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Die Antragstellerin begehrt in der Hauptsache die Anerkennung der Erkrankung ihres verstorbenen Ehemannes als Berufskrankheit gem. Nr. 92 BKVO DDR sowie eine hieraus resultierende Hinterbliebenenrente.
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Der am … 1943 geborene Ehemann der Klägerin, A.G., verstarb am 28.06.1982 an den Folgen eines hepatozellulären Karzinoms. Er war vom 03.09.1962 bis 28.06.1982 als Berufssoldat in der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beschäftigt.
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Mit Schreiben vom 15.06.2007 beantragte die Antragstellerin bei der U., der Beklagten im Hauptsacheverfahren, die Anerkennung der Erkrankung ihres Mannes als Berufskrankheit gem. Nr. 51 und Nr. 92 der BKVO DDR, da die Erkrankung ihres Mannes durch eine unzulässig hohe Strahlenbelastung während des Wehrdienstes in der NVA verursacht worden sei . Mit Bescheid vom 24.09.2007 lehnte die Beklagte die Anerkennung ab. Der Ehemann der Antragstellerin sei als Berufssoldat im Sonderversorgungssystem der NVA versichert gewesen. Aus übergeleitetem Recht sei die Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung nicht herzuleiten. Nach dem gem. § 215 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) weitergeltenden § 1150 Abs. 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) - in der Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25.7.1991 - würden als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne der (bundesdeutschen) gesetzlichen Unfallversicherung nur die Unfälle und Krankheiten gelten, die vor dem 1.1.1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sind und die nach dem dort gültig gewesenem Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren.
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Die vier Sonderversorgungssysteme in der ehem. DDR in den Bereichen des Ministeriums des Inneren (Deutsche Volkspolizei), der Zollverwaltung, des Ministeriums für Abrüstung und Verteidigung (Versorgungsordnung der NVA) seien dadurch gekennzeichnet gewesen, dass sie jeweils eine eigenständige Sicherung der einbezogenen Staatsbediensteten der ehem. DDR außerhalb der Sozialversicherung gewährt hätten. Da es sich somit bei Dienstbeschädigungen aus den Sonderversorgungssystemen der ehem. DDR um eigene Ansprüche unabhängig der Sozialversicherung der ehem. DDR handele, würden diese auch nicht nach dem RÜG in die (bundesdeutsche) gesetzliche Unfallversicherung überführt.
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Ein Leistungsanspruch gegen die Beklagte bzw. einen nach § 1159 RVO zuständigen Unfallversicherungsträger sei somit nicht gegeben. In diesem Kontext verweist die Beklagte auf die Entscheidungen des Thüringer Landessozialgerichts, Urteil v. 28.08.1996, Az. L 2 U 73/96 und die Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Urteile vom 10.05.1994, Az. 4 RA 49/93 und vom 29.09.1994, Az. 4 RA 7/94.
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Mit Schreiben vom 25.10.2007 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen diesen Bescheid ein. Die Beklagte widerspreche eklatant der Sach- und Rechtslage. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2008 wies die U. den Widerspruch der Antragstellerin als unbegründet zurück und griff zur Begründung auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid zurück.
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Mit ihrer am 03.06.08 zum Sozialgericht Ulm erhobenen Klage, verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren fort. Nach erfolgter Akteneinsicht beantragt die Antragstellerin am 27.11.2008 die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens gem. § 76 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und beantragt folgende Beweise zu erheben:
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1. die Einnahme des Augenscheins der verfügbaren Dienstvorschriften zur Troposphärenfunkstation R-412 anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieses verfahrensrelevanten Dokumentes erschwert ist.
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2. die Einnahme des Augenscheins der verfügbaren Dienstvorschriften zur Troposphärenfunkstation R-122 anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieses verfahrensrelevanten Dokumentes erschwert ist.
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3. die Einnahme des Augenscheins der verfügbaren Dienstvorschriften zur Kurzwellenfunkstation großer Leistung R-136 anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieses verfahrensrelevanten Dokumentes erschwert ist.
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4. die Einnahme des Augenscheins der verfügbaren Dienstvorschriften zur Satellitenfunkstation R-440 anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieses verfahrensrelevanten Dokumentes erschwert ist.
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5. die Einnahme des Augenscheins der Strahlenschutzbauartprüfung sowie Strahlenschutzbauartzulassung für die leistungsstarken Sender R-440, R-412, R122 und R-136 anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieser verfahrensrelevanten Dokumente erschwert ist.
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6. die Vernehmung des Dr.
G.S.
, vor 1990 Hauptstrahlenschutzbeauftragter für Radionuklide im Ministerium für Nationale Verteidigung der ehemaligen DDR und Autor des Strahlenschutzlehrbriefes Nr.3 in stark überarbeiteter Auflage, Lehrbrief für die Ausbildung der beruflich strahlenexponierten Personen in der NVA, Militärverlag der DDR, Berlin 1982 anzuordnen, weil verfahrensrelevante Sachverhalte festzustellen sind, deren Aufklärung für sie durch die Beklagte erschwert wird.
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7. die Einnahme des Augenscheins der Ordnung über die militärische Schutzgüte — Schutzgüteverordnung — vom 09.Oktober 1968 (AMBI Ministerium für Nationale Verteidigung Teil I, Nr.39/68) anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieses verfahrensrelevanten Dokumentes erschwert ist.
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8. die Einnahme des Augenscheins der Technischen Stellungnahme in „Strahlenerkrankungen" der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 07.07.2004, Az.: II 7 — Az.: 47-40-15/30 in anonymisierter Form anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieses verfahrensrelevanten Dokumentes erschwert ist.
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9. die Einnahme des Augenscheins der Expositionsermittlung in Verdachtsfällen strahlenbedingter Erkrankungen nach Ziffer 2402 Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 30.10.2001, Az.: 1b3-K-01-028375 in anonymisierter Form anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieses verfahrensrelevanten Dokumentes erschwert ist.
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10. die Einnahme des Augenscheins des Endberichtes zum Gutachten über „Gesundheitliches Risiko beim Betrieb von Radareinrichtungen in der Bundeswehr" (vertraulich), Institut für normale und pathologische Physiologie Universität
W.
anzuordnen, da für sie die Kenntnisnahme des sachbezogenen Inhaltes dieses verfahrensrelevanten Dokumentes erschwert ist.
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11. die Vernehmung des Leiters des Institutes für normale und pathologische Physiologie Universität
W.
, Prof. Dr. med.
E.D.
als sachverständigen Zeugen anzuordnen, weil verfahrensrelevante Sachverhalte festzustellen sind, deren Aufklärung für die Klägerin erschwert ist.
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12. die Vorlage einer anonymisierten Übersicht durch die Beklagte anzuordnen, der die bisher als Dienstbeschädigung bzw. Berufskrankheit anerkannter (malignen Lymphomerkrankungen von NVA-Soldaten entnommen werden können. Es sind verfahrensrelevante Sachverhalte festzustellen, deren Aufklärung für sie durch die Beklagte erschwert wird.
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Zu den Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Der Antrag ist unzulässig. Die Antragstellerin bedient sich einerseits unzulässiger Beweismittel und macht andererseits nicht glaubhaft, dass Beweismittel verloren gehen oder deren Benutzung erschwert wird.
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1. Das erkennende Gericht war gem. § 76 Abs. 2 SGG für die Entscheidung über den Antrag auf Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens zuständig.
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2. Gem. § 76 Abs. 1 SGG sind die Voraussetzungen für einen Antrag auf Beweissicherung:
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- das Gesuch eines Beteiligten gerichtet auf Beweiserhebung durch Augenscheinseinnahme und/oder die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen, |
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- die Besorgnis, dass ein Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird |
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- die Feststellung des gegenwärtigen Zustands einer Person oder einer Sache soweit ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung besteht. |
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- die Bezeichnung des Gegners; |
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- die Bezeichnung der Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll; |
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- die Benennung der Zeugen oder die Bezeichnung der übrigen nach § 76 Abs. 1 SGG zulässigen Beweismittel; |
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- die Glaubhaftmachung der Tatsachen, die die Zulässigkeit des Beweissicherungsverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen. |
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a) Mit Schreiben vom 27.11.2008 stellte die Antragstellerin einen nicht fristgebundenen Antrag nach § 76 Abs. 1 SGG. Allerdings konnte sie trotz gerichtlichem Hinweis die übrigen Voraussetzungen zur Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens nicht glaubhaft machen. Grundsätzlich ist das selbständige Beweisverfahren in seinem Umfang stets auf Beweiserhebung durch Augenscheinseinnahme und die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen beschränkt. Nicht möglich ist folglich die Einholung eines Urkundenbeweises; allerdings kann die Herkunft oder Echtheit einer Urkunde Gegenstand eines Augenscheins oder einer Zeugen-/Sachverständigenvernehmung und damit eines selbständigen Beweisverfahrens sein (Musielak, ZPO, § 485 Rn. 5). Insoweit sind die Beweisanträge Ziff. 1 bis 5 und 7 bis 10 unzulässig, da es sich bei den in diesen bezeichneten Anträgen um die Erhebung von Urkundsbeweisen handelt und nicht wie die Antragstellerin meint um einen Inaugenscheinnahme. Der Antragstellerin geht es um die Wiedergabe des Gedankeninhalts der bezeichneten Dokumente und nicht um die gegenständliche Wahrnehmung dieser Dokumente, sodass von einem Urkundsbeweis im Sinne der §§ 415 ZPO auszugehen ist. Eine Inaugenscheinnahme von Urkunden bezieht sich lediglich auf deren gegenständliche Existenz unabhängig von ihrem gedanklichen Inhalt (vgl. Zöller, ZPO, § 371 Rn. 2). Die Inaugenscheinnahme wäre also nur dann möglich, wenn die Echtheit oder die Herkunft der Urkunde Beweisthema wäre. Dies ist von er Antragstellerin indes nicht vorgetragen worden.
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b) Im Hinblick auf die Beweisanträge Ziff. 6 und 11, die die Vernehmung zweier Sachverständiger Zeugen zum Gegenstand haben, konnte die Antragstellerin nicht glaubhaft machen, dass diese Beweismittel verlustig gehen könnten oder deren „Benutzung“ erschwert wird, falls die Vernehmung der Zeugen nicht in einem der Hauptsache vorgelagerten Beweissicherungsverfahren erfolgt. Als Beispiele für den drohenden Verlust eines Beweismittels werden in der Literatur z.B. die schwere Erkrankung - richtiger müsste es heißen die Gefahr des zeitnahen Ablebens - eines Zeugen genannt. Als Beispiel für Erschwernisse bei der Benutzung eines Beweismittels wird ein längerer Auslandsaufenthalt eines Zeugen genannt (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, III. Rn. 171). Vergleichbare Fälle sind vorliegend weder vorgetragen oder gar glaubhaft gemacht, noch ersichtlich.
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c) Die Antragstellerin hat trotz gerichtlichem Hinweis die Tatsachen über die Beweis erhoben soll nicht bezeichnet, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt ihr Antrag unzulässig ist.
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3. Der Beweisantrag Ziff. 12, der sich auf eine begehrte Anordnung zur Vorlage näher bezeichneter Unterlagen durch die Beklagte bezieht, ist zwar ein grundsätzlich gem. § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 432 ZPO zulässiger Beweisantrag, doch kann ein solcher Antrag nicht Gegenstand eines Beweissicherungsverfahrens sein. Denn letztlich handelt es sich in den Fällen des § 432 ZPO wiederum um Urkundsbeweise, allerdings mit der Besonderheit, dass der Beweisantritt nicht durch Vorlage der Urkunde selbst, sondern durch den Antrag die Behörde oder den Beamten um die Mitteilung der Urkunde zu ersuchen, erfolgt. Wie oben unter 2. a) dargelegt kann ein Urkundsbeweis jedoch nicht Gegenstand eines Beweissicherungsverfahrens sein, sodass auch der Antrag Ziff. 12 unzulässig ist. Inwieweit der Regelung des § 432 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren angesichts der § 119 SGG zu entnehmenden allgemeinen Verpflichtung von Behörden Urkunden und Akten vorzulegen (vgl. Keller, in: Mayer-Ladewig, SGG, § 119 Rn. 1 ff.) überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt, musste somit nicht entschieden werden.
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