Sozialgericht Magdeburg Urteil, 18. März 2014 - S 8 U 205/13

ECLI:ECLI:DE:SGMAGDE:2014:0318.S8U205.13.00
bei uns veröffentlicht am18.03.2014

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die die Anerkennung einer Brustkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) umstritten.

2

Die am ... geborene Klägerin hat den Beruf der Krankenschwester erlernt und in diesem Beruf bis August 2012 im Drei-Schicht-System gearbeitet, als sie an einem Brustkrebs erkrankte.

3

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin Dipl.-Med ... zeigte der Beklagten am 27. Mai 2013 den Verdacht einer BK an. Der Brustkrebs sei durch Schichtarbeit entstanden. Die Beklagte zog den Entlassungsbericht der im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung vom 8. bis zum 29. November 2012 durchgeführten Rehabilitation bei. Danach fand am 17. Oktober 2012 eine subkutane Mastektomie beiderseits statt. Die Beklagte teilte der Klägerin im Sinne einer Beratung mit, dass die Erkrankung nicht in der BK-Liste geführt sei und auch keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bestünden, wonach eine Erkrankung durch besondere Einwirkungen verursacht werde, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in besonderem Maße erheblich belastet seien. Die Beklagte fügte die BK-Liste bei. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, worauf die Beklagte mitteilte, dass dies gegen eine Beratung nicht möglich sei.

4

Die Beklagte befragte die Landesgewerbeärztin Dr ... Diese führte unter dem 9. Juli 2013 aus, die wissenschaftliche Belastbarkeit für einen kausalen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Brustkrebs werde als beschränkt bewertet. Eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeit sei in epidemiologischen Studien nicht beobachtet worden. Die Tendenz weise auf einen Forschungsbedarf hin, für einen möglichen Mechanismus, der einen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Brustkrebs erklären könne, gebe es theoretische Überlegungen. Eine hinreichende Klärung gebe es indes nicht. Insgesamt lasse sich aus den vorliegenden Studien kein erhöhtes Risiko für den Menschen aufgrund von Schichtarbeit belegen. Deswegen werde die Anerkennung eines Mammakarzinoms als BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII nicht empfohlen. Die im DGUV-Report 1/2012 veröffentliche Studie der IARC (International Agency für Research on Cancer) fügte die Landesgewerbeärztin bei.

5

Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 lehnte es die Beklagte ab, die Brustkrebserkrankung der Klägerin als BK anzuerkennen, da sie nicht in der BK-Liste geführt sei. Außerdem lägen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, dass eine Tätigkeit als Krankenschwester im Schichtdienst zu einer gehäuften Anzahl von Brustkrebserkrankungen führe. Die Klägerin legte Widerspruch ein, den sie trotz Aufforderung nicht begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück und verblieb bei ihrer Argumentation.

6

Mit ihrer hiergegen am 26. September 2013 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Brustkrebserkrankung sei als BK anzuerkennen. Die Beklagte habe sich nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandergesetzt. Nur weil es für sie finanziell günstig sei, habe sie sich auf den § 9 Abs. 1 SGB VII beschränkt. Der Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebserkrankungen sei mittlerweile anerkannt. Dies würden Aufsätze belegen, die die Klägerin beigefügt hat. Dies sind folgende:

7

Im Ärzteblatt (Internet) wurde beschrieben, die IARC habe bei Tierversuchen den Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebsrisiko als wahrscheinlich eingestuft, bei Menschen seien die Belege begrenzt. Im Ergebnis sollten belastbare epidemioligische Studien durchgeführt werden.

8

In der Zeitschrift DGUV-Forum 4/2011 wird unter der Überschrift "Neue Studien – Schichtarbeit und Krebs?" erklärt, der Zusammenhang werde als beschränkt bewertet. Insgesamt ließe sich aus den gegenwärtig vorliegenden Studien kein erhöhtes Krebsrisiko für den Menschen aufgrund von Schichtarbeit belegen.

9

In der Zeitschrift Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin 7/2010 wird unter der Überschrift "Schichtarbeit und Krebs" auf die IARC-Studie verwiesen, wonach ein Zusammenhang nur als beschränkt bewertet worden ist. Zusammenfassend wurde festgehalten, dass, obwohl in Studien ein leicht erhöhtes Brustkrebsrisiko mit langjähriger Nachtschichtarbeit assoziiert wurde, die derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht, eine krebserzeugende Wirkung von Nachtschichtarbeit als gesichert zu halten.

10

In einem Journal der Ruhr-Universität Bochum ohne Datum unter der Überschrift "Gesundheitliche Risiken durch Schichtarbeit?" wird festgehalten, dass eine krebserzeugende Wirkung nicht gesichert sei.

11

Ferner hat die Klägerin auf Zeitungsartikel hingewiesen, in denen auf eine Forschungsgruppe der Universität Köln hingewiesen worden ist. Dort wird der Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebs als biologisch plausibel bewertet, Studien, die einen kausalen Zusammenhang belegen würden, fehlten jedoch bislang. Bei der zugrunde liegenden Studie handelt es sich um die bereits im Ärzteblatt (s.o.) erwähnte Arbeit.

12

Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Mammakarzinom als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.

13

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

14

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung der Kammer.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden und damit zulässig.

17

Sie ist aber nicht begründet.

18

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). ZU Recht hat es die Beklagte abgelehnt, das Mammakarzinom als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.

19

Voraussetzung für die Anerkennung einer so genannten Wie-BK ist zunächst der Nachweis der Versicherteneigenschaft und der Nachweis einer Gesundheitsstörung. Beides ist hier zu unterstellen.

20

Hinzu muss folgendes kommen (Zitat aus dem Urteil des BSG vom 18. Juni 2013, B 2 U 6/12 R):

21

Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog Öffnungsklausel für Wie-BKen). Die Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift ist ua vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - mwN, auch zu den weiteren Voraussetzungen einer Wie-BK - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17). Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII (§§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO) in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen. Die insoweit in früheren Entscheidungen des Senats verwendeten Begriffe der Gruppentypik, generellen Geeignetheit und gruppentypischen oder -spezifischen Risikoerhöhung dienten allein der Erläuterung oder Umschreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit andere Anforderungen an die Anerkennung einer Wie-BK gestellt werden sollten (BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 15 mwN).

22

Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Die Klägerin hat mehrere wissenschaftliche Arbeiten vorgelegt, die, sofern erkennbar, alle auf die 2012 veröffentlichte Studie der IARC zurückgehen. Danach wird eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeit bislang nicht beobachtet. Dies spiegelt sich in den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen wider, die allesamt nur einen beschränkten Aussagewert des Ergebnisses der Studien des IARC an Tieren auf Menschen erkennen. Damit kann ein neuer medizinischer Kenntnisstand für einen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und einer Krebserkrankung indes nicht belegt werden.

23

Im Ergebnis ist die Klage abzuweisen.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.


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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Kraft Gesetzes sind versichert 1. Beschäftigte,2. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,3. Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnliche

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 6 Freiwillige Versicherung


(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern 1. Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfisch

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 3 Versicherung kraft Satzung


(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf1.Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,2.Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 9 Berufskrankheit


(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit

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Tatbestand 1 Umstritten ist die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) beim Kläger aufgrund seines Schulb

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(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Halswirbelsäulenerkrankung als Wie-Berufskrankheit (BK) streitig.

2

Die 1947 geborene Klägerin leidet an Bandscheibenvorfällen im Bereich der Halswirbelsäule. Sie war im Anschluss an ihr abgeschlossenes Musikstudium von August 1970 bis Juli 1972 als Geigenlehrerin sowie von August 1972 bis Juli 1992, von September 1992 bis Dezember 1993 und von Mai 1994 bis Mai 1998 im Beitrittsgebiet als Geigerin in verschiedenen Orchestern tätig.

3

Auf ärztliche Anzeige vom 23.3.2001 wegen des Verdachts einer BK holte die Beklagte ärztliche Gutachten ein. Dr. L., Leiter des Europäischen Instituts für Bewegungsphysiologie, M. , führte in seinem Gutachten vom 28.9.2002 aus, die Halswirbelsäulenerkrankung sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das jahrelange Instrumentalspiel entstanden oder wesentlich mitverursacht worden. Prof. Dr. D., Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität M., gelangte in seinem Gutachten vom 8.1.2003 zu dem Ergebnis, das Geigenspiel gehe zwar mit einer außergewöhnlichen Zwangshaltung in Form einer "Schulter-Kopf-Zwinge" einher. Allerdings könne die sog "Gruppentypik" anhand neuer statistisch gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht festgestellt werden.

4

Die Beklagte lehnte es ab, eine Wie-BK festzustellen (Bescheid vom 25.3.2003; Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005). Hiergegen hat die Klägerin Klage zum SG Neuruppin erhoben, das weitere Begutachtungen veranlasst hat. Dr. B., Institut für sozialmedizinische Begutachtung GbR im Krankenhaus W., hat in seinem Gutachten vom 6.6.2007 dargelegt, die Wirbelsäulenbeschwerden seien nicht auf die berufliche Tätigkeit als Orchestermusikerin zurückzuführen. Prof. Dr. A., Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin, H., hat in seinem Gutachten vom 3.5.2010 darauf hingewiesen, für eine berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung spreche die kumulative Lebensarbeitszeit an der Geige in Zwangshaltung aufgrund der "Schulter-Kinn-Zange" und die mit dem Schrifttum übereinstimmende Häufigkeit der Beschwerden bei Geigern. Dabei handele es sich um Plausibilitätsargumente, da bislang keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse existierten.

5

Das SG Neuruppin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.9.2010). Das LSG Berlin-Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils vom 23.2.2012 hat es ausgeführt, auf das Recht der ehemaligen DDR komme es nicht an, weil die Erkrankung der Klägerin erst nach dem 31.12.1993 der Beklagten bekannt geworden sei. Die Voraussetzungen des § 551 Abs 2 RVO und des § 9 Abs 2 SGB VII für die Feststellung einer Wie-BK seien nicht erfüllt. Zwar seien Streicher wegen der nur in dieser Berufsgruppe auftretenden "Schulter-Kinn-Zange" besonderen Einwirkungen in höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Es fehle aber an der generellen Geeignetheit dieser Einwirkung für die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden. Die erforderliche sog "Gruppentypik" setze in der Regel anhand statistisch relevanter Zahlen den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder voraus, um mit Sicherheit eine andere Krankheitsursache ausschließen zu können. Entsprechende epidemiologische Erkenntnisse seien aufgrund der geringen Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Streicher aber nicht vorhanden. Auch sonstige, die generelle Geeignetheit belegende Erkenntnisse seien nicht ersichtlich. Die von Prof. Dr. A. hervorgehobene Plausibilität genüge ebenso wenig wie der von mit Musikererkrankungen vertrauten Ärzten publizierte Ursachenzusammenhang. Gerade vor dem Hintergrund, dass in der Bundesrepublik Deutschland nur etwa 4100 Streicher betroffen seien und es sich bei der Halswirbelsäulenerkrankung um eine sog Volkskrankheit handele, könne der Nachweis des gruppenspezifischen Risikos nicht schon mit der Einschätzung einzelner mit Musikererkrankungen befasster Fachärzte geführt werden. Die besonderen Beweisprobleme im Falle kleinerer Berufsgruppen seien der Entscheidung des Gesetzgebers für das verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Listensystem geschuldet. Dieser sei dem im Zusammenhang mit dem Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) unterbreiteten Vorschlag, die Feststellung einer Wie-BK unter erleichterten Voraussetzungen zu ermöglichen, gerade nicht gefolgt.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 9 Abs 2 SGB VII sowie die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Das Fehlen neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse stehe der Anerkennung der Wie-BK nicht entgegen, weil sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst habe und eine Auseinandersetzung damit auch nicht geplant sei. Abgesehen davon könne nach der Rechtsprechung des BSG zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse ausnahmsweise bei fehlender epidemiologischer Evidenz einerseits und gegebener biologischer Evidenz andererseits auf eine statistisch nachgewiesene Gruppentypik verzichtet werden. Das LSG habe zu hohe Anforderungen an die Beweisführung gestellt und zahlreiche, das Begehren stützende Umstände nicht berücksichtigt. Sowohl Prof. Dr. A. als auch Dr. L. gingen von einer berufsbedingten Erkrankung aus. Ein medizinischer Erfahrungssatz, dass eine durch das Violinspiel hervorgerufene Halswirbelsäulenerkrankung im Falle weiterer Verschleißerscheinungen der gesamten Wirbelsäule ausscheide, existiere nicht. Selbst der Bundesverband der Unfallkassen gehe bei Streichern in seiner Broschüre "Musikermedizin, Musikerarbeitsplätze" von berufsrelevanten Erkrankungen der Hals- und Brustwirbelsäule aus. Dass sich gleichwohl der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMAS mit der streitgegenständlichen Thematik weder bislang beschäftigt habe noch in Zukunft auseinandersetzen werde, dürfe nicht zu Lasten der Streicher gehen. Ansonsten wäre ein bestimmter Berufsstand trotz besonderer Einwirkungen von der Anerkennung einer BK auf Dauer ausgeschlossen. Schließlich sei bei hohen Streichern in der ehemaligen DDR, in Frankreich und in Tschechien eine BK anerkannt worden.

7

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2012 und des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. September 2010 sowie die Ablehnung einer Wie-Berufskrankheit im Bescheid der Beklagten vom 25. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Erkrankung der Halswirbelsäule als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Revision sei bereits unzulässig, da die Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 SGG genüge. Inwieweit das LSG die Vorschrift des § 9 Abs 2 SGB VII fehlerhaft ausgelegt habe, sei nicht schlüssig dargetan. Soweit die Klägerin die Beweiswürdigung des LSG beanstande, sei eine Verfahrensrüge nicht erhoben worden. Die Revision sei aber auch unbegründet. Es fehle an epidemiologischen Erkenntnissen, dass die "Schulter-Kinn-Zange" generell geeignet wäre, eine Halswirbelsäulenerkrankung hervorzurufen. Die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen spiegelten nicht den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand, sondern nur Einzelmeinungen wider.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

11

Die Klägerin hat in zulässiger Weise Revision eingelegt. Bei ihrem Prozessbevollmächtigten handelt es sich um eine selbständige Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder, die nach § 73 Abs 4 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 2 Nr 5 SGG zur Vertretung vor dem BSG zugelassen ist.

12

Die Revision genügt entgegen der Ansicht der Beklagten den Begründungsanforderungen des § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG. Danach muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Insoweit ist mit rechtlichen Erwägungen aufzuzeigen, dass und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt wird. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und der Darlegung, inwieweit die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Bundesrechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (zuletzt BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 21/11 R - NZS 2013, 639 sowie BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10 mwN). Dem trägt die Revisionsbegründung Rechnung. Aus ihr geht hervor, weshalb die Klägerin die angefochtene Entscheidung für unzutreffend hält. Sie hat eine Verletzung des § 9 Abs 2 SGB VII gerügt und ua ausgeführt, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Feststellung einer Wie-BK scheitere am Fehlen epidemiologischer Studien.

13

Die Revision der Klägerin ist allerdings unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV, RdNr 11 mwN; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN) abweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK im Bescheid der Beklagten vom 25.3.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

14

Es kann offenbleiben, seit wann die Halswirbelsäulenerkrankung der Klägerin besteht und ob sich der geltend gemachte Anspruch noch nach den Vorschriften der RVO oder den am 1.1.1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII richtet (Art 36 UVEG, § 212 SGB VII). Denn die Regelungen über die Anerkennung einer Wie-BK sind im SGB VII gegenüber der RVO im Wesentlichen inhaltlich unverändert geblieben.

15

Nach § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) erfüllt sind (sog Öffnungsklausel für Wie-BKen). Die Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift ist ua vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - mwN, auch zu den weiteren Voraussetzungen einer Wie-BK - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17). Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII(§§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO) in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen. Die insoweit in früheren Entscheidungen des Senats verwendeten Begriffe der Gruppentypik, generellen Geeignetheit und gruppentypischen oder -spezifischen Risikoerhöhung dienten allein der Erläuterung oder Umschreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit andere Anforderungen an die Anerkennung einer Wie-BK gestellt werden sollten (BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 15 mwN).

16

Die Klägerin war aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit als Beschäftigte nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII(§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) und ihrer Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Streicher besonderen Einwirkungen durch die "Schulter-Kinn-Zange" in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Als Einwirkung kommt jedes auf den Menschen einwirkende Geschehen in Betracht (BSG aaO RdNr 19). Die Klägerin leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule, die als BK iS des § 9 Abs 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 RVO) zugrunde gelegt werden könnte. Allerdings fehlt es am generellen Ursachenzusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der besonderen Einwirkung.

17

Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand von gesicherten "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" iS des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) nachvollziehen, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es ist nicht erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner widerspiegeln. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22; bereits BSG vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 35 mwN = SozR 3-2200 § 551 Nr 12).

18

Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) sind BKen grundsätzlich nur solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII(§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO)begründenden Tätigkeit erleiden. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-BK in § 551 Abs 2 RVO durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.1963 (BGBl I 241) wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (BSG vom 25.8.1994 - 2 RU 42/93 - BSGE 75, 51, 54 = SozR 3-2200 § 551 Nr 6 S 14). Sinn des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine BK zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl BSG vom 4.8.1981 - 5a/5 RKnU 1/80 - SozR 2200 § 551 Nr 18 S 27). Die Anerkennung einer Wie-BK knüpft damit an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.

19

Die damit zur Anerkennung einer Wie-BK notwendigen gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft liegen nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen, die er zur Klärung der generellen Tatsache (vgl hierzu BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 15)des Zusammenhangs zwischen "Schulter-Kinn-Zange" und bandscheibenbedingter Halswirbelsäulenerkrankung heranziehen und auswerten durfte, nicht vor. Hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs fehlt es an epidemiologischen Studien und statistisch relevanten Zahlen, die wegen der geringen Anzahl von Berufsgeigern auch nicht zu erwarten sind. Auch wenn eine besondere Gefährdung der Streicher durch die mit der "Schulter-Kinn-Zange" einhergehende Fehlhaltung zu beobachten ist, lässt sich ein Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und morphologischer Veränderung der Wirbelsäule mangels statistisch gesicherter Erkenntnisse nicht herstellen. Zwar führt Dr. L. in seinem Gutachten vom 28.9.2002 die Halswirbelsäulenerkrankung der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das jahrelange Instrumentalspiel zurück. Zudem bestätigt Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 8.1.2003 eine durch das Geigenspiel bedingte außergewöhnliche Zwangshaltung. Er führt aber ferner aus, dass die sog Gruppentypik anhand neuer gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht festgestellt werden könne. Auch Prof. Dr. A. hält in seinem Gutachten vom 3.5.2010 zwar eine berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung für gegeben, weist aber ebenfalls darauf hin, dass die hierfür sprechende Lebensarbeitszeit an der Geige einerseits sowie die Häufigkeit des Auftretens der Wirbelsäulenbeschwerden bei Geigern andererseits den generellen Ursachenzusammenhang lediglich plausibel erscheinen ließen und es an die Kausalität belegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen fehle. Schließlich ist das im Jahr 2001 durchgeführte 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin zu dem Ergebnis gelangt, dass die publizierten Daten zur Epidemiologie funktioneller und struktureller Erkrankungen der Wirbelsäule bei Musikern in sowohl quantitativer als auch qualitativer Hinsicht sehr dürftig seien (Seidel/Lange, Institut für Musikpädagogik und Musiktheorie, Die Wirbelsäule des Musikers, 2001). Eine Vielzahl fachkundiger Mediziner, die eine Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Halswirbelsäulen durch die "Schulter-Kinn-Zange" für hinreichend wahrscheinlich halten, existiert damit nicht. Für die Annahme gesicherter Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft iS des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) genügt es nicht, dass einzelne Mediziner die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden durch eine Fehlbelastung infolge der "Schulter-Kinn-Zange" für plausibel oder wahrscheinlich halten. Es reicht nicht aus, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren, vielmehr muss sich eine sog herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet gebildet haben (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - Juris RdNr 19).

20

Allerdings hat der Senat zu sog Seltenheitsfällen entschieden, dass die den generellen Ursachenzusammenhang zwischen besonderer Einwirkung und Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausschließlich anhand von Methoden der Epidemiologie und statistischer Belege nachgewiesen werden müssen. Fehlt es an einer im Allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung von Krankheitsbildern, da aufgrund der Seltenheit einer Erkrankung medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können, kommt nach dieser Rechtsprechung ausnahmsweise auch ein Rückgriff auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten und auf frühere Anerkennungen entsprechender Erkrankungen, auch in der ehemaligen DDR, in Betracht (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22 mwN; BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 252 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 21). Es kann offenbleiben, ob eine solche Vorgehensweise unter Zugrundelegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards überhaupt mit den gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII(iVm § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) für die Anerkennung einer Wie-BK vereinbar ist. Ihre Zulässigkeit unterstellt, kann ferner dahingestellt bleiben, ob sie auch dann in Betracht kommt, wenn - wie hier - gar kein Seltenheitsfall gegeben, sondern stattdessen eine Berufsgruppe betroffen ist, bei der wegen ihrer geringen Größe epidemiologische Studien nicht zu erwarten bzw unmöglich sind. Denn selbst bei Zugrundlegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards reichen die über die bereits beschriebenen Unterlagen hinausgehenden aktenkundigen Erkenntnisse nicht aus, einen Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" von Berufsgeigern und bandscheibenbedingten Halswirbelsäulenerkrankungen als hinreichend wissenschaftlich belegt zu betrachten.

21

Dr. D. nimmt in seinem Aufsatz "Abnutzungsschäden durch Geigen- und Bratschenspiel" (Das Orchester 6/96, 13) auf eine eigene Studie über 17 professionelle Streicher Bezug und weist darauf hin, dass zur Klärung der Frage der Anerkennung von Wirbelsäulenschäden als BK noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden sollten. Die sog Weimarer Studie zu klinisch relevanten Belastungsfaktoren und Belastungskomplexen bei Musikstudenten und Berufsmusikern (Seidel/Höpfner/Lange, Musikphysiologie und Musikermedizin 1999, 6. Jg, Nr 4, 115) beruht lediglich auf der Auswertung eines von 100 Musikstudenten und 88 Orchestermusikern jeweils ausgefüllten standardisierten und validierten Fragebogens. Im Forschungsantrag "CMD/CCD bei Streichern" der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Musikermedizin des Klinikums der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Klinikums Weimar und der Hochschule für Musik Weimar vom 20.5.2001 wird ausgeführt, dass es an Datenmaterial zur Bewertung funktioneller Störungen des Bewegungssystems bei Streichern als BK fehle. Aus diesen Publikationen lässt sich folglich auch ein ggf geringeren Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnisse genügender genereller Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" und einer bandscheibenbedingten Halswirbelsäulenerkrankung nicht ableiten. Soweit die Revision zudem auf Anerkennungen einer BK in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR hinweist, ist nicht ersichtlich, dass diese auf hinreichenden medizinischen Erkenntnissen beruhten und nicht nur das Ergebnis von Einzelfallprüfungen sind, ohne wissenschaftlich fundierte Aussagen über die generelle Geeignetheit der hier zu beurteilenden Einwirkung zu berücksichtigen. Zudem existiert in Frankreich entgegen der Revision keine spezifisch auf Musiker, sondern eine generell auf Zwangshaltungen bezogene BK. Ob weiterhin auch die jeweilige Ausgestaltung des Berufskrankheitenrechts in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR einer Berücksichtigung der behaupteten Anerkennungen entgegensteht, kann daher offenbleiben (vgl zur Ausgestaltung des BK-Rechts in anderen Ländern Kranig, DGUV-Forum 2012, 30; ders, Berufskrankheiten im internationalen Vergleich, 2002, 337).

22

Auch Billigkeitserwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats enthält § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) keine allgemeine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als Wie-BK anzuerkennen wäre (vgl zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17).

23

Dass die Anerkennung einer Wie-BK an das Vorliegen wissenschaftlich gesicherter Kausalbeziehungen anknüpft, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

24

Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (stRspr; vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvR 1926/96, 1 BvR 485/97 - BVerfGE 100, 104 = SozR 3-2600 § 307b Nr 6). § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) ist zwar dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbar, wenn einer Personengruppe der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung allein deshalb versagt wird, weil der Verordnungsgeber vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht geprüft und gewürdigt hat (BVerfG vom 22.10.1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369, 375 f = SozR 2200 § 551 Nr 19 S 32 f). Denn die Vorschrift schließt solche Lücken, die sich daraus ergeben, dass neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von beruflicher Exposition und Erkrankung vorliegen, bevor die BKV eine entsprechende Anpassung erfährt (BVerfG vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15 S 76). An medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen zu evtl gesundheitsschädigenden Folgen einer "Schulter-Kinn-Zange" fehlt es vorliegend aber gerade. Dass sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst hat und eine Auseinandersetzung damit ggf auch nicht geplant ist, befreit daher aus Gründen der Gleichbehandlung nicht vom Erfordernis der die generelle Geeignetheit einer besonderen Einwirkung für die Verursachung einer bestimmten Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse.

25

Eine verfassungswidrige Benachteiligung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufsgruppe der Streicher sehr klein ist und sich möglicherweise eine wissenschaftlich gesicherte Kausalbeziehung zwischen beruflicher Einwirkung und Erkrankung anhand epidemiologischer Studien schon rein tatsächlich nicht feststellen lässt, weil die für epidemiologische Studien erforderlichen Fallzahlen nicht erreicht werden können. § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) beschränkt BKen begrifflich auf Krankheiten, die in der Berufskrankheitenliste als Anlage zur BKV aufgeführt sind. Die Ermächtigung der Bundesregierung zur Aufnahme von BKen in diese Anlage macht § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) davon abhängig, dass die Krankheiten nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit ausgesetzt sind. In diesen Regelungen kommt das die gesetzliche Unfallversicherung prägende Listenprinzip zum Ausdruck, das nach § 9 Abs 2 SGB VII nur unter der Voraussetzung durchbrochen wird, dass neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorliegen. Diese vom Gesetzgeber gewollte Systementscheidung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG vom 8.6.2012 - 1 BvR 2853/10 - NZS 2012, 901; BVerfG vom 14.7.1993 - 1 BvR 1127/90 - SozR 3-2200 § 551 Nr 5 S 10). Mit ihr im Einzelfall verbundene Härten sind hinzunehmen. Sie halten sich im Rahmen einer zulässigen Typisierung, weil nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist und dadurch bedingte Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvL 22/95, 1 BvL 34/95 - BVerfGE 100, 59, 90 = SozR 3-8570 § 6 Nr 3 S 28 mwN).

26

In seiner Stellungnahme zum Entwurf des UVEG hat der Bundesrat 1995 zwar vorgeschlagen, eine neue Regelung in § 9 Abs 2a SGB VII einzufügen, die die Anerkennung einer Wie-BK zur Vermeidung von Härtefällen auch für den Fall vorsah, dass 1. vergleichbare Arbeitsplätze mit entsprechenden Arbeitsbedingungen nicht oder nur in einer geringen Zahl vorhanden sind und deshalb Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber nicht vorliegen können, dass bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind und 2. nach medizinischen Erkenntnissen mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass die Krankheit durch die besonderen Bedingungen des Arbeitsplatzes verursacht ist (BT-Drucks 13/2333 S 5 zu Nr 9). Dem ist der Gesetzgeber des UVEG aber mit der Begründung nicht gefolgt, bei einer solchen Regelung bestehe ua die Gefahr, dass die vorgeschlagene Bestimmung, bei der epidemiologische Erkenntnisse wegen der Singularität der Arbeitsbedingungen nicht gewonnen werden könnten, eine Antragsflut auslöse, die von den Unfallversicherungsträgern nicht bewältigt werden könnte (BT-Drucks 13/2333 S 19 zu Nr 9). Diese Erwägungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie sich im Rahmen seines legislatorischen Gestaltungsspielraums bewegen. Der Gesetzgeber darf sich bei der Einführung typisierender Regelungen an den ansonsten mit Einzelfallregelungen verbundenen Erfordernissen der Verwaltung orientieren. Die Entlastung der Unfallversicherungsträger und folglich auch der Sozialgerichtsbarkeit von umfangreichen und zeitaufwendigen Einzelfallprüfungen ist ein sachlicher, zur Typisierung berechtigender Grund (vgl BVerfG vom 8.2.1983 - 1 BvL 28/79 - BVerfGE 63, 119, 128 = SozR 2200 § 1255 Nr 17 S 37 und vom 16.12.1958 - 1 BvL 3/57, 1 BvL 4/57 und 1 BvL 8/58 - BVerfGE 9, 20, 31 ff = SozR Nr 42 zu Art 3 GG). Damit sind zugleich einer richterlichen Rechtsfortbildung verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigt, weil diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers nicht durch richterliche Wertungen ersetzt werden darf.

27

Die das hier gefundene Ergebnis tragenden und den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.

28

Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.

29

Die Rüge der Klägerin, die Entscheidung des LSG beruhe auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Sie hätte darlegen müssen, dass das Berufungsgericht die Grenzen seiner ihm durch § 128 Abs 1 Satz 1 SGG eingeräumten Befugnis verletzt hat, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Es hätte insoweit aufgezeigt werden müssen, dass es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (BSG vom 31.5.2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.

30

Mit dem Vorbringen, ein medizinischer Erfahrungssatz, dass die durch ein Violinspiel hervorgerufene Halswirbelsäulenerkrankung im Falle weiterer Verschleißerscheinungen der gesamten Wirbelsäule ausscheide, existiere nicht, ist nicht deutlich geworden, dass das LSG einen Erfahrungssatz fehlerhaft angewandt hat (vgl hierzu BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 8 S 37 mwN). Die Revision zeigt nicht auf, an welcher Stelle seines Urteils sich das LSG tragend auf einen solchen Erfahrungssatz gestützt hätte. Auf Seite 13 der angegriffenen Entscheidung wird vielmehr lediglich ausgeführt, dass es sich bei dem Halswirbelsäulenleiden um eine "Volkskrankheit" handele, die eine Beweiserleichterung bei der Feststellung der generellen Geeignetheit verbiete.

31

Auch ein sog Denkgesetz, gegen das das LSG verstoßen haben könnte, hat die Klägerin nicht dargetan. Dass es zu einer bestimmten, aus seiner Sicht erheblichen Frage aus den gesamten rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten nur eine Folgerung hätte ziehen können, jede andere nicht folgerichtig "denkbar" ist und das Gericht die allein in Betracht kommende nicht gesehen hat (vgl BSG vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 13 mwN), legt die Revision nicht dar.

32

Aus dem Vortrag der Klägerin geht auch nicht hervor, dass das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Soweit sie geltend macht, in der ehemaligen DDR, in Frankreich sowie in Tschechien ausgesprochene Anerkennungen von BKen seien bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden, wird übersehen, dass sich das LSG auf Seite 15 seiner Entscheidung damit auseinandergesetzt hat, dass die Problematik der Geiger in der ehemaligen DDR "einer anderen Lösung zugeführt worden sei". Im Übrigen hat die Revision nicht aufgezeigt, ob und wenn ja inwieweit den behaupteten Anerkennungen generelle medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde liegen. Die Klägerin setzt im Kern nur ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG. Allein damit ist aber eine Verletzung der Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung nicht formgerecht gerügt (BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 3/06 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 31).

33

Schließlich scheidet ein Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Wie-BK nach übergangsrechtlichen Regelungen aus. Für die Übernahme einer vor dem 1.1.1992 im Beitrittsgebiet eingetretenen Erkrankung als BK nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach §§ 212 und 215 Abs 1 Satz 1 SGB VII die Vorschrift des § 1150 Abs 2 RVO in der am 31.12.1996 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25.7.1991 (BGBl I 1606, 1688) weiter anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten solche Krankheiten, die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht BKen der Sozialversicherung waren, als BKen iS des Dritten Buches der RVO. Das gilt nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO allerdings nicht für Krankheiten, die einem ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung - wie hier - erst nach dem 31.12.1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären. Dies bedeutet, dass Krankheiten, von denen ein ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständiger Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 Kenntnis erlangt, nur dann BKen darstellen, wenn die Voraussetzungen nach den §§ 548 ff RVO erfüllt sind(BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 16). Das ist aus den dargelegten Gründen nicht der Fall.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. September 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen einer gemäß § 551 Abs 2 RVO von der Beklagten anerkannten Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) bereits für die Zeit vom 1.1.1992 bis zum 13.9.1993 zusteht.

2

Die Klägerin ist Witwe und Sonderrechtsnachfolgerin des im Jahre 1921 geborenen und am 21.1.2004 verstorbenen Versicherten. Dieser war von 1944 bis 1949 im französischen Steinkohlebergbau und von 1950 bis 1967 bei verschiedenen deutschen Bergbaugesellschaften ua als Hauer unter Tage tätig. Die Bergbau-Berufsgenossenschaft, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, leitete im Januar 1996 ein Feststellungsverfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) gemäß § 551 Abs 2 RVO alter Fassung (chronische Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau) ein. Mit interner "Anerkennungsverfügung" erkannte sie eine "entschädigungspflichtige Erkrankung nach § 551 Abs 2 RVO (CB-E)" an und ging von einer MdE von 40 vH sowie einem Rentenbeginn am 1.9.1994 aus. Sie informierte den Versicherten über die Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 1000 DM (Schreiben vom 4.12.1996) und zahlte weitere Rentenvorschüsse.

3

Mit Bescheid vom 28.10.1997 lehnte die Bergbau-Berufsgenossenschaft sodann jedoch einen Anspruch auf Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO mit der Begründung ab, nunmehr liege der Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur Neuordnung der Berufskrankheitenverordnung (BKV) vor. Danach solle künftig die chronisch obstruktive Bronchitis oder das Emphysem als BK in die Anlage zur BKV aufgenommen werden. Bei der Entscheidung nach § 551 Abs 2 RVO sei der Entwurf einer neuen Änderungsverordnung zur BKV mit Aufnahme einer BK 4111 in die BK-Liste im Vorgriff zu berücksichtigen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3.12.1997 zurück.

4

Die dagegen vom Versicherten am 12.12.1997 erhobene Klage ist von der Klägerin nach zweimaligem Ruhen des Verfahrens, der Entscheidung des BVerfG vom 23.6.2005 (1 BvR 235/00) und dem Tod des Versicherten als Sonderrechtsnachfolgerin fortgeführt worden. Mit Bescheid vom 28.10.2005 hat die Bergbau-Berufsgenossenschaft der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin eine Teilrente nach einer MdE von 40 vH ab dem 1.9.1994 bewilligt und den Bescheid vom 28.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.12.1997 gemäß § 44 Abs 1 SGB X teilweise zurückgenommen. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls gelte der 23.1.1986. Die Rente beginne am 1.9.1994, weil zu diesem Zeitpunkt die neuen Erkenntnisse hinsichtlich der beruflichen Ursache dieser Krankheit vorgelegen hätten. Nach Beiziehung weiterer Arztbefunde hat die Beklagte der Klägerin mit weiterem Bescheid vom 31.3.2006 Rente nach einer MdE von 50 vH für die Zeit vom 24.4.1998 bis 21.1.2004 bewilligt.

5

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr sei aus der Versicherung ihres am 21.1.2004 verstorbenen Ehegatten wegen der anerkannten Wie-BK eine Rente nach einer MdE von 40 vH bereits ab dem 1.1.1992 zu zahlen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2008).

6

Mit der Berufung hat die Klägerin weiterhin geltend gemacht, es sei nicht entscheidungserheblich, zu welchem Zeitpunkt in der medizinischen Wissenschaft die neuen Erkenntnisse vorgelegen hätten, die zur Aufnahme der BK 4111 geführt hätten. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspreche es der Funktion des § 551 Abs 2 RVO als einer "Öffnungsklausel", auf den Erkenntnisstand bei Beginn der Erkrankung abzustellen. Dies hätte in vielen Fällen zur Folge, dass eine Entschädigung gerade der Erkrankungen, die Anlass zur Erweiterung der BK-Liste gegeben hätten, nicht möglich wäre.

7

Im Verhandlungstermin am 30.9.2011 haben die Beteiligten vor dem LSG sodann einen Teilvergleich geschlossen, wonach die Beklagte der Klägerin Rente nach einer MdE von 40 vH wegen der anerkannten Wie-BK für den Zeitraum auch vom 14.9.1993 bis 31.8.1994 gewährt.

8

Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, mit der diese noch beantragt hatte, die Beklagte unter "teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 28.10.2005 und 31.3.2006 zu verurteilen, ihr (…) Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 vom Hundert vom 1.1.1992 bis zum 13.09.1993 (…) zu gewähren" (Urteil vom 30.9.2011). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Versicherungsfall der Wie-BK trete zu dem Zeitpunkt ein, zu dem alle Voraussetzungen des hier anzuwendenden § 551 Abs 2 RVO objektiv gegeben seien. Demnach liege dieser erst dann vor, wenn neben den - hier unstreitigen - Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BK'en nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt seien. Die Feststellung des Versicherungsfalls der Wie-BK komme erst mit dem Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Betracht. Insbesondere lasse sich auch unter Berücksichtigung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV aus der Neuregelung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV kein durchgreifendes Argument für einen früheren Beginn der Rente herleiten. Leistungen würden demnach auch bei einer anerkannten BK 4111 rückwirkend grundsätzlich längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren erbracht.

9

Die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gemäß § 551 Abs 2 RVO hätten erst für die Zeit ab dem 14.9.1993 vorgelegen. Denn zu diesem Zeitpunkt habe der Entwurf der wissenschaftlichen Begründung der Sektion "Berufskrankheiten" für die Aufnahme der BK 4111 in die Anlage zur BKV vorgelegen und sei (am 14.9.1993) erstmals in diesem Gremium dezidiert beraten worden. Zuvor habe es lediglich - zum Teil aus dem Ausland stammende - Veröffentlichungen in der Literatur mit Hinweisen auf einen Kausalzusammenhang zwischen dem Entstehen einer chronischen obstruktiven Bronchitis bzw eines Emphysems und der Einwirkung von Feinstaub bei versicherter Tätigkeit von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau gegeben. Dies allein vermöge das Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO nicht zu begründen. Der Beschluss über die Aufnahme von Beratungen sei nach einer Mitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 10.4.2006 zwar bereits im Januar 1993 gefasst worden. Die Bestätigung der so genannten "generellen Geeignetheit", dh der grundsätzlichen Eignung von Feinstaub im Steinkohlebergbau, eine chronische Bronchitis bzw ein Emphysem zu verursachen, sei demnach erst im September 1993 erfolgt. Mit der auf den Auswertungen der von Prof. Dr. P. und Prof. Dr. B. geleiteten Arbeitsgruppen beruhenden Feststellung dieser "generellen Geeignetheit" in der Sitzung der Sektion "Berufskrankheiten" am 14.9.1993 hätten die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO vorgelegen. Sie hätten sich zu diesem Zeitpunkt zur BK-Reife verdichtet. Wenn die Klägerin darauf verweise, maßgebliche Daten hätten in Großbritannien bereits im Jahre 1988 vorgelegen, so seien diese britischen Daten gemeinsam mit anderen, erst noch aus der Literatur zusammenzustellenden Befunden zum Zwecke einer abschließenden Bewertung durch das hierfür vorgesehene Gremium zunächst zu kompilieren und so einer umfassenden Überprüfung gerade mit Blick auf die bergbaulichen Verhältnisse in Deutschland erst zugänglich zu machen gewesen.

10

Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft lägen (erstmals) in dem Zeitpunkt vor, in dem sie in einer zur Beratung und wissenschaftlichen Gesamtbewertung durch das maßgebende Gremium geeigneten Form diesem Gremium erstmals vorgelegen hätten und lediglich noch Details einer einzuführenden BK zu klären gewesen seien. Dieser Zeitpunkt sei bei der BK 4111 der 14.9.1993 gewesen. Ab diesem Zeitpunkt seien lediglich noch Beratungen über die Möglichkeit und den Inhalt einer kumulativen Staubdosis erforderlich gewesen, nach deren Abschluss sei dann im April 1995 der Beschluss der wissenschaftlichen Empfehlung erfolgt. Das lediglich noch zur Beratung und späteren normativen Festlegung verbliebene notwendige Ausmaß der schädigenden Einwirkung nach zeitlichem Umfang und Staubkonzentration sei hingegen ohne wesentliche Bedeutung für die Frage des Zeitpunkts des Vorliegens neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO.

11

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 551 Abs 2 RVO. Der Versicherungsfall einer "Wie-BK" trete gemäß § 551 Abs 3 Satz 2 RVO mit dem Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung oder des Beginns der MdE ein(Hinweis auf BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 R). Dies sei hier nach den Feststellungen des LSG am 23.1.1986 der Fall gewesen. Jedenfalls ab dem 1.1.1992 habe eine MdE von 40 vH vorgelegen. Für die Anerkennung einer Wie-BK iS des § 551 Abs 2 RVO müssten sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten zur BK-Reife verdichtet haben. Es genüge, dass die BK-Reife im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch auf eine Leistung eingetreten sei. Die erstmalige verbindliche Entscheidung der Beklagten über den Anspruch sei am 28.10.1997 erfolgt. Nach dem LSG hätten die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bereits ab dem 14.9.1993 vorgelegen, sodass die Entscheidung der Beklagten mithin vier Jahre nach dem Vorliegen dieser Erkenntnisse erfolgt sei. Die Beklagte habe daher die Entscheidung über die Zahlung der Verletztenrente in rechtswidriger Weise verzögert. Das LSG habe insoweit die Rechtsprechung des BVerfG nicht angewandt (Hinweis auf BVerfG vom 23.6.2005 - 1 BvR 235/00). Schließlich bestimme § 6 Abs 2 Satz 2 BKV, dass der Anspruch für vier Jahre rückwirkend begründet sei. Nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R) sei diese Vorschrift auch auf den Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankung auch ohne Antrag bekannt werde.

12

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30.9.2011 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.9.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Regelung über den Rentenbeginn in den Bescheiden vom 28.10.2005 und 31.3.2006 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 1.1.1992 bis 13.9.1993 eine Verletztenrente als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes nach einer MdE von 40 vH zu gewähren.

13

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil. Der Versicherungsfall einer Wie-BK liege erst dann vor, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BK'en nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt seien. Dies sei hier frühestens am 14.9.1993 der Fall gewesen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass für den Zeitraum vom 1.1.1992 bis zum 13.9.1993 ein Rechtsanspruch des Versicherten auf Anerkennung einer Wie-BK nicht bestand, den die Klägerin als Rechtsnachfolgerin geltend machen könnte. Insofern hat die Beklagte zu Recht ihre Aufhebung der ursprünglichen Bescheide aus dem Jahre 1997 gemäß § 44 SGB X auf den Zeitraum ab dem 14.9.1993 beschränkt. Diese Bescheide enthalten zugleich eine negative Regelung über einen früheren Rentenbeginn und sind gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des ursprünglichen Rechtsstreits des Versicherten gegen die Beklagte geworden.

16

Der Versicherungsfall der Wie-BK tritt zu dem Zeitpunkt ein, zu dem tatsächlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die arbeitsbedingte Verursachung einer bestimmten Erkrankung sich zur sog BK-Reife verdichtet haben (sogleich unter 1.). Es ist weder aus tatsächlichen Gründen (hierzu unter 2.) geboten, hinsichtlich der BK 4111 der Anlage 1 zur BKV von einem früheren Zeitpunkt des Versicherungsfalls als dem vom LSG festgelegten 14.9.1993 auszugehen, noch ist es aus Rechtsgründen geboten, den Zeitpunkt des Versicherungsfalls weiter vorzuverlegen (hierzu unter 3.).

17

1. Maßgebliche Rechtsgrundlage für das Handeln der Beklagten ist hier noch § 551 Abs 2 RVO, der nach der Übergangsregelung des § 212 SGB VII weiterhin einschlägig ist, weil der Versicherungsfall in jedem Falle vor Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten ist. Nach § 551 Abs 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung (gemeint ist die BKV) bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO vorliegen. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl zuletzt BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 9 zu § 9 Abs 2 SGB VII), ergeben sich für die Feststellung des Vorliegens einer Wie-BK die folgenden Tatbestandsmerkmale: (1.) das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen für eine in der BKV bezeichnete Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach § 551 Abs 1 Satz 2 RVO bzw § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII, (3.) nach neuen Erkenntnissen (§ 551 Abs 2 RVO) bzw nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (§ 9 Abs 2 SGB VII) sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie-BK im Einzelfall bei dem Versicherten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats enthält diese Vorschrift keine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als "Wie-BK" anzuerkennen wäre (vgl nur BSG vom 23.6.1977 - 2 RU 53/76 - BSGE 44, 90 = SozR 2200 § 551 Nr 9; BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9).

18

Da nach den insoweit bindenden Feststellungen des LSG die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 2 SGB VII) vorliegen, war hier nur noch streitig, zu welchem Zeitpunkt die "neuen Erkenntnisse" im Sinne dieser Norm gegeben waren. Denn erst in diesem Zeitpunkt bestand ein Anspruch des Versicherten auf Anerkennung einer Wie-BK. Nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls kann dieser auch vorliegen (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 16). Der Versicherungsfall der Wie-BK setzt aber voraus, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt neue Erkenntnisse der Wissenschaft über Kausalzusammenhänge vorliegen. Erst in diesem Zeitpunkt entstehen auch mögliche Leistungsansprüche aus dem Versicherungsfall der Wie-BK (vgl P. Becker in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) - Kommentar, § 9 RdNr 325b; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 9 RdNr 42). Allerdings müssen diese Kenntnisse nicht bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der Erkrankung vorgelegen haben, der hier, wovon auch die Beteiligten ausgehen, am 23.1.1986 lag. Der Senat hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssten sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die BK-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei (BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22; BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - Juris RdNr 17). Hieraus folgt aber noch nicht - was die Klägerin offenbar meint -, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Versicherungsfalls der Wie-BK (hier der Zeitpunkt des Vorliegens neuer Erkenntnisse) gleichsam rückwirkend für den Zeitpunkt des Eintritts der Krankheit fingiert werden könnten. Auch aus der Regelung des § 551 Abs 3 Satz 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 5 SGB VII) folgt nichts anderes (s im Einzelnen noch unter 3 b).

19

2. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass jedenfalls vor dem 14.9.1993 die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten Wie-BK nicht vorgelegen haben. Nach den von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lagen jedenfalls an diesem Tag dem Sachverständigenbeirat beim BMA die beiden Literaturstudien von B. et al bzw P. et al vor und hat der Sachverständigenbeirat grundsätzlich die Anerkennung einer neuen Listen-BK 4111 gefordert. Zu diskutieren sei bis zur endgültigen Empfehlung vom 4.4.1995 lediglich das geforderte Ausmaß der schädigenden Einwirkung gewesen. Es kann dahinstehen, ob dem beizutreten ist oder ob nicht der 4.4.1995 als maßgeblicher Zeitpunkt der BK-Reife zu gelten hat, was der Senat bereits entschieden hat. In seinem Urteil vom 2.12.2008 (B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 15) hat er klargestellt, dass angesichts der Tatsache, dass die obstruktive Bronchitis und das Lungenemphysem im Jahr 1995 noch nicht in der BKV bezeichnet worden waren (vgl die damals geltende 7. Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.6.1968, BGBl I 721 idF der 2. Änderungsverordnung vom 18.12.1992, BGBl I 2343), die generellen Voraussetzungen für die Bezeichnung dieser Erkrankungen als Listen-BK erst mit der Anerkennungsempfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten vom 4.4.1995 vorlagen (vgl Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 1.8.1995, BArbBl 1995 Heft 10, S 39 ff).

20

Es kann dahinstehen, ob hieran angesichts der umfangreichen Ermittlungen des LSG zum Ablauf der Beratungen im Sachverständigenbeirat festzuhalten und ob der vom LSG festgesetzte Zeitpunkt der BK-Reife (14.9.1993) bei der chronischen obstruktiven Bronchitis und dem Emphysem von Bergleuten vorzugswürdig wäre. Denn die Beklagte hat diesen Zeitpunkt in dem vor dem LSG geschlossenen Vergleich selbst zugrunde gelegt und lediglich die Klägerin führt das Rechtsmittel der Revision. Allerdings wird beiläufig darauf hingewiesen, dass der jeweilige Zeitpunkt der förmlichen Empfehlung des Sachverständigenbeirats (hier der 4.4.1995) zweifelsohne den Vorteil einer rechtssicheren Handhabung in sich trägt. Das Vorgehen des LSG hat im Einzelfall den Nachteil, dass ohne eine dokumentierte förmliche Beschlussfassung in dem Gremium jeweils im Einzelfall (ggf unter Heranziehung der beteiligten Sachverständigen als Zeugen) zu ermitteln ist, wann ein (an welchen Kriterien auch immer festzumachender) Konsens in dem Sachverständigenbeirat festgestellt werden kann.

21

3. Es ist kein weiterer Rechtsgrund ersichtlich, den Eintritt des Versicherungsfalls auf einen früheren Zeitpunkt festzulegen.

22
        

a) Offenbar leitet die Klägerin aus der bereits erwähnten Rechtsprechung des Senats, dass die neuen (wissenschaftlichen) Erkenntnisse jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen (aaO; vgl auch BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22), ab, dass dieser Erkenntnisstand sodann auf den Beginn des Verwaltungsverfahrens bzw den Eintritt der Erkrankung zurückwirke (insofern nicht nachvollziehbar ist allerdings der Hinweis auf BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 14). Das BSG hat hingegen mit dem Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung lediglich sicherstellen wollen, dass insofern nicht zu Lasten der Versicherten auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Erkrankung abzustellen ist, sodass nachträgliche Erkenntnisse (nach Beginn des Verwaltungsverfahrens) noch zu Gunsten der jeweiligen Kläger wirken können. Dies ändert freilich nichts daran, dass (erst) nachträglich ein bestimmter Zeitpunkt feststellbar sein muss, an dem sich die Erkenntnisse der Wissenschaft zur BK-Reife verdichtet haben. So hat der Senat in seinem Urteil vom 14.11.1996 (2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 22) ausgeführt:

"Das in § 551 Abs 2 RVO versicherte Risiko realisiert sich erst zu dem Zeitpunkt, in dem entsprechende 'neue Erkenntnisse' gesichert vorliegen. Würde man, wie die Revision meint, auf den Erkenntnisstand der Erkrankung - im Fall des Klägers damit auf das Jahr 1986 - abstellen, so bedeutete dies in vielen Fällen, dass eine Entschädigung gerade der Erkrankungen, die Anlass zur Entwicklung des neuen Erkenntnisstands gegeben haben, nicht möglich wäre. Dies hätte ein der Funktion des § 551 Abs 2 RVO als 'Öffnungsklausel' widersprechendes Ergebnis zur Folge (Koch in Schulin aaO § 37 RdNr 24 unter Hinweis auf § 9 Abs 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts in der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch - s inzwischen Gesetz vom 7. August 1996 - Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - BGBl I 1254). Der Rechtsprechung des BSG zum Umfang der Rückwirkungsvorschriften in Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO zur BKVO vom 18. Dezember 1992 in Bezug auf § 551 Abs 2 RVO hätte es - wie auch das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht bedurft, wenn darin die Rechtsauffassung vertreten worden wäre, die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse hätten zumindest im Zeitpunkt der Erkrankung vorliegen müssen. Diese Rechtsstreitigkeiten waren in tatsächlicher Hinsicht sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass die neuen medizinischen Erkenntnisse zu den BKen Nrn 2108 und 2109 (BSG Urteile vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 - BSGE 75, 51 ff sowie Urteil vom 19. Januar 1995 - 2 RU 14/94 - HV-Info 1995, 1331) und zur BK Nr 4104 (BSG Urteile vom 19. Januar 1995 - 2 RU 13/94 - HV-INFO 1995, 972 sowie 2 RU 20/94 - HV-Info 1995, 1141) erst nach Inkrafttreten der 1. ÄndVO vom 22. März 1988 (BGBl I 400) zum 1. April 1988 gesichert vorlagen, während die Versicherten bereits vorher erkrankt und - soweit die Entschädigung von Wirbelsäulenerkrankungen umstritten waren - aus dem Berufsleben ausgeschieden waren."

23

b) Auch die Regelung des § 551 Abs 3 Satz 2 RVO ist entgegen der Rechtsansicht der Revision für die Bestimmung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls nicht einschlägig. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, enthält diese Norm lediglich eine Regelung über und für den Leistungsfall (grundlegend BSG vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 35; bestätigt ua BSG vom 10.8.1999 - B 2 U 20/98 R - SozR 3-2200 § 571 Nr 4 S 15). § 551 Abs 3 Satz 2 RVO(jetzt: § 9 Abs 5 SGB VII)und enthält eine Regelung über den Versicherungsfall lediglich, soweit dieser für Regelungen des Leistungsrechts, wie etwa die Bestimmung des Jahresarbeitsverdienstes etc, von Bedeutung ist (so explizit der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom UVEG vom 24.8.1995, BT-Drucks 13/2204, S 78 zu § 9 Abs 5 SGB VII; vgl auch Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 9 RdNr 34). § 551 Abs 3 Satz 2 RVO enthält nach dieser Rechtsprechung(aaO) eine eigenständige Bestimmung für den Leistungsfall, für den ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist. Die Beklagte hat gerade einen solchen in dem Bescheid vom 31.3.2006 auch vorgenommen, indem sie ausführte, dass für die Leistungen auf den 23.1.1986 abgestellt werde (instruktiv zu diesem Günstigkeitsvergleich Brandenburg in jurisPK-SGB VII, § 9 RdNr 130 f). Allein für den Leistungsfall und nicht auch für den Versicherungsfall ist der Beginn der Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts maßgebend (vgl BSG vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 35 S 70).

24

c) Auch aus der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Senats zur Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV vom 17.5.2011 (B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5) kann nichts dafür abgeleitet werden, dass der Versicherungsfall hier vor dem 14.9.1993 eingetreten sein könnte. Der Senat hat in dieser Entscheidung lediglich Ausführungen dazu gemacht, wann der Versicherungsfall einer Listen-BK eintritt, und klargestellt, dass dies nicht vor dem Zeitpunkt sein kann, zu dem ihre Aufnahme in die Anlage zur BKV in Kraft getreten ist. Weiterhin hat der Senat dort nur klargestellt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV(idF vom 11.6.2009, BGBl I 1273 mWv 1.7.2009) lediglich darauf abzielt, entgegen dem früheren Recht ab dem 1.7.2009 die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der BK 4111 zu eröffnen, ohne den Zeitpunkt der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum 1.7.2009 in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der BK 4111, sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem 1.1.1993 liegenden Erkrankungen als BK 4111 sollte eingeräumt werden, ansonsten hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV hinsichtlich der Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls bedurft.

25

Mithin hätte die Revision hier nur Erfolg haben können, wenn sie dargelegt hätte, dass bereits vor dem 14.9.1993 neue, gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft zur chronischen obstruktiven Bronchitis bzw zum Emphysem von Bergleuten vorgelegen haben, die die Entscheidung des LSG, den Zeitpunkt des Versicherungsfalls gemäß § 551 Abs 2 RVO auf den 14.9.1993 festzulegen, in Frage hätten stellen können. Solches trägt die Revision aber gerade nicht vor.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
2.
Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2 Absatz 3 Satz 4 erster Halbsatz gilt entsprechend,
3.
Personen, die
a)
im Ausland bei einer staatlichen deutschen Einrichtung beschäftigt werden,
b)
im Ausland von einer staatlichen deutschen Einrichtung anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden;
Versicherungsschutz besteht nur, soweit die Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind,
4.
ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
5.
Kinder und Jugendliche während der Teilnahme an Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht für

1.
Haushaltsführende,
2.
Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
3.
Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgast fischen oder jagen,
4.
Reeder, die nicht zur Besatzung des Fahrzeugs gehören, und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) beim Kläger aufgrund seines Schulbesuchs.

2

Der im August 1989 geborene Kläger ist durch eine schwere Legasthenie und Dyskalkulie behindert. Das Versorgungsamt hat bei ihm wegen Teilleistungsstörung (Legasthenie und Dyskalkulie) mit sekundärer Neurotisierung einen Grad der Behinderung von 60 festgestellt (Bescheid vom 14. Oktober 2004). Zur Begründung seines an den beklagten Gemeinde-Unfallversicherungsverband gerichteten Antrags auf Anerkennung einer Wie-BK legte der Kläger zahlreiche ärztliche Unterlagen vor und behauptete, durch falsche Schulpädagogik eine schwere seelische Erkrankung erlitten zu haben. Eine gruppenspezifische Erhöhung des Erkrankungsrisikos sei für Legastheniker wissenschaftlich belegbar. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, es gebe keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Geeignetheit von Schulunterricht, psychische Erkrankungen herbeizuführen (Bescheid vom 7. Juli 2005, Widerspruchsbescheid vom 19. September 2005).

3

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 17. Mai 2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14. Januar 2009) und im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt: Das bloße Versäumnis einer adäquaten Förderung des Klägers könne nicht als besondere Einwirkung iS des § 9 SGB VII verstanden werden. Auch scheitere die "Anerkennung und Entschädigung" einer Wie-BK daran, dass eine gruppenspezifische Risikoerhöhung im Falle des Klägers nicht feststellbar sei. Legastheniker würden im niedersächsischen Schulsystem nicht anders beschult wie Nicht-Legastheniker. Sie seien daher keinen anderen Einwirkungen im Schulsystem ausgesetzt wie nicht-legasthene Schüler. Hinsichtlich der Bezugsgruppe für die erforderliche gruppenspezifische Risikoerhöhung sei auf alle Schüler abzustellen und nicht auf die Gruppe der an Legasthenie leidenden Schüler. Ob von einer versicherten Tätigkeit spezielle Risiken ausgehen würden, die erheblich höher als die Risiken der Allgemeinbevölkerung seien, könne statistisch und epidemiologisch zutreffend nur im Vergleich der Allgemeinbevölkerung mit den Versicherten ermittelt werden, die die versicherte Tätigkeit ausüben, ohne sich durch zusätzliche risikoerhöhende persönliche Eigenschaften (Behinderungen) von der Allgemeinbevölkerung zu unterscheiden. Umgekehrt ließe sich ein besonderes schulisches Risiko von Legasthenikern nur im Vergleich mit dem von Legasthenie betroffenen Teil der Allgemeinbevölkerung ermitteln. § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII stelle als Maßstab auf die Allgemeinbevölkerung ab, so dass die bestimmte Personengruppe sich allein durch ihre versicherte Tätigkeit von der Allgemeinbevölkerung unterscheiden dürfe. Wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Ausgestaltung des Schulunterrichts in Niedersachsens allgemeinbildende Schulen ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko der Schüler zur Folge habe, psychisch zu erkranken, habe der Kläger nicht behauptet und seien auch nicht erkennbar. Soweit der Kläger mit Recht einen Mangel an spezieller individueller Förderung von Legasthenikern an niedersächsischen Schulen beklage, könne die Anerkennung psychischer Folgen eines solchen Mangels nicht als Wie-BK verlangt werden, selbst wenn eine gruppenspezifische Risikoerhöhung von legasthenen Schülern gegenüber der Allgemeinbevölkerung angenommen würde. Denn die Risikoerhöhung würde nicht durch "besondere Einwirkungen" iS des § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII verursacht, weil das Unterlassen einer behinderungsgerechten Förderung dafür nicht ausreiche. Eine pflichtwidrige Unterlassung möge zwar eine Handlung im strafrechtlichen Sinne sein, stelle aber keine Einwirkung im unfallversicherungsrechtlichen Sinne dar. Angesichts dessen könne dahingestellt bleiben, ob mögliche Versäumnisse des Beklagten hinsichtlich einer die Teilleistungsstörungen des Klägers berücksichtigenden Pädagogik dessen sekundäre Neurotisierung wesentlich mit verursacht hätten.

4

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger: Soweit das LSG ausgeführt habe, dass die Ausgestaltung des niedersächsischen Schulunterrichts gegenüber der Allgemeinbevölkerung kein wesentlich erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen zur Folge habe, sei darauf hinzuweisen, dass "die Tatsache, dass Schule krankmachen kann," seit längerer Zeit allgemein bekannt sei. Die entscheidungserhebliche Frage sei jedoch vor allem, ob eine gruppenspezifische Erhöhung auch dann vorliege, wenn eine durch gemeinsame Merkmale (Behinderung) abgrenzbare Teilgruppe aus der Gesamtgruppe, die die gefährdende Tätigkeit ausübe, besonders gefährdet werde. Ein behinderter Arbeitnehmer habe grundsätzlich Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz. Wenn die für die Krankheit des Klägers ursächliche Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Schülern eine verfassungswidrige Diskriminierung von Behinderten iS des Art 3 Abs 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) sei, so würde eine fortgesetzte Gleichbehandlung von Behinderten und Nichtbehinderten bei der Frage der Gruppentypik ebenfalls eine fortgesetzte verfassungswidrige Diskriminierung darstellen. Daher sei für die Prüfung der Gruppentypik auf die Vergleichsgruppe der ebenso behinderten Mitschüler abzustellen. Dem Umgang aller staatlichen Organe mit behinderten Menschen seien durch Art 3 Abs 3 Satz 2, Art 1 Abs 2 GG Grenzen gesetzt. Durch seine Beschulung, die seine Behinderung nicht berücksichtigt habe, sei er benachteiligt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (Hinweis auf BVerfGE 96, 288 ff) könne eine Benachteiligung durch Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten gegeben sein, wenn die Behinderung nicht durch entsprechende Fördermaßnahmen hinlänglich kompensiert werde; für behinderte Kinder und Jugendliche sei der Staat gehalten, schulische Einrichtungen bereit zu halten, die auch ihnen eine sachgerechte schulische Erziehung und Ausbildung ermöglichten. Dies ergebe sich auch aus dem von Deutschland ratifizierten Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte behinderter Menschen vom 13. Dezember 2006. Ebenso wie ein tauber Schüler in der Gebärdensprache hätte er in Lesen und Schreiben nach den für Legastheniker geeigneten Methoden unterrichtet werden müssen. In Niedersachsen erfolge keine entsprechende Förderung. Dies führe zu psychischen Erkrankungen der Betroffenen, die bei entsprechender Intensität Anspruch auf Leistung nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) wegen seelischer Behinderung hätten.

5

Soweit das LSG das Vorliegen von besonderen Einwirkungen iS des § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII verneint habe, weil das Unterlassen einer entsprechenden Förderung keine Einwirkung sei, könne dem nicht gefolgt werden. Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung und zB der Schutzpflichten für behinderte Arbeitnehmer, die zu Handlungspflichten deren Arbeitgeber führen würden, könne nicht einfach das Vorliegen einer Einwirkung verneint werden. Im Übrigen habe er der Schulpflicht unterlegen und es sei auf ihn durch Erziehungsmaßnahmen der Lehrer eingewirkt worden. Diese Einwirkungen seien in der Grundschulzeit so stark gewesen, dass er einen Selbstmordversuch unternommen habe. Seine sekundäre Neurotisierung sei nicht die Folge eines Unterlassens, sondern komplexer Verhaltensweisen, die sowohl Handeln wie Unterlassen miteinander verbunden hätten, sodass eine Einwirkung vorgelegen habe.

6

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Januar 2009 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 17. Mai 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2005 aufzuheben und bei ihm eine sekundäre Neurotisierung als Versicherungsfall einer Wie-Berufskrankheit anzuerkennen.

7

Der Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Bei ihm ist eine "sekundäre Neurotisierung bei Teilleistungsstörung (Legasthenie und Dyskalkulie)" nicht wie eine Berufskrankheit anzuerkennen.

9

Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sogenannte Öffnungsklausel für Wie-BKen). Die sich aus dieser Vorschrift ergebenden Tatbestandsmerkmale für die Feststellung einer Wie-BK bei einem Versicherten sind (1.) das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen für eine in der BKV bezeichneten Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII - (3.) nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen - sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie-BK im Einzelfall bei dem Versicherten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats enthält diese Vorschrift keine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als "Wie-BK" anzuerkennen wäre (vgl nur BSG vom 23. Juni 1977 - 2 RU 53/76 - BSGE 44, 90 = SozR 2200 § 551 Nr 9; BSG vom 14 November 1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250 = 3-2200 § 551 Nr 9).

10

Das erste Tatbestandsmerkmal ist hinsichtlich der vom Kläger begehrten Anerkennung einer psychischen Erkrankung aufgrund von Einwirkungen während seines Besuchs von allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen erfüllt, weil in der Anlage 1 zur BKV - der BK-Liste mit den sogenannten Listen-BKen -, in der die als BK durch Rechtsverordnung nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII bezeichneten Krankheiten aufgeführt sind, keine psychischen Erkrankungen durch Einwirkungen während eines Schulbesuchs zu finden sind.

11

Das vierte Tatbestandsmerkmal - die Voraussetzungen für die Feststellung der Krankheit als Wie-BK im Einzelfall (vgl dazu grundlegend das Urteil des Senats vom 2. April 2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14) - hat das LSG dahingestellt sein lassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es gäbe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass die Ausgestaltung des Schulunterrichts in niedersächsischen allgemeinbildenden Schulen ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko der Schüler zur Folge habe psychisch zu erkranken.

12

Damit hat das LSG das zweite Tatbestandsmerkmal - die allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung einer Krankheit als BK - mangels entsprechender wissenschaftlicher Erkenntnisse verneint, womit auch die Prüfung des dritten Tatbestandsmerkmals - die Neuheit der Erkenntnisse - entfiel.

13

Seine Revision wird vom Kläger insbesondere damit begründet, dass entgegen der Ansicht des LSG für die Ermittlung dieses zweiten Tatbestandsmerkmals nicht auf alle Schüler in niedersächsischen allgemeinbildenden Schulen abzustellen sei, sondern nur auf die Schüler, die an Legasthenie und Dyskalkulie leiden. Der Kläger verwendet insofern ebenso wie das LSG die Begriffe "gruppenspezifische Risikoerhöhung" oder "Gruppentypik" und meint, zur Bestimmung der Risikoerhöhung müsse auf die abgrenzbare (Teil-)Gruppe der Schüler mit diesen Behinderungen abgestellt werden.

14

Entgegen diesem Vorbringen des Klägers und entsprechend den tatsächlichen Feststellungen des LSG, gegen die der Kläger keine zulässigen und begründeten Rügen erhoben hat, ist jedoch das zweite Tatbestandsmerkmal einer Wie-BK für die vom Kläger begehrte Anerkennung einer "sekundären Neurotisierung bei Teilleistungsstörung (Legasthenie und Dyskalkulie)" nicht erfüllt.

15

Die aus dem Wortlaut des § 9 Abs 1 SGB VII ableitbaren allgemeinen Voraussetzungen für dieses Tatbestandsmerkmal - die Bezeichnung einer Krankheit als BK - sind eine versicherte Tätigkeit nach §§ 2, 3, 6 SGB VII (a), durch die bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen (b) ausgesetzt sind (c). Diese Einwirkungen müssen eine Krankheit (d) verursacht haben (e) nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft (f). Soweit der Senat oder andere Senate des BSG in der Vergangenheit in diesem Zusammenhang verschiedene andere Begriffe verwandt haben, wie Gruppentypik, generelle Geeignetheit (vgl zuletzt insbesondere BSG vom 23. März 1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 34 f = SozR 3-2200 § 551 Nr 12) oder zB auch den der gruppentypischen oder gruppenspezifischen Risikoerhöhung (vgl BSG vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R), dienten diese nur der Erläuterung oder Umschreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit andere Anforderungen aufgestellt werden sollten (vgl schon BSG vom 14. November 1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250 = 3-2200 § 551 Nr 9). Im Übrigen ist zu beachten, dass der Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung über die Bezeichnung einer Krankheit nach § 9 Abs 1 SGB VII einen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum hat(vgl BSG vom 23. März 1999 - B 2 U 12/98 R - aaO), während der Anspruch auf Anerkennung einer Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII ein auf diesem Parlamentsgesetz beruhender Rechtsanspruch ist, so dass dessen Ablehnung uneingeschränkt justiziabel und im Rechtszug überprüfbar ist.

16

Ausgehend von den Feststellungen des LSG zum Vorbringen des Klägers über die Einwirkungen, denen er ausgesetzt war, seine Krankheit usw ergibt sich auf der für die Bezeichnung einer BK zu prüfenden abstrakten Ebene der allgemeinen Voraussetzungen des zweiten Tatbestandsmerkmals:

17

a) Die versicherte Tätigkeit, auf die abzustellen ist, ist die eines Schülers einer allgemeinbildenden Schule nach § 2 Abs 1 Nr 8b SGB VII, wie der Kläger sie "ausgeübt" hat. Ob eine Krankheit als Listen-"Berufs"-krankheit bezeichnet oder als Wie-"Berufs"-krankheit anerkannt werden kann, wenn sie nur durch Schulbesuch, nicht aber infolge der Ausübung eines "Berufs" entstehen kann, kann offen gelassen werden, weil die Voraussetzungen vorliegend schon aus anderen Gründen nicht erfüllt sind.

18

b) Das Erfordernis von besonderen Einwirkungen, denen eine bestimmte Personengruppe in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, verlangt zunächst die Ermittlung der Einwirkungen und in einem weiteren Schritt deren Zurechnung zur versicherten Tätigkeit (c), zumal ohne eine Ermittlung der Einwirkungen schwerlich Aussagen über die Krankheiten (d), die durch sie verursacht wurden (e), möglich sind.

19

Zur näheren Konkretisierung der besonderen Einwirkungen, denen bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Grade als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind, ist aufgrund der Praxis des Verordnungsgebers bei der Bezeichnung von Listen-BKen und der Rechtsprechung des BSG auf Folgendes hinzuweisen: Als Einwirkungen kommt - wie schon den verschiedenen BK-Bezeichnungen in der BK-Liste entnommen werden kann - praktisch alles in Betracht, was auf Menschen einwirkt. Daher ist es, auch wenn es (noch) keine Listen-BK gibt, die auf rein psychische Einwirkungen abstellt, denkgesetzlich nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber eine solche Listen-BK einführen kann. An die bestimmte Personengruppe sind keine besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Größe (vgl BSG vom 29. Oktober 1981 - 8/8a RU 82/80 - BSGE 52, 272, 274 = SozR 2200 § 551 Nr 20 insbesondere zu den sogenannten Seltenheitsfällen) oder sonstiger charakterisierender Merkmale zu stellen (zB nicht gemeinsamer Beruf, vgl Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, Kommentar, Stand November 2009, § 9 RdNr 55). Durch den "Gruppen-Bezug" wird der Unterschied zwischen der hier anzustellenden allgemeinen und abstrakten Prüfung der Voraussetzungen einer BK-Bezeichnung gegenüber der Prüfung der Voraussetzungen einer BK im Einzelfall betont (vgl zum Gruppen-Bezug im BK Recht auch: BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 5).

20

Entscheidend für die Voraussetzung "Einwirkungen" bei der Prüfung einer Bezeichnung ist das Erfordernis "den Einwirkungen ausgesetzt sein in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung", wobei es auch genügt, wenn die Versicherten solchen Einwirkungen ausgesetzt sind, denen die übrige Bevölkerung nicht ausgesetzt ist (vgl viele allein im Berufsleben vorkommende Schadstoffe), weil dies zwangsläufig ein Ausgesetztsein in erheblich höherem Grade nach sich zieht. Notwendige Vorbedingung für die Prüfung eines Ausgesetztseins in erheblich höherem Grade ist eine Konkretisierung der Einwirkungen hinsichtlich ihrer Ausgestaltung oder Art sowie ihres Ausmaßes.

21

Dass Schüler im Rahmen eines Schulbesuchs Einwirkungen ausgesetzt sind, die von denen der übrigen Bevölkerung abweichen, liegt auf der Hand. Der Kläger meint jedoch, dass nicht auf die allgemeinen Einwirkungen abzustellen sei, sondern auf die speziellen Einwirkungen, die eine "Standard-Beschulung" ohne Berücksichtigung der Teilleistungsstörungen Legasthenie und Dyskalkulie auf entsprechend behinderte Schüler habe, wenn keine adäquate Förderung erfolge. Derartige spezifische Einwirkungen hat das LSG aber nicht festgestellt. Es hat vielmehr ausgeführt, Legastheniker würden im niedersächsischen Schulsystem nicht anders beschult wie Nicht-Legastheniker. Sie seien daher keinen anderen Einwirkungen im Schulsystem ausgesetzt wie nicht-legasthene Schüler.

22

Selbst wenn aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung und entsprechend dem Vortrag des Klägers von vielfältigen Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern sowie der Schüler untereinander im Rahmen eines Schulbesuches ausgegangen wird und dem vom LSG festgestellten Mangel an spezieller individueller Förderung von Legasthenikern an niedersächsischen Schulen, so ersetzt dies nicht die Voraussetzung "Einwirkungen". Ein Nichts oder ein bloßer Mangel sind keine Einwirkungen und sei es auch nur in psychischer Form auf den Körper eines Menschen bzw bei der vorliegenden Prüfung des zweiten Tatbestandsmerkmals auf eine Gruppe.

23

Der Senat übersieht, insbesondere in Würdigung des Vortrags des Klägers zu seinem persönlichen Schicksal, nicht, dass derartige Einwirkungen auf Schüler, die an bestimmten Teilleistungsstörungen leiden, möglich sind. Es mangelt jedoch an Feststellungen des LSG zu derartigen spezifischen Einwirkungen auf die Gruppe der an Legasthenie und Dyskalkulie leidenden Schülern in den niedersächsischen Schulen. Der Kläger hat insofern keine Aufklärungsrügen erhoben. Er hat zwar auf sein Schicksal hingewiesen, als er angeführt hat, dass "viele Legastheniker/Dyskalkuliker" aufgrund einer seelischen Behinderung Leistungen nach § 35a SGB VIII vom Jugendamt erhielten. Dies alles ersetzt jedoch nicht entsprechende Feststellungen durch das LSG hinsichtlich der erforderlichen Einwirkungen bzw beim Fehlen solcher Feststellungen die für ein erfolgreiches Revisionsverfahren notwendigen Rügen seitens des Klägers (vgl § 163 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz).

24

Aus Art 3 Abs 3 Satz 2 GG, der lautet: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.", der vom Kläger angeführten Entscheidung des BVerfG vom 8. Oktober 1997 (BVerfGE 96, 288 ff) zum Verbot der Benachteiligung Behinderter sowie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (zustimmendes deutsches Gesetz vom 21. Dezember 2008, BGBl II 1419) folgt nichts anderes. Nach dem Benachteiligungsverbot darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden und eine solche Benachteiligung liegt nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung verschlechtern, vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird, und dies gilt insbesondere im Bereich der Schulen (BVerfGE aaO, RdNr 69 ff).

25

Vorliegend ist jedoch nicht die Gewährung von speziellen Fördermaßnahmen für eine bestimmte Gruppe behinderter Menschen umstritten. Auch verneint der Senat nicht, dass es BKen aufgrund von psychischen Einwirkungen geben kann. Entscheidend ist vorliegend vielmehr auf der tatsächlichen Ebene, dass es keine Feststellungen des LSG bzw Rügen des Klägers zum Unterlassen solcher Feststellungen durch das LSG hinsichtlich spezifischer Einwirkungen gibt, denen Schüler, die an Legasthenie und Dyskalkulie leiden, in niedersächsischen Schulen ausgesetzt sind. Als vorliegend zu berücksichtigende und der Entscheidung des Revisionsgerichts zu Grunde zu legende Einwirkungen kommen daher nur die allgemeinen Einwirkungen des Schulbesuchs auf Schüler in Betracht.

26

c) Die Zurechnung dieser Einwirkungen, denen alle Schüler ausgesetzt sind, zur versicherten Tätigkeit als Schüler wirft keine Fragen auf.

27

d) Als Krankheit, die der BK-Bezeichnung iS des § 9 Abs 1 SGB VII zu Grunde zu legen wäre, kommt ausgehend von der vom Kläger geltend gemachten und vom LSG bei ihm festgestellten Erkrankung eine sekundäre Neurotisierung oder allgemeiner eine psychische Erkrankung in Betracht, auch wenn es insofern an der vom Senat gerade für die Ursachenbeurteilung bei psychischen Erkrankungen geforderten Einordnung der Erkrankung in ein international anerkanntes Diagnosesystem wie das ICD-10 oder DSM IV mangelt(vgl BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 22).

28

e) Der Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen, denen alle Schüler ausgesetzt sind (siehe oben b), und dieser Erkrankung kann jedoch nach den Feststellungen des LSG nicht bejaht werden.

29

Der generelle Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Krankheit bei der Prüfung der Voraussetzungen einer BK-Bezeichnung unterscheidet sich aufgrund der allgemeinen und abstrakten Prüfungsebene von dem Ursachenzusammenhang bei der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität beim einzelnen Arbeitsunfall oder der Listen-BK im Einzelfall (vgl dazu BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - aaO; BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 9/08 R - aaO). Dennoch gilt auch insofern die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl zusammenfassend zu dieser: BSG vom 9. Mai 2006 aaO).

30

Dieser generelle Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen, denen Schüler im Rahmen ihres Besuchs von allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen ausgesetzt sind, und psychischen Erkrankungen ist nach den Feststellungen des LSG zu verneinen. Denn es hat ausgeführt, wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen die Ausgestaltung des Schulunterrichts in Niedersachsens allgemeinbildenden Schulen ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko der Schüler zur Folge habe, psychisch zu erkranken, habe der Kläger nicht behauptet und seien auch nicht erkennbar.

31

Der Kläger hat insofern keine Verfahrensrüge erhoben, sondern nur im Rahmen seiner Revisionsbegründung ausgeführt, dass "die Tatsache, dass Schule krankmachen kann", seit Längerem allgemein bekannt sei. Damit hat er jedoch keine Verfahrensrüge iS der § 163, § 164 Abs 2, Satz 3 SGG vorgebracht, weil dieses Vorbringen im Ergebnis (nur) eine Rüge der Beweiswürdigung des LSG darstellt. Eine Rüge der nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG freien Beweiswürdigung des LSG ist zwar im Revisionsverfahren zulässig, das Revisionsgericht kann jedoch nur prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat, und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens ausreichend und umfassend berücksichtigt hat(stRspr vgl nur BSG vom 31. Mai 2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 18, Meyer/Ladewig, SGG, 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 10 mwN). Zu diesen Voraussetzungen ist dem Vorbringen des Klägers nichts zu entnehmen.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.