Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 23. März 2015 - 22 K 4141/14.A
Tenor
Der gegenüber dem Kläger zu 2 ergangene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Juni 2014 (Az. 0000000 – 439) wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
Tatbestand:
2Der Kläger zu 1 und sein am 00.0.1987 geborener Sohn, der Kläger zu 2, sind iranische Staatsangehörige. Sie meldeten sich am 24. Februar 2014 bei der Außenstelle E. des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) und stellten einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zur Niederschrift. Im Rahmen der Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens erklärte der Kläger zu 2: Sie seien am 5. Februar 2014 mit dem Reisebus in Richtung Istanbul aus dem Iran ausgereist. Nach einem zweitägigen Aufenthalt dort seien sie mit dem Flugzeug nach Deutschland eingereist. Personalpapiere oder andere Dokumente über ihre Person könnten sie nicht vorlegen.
3Ausweislich einer zum Verwaltungsvorgang des Bundesamtes genommenen Auskunft vom 24. Februar 2014 aus dem VIS-Datenbestand war den Klägern unter den Namen E1. S. H. (Kläger zu 1) I. S. H. (Kläger zu 2) am 21. Januar 2014 durch die französische Botschaft in Teheran ein Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt erteilt worden mit Gültigkeit vom 25. Januar 2014 bis zum 19. Februar 2014.
4Am 13. Mai 2014 stellte das Bundesamt bezüglich beider Kläger ein Übernahmeersuchen an die Republik Frankreich.
5Diese stimmte mit Schreiben vom 4. Juni 2014 der Aufnahme der Kläger gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) zu.
6Mit Bescheiden vom 5. Juni 2014 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Frankreich an (Ziffer 2). Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Asylanträge der Kläger gemäß § 27a AsylVfG unzulässig seien, weil Frankreich nach Art. 12 Abs. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig sei, weil die Kläger bei Asylbeantragung im Besitz eines seit weniger als sechs Monaten abgelaufenen französischen Visums gewesen seien. Es seien keine humanitären Gründe ersichtlich, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
7Die Kläger haben gegen die am 24. Juni 2014 zugestellten Bescheide am 25. Juni 2014 Klage erhoben. Das Klageverfahren des Klägers zu 2, das zunächst unter dem Aktenzeichen 2 K 4142/14.A geführt wurde, wurde durch Beschluss der Kammer vom 28. August 2014 mit dem vorliegenden Verfahren verbunden. Ein zugleich gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde zunächst durch Beschluss der Kammer vom 2. September 2014 (Az. 22 L 1449/14.A) abgelehnt. Mit weiterem Beschluss vom 14. Januar 2015 hat das Gericht von Amts wegen unter Abänderung des vorgenannten Beschlusses die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen Ziffer 2 der streitgegenständlichen Bescheide angeordnet.
8Nach Mitteilung der Ausländerbehörde der Stadt X. ist der Kläger zu 1 am 21. Januar 2015 in den Iran ausgereist. Die Prozessbevollmächtigten der Kläger und die Beklagte haben den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.
9Zur Begründung der Klage macht der Kläger zu 2 geltend, er leide an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung. Er hat ein Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 20. August 2014 vorgelegt, wonach er an einer mittelschweren depressiven Erkrankung leidet.
10Der Kläger zu 2 beantragt,
11den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Juni 2014 aufzuheben.
12Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
15Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der dazu beigezogenen Gerichtsakten 22 L 1449/14.A sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde der Stadt X. Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Parteien gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.
18Die Klage des Klägers zu 2 ist zulässig (nachfolgend I.) und begründet (nachfolgend II.).
19I. Die Klage ist zulässig.
20Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft. Die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelungen führt auf die weitere Prüfung des Asylantrags des Klägers zu 2 durch die Beklagte und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel. Denn mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides wird das Verwaltungsverfahren in den Verfahrensstand zurückversetzt, in dem es vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen war. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylVfG gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren weiterzuführen. Das Bundesamt hat sich in dem vorliegenden Fall lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylantrags vorgelagerten – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung des Antrags zuständig ist. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
21Vgl. zu Entscheidungen nach § 27a AsylVfG: OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rdn. 28 ff.; zu Entscheidungen nach §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rdn. 15 ff.
22Der Kläger zu 2 ist auch klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Aus seinem Vorbringen lässt sich herleiten, dass er – sollte sich der Bescheid in dem angefochtenen Umfang als objektiv rechtswidrig erweisen – möglicherweise in eigenen Rechten verletzt ist. Denn die angefochtenen Regelungen belasten ihn in seinem subjektiv-öffentlichen Recht aus §§ 4, 24, 31 AsylVfG auf Prüfung seines Schutzgesuchs durch das Bundesamt.
23Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Recht durch Unionsrecht, namentlich die Dublin-III-VO, beschränkt wird, bedarf hier keiner weiteren Prüfung, da eine Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint.
24Die Klage wurde auch fristgerecht im Sinne von § 74 Abs. 1 AsylVfG, nämlich innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides, erhoben.
25II. Die Klage ist begründet. In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamtes vom 5. Juni 2014 rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 2 in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
261. Die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers zu 2 ist rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 27 a AsylVfG sind nicht erfüllt. Frankreich ist nicht aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zu 2 zuständig.
27Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin-III-VO. Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO auf alle in Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, mithin auch auf das im Februar 2014 gestellte Schutzgesuch des Klägers zu 2.
28Die Zuständigkeit Frankreichs für die Prüfung dieses Asylantrags dürfte zwar zunächst nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO begründet worden sein. Die Republik Frankreich hat das an sie gerichtete Übernahmeersuchen der Beklagten vom 13. Mai 2014 auch am 4. Juni 2014 auf dieser Rechtsgrundlage akzeptiert. Die Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO genannten Frist von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, durchgeführt wird.
29Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die Frist begann nach diesen Maßstäben hier mit der Annahme des Übernahmeersuchens durch die Republik Frankreich am 4. Juni 2014.
30Die Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich wurde nicht durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 25. Juni 2014 (22 L 1449/14.A) für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, hier also bis zum ablehnenden Eilbeschluss vom 2. September 2014, unterbrochen oder gehemmt,
31vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014, - 13 A 1347/14.A -, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N..
32Auch lagen keine Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO vor. Die sechsmonatige Frist endete nach alledem mit Ablauf des 4. Dezember 2014.
33Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags des Klägers zu 2 ist damit auf die Beklagte übergegangen.
34Nach Auffassung der Kammer kann sich der Kläger zu 2 auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen. Hierzu hat die Kammer in ihrem Urteil vom 5. Februar 2015 (22 K 2262/14. A) ausgeführt:
35„Die Kläger können sich im vorliegenden Klageverfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen.
36A.A. VGH BW, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rdn. 59 (soweit eine Überstellung in den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist); Nds.OVG, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 ‑, juris, Rdn. 9 ff (ohne Einschränkung); HessVGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A ‑, juris, Rdn. 15 (obiter dictum); VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 102. Ergänzungslieferung, November 2014, § 27a, Rdn. 234, 196.1 (mit Ausnahmen); Hailbronner, Ausländerrecht, 88. Ergänzungslieferung, Oktober 2014, § 27a AsylVfG, Rdn. 20 ff.; Günther, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 5. Edition, Stand: 1. September 2014, § 27a AsylVfG Rdn. 29 ff.; offen gelassen: OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑ 14 A 1943/11.A ‑, juris, Rdn. 24 (das Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH, Rs. C-666/11 endete ohne Sachentscheidung nach Rücknahme des Ersuchens wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beim OVG NRW); vgl. ferner zum Ablauf der Frist zur Stellung des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens: VGH BW, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; Rdn. 25, 27 (bei zeitnaher Überstellung); OVG RhPf, Urteil vom 21. Februar 2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris, Rdn. 33.
37Die Kläger haben gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Zugleich verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht der Kläger aus §§ 24, 31 AsylVfG, und zwar unabhängig vom Schutzzweck der Norm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Der Individualschutzzweck von Normen ist nur für diejenigen von Bedeutung, die keine materielle Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung durch den angefochtenen Verwaltungsakt dartun können.
38Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdn. 126.
39Die Kläger hingegen werden durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in ihrer Rechtstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Beklagte die Prüfung der Schutzgesuche mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl ihre Zuständigkeit nach den Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung objektiv begründet ist.
40Dem nach nationalem Recht bestehenden subjektiv-öffentlichen Recht der Kläger auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die nach der Dublin-III-VO objektiv hierfür zuständige Beklagte steht auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht entgegen. Denn es liegt schon keine Kollision des nationalen Rechts mit der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV vorrangig anzuwendenden Dublin-III-VO vor.
41Die Zuständigkeitsregelungen in der Dublin-III-VO begründen unmittelbare Rechte der betroffenen Ausländer auf Beachtung dieser Regelungen durch alle Behörden der Mitgliedstaaten. Dies folgt schon aus der Rechtsnatur der Dublin-III-VO. Diese gilt (wie alle EU-Verordnungen) gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Verordnungen nicht nur für die Mitgliedstaaten (untereinander) gelten, sondern in den Mitgliedstaaten,
42Ulrich Haltern, Europarecht, Tübingen 2005, S. 284 (Hervorhebung im Original).
43Hierin unterscheidet sich das Unionsrecht gerade von Völkervertragsrecht, mit dem sich lediglich die Vertragsstaaten untereinander binden. Das Unionsrecht ist eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Unionsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen,
44EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 25.
45Die Dublin-III-VO regelt damit schon aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch unmittelbar die Rechtsstellung jedes einzelnen Normunterworfenen, das heißt auch der Drittstaatsangehörigen, auf die die Dublin-III-VO Anwendung findet.
46Der Dublin-III-VO kann auch nicht entnommen werden, dass in Bezug auf die dort geregelten Zuständigkeitsbestimmungen ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, insbesondere ein Asylbewerber, der für die Prüfung seines Asylantrages an einen anderen Mitgliedstaat verwiesen wird, einen hierin liegenden objektiven Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nur unter bestimmten Umständen rügen kann.
47Dies unter Verweis auf den Zweck der Dublin-II-VO erwägend und im Ergebnis ein subjektiv-öffentliches Recht des Ausländers aus der Ermessensvorschrift des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Selbsteintrittsrecht) verneinend: Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 58.
48Indem der Unionsgesetzgeber die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Vertrag (Dubliner Übereinkommen) vereinbarten Zuständigkeitskriterien für die Prüfung eines Schutzgesuchs ausdifferenziert und in einer EU-Verordnung kodifiziert hat, hat er diese Regelungen zugleich mit den aus Art. 288 Abs. 2 AEUV folgenden Rechtswirkungen ausgestattet. Diese Rechtsqualität der Regelungen steht auch nicht in Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck. Der Unionsgesetzgeber hat die Zuständigkeitsbestimmungen erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern,
49dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen,
50EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, C‑394/12 (Abdullahi), Rdn. 53, juris; vgl. auch Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 57.
51Diese Ziele werden am effektivsten durch die zuverlässige und gleichmäßige Befolgung der in der Dublin-III-VO geregelten Zuständigkeitskriterien in allen Mitgliedstaaten erreicht. Das „forum shopping“ wird unterbunden, indem einem einzigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Schutzgesuches zugeordnet wird; die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Staates wird durch detaillierte Kriterien, die keine Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten vorsehen, erhöht; die Asylverfahren werden insgesamt beschleunigt, indem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates verbindlich geltenden kurzen Fristen unterworfen wird.
52Die unmittelbare, auch von den Betroffenen durchsetzbare Rechtswirkung der Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO ‑ soweit sie einem Mitgliedstaat die Zuständigkeit ohne Ermessensspielraum zuweisen ‑ widerspricht diesen Zielen nicht, sondern fördert ihre Erreichung. Der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts („effet utile“) findet eine wesentliche Stütze gerade darin, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar geltendes Unionsrecht berufen kann. Mit Hilfe der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit werden die an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Betroffenen zu Wächtern des Unionsrechtssystems erhoben, die dessen effektive Anwendung in den Mitgliedstaaten sichern,
53Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 49 m.w.N.
54Zum Zweck der effektiven und gleichen Wirkung des Unionsrechts sollen die Einzelnen, soweit es um den staatlichen Vollzug des Unionsrechts geht, eine dezentrale, die Kommission entlastende Vollzugskontrolle vornehmen können,
55vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 44.
56Andernfalls könnte auch Art. 267 AEUV, der zum Zweck der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen auf Vorlage nationaler Gerichte vorsieht, seine Wirkung nicht entfalten. Art. 267 AEUV setzt voraus, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar anwend-
57bares Unionsrecht berufen kann und damit die Frage der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung vor dem nationalen Gericht streitentscheidende Bedeutung gewinnt. Der alleinigen Entscheidungskompetenz des EuGH bei der Auslegung des Unionsrechts liefe es zuwider, einer unionsrechtlichen Bestimmung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht (ohne vorherige Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH) mit Verweis auf mangelnde individualschützende Wirkung eine streitentscheidende Bedeutung von vornherein abzusprechen.
58Aufgrund dieser generellen Bedeutung der unmittelbaren, individualrechtsbegründenden Anwendbarkeit des Unionsrechts für die Sicherstellung seiner Effektivität kommt es für die Frage, ob sich der Einzelne auf Unionsrecht berufen kann, auch nicht darauf an, ob eine Vorschrift des Unionsrechts bezweckt, individuelle Rechte zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob die sich aus der Vorschrift ergebende Verpflichtung anderer Rechtssubjekte eindeutig ist, weil sie hinreichend klar und unbedingt formuliert ist.
59Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 46; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 51 m.w.N.
60Dies ist bei Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO der Fall. Die Norm regelt den Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist eindeutig, klar und unbedingt, insbesondere sieht sie auch keinen Entscheidungsspielraum einer nationalen Behörde vor.
61Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH,
62Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi), - C-394/12 -, juris,
63sowie des Bundesverwaltungsgerichts,
64Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 7 und vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6,
65nicht entgegen.
66Diesen Entscheidungen ist keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu entnehmen,
67vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, Rdn. 41, juris mit Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 - 13 K 1117/14.A -, Rdn. 54 ff., juris.
68Insbesondere lässt sich eine dahingehende Aussage nicht aus dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnehmen, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem
69ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
70Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi) - C-394/12 -, Rdn. 62, juris,
71Mit diesem Rechtssatz betont der EuGH gerade die Verbindlichkeit der in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriterien, die ihre Grenze erst in der im Einzelfall anzunehmenden tatsächlichen Gefahr der Verletzung eines in der Grundrechtecharta verbürgten Rechts findet. Demgegenüber lässt sich dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz keine Aussage des Inhalts entnehmen, dass sich ein Asylbewerber nicht (oder nur unter bestimmten Bedingungen) auf die Beachtung eines in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums berufen kann.
72So liegt der Fall hier. Mit dem von den Klägern geltend gemachten Einwand, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihrer Schutzgesuche wegen Überschreitens der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen ist, wenden sich die Kläger ‑ anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall ‑ gerade nicht gegen die Heranziehung eines in der Dublin-III-VO niedergelegten Zuständigkeitskriteriums, sondern berufen sich auf dieses.
73Auch das BVerwG geht erkennbar nicht davon aus, dass andere Einwände gegen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat als der Einwand systemischer Mängel unbeachtlich wären. Vielmehr benennt es in dem zuletzt ergangenen Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – konkret die als unbeachtlich einzustufenden Einwände:
74„Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.“
75BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6, Hervorhebung nicht im Original.
76Dies verdeutlicht, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Prüfung vorgelagert ist, ob einer Überstellung dorthin systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen. Auch wird die Beschränkung berücksichtigungsfähiger Einwände auf den Einwand systemischer Mängel nur insoweit ausgesprochen, als der Asylbewerber der Überstellung mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen in diesem Staat entgegentritt.
77Eine Beschränkung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers im Hinblick auf die Geltendmachung objektiver Verstöße gegen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung lässt sich auch nicht mit der Überlegung belegen oder bekräftigen, dass es dem Asylbewerber unbenommen ist, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des anderen Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen.
78Zu den Modalitäten einer Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers siehe Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (DVO Dublin III).
79Zwar kann der Asylbewerber damit zu einer Beschleunigung beitragen. Aus einer fehlenden Inanspruchnahme dieses Rechts kann jedoch nicht auf den Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts des Asylbewerbers auf materielle Prüfung seines Schutzgesuches durch die Beklagte geschlossen werden. Insbesondere steht der vom Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") der Geltendmachung dieses subjektiv-öffentlichen Rechts nicht entgegen.
80So aber VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 45 ff.
81Ein widersprüchliches Verhalten der Kläger liegt
82– ganz abgesehen davon, dass im deutschen Recht die Möglichkeit der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers auf eigene Initiative gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. hierzu: VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2014 – A 11 S 1230/14 ‑, juris, Rdn. 4) und die Kläger im vorliegenden Fall (soweit ersichtlich) über dieses ihnen zustehende Initiativrecht auch nicht unterrichtet wurden –
83nicht vor. Die Kläger rügen nicht etwa eine unangemessene Dauer ihrer Verfahren, die sie selbst hätten beschleunigen können. Vielmehr begehren sie die materielle Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Selbst wenn zwischenzeitlich ein anderer Staat für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig gewesen sein sollte, kann ein widersprüchliches Verhalten der Kläger nicht darin gesehen werden, dass sie an ihrem Begehren der Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte festgehalten haben. Die Kläger haben sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf eine drohende unzumutbare Dauer ihrer Schutzgesuche gestützt, sondern auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der tatsächlichen Durchführung ihrer Überstellung entgegenstünden.“
84Auch im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Schutzgesuches durch den Staat, der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden ist, dann eintreten kann, wenn dieses Recht missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Denn dafür fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere hat sich der Kläger zu 2 weder der ausländerrechtlichen Überwachung entzogen noch Überstellungsmaßnahmen widersetzt.
852. Ist somit nach Auffassung der Kammer der Asylantrag des Klägers zu 2 nicht gemäß § 27 a AsylVfG als unzulässig anzusehen, liegen auch die Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG für die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids verfügte Abschiebungsanordnung nicht vor.
86III. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Klage des Klägers zu 2 auf §§ 154 Abs.1 VwGO. Soweit der Rechtsstreit hinsichtlich des Begehrens des Klägers zu 1 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Dem entspricht es, die Kosten der Beklagten aufzuerlegen, weil die Klage auch insoweit Aussicht auf Erfolg hatte.
87Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
88Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 23. März 2015 - 22 K 4141/14.A zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
1Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob mit Bekanntgabe des Beschlusses, mit dem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist, die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO neu zu laufen beginnt, da eine Abschiebung wegen der Regelung des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens unzulässig war, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig.
3Es kann offen bleiben, ob dies schon deshalb gilt, weil es sich um auslaufendes Recht handelt. Für alle ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz sowie Gesuche der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme ist nicht mehr die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: Dublin II-VO), sondern nach ihrem Artikel 49 Abs. 2 die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) anwendbar.
4Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bedarf jedenfalls deshalb nicht der Klärung im Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres – verneinend – beantworten lässt.
5Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Entscheidung über den Rechtsbehelf die (rechtskräftige) gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren ist.
6Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53, und Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5; wie hier etwa auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -, juris; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 -, juris.
7Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft – auch nach dem Unionsrecht – nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
8Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also – so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren – im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO – neben dem Widerspruch – nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat – unionsrechtskonform – aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
9Hielte man den vorläufigen Rechtsschutzantrag für den Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, führte dies überdies zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass auch bei einer Stattgabe die Überstellungsfrist zu laufen begänne und regelmäßig vor einer Entscheidung in der Hauptsache abliefe. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass bei Aussetzung der Vollziehung der Überstellung die Frist erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Hauptsachverfahren beginnt.
10Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris (zu § 34a Abs. 2 AsylVfG a.F. und einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO); Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 133/12 -, juris; VGH Bad-Württ., Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 -, juris.
11Diese systematischen Überlegungen werden durch die Dublin III-VO bestätigt, in deren Art. 27 klar zwischen dem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung und dem Antrag, die Durchführung einer Überstellungsentscheidung auszusetzen, unterschieden wird.
12Hiervon ausgehend führen Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
13vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
14zu keinem anderen Ergebnis. Die Frist berechnet sich in der Regel ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch den zuständigen Mitgliedstaat, da ein gegen die Überstellungsentscheidung eingereichter Rechtsbehelf nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO keine aufschiebende Wirkung hat. Nur wenn ausnahmsweise aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Einzelfall die Vollziehung ausgesetzt ist, ist die Entscheidung über den Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren – also die abschließende gerichtliche Entscheidung darüber, ob die Überstellung in Zukunft erfolgen wird – für den Fristbeginn maßgeblich.
15Hiervon ausgehend kann auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht dazu führen, dass die Überstellungsfrist erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
16So aber VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. April 2014 - 2 L 55/14.A -, juris, Rn. 21; VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 - 2 B 887/13 -, juris, Rn. 7 ff.; VG Hamburg, Beschluss vom 4. Juni 2014 - 10 AE 2414/14 -, juris, Rn. 20 ff.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
17Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Dadurch wird, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, der nach der obigen Auslegung allein die Klage ist. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO steht die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes der Durchführung der Überstellung nicht entgegen, es sei denn, der Rechtsbehelf hat aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen im Einzelfall aufschiebende Wirkung. Verankert ist damit zum einen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, zum anderen das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist, wonach die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat der Asylantragstellung übergeht, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Im öffentlichen Interesse soll eine zeitnahe Überstellung erfolgen, im Interesse des Asylbewerbers sein Antrag in angemessener Zeit geprüft werden.
18Dem Einwand der Beklagten, es stünden dann aber in Deutschland aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung, eine Schlechterstellung als Folge eines zugunsten der Antragsteller geschaffenen gesetzlichen Abschiebungshindernisses sei aber unzulässig, ist nicht zu folgen. Die bloße Hemmung der Vollziehung hindert die zuständige Ausländerbehörde schon nicht, bis zur Entscheidung über den Eilantrag bereits mit der Vorbereitung der weiterhin zulässigen, nur noch nicht durchführbaren Überstellung zu beginnen.
19So auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -, juris, Rn. 26.
20Abgesehen davon beruht die von der Beklagten bemängelte Verkürzung des sechsmonatigen Zeitraums um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 der Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 – und damit auch für eine Vielzahl von Altfällen noch nicht – anwendbar.
21Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis auf abweichende Entscheidungen einzelner erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte wird angesichts des Vorstehenden kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.
23Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2014 - A 4 K 1410/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Be klagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterle gung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils voll streckbaren Be trages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Voll streckung Si cherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu voll streckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 15. November 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 4. Dezember 2012 die Anerkennung als Asylberechtigter.
3Er hatt
t
e
nach eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 23. April 2013 und ausweislich der Abfrage des Bundesam tes in der Eurodac-Datenbank bereits am 13. Mai 2012 in Belgien Asyl beantragt; der An trag ist
war
abgelehnt worden.
Das Bundesamt richtete am 26. November 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Belgien. Die belgischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 3. Dezember 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe e Dublin II-VO.
5Mit Bescheid vom 30. Januar 2014, dem Kläger zugestellt am 5. Februar 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Belgien an.
6Am 18. Februar 2014 hat der Kläger Klage erhoben.
7Er ist der Ansicht, dass eine unangemessen lange Verfahrensdauer vorliege, da seit der Antragstellung am 4. Dezember 2012 und der Stellung des Übernahmeersuchens am 26. November 2013 knapp 12 Monate verstrichen seien.
8Ursprünglich hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 30. Januar 2014 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerken nen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen.
9Nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts,
beantragt er nunmehr,
den Bescheid des Bundesamtes vom 30. Januar 2014 aufzuheben.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung bezieht sie
sichdie Beklagte
auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes.
Die Beteiligten haben übereinstimmend am 22. Juli und 7. August 2014 auf mündliche Ver handlung verzichtet (Bl. 37 und Bl. 39 d. Gerichtsakte).
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Ge richtsakte sowie der beigezogenen VerwaltungsvorgängeBezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Die Kammer konnte gemäß § 101 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) über die Klage ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierauf ver zichtet haben.
18Der Kläger konnte sein ursprüngliches Verpflichtungsbegehren zu einer Anfechtungsklage umstellen, ohne dass es auf die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 91 VwGO ankommt. Es handelt sich um eine nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige Beschränkung des Klageantrags.
19Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 91, Rn. 9.
20Die Klage ist zulässig (vgl. unter I.) und begründet (vgl. unter II.).
21I. Statthafte Klageart ist allein die Anfechtungsklage gemäß § 42 Absatz 1, 1. Variante VwGO. Der Erhebung einer vorrangigen Verpflichtungsklage bedarf es nicht.
22Der Kläger begehrt die Aufhebung des ihn belastenden Bescheides vom 30. Januar 2014, in welchem die Beklagte seinen Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abge lehnt hat. Gegen eine solche Unzulässigkeitsentscheidung ist ein isoliertes Aufhebungs begehren statthaft. Die Entscheidungen nach § 27a und § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG stellen Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) dar, deren isolierte Aufhebung – anders als in sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegeh rens – ausnahmsweise zulässig ist, weil schon ihre Beseitigung grundsätzlich zur formel len und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages und damit zu dem erstrebten Rechtschutzziel führt. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des Bescheides bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen, §§ 31, 24 AsylVfG. Das Bundes amt hat sich in den Fällen des § 27a AsylVfG lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorgelagerten – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvor schriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zustän dig ist; eine Prüfung des Asylbegehrens ist in der Sache nicht erfolgt. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegeh rens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
23Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. März 2014 ‑
–
1
A
21/12.A
–, juris, Rn. 28 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2.
Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris, Rn. 21 f.; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, Urteil vom 26. April 2013 – 17 K 1777/12.A –, juris, Rn. 14 und Urteil vom 15. Januar 2010, – 11 K 8136/09.A –, S. 4; VG Köln, Urteil vom 27. Mai 2014 – 2 K 2273/13.A –, juris, Rn. 14; VG München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 19; VG Hamburg, Urteil vom 15.
März 2012, – 10 A 227/11 –, juris, Rn. 16; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 2. Februar 2012 – A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 2; VG Weimar, Urteil vom 23. November 2011 – 5 K 20196/10 –, juris, S. 5; VG Trier, Urteil vom 18. Mai 2011, –
5 K 198/11.TR–
, juris, Rn. 16; VG Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010, – A 4 K 4052/08 –, S. 4; VG Ansbach, Urteil vom 16. September 2009 – AN 11 K 09.30200 –, juris, Rn. 22; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 101. Erg.lieferg. Juni 2014, § 27a Rn.
21, § 34a Rn. 64 f.
Eine Verpflichtungsklage, die unmittelbar auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG oder aber – hilfsweise – die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG und die Feststellung von Abschie bungsverboten nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gerichtet ist, scheidet ebenso aus. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundes amt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet.
25Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 ff. = juris, Rn. 10.
26Zwar ist bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig die dem Rechtsschutz begehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart mit der Konsequenz, dass das Gericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15.
28Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz kann jedoch auf behördliche Entschei dungen, die – wie hier – auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwen dung finden. Denn im Falle einer fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als un zulässig mangels Zuständigkeit ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde noch gar nicht geprüft worden. Wäre nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruch reif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verlo ren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Absatz 1 Satz 3 AsylVfG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Absatz 2 AsylVfG in Verbindung mit § 87b Absatz 3 VwGO vorgesehen ist. Im Übrigen führte ein Durchentscheiden des Gerichts im Ergeb nis dazu, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, son dern anstelle der Behörde selbst entschiede, was im Hinblick auf den Grundsatz der Ge waltenteilung aus Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz (GG) zumindest bedenklich wäre.
29VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, Urteil vom 26. April 2013 ‑
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17
K
1777/12.A –, juris, Rn. 18 und Urteil vom 19. März 2013 – 6 K 2643/12.A –, juris, Rn. 16; VG München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 17 f.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2014 – 10 A 1242/12 –, juris, Rn. 19; VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 20; VG Hannover, Urteil vom 7. November 2013 – 2 A 4696/12 –, juris, Rn. 20; VG Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – 10 A 581/13 –, juris, Rn. 18; VG Gießen, Urteil vom 24. Januar 2013 – 6 K 1329/12.GI.A –, juris, Rn. 16 f.; VG Stuttgart, Urteil vom 20. September 2012 – A 11 K 2519/12 –, juris, Rn. 15; VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012, 10 A 227/11, juris, Rn. 16; VG Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010, A 4 K 4052/08, S 5; vgl. zum vergleichbaren Fall der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn.
15 ff.
Überdies würden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen, wenn eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung und damit zum „Durchentscheiden“ bestünde. Ge langt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergeb nis, das Begehren sei gemäß §§ 29a, 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtli chen Kontrolle und ggf. eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Klägers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach gerichtlicher Prüfung als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Absatz 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgespro chen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was im Widerspruch zu dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes stünde.
31VG München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 16.
32Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangenen Beschei des ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte weiterzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache zu prüfen.
33II. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 30. Januar 2014 ist zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Absatz 1 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
34Anders als von der Beklagten angenommen ist nicht Belgien, sondern (inzwischen) die Beklagte zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Eu ropäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
35Eine Zuständigkeit Belgiens besteht indes nicht (mehr). Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO). Diese findet auf den Asylantrag des Antragstellers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – bzw. in Eilverfahren auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO) bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Denn gemäß Arti kel 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO anwendbar für Asylan träge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Anderes gilt allenfalls im Falle von Ge suchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Artikel 49 Absatz 2 Satz 1 Dublin III-VO).
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7.13 –, juris, Rn. 27, sowie bereits VG Düsseldorf, Be schluss vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A –, juris Rn. 13 = NRWE.
37Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Das Übernahmeersuchen wurde am 26. November 2013 an Belgien gestellt. Der Überstellung an Belgien und damit seiner Zuständigkeit für die Durchführung des Asyl verfahrens steht entgegen, dass seit der Stellung des Asylantrags am 4. Dezember 2012 bis zur Stellung des Übernahmeersuchens an Belgien am 26. November 2013 knapp zwölf Monate vergangen sind. Fristvorgaben enthält die Dublin II-VO insoweit zwar allein für Aufnahmeersuchen (Artikel 17 Absatz 1 Dublin II-VO), also Ersuchen, die darauf gerichtet sind, dass der erstmalige Asylantrag von einem anderen Mitgliedstaat geprüft werde. Wird nach der Stellung eines Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat – vorliegend ausweislich des Eurodac-Treffers der Kategorie 1 und der eige nen Angaben des Antragstellers in der Anhörung beim Bundesamt am 23. April 2013 in Belgien – ein weiterer Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt und ersucht die Beklagte daraufhin den Staat der ersten Asylantragstellung um Übernahme des Asyl bewerbers, handelt es sich um ein Wiederaufnahmeersuchen nach Artikel 20 Dublin II-VO, das nicht der Fristregelung des Artikel 17 Dublin II-VO unterfällt.
38Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 3. April 2014 – 13 L 390/14.A –, juris, Rn. 13 und vom 6. Februar 2013 – 17 L 150/13.A –, juris Rn. 40; VG Regensburg, Beschluss vom 5. Juli 2013 – RN 5 S 13.30273 –, juris Rn. 24; VG Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2013 – 33 L 403.13 A –, juris Rn. 8.
39Es liegt aber ein Fall vor, in dem es zum Schutz der Grundrechte des Klägers aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Beklagten verwehrt ist, sich auf die Zu ständigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Euro päischen Gerichtshofs hat der an sich nach der Dublin II-VO unzuständige Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständi gen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO selbst prüfen.
40Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 108.
41Diese Vorgabe ist nach Auffassung des Gerichts auch bei Wiederaufnahmeersuchen nach Artikel 20 Dublin II-VO zu beachten, auch wenn sich der Europäische Gerichtshof im konkreten Verfahren allein auf ein Aufnahmeersuchen nach Erstantragstellung im unzuständigen Mitgliedstaat bezog. Denn die grundrechtliche Belastung, welche durch die unangemessen lange Verfahrensdauer entsteht, dürfte in beiden Fällen vergleichbar sein.
42Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 3. April 2014 – 13 L 390/14.A –, juris, Rn. 17 und vom 24.
Februar 2014 – 13 L 2685/13.A – juris und www.nrwe.de; VG Göttingen, Beschluss vom 11.
Oktober 2013 – 2 B 806/13 –, juris Rn. 10; A. A. VG Berlin, Beschluss vom 24. Oktober 2013 ‑
–
33
L 450.13 A –, juris Rn. 8.
Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäischen Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Artikel 17 Dublin II-VO für Aufnahmeersuchen und nunmehr auch Artikel 23 Absatz 2 Dublin III-VO für Wie deraufnahmeersuchen eine regelmäßige Frist von zwei bzw. drei Monaten vorsieht. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleichgesetzt werden mit der vom Europäischen Gerichts hof angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unange messen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Absatz 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeit raums, der der regelmäßigen Frist des Artikel 17 Dublin II-VO von drei Monaten zuzüglich der durch § 24 Absatz 4 AsylVfG für die innerstaatlich für die Entscheidung über den Asyl antrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von neun Mo naten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann.
44Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 2014 – 13 L 390/14.A –, juris, Rn. 19 sowie i. E. Urteil vom 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, S. 8 des Urteilsabdrucks, n. v.
45Hier sind zwischen der Stellung des Asylantrags und der Stellung des Übernahmeersuchens durch die Beklagte knapp zwölf Monate vergangen. Es sind auch keine Um stände erkennbar, die diese ungewöhnlich lange, nach der zitierten Rechtsprechung des Europäi schen Gerichtshofs die Grundrechte des Klägers verletzende Verfahrens dauer im Einzel fall rechtfertigen könnte. Die Beklagte ist daher verpflichtet, nach den Modalitäten des Arti kel 3 Absatz 2 Dublin II-VO den Asylantrag des Klägers selbst zu prüfen.
46Dem Kläger ist es auch nicht verwehrt sich hierauf zu berufen. Dahingestellt bleiben kann, ob und wann sich ein Asylbewerber auf die Nichtbeachtung der in der Dublin II-VO bzw. Dublin III-VO geregelten Fristen (vgl. Artikel 17 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Dublin II-VO) berufen kann.
47Vgl. zu dieser Problematik den Nachtrag des Vorsitzenden Richters am BVerwG, Prof. Dr. Uwe Berlit, zum Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.
/
14 –, juris.
Jedenfalls besteht bei einer unangemessen langen Verfahrensdauer nach der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH einunmittelbar aus den Grundrechten abzuleitendes subjekti ves Recht des Asylbewerbersauf Durchführung des Asylverfahrens in dem Mitgliedstaat, welcher die Verzögerung zu verantworten hat . Auch unter Berücksichtigung von Artikel 18 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) und den der Dublin II-VO vorangestellten Erwägungen 4 und 15 kann nicht jegliche Außerachtlassung der Oblie genheit, ein Übernahmeersuchen in angemessener Zeit nach Asylantragstellung an den für zuständig erachteten Mitgliedstaat zu richten, konsequenzlos bleiben.
49VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. April 2014 – 17 L 429/14.A –, juris, Rn. 30 m.w.N.
50Das BVerwG führt in der zitierten Entscheidung,
51Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7
52a us, dass der Asylbewerber nach der Zustimmung zur Aufnahme durch den aufnehmen den Mitgliedstaat der auf Art ikel 10 Dublin II-VO gegründeten Zuständigkeit (Zuständigkeit wegen illegalen Grenzübertritts) n ur entgegenhalten kann, dass in dem übernehmenden Staat systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen bestehen. Hierbei geht es aber nur um Abwehrrechte gegen die Überstellung in den konkreten Staat. Die Frage einer grundrechtsrelevanten unangemessenen Verfahrensdauer war dort nicht Gegenstand des Verfahrens und ist konsequenterweise vom BVerwG von vornherein nicht beantwortet worden.
53Ein anderes Verständnisstünde auch der Rechtsprechung des EuGH entgegen, von der sich das BVerwG nicht abgegrenzt hat . Danach hat
54„der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, […] jedoch darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt wer den, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zustän digen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Artikels 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 343/2003 selbst prüfen“
55EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 98 und 108.
56Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der neueren Rechtsprechung des EuGH,
57vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris,
58auf die sich das BVerwG in seiner Entscheidung vom 19. März 2014 indes ausdrücklich stützt.
59Vgl. BVerwG, Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6/14 –, juris, Rn. 7.
60Mit der Problematik einer unangemessenen Verfahrensdauer setzt sich der EuGH in die ser Entscheidung nicht auseinander. Zwar heißt es in den Entscheidungsgründen, dass Artikel 19 Absatz 2 Dublin II-VO dahin auszulegen sei, dass in einem Fall, in dem ein Mit gliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Unionsgebiet, der Asylbewerber der Heranzie hung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten könne, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der EU-GR-Charta ausgesetzt zu werden.
61EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
62Indes ist diese Antwort in den Kontext des von dem vorlegenden Gericht zu entscheiden den Ausgangsverfahrens und der damit einhergehenden Vorlagenfrage zu setzen. Das von dem vorlegenden Gericht, dem österreichischen Asylgerichtshof, zu entscheidende Ausgangsverfahren betraf – vereinfacht dargestellt – die Situation, dass die Asylbewerbe rin, nachdem Ungarn einer Überstellung zugestimmt und das österreichische Bundesasyl amt daher ihren Asylantrag als unzulässig abgelehnt hatte, erstmals vorgetragen hat, dass nicht Ungarn sondern Griechenland der zuständige Mitgliedstaat sei. Dementsprechend hatte der vorlegende Asylgerichtshof im Ergebnis allein die Frage zu entscheiden, ob sich die Antragstellerin, nachdem Ungarn der Aufnahme der Asylbewerberin zugestimmt hat, noch darauf berufen konnte, dass die Voraussetzungen des Artikel 10 Absatz 1 Dublin II-VO im Hinblick auf den aufnahmebereiten Staat gar nicht erfüllt seien. Die vorliegend zu entscheidende Frage, ob eine unangemessen lange Verfahrensdauer ein subjektives Recht des Asylbewerbers begründet, lag dem Vorlageverfahren danach nicht zu Grunde. Insoweit ist auch nicht erkennbar, dass der EuGH diese Konstellation mitentscheiden und insofern von seiner vorherigen Rechtsprechung abweichen wollte. Dies schon deshalb nicht, weil es bei der Frage nach einer unangemessenen Verfahrensdauer nicht darum geht, welcher (andere) Mitgliedstaat nach der Dublin- Verordnung für die Prüfung eines Asylbegehrens zuständig ist. Es geht vielmehr um die Problematik, dass ein Mitgliedstaat bei einer unangemessen langen Verfahrensdauer zum Schutz der Grundrechte des Asyl bewerbers von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen muss. Der Asylbewerber macht mit anderen Worten nicht geltend, dass ein anderer Mitgliedstaat zuständig (gewor den) ist, sondern dass sich ein Mitgliedstaat infolge einer unangemessenen Verfahrens dauer nicht mehr auf die Zuständigkeitsregeln berufen kann und selbst über das Asylbegeh ren zu befinden hat.
63Vgl. auch VG Cottbus, Beschluss vom 24. Juli 2014 – 1 L 174/14.A –, juris, Rn. 21; VG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, juris, Rn. 39 ff.; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 –, juris, Rn. 22; VG Münster, Beschluss vom 25. Juni 2014 – 9 L 465/14.A –, juris, Rn. 12 ff. m.w.N.
64Liegen die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG demnach nicht vor, ist die auf § 34a Ab satz 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung ebenfalls rechtswidrig.
65Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegen stands wert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
66Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.
(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.
(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.