Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 18. Juli 2018 - AN 1 K 15.30199

bei uns veröffentlicht am18.07.2018

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für ... vom 11. Februar 2015, Az. …, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Bezüglich der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zunächst Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am … 1972 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 2. Mai 1997 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 15. Mai 1997 seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Der Antrag wurde vom Bundesamt für ... (Bundesamt) mit Bescheid vom 21. August 1997 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 1999 wurde der Bescheid des Bundesamtes aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Daraufhin wurde der Kläger mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 als Asylberechtigter anerkannt, und es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in Bezug auf die Türkei vorliegen.

Mit Schreiben vom 24. September 2014 bat die Ausländerbehörde der Stadt … das Bundesamt um Prüfung, ob ein Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter möglich sei. Die Stadt … beabsichtige, den Kläger auszuweisen und würde den Aufenthalt auch tatsächlich beenden wollen, weil der Kläger zuletzt wegen Raubes mit gefährlicher Körperverletzung sowie Diebstahl in 12 Fällen, davon 2 Fälle zugleich mit einer vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 11 Monaten verurteilt worden war.

Mit Verfügung vom 28. November 2014 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren hinsichtlich des Klägers ein. 17 Jahre nach der Ausreise sei nicht mehr von einem Interesse türkischer Sicherheitskräfte an der Person des Klägers im Zusammenhang mit den damaligen Aktivitäten auszugehen. Mit Schreiben des Bundesamtes vom gleichen Tag wurde dem Kläger der beabsichtigte Widerruf mitgeteilt und ihm gemäß § 73 Abs. 4 AsylVfG Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats gegeben.

Mit Schreiben vom 10. Dezember 2014 zeigte sich der ehemalige Bevollmächtigte des Klägers an und bat um Akteneinsicht und Fristverlängerung. Mit Schreiben vom 9. Februar 2015 teilte er mit, dass das Mandat beendet sei und er keine Stellungnahme für seinen Mandanten abgebe.

Mit Schreiben vom 10. Februar 2015 äußerte sich der Kläger persönlich. Er werde in der Türkei immer noch politisch verfolgt. Teile seiner Familie lebten noch in der Türkei, deshalb wisse er über Verwandte, dass türkische Sicherheitskräfte Interesse an ihm hätten. Bei einer Rückkehr in die Türkei würde ihm Haft und Folter drohen. Dass es ihm in 17 Jahren nicht gelungen sei, sich in Deutschland zu integrieren, liege vor allem daran, dass er schnell drogenabhängig geworden sei und ihn deshalb trotz aller Bemühungen die wirtschaftliche Integration nicht gelungen sei. Auch der familiäre Anschluss zu seinen in Deutschland lebenden Angehörigen sei dadurch nicht mehr möglich gewesen, weil er seine Verwandten mit ihren kleinen Kindern nicht mit seinem süchtigen Leben belasten oder gefährden wollte. Die begangenen Straftaten seien meistens Beschaffungskriminalität gewesen und mit Geld oder Haftstrafen zwischen 2 Monaten und maximal 2 Jahren geahndet worden. Nunmehr befinde er sich im Bezirksklinikum und absolviere eine Therapie. Er sehe das erste Mal eine echte Chance, seine Sucht in den Griff zu bekommen und wieder ein anständiges Leben führen zu können. Deshalb bitte er darum, von einem Widerruf abzusehen.

Mit Bescheid vom 11. Februar 2015, gegen Zustellungsurkunde am 14. Februar 2015 dem Kläger zugestellt, widerrief das Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigter und die mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen. Die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus wurden nicht zuerkannt und es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen.

Mit Schreiben vom 26. Februar 2015 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach, ohne einen Antrag zu stellen.

Das Bundesamt beantragte mit Schriftsatz vom 3. März 2015, die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom 4. August 2015 zeigte sich der nunmehrige Bevollmächtigte des Klägers an. Nach Akteneinsicht begründete er die Klage mit Schriftsatz vom 20. August 2015. Der Kläger genieße weiterhin Schutz vor politischer Verfolgung in Deutschland, weil er in der Türkei vor politischer Verfolgung nicht sicher sei. Die türkische Regierung versuche in drastischer Weise, kurdische Bestrebungen nach Autonomie zu zerschlagen. Es dürfte ausgeschlossen sein, dass der Kläger in sein Heimatland reisen könne, ohne unmittelbar von den türkischen Sicherheitskräften befragt und gefoltert zu werden. In Hinblick auf die derzeitige Lage in der Türkei werde angeregt, den Bescheid zurückzunehmen, da nach Erlass des Bescheides die neuerliche Welle der Kurdenverfolgung erfolgt sei. Darüber hinaus werde darauf hingewiesen, dass bereits im Jahr 2005 geprüft worden sei, ob ein Widerruf oder einer Rücknahme vorläge. Nachdem bereits einmal entschieden worden sei, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nicht vorliegen, sei dies aufgrund der heutigen Lage nicht anders. Selbst wenn sie vorlägen, wäre lediglich ein Widerruf nach Ermessen möglich. Hier sei zu sehen, dass der Kläger seit über 10 Jahren in Deutschland lebe und hier eine Drogentherapie im Bezirksklinikum absolviere, die wohl erfolgreich verlaufe.

Mit Schriftsatz vom 27. August 2015 teilte die Beklagte mit, dass bestimmte aktuelle Vorkommnisse im Zusammenhang mit militärischem Vorgehen nicht verharmlost werden sollen, jedoch könne gewiss nicht in dieser Pauschalität von einer „Welle neuerlicher Kurdenverfolgung“ gesprochen werden.

In der mündlichen Verhandlung am 4. November 2015 trug der Kläger vor, dass er sich 1999 politisch betätigt habe. Ihm sei vorgeworfen worden, in … mit Gewalt Geld für die PKK gesammelt zu haben. Deswegen sei er auch neun Monate in der JVA … in Untersuchungshaft gewesen, in zwei mündlichen Verhandlungen jedoch freigesprochen worden. Im Anschluss habe er seine Aktivitäten eingestellt. Es sei von der Polizei auch beobachtet worden, wenn er den … Kulturverein in … besucht habe, sodass ihm der Verein schließlich verboten habe, das Kulturzentrum weiterhin zu besuchen.

Der Klägerbevollmächtigte übergab ein Schreiben des Bezirkskrankenhauses vom 29. Oktober 2015 zum bisherigen Therapieverlauf des Klägers.

Nachdem die mündliche Verhandlung durch Beschluss zur weiteren Sachverhaltsaufklärung vertagt worden war, wurde versucht, Belege zu der exilpolitischen Tätigkeit des Klägers aufzufinden. Aufgrund des Ablaufs der Aufbewahrungsfristen konnte jedoch nur noch in Erfahrung gebracht werden, dass ein Strafverfahren vor dem Landgericht … wegen „gefährlicher Körperverletzung u.a.“ gegen vier Angeklagte, unter anderem den Kläger, gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist und die Haftbefehle des Amtsgerichts … bezüglich alle Angeklagten aufgehoben worden sind.

Mit Schriftsatz vom 4. Januar 2016 übermittelte der Klägervertreter eine Einlassung des Klägers vom 16. Dezember 2015 zu dem Strafverfahren wegen Körperverletzung. Danach habe der Kläger in dieser Zeit in … gelebt und dort eine kurdische Kulturvereinigung besucht. In erster Linie sei es ihm darum gegangen, mit Landsleuten Kontakt zu haben. Kurze Zeit vor seiner Festnahme im Sommer 1997 sei er mit einem anderen Besucher in Konflikt geraten. Dieser habe ihn bei der Polizei angezeigt und ihm vorgeworfen, der Kläger hätte von dem Anzeigeerstatter Geld erpresst und ihn verprügelt, was jedoch nicht richtig gewesen sei. Infolgedessen sei er einige Zeit beobachtet und, da er häufiger in den Räumen dieser kurdischen Vereinigung gewesen sei, auf offener Straße von einem … überwältigt und festgenommen worden. Anschließend sei er neun Monate in der JVA … in U-Haft/Einzelhaft gesessen, ohne bis zur Anklageschrift zu wissen, warum und was auf ihn zukommen würde. Er habe auch keine Besuchserlaubnis gehabt. Einmal hätten ihn zwei Männer, die sich als Vertreter des türkischen Generalkonsulats vorgestellt hätten, besucht. Da er diesen Besuch nicht gewollt habe, habe er sofort gegen die Stahltür geklopft, um wieder in seine Zelle gebracht zu werden. Trotz eines weiteren Versuchs der beiden Männer, mit ihm zu sprechen, habe er dies nicht getan. Erst bei der Gerichtsverhandlung habe sich herausgestellt, dass der Besucher der kurdischen Kulturvereinigung, der ihn angezeigt habe, kein Kurde gewesen sei, sondern vielmehr ein Beamter der türkischen Behörden, dessen Ziel es gewesen sei, eine möglichst hohe Haftstrafe für den Kläger in Deutschland zu erreichen, damit er abgeschoben werden würde und in der Türkei festgenommen werden könne. Dieser habe vor Gericht ausgesagt, dass er dem Kläger aus der Türkei gefolgt sei, um ihn dorthin zurückzubringen. Diese Methode sei nach Wissen des Klägers üblich. Er habe von mehreren kurdischen Landsleuten gehört, denen es genauso ergangen sei bzw. noch heute ergehe. Nach der neunmonatigen Einzelhaft sei er heroinabhängig geworden.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2016 übersandte der Bevollmächtigte des Klägers ein Schreiben des Bezirksklinikums … vom 12. Januar 2016, wonach der Kläger Fragen seines Bevollmächtigten wie folgt beantworten könne:

1. „Der kurdische Verein nennt sich … Kulturverein - … Diesen Verein gibt es auch in jeder anderen größeren Stadt in Deutschland.

2. Zu den Mitgliedern ist zu sagen, dass wohl alle falsche bzw. Decknamen hatten. Der Vorsitzende bzw. verdeckte Anführer nannte sich …, andere …, … und …, alles kurdische Namen.

3. Aktiv war Herr … in der Form, dass er kurdische Zeitschriften verteilt hat. Eine nennt sich „…“, sie ist wohl noch heute verboten wegen ihrer Direktberichterstattung aus den Camps der PKK, die andere, siehe beiliegende Kopie ist mittlerweile in Deutschland zugelassen und kann abonniert werden. Außerdem hat Herr* … verbotener Weise Plakate aufgehängt, die an Opfer erinnerten oder zu Demonstrationen aufriefen. Auch sammelte er Spendengelder, ging dabei von Haus zu Haus. Es habe sich dabei tatsächlich um freiwillige Spenden gehalten. An Demonstrationen in ganz Europa nahm er auch teil und verteilte die Bustickets, da von dem Verein die Fahrten organisiert wurden.

4. Als Zeugen kann Herr … die drei Personen nennen, die damals mit ihm festgenommen wurden und gegen Kaution wieder auf Freien Fuß gesetzt wurden. Ihre Namen sind … … …, … … und … … … Sie sind in dem Auszug der Staatsanwaltschaft … benannt.

Mit freundlichen Grüßen

Dipl. Sozialpädagogin (FH)“

Der Klägerbevollmächtigte stellte klar, dass es nicht zu verantworten sei, den Kläger als früheren Aktivisten, der in seinem Heimatland gefoltert worden sei, bei der derzeitigen politischen Situation und der Hetze auf Kurden in der Türkei auf dortige Sicherheit vor Verfolgung zu verweisen.

Des Weiteren bat der Klägervertreter mit Schreiben vom 9. September 2016 unter Bezugnahme auf die derzeitigen Entwicklungen in der Türkei und die hohen Hürden, die in den Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 AsylG geschaffen seien, anzufragen, ob seitens der Beklagten noch an dem Bescheid festgehalten werden solle. Bei einer Prüfung eines Erlöschensgrundes habe der Mitgliedstaat zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sei, sodass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden könne. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU regle im Übrigen die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat in jedem Einzelfall nachweise, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling sei. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Entwicklungen in der Türkei, insbesondere des erheblichen Verfolgungsdrucks gegen Kurden und insbesondere auch nach dem gescheiterten Militärputsch erscheine die Verfolgungsgefahr für den Kläger eher gestiegen zu sein, als dass sie sich verringert hätte.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2016 bat das Gericht unter Schilderung des zugrundeliegenden Sachverhalts das Auswärtige Amt um die Beantwortung folgender Fragen:

1. „Findet das Amnestiegesetz 4616 nach wie vor Anwendung?

2. Ist für den Fall einer Rückkehr des Klägers in die Türkei mit einer Strafverfolgung wegen der damaligen Aktivitäten für die PKK/HADEP zu rechnen?

3. Ist unabhängig von einer möglichen Strafverfolgung vor dem aktuellen politischen Hintergrund und der ungewissen Auskunftslage in der Türkei damit zu rechnen, dass der Kläger mit Maßnahmen durch Sicherheitsbehörden oder durch Strafverfolgung unterzogen wird, beispielsweise wegen seiner im Jahr 1999 erfolgten Asylanerkennung oder durch die Straffälligkeit in Deutschland?

4. Liegen dem Auswärtigen Amt Erkenntnisse darüber vor, dass es seit der Verhängung des Ausnahmezustands zu Fällen von Folter oder Misshandlungen durch staatliche Organe gekommen ist?“

Das Auswärtige Amt beantwortete die Anfrage mit Schreiben vom 4. April 2017 wie folgt:

„Zu Frage 1:

Das sogenannt Amnestiegesetz Nr. 4616 vom 21.12.2000 (gleich Gesetz über die bedingte Aussetzung der Strafen zur Bewährung und Aussetzung der Strafverfolgung) findet nach wie vor Anwendung für Straftaten, die vor dem 23.4.1999 begangen wurden.

Zu Frage 2:

Die Beantwortung von Fragen, die eine konkret auf den Kläger bezogene Gefährdungsprognose erfordern, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amtes. Dem Auswärtigen Amt obliegt im Rahmen der Amtshilfe lediglich die Mitarbeit an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes sowie die Darstellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Tatsachen und Ereignisse in den Herkunftsländern von Asylbewerbern. Die nachfolgende asyl- und ausländerrechtliche Würdigung kommt allein den deutschen Gerichten und Innenbehörden zu.

Hinsichtlich der Strafverfolgung ist bereits Verjährung eingetreten.

Zu Frage 3:

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Dies insbesondere, wenn wie im Fall des Klägers Verfolgungsverjährung hinsichtlich der geltend gemachten strafbaren Handlungen in den 90er Jahren eingetreten ist. Die Verjährungsfristen differieren je nach Straftat, die maximale Verjährungsfrist beträgt jedoch 15 Jahre.

Es ist dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt geworden, dass Verurteilungen wegen Straftaten im Ausland, die auf kriminellen Delikten beruhen, bei Rückkehr in die Türkei - neuerliche - Sanktionen der Heimatbehörden nach sich gezogen hätten.

Hinsichtlich der Einzelheiten zur Strafverfolgungssituation sowie der Situation für Rückkehrer wird auf die Ausführungen im Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017 Bezug genommen.

Zu Frage 4:

Im Zuge der Ermittlungen gegen Beteiligte an dem Putschversuch wurde von einigen NRO’s (u.a. amnesty international) Foltervorwürfe gegen die türkische Polizei und Justiz erhoben. Als gesichert kann gelten, dass es in den ersten Tagen nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 zu Übergriffen bei der Festnahme von Verdächtigen und auch gegen solche in Gewahrsam gab, gerade bei Personen, denen eine aktive Teilnahme vorgeworfen wurde (Piloten und Offiziere).

Es werden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Kläger, der sich seit dem Jahr 1997 im Ausland aufhält, bei der Einreise in die Türkei mit den Ereignissen vom 15.7.2016 sowie der juristischen Aufarbeitung des Putschversuches in Verbindung gebracht wird bzw. deswegen in eine Missliebigkeit bei den türkischen Behörden geraten sein könnte.“

Der Bevollmächtigte des Klägers bewertete mit Schriftsatz vom 30. Mai 2017 die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 4. April 2017 unter Berücksichtigung der täglichen Presseberichte als kritisch. Zutreffend erscheine zumindest, dass die Gefährdungsprognose nicht unter den Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amtes falle. Damit sei durch die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes jedenfalls keine Gefährdungsprognose tragfähig zu beurteilen. Vielmehr sei die Gefährdungsprognose auf Grund der täglichen schockierenden Berichte über die Missachtung der Menschenrechte gegenüber den kurdischen Minderheiten zum Leitbild der Beurteilung heranzuziehen. Die Frage 2 sei durch das Auswärtige Amt also nicht so beantwortet, dass es als Behörde derartige Prognosen abgeben könne. Darüber hinaus teile es für die Frage der Verjährung die der Beantwortung der Frage zu Grunde liegende Strafrechtsnormen nicht mit, so dass eine Überprüfung der Angaben nicht erfolgen könne. Hinsichtlich der Strafverfolgung sei die Verjährung eventuell je nach konkretem Vorwurf unterschiedlich zu bewerten. Es komme auf den konkreten Vorwurf und auf die Art der Verjährung an. Sei seitens der Behörde Vollstreckungsverjährung gemeint, was sich aus dem Satz allerdings nicht ergebe, müsste ein Urteil der Einschätzung zu Grunde liegen.

Bei der Beantwortung der Frage 3 sei zu sehen, dass rückkehrende türkische Staatsangehörige oft keinen Kontakt mit der Botschaft aufnähmen. Die Botschaft versäume es mitzuteilen, wie sie grundsätzlich von Misshandlungen Kenntnis erlange. Es sei davon auszugehen, dass die Deutsche Botschaft von den türkischen Behörden nicht über die Behandlung von rückkehrenden türkischen Staatsangehörigen unterrichtet werde. Auf Grund des derzeitigen Geistes der türkischen Gesellschaft müsse auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass auch die Presse nicht mehr über solche Vorfälle schreibe, weil dies zur Folge hätte, dass sie selbst von staatlichen Repressionen betroffen wäre. Bei Frage 4 bestätige das Auswärtige Amt Foltervorwürfe gegen Personen, meine jedoch, dass der Kläger nicht zum betroffenen Personenkreis gehöre. Das Gericht übersehe dabei, dass die Verfolgungsrelevanz nicht ansatzweise mathematisch nachvollziehbaren Regeln unterliege, sondern auf Grund des in der Türkei herrschenden innenpolitischen Ausnahmezustandes bei Verdacht der Zugehörigkeit zu einer politischen gesinnungsmäßigen Grundausrichtung oder Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, die ihrerseits im Verdacht stehe, den Staat teilen zu wollen, wie beispielsweise die Kurden aus dem Nordirak, nicht vorhersehbar sei. Beim Kläger sei zu berücksichtigen, dass er lange im Ausland gewesen sei und in der Bundesrepublik Deutschland politischen Verfolgungsschutz erfahren habe und insbesondere einer Bevölkerungsgruppe zuzuordnen sei, die im konkreten Verdacht stehe, die Türkei dadurch spalten zu wollen, dass ein eigener kurdischer Staat entstehe. Ferner sei zu sehen, dass der Kläger bereits 22 Jahre nicht mehr in der Türkei gewesen sei, dies deshalb, weil er Angst vor politischer Verfolgung habe. Der Kläger, der schließlich aus … stamme, stehe unter Anfangsverdacht politischer Extremität. Dieser Anfangsverdacht erhärte sich durch den langen Auslandsaufenthalt, die Gewährung von politischem Asyl in Deutschland und seine Verfolgung in seinem Heimatland zu einer konkreten Verfolgungswahrscheinlichkeit. Die Lage für den Kläger sei derzeit bei weitem kritischer zu beurteilen als vor fünf oder zehn Jahren. Gerade jetzt sei er im Hinblick auf seine Vita in extremen Maße von konkreter politischer Verfolgung in seinem Heimatland betroffen.

Indem das Auswärtige Amt die Volkszugehörigkeit des Klägers oder gar seine politische Betätigung und Beobachtung durch den türkischen Geheimdienst nicht erwähne, sage dies, dass der Bericht die wesentlichen Punkte nicht berücksichtige und keine Grundlage für die Annahme darstellen könne, dass der Kläger bei einer Rückkehr von politischer Verfolgung nicht betroffen wäre. Dabei sei zu sehen, dass es ja nicht um die Anerkennung als politisch Verfolgter gehe, sondern um den Widerruf einer Anerkennung auf Grund Vorverfolgung. Hierbei seien andere Maßstäbe anzuwenden. Besondere Bedeutung habe hierbei, dass bereits im Jahr 2005 geprüft worden sei, ob ein Widerruf oder eine Rücknahme des Bescheides in Betracht komme. Dies sei abgelehnt worden. Dieser Umstand führe nun dazu, dass ein Widerruf nur noch nach Ermessen möglich wäre, was unter Berücksichtigung der Lage in der Türkei, der Volkszugehörigkeit des Klägers, seiner extrem langen Auftragsgeschichte in Deutschland mit exilpolitischem Verhalten, seinem früheren asylpolitischen Vorbringen und der gerade erfolgreich geführten Drogentherapie nicht mehr ermessensfehlerfrei erfolgen könne.

Daher sei der Bescheid der Beklagten rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Er sei daher aufzuheben.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Bundesamtsakte und bezüglich des Verlaufs der mündlichen Verhandlungen auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 11. Februar 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

1. Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2a S. 5 AsylG für einen Widerruf der mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 ausgesprochenen Asylanerkennung und der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in Bezug auf die Türkei vorliegen, lagen zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vor.

Das Bundesamt ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylG nicht vorliegen Zwar ist der Kläger mit Urteil des Landgerichts … vom 07. Juli 2014 wegen Raubes mit gefährlicher Körperverletzung sowie Diebstahl in 12 Fällen, davon 2 Fälle zugleich mit einer vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 11 Monaten verurteilt worden. Dabei belief sich aber die höchste Einzelstrafe auf 2 Jahre und 6 Monate. Für die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 8 S. 1, 1. Alt. AsylG ist es jedoch bei einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe erforderlich, dass zumindest eine der Einzelstrafen eine wenigstens dreijährige Freiheitsstrafe ist (BeckOK AuslR/Koch, 18. Ed. 15.8.2016, AufenthG § 60 Rn. 54).

Auch hat das Bundesamt nicht nach § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen.

Im Übrigen würde es zur Verwirklichung des § 60 Abs. 8 S. 1, 1. Alt. AsylG an einer vom Kläger ausgehenden konkreten, ernsthaft drohenden Gefahr für Allgemeinheit fehlen. Die diesbezüglich anzustellende Prognose hat auch die zwischenzeitlich eingetretenen zu Gunsten des Ausländers sprechenden Umstände, wie eine Strafaussetzung auf Bewährung oder eine positive Sozialisation nach Vollzug einer Freiheitsstrafe zu berücksichtigen (BeckOK AuslR, a.a.O., AufenthG § 60 Rn. 5). Hierzu hat das Landgericht … im Urteil vom 07. Juli 2014 bzgl. des Klägers im Rahmen der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 64 S. 2 StPO gegeben sind, festgestellt, dass aufgrund der Taten der letzten Jahre mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass auch in Zukunft ein Hang des Klägers, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, dazu führen werde, dass dieser erhebliche rechtswidrige Straftaten begehe, dass aber bei dem Kläger eine hinreichend konkrete Aussicht bestünde, ihn durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgingen, da der Kläger ausreichend therapiemotiviert sei. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen fehlt es nach Auffassung der Kammer zum jetzigen Zeitpunkt an einer ernsthaft drohenden Gefahr für die Allgemeinheit.

2. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG (seinerzeit Feststellung der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigten oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Die Norm knüpft ihrem Wortlaut nach an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) an. Auf die nach altem Recht getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist sie entsprechend anzuwenden (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 16.11.2017 – 4 LB 30/14, juris Rn. 22).

Maßgebend für die Beurteilung, ob eine entscheidungserhebliche Änderung vorliegt, ist der Vergleich der dem Ausgangsbescheid zugrunde gelegten Tatsachenlage – unabhängig davon, ob diese den wahren Tatsachen entsprach – mit derjenigen zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung über den Widerruf (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 16.11.2017, a.a.O., Rn. 23 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 22.11.2011 – 10 C 29/10 –, juris Rn. 19).

Die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG sind unionsrechtskonform auszulegen, da der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, ABl EU Nr. L 304 vom 30.09.2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 05.08.2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt hat. Bei der Prüfung des Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedsstaat in jedem Einzelfall nachzuweisen hat, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Die unionsrechtlichen Vorgaben für ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG hat der EuGH weiter konkretisiert.

Eine erhebliche Veränderung der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben (EuGH, U.v. 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. -, NVwZ 2010, 505). Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Veränderungen im Heimatland sind nur dann hinreichend erheblich und dauerhaft, wenn sie dazu führen, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Die Prüfung einer derartigen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland ist untrennbar mit einer individuellen Verfolgungsprognose verbunden. Diese hat anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen (BVerwG, U.v. 1.3.2012, a.a.O. Rn. 11 f.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 –, juris Rn. 32; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 16.11.2017, a.a.O., Rn. 26 ff.; VGH Bad.-Württ. U.v. 27.08.2013, - A 12 S 561/13 -, juris; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 13.3.2017 – A 6 K 661/16, juris Rn. 21).

3. Hiervon ausgehend erweist sich der Bescheid des Bundesamtes vom 14. Februar 2015 als rechtswidrig.

a) Einem Widerruf würde dabei nicht bereits die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 1999, Az. A 3 K 14223/97, entgegenstehen. Die Rechtskraftwirkung eines Urteils endet, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich verändert - sog. zeitliche Grenze der Rechtskraft - (stRspr; vgl. BVerwG U.v 23.11.1999 - 9 C 16.99, BVerwGE 110, 111; U.v. 24.11.1998 - 9 C 53.97, BVerwGE 108, 30; U.v. 8.12.1992 - 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256; U.v. 4.6.1970 - 2 C 39.68, BVerwGE 35, 234; B.v. 18.3.1982 - 1 WB 41.81. BVerwGE 73, 348; U.v. 30.8.1962 - 1 C 161.58, BVerwGE 14, 359).

Zwar kann nicht jegliche nachträgliche Änderung der Verhältnisse die Rechtskraftwirkung eines Urteils entfallen lassen (BVerwG, B.v. 3.11.1993 - 4 NB 33.93, Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 66 = NVwZRR 1994, 236; vgl. auch Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn. 72). Gerade im Asylrecht liefe ansonsten die Rechtskraftwirkung nach § 121 VwGO weitgehend leer. Sofern es nämlich auf die allgemeinen politischen Verhältnisse im Heimatland des Asylbewerbers ankommt, sind diese naturgemäß ständigen Änderungen unterworfen. Eine Lösung der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil kann daher nur eintreten, wenn die nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage entscheidungserheblich ist (BVerwG, U.v. 18.9.2001, a.a.O.; U.v. 8.12.1992, a.a.O.; U.v. 23.11.1999, a.a.O.; B.v. 3.11.1993, a.a.O.; U.v. 4.6.1970, a.a.O.). Dies ist jedenfalls im Asylrecht dann der Fall, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist (VG Freiburg (Breisgau), U.v. 13.3.2017 a.a.O., juris Rn 22; VG Ansbach U.v. 10.3.2009 – AN 1 K 08.30328).

b) Allerdings fehlt es vorliegend an einer wesentlichen und dauerhaften Veränderung der Sachlage im Verhältnis zu den dem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zugrunde gelegten Tatsachen.

Dahinstehen kann, ob dem Kläger aufgrund seiner damaligen Aktivitäten für die PKK/HADEP bei einer Rückkehr in die Türkei eine Strafverfolgung droht, ob insoweit von einer Verjährung auszugehen ist bzw. ob das Amnestiegesetz 4616 vom 21. Dezember 2000 für vor dem 23. April 1999 begangene Straftaten noch Anwendung findet, da beachtlich wahrscheinlich davon auszugehen ist, dass der Kläger weiterhin wegen des Vorwurfs der Unterstützung der PKK/HADEP in den Computersystemen der Sicherheitsbehörden in der Türkei gespeichert ist.

Vermerke über strafrechtliche Vorwürfe bleiben bei den türkischen Behörden u.U. über mehrere Jahrzehnte bestehen. Kamil Taylan hatte im Jahr 2013 die Möglichkeit, während eines Interviews mit einem Verantwortlichen bei der Polizei in einer südöstlichen Provinz die Einträge zu seinem Namen im Computersystem der Sicherheitskräfte in Augenschein zu nehmen. Dort waren noch die Ermittlungsverfahren aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verzeichnet (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 5 – 6). Im Übrigen existiert keine Möglichkeit, Ermittlungen zu der Frage anzustellen, ob eine Registrierung mittlerweile beseitigt ist. Aufgrund eines Runderlasses des Innenministeriums vom 18. Dezember 2004 dürfen keine Suchvermerke mehr in das Personenstandsregister eingetragen werden. Sie kennzeichneten bis dahin Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen. Angaben türkischer Behörden zufolge wurden Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht. Somit besteht für das Auswärtige Amt keine Möglichkeit mehr, das Bestehen von Suchvermerken zu verifizieren, auch nicht über die bisher damit befassten Vertrauensanwälte (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 19. Februar 2017, S. 29).

Da demnach davon ausgegangen werden muss, dass der Kläger weiterhin in den Computersystemen erfasst ist, muss er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, bei der Einreise festgenommen zu werden.

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, 19. Februar 2017, S. 29 – 30; Auskunft vom 9. Mai 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 1). Die Sicherheitsbehörden haben über die bei ihnen installierten Terminals Zugriff auf sämtliche sicherheitsrelevanten Daten der einreisenden Person, insbesondere zu abgeschlossenen oder laufenden Ermittlungsverfahren. Ein türkischer Staatsangehöriger, der jahrzehntelang ohne einen gültigen türkischen Pass im Ausland gelebt hat, fällt den Grenzbeamten mit Sicherheit auf. Schon anhand seines Geburtsortes, …, wäre der Kläger in diesem Verfahren eindeutig als Kurde zu identifizieren. Eine Differenzierung zwischen PKK-Anhängern, Sympathisanten, Mitglieder und keiner Organisation zugehörigen kurdischen Bürgern wird in der Türkei schon lange nicht mehr gemacht (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 5, 7 f.). Es ist davon auszugehen, dass Personen, aus deren Papieren zu schließen ist, dass sie im Ausland um Asyl nachgesucht haben, besonders überprüft werden. Das kann eine Anfrage bei der Polizei des Heimatortes umfassen und kann bedeuten, dass diese Person vorübergehend festgenommen wird, bis die entsprechende Auskunft vorliegt (Amnesty International, Auskunft vom 27. Januar 2016 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 1). Nach Auskunft verschiedener Kontaktpersonen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe wurden die Einreisekontrollen nach dem Putschversuch für alle einreisenden Personen verschärft. Dies gelte auch für kurdische Personen. Es habe schon vor dem Putschversuch Kontrollen bei der Einreise gegeben. Allerdings würden die Behörden heute über mehr Listen mit Namen von gesuchten Personen verfügen. Auf diesen Listen seien Personen vermerkt, welche angebliche Verbindungen zur Gülen-Bewegung, zur PKK oder zu einer anderen aus Sicht der Behörden terroristischen Organisation hätten. Diese Personen würden weiteren Kontrollen unterzogen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der Länderanalyse vom 7. Juli 2017 zur Türkei, S. 1 – 2). Welche Folgen dies für den Kläger haben kann, zeigt etwa ein Vorfall im Februar 2015, als einige Personen bei der Einreise in die Türkei festgenommen wurden, weil sie von den Grenzkontrolleuren als PKK-Kämpfer identifiziert wurden (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 7). Eine mutmaßliche oder tatsächliche Unterstützung oder Verbindung zur PKK oder zu ähnlichen Gruppierungen kann zu einer Verhaftung durch den türkischen Staat führen. Verhaftungen erfolgen zum Teil willkürlich und Personen werden aufgrund fragwürdiger Indizien oder Geständnisse inhaftiert, als PKK-Mitglieder bezeichnet und angeklagt. In den Fokus geraten zudem auch Personen, die nur indirekt mit der PKK in Verbindung stehen. Behörden rufen zu Denunziationen von PKK-Sympathisierenden auf. Eine frühere Mitgliedschaft oder Aktivität in der PKK kann das Risiko einer erneuten Verhaftung erhöhen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei, Gefährdungsprofile, Update, 19. Mai 2017, S. 12 – 13).

Das Auswärtige Amt führt zwar aus, dass in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus Deutschland zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit seinen früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei, was auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer gelte. Diese Feststellung werde auch von türkischen Menschenrechtsorganisationen sowie von Auskünften anderer EU-Staaten und den USA geteilt (Lagebericht vom 19. Februar 2017, S. 29). Diese Einschätzung ist allerdings nur bedingt aussagekräftig, da sich den Angaben nicht entnehmen lässt, dass unter den Zurückgekehrten oder Abgeschobenen Personen waren, bei denen nach der bisherigen Erkenntnislage mit Übergriffen zu rechnen gewesen wäre (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 16.11.2017, a.a.O., Rn. 34 ff.; OVG Münster, U.v. 27.5.2016 – 9 A 653/11.A –, juris Rn. 136, OVG Lüneburg, U.v. 31.5.2016 – 11 LB 53/15 –, juris Rn. 39). Deshalb ist allgemein auf die Situation von Inhaftierten abzustellen, denen eine gegenwärtige oder frühere Verbindung zur PKK zugeschrieben wird. So beruft sich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 19. September 2017 (Az. 1 VR 7/17 –, juris Rn. 53 f) auf eine Auskunft von Amnesty International vom 29. August 2017, wonach besonders häufig Personen, die der Unterstützung der PKK bezichtigt werden, sowie Personen, die der Beteiligung am Putschversuch im letzten Jahr beschuldigt werden, von Folter betroffen sein sollen.

Das Österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt aus: Menschenrechtsverbänden zufolge gibt es Hinweise, dass die Anwendung von Folter und Misshandlungen weiterhin stattfinden, insbesondere an Personen in Polizeigewahrsam, jedoch nicht am Ort der Verhaftung, sondern an anderen Orten, wo ein Nachweis schwieriger zu dokumentieren ist. Die Schwächung der Schutzmaßnahmen gegen den Missbrauch in der Haft nach der Verhängung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch wurde von zunehmenden Berichten über Folter und Misshandlungen in der Polizeigewalt begleitet, wie das Schlagen und Entkleiden von Inhaftierten, die Anwendung lang anhaltender Stresspositionen sowie die Androhung von Vergewaltigung. Betroffen von besagten Misshandlungen waren nicht nur Angehörige des Militärs und der Polizei, die im Zusammenhang mit dem Staatsstreich verhaftet wurden, sondern auch kurdische Gefangene im Südosten des Landes. Angehörige der Strafverfolgungsbehörden wenden die Notverordnungen nicht nur auf Personen an, die verdächtigt werden, sich am Putschversuch beteiligt zu haben, sondern auch auf Gefangene, die angeblich Verbindungen zu bewaffneten kurdischen oder linken Gruppierungen haben. Auch diesen Menschen wird jeder Schutz vor Folter und anderer unberechtigter Verfolgung entzogen. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Nils Melzer, berichtete Anfang Dezember 2016 von seinen Vorortbeobachtungen. Er und sein Team trafen auf zahlreiche Berichte über Folter und andere Formen von Misshandlungen von Insassen, die der Mitgliedschaft bei der PKK verdächtigt wurden. Die meisten Berichte zu Misshandlungen bezogen sich auf den Polizeigewahrsam und die dortigen Verhöre (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Türkei, 7. Februar 2017, S. 40 – 41; Lage der Kurden – insbesondere der Haftbedingungen, 9. Februar 2017, S. 2). In den Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe heißt es: Seit der erneuten Eskalation des Kurdenkonflikts Mitte 2015 und dem Putschversuch Mitte 2016 haben Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte stark zugenommen, darunter auch von Personen, die wegen angeblicher Verbindungen zur PKK beschuldigt wurden. Eine mutmaßliche oder tatsächliche Unterstützung oder Verbindung zur PKK oder zu ähnlichen Gruppierungen kann zu einer Verhaftung durch den türkischen Staat führen. Verhaftungen erfolgen zum Teil willkürlich und Personen werden aufgrund fragwürdiger Indizien oder Geständnisse inhaftiert, als PKK-Mitglieder bezeichnet und angeklagt. In den Fokus geraten zudem auch Personen, die nur indirekt mit der PKK in Verbindung stehen. Behörden rufen zu Denunziationen von PKK-Sympathisierenden auf. Wegen PKK-Verbindungen Verhaftete können keine fairen Verfahren erwarten und es besteht für sie ein erhebliches Risiko, in Haft misshandelt zu werden. Nach Angaben von verschiedenen Kontaktpersonen kann eine frühere Mitgliedschaft oder Aktivität in der PKK das Risiko einer erneuten Verhaftung erhöhen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei, Aktuelle Situation, Update, 19. Mai 2017, S. 13; Türkei, Gefährdungsprofile, Update, 19. Mai 2017, S. 12 – 13).

Die Einschätzung, dass eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung bei Personen bestehen kann, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie als potenzielle Unterstützer der PKK angesehen werden, deckt sich mit der jüngeren Rechtsprechung anderer Obergerichte (vgl. OVG Schleswig-Holstein, U.v. 16.11.2017, a.a.O.; OVG Lüneburg, U.v. 31.5.2016 – 11 LB 53/15 –, juris Rn. 37; OVG Bautzen, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557/13.A –, juris Rn. 34; VGH Mannheim, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 –, juris Rn. 31; OVG Münster, U.v. 2.7.2013 – 8 A 2632/06.A –, juris Rn. 104; zu allem vgl. OVG Scheswig, U.v. 16.11.2017, a.a.O., juris Rn. 30 ff.).

Der Kläger muss befürchten, im Gewahrsam der türkischen Sicherheitskräfte gefoltert oder misshandelt zu werden. Insoweit hat sich die zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Türkei bestehende Lage gegenüber der in der Entscheidung des VG Stuttgart vom 29. Oktober 1999 (Az. A 3 K 14223/97) zugrunde gelegten Situation, wonach der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise (1997) jederzeit eine politischen Verfolgung wegen seines Mitgliedschaft in der HADEP befürchten musste, nicht erheblich und dauerhaft geändert. Die auf den seit 1999 umgesetzten Reformprozess gestützte positive Prognose (VG Freiburg, U.v. 16.3.2017 a.a.O., juris Rn. 24 unter Verweis auf den VGH Mannheim, U.v. 27.8.2013 a.a.O.; BayVGH, U.v. 27.4.2012 – 9 B 08.30203 -, juris), die auch dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde liegt, kann spätestens seit dem Putschversuch im Juli 2016 aufgrund des damit einhergehenden Ausnahmezustands nicht mehr aufrechterhalten werden. Auch wenn der Ausnahmezustand mit Wirkung zum 19. Juli 2018 geendet hat, sind durch ein am 25. Juli 2018 verabschiedetes Sicherheitsgesetz Befugnisse der Sicherheitsbehörden aus dem Ausnahmezustand in normales Recht überführt worden (http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-verabschiedet-neues-anti-terror-gesetz-a-1220210.html).

Der Umstand, dass seit der Ausreise des Klägers aus der Türkei ein verhältnismäßig langer Zeitraum vergangen ist (etwa 21 Jahre), lässt die beachtliche Verfolgungsgefahr nicht entfallen. In den vorliegenden Auskünften heißt es teilweise, die Länge eines Auslandsaufenthaltes sei aus der Sicht der türkischen Behörden nicht entscheidend (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der Länderanalyse vom 17. Februar 2017 zur Türkei, S. 3; ähnlich Taylan, Auskunft vom 13. Januar 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 21 f.). Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass diesbezügliche Erfahrungen fehlen (Amnesty International, Auskunft vom 9. März 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 1). Der bloße Zeitablauf lässt es demnach einerseits nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Gefahr politischer Verfolgung geringer geworden ist. Andererseits reicht dies mangels konkreter und belastbarer Indizien nicht aus, um bei der erforderlichen qualifizierenden Betrachtung eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit zu verneinen (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 16.11.2017, a.a.O., Rn. 36).

Da nach alledem die Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellungen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in vollem Umfang auszuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).

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Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 18. Juli 2018 - AN 1 K 15.30199 zitiert 12 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 121


Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,1.die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und2.im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

Strafprozeßordnung - StPO | § 153 Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit


(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 73 Widerrufs- und Rücknahmegründe


(1) Die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer1.sich freiwillig erneut dem Schutz d

Strafprozeßordnung - StPO | § 64 Eidesformel


(1) Der Eid mit religiöser Beteuerung wird in der Weise geleistet, dass der Richter an den Zeugen die Worte richtet: "Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwieg

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Tatbestand 1 Der am 1. September 1977 in der Türkei geborene Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling.

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der Eid mit religiöser Beteuerung wird in der Weise geleistet, dass der Richter an den Zeugen die Worte richtet:

"Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben"
und der Zeuge hierauf die Worte spricht:
"Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe".

(2) Der Eid ohne religiöse Beteuerung wird in der Weise geleistet, dass der Richter an den Zeugen die Worte richtet:

"Sie schwören, dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben"
und der Zeuge hierauf die Worte spricht:
"Ich schwöre es".

(3) Gibt ein Zeuge an, dass er als Mitglied einer Religions- oder Bekenntnisgemeinschaft eine Beteuerungsformel dieser Gemeinschaft verwenden wolle, so kann er diese dem Eid anfügen.

(4) Der Schwörende soll bei der Eidesleistung die rechte Hand erheben.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 8. Kammer, Einzelrichter – vom 4. Februar 2014 geändert.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Februar 2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein asylrechtlicher Widerrufsbescheid.

2

Der 1975 im Südosten der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seiner Einreise nach Deutschland stellte er Anfang 1995 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge trug er vor, im September 1991 sei er mit der Guerilla in die Berge gegangen. An gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den türkischen Sicherheitskräften habe er nicht teilgenommen. Als er im November 1991 in sein Dorf zurückgekehrt sei, um Verwandte zu besuchen, sei er dort festgenommen und anschließend inhaftiert worden. Im Gefängnis habe man ihn geschlagen und gefoltert. Er sei zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Im Dezember 1993 sei er freigelassen worden. In der Folgezeit sei er ständig unter Beobachtung gewesen. Er sei auch mit dem Tode bedroht worden. Bei den Identitätskontrollen z. B. habe er merken können, dass man seinen Namen kannte. Man habe ihn sehr schlecht behandelt und ihm den Ausweis ins Gesicht geworfen. Man habe ihm auch gesagt, wenn er noch einmal bei etwas Verbotenem erwischt werde, werde er erschossen. Er sei auch sonst überwacht worden. Ihm sei nur die Wahl geblieben, sich der PKK anzuschließen und in die Berge zu gehen oder aber die Quälereien des türkischen Staates weiter zu ertragen. Er habe sich dann entschlossen, aus dieser unerträglichen Situation zu fliehen und in die Bundesrepublik Deutschland zu seiner Familie zu gehen.

3

Mit Bescheid vom 6. Februar 1995 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs.1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorlägen, dass das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliege und dass im Übrigen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zur Begründung führte die Behörde aus: Aufgrund des vom Kläger geschilderten Sachverhalts und der vorliegenden Erkenntnisse sei davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG zu rechnen habe. Ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG liege vor, da der Kläger bei Rückkehr in die Türkei mit menschenrechtswidriger Behandlung zu rechnen habe.

4

Mit Bescheid vom 28. Februar 2011 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorlägen. Es stellte ferner fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 – 7 AufenthG nicht vorlägen. In der Begründung heißt es: Die Begünstigung sei dem Kläger deshalb gewährt worden, weil ihn die örtlichen Sicherheitskräfte nach der Haftentlassung entgegen der rechtlichen Ausgangslage nicht in Ruhe gelassen und in asylerheblicher Weise bedrängt und bedroht hätten. Diese Ausgangslage habe sich im Zuge der in der Türkei umgesetzten Reformvorhaben grundlegend zugunsten des Klägers geändert. Die örtlichen Stellen könnten sich heute nicht mehr das erlauben, was früher noch gängige Praxis gewesen sei. Jedenfalls gebe es eine interne Schutzalternative. Die heutige Einreise in die Türkei würde über die üblichen Kontrollen hinaus nicht zu sonstigen Überprüfungsmaßnahmen führen, denn schon seinerzeit habe nach der Haftentlassung nichts mehr gegen den Kläger vorgelegen.

5

Der Kläger hat Klage erhoben und vorgetragen, es liege weiterhin keine hinreichende Verfolgungssicherheit vor. Er sei er in der Türkei in einem förmlichen Strafverfahren wegen Unterstützung der PKK zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ihm sei vorgeworfen worden, Mitglied der PKK zu sein, nur weil er kurdisch gesprochen habe. Er selbst sei kein Mitglied der PKK und auch kein PKK-Kämpfer gewesen.

6

Der Kläger hat beantragt,

7

den Bescheid des Bundesamtes vom 28.02.2011 aufzuheben.

8

Die Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Februar 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dem Kläger sei allein wegen des Gebrauchs der kurdischen Sprache die Unterstützung der PKK vorgeworfen worden. Deshalb sei er zu acht Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt worden. Die Tatsache, dass er bereits nach zwei Jahren wieder freigelassen worden sei, zeige allerdings, dass die besonderen Umstände seines Falles (insbesondere die Minderjährigkeit) bereits damals beachtet und die Gefahr politischer Verfolgung lediglich wegen der damals herrschenden Verhältnisse in der Heimatregion des Klägers angenommen worden sei. Seit 1995 hätten sich die Verhältnisse in der Türkei hinsichtlich der Gefahr, bei Gebrauch der kurdischen Sprache als Unterstützer der PKK angesehen zu werden, wesentlich und nachhaltig verändert. Mit der seit 2003 an der Macht befindlichen Regierung Erdoğan sei eine wesentliche Änderung der Kurdenpolitik insbesondere hinsichtlich der Zulassung des Gebrauchs der kurdischen Sprache eingetreten, die jedenfalls insoweit nachhaltig sei, dass bei Rückkehr des Klägers in die Türkei keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für Verfolgungsmaßnahmen bestehe.

11

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers. Der Kläger macht geltend, die jüngste Entwicklung in der Türkei lasse nicht darauf schließen, dass sich die Lage von unter PKK-Verdacht stehenden Kurden grundlegend und nachhaltig verändert habe.

12

Der Kläger beantragt,

13

das Urteil der 8. Kammer sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufzuheben.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Berufung zurückzuweisen.

16

Sie trägt vor: Jeder Einreisende habe sich in der Türkei einer Personenkontrolle zu unterziehen. Wenn eine Person kein gültiges Reisedokument vorweise oder aus ihrem Reisepass erkennbar sei, dass sie sich ohne Aufenthaltstitel in Deutschland aufgehalten habe, oder wenn ersichtlich sei, dass sie abgeschoben worden sei, werde sie einer eingehenderen Befragung unterzogen. Schwierigkeiten für Abgeschobene könnten eintreten, wenn die Befragung oder die Durchsuchung des Gepäcks bei den Grenzbehörden oder Recherchen bei den Heimatbehörden den Verdacht der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung der PKK oder anderer illegaler Organisationen begründe. Dem Auswärtigen Amt sei in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Dies treffe auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen zu.

17

Der Senat hat mit Verfügungen vom 14. August und 8. November 2017 Erkenntnismittel in das Verfahren eingeführt.

18

Die Prozessvertreter der Beteiligten sind der Berufungsverhandlung ferngeblieben.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Prozessvertreter verhandeln und entscheiden, weil die Beteiligten bei der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).

21

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

22

1. Soweit die Feststellung widerrufen wird, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, und soweit festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen, findet der angefochtene Bescheid seine Grundlage in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG. Nach Satz 1 der Vorschrift ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach Satz 2 insbesondere dann der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Die Norm knüpft ihrem Wortlaut nach an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) an. Auf die nach altem Recht getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist sie entsprechend anzuwenden.

23

Maßgebend für die Beurteilung, ob eine entscheidungserhebliche Änderung vorliegt, ist der Vergleich der dem Ausgangsbescheid zugrunde gelegten Tatsachenlage – unabhängig davon, ob diese den wahren Tatsachen entsprach – mit derjenigen zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung über den Widerruf (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2011 – 10 C 29/10 –, juris Rn. 19).

24

Der Ausgangsbescheid vom 6. Februar 1995 stützt sich für die Verfolgungsprognose auf den „vom Kläger geschilderten Sachverhalt“. Eine nähere Differenzierung enthält die Begründung des Bescheides nicht. Somit ist von sämtlichen in der Anhörung geschilderten verfolgungserheblichen Tatsachen anzunehmen, dass das Bundesamt sie für wahr gehalten hat. Infolgedessen stellt sich die dem Ausgangsbescheid zugrunde gelegte Tatsachenlage wie folgt dar:

25

Der Kläger wurde 1991, nachdem er sich der PKK-Guerilla – wenn auch nicht kämpfend – angeschlossen hatte, festgenommen und inhaftiert. Er wurde im Gefängnis gefoltert. Schließlich wurde er zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und vier Monaten verurteilt, musste davon aber nur zwei Jahre verbüßen. Nach seiner Freilassung war er bei den Sicherheitskräften weiterhin wegen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs registriert. Er wurde deshalb überwacht und bei Identitätskontrollen bedroht, u.a. damit, dass er bei einem weiteren Vergehen erschossen werde.

26

Die Umstände, die die Furcht vor politischer Verfolgung begründen, haben sich in der Zeit bis zur Berufungsverhandlung nicht in entscheidungserheblicher Weise geändert. Bei der Bestimmung des Maßstabs, der an diese Änderung anzulegen ist, ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG (jetzt: Richtlinie 2011/95/EU) – Qualifikationsrichtlinie – umgesetzt hat. Die Widerrufsvoraussetzungen sind daher unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 Buchst. C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention orientieren (BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, juris Rn. 9).

27

Bei der Prüfung des Erlöschensgrundes nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat – unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen – in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.

28

Eine erhebliche Veränderung der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Veränderungen im Heimatland sind nur dann hinreichend erheblich und dauerhaft, wenn sie dazu führen, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Die Prüfung einer derartigen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland ist untrennbar mit einer individuellen Verfolgungsprognose verbunden. Diese hat anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen (BVerwG, Urteil vom 1. März 2012, a.a.O. Rn. 11 f.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris Rn. 32).

29

Bei der gegebenen Beweislastverteilung ist zunächst zu Gunsten des Klägers anzunehmen, dass er weiterhin wegen des Vorwurfs, den bewaffneten Arm der PKK zu unterstützen, bei den Sicherheitskräften registriert ist.

30

Vermerke über strafrechtliche Vorwürfe bleiben bei den türkischen Behörden u.U. über mehrere Jahrzehnte bestehen. Kamil Taylan hatte im Jahr 2013 die Möglichkeit, während eines Interviews mit einem Verantwortlichen bei der Polizei in einer südöstlichen Provinz die Einträge zu seinem Namen im Computersystem der Sicherheitskräfte in Augenschein zu nehmen. Dort waren noch die Ermittlungsverfahren aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verzeichnet (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 5 – 6). Im Übrigen existiert keine Möglichkeit, Ermittlungen zu der Frage anzustellen, ob eine Registrierung mittlerweile beseitigt ist. Aufgrund eines Runderlasses des Innenministeriums vom 18. Dezember 2004 dürfen keine Suchvermerke mehr in das Personenstandsregister eingetragen werden. Sie kennzeichneten bis dahin Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen. Angaben türkischer Behörden zufolge wurden Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht. Somit besteht für das Auswärtige Amt keine Möglichkeit mehr, das Bestehen von Suchvermerken zu verifizieren, auch nicht über die bisher damit befassten Vertrauensanwälte (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 19. Februar 2017, S. 29).

31

Auf Grund der besagten Registrierung muss der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, bei der Einreise festgenommen zu werden, zumal er auf Grund der Tatsache, dass er über einen sehr langen Zeitraum ohne türkischen Pass in Deutschland gelebt hat, leicht als (ehemaliger) Asylbewerber zu identifizieren ist.

32

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, 19. Februar 2017, S. 29 – 30; Auskunft vom 9. Mai 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 1). Die Sicherheitsbehörden haben über die bei ihnen installierten Terminals Zugriff auf sämtliche sicherheitsrelevanten Daten der einreisenden Person, insbesondere zu abgeschlossenen oder laufenden Ermittlungsverfahren. Ein türkischer Staatsangehöriger, der jahrzehntelang ohne einen gültigen türkischen Pass im Ausland gelebt hat, fällt den Grenzbeamten mit Sicherheit auf (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 5, 7). Es ist davon auszugehen, dass Personen, aus deren Papieren zu schließen ist, dass sie im Ausland um Asyl nachgesucht haben, besonders überprüft werden. Das kann eine Anfrage bei der Polizei des Heimatortes umfassen und kann bedeuten, dass diese Person vorübergehend festgenommen wird, bis die entsprechende Auskunft vorliegt (Amnesty International, Auskunft vom 27. Januar 2016 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 1). Nach Auskunft verschiedener Kontaktpersonen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe wurden die Einreisekontrollen nach dem Putschversuch für alle einreisenden Personen verschärft. Dies gelte auch für kurdische Personen. Es habe schon vor dem Putschversuch Kontrollen bei der Einreise gegeben. Allerdings würden die Behörden heute über mehr Listen mit Namen von gesuchten Personen verfügen. Auf diesen Listen seien Personen vermerkt, welche angebliche Verbindungen zur Gülen-Bewegung, zur PKK oder zu einer anderen aus Sicht der Behörden terroristischen Organisation hätten. Diese Personen würden weiteren Kontrollen unterzogen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der Länderanalyse vom 7. Juli 2017 zur Türkei, S. 1 – 2). Welche Folgen dies für den Kläger haben kann, zeigt etwa ein Vorfall im Februar 2015, als einige Personen bei der Einreise in die Türkei festgenommen wurden, weil sie von den Grenzkontrolleuren als PKK-Kämpfer identifiziert wurden (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 7). Eine mutmaßliche oder tatsächliche Unterstützung oder Verbindung zur PKK oder zu ähnlichen Gruppierungen kann zu einer Verhaftung durch den türkischen Staat führen. Verhaftungen erfolgen zum Teil willkürlich und Personen werden aufgrund fragwürdiger Indizien oder Geständnisse inhaftiert, als PKK-Mitglieder bezeichnet und angeklagt. In den Fokus geraten zudem auch Personen, die nur indirekt mit der PKK in Verbindung stehen. Behörden rufen zu Denunziationen von PKK-Sympathisierenden auf. Eine frühere Mitgliedschaft oder Aktivität in der PKK kann das Risiko einer erneuten Verhaftung erhöhen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei, Gefährdungsprofile, Update, 19. Mai 2017, S. 12 – 13).

33

Der Kläger muss befürchten, im Gewahrsam der türkischen Sicherheitskräfte gefoltert oder misshandelt zu werden.

34

Das Auswärtige Amt führt zwar aus, dass in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus Deutschland zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit seinen früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei, was auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer gelte. Diese Feststellung werde auch von türkischen Menschenrechtsorganisationen sowie von Auskünften anderer EU-Staaten und den USA geteilt (Lagebericht vom 19. Februar 2017, S. 29). Diese Einschätzung ist allerdings nur bedingt aussagekräftig, da sich den Angaben nicht entnehmen lässt, dass unter den Zurückgekehrten oder Abgeschobenen Personen waren, bei denen nach der bisherigen Erkenntnislage mit Übergriffen zu rechnen gewesen wäre (OVG Münster, Urteil vom 27. Mai 2016 – 9 A 653/11.A –, juris Rn. 136, OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Mai 2016 – 11 LB 53/15 –, juris Rn. 39). Deshalb ist allgemein auf die Situation von Inhaftierten abzustellen, denen eine gegenwärtige oder frühere Verbindung zur PKK zugeschrieben wird.Eine Auskunft von Amnesty International an das Bundesverwaltungsgericht vom 29. August 2017 hebt die Tatsache hervor, dass Berichte über Folter in Polizeigewahrsam seit der Aufkündigung des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK im Juli 2015 und insbesondere seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 drastisch zugenommen haben. Besonders häufig betroffen sind danach Personen, die der Unterstützung der PKK bezichtigt werden (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2017 – 1 VR 7/17 –, juris Rn. 53 f.; vgl. auch Amnesty International, Auskunft vom 9. März 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 2; Amnesty Report 2017 Türkei, S. 4). Zahlreiche weitere Quellen bestätigen diese Feststellung (vgl. die Übersicht in: United Kingdom, Home Office, Country Policy and Information Note, Turkey: Kurdistan Workers’ Party (PKK), August 2017, S. 27 – 29). Die Lage hat sich insofern nach Erlass des angefochtenen Urteils erheblich verschlechtert. So heißt es bei Human Rights Watch: Seit der Regierungsübernahme der AKP im Jahr 2002 sind bis Mitte 2015 die Berichte über Folterungen und Misshandlungen in Polizeigewahrsam deutlich zurückgegangen. Mit dem Zusammenbruch eines Friedensprozesses zwischen dem türkischen Staat und dem inhaftierten Führer der bewaffneten PKK wurde im Sommer 2015 der Konflikt im überwiegend kurdischen Südosten wieder aufgenommen. Im Zusammenhang mit Sicherheitsoperationen gegen die in den Städten und Stadtvierteln des Südostens fest verwurzelten städtischen Milizen der PKK ist erneut ein Anstieg von Berichten über Folterungen und Misshandlungen von Häftlingen in Polizeigewahrsam zu verzeichnen (Human Rights Watch, A Blank Check, Turkey’s Post-Coup Suspension of Safeguards Against Torture, Oktober 2016, S. 14 – 15). Das Österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt aus: Menschenrechtsverbänden zufolge gibt es Hinweise, dass die Anwendung von Folter und Misshandlungen weiterhin stattfinden, insbesondere an Personen in Polizeigewahrsam, jedoch nicht am Ort der Verhaftung, sondern an anderen Orten, wo ein Nachweis schwieriger zu dokumentieren ist. Die Schwächung der Schutzmaßnahmen gegen den Missbrauch in der Haft nach der Verhängung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch wurde von zunehmenden Berichten über Folter und Misshandlungen in der Polizeigewalt begleitet, wie das Schlagen und Entkleiden von Inhaftierten, die Anwendung lang anhaltenden Stresspositionen sowie die Androhung von Vergewaltigung. Betroffen von besagten Misshandlungen waren nicht nur Angehörige des Militärs und der Polizei, die im Zusammenhang mit dem Staatsstreich verhaftet wurden, sondern auch kurdische Gefangene im Südosten des Landes. Angehörige der Strafverfolgungsbehörden wenden die Notverordnungen nicht nur auf Personen an, die verdächtigt werden, sich am Putschversuch beteiligt zu haben, sondern auch auf Gefangene, die angeblich Verbindungen zu bewaffneten kurdischen oder linken Gruppierungen haben. Auch diesen Menschen wird jeder Schutz vor Folter und anderer unberechtigter Verfolgung entzogen.Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Nils Melzer, berichtete Anfang Dezember 2016 von seinen Vorortbeobachtungen. Er und sein Team trafen auf zahlreiche Berichte über Folter und andere Formen von Misshandlungen von Insassen, die der Mitgliedschaft bei der PKK verdächtigt wurden. Die meisten Berichte zu Misshandlungen bezogen sich auf den Polizeigewahrsam und die dortigen Verhöre (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Türkei, 7. Februar 2017, S. 40 – 41; Lage der Kurden – insbesondere der Haftbedingungen, 9. Februar 2017, S. 2). In den Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe heißt es: Seit der erneuten Eskalation des Kurdenkonflikts Mitte 2015 und dem Putschversuch Mitte 2016 haben Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte stark zugenommen, darunter auch von Personen, die wegen angeblicher Verbindungen zur PKK beschuldigt wurden.Eine mutmaßliche oder tatsächliche Unterstützung oder Verbindung zur PKK oder zu ähnlichen Gruppierungen kann zu einer Verhaftung durch den türkischen Staat führen. Verhaftungen erfolgen zum Teil willkürlich und Personen werden aufgrund fragwürdiger Indizien oder Geständnisse inhaftiert, als PKK-Mitglieder bezeichnet und angeklagt. In den Fokus geraten zudem auch Personen, die nur indirekt mit der PKK in Verbindung stehen. Behörden rufen zu Denunziationen von PKK-Sympathisierenden auf. Wegen PKK-Verbindungen Verhaftete können keine fairen Verfahren erwarten und es besteht für sie ein erhebliches Risiko, in Haft misshandelt zu werden. Nach Angaben von verschiedenen Kontaktpersonen kann eine frühere Mitgliedschaft oder Aktivität in der PKK das Risiko einer erneuten Verhaftung erhöhen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei, Aktuelle Situation, Update, 19. Mai 2017, S. 13; Türkei, Gefährdungsprofile, Update, 19. Mai 2017, S. 12 – 13).

35

Die Einschätzung, dass eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung bei Personen bestehen kann, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie als potenzielle Unterstützer der PKK angesehen werden, deckt sich mit der jüngeren Rechtsprechung anderer Obergerichte (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Mai 2016 – 11 LB 53/15 –, juris Rn. 37; OVG Bautzen, Urteil vom 7. April 2016 – 3 A 557/13.A –, juris Rn. 34; VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2013 – A 12 S 2023/11 –, juris Rn. 31; OVG Münster, Urteil vom 2. Juli 2013 – 8 A 2632/06.A –, juris Rn. 104).

36

Der Umstand, dass seit der Ausreise des Klägers aus der Türkei ein verhältnismäßig langer Zeitraum vergangen ist (etwa 23 Jahre), lässt die beachtliche Verfolgungsgefahr nicht entfallen. In den vorliegenden Auskünften heißt es teilweise, die Länge eines Auslandsaufenthaltes sei aus der Sicht der türkischen Behörden nicht entscheidend (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der Länderanalyse vom 17. Februar 2017 zur Türkei, S. 3; ähnlich Taylan, Auskunft vom 13. Januar 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 21 f.). Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass diesbezügliche Erfahrungen fehlen (Amnesty International, Auskunft vom 9. März 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 1).Der bloße Zeitablauf lässt es demnach einerseits nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Gefahr politischer Verfolgung geringer geworden ist. Andererseits reicht dies mangels konkreter und belastbarer Indizien nicht aus, um bei der erforderlichen qualifizierenden Betrachtung eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit zu verneinen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger noch in der Zeit, als er bereits aus der Strafhaft entlassen war, in asylerheblicher Weise bedrängt und bedroht worden ist.

37

Für eine Umdeutung des Widerrufs- in einen Rücknahmebescheid fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten. Solche werden von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

38

2. Soweit die Feststellung widerrufen wird, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegt, und soweit festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegt, ist der angefochtene Bescheid ebenfalls rechtswidrig. Der Tatbestand des § 73c Abs. 2 AsylG ist nicht erfüllt. Danach ist die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 AufenthG zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Die Norm ist auf die nach altem Recht getroffene Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegt, entsprechend anzuwenden.

39

Gemäß § 60 Absatz 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.Bei der Abschiebung in einen anderen Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention – wie hier in die Türkei – besteht eine Mitverantwortung des abschiebenden Staates, die Konventionsrechte im Zielstaat der Abschiebung zu gewährleisten, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz – auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – 1 C 14/04 –, juris Rn. 18).

40

Wegen der für den Kläger bestehenden Gefahr, nach seiner Abschiebung in der Türkei festgenommen und in der Haft misshandelt zu werden, wird auf die Ausführungen zu 1. verwiesen. Effektiver Rechtsschutz ist auf Grund des in der Türkei bestehenden Ausnahmezustandes nicht gewährleistet. Im Zuge der strafrechtlichen Aufarbeitung des Putschversuches vom 15. Juli 2016 wurde am 27. Juli 2016 das Dekret 668 erlassen. Dieses sieht weitreichende Abweichungen von den regulären Verfahrensgarantien für Verfahren gegen Personen vor, gegen die im Zuge der Verfahren auf Grund der Notstandsdekrete ermittelt wird. So wurde für diese Personengruppe u.a. die maximale Dauer des Polizeigewahrsams auf 30 Tage erhöht. Außerdem wurde für die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit geschaffen, das Recht von inhaftierten Beschuldigten, ihren Verteidiger zu treffen, für fünf Tage einzuschränken bzw. für diese Zeit auch jeden Kontakt zu verbieten. Teile dieser Bestimmungen wurden zwar durch eine Änderung der Notstandsdekrete vom 23. Januar 2017 wieder rückgängig gemacht. Zusammenfassend muss jedoch festgehalten werden, dass bei Verfahren mit politischen Tatvorwürfen bzw. Terrorismusbezug unabhängige Verfahren kaum bzw. zumindest nicht durchgängig gewährleistet sind (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2017, S. 16).

41

3. Der angefochtene Bescheid ist schließlich auch insoweit aufzuheben, als festgestellt wird, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3, 4 und 7 AufenthG (in der Fassung bei Erlass des Widerrufsbescheides) nicht vorliegen. Gemäß § 73 Abs. 3, § 73c Abs. 3 AsylG handelt es sich bei der Feststellung von Abschiebungsverboten um eine Annexentscheidung. Diese teilt das rechtliche Schicksal des Widerrufs.

42

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

43

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


Tatbestand

1

Der am 1. September 1977 in der Türkei geborene Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling.

2

Der Kläger reiste 1987 als türkischer Staatsangehöriger nach Deutschland ein und lebt seitdem hier. Im Mai 2002 beantragte er, nachdem gegen ihn eine Ausweisungsverfügung ergangen war, beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - Asyl. Er müsse in der Türkei wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten für die PKK in den Jahren 1991 bis 1995 mit seiner sofortigen Inhaftierung und Verurteilung rechnen.

3

Das Bundesamt lehnte im Oktober 2002 den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Auf die dagegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 6. November 2003 den ablehnenden Bescheid auf und verpflichtete die Beklagte, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Kläger türkischer Staatsangehöriger sei und ihm aufgrund seiner in Deutschland entwickelten politischen Aktivitäten in den Jahren 1991 bis 1995 zugunsten der PKK bei einer Rückkehr in die Türkei asylerhebliche Verfolgung drohe. Unter Bezugnahme auf die vom Gericht ausgesprochene Verpflichtung erkannte das Bundesamt mit Bescheid vom 17. März 2004 den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezüglich der Türkei vorliegen.

4

Im Rahmen eines vom Kläger durchgeführten Eheschließungsverfahrens wurde dem Landratsamt M. im November 2006 bekannt, dass der Kläger mit Beschluss des türkischen Ministerrats vom 7. Mai 2001 gemäß Art. 25c des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes wegen Wehrdienstentziehung aus der türkischen Staatsangehörigkeit ausgebürgert worden war.

5

Mit Bescheid vom 13. Mai 2008 widerrief das Bundesamt die im März 2004 ausgesprochene Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und die dort getroffene Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 1 und 2). Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Eine Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wurde im Hinblick darauf, dass seitens der Ausländerbehörde keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigt seien, nicht getroffen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Widerruf sei gerechtfertigt, weil sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei inzwischen wesentlich verändert hätten. Die Menschenrechtslage habe sich verbessert. Dem Auswärtigen Amt sei seit vier Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Der Kläger gehöre nicht zu einem gefährdeten Personenkreis. Er sei zwar im Zusammenhang mit PKK-Aktivitäten straffällig geworden, seit 1995 jedoch nicht mehr politisch aktiv. Gegen ihn sei in der Türkei kein Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig.

6

Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid aufgehoben. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass bei Rückkehr des Klägers in seine Heimat eine asylerhebliche Verfolgung weiterhin nicht ausgeschlossen werden könne. Zwar habe sich die Menschenrechtslage in der Türkei erheblich verbessert. Gleichwohl sei derzeit noch nicht davon auszugehen, dass der Reformprozess bereits weit genug fortgeschritten sei, um eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 18. Oktober 2010 die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Eine für eine Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erforderliche erhebliche Änderung der für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse liege nicht vor. Dies sei aber Voraussetzung, um die Rechtskraftwirkung des zur Anerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils zu überwinden. Maßgebliche Voraussetzung für die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und Flüchtling sei die Annahme des Verwaltungsgerichts gewesen, dass es sich beim Kläger um einen türkischen Staatsangehörigen handele. Dies sei aber nicht der Fall gewesen, weil der Kläger bereits durch Beschluss des türkischen Ministerrats vom 7. Mai 2001 ausgebürgert worden sei. Ein Staatenloser, für den die Bundesrepublik Deutschland - wie für den Kläger - das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts sei, könne aber grundsätzlich nicht als Asylberechtigter anerkannt werden. Am Fehlen der türkischen Staatsangehörigkeit habe sich seit Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils nichts geändert, da der Kläger nach wie vor staatenlos sei. Deshalb komme es für die Entscheidung nicht auf die Frage an, ob die Gefahr asylerheblicher Verfolgung für den Kläger als ehemaligen PKK-Aktivisten im Fall seiner Rückkehr in die Türkei nunmehr entfallen sei.

8

Die Beklagte begründet die gegen das Urteil eingelegte Revision im Wesentlichen damit, dass eine vor Anerkennung erfolgte Ausbürgerung eine nachträgliche Veränderung der verfolgungsrelevanten Tatsachen nicht ausschließe. Die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils stehe der Berücksichtigung der geänderten Tatsachen zum Verfolgungsrisiko für den Kläger im Rahmen der Widerrufsentscheidung nicht entgegen.

9

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung der Beklagten an, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Bundesrecht verletze. Nach seiner Auffassung erstreckt sich die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteils auch auf die im Rahmen seiner Begründung getroffene Feststellung, dass der Kläger türkischer Staatsangehöriger sei. Von der türkischen Staatsangehörigkeit des Klägers sei daher auch bei der Widerrufsentscheidung auszugehen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Widerrufe der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung keine formellen Mängel aufweisen (1.). Es hat aber die materielle Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidungen mit einer Begründung verneint, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Es hat zu Unrecht angenommen, dass die Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils einer Widerrufsentscheidung entgegensteht (2.). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob die angefochtenen Widerrufsentscheidungen die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG erfüllen (3.). Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufe ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798).

13

1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Widerrufe der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung im Bescheid vom 13. Mai 2008 in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden sind. Sie entsprechen insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere begegnen die angefochtenen Entscheidungen weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit der Widerrufe im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Prüfungsfrist des § 73 Abs. 7 AsylVfG Bedenken. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat (Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - NVwZ 2011, 944 Rn. 11).

14

2. Die Berufungsentscheidung ist aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren. Nach Satz 1 der Vorschrift sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach Satz 2 insbesondere dann der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

15

Mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Voraussetzungen für den Widerruf nach dieser Vorschrift sind deshalb im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 9). Diese Auslegung ist - soweit sich aus Art. 16a GG nichts Abweichendes ergibt - auch auf den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter anzuwenden.

16

Die Rechtskraft des zur Anerkennung des Klägers verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils von 2003 steht einer Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegen, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat (sog. zeitliche Grenze der Rechtskraft, stRspr, etwa Urteil vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 <121> m.w.N.). Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht befugt, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408 Rn. 12 m.w.N.). Die Behörde ist aber bei einer entscheidungserheblichen Änderung des für die Anerkennung maßgeblichen Sachverhalts nicht gehindert, einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen, den sie in Erfüllung ihrer Verpflichtung aus einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil erlassen hat. Das ist im Asylrecht dann der Fall, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist (Urteil vom 18. September 2001 a.a.O.).

17

Die Rechtskraftwirkung besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat (Urteil vom 18. September 2001 a.a.O. S. 122 f.). Allerdings entfalten fehlerhafte Urteile keine weitergehende Rechtskraftwirkung als fehlerfreie Urteile. Eine Lösung von der Rechtskraftwirkung eines Urteils, das das Bundesamt zur Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling verpflichtet hat, ist vielmehr immer dann möglich, wenn sich die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat, unabhängig davon ob das zur Anerkennung verpflichtende Urteil richtig oder fehlerhaft war.

18

Die Voraussetzungen für eine Beendigung der Rechtskraftwirkung entsprechen damit weitgehend denen, die für den Widerruf einer Anerkennungsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG gelten. Denn auch § 73 Abs. 1 AsylVfG setzt eine wesentliche Änderung der für die Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse voraus. Für den Widerruf einer Behördenentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass es unerheblich ist, ob die Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgt ist (vgl. Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <85 f.>). Der Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf rechtswidrige Verwaltungsakte steht danach auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer zu Unrecht erfolgten Asylanerkennung oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Nachhinein scheinbar nicht entfallen sein können, da sie begriffsnotwendig von Anfang an nicht vorlagen. Diese Sicht verstellt den Blick für den eigenständigen, nicht an die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids, sondern an die nachträgliche Veränderung der politischen Verhältnisse im Verfolgerland anknüpfenden Regelungszweck der Widerrufsbestimmung. Sie eröffnet die Möglichkeit eines Widerrufs bereits dann, wenn jedenfalls unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse feststeht, ohne dass es noch der unter Umständen schwierigeren Prüfung und Entscheidung bedürfte, ob die ursprüngliche Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig war (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 86). Dies gilt erst recht für den Widerruf der auf einem Verpflichtungsurteil beruhenden Anerkennung, von deren Rechtmäßigkeit wegen der Rechtskraft des Urteils auch im Rahmen der Widerrufsprüfung auszugehen ist.

19

Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist daher die Auffassung des Berufungsgerichts, dass eine wesentliche Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Tatsachen hier nicht vorliegt, weil das zur Anerkennung verpflichtende Urteil von der unzutreffenden Annahme ausging, der Kläger sei türkischer Staatsangehöriger, obwohl er tatsächlich Staatenloser war und geblieben ist. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine entscheidungserhebliche Änderung vorliegt, ist der Vergleich der dem Verpflichtungsurteil vom 6. November 2003 zugrunde gelegten Tatsachenlage mit derjenigen zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung über den Widerruf. Für diesen Vergleich ist der Kläger fiktiv als türkischer Staatsangehöriger zu behandeln, auch wenn er tatsächlich staatenlos war, weil das Gericht dies seiner Verpflichtungsentscheidung zugrunde gelegt hat. Unerheblich ist insoweit, dass die Feststellung zur Staatsangehörigkeit des Klägers nicht von der Rechtskraftwirkung des Urteils umfasst wird, da es sich nur um ein Begründungselement handelt, das - anders als die Verpflichtung zum Erlass des abgelehnten Verwaltungsakts und die Feststellung zur Rechtsverletzung des Klägers durch die damalige ablehnende Behördenentscheidung - nicht in Rechtskraft erwächst (vgl. Beschluss vom 10. Juli 2003 - BVerwG 1 B 338.02 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 87). Das Bundesamt war deshalb durch die Rechtskraftwirkung des Verpflichtungsurteils vom 6. November 2003 nicht an einem Widerruf der Anerkennungen gehindert, wenn sich die Verhältnisse in der Türkei derart grundlegend und dauerhaft geändert haben, dass dem Kläger dort - unter Zugrundelegung seiner fiktiven türkischen Staatsangehörigkeit - die vom Gericht seinerzeit festgestellte asyl- und flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung nicht mehr droht (vgl. hierzu Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 19 bis 24).

20

Für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Anerkennungsentscheidungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG ist weiter Voraussetzung, dass dem Kläger jetzt nicht aus anderen, vom Verpflichtungsurteil nicht erfassten Gründen Verfolgung droht. Bei der Prüfung derartiger neuer Verfolgungsgründe ist nicht von den dem Verpflichtungsurteil zugrunde liegenden Tatsachen auszugehen, sondern von der nunmehr festgestellten Sachlage - und damit von der Staatenlosigkeit des Klägers.

21

3. Da das Berufungsgericht die streitgegenständlichen Widerrufsentscheidungen allein deshalb als rechtswidrig angesehen hat, weil es den Umfang der Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils verkannt hat, hat es nicht nach den oben dargestellten Maßstäben geprüft, ob sich die verfolgungsrelevanten Tatsachen mittlerweile entscheidungserheblich verändert haben. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen hierzu nicht selbst abschließend entscheiden, ob sich das Bundesamt von der Rechtskraftwirkung des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils lösen durfte und bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung vorliegen. Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

22

Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:

23

Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab für den Widerruf der Asyl- wie der Flüchtlingsanerkennung entspricht spiegelbildlich dem bei der Anerkennung zugrunde zu legenden Maßstab. Das Bundesverwaltungsgericht hat schon in seiner bisherigen Rechtsprechung keinen sachlichen Grund dafür gesehen, unterschiedliche Anforderungen an die Anerkennungsvoraussetzungen einerseits und an die Widerrufsvoraussetzungen andererseits zu stellen (vgl. Urteil vom 24. November 1992 - BVerwG 9 C 3.92 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1). Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht für das Flüchtlingsrecht grundsätzlich von einer Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und den Widerruf und damit von einem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft aus, wenn begründete Befürchtungen dafür fehlen, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - Slg. 2010, I-1493 Rn. 65 und 73).

24

Das bedeutet für das nationale Asylrecht: Ist der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt worden, weil er vor seiner Ausreise Verfolgung erlitten hat oder als ihm bevorstehend befürchten musste, so sind die Anerkennungsvoraussetzungen nur dann als weggefallen anzusehen, wenn der Betroffene aufgrund der Veränderung der Umstände vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher ist (vgl. Urteil vom 24. November 1992 a.a.O.). Beruht die Anerkennung hingegen - wie hier - allein auf Nachfluchtgründen, sind ihre Voraussetzungen dann entfallen, wenn die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung nach dem allgemeinen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht mehr droht. Allein die Tatsache, dass der nicht vorverfolgte Ausländer wegen Nachfluchtgründen als Asylberechtigter anerkannt worden ist, rechtfertigt nicht die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Vielmehr spricht der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Widerrufsentscheidung dafür, den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab beim Widerruf nur dann anzuwenden, wenn er auch für die Anerkennung maßgeblich war. Humanitäre Gründe stehen dem nicht entgegen, weil der Betroffene bei reinen Nachfluchtgründen im Herkunftsland selbst keine Verfolgung erlitten hat oder unmittelbar von ihr bedroht war. Das Berufungsgericht wird demnach zu prüfen haben, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter zum Zeitpunkt der neuerlichen gerichtlichen Entscheidung aufgrund veränderter Verhältnisse in der Türkei nicht mehr vorliegen und dem Kläger dort auch nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht.

25

Für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gilt seit Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt war oder nicht, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 22 f.). Die Privilegierung eines vorverfolgten Flüchtlings erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, auf die § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG verweist. Die Beweiserleichterung greift allerdings nicht bei reinen Nachfluchtgründen, wie sie hier vorliegen, da der Ausländer in diesen Fällen - wie bereits dargelegt - nicht bereits verfolgt worden ist oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, was die Vorschrift voraussetzt.

26

Sollte das Berufungsgericht zu dem Schluss kommen, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG im Fall des Klägers nicht vorliegen, müsste der angefochtene Bescheid aufgehoben werden. Eine Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahme der Anerkennungen kommt, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, nicht in Betracht. Dies folgt bereits aus der Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils vom 6. November 2003, die es verbietet, die Rechtmäßigkeit der Anerkennungen im Nachhinein anders zu beurteilen. Die Frage, ob der Kläger im Hinblick auf seine vor der Anerkennung liegenden Aktivitäten zugunsten der PKK in Deutschland möglicherweise einen Ausschlussgrund nach § 60 Abs. 8 AufenthG, § 3 Abs. 4 oder Abs. 2 AsylVfG verwirklicht haben könnte - was im Übrigen der Sache nach eher fern liegen dürfte -, würde sich schon aus diesem Grund nicht stellen.

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der 1955 geborene Kläger wendet sich gegen den Widerruf der mit Bescheid vom 15.02.1994 getroffenen Feststellung, dass die Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Der 1989 unverfolgt ausgereiste türkische Staatsangehörige war wegen exilpolitischer Betätigung (Teilnahme an Versammlungen, Demonstrationen an auffallender, hervorgehobener Stelle) von Verfolgung bedroht. Mit Urteil vom 09.12.1993 verpflichtete das Verwaltungsgericht X die Beklagte dazu festzustellen, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Mit Bescheid vom 15.02.1994 wurden die Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gemäß des Verpflichtungsurteils des Verwaltungsgerichts X festgestellt.
Mit Schreiben vom 21.04.2015 hat das Ausländerbüro der Stadt X das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Bundesamt – um Überprüfung gebeten, da ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vorliege. Da der Kläger seit Jahren samt Familie seinen Lebensunterhalt durch öffentliche Leistungen bestreite, könne eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG nur erteilt werden bei Bestätigung durch das Bundesamt, dass kein Widerrufsverfahren eingeleitet werde.
Mit Schriftsatz vom 22.09.2015 nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu der Prüfung des Asylstatus Stellung und führte aus, dass er mit Blick auf die am 01.08.2015 in Kraft getretene Änderung des § 26 Abs. 3 AufenthG davon ausgehe, dass die Prüfanfrage gegenstandslos geworden sei. Er rege daher an, das Widerrufsverfahren einzustellen.
Das Bundesamt antwortete mit Schreiben vom 09.12.2015, dass zwar seit dem 01.08.2015 eine Nichtwiderrufsmitteilung des Bundesamtes nicht mehr Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sei, es jedoch einer Ausländerbehörde unbenommen bleibe, etwa beim Vorliegen besonderer Umstände, das Bundesamt um Überprüfung des Schutzstatus vor Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zu ersuchen.
Mit Bescheid vom 16.02.2016 widerrief das Bundesamt die im Bescheid vom 15.02.1994 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Gleichzeitig erkannte es die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz. 1 des AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, sei gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu widerrufen, weil sich die erforderliche Prognose drohender politischer Verfolgung nicht mehr treffen lasse. Seit der Verpflichtungsentscheidung des Verwaltungsgerichts X aus dem Jahre 1994 hätten sich die Menschenrechtssituation und die Sachlage erheblich und nachhaltig verändert. Eine menschenrechtswidrige Behandlung stehe im Fall eine Rückkehr des Ausländers in die Türkei nicht mehr zu befürchten. Des Weiteren ist in dem angefochtenen Bescheid in Bezug auf die Menschenrechtslage in der Türkei davon die Rede, dass die den Reformprozess vorantreibende und die Menschenrechtssituation erheblich verbessernde AKP-Regierung erst Ende 2002 gewählt worden sei. Hinsichtlich menschenrechtswidriger Behandlung eines Rückkehrers sei aus den letzten Jahren kein einziger Fall bekannt geworden. Der Kläger habe die Türkei vor über 25 Jahren verlassen, es lägen keinerlei Hinweise vor, dass er sich weiterhin in relevanter Weise als exilpolitischer Oppositioneller betätigt habe. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27.08.2013 hätten sich trotz nach wie vor berichteter Defizite die Verhältnisse in der Türkei dauerhaft deutlich zum Positiven gewandelt. Der Reformprozess dauere schon über ein Jahrzehnt an und werde prinzipiell weitergeführt. Diese Veränderung könne grundsätzlich den Widerruf eines Flüchtlingsstatus tragen, der einem türkischen Staatsbürger vor diesem tiefgreifenden Reformprozess wegen in Deutschland aktiver Unterstützung der PKK zuerkannt worden sei. Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr könne für Personen fortbestehen, bei denen Besonderheiten vorlägen, beispielsweise Eintrag ins Fahndungsregister, anhängige Ermittlungs- oder Strafverfahren sowie besonders exponierte exilpolitische Betätigung, wegen der jemand als potentieller Unterstützung der PKK oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten sei. Unter Berücksichtigung dieses Urteils und der Inaktivität des Klägers sei eine heute noch bestehende Verfolgungsgefahr nicht mehr beachtlich wahrscheinlich.
Auf diesen am 17.02.2016 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger am 07.03.2016, einem Montag, Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.02.2016 aufzuheben,
10 
hilfsweise, Ziffern 2 bis 4 des Bescheids vom 16.02.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen,
11 
weiter hilfsweise, ihm unter Aufhebung der Ziffern 3 und 4 des Bescheids vom 16.02.2016 den subsidiären Schutzstatus zuzusprechen,
12 
höchst hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 4 des Bescheids vom 16.02.2016 zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG vorliegen.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
die Klage abzuweisen.
15 
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
16 
Die Berichterstatterin hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.03.2017 angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
17 
Dem Gericht liegen die Akten des Bundesamts (ein Heft) vor. Diese Akten waren ebenso wie der Lagebericht des Auswärtigen Amtes betreffend die Türkei mit Stand Januar 2017 Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hierauf wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
18 
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl nicht sämtliche Beteiligte im Termin zur mündlichen Verhandlung vertreten waren, denn auf diese Möglichkeit ist in den ordnungsgemäß bewirkten Ladungen hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
19 
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid des Bundesamt vom 16.02.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
20 
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG (seinerzeit Feststellung der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
21 
Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, ABl EU Nr. L 304 vom 30.09.2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 05.08.2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG sind daher unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedsstaat in jedem Einzelfall nachzuweisen hat, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Die unionsrechtlichen Vorgaben für ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 02.03.2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. -, NVwZ 2010, 505) weiter kon-kretisiert. Eine erhebliche Veränderung der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt demnach voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben (vgl. dazu: VGH Bad.-Württ. Urteil vom 27.08.2013, - A 12 S 561/13 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Rechtskraft eines zur Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils steht einer Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylG nicht entgegen, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat. Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die Behörde ist aber bei einer entscheidungserheblichen Änderung des für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Sachverhalts nicht gehindert, einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen, den sie in Erfüllung ihrer Verpflichtung aus einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil erlassen hat. Das ist im Asylrecht dann der Fall, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist (VGH Bad.-Württ. Urteil vom 27.08.2013, a.a.O., unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 18.09.2001 - 1 C 7.01 -, BVerwGE 115, 118).
23 
Davon ausgehend ist im vorliegenden Fall jedoch eine Veränderung der Sachlage im Verhältnis zu den dem Urteil des Verwaltungsgerichts X zugrunde gelegten Tatsachen nicht mehr gegeben. Spätestens nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 kann von einem Reformprozess in der Türkei keine Rede mehr sein.
24 
Der Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg hat in dem bereits genannten Urteil, auf das sich auch die Begründung des angefochtenen Widerrufsbescheids bezieht, u.a. angeführt, dass sich die Verhältnisse in der Türkei seit 1999 geändert hätten. Es heißt dort, dass die vergangenen Jahre in der Türkei durch einen tiefgreifenden Reformprozess gekennzeichnet gewesen seien, der wesentliche Teile der Rechtsordnung betroffen habe. Es ist im Weiteren von der Beendigung des Notstandsregimes die Rede. Außerdem gehörten zu dem Reformpaket auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung der Meinungsfreiheit. Zudem habe sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen gegolten habe, sei mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet worden (VGH Bad.-Württ. Urteil vom 27.08.2013, a.a.O., juris, Rdnr. 70/72).
25 
Diese im Jahr 2013 noch zutreffende Prognose kann nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 nicht mehr aufrechterhalten werden, vielmehr ist zu befürchten, dass sich die Türkei immer mehr in Richtung Diktatur entwickelt. Davon, dass der Reformprozess vorangetrieben wird, kann keine Rede mehr sein. Von „Säuberungsmaßnahmen“ ist die Rede, der landesweite Ausnahmezustand wurde um weitere 3 Monate bis Mitte April verlängert, die Meinungs- und Pressefreiheit sind akut bedroht, zahlreiche kurdische Abgeordnete sind inhaftiert.
26 
In dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: Januar 2017) heißt es, nach dem Putschversuch habe die Regierung sog. ,,Säuberungsmaßnahmen" gegen Individuen und Institutionen eingeleitet, welche sie der GüIen-Bewegung zurechne oder denen eine Nähe zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder anderen terroristischen Vereinigungen vorgeworfen werde. Im Zuge dieser Maßnahmen seien bislang gegen 103.850 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet, 86.519 Personen in Polizeigewahrsam genommen worden, davon befänden sich 41.034 in Untersuchungshaft (7.597 Polizei, 6.748 Militär, 2.433 Richter und Staatsanwälte) (Stand: 4.1.2017). 76.000 Beamte seien vom Dienst suspendiert worden, auch sei es zur Beendigung des Beamtenverhältnisses bei Militärangehörigen (7.536) gekommen. Die Maßnahmen zielten erklärtermaßen darauf ab, die Anhänger der Gülen-Bewegung aus allen relevanten Institutionen in der Türkei zu entfernen. Bei diesen ,,Säuberungen" werde nicht zwischen Personen unterschieden, denen lediglich eine Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen werde und jenen Personen, die einer aktiven Beteiligung am Putschversuch verdächtigt würden. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen habe die Regierung am 20.07.2016 den Notstand verhängt, zunächst für drei Monate. Am 19.10.2016 und am 03.01.2017 sei dieser Notstand für jeweils weitere drei Monate verlängert worden. Er gelte nun mindestens bis 19.04.2017. …. Die Regierung habe seit dem Putschversuch eine fast alles beherrschende nationalistische Atmosphäre geschaffen, die gleichermaßen auf Furcht, Euphorie, Propaganda und nationale Einheit setze. Die Atmosphäre speise sich aus den „Säuberungsmaßnahmen" und mit ihnen einhergehenden öffentlichen Aufrufen zur Denunziation, aus der Überhöhung des nationalen Widerstands, der allabendlich mit Demonstrationen auf den zentralen Plätzen der Großstädte gefeiert werde.…..Thematisch fahre Erdogan zur Erreichung seines Ziels seit Sommer 2015 einen verstärkt nationalistischen Kurs, dessen Kernelement das bedingungslose Vorgehen im Kurdenkonflikt gegen die PKK sei. …Viele der zunehmenden Freiheitseinschränkungen und Repressionsmaßnahmen rechtfertige die Regierung mit der Notwendigkeit, den Terrorismus zu bekämpfen. Jedoch würden jenseits der Bekämpfung realer terroristischer Bedrohungen Terrorismusvorwürfe inflationär genutzt. Neben der Einstufung der GüIen-Bewegung als Terrororganisation sei u.a. 57 von 59 Abgeordneten der prokurdischen HDP die parlamentarische Immunität entzogen worden. Die Verfahren gegen die HDP-Abgeordneten stützten sich überwiegend auf angebliche Verstöße gegen die Anti-Terror-Gesetze. Nach Abschluss der Verfahren könnten einige dieser Abgeordneten ihr Mandat verlieren. Aktuell befänden sich 13 HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft (Stand: 30.12.2016). …..Die Meinungs- und Pressefreiheit seien akut bedroht. Seit Juli seien per Notstandsdekret rund 170 überwiegend Gülen-nahe und kurdische Print- und Bildmedien geschlossen worden; ca. 3.000 Journalisten hätten durch Schließungen ihren Job verloren und hätten - gebrandmarkt als Gülenisten oder PKK-Sympathisanten - keine Aussicht darauf, einen neuen zu finden. Als Grundlage für das strafrechtliche Vorgehen gegen diese Personen werde häufig ebenfalls der Terrorismustatbestand bzw. der Vorwurf der Propaganda für terroristische Organisationen angeführt. 140 Journalisten säßen nach Angaben von Human Rights Watch derzeit in Haft (Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei, Stand 04.01.2017; siehe auch ZEIT ONLINE, 26.12.2016: „Anti-Terror-Polizei nimmt HDP-Vizechefin fest“; ZEIT ONLINE, 30.12.2016: „Haftbefehl gegen kritischen Journalisten in der Türkei erlassen“, dieser Artikel betrifft den Journalisten und Buchautor Ahmet Sik; zur Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel: ZEIT ONLINE, 27.02.2017: „Richter ordnet Untersuchungshaft gegen „Welt“-Korrespondenten an“).
27 
Auch nach dem 04.01.2017 wurden weitere 6000 Bedienstete entlassen (ZEIT ONLINE, 07.01.2017: „Türkei entlässt weitere 6000 Bedienstete“). Betroffen seien Polizisten, Angestellte des Justiz- und Gesundheitsministeriums und Universitätslehrkräfte. Auch gegen fast 400 Unternehmer wurden Haftbefehle erlassen, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wurden (ZEIT ONLINE, 05.01.2017: „Behörden erlassen Haftbefehl gegen 380 Unternehmer“). Auch wer in der Türkei Aussagen etwa über die PKK online veröffentlicht, muss damit rechnen, verhaftet zu werden. 1.656 Menschen sind inhaftiert worden wegen Beiträgen in sozialen Medien unter anderem über die PKK, in 3700 Fällen wird ermittelt (ZEIT ONLINE, 24.12.2016: „Mehr als 1000 Festnahmen wegen Beiträgen in sozialen Medien“; ZEIT ONLINE, 28.2.2017: „Jeder kann zum Terrorverdächtigen werden“). Auch in Deutschland müssen türkische Staatsbürger damit rechnen, dass etwaige Kritik an der türkischen Regierung bzw. Aussagen zur PKK dem türkischen Generalkonsulat gemeldet werden (ZEIT ONLINE, 23.02.2017: „Türkei fordert offenbar zu Spitzelei an Schulen auf“ und SPIEGEL ONLINE, 09.03.2017: „Willkommen in Istanbul, Sie sind festgenommen“ zur Festnahme von Deutschen und Österreichern mit Wurzeln in der Türkei, die nach ihrer Ankunft am Flughafen Istanbul festgenommen worden sind - wohl wegen ihrer Kritik an Präsident Erdogan. Möglicherweise wurden sie zuvor bespitzelt.)
28 
Soweit es im oben erwähnten Lagebericht des Auswärtigen Amtes mit Stand 04.01.2017 im weiteren Verlauf zur Frage der Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern noch heißt, dass dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, indem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden sei. (Seite 29), kommt diesen Ausführungen nach der mittlerweile eingetretenen weiteren Verschärfung der Situation in der Türkei und der Verschlechterung des Verhältnisses zu Deutschland keine Aussagekraft mehr zu. Diese Passage stimmt wörtlich mit dem Lagebericht mit Stand August 2015 überein, der noch vor dem gescheiterten Putschversuch des Jahres 2016 erstellt worden ist, und ist nicht mehr aktuell. So berichten die Medien - wie bereits ausgeführt - sogar über Festnahmen bei der Einreise von Deutschen und Österreichern mit türkischen Wurzeln wegen ihrer Kritik an Präsident Erdogan. Laut Aussage eines westlichen Diplomaten gehe man von einer „hohen zweistelligen Zahl jeden Monat“ aus. Von einem „Spitzelwerk im Ausland“ ist die Rede und auch davon, dass es für die oben erwähnten Personen „ein unkalkulierbares Risiko“ darstelle, „in die Türkei zu reisen“(SPIEGEL ONLINE, 09.03.2017, a.a.O.; vgl. zur Rückkehrgefährdung in die Türkei schon kurz vor dem Putschversuch: Nieders. OVG, Urteil vom 31.05.2016 - 11 LB 53/15 -, InfAuslR 2016, 450).
29 
Nach alledem ist die Lage in der Türkei zum Zeitpunkt der Entscheidung von absoluter Unsicherheit geprägt. Die Beweislast dafür trägt die Behörde, dass nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Nach den vorstehenden Ausführungen zur Lage in der Türkei ist von einer solchen Entwicklung zum Positiven hin absolut nicht auszugehen.
30 
Außerdem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgesprochen detailreich und glaubhaft geschildert, dass und wie er sich hier in Deutschland auch heute noch politisch für die Organisation Heyva Sor a Kurdistane engagiert und Geld für Hilfsprojekte in den Kurdengebieten sammelt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Aktivitäten dem türkischen Geheimdienst nicht verborgen geblieben sind, mithin besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei asylrelevanten Maßnahmen ausgesetzt ist.
31 
Da nach alledem die Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellungen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in vollem Umfang auszuheben.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).

Gründe

 
18 
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl nicht sämtliche Beteiligte im Termin zur mündlichen Verhandlung vertreten waren, denn auf diese Möglichkeit ist in den ordnungsgemäß bewirkten Ladungen hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
19 
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid des Bundesamt vom 16.02.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
20 
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG (seinerzeit Feststellung der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
21 
Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, ABl EU Nr. L 304 vom 30.09.2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 05.08.2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG sind daher unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedsstaat in jedem Einzelfall nachzuweisen hat, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Die unionsrechtlichen Vorgaben für ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 02.03.2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. -, NVwZ 2010, 505) weiter kon-kretisiert. Eine erhebliche Veränderung der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt demnach voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben (vgl. dazu: VGH Bad.-Württ. Urteil vom 27.08.2013, - A 12 S 561/13 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Rechtskraft eines zur Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils steht einer Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylG nicht entgegen, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat. Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die Behörde ist aber bei einer entscheidungserheblichen Änderung des für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Sachverhalts nicht gehindert, einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen, den sie in Erfüllung ihrer Verpflichtung aus einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil erlassen hat. Das ist im Asylrecht dann der Fall, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist (VGH Bad.-Württ. Urteil vom 27.08.2013, a.a.O., unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 18.09.2001 - 1 C 7.01 -, BVerwGE 115, 118).
23 
Davon ausgehend ist im vorliegenden Fall jedoch eine Veränderung der Sachlage im Verhältnis zu den dem Urteil des Verwaltungsgerichts X zugrunde gelegten Tatsachen nicht mehr gegeben. Spätestens nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 kann von einem Reformprozess in der Türkei keine Rede mehr sein.
24 
Der Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg hat in dem bereits genannten Urteil, auf das sich auch die Begründung des angefochtenen Widerrufsbescheids bezieht, u.a. angeführt, dass sich die Verhältnisse in der Türkei seit 1999 geändert hätten. Es heißt dort, dass die vergangenen Jahre in der Türkei durch einen tiefgreifenden Reformprozess gekennzeichnet gewesen seien, der wesentliche Teile der Rechtsordnung betroffen habe. Es ist im Weiteren von der Beendigung des Notstandsregimes die Rede. Außerdem gehörten zu dem Reformpaket auch die Ausweitung der Minderheitenrechte vor allem für die Kurden und die Stärkung der Meinungsfreiheit. Zudem habe sich die allgemeine Sicherheitslage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei verbessert. Das Notstandsregime, das in 13 Provinzen gegolten habe, sei mit der Aufhebung des Notstands in den letzten Notstandsprovinzen Diyarbakir und Sirnak im November 2002 beendet worden (VGH Bad.-Württ. Urteil vom 27.08.2013, a.a.O., juris, Rdnr. 70/72).
25 
Diese im Jahr 2013 noch zutreffende Prognose kann nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 nicht mehr aufrechterhalten werden, vielmehr ist zu befürchten, dass sich die Türkei immer mehr in Richtung Diktatur entwickelt. Davon, dass der Reformprozess vorangetrieben wird, kann keine Rede mehr sein. Von „Säuberungsmaßnahmen“ ist die Rede, der landesweite Ausnahmezustand wurde um weitere 3 Monate bis Mitte April verlängert, die Meinungs- und Pressefreiheit sind akut bedroht, zahlreiche kurdische Abgeordnete sind inhaftiert.
26 
In dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: Januar 2017) heißt es, nach dem Putschversuch habe die Regierung sog. ,,Säuberungsmaßnahmen" gegen Individuen und Institutionen eingeleitet, welche sie der GüIen-Bewegung zurechne oder denen eine Nähe zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder anderen terroristischen Vereinigungen vorgeworfen werde. Im Zuge dieser Maßnahmen seien bislang gegen 103.850 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet, 86.519 Personen in Polizeigewahrsam genommen worden, davon befänden sich 41.034 in Untersuchungshaft (7.597 Polizei, 6.748 Militär, 2.433 Richter und Staatsanwälte) (Stand: 4.1.2017). 76.000 Beamte seien vom Dienst suspendiert worden, auch sei es zur Beendigung des Beamtenverhältnisses bei Militärangehörigen (7.536) gekommen. Die Maßnahmen zielten erklärtermaßen darauf ab, die Anhänger der Gülen-Bewegung aus allen relevanten Institutionen in der Türkei zu entfernen. Bei diesen ,,Säuberungen" werde nicht zwischen Personen unterschieden, denen lediglich eine Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen werde und jenen Personen, die einer aktiven Beteiligung am Putschversuch verdächtigt würden. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen habe die Regierung am 20.07.2016 den Notstand verhängt, zunächst für drei Monate. Am 19.10.2016 und am 03.01.2017 sei dieser Notstand für jeweils weitere drei Monate verlängert worden. Er gelte nun mindestens bis 19.04.2017. …. Die Regierung habe seit dem Putschversuch eine fast alles beherrschende nationalistische Atmosphäre geschaffen, die gleichermaßen auf Furcht, Euphorie, Propaganda und nationale Einheit setze. Die Atmosphäre speise sich aus den „Säuberungsmaßnahmen" und mit ihnen einhergehenden öffentlichen Aufrufen zur Denunziation, aus der Überhöhung des nationalen Widerstands, der allabendlich mit Demonstrationen auf den zentralen Plätzen der Großstädte gefeiert werde.…..Thematisch fahre Erdogan zur Erreichung seines Ziels seit Sommer 2015 einen verstärkt nationalistischen Kurs, dessen Kernelement das bedingungslose Vorgehen im Kurdenkonflikt gegen die PKK sei. …Viele der zunehmenden Freiheitseinschränkungen und Repressionsmaßnahmen rechtfertige die Regierung mit der Notwendigkeit, den Terrorismus zu bekämpfen. Jedoch würden jenseits der Bekämpfung realer terroristischer Bedrohungen Terrorismusvorwürfe inflationär genutzt. Neben der Einstufung der GüIen-Bewegung als Terrororganisation sei u.a. 57 von 59 Abgeordneten der prokurdischen HDP die parlamentarische Immunität entzogen worden. Die Verfahren gegen die HDP-Abgeordneten stützten sich überwiegend auf angebliche Verstöße gegen die Anti-Terror-Gesetze. Nach Abschluss der Verfahren könnten einige dieser Abgeordneten ihr Mandat verlieren. Aktuell befänden sich 13 HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft (Stand: 30.12.2016). …..Die Meinungs- und Pressefreiheit seien akut bedroht. Seit Juli seien per Notstandsdekret rund 170 überwiegend Gülen-nahe und kurdische Print- und Bildmedien geschlossen worden; ca. 3.000 Journalisten hätten durch Schließungen ihren Job verloren und hätten - gebrandmarkt als Gülenisten oder PKK-Sympathisanten - keine Aussicht darauf, einen neuen zu finden. Als Grundlage für das strafrechtliche Vorgehen gegen diese Personen werde häufig ebenfalls der Terrorismustatbestand bzw. der Vorwurf der Propaganda für terroristische Organisationen angeführt. 140 Journalisten säßen nach Angaben von Human Rights Watch derzeit in Haft (Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei, Stand 04.01.2017; siehe auch ZEIT ONLINE, 26.12.2016: „Anti-Terror-Polizei nimmt HDP-Vizechefin fest“; ZEIT ONLINE, 30.12.2016: „Haftbefehl gegen kritischen Journalisten in der Türkei erlassen“, dieser Artikel betrifft den Journalisten und Buchautor Ahmet Sik; zur Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel: ZEIT ONLINE, 27.02.2017: „Richter ordnet Untersuchungshaft gegen „Welt“-Korrespondenten an“).
27 
Auch nach dem 04.01.2017 wurden weitere 6000 Bedienstete entlassen (ZEIT ONLINE, 07.01.2017: „Türkei entlässt weitere 6000 Bedienstete“). Betroffen seien Polizisten, Angestellte des Justiz- und Gesundheitsministeriums und Universitätslehrkräfte. Auch gegen fast 400 Unternehmer wurden Haftbefehle erlassen, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wurden (ZEIT ONLINE, 05.01.2017: „Behörden erlassen Haftbefehl gegen 380 Unternehmer“). Auch wer in der Türkei Aussagen etwa über die PKK online veröffentlicht, muss damit rechnen, verhaftet zu werden. 1.656 Menschen sind inhaftiert worden wegen Beiträgen in sozialen Medien unter anderem über die PKK, in 3700 Fällen wird ermittelt (ZEIT ONLINE, 24.12.2016: „Mehr als 1000 Festnahmen wegen Beiträgen in sozialen Medien“; ZEIT ONLINE, 28.2.2017: „Jeder kann zum Terrorverdächtigen werden“). Auch in Deutschland müssen türkische Staatsbürger damit rechnen, dass etwaige Kritik an der türkischen Regierung bzw. Aussagen zur PKK dem türkischen Generalkonsulat gemeldet werden (ZEIT ONLINE, 23.02.2017: „Türkei fordert offenbar zu Spitzelei an Schulen auf“ und SPIEGEL ONLINE, 09.03.2017: „Willkommen in Istanbul, Sie sind festgenommen“ zur Festnahme von Deutschen und Österreichern mit Wurzeln in der Türkei, die nach ihrer Ankunft am Flughafen Istanbul festgenommen worden sind - wohl wegen ihrer Kritik an Präsident Erdogan. Möglicherweise wurden sie zuvor bespitzelt.)
28 
Soweit es im oben erwähnten Lagebericht des Auswärtigen Amtes mit Stand 04.01.2017 im weiteren Verlauf zur Frage der Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern noch heißt, dass dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, indem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden sei. (Seite 29), kommt diesen Ausführungen nach der mittlerweile eingetretenen weiteren Verschärfung der Situation in der Türkei und der Verschlechterung des Verhältnisses zu Deutschland keine Aussagekraft mehr zu. Diese Passage stimmt wörtlich mit dem Lagebericht mit Stand August 2015 überein, der noch vor dem gescheiterten Putschversuch des Jahres 2016 erstellt worden ist, und ist nicht mehr aktuell. So berichten die Medien - wie bereits ausgeführt - sogar über Festnahmen bei der Einreise von Deutschen und Österreichern mit türkischen Wurzeln wegen ihrer Kritik an Präsident Erdogan. Laut Aussage eines westlichen Diplomaten gehe man von einer „hohen zweistelligen Zahl jeden Monat“ aus. Von einem „Spitzelwerk im Ausland“ ist die Rede und auch davon, dass es für die oben erwähnten Personen „ein unkalkulierbares Risiko“ darstelle, „in die Türkei zu reisen“(SPIEGEL ONLINE, 09.03.2017, a.a.O.; vgl. zur Rückkehrgefährdung in die Türkei schon kurz vor dem Putschversuch: Nieders. OVG, Urteil vom 31.05.2016 - 11 LB 53/15 -, InfAuslR 2016, 450).
29 
Nach alledem ist die Lage in der Türkei zum Zeitpunkt der Entscheidung von absoluter Unsicherheit geprägt. Die Beweislast dafür trägt die Behörde, dass nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Nach den vorstehenden Ausführungen zur Lage in der Türkei ist von einer solchen Entwicklung zum Positiven hin absolut nicht auszugehen.
30 
Außerdem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgesprochen detailreich und glaubhaft geschildert, dass und wie er sich hier in Deutschland auch heute noch politisch für die Organisation Heyva Sor a Kurdistane engagiert und Geld für Hilfsprojekte in den Kurdengebieten sammelt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Aktivitäten dem türkischen Geheimdienst nicht verborgen geblieben sind, mithin besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei asylrelevanten Maßnahmen ausgesetzt ist.
31 
Da nach alledem die Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellungen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in vollem Umfang auszuheben.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 31. Januar 2011, soweit es Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, geändert.

Nr. 1 bis Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Januar 2009 werden aufgehoben.

Unter Einbeziehung der teilweise rechtskräftigen Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts trägt die Beklagte die Kosten des Verfahrens beider Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Gründe

I

1

Der Antragsteller, ein in Deutschland geborener und aufgewachsener 21-jähriger türkischer Staatsangehöriger, begehrt einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf die Anordnung seiner Abschiebung in die Türkei.

2

Mit Verfügung vom 27. Juni 2017 ordnete das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen - gestützt auf § 58a AufenthG - die Abschiebung des Antragstellers in die Türkei an. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Antragsteller enge Kontakte in radikal-islamistische Kreise pflege, mit der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat (IS)" sympathisiere und gewillt sei, die Ziele des "IS" auch aktiv durch Gewaltakte zu unterstützen. Daraus ergebe sich die auf Tatsachen gestützte Prognose, dass vom Antragsteller die Gefahr ausgehe, für sein Vorbild "Islamischer Staat" Anschläge gegen "staatliche Funktionen" oder gegen Unbeteiligte in Deutschland zu verüben. Gegen ihn wurde im März 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a und § 89b StGB eingeleitet und am 28. März 2017 durch das Amtsgericht Dortmund Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet. Am 20. Juli 2017 hat die Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht Düsseldorf erhoben (601 Js 34/17). Am 13. Juli 2017 hat das Amtsgericht Dortmund zudem Sicherungshaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet (810 XIV(B) 57/17).

3

Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2017 hat der Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen die Abschiebungsanordnung erhoben und am 1. August 2017 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt und diesen Antrag mit Schriftsatz vom 18. September 2017 näher begründet. Er hält die Verfügung für rechtswidrig. Der Antragsteller sei vor Erlass der Verfügung nicht hinreichend angehört worden. Vom Antragsteller gehe keine terroristische Gefahr aus. Die ihm vorgeworfenen Äußerungen ergäben sich nicht aus Chat-Protokollen und seinen eigenen Angaben gegenüber der Haftrichterin. Die Antragsgegnerin stütze sich vielmehr auf die Angaben der Polizeibeamten der Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz (KIST) beim Polizeipräsidium B., die möglicherweise von der Vorbereitung der Abschiebungsanordnung gewusst und daher die Sätze geliefert hätten, die hierfür erforderlich seien, nämlich das Bekenntnis zum "IS" und "in Deutschland etwas machen" zu wollen. Da diese Äußerungen nicht durch andere Quellen belegt werden könnten, begegneten sie erheblichen Zweifeln. Der Senat könne die Glaubwürdigkeit der Beamten nicht ohne deren Anhörung einschätzen. Was die vorgeworfene Planung einer Weiterreise nach Syrien betrifft, belegten die Chat-Protokolle das Gegenteil. Die vermeintliche Bedrohung jesidischer Bürger habe der Antragsteller stets bestritten und bestreite sie weiterhin. Im Übrigen stünden einer Abschiebung in die Türkei die dortigen Haftbedingungen entgegen. Der Antragsteller müsse damit rechnen, dort in Haft genommen zu werden. Das OLG Celle habe in einem Beschluss vom 2. Juni 2017 die Auslieferung einer Person zum Zweck der Strafverfolgung wegen der dortigen Verhältnisse in den Gefängnissen abgelehnt.

4

Der Senat hat eine Liste mit Erkenntnismitteln über die abschiebungsrelevante Lage in der Türkei erstellt und ergänzend eine Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) und von Amnesty International (AI) eingeholt. Die in der Liste aufgeführten Erkenntnismittel und die auf die Anfrage des Senats eingegangene Auskunft des AA vom 5. September 2017 und von AI vom 29. August 2017 wurden den Beteiligten zur Kenntnis gebracht.

II

5

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2017 anzuordnen, ist zulässig (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), auch ist das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zuständig (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO).

6

Der Antrag ist aber unbegründet. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Klageverfahrens in Deutschland zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt das öffentliche Interesse. An der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsanordnung bestehen keine ernstlichen Zweifel (1.). Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, die einer Abschiebung des Antragstellers in die Türkei entgegenstehen könnten, liegen nicht vor.

7

1. Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 58a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - juris und vom 26. Juli 2017 - 2 BvR 1606/17 - juris).

8

a) Die angegriffene Abschiebungsanordnung ist bei der hier gebotenen umfassenden Prüfung (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 13) nicht zu beanstanden.

9

Die Verfügung begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Es kann offen bleiben, ob hier von einer Anhörung abgesehen werden konnte, weil eine sofortige Entscheidung zumindest im öffentlichen Interesse notwendig war (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW). Denn der Antragsteller ist am 2. Juni 2017 in der Justizvollzugsanstalt D. zu der beabsichtigten Abschiebungsanordnung gemäß § 28 VwVfG NRW durch den Mitarbeiter N. der Zentralen Ausländerbehörde D. in der Justizvollzugsanstalt angehört worden. Der Ausländerbehörde war zuvor der Entwurf der Abschiebungsanordnung übermittelt worden. Im Rahmen der Anhörung erklärte der Antragsteller, er sei mit einer Abschiebung in die Türkei nicht einverstanden. Er gab an, dass "alles zwar schön geschrieben sei und er diesen Worten nicht widersprechen könne", seine Meinung jedoch feststehe. Dann verließ er die Anhörung.

10

b) Die Verfügung ist auch materiell nicht zu beanstanden. Die Abschiebungsanordnung ist gegenüber der Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG eine selbstständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie zielt auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr.

11

aa) Der Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist - wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinem Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120> = juris Rn. 17). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 15 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 17).

12

Der Begriff der "terroristischen Gefahr" knüpft an die neuartigen Bedrohungen an, die sich nach dem 11. September 2001 herausgebildet haben. Diese sind in ihrem Aktionsradius nicht territorial begrenzt und gefährden die Sicherheitsinteressen auch anderer Staaten. Im Aufenthaltsgesetz findet sich zwar keine Definition, was unter Terrorismus zu verstehen ist, die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus setzen aber einen der Rechtsanwendung fähigen Begriff des Terrorismus voraus. Auch wenn bisher die Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition des Terrorismus zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts doch im Grundsatz geklärt, unter welchen Voraussetzungen die - völkerrechtlich geächtete - Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln anzunehmen ist. Wesentliche Kriterien können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 (ABl. L 164 S. 3) sowie dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs liegt nach der Rechtsprechung des Senats eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern geeignet sind (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 16 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 18).

13

Das Erfordernis einer "besonderen" Gefahr bei der ersten Alternative bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen. Dafür spricht auch die Regelung in § 11 Abs. 5 AufenthG, die die Abschiebungsanordnung in eine Reihe mit Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt. Geht es um die Verhinderung schwerster Straftaten, durch die im "politischen/ideologischen Kampf" die Bevölkerung in Deutschland verunsichert und/oder staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmten Handlungen genötigt werden sollen, ist regelmäßig von einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und jedenfalls von einer terroristischen Gefahr auszugehen. Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 17 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 19).

14

Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbstständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG). Da es keiner Abschiebungsandrohung bedarf (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG), erübrigt sich auch die Bestimmung einer Frist zur freiwilligen Ausreise. Zuständig sind nicht die Ausländerbehörden, sondern grundsätzlich die obersten Landesbehörden (§ 58a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG). Die Zuständigkeit für den Erlass einer Abschiebungsanordnung begründet nach § 58a Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugleich eine eigene Zuständigkeit für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG ohne Bindung an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren. Die gerichtliche Kontrolle einer Abschiebungsanordnung und ihrer Vollziehung unterliegt in erster und letzter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO), ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss innerhalb einer Frist von sieben Tagen gestellt werden (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Die mit dieser Ausgestaltung des Verfahrens verbundenen Abweichungen gegenüber einer Ausweisung lassen sich nur mit einer direkt vom Ausländer ausgehenden terroristischen und/oder dem gleichzustellenden Bedrohungssituation für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 18 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 20).

15

Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten, bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen von 11. September 2001 damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mit Hilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 19 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 21).

16

Diese Auslegung steht trotz der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Einklang mit dem Grundgesetz. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche der Gefahrenabwehr mit dem Ziel schon der Straftatenverhinderung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Dann bedarf es aber zumindest einer hinreichend konkretisierten Gefahr in dem Sinne, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr bestehen. Hierfür reichen allgemeine Erfahrungssätze nicht aus, vielmehr müssen bestimmte Tatsachen im Einzelfall die Prognose eines Geschehens tragen, das zu einer zurechenbaren Verletzung gewichtiger Schutzgüter führt. Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, aber bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, kann dies schon dann der Fall sein, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Angesichts der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist eine Verlagerung der Eingriffsschwelle in das Vorfeldstadium dagegen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen, etwa allein die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - juris Rn. 20 unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. - BVerfGE 141, 220 Rn. 112 f.). Allerdings kann in Fällen, in denen sich eine Person in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert, den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung dieser radikal-islamischen Auffassung für gerechtfertigt und die Teilnahme am sogenannten "Jihad" als verpflichtend ansieht, von einer hinreichend konkreten Gefahr auszugehen sein, dass diese Person terroristische Straftaten begeht.

17

Für diese "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen nicht ausreichen. Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen kann (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 20 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 22).

18

Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Dabei kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - in der Gesamtschau ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, auch schon daraus ergeben, dass sich ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 21 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 23).

19

Der obersten Landesbehörde steht bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose aber keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung - wie jede andere staatliche Stelle - an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 22; BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - juris Rn. 42).

20

bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass vom Antragsteller derzeit aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG ausgeht, auch wenn den Sicherheitsbehörden kein konkreter Plan des Antragstellers zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden ist. Es besteht ein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko, dass er einen terroristischen Anschlag begeht oder sich an einem solchen beteiligt, bei dem Unbeteiligte ums Leben kämen.

21

Für die Beurteilung des Senats sind vor allem folgende Umstände maßgeblich, die sich aus der nicht mit Blattzahlen versehenen Ausländerakte des Antragstellers (AA), der ebenfalls nicht mit Blattzahlen versehenen Akte des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MI), den beigezogenen Strafakten sowie dem Vorbringen des Antragstellers und des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren ergeben:

22

(1) Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hat sich der Antragsteller seit 2013 zunehmend islamistisch radikalisiert. Er hat sich seit 2013 intensiv an der Koranverteilungsaktion der mittlerweile verbotenen Vereinigung "Die wahre Religion" in der B. Innenstadt beteiligt. Diese wurde im Oktober 2016 durch das Bundesministerium des Innern verboten und aufgelöst, weil sie eine Ideologie vertreten hat, die die verfassungsmäßige Ordnung ersatzlos verdrängte, den bewaffneten Jihad befürwortete und ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen darstellte, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollten. Bereits im August 2015 ist der Antragsteller von der Gruppe, mit der er die Koran-Verteilaktionen durchgeführt hatte, ausgeschlossen worden. Als Grund wurden Handgreiflichkeiten gegenüber (augenscheinlich jesidischstämmigen) Kritikern dieser Aktion angegeben. Auch hat sich der Antragsteller bei Mitgliedern der Koranverteilungsgruppe nach dem "IS" und der AI-Nusra Front erkundigt. Man hat ihm aber davon abgeraten, nach Syrien zu gehen und sich dort einer Gruppe anzuschließen.

23

Nach Angaben seines Vaters gegenüber der Polizei hat sich der Antragsteller im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablegen des Abiturs im April 2014 zunehmend religiösen Themen zugewandt, das vorher professionell betriebene Fußballspielen aufgegeben, das geplante Informatikstudium nicht begonnen und sich mit islamistischen Predigern wie V. Od. und S. Y. beschäftigt. Er hat die arabische Moschee in P. in der S.straße besucht, wo es Besucher gab, die erkennbar salafistisch ausgerichtet waren. Er begann, arabisch zu lernen. Der Antragsteller heiratete dann am 28. November 2015 nach islamischem Ritus. An der Hochzeitsfeier nahmen vier Personen teil, die wegen ihrer salafistischen Einstellung und Einwirkung auf den Antragsteller von dessen Vater für gefährlich gehalten wurden. Als ein Wortführer ist dort D. J. aufgetreten, der nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes NRW seit vielen Jahren in der salafistisch-jihadistischen Szene aktiv ist. Es besteht der Verdacht, dass J. junge Männer anwirbt, indoktriniert und sie von einer Ausreise nach Syrien/Irak überzeugt, um dort für den sog. "Islamischen Staat (IS)" tätig zu werden. In der Vergangenheit sind bereits mehrere männliche Personen erfolgreich angeworben worden. Zumindest in einem Fall habe sich ein angeworbener junger Mann in den Irak begeben und dort ein Selbstmordattentat verübt, bei dem zahlreiche Menschen getötet oder verletzt wurden.

24

Der Antragsteller entzog sich nach der Hochzeit zunehmend dem Einfluss seiner eher westlich orientierten Eltern, die ihn nicht mehr erreichen konnten. Der Vater wandte sich wenige Tage nach der Hochzeit wegen seiner Sorgen an die Polizei in B. Im Herbst des Jahres 2016 wurde dem Antragsteller aufgrund seiner fundamentalen religiösen Einstellung von Seiten seines Ausbildungsbetriebes (Stadtwerke B.) gekündigt. Sein Vater berichtete dann weiter, dass aus dem Zimmer des Antragstellers in der elterlichen Wohnung fortlaufend religiöse Kampfgesänge (Naschids) zu hören waren und dass der Antragsteller seinen Vater als Ungläubigen (Kuffar) bezeichnete. Zudem ist der Antragsteller mehrfach nach H. zum Deutschsprachigen Islamkreis e.V. gereist, in welchem D. Z., ein bekannter islamischer Hassprediger, predigte. Gegenüber seiner Mutter ist der Antragsteller auch handgreiflich geworden, was einen Polizeieinsatz zur Folge hatte. Die Verletzungen der Mutter unterhalb des linken Auges sind kriminalpolizeilich dokumentiert (BA 12, Strafanzeige vom 18. Dezember 2016 Bl. 11). Einen Baseballschläger habe er in der Hand gehalten, jedoch nicht eingesetzt. Ende Januar 2017 hat er sich im Bereich A. mit dem nigerianischen Staatsangehörigen F. H. getroffen, der als islamistischer Gefährder eingestuft war und wenige Monate später aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG, die mittlerweile rechtskräftig ist, abgeschoben wurde.

25

Am 4. November 2016 wurde sein Sohn L. geboren. Der Antragsteller hat im Rahmen des Besuchs seiner Ehefrau auf der Entbindungsstation des Klinikums D. am 6. November 2016 gegenüber einer Jesidin gestisch das Durchschneiden ihrer Kehle angedeutet. Aus den polizeilichen Ermittlungen ergibt sich, dass Frau V. R., eine türkische Jesidin, gegenüber mehreren Zeuginnen angegeben hat, dass der Kläger ihr gegenüber auf dem Flur der Entbindungsstation die Kopfabschneide-Geste gemacht hat. Zuvor war es zu Auseinandersetzungen zwischen der jesidischen Familie R. und dem Kläger gekommen, weil Familie R. Angst vor dem Kläger hatte, den sie aufgrund seines Äußeren dem "IS" zurechnete und als "Daisch" bezeichnete. Wie die Zeuginnen K. R. (entbindende Schwiegertochter) und U. Ol. (Patientin im gleichen Krankenzimmer) bekundeten, berichtete ihnen Frau V. R. davon, dass der Kläger ihr gegenüber dreimal die Kopfabschneide-Geste gemacht habe, indem er sich mit einem Finger quer über die Kehle strich. Die Zeugin K. R., die Schwiegertochter der V. R., hat nach ihrer Aussage das schnalzende Geräusch gehört, das der Kläger bei seiner Geste verwendete (Schnalzlaut mit der Zunge). Allerdings hat der Kläger vor der Tür des Krankenzimmers gestanden, so dass die frisch entbundene K. R. aus dem Krankenzimmer heraus die Geste nicht hat sehen, sondern nur das Geräusch hat vernehmen können. Die Zeugin K. R. bekundete aber, dass Frau V. R. nach dem Vorfall am ganzen Körper gezittert habe, richtig rot im Gesicht geworden sei und geweint habe. Ihre Tochter D. R. erschien wegen des Vorfalls in den späten Abendstunden des 6. November 2016 auf der Polizeiwache D. und schilderte den Sachverhalt. Der diensthabende Polizeibeamte suchte noch am Abend die Familie auf und verstand den Vorfall als konkrete Morddrohung (Zeichen für Enthauptung). Die Familie hatte allerdings große Angst und wollte deshalb keine Strafanzeige erstatten. Dies ist auch deshalb gut nachvollziehbar, weil Jesiden in Syrien und im Irak in großem Umfang Opfer von Misshandlungen durch den "IS" geworden sind.

26

Die Zeugenvernehmung der Frau V. R. am 8. November 2016 musste wegen dieser Angst abgebrochen werden. Nach dem polizeilichen Protokoll wiederholte Frau V. R. mehrfach mit ihrer Hand die Geste des Kopfabschneidens und gab zur Kenntnis, dass sie seit diesem Vorfall große Angst habe. Die Tochter D. R. gab an, dass ihre Mutter seit zwei Tagen kaum geschlafen habe. Außerdem habe ihre Mutter seit dem Vorfall aus Angst nicht mehr die Wohnung verlassen. Frau V. R. äußerte die Sorge, dass der Tatverdächtige oder andere Angehörige der Terrororganisation "Islamischer Staat" sie oder Mitglieder der Familie identifizieren und töten könnte. Trotz längerer Erörterung sei diese Angst der Geschädigten nicht zu nehmen gewesen. Daher wurde das Strafverfahren wegen Bedrohung im Ergebnis eingestellt.

27

Der Kläger bestätigte im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung am 27. Februar 2017 (BA 9 und 16 Bl. 50 - 55), dass es eine verbale Auseinandersetzung mit den jesidischen Frauen der Familie R. auf der Entbindungsstation gegeben und Frau V. R. behauptet habe, er habe sie bedroht. Er habe sich zwar auf dem Flur befunden, Frau V. R. habe auf ihn eingeredet, er glaube nicht, überhaupt ein Wort geantwortet zu haben. Auf die Frage, ob er sich gegenüber Frau R. dreimal mit dem Finger quer über die Kehle gestrichen habe, antworte der Kläger zweimal ausweichend, dazu habe er sich schon geäußert.

28

Der Senat geht bei der Würdigung der Aussagen davon aus, dass Frau V. R. am 6. November 2016 tatsächlich von dem Kläger mit der dreimaligen Geste des Kopfabschneidens bedroht worden ist. Nur so sind ihre spontanen Vorwürfe zu erklären, die sie den Zeuginnen im Krankenzimmer schilderte. Ohne den Vorfall lassen sich auch ihre ausgeprägten Angstzustände mit körperlichen Folgeerscheinungen nicht erklären, denen sie seit dem Vorfall und noch Tage danach ausgesetzt war. Auch der Umstand, dass sich die Tochter noch am späten Abend des Tages auf die Polizeistation begeben hatte, um den Vorfall zu Protokoll zu erklären, lässt sich nur so erklären. Das Verhalten ist für den Kläger auch nicht wesensfremd, war er doch schon im August 2015 von der Gruppe, mit der er die Koran-Verteilaktionen durchgeführt hatte, wegen Handgreiflichkeiten gegenüber (augenscheinlich jesidischstämmigen) Kritikern dieser Aktion ausgeschlossen worden.

29

Für die Einschätzung der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr ist weiterhin sein Ausreiseversuch nach Ägypten im März 2017 von Bedeutung. Im November 2016 meldete sich der Vater des Antragstellers bei der B. Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz (KIST) und gab an, dass der Antragsteller gegenüber seiner nach islamischem Ritus angetrauten Ehefrau geäußert habe, nach Ägypten reisen zu wollen, um dort in einer Moschee in Kairo den Islam zu studieren. Hierzu habe er Kontakt zu einem Imam namens P. Do. Dg. aufnehmen wollen.

30

Der Antragsteller hat Ende November 2016, unter Mitnahme aller persönlichen Gegenstände einschließlich seines Reisepasses, sein Elternhaus verlassen. Im Februar 2017 beantragte er einen Kinderausweis für seinen Sohn L. und gab an, eine Reise nach Ägypten zu planen. In diesem Zusammenhang wurde ein ägyptischer Visumseintrag in seinem türkischen Pass festgestellt. Im Rahmen einer Gefährderansprache durch den Staatsschutz des PP B. stritt der Antragsteller Ausreiseabsichten in ein Kriegsgebiet zum Anschluss an den "Jihad" vehement ab. Vielmehr wolle er mit seiner Frau und seinem Sohn nach Kairo reisen, um dort den Islam zu studieren. Vorher wolle er, ebenfalls in Ägypten, die arabische Sprache intensiv lernen, um eine Grundlage für das Studium zu schaffen. In der Folgezeit kam es zur Trennung des Antragstellers von seiner Frau, die seitdem das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn L. ausübt.

31

Am 21. März 2017 reiste der Antragsteller von F. nach Kairo mit Zwischenstopp in Athen. Auf Befragen gab er an, dort für die Dauer von etwa einem Monat Freunde besuchen zu wollen. Er hatte ein Gepäckstück aufgegeben. Am Morgen des 22. März 2017 wurde er in Kairo beim Einreiseversuch aufgrund seines Erscheinungsbildes kontrolliert, worauf ihm die Einreise nach Ägypten verweigert wurde. Befragt durch den ägyptischen Staatssicherheitsdienst NSS gab er an, Urlaub in Kairo machen und bei einem Freund namens P. De. Dü. wohnen zu wollen. Nach Erkenntnissen der ägyptischen Behörden steht Herr De. Dü. mit relevanten Personen aus dem terroristischen Milieu in Ägypten in Kontakt. Mittlerweile lebt Herr De. Dü. wieder in Deutschland (Göttingen, BA 8 Bl. 479), hatte aber in der Zeit vom 1. September 2014 bis zum 1. Juni 2016 in Kairo studiert (BA 8 Bl. 480).

32

Nachdem dem Antragsteller die Einreise nach Ägypten nicht gestattet worden war, flog er nach Deutschland zurück. Bei der am Flughafen Frankfurt am Main durchgeführten Untersuchung seines Gepäcks wurden rund 6 000 € Bargeld, militärisch anmutende Tarnbekleidung, diverse Kontoauszüge, Western-Union Überweisungen, Gegenstände, die eine Sympathie zum sogenannten "Islamischen Staat" vermuten lassen sowie die Geburtsurkunde des Antragstellers gefunden. Zu den mitgeführten Gegenständen gehörte eine Kopfbedeckung mit einer Symbolik des "Islamischen Staates". Bei der Sichtung seines Mobiltelefons durch Polizeikräfte wurden zahlreiche Propagandavideos des "Islamischen Staates", Bilder von Koranverteilungen in London sowie Bilder mehrerer unbekannter Personen mit salafistischem Erscheinungsbild entdeckt. In der Folgezeit bis zur Inhaftierung des Antragstellers wurden weitere Videodateien auf seinem Mobiltelefon ausgewertet. Sie zeigen nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen u.a. Kriegshandlungen, mutmaßlich des "IS", die in verherrlichender Weise zusammengeschnitten wurden. Darunter befinden sich auffallend oft Szenen mit Selbstmordattentätern, die im Film als Helden dargestellt werden und die für den sogenannten "IS" ihr Leben opfern. In diversen Filmen werden brutalste Hinrichtungen gezeigt, Enthauptungen, Erschießungen, Verbrennen von lebenden Menschen sowie regelrechte "Schlachtungen" von Menschen, denen die Kehle aufgeschnitten wird, um sie anschließend an den Füßen hängend ausbluten zu lassen. Bei einigen Hinrichtungsszenen waren erkennbar Kinder bei dem Geschehen zugegen.

33

Gegenüber Beamten des PP B. (u.a. KHK V.) hat der Antragsteller im Zusammenhang mit der Durchsuchung seines Gepäcks am Flughafen unter anderem folgende Äußerungen gemacht (BA 6 Bl. 76 ff.):

"Der Islam steht über allem, über meiner Familie und sogar meinen Eltern."

„Ich möchte als richtiger Muslim sterben und dafür werde ich alles tun."

"Glaubt ihr, dass ihr uns auf unserem Weg aufhalten könnt mit dem, was ihr hier macht? Wir werden immer mehr."

"Was sich nicht nach dem Islam richtet, gilt nicht für mich."

34

Auf die Frage, ob er hinter der Al-Nusra-Front und dem sogenannten "Islamischen Staat" stehe, hat er gegenüber dem Polizeibeamten V. geantwortet "eintausendprozentig ja" (BA 6 Bl. 77). Bei seiner richterlichen Anhörung am 29. März 2017 stritt der Antragsteller diese Äußerung allerdings ab (BA 6 Bl. 106). Auf die Frage, ob er beabsichtigt habe, wieder nach Deutschland zurückzukehren, hat er geantwortet „eintausendprozentig nein“ (BA 6 Bl. 77). Im weiteren Verlauf des Gesprächs äußerte er immer wieder Hass gegenüber Kurden. Es gäbe zu viele in Deutschland und die würden den Islam bekämpfen.

35

Während der Rückfahrt nach Nordrhein-Westfalen mit dem Zug hat der Antragsteller am Bahnhof K.-D. gegenüber den Beamten weiterhin erklärt, dass der Westen den muslimischen Ländern mit Waffen die Demokratie aufzwingen wolle und sich damit gegen den Islam stelle. Das würden sich die Muslime nicht gefallen lassen. Man müsse also verstehen, dass ein Muslim etwas machen müsse, wenn er sieht, dass in Syrien Kinder durch Bomben getötet würden. Man müsse doch verstehen, wenn auch die Muslime mal etwas in Amerika oder Deutschland machten.

36

Aus den gegenüber den Polizeibeamten nach Rückkehr aus Ägypten getätigten Äußerungen des Antragstellers ergibt sich seine uneingeschränkte Identifikation mit dem "IS" und dem gewaltsamen "Jihad" im Nahen Osten sowie mit dessen Anschlägen in Europa. Der Senat hat keinen Anlass, an den detailreichen Angaben des KHK V. in dessen Vermerk vom 28. März 2017 (BA 6 Bl. 76 ff.) zu zweifeln. Die Glaubwürdigkeit der Angaben "der Polizeibeamten der KIST des PP B.", die der Bevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 18. September 2017 - korrigiert im Schriftsatz vom 19. September 2017 - in Zweifel zieht, wird nicht dadurch erschüttert, dass KHK V. Äußerungen des Antragstellers wiedergibt, die sich nachteilig für ihn auswirken. Die in den Äußerungen zum Ausdruck kommende Identifikation des Antragstellers mit dem "IS" ergibt sich für den Senat zudem aus den auf seinem Mobiltelefon sichergestellten Propagandavideos, den in der elterlichen Wohnung gehörten religiösen Kampfgesängen und weiteren bereits aufgeführten Tatsachen sowie aus den bei seinem Ausreiseversuch mitgeführten Kleidungsstücken, u.a. aus der Kopfbedeckung mit einer Symbolik des "Islamischen Staates". Aus den Chat-Protokollen ergibt sich jedenfalls nichts Gegenteiliges. Das Bestreiten des Antragstellers wertet der Senat demgegenüber als bloße Schutzbehauptung, um strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Maßnahmen zu entgehen.

37

Offen ist hingegen für den Senat nach derzeitigem Erkenntnisstand, ob der Antragsteller ausschließlich nach Ägypten oder von dort auch weiter ins syrisch-irakische Kriegsgebiet reisen wollte. Zwar können die Art der mitgeführten Kleidung und einige Äußerungen des Antragstellers dahin ausgelegt werden, dass eine Weiterreise ins Kriegsgebiet beabsichtigt war. So soll er bei seiner Vernehmung in F. im Anschluss an die zollrechtliche Untersuchung gesagt haben, er sei nach Ägypten ausgereist, weil Freunde von ihm aus D. in die Türkei ausgereist seien und dort zurückgewiesen worden waren. Er habe sich daher für eine Ausreise nach Ägypten entschieden (BA 6 Bl. 77 f.). Bei seiner richterlichen Anhörung am 29. März 2017 gab der Antragsteller aber an, diese Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen (BA 6 Bl. 106). Andererseits sah er auch Ägypten unter der Militärregierung nicht als gottgefälligen Staat an (BA 6 Bl. 74). Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 28. März 2017 wird unter anderem darauf gestützt, es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller von Ägypten aus den Weg über die Sinai-Halbinsel in das Krisengebiet habe nehmen wollen, um eine Zurückweisung in der Türkei zu vermeiden (BA 6 Bl. 100). Bei seiner richterlichen Vernehmung am 31. März 2017 stritt der Antragsteller aber ab, eine Weiterreise in das Kampfgebiet geplant zu haben (BA 6 Bl. 161). Für eine Ausreise allein nach Ägypten sprechen die vom Mobiltelefon des Antragstellers ausgelesenen Telefonate und Chats. Diese sprechen eher dafür, dass er tatsächlich in Kairo die arabische Sprache und islamische Theologie studieren wollte, wie dies sein "Mentor" P. De. Dü. getan hatte, der in der Zeit vom 1. September 2014 bis zum 1. Juni 2016 in Kairo studiert hatte und dann wieder nach Deutschland zurückgekehrt war. Entsprechend hatte sich der Antragsteller auch gegenüber seinem Vater und der Mutter seines Sohnes geäußert.

38

(2) Angesichts der vorstehend festgestellten Tatsachen, die sich auf Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden und Zeugenaussagen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stützen, hält es der Senat hier für hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller seinen über einen langen Zeitraum gebildeten und bekundeten Überzeugungen auch Taten folgen lässt und einen - ohne großen Vorbereitungsaufwand möglichen - Terroranschlag in Deutschland begeht. Die von ihm ausgehende Bedrohungssituation kann sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umschlagen.

39

Die Gesamtschau der den Antragsteller betreffenden Erkenntnisse ergibt, dass es sich bei ihm um eine Person handelt, die der radikal-islamistischen Szene salafistischer Ausrichtung angehört, sich uneingeschränkt mit dem "IS" identifiziert und sich für dessen Ziele einsetzt. Er kleidet sich in einer Weise, die ihn für außenstehende Dritte, wie die jesidische Familie R., als "IS"-Anhänger (Daesch) ausweist, besitzt eine Kopfbedeckung mit "IS"-Symbolik, hörte in seinem Zimmer in der elterlichen Wohnung fortlaufend religiöse Kampfgesänge (Naschids) und erklärte gegenüber den Polizeibeamten am F. Flughafen, er identifiziere sich "eintausendprozentig" mit dem "IS". Er hat sich von seinem säkularen Umfeld vollständig isoliert, bezeichnet seinen Vater als Ungläubigen (Kuffar), ist gegenüber seiner Mutter handgreiflich geworden, gab seinen zuvor professionell betriebenen Sport auf, nahm nach dem Abitur kein Studium auf, musste die Lehre bei den Stadtwerken wegen seines islamistischen Erscheinungsbildes abbrechen. Stattdessen bewegt er sich in radikal-islamistischen Kreisen und pflegt Kontakt zu terroristischen Gefährdern wie dem nigerianischen Staatsangehörigen F. H. sowie D. J., der nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes NRW seit vielen Jahren in der salafistisch-jihadistischen Szene aktiv sein soll und verdächtigt wird, junge Männer anzuwerben, zu indoktrinieren und sie von einer Ausreise nach Syrien/Irak zu überzeugen, um dort für den "Islamischen Staat (IS)" tätig zu werden. Er hatte sich intensiv an der Koranverteilungsaktion der mittlerweile verbotenen Vereinigung "Die wahre Religion" in der B. Innenstadt beteiligt, die im Oktober 2016 verboten wurde, u.a. weil sie den bewaffneten "Jihad" befürwortete und ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen darstellte, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollten.

40

In der Gesamtschau ist hier nicht lediglich vom Vorliegen einer verfestigten, innerlich unbedingt verpflichtenden extremen ideologischen Überzeugung bei dem Antragsteller auszugehen, sondern von einer in relevantem Umfang erhöhten Bereitschaft, seine uneingeschränkte Identifikation mit dem "IS" durch gewaltsame oder terroristische Methoden in die Tat umzusetzen. Der "IS" erwartet von jedem seiner Anhänger die Mitwirkung am "Jihad", eine Trennung in steuernde "Paten" und ausführende Attentäter gibt es beim "IS" nicht. Zudem äußerte der Antragsteller gegenüber der Polizei sein Verständnis dafür, dass ein Muslim in Europa oder Amerika "etwas machen müsse", wenn er sehe, dass in Syrien Kinder durch Bomben getötet würden. Der Antragsteller hat ferner der Jesidin V. R. mit eindeutiger Zeichensprache die Enthauptung angedroht, eine Tötung wie sie auf "IS"-Videos in brutaler Weise dargestellt wird, von denen der Antragsteller zahlreiche auf seinem Mobilfunkgerät verfügbar gehalten hat. Dass er vor Gewaltakten nicht zurückschreckt, hat er durch die begangene Körperverletzung gegenüber seiner eigenen Mutter gezeigt.

41

Das Risiko eines terroristischen Anschlags durch den Antragsteller ist auch nicht durch dessen Bindung an seine ihm nach islamischem Ritus angetraute Lebensgefährtin, seinen knapp einjährigen Sohn L. oder sonstige Umstände verringert. Seine Lebensgefährtin hat sich von ihm getrennt und übt das alleinige Sorgerecht für den Sohn aus. Zudem ist nicht erkennbar und wird auch nicht behauptet, dass die Lebensgefährtin einen mäßigenden Einfluss auf ihn hat. Ein mäßigender Einfluss von den (nicht radikalisierten) Mitgliedern der Familie des Antragstellers ist ebenfalls nicht zu erwarten, da er sich von diesen bewusst distanziert hat.

42

cc) Selbst wenn man unterstellt, dass die Abschiebungsanordnung eine dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) unterfallende Rückkehrentscheidung darstellt, ist sie mit den sich hieraus ergebenden unionsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren.

43

Insbesondere musste dem Antragsteller keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden, da von ihm eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die nationale Sicherheit ausgeht (Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG). Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung steht bei unterstellter Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115/EG auch nicht entgegen, dass der Antragsgegner unter Ziffer 4. des angegriffenen Bescheids ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet hat (vgl. hierzu die Ausführungen des Senats im Verweisungsbeschluss vom 22. August 2017 - 1 A 10.17). Die Regelung in § 11 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG, wonach bei jeder Abschiebung kraft Gesetzes ein Einreise- und Aufenthaltsverbot eintritt, das von der Ausländerbehörde beim Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG nicht befristet werden darf, solange die oberste Landesbehörde nicht im Einzelfall eine Ausnahme zulässt, stünde dann zwar nicht im Einklang mit Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG. Denn danach bedarf ein mit einer Rückkehrentscheidung einhergehendes Einreiseverbot immer einer Einzelfallentscheidung zu seiner Dauer. Diese unionsrechtliche Vorgabe hätte im Falle ihrer Anwendbarkeit zur Folge, dass bei einer Abschiebungsanordnung allein durch eine Abschiebung ohne eine solche Einzelfallentscheidung kein Einreise- und Aufenthaltsverbot entstehen würde. Auch eine fehlerhafte behördliche Entscheidung zur Dauer des Einreiseverbots würde indes nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung führen, da es sich hierbei um eine eigenständige und selbstständig anfechtbare Entscheidung zu den Rechtsfolgen einer vollzogenen Abschiebungsanordnung handelt. Die hiermit verbundene Frage des nationalen und des Unionsrechts können hier mithin offenbleiben.

44

dd) Die Abschiebungsanordnung ist auch nicht ermessensfehlerhaft und genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an der Abwehr der vom Antragsteller ausgehenden terroristischen Gefahr ein höheres Gewicht beimisst als dessen Interesse am Verbleib in Deutschland. Der Schutz der Allgemeinheit vor Terroranschlägen gehört zu den wichtigsten öffentlichen Aufgaben und kann auch sehr weitreichende Eingriffe in die Rechte Einzelner rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1973 - 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73 - BVerfGE 35, 382 <402 f.>; Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. - BVerfGE 141, 220 Rn. 96, 132).

45

Der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung gewürdigt, dass der Antragsteller seit seiner Geburt in Deutschland lebt, im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und assoziationsberechtigt nach dem Abkommen EWG-Türkei ist, indem er sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen kann. Damit kann der Aufenthalt des Antragstellers nur unter den Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 AufenthG beendet werden, d.h. sein persönliches Verhalten muss gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Aufenthaltsbeendigung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - NVwZ 2012, 422 Rn. 80 ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr eines jederzeit möglichen terroristischen Anschlags nicht auf andere Weise gleich wirksam begegnet werden kann wie durch die Beendigung des Aufenthalts. Das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu erfüllende Erfordernis einer gegenwärtigen "konkreten Gefährdung" der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/98 - Rn. 84) bedeutet, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht auf vergangenes strafbares Verhalten gestützt werden dürfen, sondern gegenwärtig noch eine konkrete Bedrohung für hochrangige Rechtsgüter ausgehen muss. Eine "konkrete Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts wird damit nicht gefordert, vielmehr reicht eine terroristische Gefahr im Sinne von § 58a Abs. 1 AufenthG aus, die gegenwärtig ist und sich jederzeit realisieren kann.

46

Bei der Ermessensentscheidung hat der Antragsgegner auch gewürdigt, dass der Antragsteller in Deutschland zur Schule gegangen ist und die deutsche Sprache beherrscht. Außerdem leben seine Eltern und sein Sohn L. in Deutschland, der Sohn allerdings getrennt von ihm bei der das alleinige Sorgerecht ausübenden Mutter. Zudem gelang dem Antragsteller allenfalls eine partielle Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse, da er auf Grund seiner ideologischen Einstellung die hier gültige Gesellschaftsordnung und die staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und mit Hilfe der von ihm vertretenen islamistischen Weltanschauung zu überwinden trachtet. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf Personen, die ebenfalls Teil der radikal-islamistischen Szene sind; mit dem Teil seiner Familie, der seine radikal-islamistischen Einstellung ablehnt, hat der Antragsteller gebrochen. Auch ist dem Antragsteller eine Integration in die Lebensverhältnisse seines Herkunftslandes zumutbar, zumal er über grundlegende türkische Sprachkenntnisse verfügt.

47

2. Dem Vollzug der Abschiebungsanordnung stehen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen. Das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG hindert den Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht, es führt aber dazu, dass der Betroffene nicht in diesen Staat abgeschoben werden darf (§ 58a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 59 Abs. 2 und 3 AufenthG in entsprechender Anwendung). Aus diesem Grund hat die zuständige Behörde beim Erlass einer Abschiebungsanordnung in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der beabsichtigten Abschiebung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Dies umfasst sowohl die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) oder als subsidiär Schutzberechtigter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) vorliegen, als auch die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.

48

Für eine Verfolgung des Antragstellers wegen dessen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG liegen keine Anhaltspunkte vor. Eine mögliche Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder terroristischer Betätigung stellt keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG dar. Der Antragsteller selbst trägt eine solche Gefahr im Übrigen auch selbst nicht vor.

49

Der Antragsteller hält es nicht für ausgeschlossen, dass ihm in der Türkei die Haft droht. Die türkischen Sicherheitsbehörden und die türkische Justiz gingen nicht nur gegen vermeintliche PKK- und Gülen-Anhänger vor, vielmehr würden möglicherweise auch vermeintliche Anhänger oder Sympathisanten des "IS" verfolgt. Da der Inhalt der Abschiebungsanordnung den Antragsteller in die Nähe des "IS" rücke, müsse er befürchten, im Zuge der Abschiebung in türkische Haft zu kommen. Die dortigen Haftbedingungen würden im Hinblick auf die aktuelle politische Lage in der Türkei nicht den menschenrechtlichen Mindestanforderungen entsprechen. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang auf einen Beschluss des OLG Celle vom 2. Juni 2017 (2 AR (Ausl) 44/17), der deshalb entsprechende Zusicherungen für die Rechtmäßigkeit einer Auslieferung verlange.

50

Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen werden Anhänger des sogenannten "Islamischen Staats" in der Türkei strafrechtlich verfolgt. Aus der Antwort des Auswärtigen Amtes auf Fragen des Senats ergibt sich, dass sich im Februar 2017 nach Angaben des türkischen Justizministeriums insgesamt 498 ausländische "IS"-Anhänger in türkischen Haftanstalten befunden haben sollen, davon 470 in Untersuchungshaft und 28 im Strafvollzug. Zahlen zu türkischen Staatsangehörigen liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Es verfügt auch nicht über offizielle Angaben zu den angewandten Strafvorschriften und zur Strafhöhe. Nach Pressemeldungen zu Einzelfällen seien Artikel·309 tStGB und Artikel 314 tStGB angewandt worden. Amnesty International hat auf die Fragen des Senats mitgeteilt, sie verfügten über keine eigenen Erkenntnisse darüber, in welchem Ausmaß, mit welcher Konsequenz und ab welchem Grad der Unterstützungsaktivität "IS"-Anhänger in der Türkei verfolgt würden. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes geht der Senat allerdings davon aus, dass eine Strafverfolgung des Antragstellers auch wegen seiner Aktivitäten außerhalb der Türkei möglich erscheint.

51

a) Was die Konsequenzen einer Inhaftierung anbetrifft, liegt keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass dem Antragsteller in der Haft oder im Polizeigewahrsam eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht. Wie das Auswärtige Amt mitgeteilt hat, sind Verstöße gegen Art. 3 EMRK im Rahmen der Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen "IS"-Anhänger nicht bekannt geworden. Auch sind dem Auswärtigen Amt keine Hinweise auf eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung außerhalb von Ermittlungs- oder Strafverfahren spezifisch gegenüber "IS"-Anhängern bekannt. Vielmehr gilt seine Erkenntnis aus dem Lagebericht vom 19. Februar 2017 (S. 29) fort, die lautet:

52

"Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA."

53

Zwar gebe es Hinweise auf Einzelfälle, in denen - im Rahmen des Vorgehens gegen mutmaßliche terroristische Täter zur Gefahrenabwehr oder bei Ermittlungshandlungen - Verstöße gegen Art. 3 EMRK von Betroffenen oder ihren Rechtsanwälten behauptet worden seien. Allerdings verfügt auch Amnesty International zur Frage, ob "IS"-Anhänger Opfer von Folter wurden, über keine Informationen. Berücksichtigt man, dass Amnesty International über Informationen über die Betroffenheit anderer Personenkreise von Folter in der Türkei verfügt - besonders häufig betroffen sind danach Personen, die der Unterstützung der PKK bezichtigt werden, sowie Personen, die der Beteiligung am Putschversuch im letzten Jahr beschuldigt werden - liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zum Nachteil des Antragstellers vor.

54

Diese Beurteilung gilt auch unter Berücksichtigung der von Amnesty International hervorgehobenen Tatsache, dass Berichte über Folter in Polizeigewahrsam seit der Aufkündigung des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Juli 2015 und insbesondere seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 drastisch zugenommen haben. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Folter gegenüber vermeintlichen "IS"-Anhängern nicht bekannt geworden sein sollte. Dieser Beurteilung steht die Tatsache nicht entgegen, dass sich die Einstellung der türkischen Regierung gegenüber dem "IS" zum Negativen verändert hat, seit "IS"-Mitglieder im Sommer 2014 Geiseln im türkischen Konsulat in Mosul genommen, die Türkei ihre Enklave Süleyman Shah in Syrien im Februar 2015 räumen musste und der türkische Außenminister die Durchreise von fremden "IS"-Kämpfern durch die Türkei im Januar 2015 als "greatest threat" für sein Land bezeichnete.

55

Fehlt es an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zum Nachteil des Antragstellers, kommt es für die Entscheidung des Senats nicht darauf an, ob und inwieweit Schutzmaßnahmen gegen Folter unter dem nach wie vor geltenden Ausnahmezustand systematisch abgebaut wurden. Daher ist auch nicht entscheidungserheblich, in welchem Umfang türkischen Behörden Informationen über ausländische Aktivitäten vermeintlicher "IS"-Anhänger bekannt sind.

56

b) Allerdings ergibt sich aus Beschlüssen von Oberlandesgerichten in Auslieferungssachen, u.a. aus dem vom Bevollmächtigten des Antragstellers zitierten Beschluss des OLG Celle vom 2. Juni 2016, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Haftbedingungen in der Türkei nach dem Putschversuch im Juli 2016 aufgrund der massenhaften Inhaftierungen den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen widersprechen (OLG Celle, Beschluss vom 2. Juni 2016 - 2 AR (Ausl) 44/17 - StraFo 2017, 292 = juris Rn. 10; OLG München, Beschluss vom 16. August 2016, 1 AR 252/16 - NStZ-RR 2016, 323 <324>; KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017 - (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) - StraFo 2017, 70). Im Hinblick auf Art. 3 EMRK müssen die Hafträume nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestimmte Bedingungen aufweisen, insbesondere müssen die vorhandenen Tageslichtverhältnisse und die vorhandenen Sanitärzellen ausreichend sein. Auch das Niveau der Beleuchtung, der Heizung, der Lüftung und der medizinischen Versorgung sowie der Ernährung der Häftlinge ist insoweit von Bedeutung. Dem Häftling muss in der Regel eine Fläche von 3 m² in einem Gemeinschaftshaftraum ohne Berücksichtigung des Mobiliars zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18. August 2017 - 2 BvR 424/17 - juris Rn. 37 m.w.N). Die zitierten mit Auslieferungssachen befassten Gerichte sehen die Gefahr, dass Betroffene im Falle ihrer Auslieferung wegen der Überbelegung der Haftzellen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein könnten, was ein Zulässigkeitshindernis nach § 73 Satz 1 IRG begründet. Dieses Zulässigkeitshindernis kann nach der zitierten Rechtsprechung jedoch dadurch ausgeräumt werden, dass die türkischen Behörden eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung in Bezug auf die Haftbedingungen abgeben, unter denen der Betroffene nach erfolgter Auslieferung inhaftiert sein wird. Diese Rechtsprechung lässt sich auf das Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG übertragen, weshalb der Senat die Abschiebung nur mit der Maßgabe zulässt, dass die türkischen Behörden zusichern, dass die räumliche Unterbringung und die sonstige Gestaltung der Haftbedingungen im Fall einer Inhaftierung des Antragstellers wegen seines Verhaltens vor der Abschiebung den europäischen Mindeststandards entsprechen. Darüber hinaus ist von den türkischen Behörden zuzusichern, dass Besuche durch diplomatische oder konsularische Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Antragsteller zur Kontrolle seiner Haftbedingungen während der Dauer einer möglichen Inhaftierung möglich sind (entsprechend OLG Celle, Beschluss vom 2. Juni 2016 - 2 AR (Ausl) 44/17 - StraFo 2017, 292 = juris Rn. 11 f.; OLG München, Beschluss vom 16. August 2016, 1 AR 252/16 - NStZ-RR 2016, 323 <324>; KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017 - (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) - StraFo 2017, 70 = juris Rn. 8 ff.).

57

Im Fall des Antragstellers erscheint eine Inhaftierung bei Rückführung in die Türkei deshalb beachtlich wahrscheinlich, weil ihm vorgeworfen wird, in Deutschland eine Straftat nach § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) begangen zu haben. Sollte sich in der am 19. September 2017 beginnenden Hauptverhandlung der Tatvorwurf nicht bestätigen, ist auch das Risiko einer Inhaftierung in der Türkei einer Neubewertung zu unterziehen.

58

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorwegnimmt, war der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.