Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 28. Juli 2015 - 17a L 1517/15.A
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 17a K 3132/15.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Juli 2015 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) der Berichterstatter als Einzelrichter.
3Der Antrag des Antragstellers hat Erfolg.
4Der Antrag ist zulässig. Insbesondere hat der Antragsteller die Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG, wonach Anträge nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen sind, gewahrt.
5Der Antrag ist auch begründet.
6Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Maßgebliche – aber nicht ausschließliche – Grundlage der Abwägungsentscheidung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, soweit diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschätzen lassen.
7Diese Interessenabwägung fällt hier zugunsten des Antragstellers aus, da die Klage in der Hauptsache zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutzantrag Aussicht auf Erfolg hat. Die Abschiebungsanordnung nach Ungarn im Bescheid vom 7. Juli 2015 erweist sich bei summarischer Betrachtung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aller Voraussicht nach als rechtswidrig.
8§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestimmt für den Fall, dass ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Gegenüber dem Antragsteller ist die Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden, da dieser Staat gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (sog. "Dublin III-Verordnung") für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei.
9Ungarn dürfte jedoch nach den Regelungen der Dublin III-VO nicht für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig sein. Zwar hat Ungarn unter dem 8. Juni 2015 seine Zustimmung zu dessen Wiederaufnahme erklärt. Allerdings vermag eine gemäß Art. 25 Dublin III-VO erfolgte Zustimmung keinen Zuständigkeitsübergang zu bewirken und stellt insbesondere auch keine Ausübung eines Selbsteintritts gemäß Art. 17 Dublin III-VO dar.
10Vgl. zu den vergleichbaren Regelungen der Dublin II‑Verordnung: OVG Saarland, Urteil vom 9. Dezember 2014 – 2 A 313/13 – und VG Berlin, Beschluss vom 8. April 2014 – 33 L 81.14 A -, jeweils juris.
11Der Antragsteller hat vielmehr aus Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (Schutz des Kindeswohls) einen Anspruch auf Durchführung seines Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland.
12Gemäß Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO ist bei Abwesenheit eines Familienangehörigen, eines seiner Geschwister oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2 der Mitgliedstaat zuständig, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Verfassungsrechtlich verankert ist der Schutz des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 GG.
13Vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1998- 2 BvR 1206/98 -, juris, Rn. 77.
14Der Antragsteller ist ein unbegleiteter Minderjähriger im Sinne dieser Bestimmung. Weder das Bundesamt noch Ungarn haben Zweifel an dem von ihm benannten Geburtsdatum ( . ) angemeldet. Zudem hat der Antragsteller angegeben, einen Personalausweis und eine Geburtsurkunde vorlegen zu können; derartige Dokumente sind allerdings nicht zum Verwaltungsvorgang gelangt. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass sich ein Familienangehöriger, ein Geschwister oder ein Verwandter des Antragstellers (vgl. zu den Begrifflichkeiten Art. 2 lit. g) und h) Dublin III-VO) rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält (vgl. Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO), sind auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers nicht verifizierbar. Dahingehende Feststellungen hat auch das Bundesamt nicht getroffen. Erst Recht ist keine Einzelfallprüfung durchgeführt worden, ob ein sich etwaig in einem anderen Mitgliedstaat aufhaltender Verwandter für den Antragsteller sorgen kann (vgl. Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO). Der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO ist folglich eröffnet.
15Aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs,
16Urteil vom 6. Juni 2013, M.A. u.a. vs. UK, - C-648/11 -, juris,
17zur inhaltlich vergleichbaren Vorgängerbestimmung des Art. 6 Satz 2 der Dublin II-VO ist Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit Minderjähriger dahingehend auszulegen, dass unbegleitete Minderjährige, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt haben, grundsätzlichnicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind, in dem sie den ersten Asylantrag gestellt haben. Unbegleitete Minderjährige bilden eine Kategorie besonders gefährdeter Personen, so dass es nach Auffassung des EuGH wichtig sei, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht länger als unbedingt nötig hinzieht. Unbegleitete Minderjährige sind damit von Wiederaufnahmeverfahren ausgenommen; die Prüfung des Schutzgesuchs ist vom Aufenthaltsstaat selbst - hier von der Bundesrepublik Deutschland - durchzuführen.
18Vgl. OVG Saarland, Urteil vom 9. Dezember 2014– 2 A 313/13 –, VG Berlin, Beschluss vom 8. April 2014– 33 L 81.14.A –, VG Potsdam, Beschluss vom 4. Juli 2014 – 6 L 500/14.A – und VG Aachen, Beschluss vom 22. April 2015 – 5 L 15/15.A -, jeweils juris; vgl. auch Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, 81 (88, Fn. 61), wonach sich der Minderjährige gewissermaßen aussuchen könne, wo er sein Asylverfahren durchführen will; a.A.: VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2014– 13 L 247/14.A -.
19Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Asylantrag des Antragstellers schon im ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen wurde und nachfolgend in einem anderen Mitgliedstaat ein „identischer Antrag“ gestellt wird.
20EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 a.a.O., RdNr. 63 und OVG Saarland, Urteil vom 9. Dezember 2014 a.a.O, juris, RdNr. 29 ff.
21Das Vorliegen einer solchen Ausnahmekonstellation ist hier weder auf der Grundlage der Zustimmungserklärung Ungarns zur Wiederaufnahme des Antragstellers noch sonst ersichtlich.
22Die mithin im Fall des Antragstellers einschlägige Regelung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO begründet für diesen auch eine subjektive Rechtsposition. Das gilt unbeschadet dessen, dass die Vorschriften des 3. Kapitels der Dublin III-VO dem jeweiligen Antragsteller regelmäßig nicht das subjektive Recht auf ein Verfahren durch einen bestimmten Mitgliedstaat vermitteln.
23Vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. April 2015– 2 LA 33/15 – und (zur Dublin II-VO) OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 14 A 1140/14.A -, jeweils juris.
24Denn angesichts der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs im zitierten Urteil vom 6. Juni 2013 ist davon auszugehen, dass Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO grundrechtlich „aufgeladen“ ist und im spezifischen Interesse des Asylbewerbers liegt. Der Gerichtshof stellt ausdrücklich auf das in Art. 24 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Grundrecht ab, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen „das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss“ (a.a.O., RdNr. 58; vgl. auch Art 6 Abs. 1 Dublin III-VO).
25Die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland dient seinem Wohl. Das folgt schon aus den genannten generellen Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs zum Minderjährigenschutz. Zudem dürften gerade die spezifischen Verhältnisse in Ungarn ein solches Verständnis gebieten. Das gilt unabhängig davon, dass die Kammer die in der Rechtsprechung umstrittene Frage zum Vorliegen systemischer Schwachstellen i.S.d. Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO in Ungarn bislang verneint hat.
26Vgl. Urteile vom 5. Mai 2015 – 17a K 5916/14.A – und vom 28. Mai 2015 - 17a K 190/15. A – m.w.Nw; so auch - die neueste Auskunftslage auswertend - die 18a. Kammer des erkennenden Gerichts, Beschluss vom 23. Juli 2015– 18a L 1218/15.A -.
27Denn nach der Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass auch Minderjährige, die auf der Grundlage des Dublin-Verfahrens nach Ungarn zurückgeführt werden, dort inhaftiert werden. Hiervon sind selbst (Familien mit) Kleinkinder(n) betroffen.
28Vgl. Country Report – Hungary der Asylum Information Database (aida) mit Stand vom 17. Februar, S. 51, abrufbar unter:http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_-_hungary_thirdupdate_final_february_2015.pdf; vgl. zur Unterbringung/Situation Minderjähriger in Ungarn im Einzelnen: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 10. Juni 2015– 18a L 789/15.A – m.w.Nw.
29Hiernach bestehen sogar Bedenken, ob überhaupt eine mit dem Kindeswohl zu vereinbarende Unterbringung des Antragstellers derzeit in Ungarn gewährleistet wäre und kann jedenfalls nicht zweifelhaft sein, dass die Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland statt in Ungarn dem Wohl des Antragstellers im Sinne des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO dient.
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 29.4.2011 zu verpflichten, für ihn ein Asylverfahren durchzuführen.
die Klage abzuweisen.
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20.7.2012 – 6 K 457/11 – die Klage insgesamt abzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Gründe
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 29.4.2011 zu verpflichten, für ihn ein Asylverfahren durchzuführen.
die Klage abzuweisen.
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20.7.2012 – 6 K 457/11 – die Klage insgesamt abzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Gründe
Tenor
1. Dem Antragsteller wird zur Durchführung des vorliegenden Eilverfahrens Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte Rechtsanwalt Simon aus Aachen beigeordnet.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 5 K 40/15.A gegen die unter Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Dezember 2014 verfügte Abschiebungsanordnung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e:
2I.
3Der Antragsteller, nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens, wurde am 22. August 2014 zusammen mit zwei weiteren afghanischen Staatsangehörigen auf den Gleisen der Bahnlinie Osterhofen-Platting aufgegriffen. Keiner der Aufgegriffenen verfügte über Ausweispapiere. In einer ersten Befragung gaben sie an, aus Afghanistan zu stammen und sich in einem "Camp" in Ungarn getroffen zu haben. Von dort aus habe sie ein ungarischer Schleuser gegen Zahlung von 400,-- € pro Person nach Deutschland gebracht. Er habe sie auf freier Bahnstrecke aussteigen lassen und sie seien ca. vier Stunden unterwegs gewesen, bis sie vom ICE mitgenommen und zum nächstgelegenen Bahnhof gebracht worden seien. Der Antragsteller gab an, am 15. Februar 1997 geboren zu sein. Gegen 20.35 Uhr ordnete der zuständige Staatsanwalt an, eine Beschuldigtenvernehmung durchzuführen und die Jugendlichen anschließend über das Jugendamt unterzubringen. Eine Mitarbeiterin sowie ein Mitarbeiter des Jugendamtes E. führten vor Ort mit Hilfe eines Dolmetschers Einzelgespräche mit den Aufgegriffenen und zweifelten daraufhin die Altersangabe des Antragstellers an. Die Aufgegriffenen wurden gegen 0.30 Uhr in einer Sammelzelle der Polizei E. untergebracht und am nächsten Vormittag mit Fahrscheinen für eine Fahrt zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in N. entlassen. Als Geburtsdatum für den Antragsteller wurde nunmehr der 31. Dezember 1995 registriert.
4Am 25. September 2014 stellte der Antragsteller beim Bundesamt in C. einen Asylantrag. Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens gab der Antragsteller am 25. September 2014 u.a. an, er habe Afghanistan vor 6 Monaten verlassen. Er wisse nicht, was die Reise gekostet habe. Seine Mutter habe sie organisiert. Er wisse auch nicht, durch welche EU-Länder er gereist sei; es seien ihm aber in einem anderen Staat Fingerabdrücke genommen worden.
5Auf entsprechende Anfrage des Bundesamtes zur Person des Antragstellers unter Angabe des Geburtsdatums 15. Februar 1997 wurde ein Eurodac-Treffer der Kategorie 2 für Griechenland sowie ein weiterer Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Ungarn gemeldet. Einem Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes vom 1. Dezember 2014 stimmte die ungarische "Dublin Coordination Unit" unter dem 9. Dezember 2014 zu und führte u.a. aus: Der Antragsteller habe am 10. August 2014 einen Asylantrag in Ungarn gestellt. In Ungarn sei er als volljährige Person behandelt worden, basierend auf einer im Zuge der Festnahme durchgeführten vorläufigen Altersbestimmung ("based on the result oft the preliminary age assessment carried out upon apprehension.").
6Mit Bescheid vom 15. Dezember 2014, nach Angaben des Antragstellers am 31. Dezember 2014 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 2 des Bescheides). Systemische Mängel des Asylsystems in Ungarn bestünden nicht.
7Der Antragsteller hat am 7. Januar 2015 Klage erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er trägt vor: Sein Asylverfahren sei in Deutschland durchzuführen. Er sei wie in seiner Erstbefragung angegeben am 15. Februar 1997 geboren und damit (im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung) minderjährig. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, wie die Mitarbeiter des Jugendamtes E. zu einer anderen Einschätzung gelangt seien. Im Übrigen legt er ein Attest des Fachkrankenhauses für Psychiatrie/Psychotherapie/Psychosomatik/ Psychosoziale Integration, B. B1. H. vom 17. März 2015 vor, in dem unter der Diagnose F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung basierend auf zwei Behandlungsterminen (10. Februar 2015 und 3. März 2015) u.a. ausgeführt wird: Der Patient benötige ohne Zweifel eine weitere traumatherapeutische und psychiatrische Versorgung. Auch eine zwangsweise Rückführung in sein letztes Aufenthaltsland Ungarn würde den Patienten sicher hochgradig belasten, zumal eine dortige adäquate psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stattfinden könne. Als Folgen einer zwangsweisen Abschiebung bei äußerst schwer belastender Vorgeschichte - zu der das Attest weitere Ausführungen enthält, auf die Bezug genommen wird - mit erneutem subjektiven Gefühl einer Bedrohung seien auch selbstschädigende Handlungen bis zu einer Selbsttötung nicht ausschließbar.
8Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
9die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 5 K 40/15.A gegen die unter Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. Dezember 2014 verfügte Abschiebungsanordnung anzuordnen,
10Die Antragsgegnerin beantragt,
11den Antrag abzulehnen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin verwiesen.
13II.
141. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO - i.V.m. §§ 114, 115 der Zivilprozessordnung begründet, weil der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
152. Der Antrag,
16die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 5 K 40/15.A gegen die unter Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. Dezember 2014 verfügte Abschiebungsanordnung anzuordnen,
17hat Erfolg.
18Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, da gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - Aussetzungsanträge gegen eine Abschiebungsanordnung zulässig sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
19Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gestellt worden. Der angegriffene Bescheid ist dem Antragsteller nach eigenen Angaben am 31. Dezember 2014 zugestellt worden. Sein Antrag ist am 7. Januar 2015 und damit fristgerecht bei Gericht eingegangen.
20Der Antrag ist auch begründet, da sich die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nach summarischer Prüfung als offen erweisen und die Interessenabwägung zu Gunsten des bei Antragstellung möglicherweise minderjährigen Antragstellers ausfällt.
21Im Rahmen eines Aussetzungsantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse einerseits und dem privaten Interesse des Antragstellers andererseits, von einer Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorläufig verschont zu bleiben.
22Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts erfolgen, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet in § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vorgeschrieben ist. Eine derartige Einschränkung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabes hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem gesetzgeberischen Willen, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG fand im Bundesrat keine Mehrheit.
23Vgl. hierzu: Verwaltungsgericht (VG) Trier, Beschluss vom 18. September 2013 ‑ 5 L 1234/13.TR ‑; VG Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 2 B 844/13 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Februar 2014 - 13 148/14.A - und VG Aachen, Beschluss vom 27. April 2014 ‑ 4 L 559/14.A ‑; alle: juris.
24Die Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse hat sich vielmehr maßgeblich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, soweit diese sich bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung abschätzen lassen. An der Vollziehung einer offensichtlich rechtswidrigen Maßnahme kann kein öffentliches Interesse bestehen; ist die zu vollziehende Maßnahme rechtmäßig, kann das Interesse am Aufschub der Vollziehung regelmäßig als gering veranschlagt werden, so dass das öffentliche Interesse überwiegt. Lassen sich die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs nicht abschließend abschätzen, bedarf es einer Abwägung aller relevanten Umstände, insbesondere der Vollzugsfolgen, um zu ermitteln, wessen Interessen für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebührt.
25Nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG hat das Bundesamt eine Abschiebungsanordnung u.a. dann zu erlassen, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a) abgeschoben werden soll (dazu unter a), sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann (dazu unter b).
26a) Die Antragsgegnerin ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich Ungarn für die Prüfung des von dem Antragsteller gestellten Asylantrags zuständig wäre.
27Entscheidend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Überstellung nach Ungarn ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ‑ sog. Dublin III‑VO ‑. Diese Verordnung ist auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten, also ab dem 1. Januar 2014, gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt ‑ ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung ‑ für alle Gesuche auf Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III‑VO). Vorliegend ist das Wiederaufnahmegesuch an Ungarn am 1. Dezember 2014 und damit nach dem vorgenannten Stichtag gestellt worden.
28Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin III‑VO hat grundsätzlich auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge (vgl. Art. 7 bis 15 Dublin III‑VO) gilt. Stimmt allerdings ein Mitgliedstaat der (Wieder‑)Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe eines der in der Dublin III‑VO genannten Kriterien zu ‑ wie hier Ungarn mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 unter Hinweis auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III‑VO -, so ist dieser verpflichtet, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Asylbewerber hat grundsätzlich kein subjektives Recht auf Einhaltung der primär den Interessen der Mitgliedstaaten dienenden Zuständigkeitsverfahrensvorschriften, insbesondere soweit diese Form- und Fristerfordernisse regeln. Der Asylbewerber kann eine Dublin-Zuständigkeitsregelung gerichtlich nur dann durchsetzen, wenn diese wie Art. 6 bis 8 der Dublin II-VO bzw. Art. 8 bis 11 und 16 der Dublin III-VO grundrechtlich "aufgeladen" sind oder wenn ein Fall des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO vorliegt. Nach dieser Vorschrift setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1, Europäische Grundrechtecharta - GR‑Charta) mit sich bringen und eine Überstellung in den Mitgliedstaat deshalb unmöglich ist. Die Aufnahme dieser in der Dublin II-VO nicht enthaltenen Vorschrift geht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin II-VO zurück,
29vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C‑411/10 und 493/10 u.a. ‑ "N.S.", NVwZ 2012, 417 ff.,
30wonach Artikel 4 der GR-Charta dahingehend auszulegen ist, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Dublin II-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der GR-Charta ausgesetzt zu werden. Der Antragsteller hat ein subjektives Recht auf die korrekte Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 der Dublin III-VO in dem Sinne, dass jedenfalls keine Überstellung in den Mitgliedstaat, in dem diese systemischen Schwachstellen vorliegen, erfolgen darf.
31Die Kammer geht zwar mit Blick auf die aktuelle Auskunftslage derzeit nicht vom Vorliegen systemischer Schwachstellen in diesem Sinne im ungarischen Asylverfahren aus
32vgl. z.B. VG Aachen, Beschluss vom 26. März 2015 - 5 L 188/15.A -.
33Vorliegend ist aber offen, ob der Antragsteller aus Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (Schutz des Kindeswohls) einen Anspruch auf Durchführung seines Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland hat. Gemäß Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO ist bei Abwesenheit eines Familienangehörigen, eines seiner Geschwister oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2 der Mitgliedstaat zuständig, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Verfassungsrechtlich verankert ist der Schutz des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 GG.
34Vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1998 - 2 BvR 1206/98 -, juris, Rn. 77.
35Anhaltspunkte dafür, dass sich ein Familienangehöriger, ein Geschwister oder ein Verwandter des Antragstellers in einem Mitgliedstaat aufhält, bestehen nicht, so dass der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO eröffnet ist. Aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
36Urteil vom 6. Juni 2013, M.A. u.a. vs. UK, - C-648/11 -, juris,
37zur inhaltlich identischen Vorgängerbestimmung des Art. 6 Satz 2 der Dublin II-VO ist Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit Minderjähriger dahingehend auszulegen, dass unbegleitete Minderjährige, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt haben, grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind, in dem sie den ersten Asylantrag gestellt haben. Unbegleitete Minderjährige sind damit von Wiederaufnahmeverfahren ausgenommen; die Prüfung des Schutzgesuchs ist vom Aufenthaltsstaat selbst - hier von der Bundesrepublik Deutschland - durchzuführen.
38Vorliegend ist im Eilverfahren nicht aufklärbar und damit offen, ob der Antragsteller minderjährig ist. "Unbegleiteter Minderjähriger" ist gemäß Art. 2 Buchstabe j) Dublin III-VO ein Minderjähriger, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet; dies schließt einen Minderjährigen ein, der nach Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne Begleitung zurückgelassen wird. "Minderjähriger" ist nach der Definition in Art. 2 Buchstabe i) Dublin III-VO ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser unter 18 Jahren. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Zuständigkeitskriterium der Minderjährigkeit ist nach der sogenannten Sachverhaltsversteinerungsregel des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Stellung des ersten Antrages auf internationalen Schutz.
39Nach Aktenlage hat der Antragsteller nach seinem Aufgriff an der Bahnlinie P. -Q. und der sich anschließenden Vernehmung bei der Polizeiinspektion Q1. seine Personalien auf einen Zettel geschrieben und als Geburtsdatum den 15. Februar 1997 angegeben. Soweit die ungarischen Behörden in ihrer Antwort auf das Wiederaufnahmegesuch unter dem 9. Dezember 2014 angeben, der Antragsteller habe in Ungarn am 10. August 2014 unter Angabe des Geburtsdatums 15. Februar 1996 einen Asylantrag gestellt, sei aber aufgrund einer vorläufigen Altersbestimmung als volljährig behandelt worden, ist dies insoweit widersprüchlich als der Antragsteller unter Zugrundelegung des 15. Februar 1996 am 15. Februar 2014 und damit bei Antragstellung in Ungarn bereits 18 Jahre alt gewesen wäre. Für die von den ungarischen Behörden vorgenommene Altersschätzung hätte also damit kein Anlass bestanden, so dass davon auszugehen ist, dass der Antragsteller auch damals 1997 und nicht wie - offensichtlich irrtümlich - von den ungarischen Behörden mitgeteilt 1996 als Geburtsjahr angegeben hat. Die - insoweit einheitlichen - Angaben des Antragstellers zu seinem Geburtsdatum zugrundegelegt war er mithin im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung in Ungarn minderjährig.
40Vgl. zu dem - hier nicht vorliegenden - Fall widersprüchlicher Altersangaben des Antragstellers: EGMR, Entscheidung vom 5. Februar 2015 - Nr. 51428/10 -, juris, wonach der Mitgliedstaat sich grundsätzlich auf die zuerst gemachten persönlichen Angaben des Antragstellers berufen darf.
41Die dagegen vom Bundesamt vorgenommene - nicht näher begründete - Alterseinschätzung auf über 18 Jahre im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 10. August 2014 in Ungarn ist nicht ansatzweise nachvollziehbar. Dabei geht die Kammer davon aus, dass eine Alterseinschätzung jedenfalls dann, wenn sie nicht auf weitere, nachvollziehbar dargestellte Umstände (wie z.B. Urkunden) gestützt werden kann, im Regelfall einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete Sachverständige bedarf, um diese überprüfbar zu machen. Dabei sind im Wege eines Sachverständigengutachtens die Ergebnisse einer - nach entsprechender Aufklärung und Einwilligung des Betroffenen durchgeführten - körperlichen Untersuchung zur Beurteilung der körperlichen und geistigen Reifeentwicklung, einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine sowie einer zahnärztlichen und gegebenenfalls einer psychologischen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammenzuführen.
42Vgl. für Fälle der Inobhutnahme unbegleitet eingereister asylsuchender Minderjähriger: OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2014 - 12 B 1280/14 - sowie BayVGH, Beschluss vom 23. September 2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 14.1865 -, beide juris, jeweils m.w.N.; Österreichisches Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Altersfeststellung mit Blick auf Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO: Beschluss vom 21. Oktober 2014 - W161 2013051-1 - und Erkenntnis vom 7. Februar 2014 - W144 143528-2 -, jeweils abrufbar unter RIS.
43Weiter ist zu beachten, dass grundsätzlich eine Altersfeststellung nur im Rahmen einer gewissen Bandbreite möglich sein dürfte und mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen im Zweifel von der Minderjährigkeit auszugehen ist. Art. 25 Abs. 5 der sogenannten Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) regelt ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten bei fortbestehenden Zweifeln bezüglich des Alters des Antragstellers davon ausgehen, dass der Antragsteller minderjährig ist. Dies entspricht auch den Richtlinien über allgemeine Grundsätze und Verfahren zur Behandlung asylsuchender unbegleiteter Minderjähriger des UNHCR vom Februar 1997, die unter Ziffer 5.11 empfehlen, im Zweifelsfall zugunsten des Kindes zu entscheiden, wenn das genaue Alter ungewiss ist und im Übrigen für ausschlaggebend halten, ob der Betreffende eine "Unreife" und Hilflosigkeit zeigt, die eine sensiblere Behandlung erfordern könnten.
44Vgl. BayVGH, Beschluss vom 23. September 2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, juris, Rn. 23; VG München, Beschluss vom 18. Juli 2014 - M 24 S 14.50340 -, juris; Filzwieser, Dublin III-VO, Art. 8, K 18.
45Nach diesen Maßstäben kann vorliegend im Rahmen des nur eine summarische Prüfung zulassenden Eilverfahrens nicht von der Volljährigkeit des Antragstellers ausgegangen werden. Soweit das Bundesamt sich auf die Angaben der ungarischen Behörden verlassen haben sollte, wonach der Antragsteller aufgrund einer vorläufigen Altersbestimmung im Rahmen seiner Festnahme als Volljähriger behandelt wurde, ist nicht erkennbar, wie diese Altersbestimmung durchgeführt wurde. Das Bundesamt hat offensichtlich keine diesbezüglichen Unterlagen beigezogen. Es findet sich im Verwaltungsvorgang auch kein Hinweis darauf, dass zumindest Einsicht in etwaige Untersuchungsergebnisse genommen wurde. Erkenntnisse darüber, in welcher Weise Ungarn Altersfeststellungen vornimmt, liegen der Kammer nicht vor. Auch mit Blick auf die von den Jugendamtsmitarbeitern des Jugendamtes E. nach einem am späten Abend des Aufgriffstages am 20. August 2014 geführten Einzelgespräch mit dem Antragsteller geäußerten Zweifel an seinen Altersangaben, lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 10. August 2014 in Ungarn volljährig war. Abgesehen davon, dass die Einschätzung der Jugendamtsmitarbeiter nicht näher begründet ist und auch nicht bekannt ist, inwieweit diese über hinreichende berufliche Erfahrung im Umgang mit jungen Ausländern, insbesondere aus dem Kulturkreis Afghanistans verfügen, stellt eine Altersschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale keine ausreichende Grundlage dar und zwar selbst dann nicht, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist.
46Vgl. hierzu: BayVGH, Beschluss vom 23. September 2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, juris, Rn. 21; OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2014 - 12 B 1280/14 -, juris, Rn. 18.
47Nach allem muss die abschließende Klärung der zuständigkeitsentscheidenden Altersfrage dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
48Die mit Blick auf die offenen Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Interessenabwägung fällt vorliegend zugunsten des Antragstellers aus. Soweit der Antragsteller bei Antragstellung in Ungarn minderjährig war, ist er als besonders schutzbedürftig zu behandeln. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dem raschen Zugang des - bei Antragstellung - minderjährigen Antragstellers zur Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz vorrangige Bedeutung beizumessen gegenüber dem - in erster Linie von finanziellen Erwägungen getragenen - Interesse der Mitgliedstaaten an einer Einhaltung der übrigen, nachrangigen Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO. Dieser Schutzgedanke wäre nicht mehr realisierbar, wenn der Antragsteller vor einer entsprechenden Altersfeststellung abgeschoben würde.
49Vgl. im Ergebnis ebenso: VG München, Beschluss vom 18. Juli 2014 - M 24 S 14.50340 -, juris, Rn. 42.
50b) Die Kammer lässt offen, ob die Abschiebungsanordnung auch mit Blick auf sog. inlandsbezogene Abschiebungshindernisse in der Person des Antragstellers rechtswidrig ist. Abschiebungshindernisse hat das Bundesamt im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG zu prüfen und zwar unabhängig davon, ob diese vor oder nach Erlass der Abschiebungsanordnung entstanden sind.
51Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. September 2014 ‑ 2 BvR 1795/14 ‑, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 ‑ 18 B 1060/11 -, juris, Rdnr. 4.
52Vorliegend spricht aufgrund des im gerichtlichen Verfahren vorgelegten fachärztlichen Attestes vom 17. März 2015 allerdings einiges dafür, dass auch der gesundheitliche Zustand des Antragstellers mit Blick auf eine möglicherweise vorliegende Reiseunfähigkeit bzw. hinsichtlich der in Ungarn für den Antragsteller erreichbaren Behandlungsmöglichkeiten gegebenenfalls einer weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren bedarf.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
54Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 5. Februar 2014 sinngemäß bei Gericht anhängig gemachte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 702/14.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Januar 2014 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung der Einzelrichter gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg.
5Er ist zwar zulässig aber unbegründet.
6Der hier gestellte Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft, da nach § 34a Absatz 2 Satz 1 AsylVfG in seiner durch Artikel 1 Nummer 27 Buchstabe b des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474, geänderten und nach § 77 Absatz 1 AsylVfG hier auch zu beachtenden Fassung solche Eilanträge gegen die Abschiebungsanordnung nunmehr zugelassen sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO i.V.m. § 75 Satz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
7Der Antragsteller hat den Eilantrag auch innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 29. Januar 2014 und damit fristgerecht im Sinne von § 34a Absatz 2 Satz 1 AsylVfG gestellt. Der Bescheid wurde ausweislich der im Verwaltungsvorgang enthaltenen Postzustellungsurkunde am 30. Januar 2014 dem Antragsteller persönlich zugestellt. Er hat am 5. Februar 2014 innerhalb der Wochenfrist den Eilantrag gestellt und Klage erhoben. Dabei kann es offen bleiben, ob die Zustellung an den Antragsteller rechtsfehlerhaft war, weil sie nicht an seinen Vormund erfolgt ist. Denn jedenfalls ist dem Vormund des Antragstellers der Bescheid auch persönlich zugegangen, was sich aus der Vorlage bei Gericht durch den Vormund am 5. Februar 2014 ergibt.
8Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
9Das Gericht folgt der bislang zu § 34a Absatz 2 AsylVfG n.F. ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unzulässig oder unbegründet gemäß § 36 Absatz 4 Satz 1 AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Absatz 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Absatz 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine Mehrheit;
10vgl. hierzu bereits mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens Verwaltungsgericht Trier, Beschluss vom 18. September 2013 – 5 L 1234/13.TR -, juris, Rn 5 ff. m.w.N.; Verwaltungsgericht Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 2 B 844/13 – juris, Rn 3 f; siehe auch bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse vom 7. Januar 2014 – 13 L 2168/13.A – und vom 24. Februar 2014 – 13 L 2685/13.A -, beide juris.
11Die danach vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich ‑ nicht ausschließlich – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet nach diesen Maßstäben keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12Das Bundesamt hat die angegriffene Abschiebungsanordnung zu Recht erlassen. Gemäߠ § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Hier soll die Abschiebung nach Spanien erfolgen, weil Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist. Die Befugnis des Bundesamtes zur Anordnung der Abschiebung in Fällen des § 27a AsylVfG gilt nach § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG in der seit 6. September 2013 in Kraft befindlichen und damit gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG anzuwendenden Fassung (BGBl. I S. 3474) insbesondere auch in dem Fall, in dem – wie hier – der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt keinen Asylantrag gestellt hat.
13Vgl. zur alten Rechtslage OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2013 – 18 B 572/12 –, juris, Rn. 47.
14Denn § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG gilt seinem Wortlaut nach auch dann, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines Völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Mit dieser Regelung sollen sogenannte Aufgriffsfälle, in denen ein Ausländer im Inland angetroffen wird, der in einem anderen Staat, in dem die Dublin-Verordnung Anwendung findet, nicht aber in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, in den Aufgabenbereich des Bundesamtes fallen.
15Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 15. Mai 2013, BT-Drs. 17/13556, S. 7, zu Buchstabe f (§ 34a AsylVfG).
16Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II-VO). Diese findet auf den in Spanien gestellten Asylantrag des Antragstellers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. in Eilverfahren auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EG) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO), bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Denn gemäß Artikel 49 Absatz 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO weiter anwendbar für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Anderes gilt nur im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die – anders als vorliegend – ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Artikel 49 Absatz 2 Satz 1 Dublin III-VO),
17vgl. bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse vom 24. Februar 2014 – 13 L 2685/14.A -, vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A – und vom 7. Januar 2014 – 13 L 2168/13.A -, juris.
18Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Spanien der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Antragsteller gestellten Asylantrags. Das ergibt sich faktisch schon aus der unter dem 23. September 2013 durch Spanien erklärten Bereitschaft zur Wiederaufnahme. Nach der Information in dem Schreiben der belgischen Asylbehörde vom 5. September 2013 hatte sich Spanien zuvor auch gegenüber Belgien zur Wiederaufnahme des Antragstellers bereit erklärt. Dies ist danach unter Berufung auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO (Illegaler Übertritt) geschehen, der den materiellen Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit Spaniens bildet.
19Im Fall des nach eigenen Angaben minderjährigen Antragstellers greifen auch nicht die vorrangigen Zuständigkeitsvorschriften der Art. 6 und 7 Dublin II-VO. Nach Art. 6 Dublin II‑VO ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem sich ein Angehöriger der Familie des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhält. Dies gilt gemäß Art. 2 Bst i Dublin II-VO aber nur, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat. Dies trifft auf den einzig als Familienangehörigen im Sinne des Art. 2 Bst i, iii Dublin II-VO in Betracht kommenden, unter dem 4. September 2013 vom Amtsgericht Wuppertal bestallten Vormund des Antragstellers nicht zu.
20Art. 7 Dublin II-VO verlangt ausdrücklich nicht, dass die Familie schon im Herkunftsland bestanden hat. Er ermöglicht aber nur die Familienzusammenführung zu einem Familienmitglied, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde. Dies trifft auf den Vormund des Antragstellers ebenso nicht zu.
21Die Zuständigkeit ist auch nicht deswegen auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil seit der Erklärung der Übernahme durch Spanien am 23. September 2013 mehr als sechs Monate vergangen sind. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung in den zuständigen Staat nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Mit dieser Frist ist die in Art. 20 Abs. 1 Bst d Dublin II-VO genannte Frist gemeint, nach der die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durchgeführt werden muss. Diese Regelungen finden in sog. Aufgriffsfällen (s.o.) aber keine Anwendung. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO bezieht sich allein auf solche Fälle, in denen der Ausländer – anders als hier – in dem ersuchenden Staat selbst auch einen Asylantrag gestellt hat. Das geht eindeutig aus dem Wortlaut der Regelung hervor, nach der die Zuständigkeit nach dem Fristablauf auf den Mitgliedstaat übergeht, „in dem der Asylantrag eingereicht wurde“. Auch weitere Vorschriften des Kapitel V der Dublin II-VO machen deutlich, dass sich diese Verfahrensregelungen allein auf solche Ausländer beziehen, die in einem an sich nicht zuständigen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt haben. Dies gilt etwa für die Vorschriften der Art. 16 Abs. 1 Bst a und 17 Abs. 1 Dublin II-VO. Stellt der Ausländer aber – wie hier – keinen Asylantrag in dem nicht zuständigen Mitgliedstaat (hier: die Bundesrepublik Deutschland), kann eine Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats somit auch nicht aufgrund der Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO begründet werden. Die Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaates richtet sich in solchen Fällen allein nach den materiellen Zuständigkeitsregelungen der Dublin II‑VO, die hier gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO die Zuständigkeit Spaniens begründen. Erst die Dublin III-VO enthält in ihren Art. 24 f. Verfahrensregelungen betreffend die Wiederaufnahme in sog. Aufgriffsfällen. Diese findet hier aber – wie gezeigt – keine Anwendung.
22Die Antragsgegnerin ist vorliegend auch nicht deshalb an der Überstellung des Antragstellers nach Spanien gehindert und zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO verpflichtet, weil das spanische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs aufweist,
23EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C/411/10 et al. -, juris Rn 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
24Hierfür ist nichts ersichtlich oder vom Antragsteller selbst vorgetragen.
25Soweit der Antragsteller geltend macht, dass sich aus Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger sowie aus weiteren Normen des europäischen und internationalen Rechts die Unzulässigkeit der Abschiebung aus Gründen des Kindeswohles ergibt, ist darauf hinzuweisen, dass auch die Dublin II-VO das Kindeswohl beachtet. Dies ergibt sich insbesondere aus den hier bereits geprüften Art. 6 und 7 Dublin II-VO. Im Übrigen mag es zutreffen, dass der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland Schutz gefunden hat. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass dies nicht auch in Spanien möglich sein soll. Die Behauptung, dort sei er auf sich allein gestellt, ist durch nichts untermauert. Das Dublin-System geht gerade davon aus, dass die Mitgliedstaaten einander im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte gegenseitig vertrauen dürfen. Insbesondere die Dublin II-VO sieht dabei grundsätzlich auch die Möglichkeit der Überstellung Minderjähriger zuständigkeitshalber vor. Die Argumentation des Antragstellers läuft letztlich darauf hinaus, dass Minderjährige nie an einen anderen Staat überstellt werden können. Denn es wird wohl zu unterstellen sein, dass jeder Minderjährige in Deutschland Schutz finden würde und sich damit ebenso wie der Antragsteller auf den Minderjährigenschutz berufen könnte. Das würde die Dublin II-VO – entgegen ihrem Wortlaut und ihrer Zielsetzung – aber grundsätzlich bei Minderjährigen weitgehend unanwendbar machen.
26Die vom Antragsteller angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 13. Oktober 1994 – 1 BvR 1799/94) und des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Beschluss vom 24. November 1993 – 5 E 11833/93) sind Einzelfallentscheidungen zu weitgehend anderen Sachverhalten und anderen rechtlichen Rahmenbedingungen, aus denen keine Schlüsse für das hiesige Verfahren gezogen werden können.
27Soweit sich der Antragsteller schließlich darauf beruft, dass bei der Überstellung eines Minderjährigen besondere Vorkehrungen zu seinem Schutze zu treffen sind, kann dies der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nicht entgegen stehen. Es ist selbstverständlich davon auszugehen, dass sich die Antragsgegnerin bzw. die die Abschiebung vollziehende Ausländerbehörde bei der Durchführung der Abschiebung an geltendes Recht – auch solches Recht zum Schutze Minderjähriger – hält. Dies betrifft aber allein Fragen des rechtmäßigen Vollzugs, nicht jedoch die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung selbst.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
29Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichter - vom 15. Januar 2015 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.
Gründe
- 1
Die von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG aufgeworfenen Fragen,
- 2
ob die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-VO und Ausführungsbestimmungen im nationalen Recht - korrespondierende subjektive Rechte vermitteln (können) und
- 3
ob das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO nur dann ausgeübt werden kann, wenn „außergewöhnliche humanitäre Gründe" dafür vorliegen und ob Asylantragsteller diesbezüglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung haben,
- 4
rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Sofern man unterstellt, die Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG seien erfüllt, bedürfen diese Fragen bereits deshalb nicht der Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lassen.
- 5
Die Kläger können kein subjektives Recht auf Einhaltung der Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin-III-Verordnung - geltend machen. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union (Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 - Abdullahi -, NVwZ 2014, 208, juris; vgl. auch Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, Slg 2011, I-13905-14033, juris Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11, Puid - juris) bereits eindeutig und unmissverständlich für die Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-Verordnung - entschieden. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist auch für die Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels III in der Dublin-III- Verordnung, mit der die Dublin-II-Verordnung abgelöst worden ist, davon auszugehen, dass die Kläger keinen subjektiv einklagbaren Rechtsanspruch darauf haben, dass ihre Asylanträge in einem bestimmten Mitgliedstaat geprüft werden, den sie für zuständig halten (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Februar 2015 - 2 LA 15/15 mwN zur obergerichtlichen Rechtsprechung, zudem Bayerischer VGH, Urteil vom 29. Januar 2015 - 13a B 14.50039 - juris Rn. 24 ff. <28>, siehe auch Berlit, Anmerkung zu BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris PR-BVerwG 12.2014). Die Kläger haben danach auch keinen Anspruch auf Prüfung, ob ein anderer Mitglied- oder Vertragsstaat zuständig ist oder gar auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland (vgl. hierzu auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 - juris Rn. 29 ff.). Entscheidend ist ihrem Fall nur, dass sich Belgien für zuständig erklärt hat.
- 6
Die jeweiligen Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO dienen als Organisationsvorschriften allein einer klaren und praktikablen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und einer (zeitnahen) Überstellung in diesen Staat im Verhältnis der Dublin-Staaten untereinander, ohne aber den Klägern (mittelbar) einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewähren. Ein Asylantragsteller kann der Überstellung in den nach der Dublin-III-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat ausschließlich mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 a.a.O. insbes. Rn. 60; Senatsbeschluss vom 24. Februar 2015 a.a.O., vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris).
- 7
Zur Begründung führt der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) aus, dass der Unionsgesetzgeber die Vorschriften erlassen hat, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren, um zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (Rn. 53). Der Gerichtshof sieht einen der Hauptzwecke der Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (Rn. 59). Der Unionsgesetzgeber wollte einem Asylantragsteller mit der Dublin II-Verordnung (ebenso mit der Dublin III- Verordnung) aber keine weitergehende Rechtsposition einräumen, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
- 8
Zum Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O. Rn. 57) zur Vorgängervorschrift in der Dublin-II- Verordnung ausgeführt, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Dublin-II-Verordnung die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren sollen, das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Diese Ausführungen stellen in seiner Entscheidung ein Begründungselement dar für die Verneinung eines subjektiven Rechts eines Asylantragstellers auf Einhaltung der Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-II-Verordnung.
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Auch das Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris) entnimmt der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass ein Asylantragsteller einer Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann. Auch nach seinem Verständnis dieser Rechtsprechung kann eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-III-Verordnung der Klage eines Asylbewerbers demnach grundsätzlich nicht zum Erfolg verhelfen (so ausdrücklich Berlit, jurisPR- BVerwG 12/2014 Anm. 3, Buchst. B am Ende).
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Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Mit dem Hinweis auf abweichende Entscheidungen einzelner erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte und der auszugsweisen Wiedergabe derselben wird kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A - juris Rn. 21). Der Verweis auf die Folgen bei Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften in der nationalen Rechtsordnung und auf die Auslegung und gerichtliche Überprüfung nationaler Ermessensvorschriften vermag an der allein verbindlichen Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union in Bezug auf die Dublin Verordnungen (vgl. Art. 267 Satz 1 Buchst b, Art. 288 UAbs. 2 AEUV) nichts zu ändern.
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Die Kläger halten zudem für grundsätzlich bedeutsam,
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ob § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG dergestalt mit Art. 26 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung vereinbar ist, dass auch in den Fällen der Anwendbarkeit der Dublin-III- Verordnung eine unbedingte Abschiebungsanordnung ergehen darf sowie
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ob die in Art. 26 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung normierten Hinweispflichten so zu verstehen sind, dass Rückführungsentscheidungen nur dann als rechtmäßig angesehen werden dürfen, wenn die in Art. 26 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung normierten Hinweispflichten erfüllt sind.
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Auch diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Auch hier ist bereits zweifelhaft, ob die Ausführungen der Kläger im Zulassungsantrag den Darlegungserfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG entsprechen. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass § 34a Abs. 1 Satz 1 AsyllVfG entgegen ihrer Auffassung eine Überstellung auf eigene Initiative (freiwillige Ausreise) nicht ausschließt und hierzu auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 - (juris) verwiesen, wonach die Vorschrift des § 34a Abs. 1 AsylVfG einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich ist. Hierzu fehlt jegliche substantiierte Auseinandersetzung.
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Unabhängig davon gilt:
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Art. 29 der Dublin-III-Verordnung regelt die „Modalitäten und Fristen" (siehe Überschrift des Artikels) der Überstellung. Danach ist der vorherige Erlass einer Verfügung, in dem die Überstellung bzw. Abschiebung angedroht wird, nicht erforderlich, so dass Abschiebungsanordnungen auf § 34a AsylVfG gestützt werden können (ebenso Hessischer VGH, Urteil vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A - juris Rn. 21). Zudem schließt die Abschiebungsanordnung Formen der freiwilligen Ausreise oder der Ausreise, wie sie in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung genannt werden, nicht aus. Der Bescheid des Bundesamtes darf nicht nur so verstanden werden, dass eine Überstellung lediglich in der Form der Abschiebung, d.h. der begleiteten Überstellung erfolgen darf (ausführlich VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 a.a.O. Rn.33, vgl. auch Hessischer VGH a.a.O.). Durch die Abschiebungsanordnung wird vielmehr die Rechtsgrundlage für eine gegebenenfalls zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht geschaffen (vgl. Hessischer VGH a.a.O.).
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Aus den Vorgaben der Dublin-III-Verordnung lässt sich nicht entnehmen, dass den Betroffenen zunächst generell die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise in der Weise eingeräumt werden müsste, dass ihnen - dem deutschen allgemeinen Aufenthaltsrecht vergleichbar (vgl. § 59 AufenthG) - die Abschiebung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht werden muss (vgl. auch § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG). Deshalb kann die Entscheidung über den konkreten Vollzug der Überstellungentscheidung den hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder überlassen werden und bedarf keiner Regelung im Bescheid des Bundesamts. Hierfür spricht zudem bereits der Wortlaut des Art. 26 Abs. 2 Satz 1 der Dublin-III-Verordnung. Danach sind in dem Bescheid Informationen über die Frist für die Durchführung der Überstellung aufzunehmen mit „erforderlichenfalls“ Angaben über den Ort und den Zeitpunkt, an dem oder zu dem sich die betreffende Person zu melden hat, wenn diese Person sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt.
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Der Auslegung des Art. 26 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung durch die Kläger, wonach all das, was die Überstellung betrifft, also die Entscheidung über die Aufnahme bzw. Wiederaufnahme einschließlich der Modalitäten der Überstellung, in einer einzigen Entscheidung geregelt werden soll, gegen die dann Rechtsschutz möglich ist, widerspricht auch der Umstand, dass der Verwaltungsvollzug und dessen Ausgestaltung regelmäßig Sache des einzelnen Mitgliedstaats sind, so dass auch ein Ineinandergreifen verschiedener Behördenzuständigkeiten durch das Unionsrecht akzeptiert wird. Aufgrund des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland ist der Vollzug im Einzelnen von den zuständigen Ausländerbehörden der Länder durchzuführen und zu organisieren. Insoweit kommt der in der Verordnung enthaltene Vorbehalt zugunsten der nationalen Rechtsvorschriften zum Tragen, wenn wie hier, keine eindeutigen unionsrechtlichen Vorgaben gemacht werden. Will der Betroffene freiwillig ausreisen, werden ihm daher die Einzelheiten (bis wann er ausgereist sein muss, wo und wann er sich im zuständigen Mitgliedstaat einzufinden hat) durch die Ausländerbehörde (und nicht durch das Bundesamt) mitgeteilt. Hierfür spricht auch der Umstand, dass in den Informationsrechten nach Art. 4 der Dublin-III-Verordnung Vorgaben enthalten sind, worüber der Asylbewerber zu belehren und zu informieren ist. Hierin findet sich aber keine Verpflichtung zu einem Hinweis auf die Arten der Überstellung, insbesondere auch nicht zur freiwilligen Ausreise (zum Ganzen vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 a.a.O. Rn. 33 ff.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind nicht vorgetragen oder sonst erkennbar.
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
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G r ü n d e :
2Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg des Zulassungsantrags (§ 166 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO - i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung) abzulehnen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.
3Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 des Asylverfahrensgesetzes ‑ AsylVfG ‑) nicht vorliegt. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall, sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft stellt.
4Die aufgeworfene Frage,
5„ob Art. 20 der Verordnung Nr. 343/2003 i. V. m. Art. 16 Abs. 3 der Verordnung 343/2003 so auszulegen ist, dass mit der Zustimmung eines Mitgliedsstaates nach diesen Bestimmungen dieser Mitgliedsstaat jener ist, der im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Einleitungssatz der Verordnung Nr. 343/2003 zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, oder muss die nationale Überprüfungsinstanz unionsrechtlich, wenn sie im Zuge eines Verfahrens über einen Rechtsbehelf nach Art. 20 Abs. 1 e der Verordnung Nr. 343/2003 ‑ unabhängig von dieser Zustimmung ‑ zur Anschauung gelangt, (dass) die Zuständigkeit dieses Staates erloschen ist, die eigene Zuständigkeit für das Verfahren zur Entscheidung über den Rechtsbehelf verbindlich feststellen, wenn diesem anderen Mitgliedsstaat wichtige Informationen vorenthalten worden sind und die Zustimmung auf der Basis dieser unzureichenden Informationen erfolgt ist."
6ist nicht klärungsbedürftig, da sie auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne Weiteres im für den Zulassungsantrag negativen Sinne beantwortet werden kann. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, kann ein Asylbewerber in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 (ABl. L50/1 vom 25.2.2003, Dublin II‑VO) niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Gebiet der Europäischen Union, der Heranziehung dieses Kriteriums nicht damit entgegentreten, dass die Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II‑VO als Mitgliedstaat der ersten Einreise deshalb zu Unrecht erfolgt sei, weil die Verpflichtung zu der ‑ bewilligten ‑ (Wieder-)Aufnahme nach Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO wegen mindestens dreimonatigen Verlassens des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten erloschen sei.
7Das ergibt sich aus Folgendem: Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) beruht darauf, dass angenommen wird, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Der Unionsgesetzgeber hat aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens die Dublin II‑VO erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die Behörden der Mitgliedsstaaten mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen. Dies bezweckt hauptsächlich, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.
8Die für Asylanträge geltenden Regelungen wurden in weitem Umfang auf Unionsebene harmonisiert, so dass der von einem Asylbewerber gestellte Antrag weitgehend nach den gleichen Regelungen geprüft wird, welcher Mitgliedstaat auch immer für seine Prüfung nach der Dublin II‑VO zuständig ist. Soweit es um die Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates geht, trifft die Dublin II‑VO organisatorische Vorschriften, die die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln. Damit wird einem der Hauptzwecke der Dublin II‑VO nachgekommen, durch klare und praktikable Regeln für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und die zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten.
9Vgl. EuGH, Urteil vom 10.12.2013 ‑ C-394/12 ‑, NVwZ 2014, 208 Rn. 52 ff.
10Das Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung zwischen den Mitgliedstaaten findet seinen Abschluss in der positiven Aufnahmeerklärung eines Mitgliedsstaats auf das Aufnahmeersuchen des anderen Mitgliedsstaats nach den Regeln der Art. 16 ff. Dublin II‑VO .
11Hier geht es um die Frage, ob Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO ein für die Kläger einklagbares Recht begründet. Nach dieser Vorschrift erlöschen die Aufnahme- und Asylantragsprüfungspflichten der Mitgliedstaaten, wenn der Asylbewerber das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, hier, wie die Kläger geltend machen, nach ihrem Aufenthalt in Italien und Schweden durch über dreimonatigen Aufenthalt in der Türkei. Die Frage, ob eine Norm des Unionsrechts ein subjektives Recht begründet, richtet sich nicht deckungsgleich nach den für das innerstaatliche Recht für die Klagebefugnis und die Rechtsverletzung (§§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO) aufgestellten Grundsätzen.
12Sog. Schutznormtheorie, vgl. etwa Happ in Eyermann/Fröhler, VwGO, 14. Aufl., § 42 Rn. 86 ff. und Schmidt, ebenda, § 113 Rn.18.
13Allerdings ist gesichert, dass der Einzelne sich nicht auf jede objektiv-rechtliche Regel des Unionsrecht berufen kann, dass es also auch hier der Feststellung bedarf, ob Rechtsregeln subjektive Rechte (in der Terminologie des Gerichtshofs der Europäischen Union "Rechte Einzelner") schaffen. Dabei kann dies selbst dann verneint werden, wenn die Rechtsnorm den Schutz von Personen bezweckt.
14So etwa verneint für Normen, die die Tätigkeit der Bankenaufsicht regeln und auch den Zweck "Schutz der Einleger" verfolgen, als Rechte zu Gunsten der Einleger, EuGH, Urteil vom 12.10.2004 ‑ C-222/02 ‑, NJW 2004, 3479 Rn. 40.
15Insbesondere reicht eine bloß tatsächliche Betroffenheit durch die Rechtsregel nicht aus, vielmehr muss auch das Unionsrecht das klagbare Interesse normativ anerkennen.
16Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382).
17Gegenüber der Schutznormtheorie ist die unionsrechtliche Abgrenzung subjektiver Rechte von bloß objektivem Recht tendenziell weiter.
18Vgl. Zuleeg/Kadelbach in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. § 8 Rn. 14; Gärditz in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl., § 35 Rn. 59.
19Der Unterschied liegt vor allem in der Zuweisung der Durchsetzung von Allgemeininteressen an den Einzelnen,
20Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 f.,
21im Konzept der dezentralen Rechtsdurchsetzung durch Mobilisierung von Bürgern.
22Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (353 ff.); Gärditz in: Rengeling/ Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl., § 35 Rn. 59; Masing in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts. Bd. 1, 2. Aufl., § 7 Rn. 92.
23Unionsrechtliche Quelle dieses Konzepts ist der Effektivitätsgrundsatz (Art. 197 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Union ‑ AEUV ‑, "effet utile").
24Vgl. Classen in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblattsammlung (Stand: Januar 2015), Art. 197 AEUV Rn. 16 ff., insbes. 42 ff; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5 Wirkungen und Rechtsschutz, Rn. 419 ff, 1805 ff.
25Dieser gebietet, dass der nationale Vollzug des Unionsrechts dessen Wirksamkeit nicht übermäßig erschweren oder sogar praktisch unmöglich machen darf.
26Vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5 Wirkungen und Rechtsschutz, Rn. 1805, 1808; Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes, NJW 2010, 1233 f.
27Ausgehend von diesen Maßstäben ist festzustellen, dass die Zuweisung der Durchsetzung der Regeln zur Aufgabenverteilung auf die Mitgliedstaaten nach der Dublin II‑VO an den Einzelnen dem Zweck der Verordnung entgegenliefe, eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (Erwägungsgrund 4 Dublin II‑VO). Angesichts der komplexen Regeln über die Zuständigkeit, ihre Rangfolge, die aus der Zuständigkeit folgenden Verpflichtungen und ihr Erlöschen würde es die effektive Durchsetzung der Klärung der Zuständigkeit und der anschließenden Prüfung des Asylantrags durch den zuständigen Staat geradezu behindern, wenn die Überprüfung dieser Aufgabenverteilung in die Hände des Einzelnen gelegt würde und ihm damit Gelegenheit geboten würde, die zügige Bearbeitung seines Asylantrags durch einen von ihm nicht gewünschten Mitgliedstaat zu verhindern und seinen Verbleib in dem von ihm gewünschten Mitgliedstaat durchzusetzen. Vielmehr erfordert der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz, dass der Asylbewerber das Ergebnis des zwischenstaatlichen Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens und die daraus sich ergebende Aufgabenverteilung hinnehmen und auf dieser Grundlage sein Asylbegehren verfolgen muss.
28Nur dann, wenn die Zuständigkeitsvorschrift nicht der bloßen Aufgabenverteilung zwischen den ‑ in der Aufgabenerfüllung als gleichwertig anzusehenden ‑ Mitgliedstaaten dient, sondern auch im spezifischen Interesse des Asylbewerbers liegt, kann eine solche Zuständigkeitsnorm ein subjektives Recht darstellen.
29So etwa für Art. 15 Abs. 2 Dublin II‑VO EuGH, Urteil vom 6.11.2012 ‑ C-245/11 ‑, NVwZ-RR 2013, 69.
30Für Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO kann eine solche Subjektivierung des Zuständigkeitsrechts nicht festgestellt werden. Ihm liegt vielmehr die Wertung zu Grunde, dass der die Zuständigkeit rechtfertigende Gesichtspunkt der ersten Einreise sein Gewicht umso mehr einbüßt, je länger sich ein Asylbewerber danach außerhalb des Dublin‑Gebiets aufhält, bevor er erneut einreist. Das ist ein reiner Zweckmäßigkeitsgesichtspunkt der Aufgabenverteilung, der keinen Bezug zu schützenswerten Interessen des Asylbewerbers aufweist.
31Aus Vorstehendem folgt, dass einem Asylbewerber unionsrechtlich grundsätzlich nur das subjektive Recht auf ein zügiges Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft durch den nach dem zwischenstaatlich im Wege des Aufnahmegesuchs und seiner Stattgabe bestimmten Mitgliedstaat eingeräumt wird, nicht aber das Recht auf ein Verfahren durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Die Aufgabenverteilungsregeln begründen ‑ von dem genannten Sonderfall abgesehen ‑ kein subjektives Recht der Asylbewerber, sondern stellen ausschließlich objektives Recht dar, dass nur die Mitgliedstaaten untereinander berechtigt und verpflichtet, auf dessen Einhaltung also ein Asylbewerber keinen Anspruch hat. Deshalb kann der Asylbewerber in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Gebiet der Europäischen Union, der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden.
32EuGH, Urteil vom 10.12.2013 ‑ C-394/12 ‑, NVwZ 2014, 208 Rn. 62.
33Wenn schon nach dieser Entscheidung der Asylbewerber der Abschiebung in den aufnahmebereiten Mitgliedstaat die falsche Anwendung des Kriteriums der ersten Einreise nach der Dublin II‑VO als solches nicht entgegen halten kann, gilt dies erst recht für die zwar zutreffende Zuständigkeitsbestimmung, aber unrichtige Anwendung der Vorschrift über das Erlöschen der Zuständigkeitsverpflichtung nach Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der durch sie getroffenen Zuständigkeitsbestimmung.
34Aus dem Vorstehenden ergibt sich weiter, dass auch die aufgeworfenen Frage,
35", ob insoweit subjektive Rechte des Asylbewerbers bestehen, wenn der ersuchende Mitgliedsstaat dem ersuchten Mitgliedsstaat wichtige Informationen vorenthalten hat,"
36nicht klärungsbedürftig ist, da sie ohne Weiteres zu verneinen ist. Diese Frage betrifft noch nicht einmal die richtige Anwendung der Zuständigkeitsregeln der Dublin II‑VO im Ergebnis, sondern nur die fehlerfreie Willensbildung der am Zuständigkeitsbestimmungsverfahren beteiligten Mitgliedstaaten. Dass deren Überprüfung in die Hände des Einzelnen gelegt sein könnte, ist erst recht auszuschließen. Vielmehr ist es allein Sache des ersuchten Mitgliedstaats, auf ein fehlerhaftes Verhalten des ersuchenden Mitgliedstaats zu reagieren.
37Da die Frage des subjektiven Rechts auf Einhaltung der Zuständigkeitsregeln der Dublin II‑VO im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung durch die Mitgliedstaaten durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 ‑ C‑394/12 ‑ geklärt ist und die hier maßgebliche nachgelagerte Frage, ob der Asylbewerber der Heranziehung des Zuständigkeitskriteriums durch die Mitgliedstaaten deshalb entgegentreten kann, weil entgegen der Stattgabe des Gesuchs die Verpflichtungen nach Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO entfallen waren, zweifelsfrei verneint werden kann, bedarf es einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV nicht. Es besteht daher - auch unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - keine Veranlassung zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.
38Speziell zu Art. 19 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (ABl. L 180/31 vom 29.6.2013 ‑ Dublin III‑VO), der Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO entspricht, Filzwieser/Sprung, Dublin III‑VO, Art. 19 Anm. K6; ebenso Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, 81 (87), im Sinne der Acte-clair-Doktrin für nicht grundrechtlich aufgeladene Zuständigkeitsnormen.
39Soweit die Kläger unter Verweis auf entgegenstehende Rechtsprechung eine andere Position vertreten, kann dies die Zweifelsfreiheit der Auslegung nicht in Frage stellen, da die zitierte Rechtsprechung die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 ‑ C-394/12 ‑ nicht berücksichtigen konnte.
40Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
41Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.