Familie dieses Freundes habe er bis 2006 Kontakt gehalten. Zu diesem Zeitpunkt habe die Familie im Iran gelebt. Sein Vater habe gegen die Taliban gekämpft. Er habe der Hazara-Partei Hezb-i Wahdat angehört. Das Haus der Familie sei bei den Auseinandersetzungen mit den Taliban beschädigt worden. Wegen der Darlegungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2012 wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

24

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau Dr. Marie Luise Ternes als Sachverständige zur Frage der gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch eine Mangelernährung sowie durch Einholung von Sachverständigengutachten des UNHCR, von Frau Dr. K. L. und durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes zur Einschätzung der Lage in Afghanistan im Hinblick auf das Vorliegen bewaffneter Auseinandersetzungen in der Provinz Ghazni und zur Versorgungslage im Land. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Akteninhalt verwiesen.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze, auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.

27

Die Klage ist begründet, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG begehrt. Insoweit ist der Entscheidungsausspruch des Verwaltungsgerichtes klarzustellen.

28

1. Bei der Entscheidung des Senates war § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG neben dem nationalen Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zu dessen Feststellung das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, Gegenstand des Verfahrens.

29

Die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote, zu denen neben § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gehört und deren Grundlagen sich aus Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie – ergeben, sind mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I 2007, 1970) im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ablehnungsbescheid der Beklagten – wie hier − sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote erfasst und der Kläger die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote in sein Verfahren einbezogen hat. Die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote bilden einen eigenständigen, vorrangig vor den nationalen Abschiebungsverboten zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 ─, BVerwGE 136, 360 und juris Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 und juris, Rn. 6).

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2. Ist hiernach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, so liegen jedenfalls insoweit auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG vor.

31

Das dem gerichtlichen Verfahren zugrundeliegende Verwaltungsverfahren der Beklagten betraf einen Asylfolgeantrag. Soweit im ursprünglichen Asylverfahren bereits eine Feststellung zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG getroffen worden ist, kommt hiernach eine erneute Prüfung der entsprechenden Abschiebungsverbote nur unter den Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77 und juris, Rn. 9). Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens setzt nach § 51 Abs. 1 VwVfG voraus, dass

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1. sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;

2. neue Beweismittel vorliegen, die eine den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder

3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der ZPO gegeben sind.

33

Im Falle des Klägers ist von einer zu seinen Gunsten geänderten Sach- und Rechtslage auszugehen. Einerseits ist von einer Änderung der Rechtslage auszugehen, die sich für den Kläger als günstig erweist. Hierzu ist darauf abzustellen, dass in seinem Verfahren nunmehr die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote nach der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen sind und hierbei insbesondere nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts relevant werden kann. Zudem liegt jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Senates, der nach § 77 Abs. 1 AsylVfG auch für die Beurteilung des Vorliegens eines Wiederaufgreifensgrundes maßgeblich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 2 BvR 1262/07 −, juris Rn. 15; OVG Hamburg, Urteil vom 16. Juni 2006 – 5 Bf 302/Q.3.A −, juris), zur Ausfüllung dieses Tatbestandes eine zugunsten des Klägers veränderte Sachlage vor. Eine derartige Änderung ist bei asylrechtlichen Dauersachverhalten dann anzunehmen, wenn eine qualitativ neue Bewertung angezeigt und möglich erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2008, a.a.O., Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 71 AsylVfG Rn. 24). Hinsichtlich der Situation in der Herkunftsregion des Klägers, der Provinz Ghazni, ist eine qualitative Veränderung im Hinblick auf die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes darin zu sehen, dass in diesem Gebiet eine sowohl absolut wie auch gemessen an der Bevölkerungszahl von gut 1 Mio. Einwohner hohe Zahl sicherheitsrelevanter Zwischenfälle festzustellen ist (vgl. Auswärtiges Amt, Amtliche Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 1. November 2011). Die Zahl der Angriffe Aufständischer belief sich im Jahr 2010 auf 1.540 (D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Ghazni und Nangarhar, März 2011) und nahm gegenüber dem Vorjahr um 234 % zu (UNHCR, Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011) Hiernach ist aber eine erhebliche Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten, die eine neue inhaltliche Bewertung seines Anspruchs auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes als möglich erscheinen lässt.

34

3. Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auch vor. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

35

a. Für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Ghazni, ist derzeit von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne dieser Vorschrift auszugehen.

36

aa. Anknüpfungspunkt für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist dessen Bedeutung im humanitären Völkerrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 und juris, Rn. 19 ff.). Das Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II) vom 8. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1637), definiert in Art. 1 den innerstaatlichen Konflikt als bewaffneten Konflikt, der im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfindet, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Nach Art. 1 Abs. 2 des Zusatzprotokolls II findet dieses keine Anwendung auf Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen.

37

Erreicht eine Auseinandersetzung im innerstaatlichen Bereich einen Grad, der zwischen den beiden im Zusatzprotokoll angesprochenen Ausgestaltungen eines Konfliktes liegt, so scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes nicht von vorneherein aus. Voraussetzung ist allerdings, dass die Auseinandersetzung ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit ausweist. Typische Beispiele hierfür sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008, a.a.O. und juris, Rn. 22; Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 23). Wie der Vorschrift des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG zu entnehmen ist, liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt auch dann vor, wenn er lediglich einen Teil des Staatsgebietes erfasst. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie enthält Regelungen über die Erfordernisse internen Schutzes im Herkunftsland. Beschränkt sich ein bewaffneter Konflikt auf einzelne Landesteile, so kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008, a.a.O. und juris, Rn. 25; Urteil vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188 und juris, Rn. 17).

38

bb. Anknüpfend an diese Kriterien ist für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Ghazni, vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes auszugehen. In der Provinz kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und ISAF- Streitkräften auf der einen und militärisch organisierten oppositionellen Gruppierungen auf der anderen Seite, die sich in Dauerhaftigkeit und Intensität von den allgemeinen Verhältnissen in Afghanistan deutlich abheben und die für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts aufgezeigte Schwelle überschreiten.

39

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es landesweit in unterschiedlicher Intensität zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Regierungstruppen und der unter Führung der NATO operierenden internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) auf der einen sowie den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite kommt. Das Land ist durch eine andauernde Instabilität geprägt. Insgesamt ist in den Jahren 2010 und 2011 eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Die Zahl der Anschläge hat sich im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 65 % erhöht. Während nach wie vor ein Schwerpunkt der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Land in den südlichen und südöstlichen Regionen festzustellen ist, lässt sich gleichzeitig eine stärkere geografische Verteilung entsprechender Vorfälle konstatieren (vgl. UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; ders., Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Die für das Jahr 2010 genannte Zahl getöteter Zivilpersonen schwankt in einzelnen Quellen zwischen 2.428 (amnesty international, Report 2011 Afghanistan vom 18. August 2011) und 2.777 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Landesweit ist im ersten Halbjahr 2011 ein Anstieg der Zahl der getöteten Zivilisten um 15 % festzustellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Für das gesamte Jahr 2011 wird eine Zahl von 3021 ziviler Todesopfer genannt (United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012), so dass erneut von einem beträchtlichen Anstieg auszugehen ist.

40

Gegenüber dieser allgemeinen Ausgangslage in Afghanistan erreicht der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungstruppen sowie den ISAF-Kräften in der Provinz Ghazni in den letzten Jahren eine besondere Intensität. Wie bereits dargelegt, gehört die Provinz zu den unsichersten Regionen Afghanistans Die Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in der Provinz haben im Jahr 2010 binnen Jahresfrist um 234 % zugenommen und damit einen Wert erreicht, der sogar die Zahl entsprechender Vorfälle in den seit Jahren schwerst umkämpften Provinzen Helmand und Kandahar übersteigt (UNHCR, Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Auch im Jahre 2011 hat die Zahl der Angriffe regierungsfeindlicher Organisationen auf hohem Niveau verharrt und eine Steigerung auf 1679 erfahren, die nur von der Zahl entsprechender Übergriffe in der Provinz Helmand übertroffen wird (The Afghanistan NGO Safety Office – ANSO, Quaterly Data Report IV/2011, Januar 2012). Nach Einschätzung des UNHCR ist die Lage in Ghazni aufgrund der hohen Zahl von zivilen Todesopfern, der Häufigkeit sicherheitsrelevanter Zwischenfälle und der Anzahl von Personen, die aufgrund des bewaffneten Konflikts vertrieben wurden, in Teilen der Provinz als eine Situation allgemeiner Gewalt anzusehen. Durch das Vorgehen der ISAF zur Aufstandsbekämpfung ist unmittelbar keine Stabilisierung der Lage eingetreten. Vielmehr ist es, nachdem die ISAF-Einheiten im Distrikt Nuwar ab Januar 2011 verstärkt Operationen gegen Aufständische unternommen haben, in der Provinz zu Unruhen gekommen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011). Insgesamt kommt es hiernach zu fortdauernden bewaffneten Auseinandersetzungen von hoher Intensität. Nach der Auskunftslage ist es nicht möglich, hinsichtlich der Verhältnisse innerhalb der Provinz Ghazni konkrete Daten für einzelne Distrikte zu ermitteln (vgl. UNHCR, Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011), so dass von einem sich über die gesamte Provinz erstreckenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen ist.

41

b. Von diesem bewaffneten Konflikt in der Provinz Ghazni geht allerdings kein so hoher Grad willkürlicher Gewalt aus, dass jeder in die Region Zurückkehrende allein durch seine Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein.

42

Da der Kläger jedoch vor seiner Ausreise aus Afghanistan nach Überzeugung des Senates bereits einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben durch einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgesetzt war, greift zu seinen Gunsten die Vermutung des nach § 60 Abs. 11 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie, wonach dies ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Stichhaltige Gründe, mit denen diese Vermutung entkräftet werden könnte, sind nicht ersichtlich.

43

aa. Hinsichtlich der Situation in der Provinz Ghazni kann nicht von einer so hohen Gefahrendichte im Hinblick auf den dort bestehenden innerstaatlichen Konflikt ausgegangen werden, dass sich aus der allgemeinen Lage bereits eine individuelle ernsthafte Bedrohung für jede Person ergibt, die sich dort aufhält.

44

(1) Was eine sich im Rahmen einer allgemeinen Gefahrenlage bestehende Bedrohung angeht, so ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zunächst richtlinienkonform dahin auszulegen, dass diese Vorschrift bei Vorliegen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie, der durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in nationales Recht umgesetzt wurde, keine Sperrwirkung entfaltet. Der Betroffene muss sich bei einer allgemeinen Gefahr nicht mit der in § 60 a Abs. 1 AufenthG vorgesehenen Aussetzung der Abschiebung zufriedengeben, da ihm nach Art. 24 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. und juris, Rn. 31).

45

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit dann anzunehmen, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Mit einer solchen Auslegung wird dem Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen. Hiernach verlangt eine dennoch erfolgende Berücksichtigung eine Ausnahmesituation mit einem hohen Gefahrengrad. Hingegen kann der zur Gewährung subsidiären Schutzes erforderliche Grad willkürlicher Gewalt umso geringer sein, je mehr der Betroffene zu belegen vermag, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände in besonderem Maße hierdurch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 (Rechtssache C-465/07 Elgafaji, Rn. 35 bis 39).

46

Für die Annahme einer entsprechenden Bedrohung ist dabei auch nach nationalem Recht erforderlich, dass sie durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgelöst wird. Das entsprechende Tatbestandsmerkmal von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ist auch Bestandteil der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geworden. Wie sich der Begründung des Regierungsentwurfs zu diesem Gesetz entnehmen lässt (BT-Drs. 16/5065, S. 187), war es Absicht des Gesetzgebers, den Tatbestand des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie und damit auch das Erfordernis willkürlicher Gewalt in vollem Umfang in nationales Recht umzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 32). Von willkürlicher Gewalt ist auszugehen, wenn sich die in Frage stehende Gewalt auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009, Rn. 34).

47

Hiernach ist dann ein besonders hohes Maß willkürlicher Gewalt erforderlich, wenn keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen. Liegen solche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören solche persönlichen Besonderheiten, die den Rückkehrer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, wie etwa eine berufliche Verpflichtung, sich in Gefahrennähe aufzuhalten. Hierzu können aber auch persönliche Umstände gerechnet werden, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie, aufgrund derer der Betroffene zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33; Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 −, juris Rn. 18). Bei der Feststellung, ob eine entsprechende individuelle erhebliche Gefahr gegeben ist, ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits erforderlich, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Weiterhin bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33). Die entsprechende Gefahr muss dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O. juris Rn. 20). Was die im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende quantitative Beurteilung angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. November 2011 (- 10 C 13/10 -, juris Rn. 22 f.) das Risiko, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 800 verletzt oder getötet zu werden, als für die Annahme einer individuellen Gefahr keinesfalls hinreichend angesehen.

48

(2) Trotz der insgesamt kritischen Situation in der Provinz Ghazni ist anhand dieser Kriterien nicht von einer solchen Gefahrendichte auszugehen, dass jede Zivilperson, die aus dem Ausland zurückkehrt allein durch ihre Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

49

Die Provinz Ghazni weist eine Einwohnerzahl von etwa 1,1 Mio. Menschen auf. Ihre Bevölkerungsdichte beträgt 49 Einwohner pro km² (vgl. D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich - Schweiz, Sicherheitslage in Ghazni und Nangarhar, März 2011). Die Zahl der Angriffe Aufständischer belief sich im Jahr 2010 auf 1.540, womit Ghazni die Provinz in Afghanistan war, in der sich die meisten Angriffe ereigneten. 2009 ereigneten sich lediglich 461 Angriffe (vgl. D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich - Schweiz, Sicherheitslage in Ghazni und Nangarhar, März 2011). Für 2011 ist von 1679 Vorfällen dieser Art auszugehen (ANSO, Quaterly Data Report, 4/2011, Januar 2012). Was die Zahl der Todesopfer angeht, so liegen keine allein auf Ghazni beschränkten Zahlen vor. Indessen wird die Zahl der zivilen Todesopfer in den vier südöstlichen Provinzen Ghazni, Paktia, Paktika und Khost mit 513 für das Jahr 2010 angegeben (vgl. Auskunft des UNHCR an das OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2010). Alle vier Provinzen zusammengenommen weisen eine Einwohnerzahl von etwa 2,6 Mio. auf (Paktia: 550.000 - Militärgeschichtliches Forschungsamt, Stellungnahme aus 2009, Paktia und Kundus; Paktika: 438.000 - Wikipedia; Khost: 546.000 - Wikipedia). Die Zahl der Verletzten lässt sich nicht unmittelbar ermitteln. Allerdings zeigt sich, dass in Afghanistan insgesamt bei innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen in den Jahren 2009 bis 2011 der Anteil der Verletzten etwa das 1 ½-fache der Zahl der Todesopfer betrug (UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012). Hiernach dürfte die Gesamtzahl der Opfer in den vier Provinzen auf weniger als 1.500 einzuschätzen sein.

50

Für die Lage in Ghazni bedeutet dies, dass zwar eine hohe Zahl von Anschlägen festzustellen ist. Statistisch entfällt etwa ein Anschlag auf 700 Einwohner. Allerdings führt nicht jeder Anschlag zu Opfern in der Zivilbevölkerung. Vielmehr entfällt in den vier südöstlichen Provinzen ein Todesfall in der Zivilbevölkerung auf etwa 5.000 Einwohner. Die Wahrscheinlichkeit, als Toter oder Verletzter Opfer eines bewaffneten Konflikts zu werden, trifft einen von etwa 1.800 Einwohnern. Auch die vergleichsweise dünne Besiedlung Ghaznis trägt dazu bei, dass das Risiko des Einzelnen, von einem Vorfall betroffen zu werden, geringer ausgeprägt ist als im großstädtischen Bereich.

51

Angesichts dieser Gesamtsituation wirkt es sich auch nicht zugunsten der Betroffenen aus, dass die medizinische Versorgungslage in Afghanistan – insbesondere in ländlichen Bereichen − weiterhin als unzureichend angesehen werden muss und ein Zugang zu Gesundheitseinrichtungen nicht gewährleistet ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011). Vielmehr lässt sich schon allein anhand der Gefahrendichte feststellen, dass sich nicht für jeden Rückkehrer allein wegen seines Aufenthaltes in der Provinz eine ernsthafte individuelle Bedrohung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 23).

52

bb. Dem Kläger kommt indessen die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zugute. Denn er war vor seiner Ausreise aus Afghanistan unmittelbar als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung von Leib und Leben im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt.

53

(1) Nach der gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG bei der Feststellung von Abschiebungsverboten zu berücksichtigenden Regelung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie ist die Tatsache, dass ein Betroffener bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist oder dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

54

Mit dieser Bestimmung bleibt der Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Annahme einer drohenden Beeinträchtigung durch den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt unverändert. Zugunsten des Betroffenen ist indessen von einer widerleglichen Vermutung auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland in vergleichbarer Weise mit Verfolgung oder dem Eintritt eines ernsthaften Schadens zu rechnen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377 und juris, Rn. 22 f.).

55

(2) Nach der im Kern glaubhaften Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 21. März 2012 war er in seinem Heimatdorf im Jahre 1998 unmittelbar davon bedroht, durch einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner körperlichen Unversehrtheit oder seinem Leben ernsthaft beeinträchtigt zu werden. Hierzu führte er an, dass das Dorf, in dem er gelebt habe, im Jahre 1998 von den Taliban angegriffen worden sei. Absicht der Taliban sei es damals gewesen, den Stamm der Hazara zu vernichten. Der Angriff sei so verlaufen, dass zunächst das Artilleriefeuer in benachbarten Dörfern zu hören gewesen sei. Hierauf seien Frauen und Kinder in umliegende Berghöhlen verbracht worden. Auch er habe zu den Personen gehört, die das Dorf verlassen hätten. Die Ortschaft sei von den Taliban mit Raketenwerfern beschossen worden. Durch den Angriff sei etwa die Hälfte des Ortes beschädigt worden. Die Taliban hätten das Dorf eingenommen. Es seien auch zahlreiche Männer aus dem Dorf bei diesem Angriff ums Leben gekommen. Er habe daraufhin unter Mithilfe eines Freundes seines Vaters den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen. Hierzu habe er sich nach diesem Vorfall noch etwa fünf bis sechs Monate in Afghanistan aufgehalten.

56

Der Kläger schilderte insoweit in plastischer Weise und nachvollziehbar einen Lebenssachverhalt, den er im Kern während seines gesamten Asylverfahrens, seit dem Jahre 2003 entsprechend wiedergegeben hatte. Schon in seiner ersten Anhörung durch die Beklagte war die Rede davon, dass es nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1998 zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Hazara auf der einen und Paschtunen sowie den Taliban auf der anderen Seite gekommen sei und dass er unmittelbar von einem Granatangriff betroffen gewesen sei. Auch in seiner gerichtlichen Anhörung vom 16. Februar 2011 gab er an, dass sein Heimatort von den Taliban mit Granaten und Artillerie beschossen worden sei. Er selbst habe eine Verletzung an der Hüfte durch eine Granate erlitten. Auch das Haus der Familie sei bei dem Granatangriff beschädigt worden. Insgesamt war der Darstellung des Klägers die lebensnahe Schilderung des Ablaufs eines Artillerieangriffs aus Sicht eines Betroffenen zu entnehmen.

57

Die Angaben finden im Übrigen ihre Bestätigung durch die vom Gericht zur Frage einer innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzung eingeholten Auskünfte. So führte das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 1. November 2011 aus, dass die Provinz Ghazni im Januar 1995 von den Taliban erobert worden sei. Nachdem diese seit Mitte 1996 nahezu landesweit die Regierungsgewalt übernommen gehabt hätten, hätten sie 1997 damit begonnen, die westlichen, südlichen und östlichen Zugänge zum Hazara-Gebiet, dem Hazaryat, zu blockieren. Dies habe 1998/1999 zu einer Hungersnot geführt, die auch die von Hazara bewohnten Teile der Provinz Ghazni betroffen habe. Dabei sei es zu teils heftigen Kämpfen zwischen Taliban und bewaffneten Hazara-Gruppierungen gekommen. Auch die Heimatregion des Klägers sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Schauplatz derartiger bewaffneter Auseinandersetzungen gewesen. Genaue Opferzahlen könnten nicht genannt werden, jedoch sei die Bevölkerungsgruppe der Hazara in besonderer Weise von diesen Auseinandersetzungen tangiert gewesen. Eine entsprechende Schilderung der Verhältnisse findet sich auch in der Auskunft des UNHCR vom 11. November 2011. Auch hierin wird darauf hingewiesen, dass es in den Jahren 1998 bis 2000 zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und der Nordallianz gekommen sei, zu der auch die wesentlich von Hazara getragene Partei Hezb-e Wahdat gehört habe. Folge hiervon seien auch Opfer unter der Zivilbevölkerung gewesen. Bei der Eroberung der Stadt Mazar-i Sharif sei es im August 1998 beispielsweise zu Massentötungen von etwa 4.000 Zivilisten, vorwiegend Angehörige der Volksgruppe der Hazara, gekommen. Die Volksgruppe der Hazara sei in den Jahren 1998 bis Anfang 2001, insbesondere was ihre männlichen Angehörigen angeht, das Ziel systematischer Tötungen gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Kontrolle über die Region zwischen Taliban und Hezb-e Wahdat ständig gewechselt. Hiernach ist aber davon auszugehen, dass die Hazara-Gebiete und insbesondere die Herkunftsregion des Klägers Schauplatz eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gewesen sind. Hierbei spricht bereits die Darstellung in den zitierten Auskünften dafür, dass sich insoweit eine Gefahrendichte ergab, aus der bereits auf eine individuelle ernsthafte Bedrohung der Bewohner des Gebietes geschlossen werden kann. Jedenfalls lässt sich der Darstellung des Klägers zu seinem individuellen Schicksal entnehmen, dass er im Rahmen dieses Konfliktes einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt war, so dass insoweit eine Vorverfolgung angenommen werden kann.

58

(3) Hinsichtlich der bei dem Kläger vor seiner Ausreise aus Afghanistan festzustellenden Vorschädigung kann auch ein innerer Zusammenhang zu der befürchteten zukünftigen Beeinträchtigung festgestellt werden (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 31; Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 21; Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris, Rn. 21). Ein derartiger Zusammenhang kann dann nicht mehr angenommen werden, wenn der vor der Ausreise erlittene oder damals drohende Schaden keinerlei Verknüpfung mehr zu der befürchteten künftigen Schädigung aufweist oder wenn die Vorschädigung ohne Einfluss auf den späteren Entschluss zum Verlassen des Heimatlandes gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97 und juris, Rn. 16).

59

Im Falle des Klägers besteht ein derartiger Zusammenhang. Die derzeitigen bewaffneten Auseinandersetzungen gehen maßgeblich von den Taliban aus, so dass die Grundkonstellation des Konflikts aus den Jahren 1998 bis 2000 im Wesentlichen erhalten geblieben ist (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 1. November 2011). Auch in zeitlicher Hinsicht bestand ein innerer Zusammenhang zwischen der Vorschädigung des Klägers und seiner Ausreise. Nach seiner glaubhaften Darstellung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger unmittelbar nach dem Raketenangriff sein Heimatdorf mit der Absicht verlassen, aus Afghanistan auszureisen.

60

cc. Greift hiernach im Falle des Klägers die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, so sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die diese Vermutung widerlegen könnten. Weder aus der Schilderung seines Verfolgungsschicksals noch aus den nach der Auskunftslage bestehenden allgemeinen Verhältnissen in seiner Heimatregion lassen sich stichhaltige Gründe dafür entnehmen, dass er bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion keiner ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wäre. Schon allein aufgrund der hohen Anzahl der Vorfälle in der Region Ghazni kann eine derartige Gefährdung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

61

c. Schließlich steht dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

62

aa. Nach § 60 Abs. 11 AufenthG findet auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie Anwendung. Diese Vorschrift bestimmt in ihrem Absatz 1, dass internationaler Schutz versagt werden kann, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Neben der Notwendigkeit, den entsprechenden Landesteil erreichen zu können unterliegt der Zumutbarkeitserwägung des Art. 8 Abs. 2 Qualifikationsrichtlinie das Erfordernis, dass der Betroffene in dem verfolgungsfreien Landesteil eine ausreichende Lebensgrundlage vorfindet und dort das Existenzminimum gewährleistet ist. Dabei ist bei fehlender Existenzgrundlage nicht darauf abzustellen, ob die Lebensverhältnisse im Herkunftsgebiet insgesamt als schlecht zu beurteilen sind. Maßgeblich sind hierfür die allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet sowie die persönlichen Umstände des Betroffenen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 - 10 C 11.07 - in BVerwGE 131, 186 und juris, Rn. 32).Das wirtschaftliche Existenzminimum ist in der Regel dann gewährleistet, wenn es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und der Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten erlangt werden kann (BVerwG, Urteil vom 01. Februar 2007 - 1 C 24/06 -, NVwZ 2007, 590 und juris Rn. 11). Die Anforderungen an die Sicherung des Existenzminimums gehen damit deutlich über die Vermeidung existenzieller Notlagen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinaus.

63

bb. Geht man insoweit davon aus, dass die Hauptstadt Kabul nicht von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen ist (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 3177/11), so kann indessen nicht festgestellt werden, dass für den Kläger dort das Existenzminimum gewährleistet ist.

64

Afghanistan ist durch eine problematische wirtschaftliche Situation geprägt, die zu einer schwierigen Versorgungslage führt. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die verbreitete Armut führt landesweit nach wie vor vielfach zu Mangelernährung. Staatliche soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien- und Stammesverbänden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012). Erwerbsmöglichkeiten sind für einen Großteil der Bevölkerung nur eingeschränkt vorhanden. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 40 %. Selbst nicht arbeitslose Afghanen erzielen durch ihre Arbeit nur in 13,5 % der Fälle regelmäßige Einkünfte. Etwa 80 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Unproblematisch ist die Situation lediglich für hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure, Finanz- und Verwaltungsfachleute. Wesentlich für die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen, kommt es auf die Einbindung des Betroffenen in den erweiterten Familien- oder Bekanntenkreis an, der auch das soziale Sicherheitsnetz begründet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31. Oktober 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. K. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011).

65

Im Bereich Kabul besteht im Wesentlichen die Möglichkeit, als Bauarbeiter tätig zu werden (vgl. Auskunft von Dr. B. G. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008). Während sich die Arbeitsmarktsituation in den Provinzen deutlich ungünstiger darstellt als in Kabul, drängt andererseits eine zunehmende Zahl von Binnenvertriebenen sowie Zuwanderern aus anderen Landesteilen in die Hauptstadt. Zudem ist im Raum Kabul ein starker Anstieg der Lebenshaltungskosten zu verzeichnen. Hinzu kommt, dass erschwinglicher Wohnraum in Kabul vielfach nicht zur Verfügung steht (vgl. Dr. B. G., Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. K. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz).

66

Im Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Klägers wird man angesichts dieser Ausgangssituation nicht annehmen können, dass sein Existenzminimum bei einer Rückkehr nach Kabul sichergestellt ist. Ihm fehlt die erforderliche Qualifikation, um eine Arbeitsstelle zu finden, die seinen Lebensunterhalt dauerhaft gewährleistet. Hiernach wird er voraussichtlich darauf angewiesen sein, sich als Tagelöhner zu verdingen (vgl. Gutachten von P. R. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2008). Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Kabul ist nicht gewährleistet, dass es ihm gelingt, mit seiner Erwerbstätigkeit das für seinen Lebensunterhalt unbedingt Notwendige jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten dauerhaft zu erwirtschaften. Auch ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt durch Zuwendungen von Verwandten oder die Unterstützung seines Clans bestreiten kann. Staatliche Hilfen oder die Versorgung durch Nichtregierungsorganisationen stehen als verlässliche Grundlage für die Beschaffung des zum Leben Notwendigen ebenfalls nicht in erforderlichem Umfang zur Verfügung. Hiernach kann dahinstehen, inwieweit die gemäß Art. 8 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes möglicherweise oberhalb der Schwelle des Existenzminimums den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008, a.a.O. und juris, Rn. 35 m.w.N.).

67

Liegen hiernach die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor, so erübrigt sich das Eingehen auf ein nationales Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG, das gegenüber den unionsrechtlichen Abschiebungsverboten subsidiär ist.

68

Dringt der Kläger insgesamt mit seinem Begehren im Berufungsverfahren durch, so bedurfte es keiner Entscheidung über seine hilfsweise gestellten Vorlage- und Beweisanträge.

69

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

70

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten bestimmt sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

71

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der hierfür in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegen.


Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der am … in Mazar-i Sharif geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit. Er begehrt die Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung, dass in seinem Fall die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 AufenthG vorliegen.

2

Nachdem er nach eigenen Angaben am 31. März 2004 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, beantragte er unter dem 7. April 2004, als Asylberechtigter anerkannt zu werden.

3

Zur Begründung seines Asylbegehrens führte er in seiner Anhörung vom 20. April 2004 an, dass er gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Sein Vater sei etwa eine Woche vor der Ausreise verstorben. Der Kläger habe die Koranschule besucht und danach im Geschäft des Vaters mitgearbeitet. Dieser sei Teppichhändler gewesen. Die Familie habe sich in einer guten wirtschaftlichen Lage befunden. Vor der Ausreise habe sein Vater allerdings etwa 60.000 Dollar Schulden gehabt. Die Gläubiger hätten die Familie bedroht. Grund für die Schulden sei gewesen, dass drei Ladungen Teppiche auf dem Weg nach Pakistan gestohlen worden seien. Ein Freund seines Vaters habe die Ausreise organisiert. Hierzu habe der Kläger aus dem Haus der Familie Geld geholt, das dort versteckt gewesen sei. An den Schlepper habe die Familie 20.000 Dollar bezahlt. Die Verwandten des Klägers lebten in Deutschland oder der Türkei.

4

Mit Bescheid vom 15. November 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 sowie des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an.

5

Am 1. Dezember 2005 hat der Kläger Klage erhoben, die er auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt hat.

6

Mit Urteil vom 19. Dezember 2006 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen und den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2005 insoweit aufgehoben, als er dieser Feststellung entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland wegen der dortigen unzureichenden Versorgungslage einer extremen Gefahr ausgesetzt wäre.

7

Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat die Beklagte angeführt, dass die vom Verwaltungsgericht angenommene extreme Gefahrenlage nicht vorliege. Die Sicherheits- und Versorgungslage insbesondere im Raum Kabul sei nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Für einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann wie den Kläger sei davon auszugehen, dass er im Raum Kabul eine vergleichsweise stabile Existenz sichern könne.

8

Der Kläger ist der Berufung unter Verweis auf die Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils entgegengetreten.

9

Mit Urteil vom 6. Mai 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in hinreichender zeitlicher Nähe in einen unausweichlich lebensbedrohlichen Zustand geraten würde. Er könne seinen Lebensunterhalt weder aus eigener Kraft noch durch Zuwendungen Dritter bestreiten. Auch ein Zugang zu medizinischer Versorgung sei nahezu ausgeschlossen. Insoweit gerate er zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen.

10

Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 9.09 − die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

11

Die Beklagte führt im weiteren Verfahren ergänzend aus, dass im Falle des Klägers auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzuerkennen sei. Im Herkunftsgebiet des Klägers, dem Bereich um die Stadt Mazar-i Sharif könne nicht von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgegangen werden. Zudem sei angesichts der Strukturen in der afghanischen Gesellschaft damit zu rechnen, dass der Kläger Unterstützung durch einen Stammes- oder Familienverband finden werde.

12

Die Beklagte beantragt,

13

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 19. Dezember 2006 die Klage insgesamt abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass vorrangig das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungshindernisses festgestellt wird.

16

Er ist der Auffassung, dass die eingeholten Gutachten die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 6. Mai 2008 bestätigten. Er laufe Gefahr, bei einer Rückkehr in sein Heimatland an Mangelernährung zu sterben.

17

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten der Sachverständigen P. R., Dr. B. G. sowie Dr. K. L. und durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsakte sowie die in das Verfahren eigeführten Erkenntnismittel verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

20

Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.

21

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zu, noch sind in seinem Fall die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben.

22

1. In die Entscheidung des Senates waren – worauf bereits das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil hingewiesen hat – die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorrangig vor dem Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zu dessen Feststellung das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, einzubeziehen.

23

Die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote, zu denen neben § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gehört und deren Grundlagen sich aus Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie – ergeben, sind mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I 2007, 1970) im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ablehnungsbescheid der Beklagten – wie hier − sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote erfasst und der Kläger die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote in sein Verfahren einbezogen hat. Die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote bilden einen eigenständigen, vorrangig vor den nationalen Abschiebungsverboten zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 ─, BVerwGE 136, 360 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 und juris, Rn. 6).

24

2. Im Falle des Klägers liegen indessen die Voraussetzungen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nicht vor.

25

a. Was die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG angeht, so hat sich der Kläger nicht hierauf berufen. Es ergeben sich auch ansonsten keine Hinweise darauf, dass er bei seiner Rückkehr der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sowie der Gefahr der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Soweit er die Befürchtung geäußert hat, er könne von den Gläubigern seines Vaters misshandelt werden, kann es – ungeachtet der Frage, wie derartige Übergriffe Privater rechtlich einzuordnen sind – nicht als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden, dass der Aufenthaltsort des Klägers bei einer Rückkehr von diesen Personen ermittelt und er von ihnen aufgegriffen werden kann.

26

b. Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor.

27

aa. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

28

Im Falle des Klägers kann dahinstehen, ob in seiner Herkunftsregion, der Provinz Balkh, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne dieser Vorschrift vorliegt. Denn jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass er infolge eines solchen Konfliktes einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Eine mögliche bewaffnete Auseinandersetzung erreicht in der Provinz Balkh keine solche Gefahrendichte, dass sich aus der allgemeinen Lage bereits eine individuelle ernsthafte Bedrohung für jede Person ergibt, die sich dort aufhält.

29

bb. Was eine sich im Rahmen einer allgemeinen Gefahrenlage bestehende Bedrohung angeht, so ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zunächst richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der bei Vorliegen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie, der durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in nationales Recht umgesetzt wurde, keine Sperrwirkung entfaltet. Der Betroffene muss sich bei einer allgemeinen Gefahr nicht mit der in § 60 a Abs. 1 AufenthG vorgesehenen Aussetzung der Abschiebung zufriedengeben, da ihm nach Art. 24 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 191 und juris, Rn. 31).

30

cc. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit dann anzunehmen, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Mit einer solchen Auslegung wird dem Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen. Hiernach verlangt eine dennoch erfolgende Berücksichtigung eine Ausnahmesituation mit einem hohen Gefahrengrad. Hingegen kann der zur Gewährung subsidiären Schutzes erforderliche Grad willkürlicher Gewalt umso geringer sein, je mehr der Betroffene zu belegen vermag, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände in besonderem Maße hierdurch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rechtssache C-465/07 Elgafaji, Rn. 35 bis 39).

31

Für die Annahme einer entsprechenden Bedrohung ist dabei auch nach nationalem Recht erforderlich, dass sie durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgelöst wird. Das entsprechende Tatbestandsmerkmal von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ist auch Bestandteil der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geworden. Wie sich der Begründung des Regierungsentwurfs zu diesem Gesetz entnehmen lässt (BT-Drs. 16/5065, S. 187), war es Absicht des Gesetzgebers, den Tatbestand des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie und damit auch das Erfordernis willkürlicher Gewalt in vollem Umfang in nationales Recht umzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 32). Von willkürlicher Gewalt ist auszugehen, wenn sich die in Frage stehende Gewalt auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009, a.a.O., Rn. 34).

32

Hiernach ist dann ein besonders hohes Maß willkürlicher Gewalt erforderlich, wenn keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen. Liegen solche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören solche persönlichen Besonderheiten, die den Rückkehrer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, wie etwa eine berufliche Verpflichtung sich in Gefahrennähe aufzuhalten. Hierzu können aber auch persönliche Umstände gerechnet werden, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie, aufgrund derer der Betroffene zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33; Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 −, juris Rn. 18). Beschränkt sich ein bewaffneter Konflikt auf einzelne Landesteile, so kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Betroffenen erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren muss. Bei der Feststellung, ob eine entsprechende individuelle erhebliche Gefahr gegeben ist, ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, erforderlich, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Weiterhin bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33). Die entsprechende Gefahr muss dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 20). Was die im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende quantitative Beurteilung angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. November 2011 (- 10 C 13/10 -, juris Rn. 22 f.) das Risiko, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 800 verletzt oder getötet zu werden, als für die Annahme einer individuellen Gefahr keinesfalls hinreichend angesehen.

33

dd. Nach diesen Kriterien ist der Kläger aufgrund der allgemeinen Situation in seiner Herkunftsprovinz keiner individuellen Bedrohung ausgesetzt.

34

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es landesweit in unterschiedlicher Intensität zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Regierungstruppen und der unter Führung der NATO operierenden internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) auf der einen sowie den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite kommt. Das Land ist durch eine andauernde Instabilität geprägt. Insgesamt ist in den Jahren 2010 und 2011 eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Die Zahl der Anschläge hat sich im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 65 % erhöht. Während nach wie vor ein Schwerpunkt der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Land in den südlichen und südöstlichen Regionen festzustellen ist, lässt sich gleichzeitig eine stärkere geografische Verteilung entsprechender Vorfälle konstatieren (vgl. UNHCR, Gutachten vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; ders., Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Die für das Jahr 2010 genannte Zahl getöteter Zivilpersonen schwankt in einzelnen Quellen zwischen 2.428 (amnesty international, Report 2011 Afghanistan vom 18. August 2011) und 2.777 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Landesweit ist im 1. Halbjahr 2011 ein Anstieg der Zahl der getöteten Zivilsten um 15 % festzustellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Für das gesamte Jahr 2011 wird eine Zahl von 3021 ziviler Todesopfer genannt (United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012), so dass erneut von einem beträchtlichen Anstieg auszugehen ist. Die Zahl der im Land insgesamt gemeldeten Angriffe bewaffneter oppositioneller Gruppierungen belief sich im Jahr 2011 auf 13.983 (The Afghanistan NGO Safety Office – ANSO, Quaterly Data Report Q.4 2011, Januar 2012).

35

Demgegenüber zeigt sich in der Provinz Balkh durch die Anwesenheit internationaler Organisationen und Militärs ein vergleichsweise sicheres Umfeld. Als problematisch hat sich in den vergangenen Jahren eher die hohe Kriminalitätsrate erwiesen. Die Situation in dieser Region wird als vergleichsweise friedlich eingeschätzt. Sie gehört zu den Provinzen, die in den zurückliegenden Jahren vom Konflikt am wenigsten betroffen waren (D-A-CH Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010). War in den Jahren 2009 und 2010 im Verantwortungsbereich des Regionalkommandos Nord, zu dem auch die Provinz Balkh gehört und das in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif seinen Sitz hat, ein signifikanter Anstieg der Auseinandersetzungen festzustellen, kam es im ersten Halbjahr 2011 wieder zu einem Rückgang der Übergriffe um 50 %. Dabei ist es den afghanischen Sicherheitskräften und den ISAF-Einheiten gelungen, in den Regionen Kundus und Nord-Baghlan die regierungsfeindlichen Kräfte weitgehend aus ihren traditionellen Hochburgen zu verdrängen. Auch in den nordwestlichen Provinzen und damit in Balkh konnten – wenn auch nicht in diesem Ausmaß − militärische Fortschritte erzielt werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012). Mit diesem Vorgehen dürfte auch der seit 2008 feststellbaren und als problematisch angesehenen Infiltration des Nordens Afghanistans durch regierungsfeindliche Gruppierungen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011) entgegengewirkt worden sein. In der Provinz Balkh ereigneten sich im Jahr 2010 183 Angriffe oppositioneller bewaffneter Gruppierungen. Diese Anzahl ging im Jahr 2011 auf 144 zurück (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012).

36

Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz von 1,2 Mio. Einwohnern, die sich auf 17.000 km² erstreckt (71 Einwohner pro km²; vgl.: D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich − Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010), entfiel bei 144 registrierten Anschlägen oppositioneller Gruppierungen ein solcher Vorfall auf etwa 8300 Einwohner. Demgegenüber ereignet sich in Afghanistan insgesamt bei etwa 31 Mio. Einwohnern und 13.983 Übergriffen landesweit (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012) ein Angriff je 2.200 Einwohner. Wenngleich auf die Region bezogene Opferzahlen nicht ersichtlich sind, so kann doch aus der allgemeinen Einschätzung der Sicherheitslage und der vergleichsweise niedrigen Zahl der Anschläge geschlossen werden, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, in einen derartigen Vorfall als Zivilperson einbezogen zu werden und damit einer ernsthaften Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

37

Angesichts dieser Gesamtsituation wirkt es sich auch nicht zugunsten des Klägers aus, dass die medizinische Versorgungslage in Afghanistan – insbesondere in ländlichen Bereichen − weiterhin als unzureichend angesehen werden muss und ein Zugang zu Gesundheitseinrichtungen nicht gewährleistet ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011). Vielmehr lässt sich schon allein anhand der Gefahrendichte feststellen, dass sich nicht für jeden Rückkehrer allein wegen seines Aufenthaltes in der Provinz eine ernsthafte individuelle Bedrohung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt, so dass es insoweit nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob die Folgen einer Verletzung durch eine schnelle und wirksame medizinische Behandlung gemindert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 23).

38

ee. Besondere persönliche Umstände, die sich gefahrerhöhend auswirkten, sind im Falle des Klägers ebenfalls nicht ersichtlich. Er gehört in seiner Heimatregion der Bevölkerungsmehrheit der Tadschiken an. Soweit der Kläger in seinem Asylverfahren darauf verwiesen hat, dass die Familie von den Gläubigern seines Vaters bedroht worden sei, steht dieser Vorfall in keinem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und den Sicherheitskräften sowie den ISAF-Einheiten.

39

3. Kann hiernach auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht festgestellt werden, so gilt dies gleichermaßen für das gegenüber den unionsrechtlichen Abschiebungsverboten nachrangig zu prüfende nationale Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG.

40

a. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach Satz 3 dieser Regelung sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Der Kläger beruft sich indessen im Wesentlichen gerade auf die allgemein ungünstigen Verhältnisse in seinem Heimatland. Bei diesen der Bevölkerung allgemein drohenden Gefahren gilt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch der Vorrang einer politischen Leitentscheidung im Wege einer generellen Aussetzung der Abschiebung. Soweit der Kläger daneben auf die Gefahr abstellt, Opfer der Gläubiger seines Vaters zu werden, fehlt es bereits an hinreichenden Anhaltspunkten, dass er als dessen Sohn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von diesen Personen ausfindig gemacht werden kann.

41

Die nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bestehende Sperrwirkung ist allerdings im Wege der verfassungskonformen Auslegung dann einzuschränken, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine extreme Gefahrenlage dergestalt zu gewärtigen hätte, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würde und die obersten Landesbehörden von der nach § 60 a Abs. 1 AufenthG bestehenden Ermächtigung, die Abschiebung auszusetzen, keinen Gebrauch gemacht haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 und juris, Rn. 14; Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. September 2011 - 10 C 24.10 - juris, Rn. 19). Die Gefahrenlage muss landesweit bestehen (VGH BW, Urteil vom 14. Mai 2009 - A 11 S 610/08 -, juris, Rn. 20).

42

Was die für die Abweichung von der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erforderliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr angeht, so ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes von einem gegenüber dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die extremen Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Zudem müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011, a.a.O., juris, Rn. 15).

43

b. Im Falle des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen an das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage bei einer Rückkehr nach Afghanistan erfüllt sind.

44

Jedenfalls bei einer Rückkehr nach Kabul ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem alsbaldigen Tod oder schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Afghanistan durch eine problematische wirtschaftliche Situation geprägt ist, die zu einer schwierigen Versorgungslage führt. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die verbreitete Armut führt landesweit nach wie vor vielfach zu Mangelernährung. Im Jahr 2011 war die Getreideernte nach überdurchschnittlichen Ernten in den Jahren 2009 und 2010 wieder signifikant niedriger als in den Vorjahren. Staatliche soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien- und Stammesverbänden. Der IWF rechnet indessen für das laufende afghanische Fiskaljahr mit einem Wachstum von 8 % des Bruttoinlandsproduktes außerhalb des Landwirtschaftssektors. Langfristig rechnen Experten bis zum Jahr 2030 mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 5 % (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012), so dass sich mittelfristig die Perspektive einer Besserung der Verhältnisse ergibt. Erwerbsmöglichkeiten sind für einen Großteil der Bevölkerung nur eingeschränkt vorhanden. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 40 %. Etwa 80 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Selbst nicht arbeitslose Afghanen erzielen durch ihre Arbeit nur in 13,5 % der Fälle regelmäßige Einkünfte. Unproblematisch ist die Situation lediglich für hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure, Finanz- und Verwaltungsfachleute. Für die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen, kommt es wesentlich auf die Einbindung des Betroffenen in den erweiterten Familien- oder Bekanntenkreis an, der auch das soziale Sicherheitsnetz begründet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31. Oktober 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011 -).

45

Dem Kläger droht indes auch vor dem Hintergrund der geschilderten allgemeinen Lage in der Hauptstadt Kabul keine extreme Gefahrenlage. Die Lage dort ist durch eine positive Wirtschaftsentwicklung geprägt. Dies führt allerdings dazu, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der wirtschaftlichen Migration aus anderen Landesteilen weiter verschärft. Weitere Folge dieser starken Zuwanderung aus anderen Landesteilen ist, dass die Lebenshaltungskosten und damit die Kosten für eine Unterkunft bedeutend höher liegen als in anderen Landesteilen (vgl. Gutachterliche Stellungnahme von Dr. K. L. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 09. Juni 2011; Gutachten des UNHCR an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011).

46

Als unwahrscheinlich ist zudem die Option anzusehen, dass der Kläger nach seiner Rückkehr eine Arbeitsstelle findet, die seinen Lebensunterhalt dauerhaft gewährleistet. Vielmehr wird er voraussichtlich darauf angewiesen sein, sich als Tagelöhner zu verdingen (vgl. Gutachten von P. R. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2008). Grundlage hierfür ist insbesondere der Bauboom in der Hauptstadt, der die entsprechenden Möglichkeiten erheblich ausgeweitet hat. Bei der Arbeitssuche kommt überdies der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppierung in der Hauptstadt, da diese multiethnisch und kosmopolitisch geprägt ist, keine so große Bedeutung zu, wie es in der Provinz der Fall ist (Gutachten von Dr. B. G. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008). Insoweit wird der Kläger nicht in gleichem Maße auf die Unterstützung durch seinen Stammes- oder Familienclan angewiesen sein, wie dies in anderen Regionen seines Heimatlandes der Fall wäre.

47

Was die Möglichkeit angeht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, so ist in seinem Falle weiterhin zu berücksichtigen, dass er alleinstehend ist und daher nicht in der Verantwortung steht, den Unterhalt von Ehefrau oder Kindern gleichfalls sicherzustellen. Hiernach ist aber bereits nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ohne Unterstützung durch Familien- oder Stammesangehörige nicht in der Lage wäre, durch eine - wenn auch unregelmäßige - Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zumindest in bescheidenem Umfang durch eine Tagelöhnertätigkeit zu erzielen (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 31. Oktober 2011). Insoweit ergibt sich auch keine ernstliche Verschlechterung der Situation dadurch, dass er sich längere Zeit, nämlich seit dem Jahre 2004, außerhalb seines Heimatlandes aufgehalten hat. Selbst wenn sich hieraus eine Erschwernis bei der Arbeitssuche ergeben sollte (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG RP vom 31. Oktober 2011), so besteht jedoch keine Einschränkung der Eignung für einfache körperliche Tätigkeiten. Insoweit sind es gerade junge, kräftige Männer, die am ehesten die Chance haben, sich auf dem Arbeitsmarkt für Tätigkeiten durchzusetzen, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt ist (vgl. Gutachten von Dr. Mostafa Danesch an den HessVGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Was den Kläger angeht, kommt hinzu, dass er vor seiner Ausreise im Teppichhandel seines Vaters mitgeholfen und dadurch Erfahrungen im Wirtschaftsleben seines Heimatlandes erworben hat.

48

Auch die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass der Kläger als alleinstehender junger Mann bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Zwar ist in Afghanistan etwa ein Drittel der Bevölkerung von Mangelernährung betroffen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass den Betroffenen keine ausreichende Nahrung für ein gesundes und aktives Leben zur Verfügung steht (Stellungnahme des UNHCR vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz). Dies bedeutet indessen nicht, dass bei diesem Bevölkerungsanteil bereits gesundheitliche Beeinträchtigungen in erheblichem Ausmaß eingetreten sind. Vielmehr wird damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass bei etwa einem Drittel der afghanischen Bevölkerung die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigung durch Mangelernährung besteht. Die von Frau Dr. T. in der mündlichen Verhandlung vom 06. Mai 2008 geschilderten Folgen der Mangelernährung können in einem solchen Fall eintreten; sie sind aber nicht zwingend. Hinzu kommt, dass es auch bei der Gefahr von Armut und Mangelernährung demographische Risikogruppen gibt. Bei der Definition der Begriffe der absoluten Armut (1 Dollar und weniger pro Tag), von der etwa 36 % der Afghanen betroffen sind, und des Lebens knapp über der Armutsgrenze (2 bis 3 Dollar), das 37 % der afghanischen Bevölkerung führen, wird auf die Verhältnisse einer sechs- bis achtköpfigen Großfamilie abgestellt (vgl. Gutachten von Dr. M. D. an den Hessischen VGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Dies bestätigt aber die Annahme, dass gerade nicht junge, alleinstehende Männer, sondern eher Familien mit mehreren Kindern in besonderem Maße in Afghanistan existentiell gefährdet sind.

49

Da der Kläger nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ernsthafter gesundheitlicher Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, kann bei ihm, der keine Vorerkrankungen dargelegt hat, auch nicht mit einer alsbald nach der Rückkehr drohenden extremen Gefahrenlage allein wegen der – insbesondere in ländlichen Bereichen – unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011) gerechnet werden.

50

Insgesamt kann hiernach zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in seinem Heimatland in eine ernsthafte Gefahrenlage gerät, für deren alsbald nach der Rückkehr erfolgenden Eintritt spricht aber keine hohe Wahrscheinlichkeit.

51

Die Ansicht, dass für junge, männliche afghanische Staatsangehörige, die beruflich nicht besonders qualifiziert sind und nicht auf den Rückhalt von Familie oder Bekannten zurückgreifen können, in Kabul keine extreme Gefahrensituation besteht, wird von der überwiegenden Zahl der Obergerichte geteilt (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 610/08 −; BayVGH, Urteil vom 03. Februar 2011 – 13a B 10.30394 −, juris Rn. 37; OVG NW, Urteil vom 19. Juni 2008 – 20 A 4676/06.A −, juris Rn. 68 und Beschluss vom 26. Oktober 2010 – 20 A 964/10.A −, juris Rn. 7; OVG SH, Urteil vom 10. Dezember 2008 – 2 LB 23/08 −, juris Rn. 34; a.A. wohl: HessVGH, Urteil vom 25.08.2011 – 8 A 1659/10.A −, Juris Rn. 93 ).

52

Was einen möglichen Aufenthalt des Klägers in Kabul angeht, so liegen auch in diesem Bereich die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor. Ausweislich des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012 kann die Sicherheitslage in Kabul weiterhin als stabil angesehen werden. Zwar hätten sich seit Januar 2011 in der Hauptstadt mehrere spektakuläre Selbstmordanschläge ereignet. Zuvor sei es allerdings über einen Zeitraum von fast 18 Monaten hinweg zu praktisch keinerlei Anschlägen gekommen. Es handelte sich um einzelne spektakuläre Anschläge auf exponierte Ziele (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Insgesamt waren 71 Tote in der Zivilbevölkerung Kabuls zu verzeichnen, wovon 67 Personen Opfer von sechs Selbstmordanschlägen wurden (vgl. UNAMA, Afghanistan, Annual Report 2011, Februar 2012). Diese Umstände sprechen bereits dagegen, in Kabul einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt anzunehmen (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 3177/11 −). Jedenfalls ergibt sich aber keine erhebliche Gefahr für jeden Rückkehrer, Opfer einer bewaffneten Auseinandersetzung zu werden. Bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 3,5 bis 4,5 Mio. Menschen (D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010) und einer Konzentration der Übergriffe auf wenige Vorfälle fehlt es an der erforderlichen Gefahrendichte.

53

Die von der Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG.

54

Soweit der Kläger sich mit Schriftsatz vom 01. April 2012 an den Senat gewandt hat, bestand kein Anlass, erneut in eine mündliche Verhandlung einzutreten, da er seinen bisherigen Vortrag lediglich konkretisiert hat.

55

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

56

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. 708 ff. ZPO.

57

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 24. Oktober 2012 wird die Klage insgesamt abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der nach seinen Angaben am 1. Januar 1991 in Malestan, Provinz Ghazni, geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und hazarischer Volkszugehöriger muslimisch-schiitischen Glaubens. Er reiste am 15. Juni 2009 auf dem Luftweg ins Bundesgebiet ein und stellte am 19. Juni 2009 Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) übermittelte dem Kläger mit Schreiben vom 19. Juni 2009 die Benachrichtigung zur Anhörung für den 17. August 2009 in München. Der Kläger nahm diesen Termin nicht wahr und reiste weiter nach Norwegen. Am 2. Februar 2010 wurde er von Oslo nach Hamburg zurück überstellt. Mit Schreiben vom 30. März 2010 teilte das Bundesamt dem Kläger gemäß § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylVfG mit, dass er den Anhörungstermin vom 17. August 2009 unentschuldigt nicht wahrgenommen habe und nunmehr die Möglichkeit bestünde, innerhalb eines Monats den Asylantrag und die übrigen Umstände schriftlich zu begründen. Am 3. Mai 2010 teilte der Bevollmächtigte des Klägers dem Bundesamt mit, dass ein Großteil der Verwandtschaft des Klägers aufgrund der Bürgerkriegswirren kurz vor dem Sturz der Taliban gestorben sei. Lediglich sein älterer Bruder habe überlebt. Nachdem aber auch dieser verschollen war, sei er aus Afghanistan geflohen und in den Iran gegangen. Nach ca. acht Monaten habe er sich auf den Weg nach Europa gemacht. Der Kläger stamme aus einer Provinz, wo Krieg herrsche. Ein aufnahmebereiter Familienverband bestehe in Afghanistan nicht.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2011 lehnte das Bundesamt (1.) den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass (2.) die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und (3.) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte (4.) dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

Durch Beschluss vom 8. Juli 2011 nach § 80 Abs. 5 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht München (M 23 S 11.30195) die aufschiebende Wirkung der Klage (M 23 K 11.30194) gegen die Ziffer 4 des Bundesamtsbescheids vom „20. Februar 2007“ [?] insoweit an, als die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wurde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München am 7. Oktober 2012 gab der Kläger Folgendes an: Er sei drei bis vier Jahre zur Schule gegangen und habe dort Lesen und Schreiben gelernt. Sein Vater sei zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan umgebracht worden, seine Mutter sei verstorben und sein Bruder verschwunden. Seine Familie habe in Ghazni in einer Mietwohnung gelebt. Die landwirtschaftlichen Grundstücke der Familie in Malestan bearbeite sein Onkel. Er könne aber wegen der Probleme mit seinem Onkel nicht in seinen Heimatort zurückkehren. Dieser behaupte, dass ihm die Grundstücke allein gehörten, wohingegen er selbst meine, dass sie seinem Onkel und seinem Vater gemeinschaftlich gehört hätten.

Durch Urteil vom 24. Oktober 2012 hob das Verwaltungsgericht den Bundesamtsbescheid vom 17. Februar 2011 in Nr. 3 insoweit auf, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegt. Zudem wurde dieser im Nr. 4 insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wurde. Die Beklagte wurde verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass für den Kläger im Fall der Abschiebung nach Afghanistan eine extreme Gefahr für Leib oder Leben bestünde. Er wäre angesichts der schlechten Versorgungslage in Afghanistan der Gefahr des baldigen Todes durch Verhungern oder Erfrieren ausgeliefert. Der Kläger habe in Afghanistan keine Familie als soziales Netz und hätte auch keine Möglichkeit, allein Fuß zu fassen und als Tagelöhner das Existenzminimum zu erlangen. Als Rückkehrer aus dem westlich geprägten Ausland täte sich der Kläger besonders schwer. In Kabul könnte er sich mangels Ortskenntnissen nicht zurechtfinden. Außerdem seien ihm die Lebensumstände in Afghanistan ohnehin fremd geworden, weil er sich mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten habe. Hinzu komme, dass er nur die Grundschule besucht und keine Berufsausbildung erhalten habe. Aus diesen Gründen wären seine Chancen, irgendeinen Job zu finden, als aussichtslos einzuschätzen. Außerdem gehöre er als Hazara einer geächteten Volksgruppe an.

Durch Beschluss vom 13. September 2013 (13a ZB 13.30037) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsschutzes wegen Divergenz von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bezüglich der Annahme einer extremen Gefahr zugelassen.

Am 27. September 2013 hat die Beklagte die Berufung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München

vom 24. Oktober 2012 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er habe vier Jahre lang die Schule besucht und dann seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Nach dessen Tod sei er seinem Bruder zur Hand gegangen. Er habe zwar von seinem Vater Land bekommen, sei deswegen aber von seinem Onkel bedroht worden, so dass er Afghanistan verlassen habe. Ihm drohten nunmehr Gefahren durch die Taliban und insbesondere durch seinen Onkel. Dieser arbeite im Innenministerium in Kabul und habe ihn sogar bedroht, als er sich im Zuge der Ausreise kurzzeitig in Herat aufgehalten habe. Es gehe bei dem Streit auch um Baugrundstücke in Kabul. Das Land in seinem Heimatdorf Balagsan (bei Malestan) werde von Söhnen des Onkels bearbeitet. Im Übrigen habe er keinen Kontakt mehr zu seinem Onkel. Es sei hier von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, welche ein Abschiebungsverbot in analoger Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründe. Er habe seit 2008 im Ausland gelebt. Es bestünde die Gefahr, dass er im Fall der Abschiebung in eine hilflose Lage geraten und den nächsten Winter nicht überleben würde. Er habe keine Chance auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt in Afghanistan. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass gemäß den Erkenntnissen von amnesty international im Winter 2011/2012 und 2012/2013 mehr als 100 Personen in Flüchtlingslagern durch Erfrieren gestorben seien (Bericht vom 19.10.2012 und vom 21.1.2013). Der Kläger weist außerdem auf einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) aus der Sitzung vom 4. bis 6. Dezember 2013 (TOP 39) hin, demgemäß die IMK die Entwicklung der rückführungsrelevanten Situation in Afghanistan mit großer Aufmerksamkeit beobachte und der Auffassung sei, dass die bestehende Beschlusslage aus dem Jahr 2005 unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung - insbesondere infolge des Abzugs der ausländischen Streitkräfte - einer Überprüfung und Neubewertung bedürfe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) nicht verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger ein national begründetes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Beim national begründeten Abschiebungsverbot handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, weshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind (BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17). Allerdings sind weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 noch diejenigen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig (EMRK) ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse). Dabei sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 unter Verweis auf EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952).

Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.

Eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht dem Kläger nicht.

Es ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger bei Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni eine Gefahr von Seiten seines Onkels drohen würde. Der Senat hält den Vortrag des Klägers nicht für glaubwürdig. Die diesbezüglichen Angaben vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof weisen eine auffällige und nicht plausible Steigerung auf. In erster Instanz sprach der Kläger von Problemen mit seinem Onkel, die daher rührten, dass dieser die landwirtschaftlichen Grundstücke im Heimatdorf (für sich allein) bewirtschafte und ihm seine Ansprüche aus dem väterlichen Miteigentum streitig gemacht habe. Von (nicht näher beschriebenen) Drohungen war erst in der Berufungsverhandlung die Rede. Neu ist auch die Behauptung, der Onkel sei im Innenministerium beschäftigt, er habe den Kläger während eines einmonatigen Zwischenaufenthalts in Herat bedroht und es gebe außer den landwirtschaftlichen Flächen in der Provinz Ghazni auch noch Baugrundstücke in Kabul. Würden die geschilderten Ereignisse und Umstände den Tatsachen entsprechen, so wäre es unerklärlich, warum sie der Kläger nicht schon früher geltend gemacht hätte. Der Vortrag bezüglich des Zwischenaufenthalts in Herat entbehrt jeglicher Realitätsnähe. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Onkel dem Kläger nach dessen Weggang aus dem Heimatdorf noch nachgestellt haben sollte und wie es ihm gelungen sein könnte, ihn in Herat aufzuspüren. Bei kritischer Würdigung des gesteigerten Vortrags ist nach der Überzeugung des Senats allenfalls der Streit wegen der geltend gemachten Erbansprüche, aber nicht die fortgesetzte Bedrohung glaubwürdig.

Die erstmals in der Berufungsverhandlung geltend gemachte Bedrohung durch Taliban begründet die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr ebenfalls nicht. Sollte sich dieser Hinweis auf ein persönliches Bedrohungsszenario beziehen, so wäre er unbeachtlich, da gänzlich unsubstantiiert.

Soweit sich der Kläger auf die allgemeine Gefährdung durch die Taliban und die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan bezieht, handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden können, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage sind (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Hinsichtlich der vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefährdung durch Taliban (z. B. Sprengfallen) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 60 Abs. 7 Satz 2 (a. F.) AufenthG schon nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr auszugehen. Gemäß den Erkenntnissen des Senats lag das Risiko für Angehörige der Zivilbevölkerung, in der nach UNAMA zur Südostregion zählenden Provinz Ghazni durch (jegliche) militante Gewalt Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, im Jahr 2012 unter 1:1.000 (weniger als 0,1%). Diese Risikohöhe ist weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BayVGH, U. v. 15.3.2013 - 13a B 12.30294 - juris Rn. 22 f.). Gemäß dem UNAMA-Bericht vom Juli 2013 (United Nations Assistance Mission in Afghanistan, Mid-Year Report 2013, Protection of Civilians in Armed Conflict) ist derzeit in der Südostregion nicht mit einer signifikanten Verschlechterung der Gefährdungslage oder einer wesentlichen Erhöhung des Risikos, Opfer militanter Gewalt zu werden, zu rechnen. Somit ist erst recht nicht von einer extremen Gefahr im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auszugehen.

Im Hinblick auf die unzureichende Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger ebenfalls nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist (vgl. ständige Rspr. des Senats, z. B. U. v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-; U. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris; U. v. 4.6.2013 - 13a B 12.30063 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris; so auch VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3177/11 - EzAR-NF 69 Nr. 13 - juris; VGH BW, U. v. 27.4.2012 - A 11 S 3079/11 - juris = DÖV 2012, 651 -LS-; OVG RhPf, U. v. 21.3.2012 - 8 A 11050/10.OVG - juris; SächsOVG, U. v. 10.10.2013 - A 1 A 474/09 - juris; HessVGH, U. v. 30.1.2014 - 8 A 119/12.A - juris). Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226).

Nach der Rechtsprechung des Senats ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Senat hat sich dabei zunächst u. a. auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Januar 2012 (S. 26 ff.) gestützt, wonach sich nahezu alle volkswirtschaftlichen Indikatoren Afghanistans positiv entwickelt hätten. Von den verbesserten Rahmenbedingungen profitierten dem Lagebericht zufolge grundsätzlich auch Rückkehrer. Die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten sei allerdings nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen für Rückkehrer. Dort erfolge die Ansiedlung unter schwierigen Rahmenbedingungen; für eine permanente Ansiedlung seien die vorgesehenen „Townships“ kaum geeignet. Auch sei der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich.

Ähnliche Erkenntnisse haben sich für den Senat aus den weiter zugrunde gelegten Berichten ergeben. So geht der Sachverständige Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten davon aus, dass am ehesten noch junge kräftige Männer, häufig als Tagelöhner, einfache Jobs, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt sei, fänden. In diesen Sektor, meist im Baugewerbe, ströme massiv die große Zahl junger Analphabeten. Ein älterer Mann, der vorher schon lange im Westen gelebt habe, hätte keine Chance auf einen solchen Arbeitsplatz. Hieraus konnte der Senat im Umkehrschluss die Folgerung ziehen, dass bei anderen Voraussetzungen eine Beschäftigung möglich ist. Nach der Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz (zum dortigen Verfahren 6 A 11048/10.OVG) von Dr. Karin Lutze (stellvertretende Geschäftsführerin der AGEF - Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammenarbeit i. L.) gebe es für qualifiziertes Personal ein umfangreiches Angebot an offenen Stellen. Für einen nicht oder gering qualifizierten Rückkehrer bestünden nur geringe Chancen für eine dauerhafte Beschäftigung mit geregeltem Einkommen. Das Existenzminimum für eine Person könne durch Aushilfsjobs ermöglicht werden (S. 9). Fälle, in denen Rückkehrer aufgrund von Hunger oder Unterernährung verstorben seien, seien nicht bekannt. Schließlich hat der Senat auch die Auskunft von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012 herangezogen, in der ebenfalls auf die schwierige Arbeitssuche hingewiesen wird. Die meisten Männer und Jugendlichen würden versuchen, auf nahe gelegenen Märkten als Träger zu arbeiten. Aufgrund dieser Auskünfte sah der Senat deshalb die Annahme als gerechtfertigt an, dass grundsätzlich Arbeitsmöglichkeiten bestehen.

Der aktuelle Lagebericht vom 4. Juni 2013 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013) formuliert die maßgeblichen Passagen zwar anders (S. 17 ff: „IV. Rückkehrerfragen“). Danach ist der Entwicklungsbedarf in Afghanistan weiterhin beträchtlich. Die Möglichkeiten des afghanischen Staats, die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen und ein Mindestmaß an sozialen Dienstleistungen, etwa im Bildungsbereich, zur Verfügung zu stellen, würden aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums zusätzlich unter Druck geraten. Die Situation am Arbeitsmarkt stelle das Land vor besondere wirtschaftliche und soziale Herausforderungen. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Andererseits wird im Lagebericht dargestellt, dass zunehmend Arbeiter aus Bangladesch, Iran und Pakistan nach Afghanistan kommen, da hier höhere Gehälter bezahlt würden, wenngleich es an einer politischen Strategie zur Schaffung von Arbeitsplätzen fehle (S. 17). Auch sei die afghanische Wirtschaft in den vergangenen Jahren aufgrund der internationalen Präsenz ständig gewachsen, unterliege allerdings derzeit besonderen Herausforderungen. Die medizinische Versorgung sei zwar immer noch unzureichend, Verbesserungen seien aber erkennbar (S. 18). Zusammenfassend lassen sich dem Lagebericht vom 4. Juni 2013 damit keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen (BayVGH, U. v. 24.10.2013 a. a. O.).

Aufgrund der in den Auskünften geschilderten Rahmenbedingungen geht der Senat weiterhin davon aus, dass trotz großer Schwierigkeiten grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts bestehen und jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten sind. Insbesondere Rückkehrer aus dem Westen sind in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind, wesentlich höher (Lagebericht 2012, S. 27). Hinzu kommt, dass eine extreme Gefahrenlage zwar auch dann besteht, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226), jedoch Mangelernährung, unzureichende Wohnverhältnisse und eine schwierige Arbeitssuche nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit „alsbald“ zu einer extremen Gefahr führen. Diese muss zwar nicht sofort, also noch am Tag der Ankunft eintreten. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende zeitliche Nähe zwischen Rückkehr und unausweichlichem lebensbedrohenden Zustand. Die Gefahr muss sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies ist aus den genannten Erkenntnismitteln nicht ersichtlich. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts (Auskunft vom 2.7.2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zum Verfahren 8 A 2344/11.A) dürfte es unwahrscheinlich sein, dass besonders in der Hauptstadt Kabul Personen verhungern oder verdursten.

Das vom Kläger unter Hinweis auf aktuelle Erkenntnisse von amnesty international geltend gemachte Risiko des Erfrierens begründet die Annahme einer extremen Gefahr ebenfalls nicht. Wie aus dem vom Kläger zitierten offenen Brief von amnesty international vom 19. Oktober 2012 (www.amnesty.org/en/news/afghanistan-urgent-assistance-needed-avoid-deaths) hervorgeht, gab es in den Flüchtlingslagern Afghanistans infolge des außerordentlich strengen Winters 2011/2012 über 100 Menschen, meistens Kinder, die an Kälte oder Krankheiten starben. Gemäß den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013 - HCR/EG/AFG/13/01 - besteht hinsichtlich der provisorischen und notdürftigen Unterkünfte für Binnenvertriebene sowie zurückkehrende Flüchtlinge folgende Situation: Die Betroffenen - in Kabul ca. 35.000 Personen -, die angesichts begrenzter Unterkunftsmöglichkeiten in informellen Siedlungen (Slums) leben müssten, seien dem strengen Winter schutzlos ausgeliefert. Infolge dessen seien in Kabul Anfang 2012 zehn Personen und Anfang 2013 17 Personen an der Kälte gestorben. Die meisten von ihnen seien Kinder (UNHCR a. a. O. Fn. 154, 157, 162). Nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 2. Juli 2013 (a. a. O.) kommt es in Kabul im Winter gelegentlich vor, dass Personen, die keine winterfeste Bleibe haben, erfrieren. Hierbei handle es sich zumeist um Säuglinge. Das für die Kinder als besonders gefährdete Gruppe bestehende Risiko lässt sich jedoch nicht auf den Kläger als erwachsenen Mann übertragen.

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger der Minderheit der Hazara keine Chance hätte, sich als Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten keine entsprechenden Hinweise. Der Umstand, dass der Kläger noch nicht in Kabul gelebt und sich seit 2008 im Ausland aufgehalten hat, steht der Annahme, er könne sich in Kabul auf sich allein gestellt notfalls „durchschlagen“, ebenfalls nicht entgegen (BayVGH, U. v. 24.10.2013 a. a. O.).

Bei dieser Ausgangslage ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten, etwa in Kabul, wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. UNHCR ist ebenfalls der Auffassung, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht komme (Richtlinien vom 6.8.2013 a. a. O. S. 9).

Der Hinweis auf den Beschluss der IMK zu TOP 39 (Rückführung nach Afghanistan) aus der Sitzung vom 4. bis 6. September 2013, demgemäß die abschiebungsrelevante Situation in Afghanistan der Überprüfung und Neubewertung bedürfe, vermag die Einschätzung des Senats nicht in Frage zu stellen. Die von der IMK zu klärende Frage, ob die Abschiebung afghanischer Staatsangehöriger ausgesetzt werden soll, richtet sich nach § 60a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die Anordnung eines sog. Abschiebestopps aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland ergehen. Für die IMK besteht somit ein weites Entscheidungsspektrum (Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt a. a. O., § 60a AufenthG Rn. 6). Die Frage hingegen, ob eine Extremgefahr für einen bestimmten Ausländer gegeben wäre, betrifft nur einen kleinen Ausschnitt dieses Spektrums und hängt somit nicht von der humanitären Bewertung der Sicherheits- und Gefährdungslage im Ganzen ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. November 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. November 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 24. Oktober 2012 wird die Klage insgesamt abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der nach seinen Angaben am 1. Januar 1991 in Malestan, Provinz Ghazni, geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und hazarischer Volkszugehöriger muslimisch-schiitischen Glaubens. Er reiste am 15. Juni 2009 auf dem Luftweg ins Bundesgebiet ein und stellte am 19. Juni 2009 Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) übermittelte dem Kläger mit Schreiben vom 19. Juni 2009 die Benachrichtigung zur Anhörung für den 17. August 2009 in München. Der Kläger nahm diesen Termin nicht wahr und reiste weiter nach Norwegen. Am 2. Februar 2010 wurde er von Oslo nach Hamburg zurück überstellt. Mit Schreiben vom 30. März 2010 teilte das Bundesamt dem Kläger gemäß § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylVfG mit, dass er den Anhörungstermin vom 17. August 2009 unentschuldigt nicht wahrgenommen habe und nunmehr die Möglichkeit bestünde, innerhalb eines Monats den Asylantrag und die übrigen Umstände schriftlich zu begründen. Am 3. Mai 2010 teilte der Bevollmächtigte des Klägers dem Bundesamt mit, dass ein Großteil der Verwandtschaft des Klägers aufgrund der Bürgerkriegswirren kurz vor dem Sturz der Taliban gestorben sei. Lediglich sein älterer Bruder habe überlebt. Nachdem aber auch dieser verschollen war, sei er aus Afghanistan geflohen und in den Iran gegangen. Nach ca. acht Monaten habe er sich auf den Weg nach Europa gemacht. Der Kläger stamme aus einer Provinz, wo Krieg herrsche. Ein aufnahmebereiter Familienverband bestehe in Afghanistan nicht.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2011 lehnte das Bundesamt (1.) den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass (2.) die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und (3.) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte (4.) dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

Durch Beschluss vom 8. Juli 2011 nach § 80 Abs. 5 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht München (M 23 S 11.30195) die aufschiebende Wirkung der Klage (M 23 K 11.30194) gegen die Ziffer 4 des Bundesamtsbescheids vom „20. Februar 2007“ [?] insoweit an, als die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wurde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München am 7. Oktober 2012 gab der Kläger Folgendes an: Er sei drei bis vier Jahre zur Schule gegangen und habe dort Lesen und Schreiben gelernt. Sein Vater sei zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan umgebracht worden, seine Mutter sei verstorben und sein Bruder verschwunden. Seine Familie habe in Ghazni in einer Mietwohnung gelebt. Die landwirtschaftlichen Grundstücke der Familie in Malestan bearbeite sein Onkel. Er könne aber wegen der Probleme mit seinem Onkel nicht in seinen Heimatort zurückkehren. Dieser behaupte, dass ihm die Grundstücke allein gehörten, wohingegen er selbst meine, dass sie seinem Onkel und seinem Vater gemeinschaftlich gehört hätten.

Durch Urteil vom 24. Oktober 2012 hob das Verwaltungsgericht den Bundesamtsbescheid vom 17. Februar 2011 in Nr. 3 insoweit auf, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegt. Zudem wurde dieser im Nr. 4 insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wurde. Die Beklagte wurde verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass für den Kläger im Fall der Abschiebung nach Afghanistan eine extreme Gefahr für Leib oder Leben bestünde. Er wäre angesichts der schlechten Versorgungslage in Afghanistan der Gefahr des baldigen Todes durch Verhungern oder Erfrieren ausgeliefert. Der Kläger habe in Afghanistan keine Familie als soziales Netz und hätte auch keine Möglichkeit, allein Fuß zu fassen und als Tagelöhner das Existenzminimum zu erlangen. Als Rückkehrer aus dem westlich geprägten Ausland täte sich der Kläger besonders schwer. In Kabul könnte er sich mangels Ortskenntnissen nicht zurechtfinden. Außerdem seien ihm die Lebensumstände in Afghanistan ohnehin fremd geworden, weil er sich mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten habe. Hinzu komme, dass er nur die Grundschule besucht und keine Berufsausbildung erhalten habe. Aus diesen Gründen wären seine Chancen, irgendeinen Job zu finden, als aussichtslos einzuschätzen. Außerdem gehöre er als Hazara einer geächteten Volksgruppe an.

Durch Beschluss vom 13. September 2013 (13a ZB 13.30037) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsschutzes wegen Divergenz von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bezüglich der Annahme einer extremen Gefahr zugelassen.

Am 27. September 2013 hat die Beklagte die Berufung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München

vom 24. Oktober 2012 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er habe vier Jahre lang die Schule besucht und dann seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Nach dessen Tod sei er seinem Bruder zur Hand gegangen. Er habe zwar von seinem Vater Land bekommen, sei deswegen aber von seinem Onkel bedroht worden, so dass er Afghanistan verlassen habe. Ihm drohten nunmehr Gefahren durch die Taliban und insbesondere durch seinen Onkel. Dieser arbeite im Innenministerium in Kabul und habe ihn sogar bedroht, als er sich im Zuge der Ausreise kurzzeitig in Herat aufgehalten habe. Es gehe bei dem Streit auch um Baugrundstücke in Kabul. Das Land in seinem Heimatdorf Balagsan (bei Malestan) werde von Söhnen des Onkels bearbeitet. Im Übrigen habe er keinen Kontakt mehr zu seinem Onkel. Es sei hier von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, welche ein Abschiebungsverbot in analoger Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründe. Er habe seit 2008 im Ausland gelebt. Es bestünde die Gefahr, dass er im Fall der Abschiebung in eine hilflose Lage geraten und den nächsten Winter nicht überleben würde. Er habe keine Chance auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt in Afghanistan. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass gemäß den Erkenntnissen von amnesty international im Winter 2011/2012 und 2012/2013 mehr als 100 Personen in Flüchtlingslagern durch Erfrieren gestorben seien (Bericht vom 19.10.2012 und vom 21.1.2013). Der Kläger weist außerdem auf einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) aus der Sitzung vom 4. bis 6. Dezember 2013 (TOP 39) hin, demgemäß die IMK die Entwicklung der rückführungsrelevanten Situation in Afghanistan mit großer Aufmerksamkeit beobachte und der Auffassung sei, dass die bestehende Beschlusslage aus dem Jahr 2005 unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung - insbesondere infolge des Abzugs der ausländischen Streitkräfte - einer Überprüfung und Neubewertung bedürfe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) nicht verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger ein national begründetes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Beim national begründeten Abschiebungsverbot handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, weshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind (BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17). Allerdings sind weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 noch diejenigen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig (EMRK) ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse). Dabei sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 unter Verweis auf EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952).

Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.

Eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht dem Kläger nicht.

Es ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger bei Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni eine Gefahr von Seiten seines Onkels drohen würde. Der Senat hält den Vortrag des Klägers nicht für glaubwürdig. Die diesbezüglichen Angaben vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof weisen eine auffällige und nicht plausible Steigerung auf. In erster Instanz sprach der Kläger von Problemen mit seinem Onkel, die daher rührten, dass dieser die landwirtschaftlichen Grundstücke im Heimatdorf (für sich allein) bewirtschafte und ihm seine Ansprüche aus dem väterlichen Miteigentum streitig gemacht habe. Von (nicht näher beschriebenen) Drohungen war erst in der Berufungsverhandlung die Rede. Neu ist auch die Behauptung, der Onkel sei im Innenministerium beschäftigt, er habe den Kläger während eines einmonatigen Zwischenaufenthalts in Herat bedroht und es gebe außer den landwirtschaftlichen Flächen in der Provinz Ghazni auch noch Baugrundstücke in Kabul. Würden die geschilderten Ereignisse und Umstände den Tatsachen entsprechen, so wäre es unerklärlich, warum sie der Kläger nicht schon früher geltend gemacht hätte. Der Vortrag bezüglich des Zwischenaufenthalts in Herat entbehrt jeglicher Realitätsnähe. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Onkel dem Kläger nach dessen Weggang aus dem Heimatdorf noch nachgestellt haben sollte und wie es ihm gelungen sein könnte, ihn in Herat aufzuspüren. Bei kritischer Würdigung des gesteigerten Vortrags ist nach der Überzeugung des Senats allenfalls der Streit wegen der geltend gemachten Erbansprüche, aber nicht die fortgesetzte Bedrohung glaubwürdig.

Die erstmals in der Berufungsverhandlung geltend gemachte Bedrohung durch Taliban begründet die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr ebenfalls nicht. Sollte sich dieser Hinweis auf ein persönliches Bedrohungsszenario beziehen, so wäre er unbeachtlich, da gänzlich unsubstantiiert.

Soweit sich der Kläger auf die allgemeine Gefährdung durch die Taliban und die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan bezieht, handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden können, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage sind (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Hinsichtlich der vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefährdung durch Taliban (z. B. Sprengfallen) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 60 Abs. 7 Satz 2 (a. F.) AufenthG schon nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr auszugehen. Gemäß den Erkenntnissen des Senats lag das Risiko für Angehörige der Zivilbevölkerung, in der nach UNAMA zur Südostregion zählenden Provinz Ghazni durch (jegliche) militante Gewalt Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, im Jahr 2012 unter 1:1.000 (weniger als 0,1%). Diese Risikohöhe ist weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BayVGH, U. v. 15.3.2013 - 13a B 12.30294 - juris Rn. 22 f.). Gemäß dem UNAMA-Bericht vom Juli 2013 (United Nations Assistance Mission in Afghanistan, Mid-Year Report 2013, Protection of Civilians in Armed Conflict) ist derzeit in der Südostregion nicht mit einer signifikanten Verschlechterung der Gefährdungslage oder einer wesentlichen Erhöhung des Risikos, Opfer militanter Gewalt zu werden, zu rechnen. Somit ist erst recht nicht von einer extremen Gefahr im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auszugehen.

Im Hinblick auf die unzureichende Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger ebenfalls nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist (vgl. ständige Rspr. des Senats, z. B. U. v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-; U. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris; U. v. 4.6.2013 - 13a B 12.30063 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris; so auch VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3177/11 - EzAR-NF 69 Nr. 13 - juris; VGH BW, U. v. 27.4.2012 - A 11 S 3079/11 - juris = DÖV 2012, 651 -LS-; OVG RhPf, U. v. 21.3.2012 - 8 A 11050/10.OVG - juris; SächsOVG, U. v. 10.10.2013 - A 1 A 474/09 - juris; HessVGH, U. v. 30.1.2014 - 8 A 119/12.A - juris). Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226).

Nach der Rechtsprechung des Senats ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Senat hat sich dabei zunächst u. a. auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Januar 2012 (S. 26 ff.) gestützt, wonach sich nahezu alle volkswirtschaftlichen Indikatoren Afghanistans positiv entwickelt hätten. Von den verbesserten Rahmenbedingungen profitierten dem Lagebericht zufolge grundsätzlich auch Rückkehrer. Die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten sei allerdings nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen für Rückkehrer. Dort erfolge die Ansiedlung unter schwierigen Rahmenbedingungen; für eine permanente Ansiedlung seien die vorgesehenen „Townships“ kaum geeignet. Auch sei der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich.

Ähnliche Erkenntnisse haben sich für den Senat aus den weiter zugrunde gelegten Berichten ergeben. So geht der Sachverständige Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten davon aus, dass am ehesten noch junge kräftige Männer, häufig als Tagelöhner, einfache Jobs, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt sei, fänden. In diesen Sektor, meist im Baugewerbe, ströme massiv die große Zahl junger Analphabeten. Ein älterer Mann, der vorher schon lange im Westen gelebt habe, hätte keine Chance auf einen solchen Arbeitsplatz. Hieraus konnte der Senat im Umkehrschluss die Folgerung ziehen, dass bei anderen Voraussetzungen eine Beschäftigung möglich ist. Nach der Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz (zum dortigen Verfahren 6 A 11048/10.OVG) von Dr. Karin Lutze (stellvertretende Geschäftsführerin der AGEF - Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammenarbeit i. L.) gebe es für qualifiziertes Personal ein umfangreiches Angebot an offenen Stellen. Für einen nicht oder gering qualifizierten Rückkehrer bestünden nur geringe Chancen für eine dauerhafte Beschäftigung mit geregeltem Einkommen. Das Existenzminimum für eine Person könne durch Aushilfsjobs ermöglicht werden (S. 9). Fälle, in denen Rückkehrer aufgrund von Hunger oder Unterernährung verstorben seien, seien nicht bekannt. Schließlich hat der Senat auch die Auskunft von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012 herangezogen, in der ebenfalls auf die schwierige Arbeitssuche hingewiesen wird. Die meisten Männer und Jugendlichen würden versuchen, auf nahe gelegenen Märkten als Träger zu arbeiten. Aufgrund dieser Auskünfte sah der Senat deshalb die Annahme als gerechtfertigt an, dass grundsätzlich Arbeitsmöglichkeiten bestehen.

Der aktuelle Lagebericht vom 4. Juni 2013 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013) formuliert die maßgeblichen Passagen zwar anders (S. 17 ff: „IV. Rückkehrerfragen“). Danach ist der Entwicklungsbedarf in Afghanistan weiterhin beträchtlich. Die Möglichkeiten des afghanischen Staats, die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen und ein Mindestmaß an sozialen Dienstleistungen, etwa im Bildungsbereich, zur Verfügung zu stellen, würden aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums zusätzlich unter Druck geraten. Die Situation am Arbeitsmarkt stelle das Land vor besondere wirtschaftliche und soziale Herausforderungen. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Andererseits wird im Lagebericht dargestellt, dass zunehmend Arbeiter aus Bangladesch, Iran und Pakistan nach Afghanistan kommen, da hier höhere Gehälter bezahlt würden, wenngleich es an einer politischen Strategie zur Schaffung von Arbeitsplätzen fehle (S. 17). Auch sei die afghanische Wirtschaft in den vergangenen Jahren aufgrund der internationalen Präsenz ständig gewachsen, unterliege allerdings derzeit besonderen Herausforderungen. Die medizinische Versorgung sei zwar immer noch unzureichend, Verbesserungen seien aber erkennbar (S. 18). Zusammenfassend lassen sich dem Lagebericht vom 4. Juni 2013 damit keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen (BayVGH, U. v. 24.10.2013 a. a. O.).

Aufgrund der in den Auskünften geschilderten Rahmenbedingungen geht der Senat weiterhin davon aus, dass trotz großer Schwierigkeiten grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts bestehen und jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten sind. Insbesondere Rückkehrer aus dem Westen sind in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind, wesentlich höher (Lagebericht 2012, S. 27). Hinzu kommt, dass eine extreme Gefahrenlage zwar auch dann besteht, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226), jedoch Mangelernährung, unzureichende Wohnverhältnisse und eine schwierige Arbeitssuche nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit „alsbald“ zu einer extremen Gefahr führen. Diese muss zwar nicht sofort, also noch am Tag der Ankunft eintreten. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende zeitliche Nähe zwischen Rückkehr und unausweichlichem lebensbedrohenden Zustand. Die Gefahr muss sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies ist aus den genannten Erkenntnismitteln nicht ersichtlich. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts (Auskunft vom 2.7.2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zum Verfahren 8 A 2344/11.A) dürfte es unwahrscheinlich sein, dass besonders in der Hauptstadt Kabul Personen verhungern oder verdursten.

Das vom Kläger unter Hinweis auf aktuelle Erkenntnisse von amnesty international geltend gemachte Risiko des Erfrierens begründet die Annahme einer extremen Gefahr ebenfalls nicht. Wie aus dem vom Kläger zitierten offenen Brief von amnesty international vom 19. Oktober 2012 (www.amnesty.org/en/news/afghanistan-urgent-assistance-needed-avoid-deaths) hervorgeht, gab es in den Flüchtlingslagern Afghanistans infolge des außerordentlich strengen Winters 2011/2012 über 100 Menschen, meistens Kinder, die an Kälte oder Krankheiten starben. Gemäß den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013 - HCR/EG/AFG/13/01 - besteht hinsichtlich der provisorischen und notdürftigen Unterkünfte für Binnenvertriebene sowie zurückkehrende Flüchtlinge folgende Situation: Die Betroffenen - in Kabul ca. 35.000 Personen -, die angesichts begrenzter Unterkunftsmöglichkeiten in informellen Siedlungen (Slums) leben müssten, seien dem strengen Winter schutzlos ausgeliefert. Infolge dessen seien in Kabul Anfang 2012 zehn Personen und Anfang 2013 17 Personen an der Kälte gestorben. Die meisten von ihnen seien Kinder (UNHCR a. a. O. Fn. 154, 157, 162). Nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 2. Juli 2013 (a. a. O.) kommt es in Kabul im Winter gelegentlich vor, dass Personen, die keine winterfeste Bleibe haben, erfrieren. Hierbei handle es sich zumeist um Säuglinge. Das für die Kinder als besonders gefährdete Gruppe bestehende Risiko lässt sich jedoch nicht auf den Kläger als erwachsenen Mann übertragen.

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger der Minderheit der Hazara keine Chance hätte, sich als Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten keine entsprechenden Hinweise. Der Umstand, dass der Kläger noch nicht in Kabul gelebt und sich seit 2008 im Ausland aufgehalten hat, steht der Annahme, er könne sich in Kabul auf sich allein gestellt notfalls „durchschlagen“, ebenfalls nicht entgegen (BayVGH, U. v. 24.10.2013 a. a. O.).

Bei dieser Ausgangslage ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten, etwa in Kabul, wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. UNHCR ist ebenfalls der Auffassung, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht komme (Richtlinien vom 6.8.2013 a. a. O. S. 9).

Der Hinweis auf den Beschluss der IMK zu TOP 39 (Rückführung nach Afghanistan) aus der Sitzung vom 4. bis 6. September 2013, demgemäß die abschiebungsrelevante Situation in Afghanistan der Überprüfung und Neubewertung bedürfe, vermag die Einschätzung des Senats nicht in Frage zu stellen. Die von der IMK zu klärende Frage, ob die Abschiebung afghanischer Staatsangehöriger ausgesetzt werden soll, richtet sich nach § 60a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die Anordnung eines sog. Abschiebestopps aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland ergehen. Für die IMK besteht somit ein weites Entscheidungsspektrum (Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt a. a. O., § 60a AufenthG Rn. 6). Die Frage hingegen, ob eine Extremgefahr für einen bestimmten Ausländer gegeben wäre, betrifft nur einen kleinen Ausschnitt dieses Spektrums und hängt somit nicht von der humanitären Bewertung der Sicherheits- und Gefährdungslage im Ganzen ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der am … in Mazar-i Sharif geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit. Er begehrt die Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung, dass in seinem Fall die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 AufenthG vorliegen.

2

Nachdem er nach eigenen Angaben am 31. März 2004 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, beantragte er unter dem 7. April 2004, als Asylberechtigter anerkannt zu werden.

3

Zur Begründung seines Asylbegehrens führte er in seiner Anhörung vom 20. April 2004 an, dass er gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Sein Vater sei etwa eine Woche vor der Ausreise verstorben. Der Kläger habe die Koranschule besucht und danach im Geschäft des Vaters mitgearbeitet. Dieser sei Teppichhändler gewesen. Die Familie habe sich in einer guten wirtschaftlichen Lage befunden. Vor der Ausreise habe sein Vater allerdings etwa 60.000 Dollar Schulden gehabt. Die Gläubiger hätten die Familie bedroht. Grund für die Schulden sei gewesen, dass drei Ladungen Teppiche auf dem Weg nach Pakistan gestohlen worden seien. Ein Freund seines Vaters habe die Ausreise organisiert. Hierzu habe der Kläger aus dem Haus der Familie Geld geholt, das dort versteckt gewesen sei. An den Schlepper habe die Familie 20.000 Dollar bezahlt. Die Verwandten des Klägers lebten in Deutschland oder der Türkei.

4

Mit Bescheid vom 15. November 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 sowie des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an.

5

Am 1. Dezember 2005 hat der Kläger Klage erhoben, die er auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt hat.

6

Mit Urteil vom 19. Dezember 2006 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen und den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2005 insoweit aufgehoben, als er dieser Feststellung entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland wegen der dortigen unzureichenden Versorgungslage einer extremen Gefahr ausgesetzt wäre.

7

Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat die Beklagte angeführt, dass die vom Verwaltungsgericht angenommene extreme Gefahrenlage nicht vorliege. Die Sicherheits- und Versorgungslage insbesondere im Raum Kabul sei nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Für einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann wie den Kläger sei davon auszugehen, dass er im Raum Kabul eine vergleichsweise stabile Existenz sichern könne.

8

Der Kläger ist der Berufung unter Verweis auf die Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils entgegengetreten.

9

Mit Urteil vom 6. Mai 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in hinreichender zeitlicher Nähe in einen unausweichlich lebensbedrohlichen Zustand geraten würde. Er könne seinen Lebensunterhalt weder aus eigener Kraft noch durch Zuwendungen Dritter bestreiten. Auch ein Zugang zu medizinischer Versorgung sei nahezu ausgeschlossen. Insoweit gerate er zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen.

10

Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 9.09 − die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

11

Die Beklagte führt im weiteren Verfahren ergänzend aus, dass im Falle des Klägers auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzuerkennen sei. Im Herkunftsgebiet des Klägers, dem Bereich um die Stadt Mazar-i Sharif könne nicht von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgegangen werden. Zudem sei angesichts der Strukturen in der afghanischen Gesellschaft damit zu rechnen, dass der Kläger Unterstützung durch einen Stammes- oder Familienverband finden werde.

12

Die Beklagte beantragt,

13

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 19. Dezember 2006 die Klage insgesamt abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass vorrangig das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungshindernisses festgestellt wird.

16

Er ist der Auffassung, dass die eingeholten Gutachten die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 6. Mai 2008 bestätigten. Er laufe Gefahr, bei einer Rückkehr in sein Heimatland an Mangelernährung zu sterben.

17

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten der Sachverständigen P. R., Dr. B. G. sowie Dr. K. L. und durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsakte sowie die in das Verfahren eigeführten Erkenntnismittel verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

20

Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.

21

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zu, noch sind in seinem Fall die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben.

22

1. In die Entscheidung des Senates waren – worauf bereits das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil hingewiesen hat – die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorrangig vor dem Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zu dessen Feststellung das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, einzubeziehen.

23

Die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote, zu denen neben § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gehört und deren Grundlagen sich aus Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie – ergeben, sind mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I 2007, 1970) im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ablehnungsbescheid der Beklagten – wie hier − sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote erfasst und der Kläger die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote in sein Verfahren einbezogen hat. Die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote bilden einen eigenständigen, vorrangig vor den nationalen Abschiebungsverboten zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 ─, BVerwGE 136, 360 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 und juris, Rn. 6).

24

2. Im Falle des Klägers liegen indessen die Voraussetzungen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nicht vor.

25

a. Was die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG angeht, so hat sich der Kläger nicht hierauf berufen. Es ergeben sich auch ansonsten keine Hinweise darauf, dass er bei seiner Rückkehr der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sowie der Gefahr der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Soweit er die Befürchtung geäußert hat, er könne von den Gläubigern seines Vaters misshandelt werden, kann es – ungeachtet der Frage, wie derartige Übergriffe Privater rechtlich einzuordnen sind – nicht als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden, dass der Aufenthaltsort des Klägers bei einer Rückkehr von diesen Personen ermittelt und er von ihnen aufgegriffen werden kann.

26

b. Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor.

27

aa. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

28

Im Falle des Klägers kann dahinstehen, ob in seiner Herkunftsregion, der Provinz Balkh, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne dieser Vorschrift vorliegt. Denn jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass er infolge eines solchen Konfliktes einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Eine mögliche bewaffnete Auseinandersetzung erreicht in der Provinz Balkh keine solche Gefahrendichte, dass sich aus der allgemeinen Lage bereits eine individuelle ernsthafte Bedrohung für jede Person ergibt, die sich dort aufhält.

29

bb. Was eine sich im Rahmen einer allgemeinen Gefahrenlage bestehende Bedrohung angeht, so ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zunächst richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der bei Vorliegen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie, der durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in nationales Recht umgesetzt wurde, keine Sperrwirkung entfaltet. Der Betroffene muss sich bei einer allgemeinen Gefahr nicht mit der in § 60 a Abs. 1 AufenthG vorgesehenen Aussetzung der Abschiebung zufriedengeben, da ihm nach Art. 24 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 191 und juris, Rn. 31).

30

cc. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit dann anzunehmen, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Mit einer solchen Auslegung wird dem Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen. Hiernach verlangt eine dennoch erfolgende Berücksichtigung eine Ausnahmesituation mit einem hohen Gefahrengrad. Hingegen kann der zur Gewährung subsidiären Schutzes erforderliche Grad willkürlicher Gewalt umso geringer sein, je mehr der Betroffene zu belegen vermag, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände in besonderem Maße hierdurch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rechtssache C-465/07 Elgafaji, Rn. 35 bis 39).

31

Für die Annahme einer entsprechenden Bedrohung ist dabei auch nach nationalem Recht erforderlich, dass sie durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgelöst wird. Das entsprechende Tatbestandsmerkmal von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ist auch Bestandteil der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geworden. Wie sich der Begründung des Regierungsentwurfs zu diesem Gesetz entnehmen lässt (BT-Drs. 16/5065, S. 187), war es Absicht des Gesetzgebers, den Tatbestand des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie und damit auch das Erfordernis willkürlicher Gewalt in vollem Umfang in nationales Recht umzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 32). Von willkürlicher Gewalt ist auszugehen, wenn sich die in Frage stehende Gewalt auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009, a.a.O., Rn. 34).

32

Hiernach ist dann ein besonders hohes Maß willkürlicher Gewalt erforderlich, wenn keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen. Liegen solche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören solche persönlichen Besonderheiten, die den Rückkehrer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, wie etwa eine berufliche Verpflichtung sich in Gefahrennähe aufzuhalten. Hierzu können aber auch persönliche Umstände gerechnet werden, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie, aufgrund derer der Betroffene zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33; Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 −, juris Rn. 18). Beschränkt sich ein bewaffneter Konflikt auf einzelne Landesteile, so kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Betroffenen erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren muss. Bei der Feststellung, ob eine entsprechende individuelle erhebliche Gefahr gegeben ist, ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, erforderlich, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Weiterhin bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33). Die entsprechende Gefahr muss dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 20). Was die im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende quantitative Beurteilung angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. November 2011 (- 10 C 13/10 -, juris Rn. 22 f.) das Risiko, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 800 verletzt oder getötet zu werden, als für die Annahme einer individuellen Gefahr keinesfalls hinreichend angesehen.

33

dd. Nach diesen Kriterien ist der Kläger aufgrund der allgemeinen Situation in seiner Herkunftsprovinz keiner individuellen Bedrohung ausgesetzt.

34

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es landesweit in unterschiedlicher Intensität zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Regierungstruppen und der unter Führung der NATO operierenden internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) auf der einen sowie den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite kommt. Das Land ist durch eine andauernde Instabilität geprägt. Insgesamt ist in den Jahren 2010 und 2011 eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Die Zahl der Anschläge hat sich im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 65 % erhöht. Während nach wie vor ein Schwerpunkt der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Land in den südlichen und südöstlichen Regionen festzustellen ist, lässt sich gleichzeitig eine stärkere geografische Verteilung entsprechender Vorfälle konstatieren (vgl. UNHCR, Gutachten vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; ders., Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Die für das Jahr 2010 genannte Zahl getöteter Zivilpersonen schwankt in einzelnen Quellen zwischen 2.428 (amnesty international, Report 2011 Afghanistan vom 18. August 2011) und 2.777 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Landesweit ist im 1. Halbjahr 2011 ein Anstieg der Zahl der getöteten Zivilsten um 15 % festzustellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Für das gesamte Jahr 2011 wird eine Zahl von 3021 ziviler Todesopfer genannt (United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012), so dass erneut von einem beträchtlichen Anstieg auszugehen ist. Die Zahl der im Land insgesamt gemeldeten Angriffe bewaffneter oppositioneller Gruppierungen belief sich im Jahr 2011 auf 13.983 (The Afghanistan NGO Safety Office – ANSO, Quaterly Data Report Q.4 2011, Januar 2012).

35

Demgegenüber zeigt sich in der Provinz Balkh durch die Anwesenheit internationaler Organisationen und Militärs ein vergleichsweise sicheres Umfeld. Als problematisch hat sich in den vergangenen Jahren eher die hohe Kriminalitätsrate erwiesen. Die Situation in dieser Region wird als vergleichsweise friedlich eingeschätzt. Sie gehört zu den Provinzen, die in den zurückliegenden Jahren vom Konflikt am wenigsten betroffen waren (D-A-CH Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010). War in den Jahren 2009 und 2010 im Verantwortungsbereich des Regionalkommandos Nord, zu dem auch die Provinz Balkh gehört und das in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif seinen Sitz hat, ein signifikanter Anstieg der Auseinandersetzungen festzustellen, kam es im ersten Halbjahr 2011 wieder zu einem Rückgang der Übergriffe um 50 %. Dabei ist es den afghanischen Sicherheitskräften und den ISAF-Einheiten gelungen, in den Regionen Kundus und Nord-Baghlan die regierungsfeindlichen Kräfte weitgehend aus ihren traditionellen Hochburgen zu verdrängen. Auch in den nordwestlichen Provinzen und damit in Balkh konnten – wenn auch nicht in diesem Ausmaß − militärische Fortschritte erzielt werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012). Mit diesem Vorgehen dürfte auch der seit 2008 feststellbaren und als problematisch angesehenen Infiltration des Nordens Afghanistans durch regierungsfeindliche Gruppierungen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011) entgegengewirkt worden sein. In der Provinz Balkh ereigneten sich im Jahr 2010 183 Angriffe oppositioneller bewaffneter Gruppierungen. Diese Anzahl ging im Jahr 2011 auf 144 zurück (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012).

36

Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz von 1,2 Mio. Einwohnern, die sich auf 17.000 km² erstreckt (71 Einwohner pro km²; vgl.: D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich − Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010), entfiel bei 144 registrierten Anschlägen oppositioneller Gruppierungen ein solcher Vorfall auf etwa 8300 Einwohner. Demgegenüber ereignet sich in Afghanistan insgesamt bei etwa 31 Mio. Einwohnern und 13.983 Übergriffen landesweit (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012) ein Angriff je 2.200 Einwohner. Wenngleich auf die Region bezogene Opferzahlen nicht ersichtlich sind, so kann doch aus der allgemeinen Einschätzung der Sicherheitslage und der vergleichsweise niedrigen Zahl der Anschläge geschlossen werden, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, in einen derartigen Vorfall als Zivilperson einbezogen zu werden und damit einer ernsthaften Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

37

Angesichts dieser Gesamtsituation wirkt es sich auch nicht zugunsten des Klägers aus, dass die medizinische Versorgungslage in Afghanistan – insbesondere in ländlichen Bereichen − weiterhin als unzureichend angesehen werden muss und ein Zugang zu Gesundheitseinrichtungen nicht gewährleistet ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011). Vielmehr lässt sich schon allein anhand der Gefahrendichte feststellen, dass sich nicht für jeden Rückkehrer allein wegen seines Aufenthaltes in der Provinz eine ernsthafte individuelle Bedrohung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt, so dass es insoweit nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob die Folgen einer Verletzung durch eine schnelle und wirksame medizinische Behandlung gemindert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 23).

38

ee. Besondere persönliche Umstände, die sich gefahrerhöhend auswirkten, sind im Falle des Klägers ebenfalls nicht ersichtlich. Er gehört in seiner Heimatregion der Bevölkerungsmehrheit der Tadschiken an. Soweit der Kläger in seinem Asylverfahren darauf verwiesen hat, dass die Familie von den Gläubigern seines Vaters bedroht worden sei, steht dieser Vorfall in keinem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und den Sicherheitskräften sowie den ISAF-Einheiten.

39

3. Kann hiernach auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht festgestellt werden, so gilt dies gleichermaßen für das gegenüber den unionsrechtlichen Abschiebungsverboten nachrangig zu prüfende nationale Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG.

40

a. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach Satz 3 dieser Regelung sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Der Kläger beruft sich indessen im Wesentlichen gerade auf die allgemein ungünstigen Verhältnisse in seinem Heimatland. Bei diesen der Bevölkerung allgemein drohenden Gefahren gilt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch der Vorrang einer politischen Leitentscheidung im Wege einer generellen Aussetzung der Abschiebung. Soweit der Kläger daneben auf die Gefahr abstellt, Opfer der Gläubiger seines Vaters zu werden, fehlt es bereits an hinreichenden Anhaltspunkten, dass er als dessen Sohn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von diesen Personen ausfindig gemacht werden kann.

41

Die nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bestehende Sperrwirkung ist allerdings im Wege der verfassungskonformen Auslegung dann einzuschränken, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine extreme Gefahrenlage dergestalt zu gewärtigen hätte, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würde und die obersten Landesbehörden von der nach § 60 a Abs. 1 AufenthG bestehenden Ermächtigung, die Abschiebung auszusetzen, keinen Gebrauch gemacht haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 und juris, Rn. 14; Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. September 2011 - 10 C 24.10 - juris, Rn. 19). Die Gefahrenlage muss landesweit bestehen (VGH BW, Urteil vom 14. Mai 2009 - A 11 S 610/08 -, juris, Rn. 20).

42

Was die für die Abweichung von der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erforderliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr angeht, so ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes von einem gegenüber dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die extremen Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Zudem müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011, a.a.O., juris, Rn. 15).

43

b. Im Falle des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen an das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage bei einer Rückkehr nach Afghanistan erfüllt sind.

44

Jedenfalls bei einer Rückkehr nach Kabul ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem alsbaldigen Tod oder schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Afghanistan durch eine problematische wirtschaftliche Situation geprägt ist, die zu einer schwierigen Versorgungslage führt. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die verbreitete Armut führt landesweit nach wie vor vielfach zu Mangelernährung. Im Jahr 2011 war die Getreideernte nach überdurchschnittlichen Ernten in den Jahren 2009 und 2010 wieder signifikant niedriger als in den Vorjahren. Staatliche soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien- und Stammesverbänden. Der IWF rechnet indessen für das laufende afghanische Fiskaljahr mit einem Wachstum von 8 % des Bruttoinlandsproduktes außerhalb des Landwirtschaftssektors. Langfristig rechnen Experten bis zum Jahr 2030 mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 5 % (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012), so dass sich mittelfristig die Perspektive einer Besserung der Verhältnisse ergibt. Erwerbsmöglichkeiten sind für einen Großteil der Bevölkerung nur eingeschränkt vorhanden. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 40 %. Etwa 80 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Selbst nicht arbeitslose Afghanen erzielen durch ihre Arbeit nur in 13,5 % der Fälle regelmäßige Einkünfte. Unproblematisch ist die Situation lediglich für hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure, Finanz- und Verwaltungsfachleute. Für die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen, kommt es wesentlich auf die Einbindung des Betroffenen in den erweiterten Familien- oder Bekanntenkreis an, der auch das soziale Sicherheitsnetz begründet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31. Oktober 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011 -).

45

Dem Kläger droht indes auch vor dem Hintergrund der geschilderten allgemeinen Lage in der Hauptstadt Kabul keine extreme Gefahrenlage. Die Lage dort ist durch eine positive Wirtschaftsentwicklung geprägt. Dies führt allerdings dazu, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der wirtschaftlichen Migration aus anderen Landesteilen weiter verschärft. Weitere Folge dieser starken Zuwanderung aus anderen Landesteilen ist, dass die Lebenshaltungskosten und damit die Kosten für eine Unterkunft bedeutend höher liegen als in anderen Landesteilen (vgl. Gutachterliche Stellungnahme von Dr. K. L. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 09. Juni 2011; Gutachten des UNHCR an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011).

46

Als unwahrscheinlich ist zudem die Option anzusehen, dass der Kläger nach seiner Rückkehr eine Arbeitsstelle findet, die seinen Lebensunterhalt dauerhaft gewährleistet. Vielmehr wird er voraussichtlich darauf angewiesen sein, sich als Tagelöhner zu verdingen (vgl. Gutachten von P. R. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2008). Grundlage hierfür ist insbesondere der Bauboom in der Hauptstadt, der die entsprechenden Möglichkeiten erheblich ausgeweitet hat. Bei der Arbeitssuche kommt überdies der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppierung in der Hauptstadt, da diese multiethnisch und kosmopolitisch geprägt ist, keine so große Bedeutung zu, wie es in der Provinz der Fall ist (Gutachten von Dr. B. G. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008). Insoweit wird der Kläger nicht in gleichem Maße auf die Unterstützung durch seinen Stammes- oder Familienclan angewiesen sein, wie dies in anderen Regionen seines Heimatlandes der Fall wäre.

47

Was die Möglichkeit angeht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, so ist in seinem Falle weiterhin zu berücksichtigen, dass er alleinstehend ist und daher nicht in der Verantwortung steht, den Unterhalt von Ehefrau oder Kindern gleichfalls sicherzustellen. Hiernach ist aber bereits nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ohne Unterstützung durch Familien- oder Stammesangehörige nicht in der Lage wäre, durch eine - wenn auch unregelmäßige - Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zumindest in bescheidenem Umfang durch eine Tagelöhnertätigkeit zu erzielen (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 31. Oktober 2011). Insoweit ergibt sich auch keine ernstliche Verschlechterung der Situation dadurch, dass er sich längere Zeit, nämlich seit dem Jahre 2004, außerhalb seines Heimatlandes aufgehalten hat. Selbst wenn sich hieraus eine Erschwernis bei der Arbeitssuche ergeben sollte (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG RP vom 31. Oktober 2011), so besteht jedoch keine Einschränkung der Eignung für einfache körperliche Tätigkeiten. Insoweit sind es gerade junge, kräftige Männer, die am ehesten die Chance haben, sich auf dem Arbeitsmarkt für Tätigkeiten durchzusetzen, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt ist (vgl. Gutachten von Dr. Mostafa Danesch an den HessVGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Was den Kläger angeht, kommt hinzu, dass er vor seiner Ausreise im Teppichhandel seines Vaters mitgeholfen und dadurch Erfahrungen im Wirtschaftsleben seines Heimatlandes erworben hat.

48

Auch die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass der Kläger als alleinstehender junger Mann bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Zwar ist in Afghanistan etwa ein Drittel der Bevölkerung von Mangelernährung betroffen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass den Betroffenen keine ausreichende Nahrung für ein gesundes und aktives Leben zur Verfügung steht (Stellungnahme des UNHCR vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz). Dies bedeutet indessen nicht, dass bei diesem Bevölkerungsanteil bereits gesundheitliche Beeinträchtigungen in erheblichem Ausmaß eingetreten sind. Vielmehr wird damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass bei etwa einem Drittel der afghanischen Bevölkerung die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigung durch Mangelernährung besteht. Die von Frau Dr. T. in der mündlichen Verhandlung vom 06. Mai 2008 geschilderten Folgen der Mangelernährung können in einem solchen Fall eintreten; sie sind aber nicht zwingend. Hinzu kommt, dass es auch bei der Gefahr von Armut und Mangelernährung demographische Risikogruppen gibt. Bei der Definition der Begriffe der absoluten Armut (1 Dollar und weniger pro Tag), von der etwa 36 % der Afghanen betroffen sind, und des Lebens knapp über der Armutsgrenze (2 bis 3 Dollar), das 37 % der afghanischen Bevölkerung führen, wird auf die Verhältnisse einer sechs- bis achtköpfigen Großfamilie abgestellt (vgl. Gutachten von Dr. M. D. an den Hessischen VGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Dies bestätigt aber die Annahme, dass gerade nicht junge, alleinstehende Männer, sondern eher Familien mit mehreren Kindern in besonderem Maße in Afghanistan existentiell gefährdet sind.

49

Da der Kläger nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ernsthafter gesundheitlicher Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, kann bei ihm, der keine Vorerkrankungen dargelegt hat, auch nicht mit einer alsbald nach der Rückkehr drohenden extremen Gefahrenlage allein wegen der – insbesondere in ländlichen Bereichen – unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011) gerechnet werden.

50

Insgesamt kann hiernach zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in seinem Heimatland in eine ernsthafte Gefahrenlage gerät, für deren alsbald nach der Rückkehr erfolgenden Eintritt spricht aber keine hohe Wahrscheinlichkeit.

51

Die Ansicht, dass für junge, männliche afghanische Staatsangehörige, die beruflich nicht besonders qualifiziert sind und nicht auf den Rückhalt von Familie oder Bekannten zurückgreifen können, in Kabul keine extreme Gefahrensituation besteht, wird von der überwiegenden Zahl der Obergerichte geteilt (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 610/08 −; BayVGH, Urteil vom 03. Februar 2011 – 13a B 10.30394 −, juris Rn. 37; OVG NW, Urteil vom 19. Juni 2008 – 20 A 4676/06.A −, juris Rn. 68 und Beschluss vom 26. Oktober 2010 – 20 A 964/10.A −, juris Rn. 7; OVG SH, Urteil vom 10. Dezember 2008 – 2 LB 23/08 −, juris Rn. 34; a.A. wohl: HessVGH, Urteil vom 25.08.2011 – 8 A 1659/10.A −, Juris Rn. 93 ).

52

Was einen möglichen Aufenthalt des Klägers in Kabul angeht, so liegen auch in diesem Bereich die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor. Ausweislich des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012 kann die Sicherheitslage in Kabul weiterhin als stabil angesehen werden. Zwar hätten sich seit Januar 2011 in der Hauptstadt mehrere spektakuläre Selbstmordanschläge ereignet. Zuvor sei es allerdings über einen Zeitraum von fast 18 Monaten hinweg zu praktisch keinerlei Anschlägen gekommen. Es handelte sich um einzelne spektakuläre Anschläge auf exponierte Ziele (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Insgesamt waren 71 Tote in der Zivilbevölkerung Kabuls zu verzeichnen, wovon 67 Personen Opfer von sechs Selbstmordanschlägen wurden (vgl. UNAMA, Afghanistan, Annual Report 2011, Februar 2012). Diese Umstände sprechen bereits dagegen, in Kabul einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt anzunehmen (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 3177/11 −). Jedenfalls ergibt sich aber keine erhebliche Gefahr für jeden Rückkehrer, Opfer einer bewaffneten Auseinandersetzung zu werden. Bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 3,5 bis 4,5 Mio. Menschen (D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010) und einer Konzentration der Übergriffe auf wenige Vorfälle fehlt es an der erforderlichen Gefahrendichte.

53

Die von der Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG.

54

Soweit der Kläger sich mit Schriftsatz vom 01. April 2012 an den Senat gewandt hat, bestand kein Anlass, erneut in eine mündliche Verhandlung einzutreten, da er seinen bisherigen Vortrag lediglich konkretisiert hat.

55

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

56

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. 708 ff. ZPO.

57

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. November 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 15. November 2013 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob für die Gruppe der Personen, die wie der Kläger aus der Provinz Herat stammen, deren Familien über einen gewissen Besitz verfügen und als wohlhabend gelten, in der Provinz Herat entführt und gefangen gehalten wurden und deren Familie aufgrund von geleisteten Lösegeldzahlungen nicht mehr wohlhabend sind oder nicht mehr den Anschein erwecken, über Vermögen zu verfügen, bei einer Rückkehr keine konkrete Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung besteht bzw. von keiner ernsthaften individuellen Bedrohung ausgegangen werden kann“.

Es bestehe ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe angenommen, dass er in Herat von Kriminellen zwecks Lösegelderpressung entführt und gefangen gehalten worden sei, dass aber nicht die Gefahr einer erneuten Entführung bestehe, weil seine Familie aufgrund der Lösegeldzahlung nicht mehr wohlhabend sei und (aufgrund des Verkaufs des Geschäfts) auch nicht mehr den Anschein erwecke, über Vermögen zu verfügen. Hierbei habe das Verwaltungsgericht aber außer Acht gelassen, dass er als Rückkehrer aus einem westlichen Land als wohlhabend gelte und damit Gefahr liefe, erneut Opfer einer Entführung zu werden. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht werde, sei somit nicht widerlegt.

Soweit sich die Frage auf die Vermögensverhältnisse der gesamten Familie bezieht, bedarf es zu ihrer Klärung nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Aus den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof laufend ausgewerteten aktuellen Erkenntnismitteln zur Sicherheitslage in Afghanistan geht übereinstimmend hervor, dass wohlhabende Afghanen potentiell gefährdet sind, gegen Lösegeld entführt zu werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 4. Juni 2013, S. 14; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, 30.9.2013, S. 19: „Afghanen, die über einen gewissen Besitz verfügen, sind gefährdet, gegen Lösegeld entführt zu werden.“; Update 11.8.2010, S. 16: „Entführungen reicher Afghanen bleiben ein ernsthaftes Problem.“). Hieraus lässt sich der Umkehrschluss ziehen, dass bei Familien, die offensichtlich vermögenslos sind, nicht davon auszugehen ist, dass eine erhebliche Entführungsgefahr besteht.

Die in den Darlegungen enthaltene weitergehende Frage, ob die aus westlichen Ländern zurückkehrenden Afghanen allgemein als wohlhabend gelten und deshalb eine erhebliche Entführungsgefahr besteht, vermag die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Dieser Gesichtspunkt war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht von Bedeutung. Er war weder in der schriftlichen Klagebegründung noch in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen. Im Zusammenhang mit der Entführung ging es vielmehr um die finanziellen Verhältnisse der Familie nach der Lösegeldzahlung. Im Übrigen ergeben sich aus den vom Kläger zitierten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine solche Gefährdung. Die vom Kläger angeführten Berichte (Auswärtiges Amt, D-A-CH, Schweizerische Flüchtlingshilfe) enthalten keinen Hinweis darauf, dass Rückkehrer aus Europa generell potentielle Entführungsopfer sind. Insbesondere in der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5. Mai 2010 betreffend die Sicherheitssituation in Herat, der Herkunftsregion des Klägers, wird lediglich allgemein auf die Zunahme von Entführungen und Überfällen im Zusammenhang mit der dortigen Verschlechterung der Sicherheitssituation hingewiesen (S. 3). Das Auswärtige Amt stellte in einem früheren Lagebericht (Stand Januar 2012, S. 27) lediglich fest, dass Afghanen, die aus dem westlich geprägten Ausland zurückkehren, in ihrer Umgebung auf übersteigerte Erwartungen bezüglich der finanziellen Möglichkeiten treffen könnten, so dass von ihnen für alle Leistungen überhöhte Preise gefordert würden. Diese Bedenken sind allerdings in den aktuelleren Lageberichten von 2013 und 2014 nicht mehr enthalten.

Auch die übrigen (konkludent aufgeworfenen) Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.

Ob für Rückkehrer in der Westregion Afghanistans eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts besteht (§ 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG), bedarf keiner grundsätzlichen Klärung durch ein Berufungsverfahren. Der Hinweis des Klägers auf den Fortschrittsbericht der Bundesregierung vom Juni 2013 bietet keinen Anlass, erneut in eine Risikobewertung einzutreten. Der Verwaltungsgerichtshof ist im Urteil vom 1. März 2013 (13a B 12.30205) davon ausgegangen, dass das Risiko für Zivilpersonen, in der Westregion (mit Provinz Herat) infolge militanter Gewalt Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, im Jahr 2010 ca. 0,01% betrug (UA Rn. 21). Aus den aktuellen Berichten, insbesondere dem zweimal im Jahr herausgegebenen Afghanistan Report der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) ergibt sich einerseits, dass das Gewaltniveau in ganz Afghanistan ansteigt, und andererseits, dass das Risiko in der Westregion nach wie vor unter 1:1.000 liegt und somit weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist (vgl. Beschluss des Senats vom 23.4.2014 - 13a ZB 14.30095 - juris). Der Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung vom Juni 2013 ist für die Frage, ob für die dortigen Zivilpersonen eine ernsthafte individuelle Bedrohung besteht, nicht hinreichend aussagekräftig. Dieser „Zwischenbericht“ berücksichtigt bei den Zahlen der Anschlagsopfer lediglich einen Zeitraum von vier Monaten, enthält keine Erkenntnisse bezüglich der Westregion im Ganzen und lässt auch keine Rückschlüsse auf die Größenordnung des dortigen Schadensrisikos zu.

In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist ferner geklärt‚ dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH‚ U. v. 3.2.2011 - 13a B 10.30394 - juris; U. v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012‚ 35 -LS-; U. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris). Der Verwaltungsgerichtshof geht‚ worauf sich auch das Verwaltungsgericht bezieht (UA S. 19)‚ davon aus‚ das ein arbeitsfähiger‚ gesunder Mann‚ der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten zu tragen hat‚ regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre‚ durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Die Unterstützung durch Familien- oder Stammesangehörige wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. auch VGH BW‚ U. v. 27.4.2012 - A 11 S 3079/11 - juris = DÖV 2012‚ 651 -LS-; OVG RhPf‚ U. v. 21.3.2012 - 8 A 11050/10.OVG - juris; SächsOVG‚ U. v. 10.10.2013 - A 1 A 474/09 - juris; HessVGH‚ U. v. 30.1.2014 - 8 A 119/12.A - juris). Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen‚ dass der Kläger aufgrund seiner höheren Schulbildung‚ seiner kaufmännischen Berufserfahrung und der zu erwartenden familiären Unterstützung ohnehin nicht extrem gefährdet wäre (UA S. 20).

Der im nachträglichen Schriftsatz vom 16. Juni 2014 enthaltene Hinweis auf eine fachärztlich attestierte schwere depressive Episode führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits grundsätzlich geklärt, dass bei einer schweren depressiven Symptomatik ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sein kann, wenn sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatland verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort faktisch unzureichend sind (BVerwG, B. v. 24.5.2006 - 1 B 118.05 - NVwZ 2007, 345).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. November 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.


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Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. März 2012 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Oktober 2011 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens. Gemäß den Eintragungen im Reisepass wurde er am … 1990 Neu-Delhi (Indien) geboren. Er reiste im Januar 1991 zusammen mit seiner Familie ins Bundesgebiet ein. Im Jahr 1992 trennten sich die Eltern. Am 2. Juni 1993 stellte die Mutter des Klägers für sich und ihn Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte. Mit Bescheid vom 6. Oktober 1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (1.) die Asylanträge ab und stellte fest, dass (2.) die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und (3.) Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte (4.) die Abschiebung nach Afghanistan an. Aufgrund der hiergegen erhobenen Klage erließ das Verwaltungsgericht Ansbach am 29. November 1994 (Az. AN 22 K 93.56190) folgendes Urteil:

„1. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wird unter Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheides vom 6.10.1993 verpflichtet, zugunsten der Kläger festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Ermessensausübung gemäß §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gegeben sind; im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

[2. Kosten].“

In den Entscheidungsgründen ist u.a. ausgeführt, „dass die Leibes- und Lebensgefahren in Afghanistan derzeit wesentlich erhöht sind“ [wegen Bürgerkriegsgefahren – unter Hinweis auf BayVGH, U.v. 28.10.1994 – 24 BA 94.33471 – InfAuslR 1995, 73]. Demgemäß stellte das Bundesamt in seiner Entscheidung vom 1. Februar 1995 fest, „dass die Voraussetzungen für eine Ermessensausübung gemäß §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gegeben sind.“

Mit Schreiben vom 11. August 2011 teilte die Stadt Nürnberg dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit, dass der Kläger derzeit eine Jugendstrafe in der JVA Ebrach bis zum 1. Oktober 2013 verbüße. Das Bundesamt wurde gebeten zu prüfen, ob die Feststellung vom 1. Februar 1995 widerrufen werden könne. Gemäß dem beigefügten Urteil des Amtsgerichts Nürnberg (Jugendschöffengericht) vom 16. Dezember 2010 (Az. 62 Ls 603 Js 36517/10) war der Kläger wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren 8 Monaten verurteilt worden, wobei eine frühere Jugendstrafe von 2 Jahren 3 Monaten wegen Diebstahls (Amtsgericht Nürnberg vom 13.1.2010) einbezogen war.

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2011 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass bezüglich der Feststellung des Abschiebungsschutzes ein Widerrufsverfahren nach § 73 AsylVfG eingeleitet worden sei. Die Situation habe sich zwischenzeitlich geändert, da er bei einer Rückkehr nach Afghanistan zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr mit einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben rechnen müsse. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2011 teilte der Kläger dem Bundesamt mit, dass er seit seinem ersten Lebensjahr immer in Deutschland gelebt habe. Er habe keinen Bezug zu Afghanistan, kenne dort niemand und beherrsche auch nicht die Landessprache. Im Fall der Abschiebung wäre er deshalb völlig auf sich allein gestellt. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2011 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 1. Februar 1995 nach altem Recht getroffene Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vorliegt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 AuslG, der heute im wesentlichen § 60 Abs. 7 AufenthG entspreche, gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG zu widerrufen sei, weil die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nicht mehr vorlägen. Die Sachlage habe sich seit der Entscheidung des Bundesamts vom 1. Februar 1995 geändert. Eine extreme Gefahrenlage, die zum damaligen Zeitpunkt zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG geführt habe, sei nun nicht mehr gegeben. Die Gesamtversorgungslage habe sich infolge der überdurchschnittlichen Ernteergebnisse nach dem Dürrejahr 2008 signifikant verbessert. Die Sicherheits- und Versorgungslage sei zumindest im Raum Kabul, auf den zu verweisen sei, nicht derart schlecht, dass der Ausländer bei einer Rückkehr dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Aufgrund seiner qualifizierten Schulausbildung in Deutschland und seiner umfangreichen Sprachkenntnisse könnte er sich speziell in Kabul etablieren.

Die gegen den Widerrufsbescheid beim Verwaltungsgericht Ansbach erhobene Klage (AN 11 K 11.30501) begründete der Kläger damit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nicht gegeben seien. Die Leibes- und Lebensgefahr sei in Afghanistan nach wie vor hoch. Der wahre Grund für den Widerruf sei die gegen ihn verhängte Jugendstrafe. Insofern sei der Hinweis auf die angeblich verbesserte Lage in Afghanistan nur vorgeschoben. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass er nie in Afghanistan gelebt habe. In der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2012 gab der Kläger an, dass er nach der Trennung seiner Eltern in Deutschland vorübergehend in einer Pflegefamilie gelebt habe. Er beabsichtige, nach Verbüßung der Jugendstrafe eine Berufsausbildung als Verkäufer zu machen. In Afghanistan könnte er allein nicht existieren. Sein Vater lebe in Nürnberg; wo seine Mutter lebe, wisse er nicht. Er beantragte, den Widerrufsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 22. März 2012 ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit) nicht mehr gegeben seien. Trotz der überaus schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan könne nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer aus Europa mit einer existenziellen Bedrohung rechnen müsste. Die durch den Sturz der Taliban und den Einsatz internationaler Truppen unter Führung der ISAF geprägte aktuelle Sicherheitslage rechtfertige ein Abschiebungsverbot nicht. Dem Kläger stünden auch die geltend gemachten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu. Es sei nicht anzunehmen, dass der Kläger, der volljährig, gesund und arbeitsfähig sei, mit einer existenziellen Bedrohung rechnen müsste. Eine besondere Situation ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger angegeben habe, die Landessprachen nicht ausreichend zu sprechen, und er in Afghanistan nicht sozialisiert sei.

Mit Beschluss vom 23. Januar 2013 (13a ZB 12.30152) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zugelassen. Es sei insbesondere zu klären, ob für Rückkehrer, sofern sie nicht über ausreichende Kenntnisse einer der Landessprachen Dari oder Paschtu verfügen, eine Chance bestehe, irgendeine Arbeit zu finden und wenigstens das Existenzminimum zu erlangen.

Der Kläger macht zur Begründung der Berufung Folgendes geltend: Als Kleinkind sei er zeitweilig in einer deutschen Pflegefamilie aufgewachsen. Im Alter von drei Jahren sei er in den Kindergarten gekommen und mit sechs Jahren in die Grundschule. Zu diesem Zeitpunkt habe er schon bei seinem Vater gelebt. Dieser habe mit ihm immer Deutsch gesprochen. Die Muttersprache seines Vaters, Dari, beherrsche er selbst nicht. Er habe den Hauptschulabschluss gemacht und danach die Berufsschule besucht. Ein Familienverband, der ihn unterstützen könnte, existiere in Afghanistan nicht. Auf sich allein gestellt wäre er im Fall der Abschiebung völlig hilf- und mittellos. Somit seien Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 und Art. 8 EMRK gegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe sich die Sachlage seit der Entscheidung vom 1. Februar 1995 gerade nicht in erheblicher Weise geändert.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2011 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. März 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bezüglich der Sprachkenntnisse des Klägers verweist sie auf eine von der JVA Ebrach über den Kläger erstellte Personenbeschreibung vom 4. Februar 2011, welche folgenden Vermerk enthält: „Sprache(n): deutsch, afghanisch“.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamts ist rechtswidrig (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 73c Abs. 2 AsylVfG (n.F.) ist die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entspricht dem damaligen § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden konnte, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestand. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben ist im vorliegenden Fall aber nach wie vor gegeben, wenngleich hier nicht mehr auf die damaligen Bürgerkriegsgefahren, sondern auf die existentielle Notlage mangels Ernährung abzustellen ist.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in seiner aktuellen Rechtsprechung davon aus, dass die Angehörigen der Zivilbevölkerung in Afghanistan durch ihre bloße Anwesenheit keiner erheblichen Gefahr für Leib oder Leben infolge militanter Gewalt ausgesetzt sind (vgl. z.B. hier die Südregion: U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris; für die Südostregion: U.v. 4.6.2013 – 13a B 12.30063 – juris; für die Ostregion: U.v. 15.3.2013 – 13a B 12.30121 – juris; für die Zentralregion: U.v. 1.2.2013 –13a B 12.30045 – juris).

Die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind bei dem Kläger aber unter dem Gesichtspunkt einer extremen Gefahr nach wie vor gegeben. Eine Gefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann grundsätzlich auch in einer unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan, die insbesondere für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und ohne familiäre Unterstützung besteht, begründet sein. Dies stellt jedoch eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 (n.F.) AufenthG dar, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden kann, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (BVerwG, U.v. 8.12.1998 – 9 C 4.98 – BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 (n.F.) AufenthG. Demnach sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, (nur) bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine Abschiebestoppanordnung nach dieser Vorschrift besteht jedoch für die Personengruppe, welcher der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 (n.F.) AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226; 140, 319).

Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226 NVwZ-RR 2011, 48).

Nach der Rechtsprechung des Senats (z.B. U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris) ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass jeder afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan nach wie vor schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau grundsätzlich nicht anzunehmen, dass einem alleinstehenden arbeitsfähigen männlichen Rückkehrer bei einer Abschiebung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Dies gilt selbst dann, wenn ein (Dari sprechender) Mann Afghanistan schon im Kleinkindesalter verlassen hatte.

Gemäß den vorliegenden Erkenntnismitteln, insbesondere dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Danesch vom 7. Oktober 2010, der Stellungnahme der ehemaligen stellvertretenden Geschäftsführerin der AGEF Dr. Lutze vom 8. Juni 2011, der Auskunft von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012, dem Lagebericht des Auswärtiges Amts vom 4. Juni 2013 (Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013) und den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2013, geht der Senat davon aus, dass arbeitsfähige Rückkehrer trotz großer Schwierigkeiten die Chance haben, ihr Existenzminimum als Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter zu erlangen.

Aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls ist jedoch anzunehmen, dass es dem Kläger nicht gelingen wird, sich etwa in Kabul notdürftig „durchzuschlagen“. Da er die beiden Landessprachen Dari und Paschtu (Wikipedia, Enzyklopädie, Artikel Afghanistan, Abschn. 3.2 – de.wikipedia.org) nicht beherrscht, hätte er keine reelle Chance, als Tagelöhner irgendwelche Aufträge zu erhalten und diese zu verrichten. Ohne die Möglichkeit einer Verständigung mit den Einheimischen ist nicht zu erwarten, dass er Interessenten seine Arbeitskraft anbieten könnte. Bei einer Analphabetenrate von ca. 70% (Lagebericht S. 17) und einem niedrigen Prozentsatz höherer Bildungsabschlüsse kommt auch eine Kommunikation in einer Fremdsprache im täglichen Leben nicht in Betracht. Mangels nennenswerten Vermögens und ohne familiären Rückhalt wäre der Kläger somit der Gefahr des baldigen Verhungerns ausgesetzt.

Der Senat ist aufgrund der Klagebegründung und der eingehenden Befragung in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass Deutsch die alleinige Muttersprache des Klägers ist. Der Kläger spricht ein einwandfreies Deutsch (flüssig, wortreich und grammatikalisch richtig) ohne einen ausländischen Akzent. Da er schon als Dreijähriger in den Kindergarten kam und damals zeitweilig bei einer deutschen Pflegefamilie lebte, war er schon als Kleinkind mit der deutschen Sprache aufgewachsen. Wenngleich der Kläger als Kind und als Jugendlicher im Haushalt seines Vaters in Nürnberg aufwuchs, ist nicht zu vermuten, dass er dabei Dari, die Muttersprache seines Vaters, angenommen hat. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass er mit seinem Vater Deutsch gesprochen habe. Dies erscheint plausibel, weil die gewandte Ausdrucksweise des Klägers zeigt, dass er Deutsch nicht nur halbwegs oder als zweite Sprache erlernt hat. Falls er als Kleinkind bei seiner Mutter auch etwas Dari gesprochen haben sollte, entspräche es der Lebenserfahrung, dass sich diese Kenntnisse im Laufe der Jahre verloren haben. Die von der Beklagten vorgelegte Personenbeschreibung der JVA Ebrach vom 4. Februar 2011 mit dem Vermerk „Sprache(n): Deutsch, Afghanisch“ ist nicht geeignet, die Kenntnis der Sprache Dari zu beweisen. Da es „Afghanisch“ als Sprache nicht gibt, dürfte der betreffende Vermerk des Vollzugsbeamten eine ungeprüfte Ableitung aus der Staatsangehörigkeit sein. Sonstige, vom Bundesamt nicht angeführte Anzeichen dafür, dass der Kläger auch Dari spricht, gibt es nicht (zum Erfordernis der Heranziehung aller für einen Widerruf erheblichen Umstände vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 17.12 – BVerwGE 146, 31).

Die Tatsache, dass der Kläger schon des Öfteren straffällig geworden ist – wobei das Jugendschöffengericht viermal auf Jugendstrafe erkannte – steht dem hier festgestellten Abschiebungsverbot nicht entgegen. Die Vorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG, wonach die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgeschlossen ist, wenn der betreffende Ausländer wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist, greift hier nicht ein, weil die zuletzt vom Amtsgericht Nürnberg mit Urteil vom 16. Dezember 2010 verhängte Einheitjugendstrafe von zwei Jahren acht Monaten unter dieser Grenze liegt und weil diese Vorschrift ohnehin nicht auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anzuwenden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.