Sozialgericht Karlsruhe Urteil, 27. Jan. 2015 - S 17 R 4360/13

bei uns veröffentlicht am27.01.2015

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Aufrechnung von Forderungen streitig.
Mit Bescheid vom 02.08.2011 nahm die Beklagte ihre Entscheidung über die Gewährung einer Witwenrente ab 01.07.1999 (Bescheid vom 18.10.1995) bezüglich der Einkommensanrechnung zurück und forderte die Rückzahlung der entstandenen Überzahlung in Höhe von 10.819,15 EUR. Nachdem die Beklagte den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers zurückwies, erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe. Im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung (Az.: S 13 R 79/12) am 16.05.2013 schlossen die Beteiligten folgenden (auszugsweise dargestellten) Vergleich:
„1. Die Beklagte verzichtet im Rahmen der Ermessensabwägung auf die Hälfte der mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachten Forderung, d.h. die Forderung reduziert sich auf 5.409,57 EUR. Hiervon zahlt der Kläger bis spätestens zum 30. Juli 2013 3.606,38 EUR. Die Beklagte überprüft bezüglich des restlichen Betrages im Rahmen des § 51 Abs. 2 SGB I in wie weit eine Aufrechnung mit den Rentenbezügen möglich ist. (…)“
Mit Bescheid vom 19.07.2013 rechnete die Beklagte die Restforderung in Höhe von 1.803.19 EUR mit den bestehenden Renteneinkünften. Im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens habe sie den Aufrechnungsbetrag auf monatlich 50,-- EUR festgelegt.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19.08.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, bei einer Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I seien die Pfändungsfreigrenzen des Absatzes 1 grundsätzlich nicht relevant. Sie fänden aber als Anhaltspunkt Anwendung zur Vermeidung von Härten. Es sei keine fehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen worden, da es unter Berücksichtigung des hier vorliegenden Einzelfalls zu einer nicht zumutbaren Härte kommen würde. Aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung entstünden dem Kläger monatliche Aufwendungen von 20,-- EUR, welche die Beklagte bei der Ermessensausübung nicht berücksichtigt habe. Aufgrund seiner Krankheiten sei er auf ein Mofa angewiesen. Hierauf entfielen Versicherungsbeiträge von jährlich 65,-- EUR. Für das Mofa habe er eine Garage anmieten müssen, deren Mietaufwand monatlich 35,-- EUR betrage. Diese Werte seien im Rahmen einer Ermessensausübung zu berücksichtigen. Daneben hätten die monatlichen Abschlagszahlungen für die Heizung und Nebenkosten im vergangenen Abrechnungsjahr (01.05.2012 bis 30.04.2013) zu einer Nachforderung in Höhe von 67,99 EUR geführt. Zudem habe der Kläger eine Geldanlage getätigt, um bei seinem Ableben die anfallenden Beerdigungskosten decken zu können. Durch die teilweise Tilgung der Forderung mit einem Betrag von 3.606,38 EUR stehe hierfür nur noch ein Betrag in Höhe von etwa 3.000,-- EUR zur Verfügung. Dieser sei für eine Tragung der Beerdigungskosten nicht ausreichend. Er müsse nunmehr wieder sparen. Seine einzige Tochter mit acht Kinder sei hierzu nicht in der Lage.
Mit weiterem Bescheid vom 12.09.2013 reduzierte die Beklagte unter Berücksichtigung der geschilderten gesundheitlichen Verhältnisse und der damit verbundenen Mehrausgaben für nicht bedarfsfähig anzuerkennende Medikamente und Fixkosten (Versicherungsbeiträge) für die Benutzung eines Mofas den monatlichen Aufrechnungsbetrag um die Hälfte, auf monatlich 25,-- EUR. Die weiteren geltend gemachten Kosten für Garagenmiete, Ansparung für eigene Beerdigungskosten etc. seien hingegen kein Grund, den Aufrechnungsbetrag weiter zu reduzieren oder ganz von der Aufrechnung abzusehen.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 16.09.2013 mitteilte, er sei nicht mit einer Aufrechnung in Höhe von monatlich 25,-- EUR an seiner laufenden Rente einverstanden, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2013 zurück, soweit sie diesem nicht bereits mit Bescheid vom 12.09.2013 abgeholfen habe. Zur Begründung wiederholte und vertiefte sie im Wesentlichen die Gründe des Bescheides vom 12.09.2013.
Mit seiner am 13.12.2013 erhobenen Klage zum Sozialgericht Karlsruhe verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung trägt er vor, durch die Verrechnung ergäbe sich ein Härtefall. Er sei auf die angemietete Garage angewiesen. Bei einer Verrechnung an den laufenden Rentenbezügen durch die Beklagte sei die Weiteranmietung nicht mehr möglich. Die Beklagte habe eine Aufrechnung gemäß § 51 Abs. 2 SGB I vorgenommen. Die Pfändungsfreigrenzen des § 51 Abs. 1 SGB I fänden aber trotzdem als Anhaltspunkt Anwendung, wenn es um die Vermeidung von Härten für den Betroffenen geht. Soweit der Kläger zunächst noch die Übernahme von anteiligen Kosten (die Hälfte) für das durchgeführte Widerspruchsverfahren begehrte, erklärte er dieses Klagebegehren mit Schreiben vom 15.08.2014 für erledigt, nachdem die Beklagte insoweit mit Schreiben vom 11.07.2014 mitteilte: „Wir erkennen daher an, dass die durch das Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Kosten auf Antrag zur Hälfte erstattet werden“.
Der Kläger beantragt,
10 
dem Bescheid vom 19.07.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2013 aufzuheben.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung des Abweisungsantrags verweist die Beklagte im Wesentlichen auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides.
14 
Mit Schriftsätzen vom 29.09.2014 und 20.10.2014 haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
15 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
17 
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt der Beklagten vom 19.07.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
1.
18 
Die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I sind erfüllt. Danach kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte anrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig i.S. der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch wird. Aufrechnung ist die durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung bewirkte wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüber stehender Forderungen. Die Forderung, gegen die aufgerechnet wird (im Sozialrecht: der Leistungsanspruch) ist die Hauptforderung, die Forderung des Leistungsträgers mit der aufgerechnet wird, ist die Gegenforderung. Die Forderungen müssen gleichartig, z.B. - wie hier - beide auf Geld gerichtet sein, sie müssen gegenseitig und schließlich im Zeitpunkt der Aufrechnung auch erfüllbar bzw. fällig sein (vgl. Pflüger, in: juris PK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Stand: 19.5.2014, § 51 SGB I, Rn. 17). Dabei muss die Gegenforderung entstanden und fällig sein, während die Hauptforderung zwar nicht fällig, aber bereits entstanden und erfüllbar sein muss (BSG, U.v. 24.7.2013 - B 4 RA 60/02 R - juris). Gegenseitigkeit liegt vor, wenn zwischen den zur Aufrechnung gestellten Forderungen ein Gegenseitigkeitsverhältnis besteht, wenn also der Gläubiger der Hauptforderung zugleich Schuldner der Gegenforderung und der Schuldner der Hauptforderung zugleich Gläubiger der Gegenforderung ist (vgl. BSG, U.v. 14.3.2013 - B 13 R 5/11 R - juris).
19 
Die Aufrechnung ist entsprechend der Rechtsprechung des BSG mit Bescheid erklärt worden (BSG, B.v. 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R - juris). Die Beklagte verrechnet eine Geldforderung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 16.05.2013 (Gegenforderung) mit den Rentenansprüchen des Klägers (Hauptforderung). Die Forderungen sind beide auf Geld gerichtet und somit gleichartig. Die Forderungen sind auch gegenseitig, da im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung (Bescheid-erlass) der Schuldner der einen Forderung, zugleich Gläubiger der anderen Forderung ist (vgl. Pflüger, a.a.O., § 51 Rn. 27). Die Gegenforderung ist auch fällig: Mit Vergleichsschluss im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung am 16.05.2013 haben die Beteiligten vertragliche Pflichten begründet (Roller, in: Lüdtke, Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2009, § 101 Rn. 14). Die Gegenforderung, also die Rentenleistungen, sind entstanden und auch erfüllbar (vgl. § 118 Abs. 1 SGB VI). Der Kläger hat zu Unrecht Sozialleistungen erhalten, nämlich Witwenrente (vgl. Verfahren Az.: S 13 R 79/12). Er hat nicht nachgewiesen, durch die Aufrechnung hilfebedürftig i.S. der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch zu werden. Nach der Bedürftigkeitsmitteilung des Beklagten vom 05.07.2013 übersteigt das Einkommen des Klägers dessen grundsicherungsrechtlichen Bedarf vielmehr um 50,83 EUR.
2.
20 
Die getroffene Ermessensentscheidung der Beklagten ist nicht zu beanstanden.
21 
Die Aufrechnung steht mit der Formulierung "kann" im Ermessen des Leistungsträgers (BSG, U.v. 7.2.2012 - B 13 R 85/09 R - juris). Soweit ein Leistungsträger ermächtigt ist, nach seinem Ermessen zu handeln, ist sein Handeln rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grundlagen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss gemäß § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (Sächsisches LSG, U.v. 16.10.2014 – L 2 U 59/11 – juris). Die gerichtliche Kontrolle ist dabei auf die Prüfung beschränkt, ob der angefochtene Verwaltungsakt unter einem Ermessensfehler leidet (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).
22 
Ein solcher Ermessensfehler ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Beklagte den ihr zustehenden Ermessensspielraum nicht fehlerhaft genutzt. Die Beklagte hat den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkannt und sich bei der Ausübung im Rahmen des Zwecks der gesetzlichen Ermächtigung bewegt. Durch den Änderungsbescheid vom 12.09.2013, mit welchem sie den Aufrechnungsbetrag halbiert hat, hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Art und Weise die Belange des Klägers berücksichtigt.
23 
Es liegt auch kein Härtefall vor, wenn es dem Kläger (vorerst) nicht mehr möglich ist, Rücklagen für Beerdigungskosten zu bilden. Entgegen der Auffassung des Klägers gehört ein im Rahmen der Bestattungsvorsorge festgelegter Geldbetrag zum verwertbaren Vermögen i.S. des § 90 SGB XII (vgl. LSG Hamburg, B.v. 17.7.2007 - L 4 B 246/07 ER - juris). Ebenso kann es keine Härte darstellen, wenn - wie vom Kläger vorgetragen - in erster Linie Angehörige entlastet werden sollen (Lücking, in: Hauk/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB XII, Stand: 38. Ergänzungslieferung, Dezember 2014, K § 90 Rn. 102 m.w.N.). Zudem verfügt der Kläger noch über Sparvermögen in Höhe von 3.000,-- EUR für seine anfallenden Beerdigungskosten. Auch diese sind nicht als Schonvermögen anzusetzen (vgl. LSG Hamburg, B.v. 17.7.2007 - L 4 B 246/07 ER - juris; LSG Schleswig-Holstein, U.v. 4.12.2006 - L 9 SO 3/06 - juris). Es liegen mithin keine besonderen Umstände vor, welche es rechtfertigen würden, im Wege des Ermessens einen noch geringeren monatlichen Beitrag zu verrechnen bzw. von der Verrechnung ganz abzusehen.
24 
Daneben ist es aus Sicht der erkennenden Kammer nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte den Anrechnungsbetrag trotz der monatlichen Mietkosten für eine Garage für das Mofa nicht weiter reduzieren oder gänzlich von einer Aufrechnung verzichten will. Im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen hat sie diesen Umstand erkannt und gewürdigt. Die Abwägungsentscheidung zu Lasten des Klägers ist jedenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat insbesondere nicht nachgewiesen, tatsächlich auf eine Garage angewiesen zu sein. Insoweit erscheint es der erkennenden Kammer jedenfalls nicht lebensfremd, dass der Kläger sein Mofa auch ohne eine Garage unterhalten und nutzen kann.
25 
Ergänzend weißt das Gericht auf folgendes hin: In den Fällen des § 51 Abs. 2 SGB I entfällt die Pflicht zur Beachtung der Pfändungsfreigrenzen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I. Die Regelung dient dem Schutz der finanziellen Interessen der Versichertengemeinschaft. Bei Beitrags- und Erstattungsansprüchen soll der Berechtigte nicht einerseits die volle Leistung verlangen und andererseits den Leistungsträger bei dessen Gegenansprüchen auf den Pfändungsschutz verweisen können (Pflüger, a.a.O., § 51 SGB I Rn. 74). Der Höhe nach wird die Aufrechnung aber dennoch in doppelter Hinsicht begrenzt: Sie ist nur bis zur Hälfte der zustehenden laufenden Hauptforderung und auch in diesem Rahmen jedenfalls auf einen Betrag beschränkt, der dem Berechtigten noch die Mittel des notwendigen Lebensunterhalts im Sinne der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff. SGB XII belässt bzw. ihn nicht hilfebedürftig i.S.d. Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II werden lässt (Pflüger, a.a.O.). Seitdem in § 51 Abs. 2 SGB II die Grenze der Sozialhilfebedürftigkeit eingeführt ist, ist demnach ein ausreichender Schutz des Schuldners geschaffen worden. Ein Rückgriff auf die Pfändungsgrenzen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I ist folglich nicht mehr notwendig (vgl. Lilge, Berliner Kommentar zum SGB I, 2. Auflage 2009, § 51 Rn. 41).
26 
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
3.
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe

 
16 
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
17 
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt der Beklagten vom 19.07.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
1.
18 
Die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I sind erfüllt. Danach kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte anrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig i.S. der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch wird. Aufrechnung ist die durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung bewirkte wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüber stehender Forderungen. Die Forderung, gegen die aufgerechnet wird (im Sozialrecht: der Leistungsanspruch) ist die Hauptforderung, die Forderung des Leistungsträgers mit der aufgerechnet wird, ist die Gegenforderung. Die Forderungen müssen gleichartig, z.B. - wie hier - beide auf Geld gerichtet sein, sie müssen gegenseitig und schließlich im Zeitpunkt der Aufrechnung auch erfüllbar bzw. fällig sein (vgl. Pflüger, in: juris PK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Stand: 19.5.2014, § 51 SGB I, Rn. 17). Dabei muss die Gegenforderung entstanden und fällig sein, während die Hauptforderung zwar nicht fällig, aber bereits entstanden und erfüllbar sein muss (BSG, U.v. 24.7.2013 - B 4 RA 60/02 R - juris). Gegenseitigkeit liegt vor, wenn zwischen den zur Aufrechnung gestellten Forderungen ein Gegenseitigkeitsverhältnis besteht, wenn also der Gläubiger der Hauptforderung zugleich Schuldner der Gegenforderung und der Schuldner der Hauptforderung zugleich Gläubiger der Gegenforderung ist (vgl. BSG, U.v. 14.3.2013 - B 13 R 5/11 R - juris).
19 
Die Aufrechnung ist entsprechend der Rechtsprechung des BSG mit Bescheid erklärt worden (BSG, B.v. 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R - juris). Die Beklagte verrechnet eine Geldforderung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 16.05.2013 (Gegenforderung) mit den Rentenansprüchen des Klägers (Hauptforderung). Die Forderungen sind beide auf Geld gerichtet und somit gleichartig. Die Forderungen sind auch gegenseitig, da im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung (Bescheid-erlass) der Schuldner der einen Forderung, zugleich Gläubiger der anderen Forderung ist (vgl. Pflüger, a.a.O., § 51 Rn. 27). Die Gegenforderung ist auch fällig: Mit Vergleichsschluss im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung am 16.05.2013 haben die Beteiligten vertragliche Pflichten begründet (Roller, in: Lüdtke, Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2009, § 101 Rn. 14). Die Gegenforderung, also die Rentenleistungen, sind entstanden und auch erfüllbar (vgl. § 118 Abs. 1 SGB VI). Der Kläger hat zu Unrecht Sozialleistungen erhalten, nämlich Witwenrente (vgl. Verfahren Az.: S 13 R 79/12). Er hat nicht nachgewiesen, durch die Aufrechnung hilfebedürftig i.S. der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch zu werden. Nach der Bedürftigkeitsmitteilung des Beklagten vom 05.07.2013 übersteigt das Einkommen des Klägers dessen grundsicherungsrechtlichen Bedarf vielmehr um 50,83 EUR.
2.
20 
Die getroffene Ermessensentscheidung der Beklagten ist nicht zu beanstanden.
21 
Die Aufrechnung steht mit der Formulierung "kann" im Ermessen des Leistungsträgers (BSG, U.v. 7.2.2012 - B 13 R 85/09 R - juris). Soweit ein Leistungsträger ermächtigt ist, nach seinem Ermessen zu handeln, ist sein Handeln rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grundlagen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss gemäß § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (Sächsisches LSG, U.v. 16.10.2014 – L 2 U 59/11 – juris). Die gerichtliche Kontrolle ist dabei auf die Prüfung beschränkt, ob der angefochtene Verwaltungsakt unter einem Ermessensfehler leidet (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).
22 
Ein solcher Ermessensfehler ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Beklagte den ihr zustehenden Ermessensspielraum nicht fehlerhaft genutzt. Die Beklagte hat den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkannt und sich bei der Ausübung im Rahmen des Zwecks der gesetzlichen Ermächtigung bewegt. Durch den Änderungsbescheid vom 12.09.2013, mit welchem sie den Aufrechnungsbetrag halbiert hat, hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Art und Weise die Belange des Klägers berücksichtigt.
23 
Es liegt auch kein Härtefall vor, wenn es dem Kläger (vorerst) nicht mehr möglich ist, Rücklagen für Beerdigungskosten zu bilden. Entgegen der Auffassung des Klägers gehört ein im Rahmen der Bestattungsvorsorge festgelegter Geldbetrag zum verwertbaren Vermögen i.S. des § 90 SGB XII (vgl. LSG Hamburg, B.v. 17.7.2007 - L 4 B 246/07 ER - juris). Ebenso kann es keine Härte darstellen, wenn - wie vom Kläger vorgetragen - in erster Linie Angehörige entlastet werden sollen (Lücking, in: Hauk/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB XII, Stand: 38. Ergänzungslieferung, Dezember 2014, K § 90 Rn. 102 m.w.N.). Zudem verfügt der Kläger noch über Sparvermögen in Höhe von 3.000,-- EUR für seine anfallenden Beerdigungskosten. Auch diese sind nicht als Schonvermögen anzusetzen (vgl. LSG Hamburg, B.v. 17.7.2007 - L 4 B 246/07 ER - juris; LSG Schleswig-Holstein, U.v. 4.12.2006 - L 9 SO 3/06 - juris). Es liegen mithin keine besonderen Umstände vor, welche es rechtfertigen würden, im Wege des Ermessens einen noch geringeren monatlichen Beitrag zu verrechnen bzw. von der Verrechnung ganz abzusehen.
24 
Daneben ist es aus Sicht der erkennenden Kammer nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte den Anrechnungsbetrag trotz der monatlichen Mietkosten für eine Garage für das Mofa nicht weiter reduzieren oder gänzlich von einer Aufrechnung verzichten will. Im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen hat sie diesen Umstand erkannt und gewürdigt. Die Abwägungsentscheidung zu Lasten des Klägers ist jedenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat insbesondere nicht nachgewiesen, tatsächlich auf eine Garage angewiesen zu sein. Insoweit erscheint es der erkennenden Kammer jedenfalls nicht lebensfremd, dass der Kläger sein Mofa auch ohne eine Garage unterhalten und nutzen kann.
25 
Ergänzend weißt das Gericht auf folgendes hin: In den Fällen des § 51 Abs. 2 SGB I entfällt die Pflicht zur Beachtung der Pfändungsfreigrenzen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I. Die Regelung dient dem Schutz der finanziellen Interessen der Versichertengemeinschaft. Bei Beitrags- und Erstattungsansprüchen soll der Berechtigte nicht einerseits die volle Leistung verlangen und andererseits den Leistungsträger bei dessen Gegenansprüchen auf den Pfändungsschutz verweisen können (Pflüger, a.a.O., § 51 SGB I Rn. 74). Der Höhe nach wird die Aufrechnung aber dennoch in doppelter Hinsicht begrenzt: Sie ist nur bis zur Hälfte der zustehenden laufenden Hauptforderung und auch in diesem Rahmen jedenfalls auf einen Betrag beschränkt, der dem Berechtigten noch die Mittel des notwendigen Lebensunterhalts im Sinne der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff. SGB XII belässt bzw. ihn nicht hilfebedürftig i.S.d. Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II werden lässt (Pflüger, a.a.O.). Seitdem in § 51 Abs. 2 SGB II die Grenze der Sozialhilfebedürftigkeit eingeführt ist, ist demnach ein ausreichender Schutz des Schuldners geschaffen worden. Ein Rückgriff auf die Pfändungsgrenzen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I ist folglich nicht mehr notwendig (vgl. Lilge, Berliner Kommentar zum SGB I, 2. Auflage 2009, § 51 Rn. 41).
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
3.
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind.

(2) Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. November 2010 und des Sozialgerichts Potsdam vom 20. April 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2006 aufgehoben, soweit sie die Aufrechnung in Höhe von 1713,04 Euro betreffen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für alle Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufrechnung eines Teils ihrer laufenden monatlichen Altersrentenansprüche mit einer von ihr noch nicht beglichenen Beitragsschuld.

2

Die im März 1945 geborene Klägerin hatte ursprünglich ihren Wohnsitz in H., zog später aber nach P. um. Sie bezog von der LVA Sachsen-Anhalt und erhält nunmehr von deren Rechtsnachfolgerin, der DRV Mitteldeutschland, große Witwenrente (Zahlbetrag ab 1.4.2005 monatlich 289,50 Euro). Aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit schuldet sie für den Zeitraum Mai 1992 bis August 1993 noch Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung iHv 3341,24 DM, welche die LVA Sachsen-Anhalt ihr gegenüber im Bescheid vom 17.11.1998 zusammen mit Säumniszuschlägen iHv 9,20 DM, insgesamt also iHv 3350,44 DM geltend gemacht hat.

3

Die LVA Brandenburg (im Folgenden ebenso wie deren Rechtsnachfolgerin, die DRV Berlin-Brandenburg, einheitlich als Beklagte bezeichnet) bewilligte der Klägerin ab 1.4.2005 Altersrente für Frauen iHv netto 475,97 Euro monatlich (Rentenbescheid vom 15.3.2005). Die laufende Rentenzahlung begann zum Monatsende des Mai 2005; die Zahlung für April 2005 behielt die Beklagte bis zur Abklärung eventueller Erstattungsansprüche anderer Träger zunächst ein. Während die LVA Sachsen-Anhalt unter dem 23.5.2005 mitteilte, sie mache keine Ansprüche geltend, meldete die ARGE Potsdam für April 2005 im Hinblick auf von ihr gezahltes Alg II einen Erstattungsanspruch iHv 38,79 Euro an.

4

Mit Schreiben vom 24.3.2005 ermächtigte die Hauptverwaltung der Beklagten ihre für die Rentenzahlung zuständige Arbeitseinheit zur "Aufrechnung" der der Beklagten zustehenden und noch offenen Beitragsforderung für die Zeit vom 1.5.1992 bis zum 31.8.1993 (Beiträge 1708,34 Euro, Säumniszuschlag 4,70 Euro, Nebenkosten 10 Euro). Diese hörte die Klägerin zu der beabsichtigten Aufrechnung an, die iHv monatlich 237,98 Euro vorgenommen werden solle; es werde jedoch Gelegenheit gegeben, innerhalb eines Monats eine Bescheinigung des Sozialhilfeträgers zur Hilfebedürftigkeit zu übersenden. Die Klägerin teilte daraufhin lediglich mit, einer Aufrechnung stehe der Pfändungsfreibetrag nach § 850c ZPO entgegen. Ohnehin sei im Rentenbescheid die Berücksichtigung des Zeitraums Mai 1992 bis August 1993 als rentenrechtliche Zeit abgelehnt worden. Im Übrigen sei seit 15.8.2002 ein sie betreffendes Insolvenzverfahren anhängig, in dem die Beklagte es versäumt habe, ihre Forderung anzumelden.

5

Die Beklagte erklärte sodann die Aufrechnung der Beitragsforderung iHv 1713,04 Euro "nach unserem Bescheid vom 17.11.1998" mit der halben laufenden Rentenleistung von 237,98 Euro ab 1.9.2005 sowie in derselben Höhe mit der Rentennachzahlung für April 2005 (Bescheid vom 22.6.2005). Im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens seien die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Klägerin - soweit bekannt - berücksichtigt worden; besondere Umstände, welche die Interessen der Versichertengemeinschaft ausnahmsweise zurücktreten lassen könnten, seien nicht festgestellt worden. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese sich auch gegen den Einbehalt weiterer 38,79 Euro von der Rentennachzahlung für April 2005 wandte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.1.2006).

6

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 20.4.2007). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ihre hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage abgewiesen (Urteil vom 25.11.2010). Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtung sei nicht dadurch entfallen, dass die Beklagte seit Januar 2007 keinen Teil der Rentenzahlung mehr einbehalte und die Aufrechnung abgeschlossen sei. Der Bescheid vom 22.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2006 sei rechtmäßig. Er finde seine Rechtsgrundlage in § 51 Abs 2 SGB I. Die Gegenseitigkeit der Forderungen sei gegeben, auch wenn die Beklagte und die seinerzeitige LVA Sachsen-Anhalt als Beitragsgläubigerin zwei formal selbstständige Rechtspersönlichkeiten darstellten. Entscheidend sei die sachliche Einheit der allgemeinen Rentenversicherung bei der Aufgabenwahrnehmung durch unterschiedliche Träger iS des § 125 SGB VI, die zudem gemäß § 219 SGB VI in einem Finanzverbund stünden. Das BSG habe bereits im Urteil vom 1.11.1968 (BSGE 28, 288 = SozR Nr 12 zu § 1299 RVO) den Vorrang der sachlichen Einheit vor der formalen Selbstständigkeit der Versicherungsträger betont und aufgrund dessen die Aufrechnung mit Beitragsansprüchen eines Versicherungsträgers gegen Ansprüche auf Leistungen eines anderen Trägers desselben Versicherungszweigs gebilligt. Dieser Grundsatz habe mit der zwischenzeitlich erfolgten Aufhebung der Trennung der Versicherungszweige und deren Umwandlung in die allgemeine Rentenversicherung eine weitere Ausdehnung erfahren.

7

Die Beitragsforderung der LVA Sachsen-Anhalt sei auch fällig und noch nicht verjährt gewesen, da aufgrund ihrer Festsetzung im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 17.11.1998 eine 30-jährige Verjährungsfrist laufe (§ 52 Abs 2 SGB X). Die Pfändungsgrenzen der §§ 850 ff ZPO seien aufgrund der Sonderregelung in § 51 Abs 2 SGB I nicht anwendbar. Das Insolvenzverfahren stehe einer Aufrechnung ebenfalls nicht entgegen, da es nur den pfändbaren Teil einer Altersrente betreffe. Da die Klägerin, wie ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung bestätigt habe, nicht hilfebedürftig geworden sei, habe die Beklagte die Aufrechnung auch in der erfolgten Höhe vornehmen dürfen; Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Schließlich sei die Beklagte befugt gewesen, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt (VA) zu erklären.

8

Die Klägerin rügt mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision sinngemäß eine Verletzung des § 51 SGB I. Die Beklagte habe die Aufrechnung nicht durch VA erklären dürfen (Hinweis auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 24.7.2003 - SozR 4-1200 § 52 Nr 1). Es fehle auch an einer wirksamen Ermächtigung zur Aufrechnung durch den forderungsberechtigten Sozialleistungsträger (die ehemalige LVA Sachsen-Anhalt). Zudem sei sie aufgrund des Einbehalts der Hälfte der Altersrente hilfebedürftig geworden. Das LSG habe ihren Prozessbevollmächtigten zu keiner Zeit nach ihrer eventuellen Hilfebedürftigkeit befragt und dieser habe eine darauf bezogene Auskunft in der mündlichen Verhandlung nicht gegeben; die entsprechende Behauptung in den Gründen des LSG-Urteils sei "definitiv unzutreffend". Schließlich sei die Aufrechnung wegen des Insolvenzverfahrens rechtswidrig; der Beschluss des "Sozialgerichts" (gemeint ist wohl das Amtsgericht) Potsdam vom 25.11.2008, in dem der Klägerin "Rechtsschuldbefreiung" erteilt worden sei, wirke gegen alle Gläubiger und dies erst recht, wenn - wie hier - die LVA Sachsen-Anhalt ihre Forderung zur Tabelle nach § 174 InsO angemeldet habe.

9

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. November 2010 und des Sozialgerichts Potsdam vom 20. April 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2006 aufzuheben;

        

hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2006 rechtswidrig war.

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

11

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere habe eine Aufrechnung in Form eines VA zu erfolgen (Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R). Das weitere Vorbringen der Revision betreffe lediglich Tatsachenfragen; insoweit sei das Rechtsmittel bereits unzulässig.

12

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Dies führt zur Aufhebung sowohl der vorinstanzlichen Urteile als auch der genannten Bescheide, soweit diese noch streitbefangen sind (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

14

A) Die Revision ist zulässig.

15

Soweit die Klägerin allerdings beanstandet, das LSG habe das Vorbringen ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zur fehlenden Hilfebedürftigkeit "definitiv unzutreffend" wiedergegeben, ist sie mit diesem Vorbringen im Revisionsverfahren ausgeschlossen. Sollte ein solcher Fehler unterlaufen sein, hätte er nur mit Hilfe des hierfür vorgesehenen speziellen Rechtsbehelfs einer - binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils zu beantragenden - Tatbestandsberichtigung (§ 139 SGG) vom Berufungsgericht selbst korrigiert werden können. Die Geltendmachung als Verfahrensmangel erstmals im Revisionsverfahren ist dagegen ausgeschlossen (vgl bereits BSG vom 26.6.1959 - 6 RKa 2/57 - SozR Nr 133 zu § 162 SGG Bl Da 39 Rücks - Juris RdNr 2; s auch BGH Beschluss vom 22.9.2008 - II ZR 235/07 - DStR 2008, 2228 RdNr 5; BVerwG Beschluss vom 9.9.2009 - 4 BN 4/09 - Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht 2010, 67, 69 ; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 139 RdNr 6).

16

B) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die in dem angefochtenen Bescheid vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2006 geregelte Aufrechnung des hälftigen monatlichen Zahlbetrags der Altersrente mit einer Gegenforderung auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen iHv 1713,04 Euro. Soweit die Beklagte erstmals im Widerspruchsbescheid den Einbehalt weiterer 38,79 Euro von der Rentennachzahlung für den Monat April 2005 im Hinblick auf einen von der ARGE geltend gemachten Erstattungsanspruch als "Verrechnung nach § 52 SGB I" abgehandelt hat(zur rechtlichen Einordnung vgl den Hinweis auf § 107 Abs 1 SGB X im Senatsurteil vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R - RdNr 24, zur Veröffentlichung in SozR 4-1300 § 104 Nr 5 vorgesehen), ist dies nicht mehr streitbefangen. Zwar richtete sich die Klage nach ihrer Begründung im Schriftsatz vom 18.4.2007 ursprünglich auch hiergegen. Die Klägerin hat aber in der Berufungsbegründung vom 24.11.2010 ihr Rechtsmittel auf den (abtrennbaren) Aspekt der Aufrechnung gegen die Beitragsforderung wirksam beschränkt (vgl BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 8); hinsichtlich des Betrags von 38,79 Euro ist die Klageabweisung durch das SG rechtskräftig geworden (§ 141 SGG).

17

C) Von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Insbesondere hat das LSG zutreffend erkannt, dass die von der Klägerin im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG) nicht unzulässig geworden ist.

18

Das LSG ist davon ausgegangen, dass die streitige "Aufrechnung unterdessen abgeschlossen" sei. Hinreichende Tatsachen, die eine solche rechtliche Bewertung untermauern könnten, hat es allerdings nicht festgestellt. Allein der Umstand, dass die Beklagte seit Januar 2007 keinen Teil der Rentenzahlung mehr einbehält, belegt noch nicht, dass die Aufrechnung ab diesem Zeitpunkt vollständig und endgültig abgewickelt ist. Das ergibt sich auch nicht aus dem Inhalt der Verwaltungsakten, die das LSG zur Ergänzung des Tatbestands in Bezug genommen hat.

19

Einer Zurückverweisung zur weiteren Aufklärung der damit zusammenhängenden tatsächlichen Umstände bedarf es gleichwohl nicht. Selbst wenn die Beklagte den Betrag der von ihr zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung iHv 1713,04 Euro bereits vollständig von den monatlichen Zahlungsansprüchen der Klägerin auf Altersrente einbehalten hätte, wäre deren Interesse an einer Klärung der Rechtmäßigkeit des hoheitlich vorgenommenen Einbehalts nicht allein aus diesem Grund entfallen. Denn ein VA über die Aufrechnung bzw Verrechnung einer Forderung erledigt sich nicht dadurch vollständig "auf andere Weise", dass der Leistungsträger ihn faktisch umsetzt, indem er von der von ihm monatlich geschuldeten Sozialleistung Einbehalte in einem Umfang vornimmt, die dem Betrag der Gegenforderung entsprechen.

20

Die Erledigung eines VA iS des § 39 Abs 2 SGB X tritt ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist(vgl BVerwG NVwZ 2009, 122 RdNr 13 mwN - zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 43 Abs 2 VwVfG; ähnlich BSG SozR 3-4100 § 116 Nr 4 S 132 f). Danach erledigt sich ein VA, der Handlungspflichten auferlegt, nicht einmal mit dessen Vollstreckung durch Ersatzvornahme, und zwar auch dann nicht, wenn dadurch irreversible Tatsachen geschaffen wurden (BVerwG aaO; einschränkend allerdings Rüfner in Wannagat, SGB X, § 39 RdNr 31, Stand Einzelkommentierung November 1995: Erledigung durch Vollzug des VA tritt ein, wenn eine Folgenbeseitigung nicht mehr in Betracht kommt).

21

Entscheidet ein Rentenversicherungsträger über eine Auf- oder Verrechnung durch VA, bedeutet dies: Ein solcher VA zielt auf rechtsgestaltende Wirkungen, da er den Auszahlungsanspruch des Rentenempfängers hinsichtlich der im Rentenbescheid festgelegten Art und Weise seiner Erfüllung modifizieren und zum Erlöschen bringen will (vgl Senatsurteil vom 7.2.2012 - SozR 4-1200 § 52 Nr 5 RdNr 41 - unter Hinweis auf BSG BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 15). Solange aber die - grundsätzlich mit Bekanntgabe eintretende (§ 39 Abs 1 SGB X) - Wirksamkeit eines solchen VA zwischen den Beteiligten nicht verbindlich feststeht (§§ 77, 141 SGG), es vielmehr noch Gegenstand eines (gerichtlichen) Verfahrens ist, ob er Bestand hat oder der Aufhebung mit Wirkung ex tunc unterliegt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 131 RdNr 3a), ist ein derartiger VA noch geeignet, rechtliche Wirkungen - die genannten Gestaltungswirkungen - zu erzeugen. Dies gilt unabhängig davon, ob Aufrechnung oder Verrechnung zulässigerweise durch VA oder in einer anderen Handlungsform zu erklären sind. Mithin hat sich ein entsprechender VA auch dann noch nicht vollständig erledigt, wenn der Leistungsträger während eines laufenden Rechtsstreits von den monatlichen Rentenzahlungen insgesamt einen Betrag in Höhe der zur Auf- oder Verrechnung gestellten Gegenforderung einbehalten hat. Denn bei Erfolg der Klage muss er die einbehaltenen Beträge an den Berechtigten auskehren, weil der Rechtsgrund für den Einbehalt dann entfallen ist.

22

Sofern aus seinem Urteil vom 27.3.2007 (B 13 RJ 43/05 R - Juris RdNr 13) Abweichendes entnommen werden könnte, weist der Senat auf die besondere Konstellation des damals entschiedenen Falles hin: Der dortige Kläger hatte es hingenommen, dass seine mit der Anfechtungsklage erhobene Leistungsklage auf Rückzahlung des einbehaltenen Betrags rechtskräftig abgewiesen wurde; (nur) deshalb bestand nach Abschluss des Einbehalts kein berechtigtes Interesse an der Weiterführung der Anfechtungsklage mehr (vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 141 RdNr 6a, 6b, 12, 12a).

23

D) Die Revision der Klägerin ist auch begründet. Der Bescheid vom 22.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2006 ist - soweit noch streitbefangen - rechtswidrig. Die Beklagte war weder zu einer Aufrechnung (dazu unter 1.) noch zu einer Verrechnung (dazu unter 2.) eines Teils der Ansprüche der Klägerin auf monatliche Zahlung von Altersrente mit der Beitragsforderung der LVA Sachsen-Anhalt berechtigt.

24

1. Entgegen der Rechtsmeinung des LSG lagen die Voraussetzungen einer Aufrechnung (§ 51 SGB I) nicht vor. Es fehlte schon an der erforderlichen Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen und damit an einer Aufrechnungslage. Auf die im Beschluss des Großen Senats des BSG vom 31.8.2011 offengelassene Frage, ob auch eine Aufrechnung iS des § 51 SGB I durch Verwaltungsakt geregelt werden darf(BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 11, 19), kommt es deshalb hier nicht entscheidungserheblich an (s hierzu zB Seewald in Kasseler Komm, § 51 SGB I RdNr 21e am Ende, Stand Einzelkommentierung April 2012; Seewald, SGb 2012, 446, 453; Schaer, jurisPR-SozR 7/2012 Anm 1 D; Plagemann, Beck Fachdienst Sozialversicherungsrecht 2012, 328355; vgl auch den Beschluss des 4. Senats des BSG vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S - Juris RdNr 4).

25

a) Nach § 51 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger - hier die Beklagte - gegen Ansprüche auf Geldleistungen - hier die Altersrente - mit Ansprüchen gegen den Berechtigten - hier die Klägerin - aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Gemäß § 51 Abs 2 SGB I(in der ab 1.1.2005 geltenden, hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003, BGBl I 3022) ist der Leistungsträger befugt, mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufzurechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig iS der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird.

26

Danach ist wesentliche Voraussetzung für eine rechtmäßige Aufrechnung das Vorliegen einer Aufrechnungslage, dh dass sich (entsprechend § 387 BGB) gleichartige und gegenseitige Forderungen gegenüberstehen, von denen die eine - die Hauptforderung auf eine Sozialleistung - entstanden und erfüllbar sein muss, während die Gegenforderung des Sozialleistungsträgers entstanden und bereits fällig sein muss (vgl BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 15; Nr 5 RdNr 54 f). Eine Aufrechnung ist somit nur wirksam, wenn zwischen den zur Aufrechnung gestellten Forderungen ein Gegenseitigkeitsverhältnis besteht, wenn also der Gläubiger der Hauptforderung zugleich Schuldner der Gegenforderung und der Schuldner der Hauptforderung zugleich Gläubiger der Gegenforderung ist (BSGE 101, 1 = SozR 4-2400 § 28h Nr 5, RdNr 13; s auch BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 16 f; BSG Beschluss vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S - Juris RdNr 4).

27

b) Eine Aufrechnungslage hat hier zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids im Januar 2006 nicht bestanden (zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts bei reinen Anfechtungsklagen vgl BSGE 95, 119 = SozR 4-7860 § 10 Nr 2, RdNr 13; BSG SozR 4-2700 § 168 Nr 2 RdNr 17 - jeweils mwN).

28

Die Beklagte hat zwar im Bescheid vom 22.6.2005 nach dessen Wortlaut eine Aufrechnung iS des § 51 SGB I erklärt und deren Rechtsfolgen geregelt, auch wenn im Widerspruchsbescheid vom 26.1.2006 teils auch von einer "Verrechnung" (aaO S 4 Abs 5 und 7) die Rede ist. Denn sie wollte die streitigen Beträge zu ihren eigenen Gunsten einbehalten, da sie davon ausging, dass die Klägerin ihr die noch ausstehenden Beiträge schulde. Das war jedoch nicht der Fall. Die Beklagte war Schuldnerin der Hauptforderung (der Klägerin auf monatliche Zahlung von Altersrente), jedoch nicht zugleich Gläubigerin der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung (gegenüber der Klägerin auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen). Das LSG hat zutreffend angenommen, dass die zur Aufrechnung herangezogene Beitragsforderung von der LVA Sachsen-Anhalt mit Bescheid vom 17.11.1998 bindend als ihr zustehend festgesetzt worden ist. Deren Rechtsnachfolge hat zum 1.10.2005 die DRV Mitteldeutschland angetreten, nicht die Beklagte.

29

aa) Anhaltspunkte dafür, dass die LVA Sachsen-Anhalt - oder später die DRV Mitteldeutschland als deren Rechtsnachfolgerin - die Beitragsforderung an die Beklagte abgetreten hätte und diese dadurch zwischenzeitlich Forderungsinhaberin geworden wäre (vgl § 398 BGB), sind nicht ersichtlich; im LSG-Urteil sind entsprechende Tatsachen auch nicht festgestellt. Daher bedarf es hier keiner Entscheidung, ob eine solche Abtretung wirksam wäre (ablehnend mangels Ermächtigungsgrundlage: BSGE 15, 36, 39 f = SozR Nr 1 zu § 1299 RVO Bl Aa 3; anders für den Bereich des Steuerrechts - die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung verneinend - BFHE 189, 14, 31 f - Juris RdNr 47 ff).

30

bb) Der Regelung in § 128 SGB VI kann - entgegen der wohl vom SG vertretenen Rechtsmeinung - kein gesetzlicher Forderungsübergang(vgl § 412 BGB) der von der LVA Sachsen-Anhalt festgesetzten Beitragsforderung auf die Beklagte entnommen werden.

31

Nach § 128 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI(in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des RVOrgG vom 9.12.2004, BGBl I 3242 ; zuvor inhaltsgleich § 130 SGB VI aF; s auch die Übergangsvorschrift in § 274c Abs 1 S 2 Nr 1 SGB VI) tritt ein Wechsel des örtlich zuständigen Rentenversicherungsträgers ein, sobald ein Versicherter, für den ein Regionalträger zuständig ist, seinen Wohnsitz in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Regionalträgers verlegt. Das war bei der Klägerin offenbar der Fall (nähere Feststellungen dazu, wann dies geschah, fehlen allerdings). Der Übergang der Zuständigkeit hat aber nicht zur Folge, dass zugunsten des bisherigen Rentenversicherungsträgers bereits entstandene Forderungen automatisch auf den neu zuständig gewordenen Regionalträger übergehen. Für einen solchen Forderungsübergang ist eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich; sie ergibt sich insbesondere nicht aus § 130 Abs 1 S 1 SGB VI aF bzw § 128 Abs 1 S 1 SGB VI nF.

32

Vielmehr verbleibt bei einem Zuständigkeitswechsel der bislang verantwortliche Regionalträger für die während seiner örtlichen Zuständigkeit zugunsten der GRV entstandenen Beitragsforderungen in der Gläubigerposition, da für den Bereich der Rentenversicherung abweichende Regelungen nicht existieren (vgl aber zB § 45a Abs 3 BAFöG bei länderübergreifender Änderung der örtlichen Zuständigkeit aufgrund eines Hochschulwechsels, s hierzu BVerwGE 90, 25, 31 f - Juris RdNr 20; zum Sonderfall eines gesetzlich angeordneten Forderungsübergangs im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit vgl BSG SozR 3-8260 § 8 Nr 1). Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Verwaltungsverfahren zur Festsetzung der Beiträge bereits durch Erlass eines Bescheids, der auch den Gläubiger der Forderung bestimmt (vgl den Wortlaut des Bescheids vom 17.11.1998 "Sie schulden der LVA Sachsen-Anhalt Pflichtbeiträge …"), (bestandskräftig) abgeschlossen ist. In einer solchen Konstellation ist für eine Fortführung des Beitragseinzugsverfahrens durch den Versicherungsträger am neuen Wohnort gemäß der Regelung in § 2 Abs 2 SGB X kein Raum(Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 2 RdNr 10, 12a; Waschull in Diering/Timme/Waschull, LPK SGB X, 3. Aufl 2011, § 2 RdNr 8; Mutschler in Kasseler Komm, § 2 SGB X RdNr 11, Stand Einzelkommentierung April 2012; I. Palsherm in juris-PK SGB X, 2013, § 2 RdNr 18). Die Einziehung bzw Vollstreckung einer auch hinsichtlich der Rechtsinhaberschaft konkretisierten Forderung kann - solange der Beitragsbescheid unverändert aufrechterhalten bleibt - nur noch von dem im Bescheid benannten Träger (oder dessen Rechtsnachfolger) veranlasst werden. Dieser hat jedoch die Möglichkeit, den insbesondere für die Leistungsgewährung nunmehr zuständigen Regionalträger des neuen Wohnorts (vgl § 128 Abs 1 S 2 SGB VI nF)gemäß § 52 SGB I zu einer Verrechnung seiner Ansprüche zu ermächtigen.

33

cc) Die fehlende Gegenseitigkeit der Forderung der Klägerin gegen die Beklagte auf Altersrente und der Gegenforderung der DRV Mitteldeutschland auf ausstehende Beiträge kann entgegen der Rechtsmeinung des LSG nicht unter Berufung auf den Grundsatz der "sachlichen Einheit der allgemeinen Rentenversicherung" überwunden werden.

34

Zwar hat der 12. Senat des BSG in einem - insoweit vereinzelt gebliebenen - Urteil vom 1.11.1968 entschieden, dass ein in der Arbeiterrentenversicherung (ArV) Versicherter "im Hinblick auf die sachliche Einheit des Versicherungszweigs der ArV nach Treu und Glauben nicht das Fehlen der Gegenseitigkeit (§ 387 BGB) infolge der formalen rechtlichen Selbständigkeit der verschiedenen LVA als Träger der ArV geltend machen" kann (BSGE 28, 288, 289 = SozR Nr 12 zu § 1299 RVO Bl Aa 15 Rücks). Diese auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)gegründete Entscheidung ist seit dem Inkrafttreten des SGB I am 1.1.1976 jedoch aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Problematik in den §§ 51, 52 SGB I überholt.

35

Wie im Urteil des 5. Senats vom 10.12.2003 ausgeführt ist, hat der Gesetzgeber die spezifisch sozialrechtliche Möglichkeit der Verrechnung nach § 52 SGB I als Reaktion darauf geschaffen, dass zuvor in der Rspr des BSG Aufrechnungen von SV-Trägern mit Forderungen anderer SV-Träger mangels Gegenseitigkeit der Forderungen grundsätzlich für unzulässig erklärt und unter dem Gesichtspunkt der Funktionseinheit nur bei Ansprüchen von Trägern desselben Versicherungszweigs zugelassen worden waren(BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 2 RdNr 14; ebenso bereits BSG SozR 2200 § 1299 Nr 1 S 3 - Juris RdNr 18). Mit Einführung der Verrechnung nach § 52 SGB I ist diese Einschränkung gegenstandslos geworden(s BT-Drucks 7/868 S 32 - zu § 52: "Die Vorschrift beruht auf der Erwägung, dass im Sozialrecht angesichts derselben oder ähnlichen Zielsetzung aller Sozialleistungen, der Verpflichtung aller Leistungsträger zur engen Zusammenarbeit und des Strebens nach Verwaltungsvereinfachung auf die Gegenseitigkeit der aufgerechneten Forderungen verzichtet werden kann"). Die gesetzliche Regelung zur Verrechnung - insbesondere das Erfordernis einer ausdrücklichen Ermächtigung des anderen Leistungsträgers - darf hiernach nicht dadurch umgangen werden, dass weiterhin - wie zu Zeiten vor Erlass des SGB I - auf einen "Vorrang der sachlichen Einheit vor der formalen Selbstständigkeit der Versicherungsträger" und den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben abgestellt wird. Dies widerspräche der Gesetzesbindung (Art 20 Abs 3 GG), der sowohl die Verwaltung als auch die Rechtsprechung verpflichtet sind (im Ergebnis ebenso Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 51 RdNr 15; Zweng/Scherer/Buschmann/Dörr, Handbuch der RV, Teil I Bd 1, Stand November 2011, § 51 SGB I Anm III. 2. A.; Pflüger in juris-PK SGB I, 2. Aufl 2012, § 51 RdNr 29 f; Gutzler in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 51 SGB I RdNr 7, Stand Einzelkommentierung März 2013).

36

dd) Die Regelungen zur - überwiegend zum 1.1. bzw 1.10.2005 in Kraft getretenen - Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVOrgG vom 9.12.2004, BGBl I 3242) haben diese Rechtslage nicht geändert.

37

Die Beklagte (DRV Berlin-Brandenburg) und die DRV Mitteldeutschland sind jeweils Regionalträger der allgemeinen Rentenversicherung iS von § 125 Abs 1 SGB VI(idF des RVOrgG). Diese sind weiterhin als rechtlich eigenständige Selbstverwaltungskörperschaften (§ 29 Abs 1 SGB IV) organisiert (vgl Keck in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen RV, 2. Aufl 2012, Kap 24 RdNr 76; Schillinger, ebenda Kap 26 RdNr 8 ff; Axer, DRV 2005, 542, 545). Ihnen kommt nicht lediglich die Stellung unselbstständiger Verwaltungsstellen eines einheitlichen (Rechts-)Trägers "allgemeine Rentenversicherung" zu; ein solcher Einheitsträger (vergleichbar der BA, s § 368 SGB III) wurde mit der Organisationsreform nicht geschaffen. Die Bezeichnung "allgemeine Rentenversicherung" in § 125 Abs 1 S 1 SGB VI beschreibt vielmehr einen - gemäß § 126 SGB VI von unterschiedlichen Trägern wahrzunehmenden - Aufgabenbereich der gesetzlichen Rentenversicherung (in Abgrenzung zum besonderen Bereich der knappschaftlichen Rentenversicherung), aber keine rechtlich eigenständige Organisationseinheit. Auch die Vorgaben in § 125 Abs 1 S 2 SGB VI für eine vereinheitlichte Namensgebung der jeweiligen Regionalträger beseitigen deren rechtliche Selbstständigkeit nicht. Mithin sind die Regionalträger weiterhin je eigenständige "Leistungsträger" iS der §§ 12, 23 Abs 2, §§ 51 und 52 SGB I.

38

Etwas anderes ergibt sich ebenso wenig aus den durch das RVOrgG neu gefassten Regelungen zu einem Finanzverbund in der allgemeinen Rentenversicherung (§ 219 SGB VI idF von Art 1 Nr 45 RVOrgG - gemäß dessen Art 86 Abs 5 am 1.1.2006 in Kraft getreten). Nach § 219 Abs 1 S 1 SGB VI werden die Ausgaben für Renten, Beitragserstattungen, Beiträge zur Krankenversicherung und sonstige Geldleistungen (ausgenommen jedoch Leistungen zur Teilhalbe, Aufwendungen für Verwaltungs- und Verfahrenskosten sowie Investitionen) von den Trägern der allgemeinen Rentenversicherung nach dem Verhältnis ihrer Beitragseinnahmen jeweils für ein Kalenderjahr gemeinsam getragen. Die Vorschrift sieht damit nur für bestimmte versichertenbezogene Aufwendungen eine gemeinsame Finanzierung durch alle Träger der allgemeinen Rentenversicherung unabhängig davon vor, wie hoch die Ausgaben für die Versicherten des jeweils zuständigen Versicherungsträgers sind. Vielmehr ist für die von den einzelnen Trägern zu übernehmenden Ausgabenanteile ihre Finanzkraft maßgeblich, welche in der Höhe der jeweiligen Beitragseinnahmen zum Ausdruck kommt. Dieses System des Finanzausgleichs ("Gemeinlastverfahren", s hierzu näher Mörschel/Wiederspahn, DRV 2005, 15, 30) soll die Zahlungsströme in der gesetzlichen Rentenversicherung reduzieren und optimieren, dabei aber die finanzielle Eigenständigkeit der einzelnen Träger erhalten (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RVOrgG, BT-Drucks 15/3654 S 64). Der in § 219 SGB VI geregelte Finanzverbund auf der Ausgabenseite ist damit für die Einnahmen ohne Bedeutung; er begründet jedenfalls keine Gesamtgläubigerschaft (vgl § 428 BGB) sämtlicher Träger der allgemeinen Rentenversicherung für jede einzelne Forderung, die gegenüber einem ihrer Versicherten besteht.

39

ee) Das der gesetzlichen Regelung in § 51 SGB I zugrunde liegende Erfordernis der Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen ist auch nicht durch die "im März 2006" getroffene und im Juni-Heft des amtlichen Mitteilungsblatts(RVaktuell 2006, 245) veröffentlichte "Verbindliche Entscheidung" iS des § 138 Abs 2 SGB VI des Vorstands der DRV Bund aufgehoben worden.

40

Diese hat folgenden Wortlaut:

        

"Gegen die Ansprüche eines Berechtigten gegenüber einem Träger der allgemeinen Rentenversicherung kann ein anderer Träger der allgemeinen Rentenversicherung seine Ansprüche gegenüber demselben Berechtigten aus Beitragsforderungen, auf Rückzahlung zu Unrecht erbrachter Leistungen oder aus sonstigen Geldforderungen nach § 51 SGB I aufrechnen. Dies gilt auch in Fällen, in denen die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der allgemeinen Rentenversicherung zuständig ist.

        

Die Aufrechnung erfolgt für Zeiten ab 1.1.2006 auch dann, wenn beide Ansprüche oder einer der beiden Ansprüche vor diesem Zeitpunkt entstanden sind."

41

Da diese "Verbindliche Entscheidung" erst im Juni 2006 mit ihrer Veröffentlichung (§ 138 Abs 5 SGB VI) in Kraft trat, ist sie für die hier maßgebliche Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids - im Januar 2006 - ohne Bedeutung. Deshalb bedarf es an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung, ob Entscheidungen nach § 138 Abs 2 SGB VI als "untergesetzliche Normen eigener Art"(so der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RVOrgG, BT-Drucks 15/3654 S 70) mit dem Grundgesetz vereinbar sind (s hierzu Axer, DRV 2005, 542, 547 ff; Ruland/Dünn, NZS 2005, 113, 119 f; Schnapp, DÖV 2003, 965, 968 ff) und - soweit dies bejaht wird - ob diese nur für die Rentenversicherungsträger (vgl § 138 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB VI)und die Aufsichtsbehörden (so Ruland, DRV 2005, 2, 12; Binne/Dünn, DRV 2005, 50, 62) oder auch für die Versicherten verbindlich sind (so Axer, DRV 2005, 542, 546; wohl auch Hebeler in juris-PK SGB VI, 2008, § 138 RdNr 16 ff). Selbst wenn Letzteres der Fall wäre, könnten "Verbindliche Entscheidungen" als untergesetzliche Normen keine Wirksamkeit entfalten, soweit sie mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sind (so bereits BSGE 78, 70, 77 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 S 32 zu den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen; ebenso Dünn in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskomm zum SGB VI, § 138 RdNr 113, Stand Einzelkommentierung November 2009). Das dürfte bei der oben wiedergegebenen "Verbindlichen Entscheidung" vom März 2006, die nach ihrem Regelungsgegenstand eine solche über die "Auslegung von Rechtsfragen" (§ 138 Abs 2 S 3 SGB VI) enthält, jedoch der Fall sein. Ihr Inhalt steht, wie in den vorstehenden Ausführungen näher dargelegt wurde, im Widerspruch zum geltenden Recht. Dessen letztverbindliche Auslegung obliegt nach Art 92 GG allein den zuständigen Gerichten (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfG vom 2.5.2012 - 2 BvL 5/10 - NVwZ 2012, 876 RdNr 68); ein Gestaltungsspielraum des untergesetzlichen Normgebers besteht insoweit nicht.

42

2. Der nach alledem als Regelung einer Aufrechnung (§ 51 SGB I)rechtswidrige Bescheid der Beklagten vom 22.6.2005 lässt sich nicht in einen Verrechnungsbescheid iS des § 52 SGB I umdeuten. § 43 Abs 1 SGB X gestattet eine Umdeutung nur, wenn der andere VA - hier ein Verrechnungsbescheid - auf das gleiche Ziel wie der fehlerhafte VA gerichtet ist, er von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Während die beiden ersten Anforderungen erfüllt sind, fehlt es jedoch an dem drittgenannten Erfordernis für eine Umdeutung.

43

Die Voraussetzungen für den Erlass eines Verrechnungsbescheids nach § 52 SGB I sind nicht gegeben, da - wie die Revision zu Recht geltend macht - eine wirksame Ermächtigung der Beklagten durch die LVA Sachsen-Anhalt (bzw durch die DRV Mitteldeutschland als deren Rechtsnachfolgerin) zur Verrechnung der ihr zustehenden Beitragsforderung nicht vorliegt. Weder hat das LSG eine solche Ermächtigung festgestellt noch hat die Beklagte Entsprechendes im Verlauf des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens behauptet. Die von der Beklagten selbst ("hausintern") erteilte "Ermächtigung zur Aufrechnung gemäß § 51 SGB I" vom 24.3.2005 genügt den Anforderungen des § 52 SGB I nicht. Denn jedenfalls dann, wenn die Beitragsforderung durch einen anderen Träger - hier: durch den früher zuständig gewesenen Regionalträger - bereits in einem Bescheid bestandskräftig als ihm zustehend festgestellt wurde, bedarf es nach einem Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit (§ 128 Abs 1 S 1 SGB VI nF bzw § 130 Abs 1 S 1 SGB VI aF) der Ermächtigung zur Verrechnung durch diesen Träger. Ein Zuständigkeitswechsel lässt den nunmehr örtlich zuständig gewordenen Leistungsträger, der nicht Forderungsinhaber ist, nicht auch für die Erteilung der Ermächtigung zur Verrechnung mit einer fremden Forderung iS des § 52 SGB I zuständig werden.

44

3. Lediglich ergänzend ist zum hauptsächlichen Vorbringen der Klägerin darauf hinzuweisen, dass das am 15.8.2002 über das Vermögen der Klägerin eröffnete Insolvenzverfahren einer Verrechnung ihrer erst ab 1.4.2005 entstandenen Ansprüche auf monatliche Zahlung der Altersrente mit der gegen sie gerichteten Beitragsforderung aus den Jahren 1992/1993 nicht entgegenstand. Zwar ist grundsätzlich im laufenden Insolvenzverfahren eine Verrechnung nach § 52 SGB I nur möglich, wenn die Verrechnungslage bereits vor Insolvenzeröffnung bestand(BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 2 RdNr 9, 11; BGHZ 177, 1 RdNr 16, 20; zur Aufrechnung s auch BSGE 108, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 62, RdNr 18; BSG vom 16.10.2012 - B 14 AS 188/11 R - RdNr 16 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 11 Nr 55 vorgesehen). Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (vgl § 200 InsO)- hier durch Beschluss des AG Potsdam vom 5.5.2004 - konnten die Insolvenzgläubiger ihre noch nicht befriedigten Forderungen gegen den Schuldner jedoch wieder unbeschränkt geltend machen, soweit sich aus den Regelungen zur Restschuldbefreiung (§§ 286 ff, insbesondere §§ 294, 301 InsO) nichts anderes ergibt (§ 201 Abs 3 InsO). § 294 Abs 1 InsO verbietet in diesem Zusammenhang Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners während der Laufzeit von dessen Abtretungserklärung über pfändbare Forderungen(vgl § 287 Abs 2 InsO). Hierzu hat der Senat - zur vergleichbaren Vorschrift in § 18 Abs 2 S 3 GesO - bereits entschieden, dass dieser Vollstreckungsschutz einer Verrechnung durch den Rentenversicherungsträger mit unpfändbaren Teilen der Rentenzahlungsansprüche des Schuldners(§ 54 Abs 4 SGB I iVm § 850c Abs 1 S 1 ZPO)nicht entgegensteht (BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 5 RdNr 57 ff).

45

Nach Erteilung der Restschuldbefreiung an die Klägerin durch Beschluss des AG Potsdam vom 25.11.2008 dürfte die - infolge der unwirksamen Aufrechnung noch nicht erloschene - Beitragsforderung der DRV Mitteldeutschland allerdings nicht mehr durchsetzbar sein (zur Umwandlung einer Forderung aufgrund Restschuldbefreiung in eine Naturalobligation vgl Lang in Braun, InsO, 5. Aufl 2012, § 301 RdNr 2). Die Klägerin wird jedoch zu erwägen haben, ob es für sie vorteilhaft sein könnte, auf die Rückzahlung der von der Beklagten bereits einbehaltenen Beträge zu verzichten und diese als Erfüllung der Beitragsforderung gelten zu lassen (§ 301 Abs 3 InsO), um so mit zusätzlich zu berücksichtigenden Beitragszeiten ggf eine höhere Altersrente zu erlangen (vgl § 66 Abs 1 Nr 1 SGB VI).

46

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des beklagten Rentenversicherungsträgers, Ansprüche der beigeladenen Bundesagentur für Arbeit mit der Altersrente des Klägers zu verrechnen. Streitig ist insbesondere, ob die Verrechnung durch Verwaltungsakt erfolgen durfte.

2

Der Kläger bezieht von der Beklagten seit Oktober 2003 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Der monatliche Zahlbetrag dieser Rente betrug im Oktober/November 2005 873,83 Euro. Mit Schreiben vom 21.10.2005 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte zur Verrechnung einer Forderung in Höhe von 53.012,27 Euro aus Überzahlung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen sowie Mahnkosten mit Leistungsansprüchen des Klägers gegen die Beklagte. Nach Anhörung des Klägers erklärte diese durch Bescheid vom 21.11.2005, der Anspruch der Beigeladenen werde mit seinem Anspruch auf Rente derart verrechnet, dass ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt monatlich 436 Euro von der Rentenzahlung einbehalten und an die Beigeladene bis zur Tilgung der Forderung gezahlt würden. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos, weil der Kläger eine von der Beklagten angeforderte Grundsicherungsbedarfsberechnung zum Nachweis, dass er bei einer Verrechnung sozialhilfebedürftig werde, nicht vorgelegt habe (Widerspruchsbescheid vom 13.6.2006) .

3

Mit Urteil vom 27.7.2007 hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid der Beklagten vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil eine Verrechnung nicht durch Verwaltungsakt habe vorgenommen werden dürfen. Die in dem Verwaltungsakt enthaltene öffentlich-rechtliche Willenserklärung in Form der Verrechnungserklärung stehe nicht zur Überprüfung, weil der Kläger (der durch einen Rechtsanwalt vertreten war) eine hierfür erforderliche Leistungsklage auf Auszahlung der bereits einbehaltenen Beträge hätte erheben müssen. Dies habe er trotz eines Hinweises des Gerichts aber nicht getan. Deshalb beschränke sich die Prüfung des Gerichts darauf, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Verrechnungserklärung in Form eines Verwaltungsakts abzugeben. Hierfür fehle es jedoch an einer gesetzlichen Ermächtigung (Hinweis auf Bundessozialgericht vom 24.7.2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1). Obwohl es sich bei der Verrechnungserklärung mittels "Bescheids" nicht um einen Verwaltungsakt handele, müsse dieser "Schein-Verwaltungsakt" aufgehoben werden, weil der Betroffene dadurch beschwert sei.

4

Der Kläger hat im Oktober 2006 geheiratet und während des Verfahrens über die Berufung der Beklagten seinen Wohnsitz nach Thailand verlegt. Mit Urteil vom 7.2.2008 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung im Wesentlichen aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen.

5

Sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Beide haben sich zur Begründung im Wesentlichen darauf bezogen, dass sie dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 24.7.2003 (aaO) nicht folgten und eine Verrechnung durch Verwaltungsakt für zulässig hielten. Die Beklagte hat erklärt, sie sei nach wie vor an einer Verrechnung gegenüber dem Kläger interessiert.

6

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7.2.2008 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 27.7.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

8

Auf Anfragebeschluss des vorlegenden Senats vom 5.2.2009 - B 13 R 31/08 R - hat der 4. Senat mit Beschluss vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S - erklärt, er halte an seiner Auffassung fest, dass die Verrechnung nach § 52 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (SGB I) nicht durch Verwaltungsakt erfolge.

Entscheidungsgründe

9

Der 13. Senat beabsichtigt, auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (hierzu im Folgenden unter 1.) . Er sieht sich hieran durch das Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1) gehindert; würde er der Rechtsauffassung, auf der dieses Urteil beruht, im vorliegenden Fall folgen, wären die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen (hierzu im Folgenden unter 2.; dort auch zu weiterer Rechtsprechung des 4. Senats) . Dies macht die aus dem Entscheidungssatz ersichtliche Vorlage gemäß § 41 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlich(hierzu im Folgenden unter 3.) .

10

1. Die vom vorlegenden Senat beabsichtigte Zurückverweisung ist erforderlich, weil auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht entschieden werden kann, ob der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtmäßig ist.

11

a) Die Revision ist aufgrund der - den Senat bindenden (vgl § 160 Abs 3 SGG) - Zulassung im Urteil des LSG statthaft und auch sonst zulässig. Der Senat hat keine Bedenken hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses der Beklagten und der Beigeladenen. Bei einem Rechtsmittelführer besteht ein solches in aller Regel, wenn er - wie hier die Beklagte und die Beigeladene - durch die Entscheidung der Vorinstanz formell beschwert ist (BSG vom 10.5.2000, BSGE 86, 126, 129 = SozR 3-2500 § 85 Nr 37 S 289 mwN) . Einer der Ausnahmefälle (vgl BSG vom 8.5.2007, SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13) liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat nach wie vor ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, in welcher Form sie die Verrechnung gegenüber dem Kläger zu erklären hatte oder in Zukunft hat; sie ist jedenfalls nicht durch Verwirkung an der Durchführung der streitigen oder an einer neuen Verrechnung gegenüber dem Kläger gehindert. Die Forderung der Beigeladenen gegenüber dem Kläger besteht weiterhin.

12

b) Eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht ist nicht schon deshalb zwingend erforderlich, weil das Verfahren vor dem LSG an einem absoluten, die Wirksamkeit des Verfahrens als Ganzes berührenden und somit auch ohne Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu beachtenden Mangel leidet. Zwar hat der Vorsitzende des LSG-Senats als Berichterstatter des Verfahrens mit Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats entschieden und hierbei die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Dies ist nach der Rechtsmeinung des 9. Senats des BSG "regelmäßig" verfahrensfehlerhaft und führt - wenn nicht ausnahmsweise Gründe erkennbar sind, warum die Sache doch durch den Berichterstatter allein entschieden werden konnte - als absoluter Revisionsgrund von Amts wegen gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das LSG(Urteil vom 8.11.2007 - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 11 ff, 22 f; sich hiervon abgrenzend 6. Senat, Urteil vom 6.5.2009 - BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 31; zudem weist der 3. Senat darauf hin, dass auch bei Fehlen von Gründen, die ausnahmsweise eine Entscheidung samt Revisionszulassung wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung durch den Berichterstatter rechtfertigen, nicht stets eine Zurückverweisung zu erfolgen habe: Urteil vom 25.6.2009 - B 3 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 12 ff).

13

Im hier zu entscheidenden Fall liegen besondere Gründe vor, die eine Alleinentscheidung durch den Berichterstatter bzw den Vorsitzenden samt Revisionszulassung als ermessensfehlerfreie Handhabung von § 155 Abs 3 und 4 SGG erscheinen lassen, sodass kein zur Zurückverweisung berechtigender Verfahrensmangel festgestellt werden kann(zu solchen Gründen vgl auch BSG vom 25.6.2009, aaO RdNr 11, sowie BSG, Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 38/08 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Zum einen ist in der Anfrage an die Beteiligten, ob einer Entscheidung durch den Vorsitzenden als Einzelrichter zugestimmt werde, bereits ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass in dem die Rechtsfrage einer Verrechnung durch Verwaltungsakt betreffenden Urteil "aller Voraussicht nach die Revision zuzulassen sein wird". Zum anderen hat der allein für den Senat entscheidende Vorsitzende nicht "am Senat in voller Besetzung vorbei" eine eigenständige Rechtsprechung begründet, sondern ist vielmehr der bisherigen Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen und des 4. Senats des BSG ausdrücklich gefolgt. Die Revision hat er lediglich mit der Erwägung zugelassen, angesichts der zwischen dem 4. und dem 13. Senat des BSG zu Tage getretenen Unterschiede in der Bewertung der Verrechnungserklärung (Hinweis auf das Urteil des 13. Senats vom 27.3.2007 - B 13 RJ 43/05 R - Juris RdNr 18) rasch eine höchstrichterliche Klärung der Streitfrage zu ermöglichen. Dies ist auch im Lichte der verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz ) ermessensfehlerfrei, denn es entzieht den Beteiligten nicht den für die letztverbindliche Entscheidung der Streitfrage zuständigen Richtern des BSG, sondern öffnet den Weg zu ihnen in Übereinstimmung mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung (vgl hierzu BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 21).

14

c) Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits bedarf es auch nicht in jedem Fall im Hinblick darauf, dass das LSG bei zutreffender Auslegung des Rechtsschutzbegehrens des Klägers (§ 123 SGG) auch dessen Vorbringen in der Sache hätte prüfen müssen, dies aber unterlassen hat. In diese Richtung weist allerdings der Antwortbeschluss des 4. Senats vom 22.9.2009 (B 4 SF 1/09 S, RdNr 3) , wenn dort ausdrücklich offen gelassen wird, ob der Rechtsstreit nicht auch dann zurückzuverweisen wäre, wenn der vorlegende Senat der Rechtsmeinung des 4. Senats folgte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn der Kläger hat das nach Einschätzung des 4. Senats möglicherweise unvollständige Urteil des SG selbst nicht angefochten; somit war für die auf Berufung der Beklagten ergangene Entscheidung des LSG eine mögliche Verletzung des § 123 SGG zu Lasten des Klägers ohne Belang.

15

d) Der angefochtene Bescheid war nicht allein deswegen - als sog "formeller Verwaltungsakt" - aufzuheben, weil die durch ihn - nach dem Empfängerhorizont objektiv in der Gestalt eines Verwaltungsakts (vgl Wolff/Brink in Bader/Ronellenfitsch, Kommentar zum VwVfG, 2010, § 35 RdNr 31) - ausgesprochene Verrechnungserklärung nicht in dieser Handlungsform hätte ergehen dürfen. Denn mit dem Verwaltungsakt hat die Beklagte die zutreffende Handlungsform gewählt (wie hier in neuerer Zeit zB vom Rath, DÖV 2010, 180) .

16

Nach § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) ist "Verwaltungsakt … jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist".

17

Die Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen liegt bei dem hier streitbefangenen Verrechnungsbescheid vom 21.11.2005 darin, dass die in ihm enthaltene Verrechnungserklärung eine unmittelbare Wirkung auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten hat, diesen nämlich - soweit die Verrechnungserklärung reicht und sofern sie wirksam ist - zum Erlöschen bringt (vgl BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 8) . Das Tatbestandsmerkmal "auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" in § 31 SGB X ist erfüllt, weil § 52 SGB I eine spezifische Regelung des öffentlichen Rechts zur Ausgestaltung der öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsempfängern und Sozialleistungsträgern darstellt. Die Erklärung einer Verrechnung nach § 52 SGB I enthält schließlich eine hoheitliche Maßnahme, also eine einseitige behördliche Handlung, die ihrem Adressaten - dem Sozialleistungsempfänger - in dieser Form ihrer Art nach nicht zusteht(vgl zu diesem Merkmal U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 35 RdNr 104 mwN; Wolff/Brink, aaO, § 35 RdNr 72 ff; nach Krasney in Kasseler Komm, § 31 SGB X RdNr 6, Stand: Dezember 2003, kommt diesem Gesichtspunkt gegenüber den anderen Voraussetzungen kein eigenes Gewicht zu) .

18

Im Übrigen ist - anders als im Zivilrecht - nach dem SGB I auch die Aufrechnung (§ 51 SGB I) nicht nur davon abhängig, dass sich der Aufrechnungsberechtigte (die Behörde) hierfür frei entscheidet und dies erklärt. Vielmehr ist - das Gleiche gilt wegen der Verweisung in § 52 SGB I für die Verrechnung - die Erklärung an das pflichtgemäße Ermessen(§ 51 Abs 1 Halbsatz 1, Abs 2 Halbsatz 1 SGB I) und an die Pfändbarkeit der Geldleistungen (Abs 1 Halbsatz 2 aaO) gebunden bzw (nach § 51 Abs 2 SGB I) an die Höhenbegrenzung (bis zur Hälfte) sowie die fehlende Hilfebedürftigkeit des Berechtigten nach der Aufrechnung.

19

Auch der Gesetzgeber sieht in einer Verrechnungserklärung einen Verwaltungsakt. Dies folgt aus der Regelung des § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, die durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB vom 13.6.1994 (BGBl I 1229) mit Wirkung ab 18.6.1994 eingefügt wurde. Nach Abs 1 der Vorschrift ist (nur) vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu Äußerung zu geben; dies gilt jedoch nach Abs 2 Nr 7 der Vorschrift nicht, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als (in der ursprünglichen Fassung: 100 DM, jetzt:) 70 Euro (aufgerechnet oder) verrechnet werden soll. Hieraus kann nur geschlossen werden, dass - unabhängig von der Höhe - die Verrechnung nach § 52 SGB I ebenso wie die Aufrechnung nach § 51 SGB I durch Verwaltungsakt zu erklären ist(vgl ferner die Entwurfsbegründung zu § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, BT-Drucks 12/5187 S 35 - Zu Art 6, Zu Nr 1, wonach "materielle Einwände gegen die Aufrechnung bzw. Verrechnung … im Widerspruchsverfahren geltend gemacht werden" können) .

20

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber in nicht zu beanstandender Weise von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, die Aufrechnung und die Verrechnung jedenfalls für den Bereich des Sozialrechts der Handlungsform "Verwaltungsakt" zu unterstellen. Hieran sind die Gerichte gemäß Art 20 Abs 3 GG selbst dann gebunden, wenn sie eine solche Zuordnung aufgrund rechtssystematischer Erwägungen für unzutreffend oder aus praktischen Überlegungen heraus für unerwünscht halten sollten (vgl Wolff/Brink, aaO RdNr 28 f; U. Stelkens, aaO RdNr 13 - beide unter Hinweis auf BVerwGE 70, 77, 82; das Bundesverwaltungsgericht hatte sich in dieser Entscheidung veranlasst gesehen, nach einer Rechtsänderung seine frühere Rechtsprechung zur Einordnung einer Schutzbereichanordnung als Rechtsverordnung aufzugeben) . Bei Beachtung des Vorrangs des Gesetzes kann der Regelungsgehalt von § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X auch nicht mit dem Hinweis darauf ausgeblendet werden, dass diese Regelung nur "beiläufig" und "vordergründig" erfolgt sei und deshalb keine Geltung beanspruchen könne(so aber U. Stelkens, aaO RdNr 139, unter Bezugnahme auf Weber, SGb 1999, 225, 229, der sich in nicht näher belegte Spekulationen über die Regelungsabsichten des Gesetzgebers verliert und sich sogar zu der Wendung versteigt, die "eindeutig" in § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X erfolgte Beimessung von Verwaltungsaktqualität an die Aufrechung/Verrechnung im Sozialrecht sei "legales Unrecht"; s hierzu treffend Günther, SGb 1999, 609 sowie Wehrhahn, SGb 2007, 468).

21

Einer über die Bestimmung des § 52 SGB I hinausgehenden ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung für den Erlass eines Verwaltungsakts mit dem Inhalt der Verrechnung bedarf es nicht(zu der jeder Eingriffsermächtigung immanenten "Verwaltungsakt-Befugnis" vgl Wolff/Brink, aaO RdNr 63) . Ganz generell regelt § 8 SGB X, dass das Verwaltungsverfahren des SGB "auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist". Da die Verrechnung im SGB geregelt ist, kann und darf ein Verwaltungsverfahren zur Verrechnung mit dem Erlass eines Verwaltungsakts enden.

22

Die Verrechnung ist schließlich von der Beklagten auch in der Form eines Verwaltungsakts erklärt worden (unter dieser Voraussetzung sieht die ausführliche Darstellung der Problematik bei Kresser, Die Bedeutung der Form für Begriff und Rechtsfolgen des Verwaltungsakts, 2009 , selbst eine im allgemeinen Verwaltungsrecht erklärte Aufrechnung als materiellen Verwaltungsakt mit einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage an: aaO S 226 ff; dort - passim - auch weitere eingehende Darlegungen).

23

e) Hat aber die Beklagte zu Recht durch Verwaltungsakt entschieden, durfte das SG ihren Bescheid vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.6.2006 nicht als rein "formellen" oder "Schein-Verwaltungsakt" aufheben. Es hätte vielmehr prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die von der Beklagten erklärte Verrechnung vorlagen, nämlich

-       

das Bestehen der von der Beigeladenen gegen den Kläger geltend gemachten Forderung,

-       

das Vorliegen einer Ermächtigung der Beklagten durch die Beigeladene,

-       

die Pfändbarkeit der Rentenansprüche des Klägers gegen die Beklagte (§ 52 iVm § 51 Abs 1 SGB I) ,

-       

die Voraussetzungen des § 51 Abs 2 SGB I (höchstens zur Hälfte; kein Hervorrufen von Hilfebedürftigkeit nach dem Zwölften oder dem Zweiten Buch des SGB) und schließlich

-       

die ordnungsgemäße Ausübung des der Beklagten zustehenden Ermessens sowie die erforderliche Bestimmtheit des Verwaltungsakts.

24

Da insoweit auch in dem das SG-Urteil bestätigenden Berufungsurteil keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen vorliegen, ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Dieses wird sich auch damit auseinanderzusetzen haben, ob sich die Beurteilungsgrundlage durch die Heirat des Klägers und seinen nachfolgenden Umzug nach Thailand geändert hat.

25

2. Eine Entscheidung in diesem Sinne ist dem vorlegenden Senat jedoch nicht ohne Abweichung von dem Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1; s unten zu weiterer Rechtsprechung des 4. Senats) möglich, auch wenn sich der vorlegende Senat in Übereinstimmung mit weiteren Senaten des BSG befindet.

26

a) Das BSG hat unter Geltung des SGB I zunächst sowohl die Erklärung über eine Aufrechnung (§ 51 SGB I)

        

BSG 4. Senat vom 19.1.1978 - BSGE 45, 271 = SozR 1200 § 51 Nr 3
- dass es sich hier um einen Verwaltungsakt handelte, ergibt sich aus dem nicht abgedruckten Volltext, vgl Juris RdNr 2 -;

        

BSG 3. Senat vom 11.10.1979 - SozR 1200 § 51 Nr 5 S 8;

        

BSG 1. Senat vom 12.11.1980 - SozR 1200 § 51 Nr 8 S 18;

        

BSG 4. Senat vom 16.9.1981 - BSGE 52, 98,101 = SozR 1200 § 51 Nr 11;

        

BSG 4. Senat vom 17.9.1981 - SozR 1200 § 51 Nr 12 S 30;

        

BSG 10. Senat vom 25.3.1982 - BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6;

        

BSG 7. Senat vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13;

        

BSG 10. Senat vom 15.12.1992 - SozR 3-1200 § 51 Nr 3 S 5;

        

BSG 14. Senat vom 27.3.1996 - BSGE 78, 132, 134 = SozR 3-1200 § 51 Nr 5

 als auch die Erklärung über eine Verrechnung (§ 52 SGB I)

        

BSG 8a. Senat vom 18.12.1980 - BSGE 51, 98 = SozR 1200 § 51 Nr 9
- dass es sich hier um einen Verwaltungsakt handelte, ergibt sich aus dem nicht abgedruckten Volltext, vgl Juris RdNr 2 -;

        

BSG 10. Senat vom 25.3.1982 - BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6;

        

BSG 7. Senat vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13;

        

BSG 11. Senat vom 9.11.1989 - BSGE 66, 63 = SozR 1200 § 51 Nr 17;

        

BSG 13. Senat vom 18.2.1992 - SozR 3-1200 § 52 Nr 3 S 32, 34, 36

in Form eines Verwaltungsakts entweder nicht beanstandet (so die zitierten Entscheidungen bis einschließlich 1981 und die des 14. Senats vom 27.3.1996) oder aber (so die übrigen Entscheidungen, zT als obiter dictum) ausgeführt, dass Aufrechnung und/oder Verrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären seien.

27

Erstmals ausdrücklich offen blieb die Frage im Urteil

        

BSG 4. Senat vom 12.7.1990 - BSGE 67, 143, 146 = SozR 3-1200 § 52 Nr 1:

Die Rechtsnatur der Auf- oder Verrechnung sei noch nicht abschließend geklärt (Hinweis auf die Rspr von BVerwG und Bundesfinanzhof einerseits und BSG andererseits) ; möglicherweise müsse unterschieden werden zwischen der Aufrechnung als Willenserklärung, die die Gegenforderung zum Erlöschen bringe (§ 389 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) , und der verwaltungsverfahrensrechtlichen Folge hieraus, nämlich dem Erlass eines Bescheids gemäß § 48 SGB X wegen der notwendig gewordenen Änderung des eine Dauerleistung bewilligenden Verwaltungsakts.

28

Diesem Urteil wiederum folgte tendenziell

        

BSG 12. Senat vom 15.12.1994 - BSGE 75, 283, 288 = SozR 3-2400 § 28 Nr 2;

hiernach ist eine Aufrechnung bei erstmaliger Entscheidung über einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge (außerhalb § 51 SGB I) nicht durch Verwaltungsakt zu erklären. Werde jedoch gegen einen durch Verwaltungsakt bindend bewilligten Anspruch aufgerechnet, sei hierfür zwar keine Ermächtigung erforderlich; jedoch möge dies eine Änderung jenes Verwaltungsakts nach sich ziehen, die der verwaltungsverfahrensrechtlichen Umsetzung nach den §§ 45, 48 SGB X bedürfe.

29

Das Urteil

        

BSG 4. Senat vom 24.7.2003 - SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 7 ff - im Rentenbewilligungsbescheid wurde die Entscheidung über die Nachzahlung ausdrücklich vorbehalten -

schließlich qualifizierte den "Bescheid", die Beklagte verrechne die (nach dem zuvor ergangenen Rentenbescheid vorläufig einbehaltene) Nachzahlung, als lediglich formellen (und daher aufzuhebenden) Verwaltungsakt, weil die Verrechnung rechtskonform durch verwaltungsrechtliche Willenserklärung auszuüben sei. Diese Erklärung enthalte keine Regelung iS des § 31 SGB X; das im Rentenbescheid festgesetzte Recht werde dadurch nicht aufgehoben oder geändert. Selbst wenn man der Erklärung "(auch) die Rechtswirkung entsprechend einer Regelung iS eines Verwaltungsakts beimessen" wollte, so fehlte es insoweit an der "für die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsakts erforderlichen (parlaments-)gesetzlichen Ermächtigung". Eine Auseinandersetzung mit der am 18.6.1994 in Kraft getretenen Regelung in § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X erfolgt in dieser Entscheidung nicht.

30

Im zeitlichen Anschluss hieran ließ das Urteil

        

BSG 5. Senat vom 10.12.2003 - BSGE 92, 1 = SozR 4-1200 § 52 Nr 2, RdNr 6

dahingestellt, ob die Verrechnung nach § 52 SGB I lediglich als rechtsgeschäftliche Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts zu qualifizieren sei oder sich in der Form eines Verwaltungsakts zu vollziehen habe (ohne zu prüfen, ob dann nicht jedenfalls die Anfechtungsklage hätte Erfolg haben müssen).

31

In den Urteilen

        

BSG 4. Senat vom 5.9.2006 - B 4 R 71/06 R - SozR 4-2500 § 255 Nr 1 - sowie B 4 R 75/06 R, jeweils RdNr 15 - 27

sah der 4. Senat (unter Hinweis ua auf sein Urteil vom 24.7.2003, ohne weitere Begründung) die in einem Bescheid enthaltenen "Erklärungen behalte aus der Rente Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 1,7 vH ein und zahle deshalb den 'Rentenbetrag' nicht aus ('abzüglich')", als Verrechnung an; der insoweit keinen materiellen Verwaltungsakt verlautbarende Bescheid sei als formeller Verwaltungsakt ("Anscheins-Verwaltungsakt") aufzuheben (in ähnlich gelagerten Verfahren des 12. Senats hat dieser entsprechende Formulierungen als zulässige feststellende Verwaltungsakte über die Höhe des Auszahlungsbetrags bzw als Festsetzung der Pflege- und Krankenversicherungsbeiträge durch Verwaltungsakt angesehen: BSG 12. Senat vom 29.11.2006 - BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 § 59 Nr 1, RdNr 9 und 11; vom 21.1.2009 - B 12 R 11/06 R - SozR 4-2500 § 241a Nr 2 RdNr 13 ff).

32

Im Urteil

        

BSG 13. Senat vom 27.3.2007 - B 13 RJ 43/05 R, Juris RdNr 13 ff, 18

konnte der vorlegende Senat die Rechtsnatur der Verrechnung offen lassen, weil das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die allein zu entscheidende Anfechtungsklage nach Abschluss der Verrechnung entfallen war.

33

Im Rahmen seiner Hinweise für die Sachbehandlung nach Zurückverweisung hat das Urteil

        

BSG 7. Senat vom 16.12.2009 - B 7 AL 43/07 R, Juris RdNr 15 f

im Zusammenhang mit der entschiedenen Fallgestaltung die "rein formale" Frage offen gelassen, ob die Aufrechnung als Verwaltungsakt zu erfolgen hat "oder - wofür mehr spricht - durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung".

34

b) In der für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblichen Rechtsfrage der Rechtsnatur der Verrechnungserklärung vermag der vorlegende Senat sich der Rechtsmeinung des 4. Senats nicht anzuschließen.
Unter Weglassung der Klammerzusätze mit Rechtsprechungs- oder Literaturnachweisen lautet die einschlägige Argumentation des 4. Senats wie folgt (Urteil vom 24.7.2003 - SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 8; die Urteile vom 5.9.2006 bringen insoweit keinen weiteren Aufschluss) :

        

"Die Wirkungen der Verrechnung ebenso wie die der Aufrechnung beurteilen sich, soweit die §§ 51, 52, 57 Abs 2 SGB I nichts anderes vorgeben und soweit sie mit dem öffentlichen Sozialverwaltungsrecht vereinbar sind, nach den zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 387 ff BGB. In diesem Rahmen und auf dieser Grundlage sind sie entsprechend (lückenfüllend) anwendbar. Dies hat zur Folge, dass bei wirksamer Ausübung des öffentlich-rechtlichen Gestaltungsrechts (verwaltungsrechtliche Willenserklärung) die Rechtsfolgen aus § 389 BGB direkt kraft Gesetzes eintreten. Diese setzen folglich gerade voraus, dass das Recht zu diesem Zeitpunkt noch erfüllbar bestanden hat. Nach Erfüllung bleibt es als Rechtsgrund der Leistung solange bestehen, bis der Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert wird oder sich auf andere Weise erledigt hat (§ 39 Abs 2 SGB X). Eine wirksame Verrechnung führt mithin allein zum Erlöschen von Ansprüchen, ohne dass das im Verwaltungsakt festgesetzte Recht - etwa im Wege des Selbstvollzuges - verändert oder sonst geregelt wird. Würde man dennoch der Aufrechnungs- bzw Verrechnungserklärung (auch) die Rechtswirkung entsprechend einer Regelung iS eines Verwaltungsaktes beimessen wollen, so fehlte es insoweit an der für die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsaktes erforderlichen (parlaments-)gesetzlichen Ermächtigung."

35

Hier werden zwei Argumente gegen die Rechtsform des Verwaltungsakts vorgebracht:

(1) Die Verrechnung wolle nichts am durch Verwaltungsakt bewilligten Rentenanspruch ändern.

(2) Die Verwaltung sei nicht gesetzlich ermächtigt, die Verrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären.

36

Zu (1): Hierin kann der Senat keinen Grund sehen, die Verwaltungsaktqualität der Verrechnung zu verneinen. Gemeint scheint die "auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen" gerichtete Regelung eines Einzelfalls iS des § 31 Satz 1 SGB X zu sein, die jedoch nicht davon abhängen kann, ob die Verrechnung am Rentenanspruch selbst etwas ändert(s ferner oben bei 1d). Es genügt, dass der Adressat des Rentenbescheids aufgrund einer wirksam verfügten Verrechnung in dem in ihr festgelegten zeitlichen und betragsmäßigen Umfang das Recht verliert, vom Rentenversicherungsträger monatliche Rentenzahlungen zu verlangen und gegebenenfalls gerichtlich im Wege der Leistungsklage durchzusetzen.

37

Zu (2): Insoweit kann ebenso auf die Ausführungen zu 1d) verwiesen werden.

38

c) Auch sonst sind keine Argumente erkennbar, die den vorlegenden Senat davon überzeugen könnten, von der (mit Ausnahme des 4. Senats) gefestigten Rechtsprechung des BSG zur Verwaltungsaktqualität einer Verrechnungsentscheidung abzugehen (zu den Ausführungen des Antwortbeschlusses des 4. Senats vom 22.9.2009 im Zusammenhang s unter 3.) .

39

Insbesondere besteht keine Rechtsprechung des BVerwG und des BFH zur Rechtsnatur der Verrechnung; deshalb kann die Rechtsauffassung des vorlegenden Senats nicht von einer solchen abweichen. Die Verrechnung stellt ein spezifisch sozialrechtliches Institut dar; sie ist weder im (allgemeinen) Verwaltungs- noch im Steuer- (-verfahrens-) recht bekannt (die "Verrechnung" nach § 10 Abs 3 Satz 1 Abwasserabgabengesetz meint eine vom Gläubiger vorzunehmende Absetzung von der Abgabeschuld) .

40

Auch zum Rechtscharakter der Aufrechnung ist im Übrigen eine sozialrechtliche Lösung ohne Abweichung von anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes möglich. Denn es bestehen unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Die eigenständige Regelung in § 51 SGB I findet anderswo keine Entsprechung: Im allgemeinen Verwaltungsrecht werden auch ohne einschlägige Regelung die Vorschriften der §§ 387 ff BGB über die Aufrechnung für entsprechend anwendbar gehalten; § 226 der Abgabenordnung 1977 verweist insoweit ausdrücklich auf das bürgerliche Recht. Auch ist keine Rechtsprechung des BVerwG zur Rechtsnatur einer Aufrechnung nach § 51 SGB X ersichtlich(das Urteil vom 19.6.1980 - BVerwGE 60, 240 - geht hierauf nicht ein; der Beschluss vom 6.11.1995 - 5 B 154/95, Buchholz 435.11 § 55 SGB I Nr 2 - hat die Nichtzulassungsbeschwerde mangels Entscheidungserheblichkeit der einschlägigen Rechtsfrage zurückgewiesen) .

41

Zudem lässt sich aus der Möglichkeit der Abtretung oder Pfändung eines Anspruchs auf Sozialleistungen nichts anderes herleiten. Zwar ist der Abtretungsgläubiger (Zessionar) oder Pfändungspfandgläubiger nicht am Sozialversicherungsverhältnis beteiligt; durch Abtretung oder Pfändung werden jedoch weder die Natur des Anspruchs geändert (BSG vom 11.6.1987 - SozR 1300 § 50 Nr 17 S 37) noch in die Rechte des zahlenden oder eines anderen Leistungsträgers (auf Aufrechnung bzw Verrechnung) eingegriffen. Auf- oder Verrechnung gegen Ansprüche auf Sozialleistungen bleiben damit weiter möglich; die entsprechenden Bescheide sind dann jedoch (auch) dem Abtretungs- oder Pfändungspfandgläubiger bekannt zu geben (BSG vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 22 f = SozR 1200 § 54 Nr 13) .

42

Schließlich ist es auch nicht unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Sicherung der Funktionsfähigkeit - insbesondere der Finanzierungsgrundlagen- der Sozialversicherungsträger geboten, die Verrechnung (ebenso die Aufrechnung) im Sozialrecht als öffentlich-rechtliche Willenserklärung ohne Verwaltungsaktcharakter zu qualifizieren, weil nur auf diese Weise die beabsichtigte Wirkung einer vom Versicherungsträger erklärten Verrechnung - die Befriedigung des von dem (anderen) Versicherungsträger gegen den Leistungsempfänger geltend gemachten Anspruchs (Erfüllungswirkung - vgl BSGE 75, 283, 284 f = SozR 3-2400 § 28 Nr 2 S 9 f; s auch BVerwGE 66, 218, 222 sowie BVerwGE 132, 250 RdNr 8, 10) - sofort im Zeitpunkt ihrer Erklärung eintrete und nicht aufgrund eines möglicherweise zeitaufwändigen Verwaltungsverfahrens oder infolge von Rechtsbehelfen des Leistungsempfängers verzögert oder vereitelt werden könne. Der Durchführung eines im Einzelfall gegebenenfalls ermittlungsintensiven Verwaltungsverfahrens bedarf es im Anwendungsbereich der §§ 51, 52 SGB I vor Erklärung einer Verrechnung (Aufrechnung) unabhängig von ihrer Qualifizierung als Verwaltungsakt oder Willenserklärung in jedem Fall. Denn hier erfordert - anders als im allgemeinen Verwaltungsrecht - die Verrechnung (Aufrechnung) nicht nur die Existenz einer gleichartigen und fälligen Gegenforderung, sondern ist durch weitere Voraussetzungen eingeschränkt, die an die wirtschaftliche Situation des Leistungsempfängers anknüpfen und nicht zuletzt der Vermeidung des Eintritts von dessen Sozialhilfebedürftigkeit infolge der Verrechnung (Aufrechnung) dienen. Soweit die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen einen Verrechnungsbescheid (Aufrechnungsbescheid) für problematisch erachtet und es - über die bestehende Möglichkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs 2 Nr 5 SGG hinaus - für erforderlich gehalten wird, im Zusammenhang mit Verrechnungen (Aufrechnungen) die bestehende verfahrensrechtliche Stellung der Sozialleistungsempfänger zugunsten der Versicherungsträger zu beschneiden, obläge es dem Gesetzgeber, durch eine entsprechende Ergänzung von § 86a Abs 2 SGG Abhilfe zu schaffen. Die Außerachtlassung der vom Gesetzgeber selbst in § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X vorgenommenen Zuordnung legitimiert dieses Anliegen jedoch nicht.

43

d) Da der vorlegende Senat der Auffassung ist, dass bereits die Verrechnung selbst durch Verwaltungsakt zu erklären ist, bedarf es beim gegenwärtigen Streitstand keiner Prüfung, ob der angefochtene Bescheid weitere Regelungen (zB über die Höhe des Auszahlungsbetrags) enthält, die als Verwaltungsakt zu qualifizieren sein könnten (s ua hierzu Wehrhahn, SGb 2007, 468; Gabbert, RVaktuell 2008, 192, 195 f) .

44

3. Der 4. Senat hat den Anfragebeschluss des vorlegenden Senats vom 5.2.2009 - B 13 R 31/08 R - mit Beschluss vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S - abschlägig beantwortet.

45

a) Die Anfrage war gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG an den 4. Senat und nicht etwa an einen Nachfolgesenat zu richten (hierzu BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 69/08 B, BeckRS 2009-53032 RdNr 4 f) . Ein Fall des Satzes 2 der Vorschrift liegt nicht vor. Denn der 4. Senat kann nach wie vor mit der aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Rechtsfrage zur Auslegung des § 52 SGB I befasst werden(zB trotz § 52 letzter Teilsatz iVm § 51 Abs 2 letzter Teilsatz SGB I bei Empfängern des Zuschlags nach § 24 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch) .

46

b) Der vorlegende Senat vermag sich der Argumentation im Antwortbeschluss des 4. Senats aus folgenden Erwägungen nicht anzuschließen:

47

aa) Zu RdNr 6, 7 des Antwortbeschlusses:

Zu den hier angesprochenen Fragen (Bestimmtheit der - in welcher Form auch immer zu äußernden - Verrechnungserklärung/keine Änderung des - wie auch immer zu bestimmenden - "Stammrechts" durch eine Verrechnung) besteht zwischen dem 4. und dem vorlegenden Senat keine unterschiedliche Auffassung.

48

bb) Zu RdNr 8 des Antwortbeschlusses:

Soweit der 4. Senat an der Rechtsmeinung festhält, eine Verrechnung müsse nicht durch Verwaltungsakt erfolgen (die Formulierung hier und am Ende von RdNr 5 erweckt den Eindruck, sie dürfe jedoch fakultativ auch durch Verwaltungsakt erfolgen; hingegen schließt der Entscheidungssatz des Antwortbeschlusses dies aus), fehlt erneut jegliche Auseinandersetzung mit dem zentralen Argument, der Gesetzgeber selbst habe dies für den Bereich des Sozialrechts in § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X ausdrücklich und unzweifelhaft so vorgegeben (s oben unter 1d sowie Anfragebeschluss vom 5.2.2009 - B 13 R 31/08 R, RdNr 16).

49

cc) Zu RdNr 10 f des Antwortbeschlusses:

Die Argumentation des 4. Senats zur Verrechnung mit Ansprüchen nach § 116 SGB X läuft ins Leere. Denn nach der ua vom 4. Senat (Urteil vom 17.9.1981 - SozR 1200 § 51 Nr 12; ebenso BSG 5b. Senat vom 10.3.1982 - SozR aaO Nr 13) begründeten Rechtsprechung des BSG sind Verwaltungsakte über die Aufrechnung mit einer weder anerkannten noch rechtskräftig festgestellten zivilrechtlichen Forderung ohne weitere Prüfung aufzuheben. Entsprechend hat der 4. Senat (unter RdNr 6 des Antwortbeschlusses vom 22.9.2009) - in Übereinstimmung mit dem 13. Senat - selbst daran festgehalten, dass die Rechtmäßigkeit einer Verrechnungserklärung die Bezeichnung einer bestands- oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderung des ermächtigenden Leistungsträgers voraussetze. Existiert die - nach Anhörung des Betroffenen gemäß § 24 SGB X - in einem Verrechnungsbescheid als rechtskräftig festgestellt benannte Gegenforderung in Wirklichkeit nicht, kann ein gleichwohl bestandskräftig gewordener Verrechnungsbescheid gemäß § 44 SGB X auch noch nachträglich korrigiert werden (wobei die praktische Relevanz einer solchen Konstellation fraglich erscheint).

50

dd) Zu RdNr 12 des Antwortbeschlusses:

Soweit der 4. Senat eine "Umdrehung der Rollenverteilung" durch Aufdrängen der "Angreiferrolle" hinsichtlich der zur Verrechnung gestellten Gegenforderung an den Sozialleistungsempfänger/Rentner beklagt, ist nicht erkennbar, inwiefern dies bei der vom 4. Senat vertretenen Konzeption der Verrechnung als öffentlich-rechtlicher Willenserklärung anders sein soll. Unterschiede bestehen allerdings im Hinblick darauf, dass die Umsetzung einer Verrechnung in der verwaltungsverfahrensrechtlichen Handlungsform eines Verwaltungsakts regelmäßig (abgesehen von den Fällen des § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X) eine vorherige Anhörung des Betroffenen erfordert und diesem auch noch eine verwaltungsinterne Überprüfung im Widerspruchsverfahren eröffnet, bevor sie ihn in das gerichtliche Klageverfahren zur Geltendmachung seiner Rechte zwingt. In Wirklichkeit verstärkt somit eine als Verwaltungsakt zu erklärende Verrechnung die verfahrensrechtliche Position des Sozialleistungsempfängers.

51

ee) Zu RdNr 13 des Antwortbeschlusses (Abweichung von Rechtsprechung des BVerwG oder BFH) sei auf die einschlägigen, großteils bereits im Anfragebeschluss enthaltenen Hinweise (s oben bei 2 c) Bezug genommen.

52

ff) Zu RdNr 15 des Antwortbeschlusses:

Soweit der 4. Senat meint, er sei mit seinem Urteil vom 24.7.2003 (SozR 4-1200 § 52 Nr 1) nicht von anderen Senaten des BSG (Bezug genommen wird lediglich auf die Entscheidung des 7. Senats vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13) iS des § 41 Abs 2 SGG abgewichen, beruft er sich ausschließlich darauf, dass entgegenstehende Ausführungen in den Entscheidungen anderer Senate nicht "näher begründet" gewesen seien. Allerdings kann auch dann eine zur Vorlage an den Großen Senat verpflichtende Abweichung in den tragenden Gründen vorliegen (deutlich zB bei BSG - 11. Senat - vom 9.11.1989 - BSGE 66, 63, 68 f = SozR 1200 § 51 Nr 17) . Im Übrigen findet sich in der im Antwortbeschluss allein zitierten Entscheidung des 7. Senats (aaO) die nähere Begründung in der Gestalt von vier Literaturnachweisen und ist die bewusste Abweichung hiervon im Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 deutlich ausgewiesen (s BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 8 am Ende: "Aufrechnungs- bzw Verrechnungserklärung als Verwaltungsakt: … BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6; BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13; BSG SozR 3-1200 § 52 Nr 3 S 32").

(1) Laufende Geldleistungen mit Ausnahme des Übergangsgeldes werden am Ende des Monats fällig, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind; sie werden am letzten Bankarbeitstag dieses Monats ausgezahlt. Bei Zahlung auf ein Konto im Inland ist die Gutschrift der laufenden Geldleistung, auch wenn sie nachträglich erfolgt, so vorzunehmen, dass die Wertstellung des eingehenden Überweisungsbetrages auf dem Empfängerkonto unter dem Datum des Tages erfolgt, an dem der Betrag dem Geldinstitut zur Verfügung gestellt worden ist. Für die rechtzeitige Auszahlung im Sinne von Satz 1 genügt es, wenn nach dem gewöhnlichen Verlauf die Wertstellung des Betrages der laufenden Geldleistung unter dem Datum des letzten Bankarbeitstages erfolgen kann.

(2) Laufende Geldleistungen, die bei Auszahlungen

1.
im Inland den aktuellen Rentenwert,
2.
im Ausland das Dreifache des aktuellen Rentenwerts nicht übersteigen,
können für einen angemessenen Zeitraum im Voraus ausgezahlt werden.

(2a) Nachzahlungsbeträge, die ein Zehntel des aktuellen Rentenwerts nicht übersteigen, sollen nicht ausgezahlt werden.

(2b) In Fällen des § 47 Absatz 1 Satz 3 des Ersten Buches erfolgt eine kostenfreie Übermittlung von Geldleistungen an den Wohnsitz oder an den gewöhnlichen Aufenthalt spätestens ab dem zweiten Monat, der auf den Monat folgt, in dem der Nachweis erbracht worden ist.

(3) Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut, für das die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (ABl. L 94 vom 30.3.2012, S. 22) gilt, überwiesen wurden, gelten als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung zurückzuüberweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordern. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann. Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden.

(4) Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. Der Träger der Rentenversicherung hat Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Ein Geldinstitut, das eine Rücküberweisung mit dem Hinweis abgelehnt hat, dass über den entsprechenden Betrag bereits anderweitig verfügt wurde, hat der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung auf Verlangen Name und Anschrift des Empfängers oder Verfügenden und etwaiger neuer Kontoinhaber zu benennen. Ein Anspruch gegen die Erben nach § 50 des Zehnten Buches bleibt unberührt.

(4a) Die Ansprüche nach den Absätzen 3 und 4 verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Träger der Rentenversicherung Kenntnis von der Überzahlung und in den Fällen des Absatzes 4 zusätzlich Kenntnis von dem Erstattungspflichtigen erlangt hat. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß.

(5) Sind laufende Geldleistungen, die nach Absatz 1 auszuzahlen und in dem Monat fällig geworden sind, in dem der Berechtigte verstorben ist, auf das bisherige Empfängerkonto bei einem Geldinstitut überwiesen worden, ist der Anspruch der Erben gegenüber dem Träger der Rentenversicherung erfüllt.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Oktober 2008 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 6. Februar 2005 geändert.
2. Auf das Anerkenntnis der Beklagten werden ihre Bescheide vom 11. und 22. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2002 sowie der Bescheid vom 31. Januar 2002 aufgehoben.
3. Die Bescheide der Beklagten vom 15. Mai 2003, 2. März 2004, 15. Oktober 2004, 23. Mai 2005, 1. Juni 2007 und 9. Juni 2008 werden hinsichtlich der aufgrund der Verrechnung einbehaltenen Beträge aufgehoben.
4. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
5. Die Beklagte hat dem Kläger sieben Achtel seiner außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung eines Teils seiner Rentenansprüche (Nachzahlung und laufende Zahlungen) mit gegen ihn gerichteten Beitrags- und Nebenforderungen des beigeladenen Unfallversicherungsträgers.

2

Der im 1937 geborene Kläger ist verheiratet. Seine Ehefrau bezieht seit Juli 2001 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) iHv (seinerzeit) 1 265,08 DM. Der von den Eheleuten für die gemeinsame Wohnung entrichtete Mietzins betrug ab Juni 2001 257,22 Euro, ab Oktober 2002 263,77 Euro und ab September 2004 247,35 Euro. Seit 2001 sind beim Kläger ein Grad der Behinderung von 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt.

3

Der Kläger war seit Mai 1990 als selbstständiger Handwerksmeister mit eigener Firma in L. tätig.

4

Mit Beschluss des Amtsgerichts L. vom 5.6.1996 wurde wegen Zahlungsunfähigkeit des Klägers über dessen Vermögen das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet und mit Beschluss vom 26.9.2002 eingestellt.

5

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 10.10.1996 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) rückwirkend vom 1.5.1993 bis zum 31.10.1995, die allerdings aufgrund von Rehabilitationsmaßnahmen und Übergangsgeldbezug nur in der Zeit vom 29.3. bis zum 31.10.1995 zur Auszahlung kam. Seit 1.2.1996 bezog der Kläger eine Rente wegen EU auf Dauer (Bescheid vom 18.10.1996).

6

Mit Bescheiden vom 25.4.2001 stellte die Beklagte die Renten wegen BU und EU neu fest. Für die Rente wegen BU ergab sich eine Nachzahlung iHv 1 759,62 DM und für die Rente wegen EU iHv 24 727,83 DM.

7

Bereits mit Schreiben vom 23.8.1995 hatte die Beigeladene der Beklagten mitgeteilt, der Kläger schulde ihr aus seiner Mitgliedschaft "rechtswirksam festgestellte Beiträge zuzüglich Nebenforderungen (zB Säumnisgebühren, Mahngebühren, Kosten der Zwangsvollstreckung) in Höhe von derzeit 43 982,50 DM", und die Beklagte zugleich zur Verrechnung gegen Geldleistungen ermächtigt, die der Kläger jetzt oder in Zukunft erhalte.

8

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Beigeladene mit Schreiben vom 9.5.2001 mit, dass ihre Ansprüche, derentwegen sie die Beklagte mit Schreiben vom 23.8.1995 zur Verrechnung ermächtigt hatte, "derzeit 66 635,31 DM" (= 34 070,09 Euro) betrügen, und bat die Beklagte nunmehr auf Grund der seinerzeitigen Ermächtigung um Verrechnung.

9

Die die Renten wegen BU und EU betreffenden Verrechnungen mit Bescheiden vom 11. und 22.5.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2002 sowie mit Bescheid vom 31.1.2002, gegen die der Kläger beim SG Leipzig Klage erhoben hatte (S 7 RJ 285/02), sind nach dem in der Revisionsverhandlung vom 7.2.2012 erklärten Anerkenntnis der Beklagten (s hierzu Nr 2 des Entscheidungssatzes) nicht mehr streitig.

10

Mit Bescheid vom 10.5.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1.7.2002 Regelaltersrente und verrechnete einen Betrag iHv monatlich 34,76 Euro; es verblieb ein monatlicher Auszahlungsbetrag iHv 820 Euro. Den Widerspruch des Klägers gegen die Verrechnung wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2002 zurück. Zur Begründung der Erhöhung des monatlichen Verrechnungsbetrags zum 1.7.2002 (gegenüber zuvor 20,80 Euro) führte die Beklagte aus, dass diese mit der Erhöhung des Rentenzahlbetrags aufgrund der Rentenanpassung zum 1.7.2002 einhergehe. Der Erhöhung des monatlichen Rentenzahlbetrags um 24,76 Euro auf 854,76 Euro stehe eine Erhöhung des aufgrund Verrechnung einbehaltenen Betrags von ca 14 Euro gegenüber. Im Ergebnis verbleibe dem Kläger ab 1.7.2002 mit monatlich 820 Euro ein höherer Rentenauszahlungsbetrag als bisher. Die besondere Einkommensgrenze des § 81 Abs 1 BSHG werde nicht unterschritten; der Kläger werde nicht sozialhilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt. Der monatliche Verrechnungsbetrag sei in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation des Klägers auch sachgerecht. Besondere Umstände, die eine für ihn günstigere Entscheidung im Rahmen der Ermessensausübung nach § 51 Abs 2 SGB I bei der Festsetzung des Verrechnungsbetrags rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Das öffentliche Interesse an der Einbehaltung von Rententeilen zur Tilgung von Beitragsforderungen überwiege. Auch gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage beim SG Leipzig erhoben (S 7 RJ 558/02).

11

Das SG hat mit Beschluss vom 19.11.2004 beide Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

12

Wegen "Änderungen in den Rentenberechnungsgrundlagen" ergingen in der Folgezeit weitere (Verrechnungs-)Bescheide der Beklagten. Ab 1.7.2003 erhöhte sich der Verrechnungsbetrag auf monatlich 54,91 Euro (Bescheid vom 15.5.2003), ab 1.4.2004 betrug er monatlich 49,29 Euro (Bescheid vom 2.3.2004), ab 1.12.2004 monatlich 51,16 Euro (Bescheid vom 15.10.2004), ab 1.7.2005 monatlich 46,95 Euro (Bescheide vom 23.5.2005 und 1.6.2007) und ab 1.7.2008 monatlich 58,39 Euro (Bescheid vom 9.6.2008); dabei verblieb von Juli 2007 bis Juni 2008 ein auszuzahlender Betrag iHv monatlich 814,49 Euro (Bescheid vom 1.6.2007), im Übrigen jeweils monatlich 810 Euro. Im Bescheid vom 15.5.2003 hatte die Beklagte ergänzend mitgeteilt, dass für die Ermittlung des verrechenbaren Betrags die auf volle Euro aufgerundeten Werte aus dem BSHG zugrunde gelegt worden seien. Dieser Wert werde nicht dynamisiert und betrage gegenwärtig 810 Euro. Der Bescheid vom 15.10.2004 enthielt den Hinweis, dass sich aufgrund der Senkung des Beitragssatzes zur Krankenversicherung ab dem 1.12.2004 eine höhere Nettorente ergebe (861,16 Euro). Der entstehende Differenzbetrag werde zur Tilgung der Forderung herangezogen (51,16 Euro). Im Bescheid vom 9.6.2008 hat die Beklagte mit Hinweis auf die zum 1.7.2008 durchgeführte Rentenanpassung ergänzend darauf hingewiesen, dass der monatliche Selbstbehalt des Klägers bei 810 Euro liege, sodass der "abzutrennende Betrag" sich ab 1.7.2008 auf 58,39 Euro erhöhe.

13

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 6.1.2005 (nicht - wie im Tenor versehentlich angegeben - vom 6.2.2005) die Klagen abgewiesen.

14

Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 14.10.2008 die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die seit Juli 2001 von der Beklagten vorgenommene Verrechnung von Beitragsforderungen der Beigeladenen mit Rentenzahlungsansprüchen des Klägers sei rechtmäßig. Keine Bedenken bestünden gegen die Durchführung der Verrechnung durch Verwaltungsakt.

15

Die Voraussetzungen für eine Verrechnung lägen vor: Die Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen mit Schreiben vom 23.8.1995 (aktualisiert mit Schreiben vom 9.5.2001) sei hinreichend bestimmt. Art und Umfang der Forderung seien so genau bezeichnet, dass die Beklagte in die Lage versetzt worden sei, eine substantiierte Verrechnungserklärung abzugeben.

16

Es bestehe eine Verrechnungslage. Die Forderungen der Beigeladenen seien bestandskräftig festgestellt. Gegen die entsprechenden Bescheide habe der Kläger Widerspruch nicht erhoben. Die Rentenansprüche, mit denen verrechnet worden sei, seien gleichartige Forderungen, die bindend bewilligt und fällig gewesen seien.

17

Entgegen der Ansicht des Klägers hindere das über sein Vermögen durchgeführte Gesamtvollstreckungsverfahren die Verrechnung nicht.

18

Ebenso wenig stehe der Verrechnung nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens der Vollstreckungsschutz des § 18 Abs 2 S 3 Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) entgegen. Denn diese Norm bewirke Schutz nur gegen konkrete Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung, zu denen die Verrechnung nicht zähle. Zudem werde die Regelung des § 18 Abs 2 S 3 GesO - soweit wie hier mit Beitragsansprüchen verrechnet werde - durch die Sonderregelung des § 51 Abs 2 SGB I(iVm § 52 SGB I) verdrängt.

19

Der Kläger sei aufgrund der Verrechnung nicht sozialhilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw ab Januar 2005 im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt geworden. Ausgehend von den im Freistaat Sachsen für den Haushaltsvorstand geltenden Regelsätzen und Mehrbedarfszuschlägen nach § 23 Abs 1 Nr 2 BSHG (bis 30.6.2002) und nach § 23 Abs 1 Nr 1 BSHG (ab 1.7.2002) sowie den auf ihn entfallenden anteiligen Unterkunftskosten von 125 Euro (inklusive Heizkosten) seien dem Kläger nach Abzug der jeweiligen Verrechnungsbeträge monatliche Geldmittel verblieben, die den Eintritt einer sozialhilferechtlichen Notlage ausschlössen. Im gesamten Verrechnungszeitraum bis zum 31.12.2004 habe er einen monatlichen Rentenauszahlungsbetrag erhalten, der seinen sozialhilferechtlichen Bedarf nach dem BSHG sogar bei bedarfssteigernder Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen überstiegen habe. Nach der ab Januar 2005 geltenden Rechtslage sei der Kläger verpflichtet, nachzuweisen, dass durch die Verrechnung Bedürftigkeit nach dem SGB XII eingetreten sei. Trotz entsprechender gerichtlicher Hinweise habe er diesbezügliche Nachweise nicht vorgelegt.

20

Ermessensfehler der Beklagten seien nicht ersichtlich. Sie habe das ihr eröffnete Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Dem öffentlichen Interesse an der Begleichung von Beitragsschulden und damit der Funktionsfähigkeit der Versicherungssysteme habe sie Vorrang vor dem privaten Interesse des Klägers an der ungeschmälerten Auszahlung seiner Rente gegeben, weil bei diesem keine außergewöhnliche soziale oder finanzielle Situation vorgelegen habe.

21

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 52 SGB I. Die Beklagte hätte die von der Beigeladenen geltend gemachten Forderungen nicht durch Verwaltungsakt mit seinen Rentenansprüchen verrechnen dürfen. Insoweit beruft er sich auf die Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1).

22
        

Auf Anfragebeschluss des erkennenden Senats vom 5.2.2009 (B 13 R 31/08 R) hat der 4. Senat mit Beschluss vom 22.9.2009 (B 4 SF 1/09 S) erklärt, er halte an seiner Auffassung fest, dass die Verrechnung nach § 52 SGB I nicht durch Verwaltungsakt erfolge. Der daraufhin vom erkennenden Senat mit Beschluss vom 25.2.2010 (B 13 R 76/09 R) angerufene Große Senat (GrS) hat durch Beschluss vom 31.8.2011 (GS 2/10 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1200 § 52 Nr 4 vorgesehen) entschieden:    

"Der Leistungsträger darf die Rechtsfolgen einer einseitig gegenüber dem originär Sozialleistungsberechtigten durchgeführten Verrechnung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen mit ihm obliegenden Geldleistungen nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt regeln."

23

Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu äußern.

24

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14.10.2008 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 6.1.2005 sowie die Bescheide der Beklagten vom 11. und 22.5.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2002, den Bescheid vom 31.1.2002, den Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002, die Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 hinsichtlich der aufgrund der Verrechnung einbehaltenen Beträge aufzuheben.

25
        

In der Revisionsverhandlung am 7.2.2012, in der der Kläger nicht mehr vertreten war, hat die Beklagte das folgende Anerkenntnis abgegeben:        

        

Die Beklagte hebt folgende Bescheide hinsichtlich der aufgrund Verrechnung einbehaltenen Beträge auf:
die Bescheide vom 11. und 22.5.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2002 sowie den Bescheid vom 31.1.2002.

26

Im Übrigen hat sie beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

27

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie sieht sich durch die Entscheidung des GrS in ihrer Rechtsauffassung zur Erklärung einer Verrechnung durch Verwaltungsakt bestätigt.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Revision des Klägers ist in dem im Urteilsausspruch genannten Umfang begründet.

29

Soweit die Beklagte die Bescheide vom 11. und 22.5.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2002 und den Bescheid vom 31.1.2002 hinsichtlich der aufgrund Verrechnung aus den Renten des Klägers wegen BU/EU einbehaltenen Beträge aufgehoben hat, war sie nach dem über § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbaren § 307 S 1 ZPO ihrem Anerkenntnis entsprechend - ohne weitere Sachprüfung - zu verurteilen(vgl BSG vom 12.7.1988 - SozR 6580 Art 5 Nr 4 S 10 f; BSG vom 24.07.2003 - B 4 RA 62/02 R - juris RdNr 18; Senatsurteil vom 6.5.2010 - SozR 4-1300 § 48 Nr 19 RdNr 21 mwN, stRspr).

30

Auch das Begehren des Klägers, die Bescheide der Beklagten vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 hinsichtlich der aufgrund Verrechnung für die Zeit ab 1.7.2003 aus seiner Altersrente einbehaltenen Beträge aufzuheben, hat Erfolg. Die genannten Bescheide erweisen sich insoweit als rechtswidrig. Richtige Klageart ist hier die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Alt 1 SGG). Denn mit der Aufhebung der angefochtenen Verrechnungs-Verwaltungsakte steht fest, dass die verrechneten Beträge auf Grund der Rentenbewilligung an den Kläger auszuzahlen sind.

31

Im Übrigen ist die Revision des Klägers unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.5.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 ist hinsichtlich des für den Zeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 aufgrund Verrechnung aus seiner Regelaltersrente jeweils einbehaltenen monatlichen Betrags iHv 34,76 Euro rechtmäßig.

32

1. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 in entsprechender Anwendung des § 96 Abs 1 SGG in seiner bis zum 31.3.2008 geltenden und hier insoweit noch maßgeblichen Fassung (aF) Gegenstand des Verfahrens geworden sind.

33

Dem steht nicht entgegen, dass diese nicht den mit der Klage (ursprünglich) angefochtenen Bescheid vom 10.5.2002 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002) abgeändert oder ersetzt hat, sondern andere Verrechnungszeiträume erfassen. Denn nach der bis zum 31.3.2008 geltenden Rechtslage hatte das BSG in ständiger Rechtsprechung eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG (aF) im Interesse einer sinnvollen Anwendung der Prozessökonomie bzw eines schnellen und zweckmäßigen Verfahrens dann zugelassen, wenn der ursprüngliche Bescheid zwar nicht abgeändert oder ersetzt wurde, der spätere Bescheid aber im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses erging und ein streitiges Rechtsverhältnis regelte, das im Kern dieselbe Rechtsfrage betraf und sich an den vom ursprünglichen Bescheid erfassten Zeitraum anschloss(vgl etwa BSG vom 17.11.2005 - SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 16 f mwN). Diese Voraussetzungen werden von den Verrechnungs-Folgebescheiden vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005 und 1.6.2007 erfüllt.

34

Ob auch der Bescheid vom 9.6.2008 in entsprechender Anwendung des § 96 Abs 1 SGG (aF) noch Gegenstand des Verfahrens geworden ist, kann dahingestellt bleiben. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Kläger eine Rechtsposition erworben hätte, die ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer Anwendung des § 96 SGG in seiner bis zum 31.3.2008 geltenden Fassung begründen könnte. Denn eine analoge Anwendung des § 96 SGG für nicht ändernde oder ersetzende Folgebescheide scheidet seit 1.4.2008 durch die mit Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (BGBl I 444) neu eingeführte Fassung aus (BSG vom 16.12.2009 - B 7 AL 146/09 B - RdNr 7 f).

35

Dies bedarf hier aber keiner näheren Erörterung. Die Nichtanwendbarkeit des § 96 Abs 1 SGG schließt es nämlich nicht aus, dass ein Folgebescheid im Wege einer (gewillkürten) Klageänderung nach § 99 Abs 1 iVm Abs 2 SGG zum Gegenstand des anhängigen Prozesses gemacht wird, wenn die übrigen Beteiligten - wie hier - nicht widersprochen und sich auf die Klageerweiterung, die auch im Berufungsverfahren noch möglich ist(vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 99 RdNr 12), eingelassen haben (vgl BSG vom 21.3.1978 - SozR 4600 § 143d Nr 3 S 9 f; BSG vom 7.2.1996 - SozR 3-2500 § 85 Nr 12 S 75 f; BSG vom 20.3.1996 - BSGE 78, 98, 103 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 38 f; Leitherer, aaO, § 96 RdNr 9b, 11e).

36

Allerdings hätte das LSG über die während des Berufungsverfahrens ergangenen und Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheide der Beklagten vom 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 nicht auf Berufung, sondern erstinstanzlich "auf Klage" entscheiden müssen (vgl BSG vom 30.1.1963 - BSGE 18, 231, 234 f = SozR Nr 17 zu § 96 SGG; BSG vom 27.1.1999 - SozR 3-2400 § 18b Nr 1 S 3; Senatsurteil vom 20.10.2010 - SozR 4-6480 Art 22 Nr 2 RdNr 23, stRspr).

37

2. Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger - hier die Beklagte - mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers - hier der Beigeladenen - dessen Ansprüche gegen den Berechtigten - also den Kläger - mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Gemäß § 51 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen - hier auf Rentenauszahlung - mit Ansprüchen (jeder Art) gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen und - wie hier - mit Beitragsansprüchen nach dem SGB kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig nach den Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird (bis 31.12.2004); ab 1.1.2005 kann der zuständige Leistungsträger entsprechend aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig nach den Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird (§ 51 Abs 2 SGB I in der jeweiligen Fassung).

38

3. Der Bescheid der Beklagten vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 sowie ihre Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 - jeweils über Verrechnungen mit der Regelaltersrente des Klägers - waren nicht deswegen rechtswidrig und aufzuheben, weil die Verrechnung nicht durch Verwaltungsakt hätte erfolgen dürfen. Vielmehr konnte die Beklagte die Verrechnung einseitig nur in dieser Handlungsform (und nicht durch sog öffentlich-rechtliche Willenserklärung) vornehmen (dazu unter a). Es bestand eine Verrechnungslage (dazu unter b). Die Beklagte war nicht gehindert, die Verrechnung mit Ansprüchen der Beigeladenen auf rückständige Beiträge auf unpfändbare Teile der Rentenzahlungsansprüche des Klägers zu erstrecken. Ebenso wenig stand der Verrechnung nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens die Vollstreckungsbeschränkung des § 18 Abs 2 S 3 GesO entgegen(dazu unter c). Die Beklagte hat bei der mit dem Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 durchgeführten Verrechnung das ihr gemäß § 52 iVm 51 Abs 2 SGB I zustehende Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt(§ 39 Abs 1 SGB I). Dies gilt jedoch nicht für die weiteren streitgegenständlichen Verrechnungs-Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008; diese erweisen sich vielmehr als ermessensfehlerhaft. Denn es fehlen Ausführungen, die eine ordnungsgemäße Ermessensbetätigung erkennen lassen (dazu unter d). Dahingestellt bleiben kann, ob die letztgenannten Bescheide auch deshalb rechtswidrig sind, weil die Beklagte vor ihrem Erlass den Kläger nicht angehört (§ 24 Abs 1 SGB X) und dies auch nicht bis zum Abschluss des LSG-Verfahrens nachgeholt hat (§ 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X; dazu unter e). Der Kläger ist durch die mit Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 für den Zeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 vorgenommene Verrechnung mit einem monatlichen Einbehalt iHv 34,76 Euro bei einem verbleibenden Rentenauszahlungsbetrag iHv 820 Euro nicht hilfebedürftig nach den hier noch maßgeblichen Bestimmungen des BSHG zur laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt geworden (dazu unter f).

39

a) Die Beklagte war berechtigt, auf die Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen vom 23.8.1995, in der Forderungshöhe aktualisiert mit Schreiben vom 9.5.2001, deren Beitrags- und Nebenforderungen iHv insgesamt 66 635,31 DM (= 34 070,09 Euro) mit Rentenansprüchen des Klägers durch Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) zu verrechnen (dazu unter aa). Die Verrechnungs-Verwaltungsakte waren auch inhaltlich hinreichend bestimmt iS des § 33 Abs 1 SGB X(dazu unter bb).

40

aa) Die Beklagte hat die Verrechnung zu Recht durch Verwaltungsakt geregelt (vgl BSG - GrS - vom 31.8.2011 - GS 2/10 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1200 § 52 Nr 4 vorgesehen - RdNr 15 ff).

41

(1) Nach § 31 S 1 SGB X ist ein "Verwaltungsakt … jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist". Die Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen liegt bei einem Verrechnungs-Bescheid darin, dass die durch sie erklärte Verrechnung eine unmittelbare Wirkung auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten (hier des Klägers) hat, diesen nämlich hinsichtlich der im Rentenbescheid festgelegten Art und Weise der Erfüllung (dh - wie in der Regel, vgl § 47 SGB I - durch Überweisung auf das dort benannte Konto des Empfängers bei einem Geldinstitut) modifiziert(vgl § 48 Abs 1 S 1 SGB X) und zum Erlöschen bringt, soweit die Verrechnung reicht und wirksam wird (Vorlagebeschluss des Senats vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R - RdNr 17; BSG - GrS - vom 31.8.2011 - aaO - RdNr 15). Das Tatbestandsmerkmal "auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" in § 31 S 1 SGB X ist erfüllt, weil § 52 SGB I eine spezifische Gestaltung von Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsempfängern und Sozialleistungsträgern durch mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Leistungsträger (wie die Beklagte) ermöglicht. Die Erklärung einer Verrechnung nach § 52 SGB I enthält schließlich eine hoheitliche Maßnahme, also eine einseitige behördliche Handlung, die nur dem Sozialleistungsträger, nicht aber ihrem Adressaten - dem Sozialleistungsempfänger - in dieser Form ihrer Art nach zusteht(vgl Vorlagebeschluss des Senats vom 25.2.2010 - aaO; BSG - GrS - vom 31.8.2011 - aaO). Im Übrigen ist - anders als im Zivilrecht - nach dem SGB I die Verrechnung (§ 52 SGB I) ebenso wie die Aufrechnung (§ 51 SGB I) nicht nur davon abhängig, dass sich der verrechnende (aufrechnende) Leistungsträger hierfür frei entscheidet und dies erklärt. Vielmehr ist ihre Ausübung an die Betätigung pflichtgemäßen Ermessens gebunden (§ 52 iVm § 51 Abs 1 Halbs 1, Abs 2 Halbs 1 SGB I: "kann") und zudem gemäß § 51 Abs 1 Halbs 2 SGB I an die Pfändbarkeit der Geldleistungen bzw gemäß § 51 Abs 2 SGB I an die Höhenbegrenzung (bis zur Hälfte der laufenden Geldleistungen) sowie das Nichteintreten von Hilfebedürftigkeit aufgrund der Verrechnung (Aufrechnung).

42

(2) Auch der Gesetzgeber sieht in der Durchführung einer Verrechnung nach § 52 SGB I einen Verwaltungsakt. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, die durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB vom 13.6.1994 (BGBl I 1229) mit Wirkung ab 18.6.1994 eingefügt wurde. Spätestens mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber klarstellend von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, die Verrechnung (Aufrechnung) für den Bereich des Sozialrechts der Handlungsform "Verwaltungsakt" zu unterstellen.

43

Nach § 24 Abs 1 SGB X ist (nur) vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zur Äußerung zu geben; dies gilt jedoch nach Abs 2 Nr 7 der Vorschrift nicht, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als (in der ursprünglichen Fassung: 100 DM, jetzt:) 70 Euro (aufgerechnet oder) verrechnet werden soll. Hieraus kann nur geschlossen werden, dass - unabhängig von der Höhe - die Verrechnung nach § 52 SGB I (ebenso wie die Aufrechnung nach § 51 SGB I) durch Verwaltungsakt zu erklären ist(vgl ferner die Entwurfsbegründung zu § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, BT-Drucks 12/5187 S 35 - Zu Art 6, Zu Nr 1, wonach "materielle Einwände gegen die Aufrechnung bzw Verrechnung … im Widerspruchsverfahren geltend gemacht werden" können). An den hierin zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers sind die Gerichte gemäß Art 20 Abs 3 GG selbst dann gebunden, wenn sie eine solche Zuordnung aufgrund rechtssystematischer Erwägungen für unzutreffend oder aus praktischen Überlegungen heraus für unerwünscht halten sollten (vgl Wolff/Brink in Bader/Ronellenfitsch, Komm zum VwVfG, 2010, § 35 RdNr 28 f; U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 35 RdNr 13 - beide unter Hinweis auf BVerwGE 70, 77, 82; zur Respektierung der gesetzgeberischen Grundentscheidung s auch BVerfGE 128, 193, 210).

44

Im Übrigen hat der Gesetzgeber erst jüngst in § 42a Abs 2 S 2 bzw § 43 Abs 4 S 1 SGB II(mit Wirkung ab 1.4.2011 idF von Art 2 Nr 32 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) ausdrücklich angeordnet, dass Aufrechnungen im Sozialleistungsbereich des SGB II "durch Verwaltungsakt zu erklären" sind. Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber damit für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine vom allgemeinen Sozialverwaltungsverfahrensrecht abweichende Sonderregelung hat treffen wollen, finden sich in den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren an keiner Stelle (vgl BT-Drucks 17/3404 S 117 - zu § 43, zu Abs 3; BT-Drucks 17/3958 S 19 - zu Art 2 Nr 32 <§ 42a Abs 2 S 2 SGB II>; BT-Drucks 17/4095 S 35 - zu Buchst n, zu Doppelbuchst cc <§ 42a Abs 2 SGB II>).

45

(3) Einer über die Bestimmung des § 52 SGB I hinausgehenden ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung für den Erlass eines Verwaltungsakts mit dem Inhalt der Verrechnung bedarf es nicht(s hierzu BSG - GrS - vom 31.8.2011 - aaO - RdNr 16 ff).

46

bb) Die Verrechnungs-Verwaltungsakte der Beklagten waren iS des § 33 Abs 1 SGB X "inhaltlich hinreichend bestimmt".

47

Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Mithin muss aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde regeln will. Insoweit kommt dem Verfügungssatz des Verwaltungsakts Klarstellungsfunktion zu. Unschädlich ist, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss ( BSG vom 6.2.2007 - SozR 4-2600 § 96a Nr 9 RdNr 38; BSG vom 17.12.2009 - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN, stRspr).

48

Nach diesen Maßstäben sind die angefochtenen Verrechnungs-Bescheide inhaltlich hinreichend bestimmt. Denn sie erklären die Verrechnung bestimmter, von der Beklagten dem Kläger geschuldeter Rentenleistungen mit einer - nach Art und Umfang - bestimmten, weil betragsmäßig im Widerspruchsbescheid vom 26.3.2002 genau bezifferten (Gesamt-)Forderung der Beigeladenen aus rückständigen Beiträgen zuzüglich Nebenforderungen (Säumniszuschläge, Mahngebühren, Kosten der Zwangsvollstreckung) iHv (insgesamt) 66 635,31 DM (= 34 070,09 Euro).

49

Aus den Verfügungssätzen der hier streitgegenständlichen Verwaltungsakte konnte der Kläger ohne weiteres den jeweiligen (monatlichen) Verrechnungsbetrag und den ihm aufgrund der Verrechnung mit den Forderungen der Beigeladenen noch verbleibenden (monatlichen) Rentenauszahlungsbetrag entnehmen. Damit war für ihn klar ersichtlich, dass und in welchem Umfang seine Rentenzahlungsansprüche gegen die Beklagte und damit korrespondierend die gegen ihn bestehenden Forderungen der Beigeladenen durch die Verrechnung jeweils erloschen waren (entsprechend § 389 BGB).

50

Unschädlich ist insoweit, dass der - aufgehobene - (Ausgangs-)Bescheid vom 11.5.2001 und der - ebenfalls aufgehobene - Widerspruchsbescheid vom 26.3.2002 in der Höhe der zur Verrechnung gestellten (Gesamt-)Forderung insoweit differieren, als der Bescheid von einer "offene(n) Forderung in Höhe von derzeit 66.635,31 DM zuzüglich weiterer Kosten wie Zinsen, Säumniszuschläge usw." spricht, während nach dem Widerspruchsbescheid - entsprechend der in der Forderungshöhe aktualisierten Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen - die genannte Summe neben den Beiträgen auch die "Säumniszuschläge und sonstige Nebenforderungen" erfasst. Denn ausschlaggebend ist der (mit der Klage angefochtene) "ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat" (§ 95 SGG).

51

Dass die weiteren streitgegenständlichen Verrechnungs-Bescheide die zur Verrechnung gestellte Forderung der Beigeladenen nicht mehr beziffern, steht ihrer hinreichenden Bestimmtheit iS des § 33 Abs 1 SGB X nicht entgegen, da sich deren Ausgangshöhe (für den Kläger klar erkennbar) aus dem Widerspruchsbescheid vom 26.3.2002 ergab und deshalb - auf Verlangen des Klägers jederzeit - auch "bestimmt" werden konnte, in welchem Umfang die Gesamtforderung der Beigeladenen iHv 66 635,31 DM durch die bis dahin erfolgte Verrechnung mit den Rentenzahlungsansprüchen des Klägers bereits erloschen war.

52

Für die hinreichende Bestimmtheit der angefochtenen Verrechnungs-Verwaltungsakte der Beklagten ist nicht notwendig, dass sie die zur Verrechnung gestellte(n) Forderung(en) der Beigeladenen im Einzelnen - nach Umfang, Entstehungszeitpunkt, Bezugszeitraum oder Fälligkeit - aufschlüsseln. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die bezifferte Gesamtsumme ohne Weiteres mit bestehenden, ihr Art nach benannten Einzelforderungen aufgefüllt werden kann. Insoweit ist ausreichend, dass die zur Verrechnung gestellten Forderungen des anderen Leistungsträgers bestimmbar sind. Denn eine Verrechnung kann - ebenso wie eine Aufrechnung - bei Bestehen mehrerer Forderungen (auch) erklärt werden, ohne (zunächst) im Einzelnen aufzeigen zu müssen, mit welcher (Einzel-)Forderung zuerst verrechnet werden soll (vgl BFH vom 3.11.1983 - BFHE 140, 10 f; BFH vom 6.2.1990 - BFHE 160, 108, 112; BFH vom 4.2.1997 - BFHE 182, 276, 278; alle zur Aufrechnung).

53

Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass dadurch die Rechtsverteidigung gegen Verrechnungs-Verwaltungsakte unzumutbar beeinträchtigt werde. Denn dem insoweit Beschwerten bleibt es unbenommen, im Vor- und Klageverfahren geltend zu machen, die zur Verrechnung gestellte (Gesamt-)Forderung des anderen Leistungsträgers bestehe nach Grund oder Höhe ganz oder teilweise nicht (bzw nicht mehr). Dann mag der verrechnende Leistungsträger darlegen und nachweisen, welche Forderungen ihm aufgrund der Ermächtigung des anderen Leistungsträgers zur Verrechnung zur Verfügung gestanden haben. Ist streitig, ob (und ggf welche) bzw in welchem Umfang Forderungen durch Verrechnung (bereits) erloschen sind, so ist die Konkretisierung (bzw Individualisierung) der Forderungen, mit denen die Verrechnung durch Verwaltungsakt erklärt wurde, unumgänglich. Denn nur auf diese Weise kann festgestellt werden, ob und inwieweit eine Verrechnungslage (entsprechend § 387 BGB)bestanden hat und wann bei mehreren Forderungen welche (ggf in entsprechender Anwendung des § 396 Abs 1 S 2 iVm § 366 Abs 2 BGB) durch Verrechnung - ganz oder teilweise - erloschen sind.

54

b) Vorliegend bestand ab 1.7.2002 objektiv eine Verrechnungslage (entsprechend § 387 BGB).

55

Eine solche ist gegeben, wenn der zur Verrechnung ermächtigende Leistungsträger die ihm gebührende Geldzahlung fordern und wenn der die Verrechnung erklärende Träger die ihm obliegende Geldzahlung bewirken kann. Die Forderung, mit der verrechnet wird (hier: Forderung der Beigeladenen gegen den Kläger), muss entstanden und fällig sein; die gleichartige Forderung, gegen die (durch Einbehaltung mittels Verwaltungsakts) verrechnet werden soll (hier: Zahlungsanspruch des Klägers aus der Regelaltersrente gegen die Beklagte), muss zwar nicht fällig, aber entstanden und erfüllbar sein (vgl BSG vom 5.9.2006 - BSGE 97, 63 = SozR 4-2500 § 255 Nr 1, RdNr 26).

56

Diese Voraussetzungen lagen hier ab dem oben genannten Zeitpunkt vor. Die von der Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen vom 23.8.1995 (aktualisiert mit Schreiben vom 9.5.2001) erfassten und gegen den Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung rückständiger Beiträge (und der Nebenforderungen) iHv insgesamt 66 635,31 DM waren entstanden und fällig; sie sind von der Beigeladenen gegenüber dem Kläger durch Verwaltungsakte bestandskräftig festgestellt worden (§ 77 SGG). Die Zahlungsansprüche des Klägers aus der ihm bindend mit Rentenbescheid vom 10.5.2002 zuerkannten Regelaltersrente waren am Ersten eines jeden Monats jeweils entstanden und erfüllbar (vgl § 272a Abs 1 SGB VI idF des 3. SGB VI-ÄndG vom 27.12.2003 ).

57

c) Die Beklagte war nicht gehindert, die Verrechnung mit Ansprüchen der Beigeladenen auf rückständige Beiträge auf unpfändbare Teile der Rentenzahlungsansprüche des Klägers zu erstrecken (dazu unter aa). Ebenso wenig stand der Verrechnung nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens die Vollstreckungsbeschränkung des § 18 Abs 2 S 3 GesO entgegen(dazu unter bb).

58

aa) Die Verrechnung mit den Beitragsforderungen der Beigeladenen war nicht deshalb rechtswidrig, weil die monatlichen Rentenzahlungsansprüche ab 1.1.2002 durchgängig unter der gemäß § 850c Abs 1 S 1 ZPO iVm § 54 Abs 4 SGB I für den Kläger maßgeblichen Pfändungsfreigrenze von monatlich 930 Euro (ab 1.7.2005: 985,15 Euro) lagen. Denn mit den Vorschriften der §§ 52, 51 Abs 2 SGB I hat der Gesetzgeber den Sozialleistungsträgern zur Durchsetzung ihrer Beitrags- und Erstattungsforderungen die Möglichkeit eröffnet, ohne Bindung an die Pfändungsfreigrenzen der ZPO auch mit dem unpfändbaren Teil einer laufenden Geldleistung bis zu deren Hälfte und bis zur Grenze der Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw ab 1.1.2005 im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II aufzurechnen bzw zu verrechnen.

59

Die Regelungen in §§ 52, 51 Abs 2 SGB I bezwecken eine Privilegierung der Sozialleistungsträger(vgl grundlegend BSG vom 19.1.1978 - BSGE 45, 271, 273 ff = SozR 1200 § 51 Nr 3 S 4 ff; BSG vom 11.10.1979 - SozR 1200 § 51 Nr 5 S 10 f; BSG vom 27.3.1996 - BSGE 78, 132, 135 f = SozR 3-1200 § 51 Nr 5 S 17 f), wenn dem Versicherten bestimmte "systemerhaltende" Gegenansprüche (Beitragsansprüche, Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen) des zuständigen oder eines anderen Leistungsträgers entgegengehalten werden können. Die oben genannten Grenzen (höchstens bis zur Hälfte der laufenden Geldleistung, kein Hervorrufen der Hilfebedürftigkeit nach dem BSHG) hat die Beklagte bei der Verrechnung der laufenden Zahlungsansprüche des Klägers auf Regelaltersrente mit den Beitragsansprüchen der Beigeladenen im hier (noch) maßgeblichen Zeitraum nicht überschritten (s dazu näher unter f).

60

bb) Nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens stand der Verrechnung die Vollstreckungsbeschränkung des § 18 Abs 2 S 3 GesO nicht entgegen.

61

Zwar mag die Möglichkeit eines Rentenversicherungsträgers, Beitrags- und Erstattungsforderungen eines anderen Leistungsträgers mit dem unpfändbaren Teil des Rentenzahlungsanspruchs nach Maßgabe des § 51 Abs 2 SGB I verrechnen zu können, zu Friktionen mit der in § 18 Abs 2 S 3 GesO geregelten (begrenzten) Restschuldbefreiung führen, wonach eine "Vollstreckung" hinsichtlich der "Altschulden" grundsätzlich nur stattfindet, "soweit der Schuldner über ein angemessenes Einkommen hinaus zu neuem Vermögen gelangt" ist.

62

Das LSG hat aber zu Recht einen Vollstreckungsschutz des Klägers nach § 18 Abs 2 S 3 GesO verneint.

63

Dies folgt bereits daraus, dass diese Vorschrift schon nach ihrem Wortlaut Schutz nur gegen konkrete Maßnahmen der "Vollstreckung" bietet (LSG Berlin-Brandenburg vom 4.10.2007 - L 8 B 1205/07 ER - juris RdNr 28; Brandenburgisches OLG vom 20.5.1998 - 13 U 35/97 - juris RdNr 15; OLG Celle vom 12.5.2000 - 4 W 85/00 - juris RdNr 19; Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 4. Aufl 1998, § 18 RdNr 53). Auch nach Art 108 Abs 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (InsO) ist die "Vollstreckungsbeschränkung" des § 18 Abs 2 S 3 GesO nach dem 31.12.1998 nur bei einer "Zwangsvollstreckung" gegen einen Schuldner, über dessen Vermögen ein Gesamtvollstreckungsverfahren durchgeführt worden ist, zu beachten. Die Verrechnung ist aber - ebenso wie die Aufrechnung - keine Maßnahme der "Vollstreckung" iS der Vorschriften der ZPO oder anderer Verfahrensgesetze über die Zwangsvollstreckung (vgl BGH vom 26.5.1971 - NJW 1971, 1563; BVerwG vom 13.10.1971 - DÖV 1972, 573, 574; BFH vom 3.11.1983 - BFHE 140, 9 f; LSG Berlin-Brandenburg vom 4.10.2007 - L 8 B 1205/07 ER - juris RdNr 22, 28; FG Düsseldorf vom 10.11.2004 - 18 K 321/04 AO - juris RdNr 21; Martini in juris PR-InsR 19/2009 vom 24.9.2009, Anm 1 unter C).

64

Zwar ist die Verrechnung - ebenso wie die Aufrechnung - ein der Zwangsvollstreckung ähnlicher, außergerichtlicher Zugriff auf die Gegenforderung, eine Forderungsdurchsetzung im Wege der Selbsthilfe (vgl BGH vom 26.5.1971, aaO; BGH vom 13.6.1995 - BGHZ 130, 76, 80 mwN). Mit der Vorschrift des § 51 Abs 2 SGB I hat der Gesetzgeber jedoch - wie oben aufgezeigt - die Sozialleistungsträger bei der Durchsetzung von Beitrags- und Erstattungsforderungen im Wege der Aufrechnung bzw Verrechnung gegenüber anderen Gläubigern privilegiert, denen (bereits) durch die Unpfändbarkeit die Möglichkeit versperrt ist, ihre Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Dass das (beschränkte) Restschuldbefreiungsverfahren des § 18 Abs 2 S 3 GesO darauf abzielt, dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neubeginn zu ermöglichen (OLG Celle vom 12.5.2000 - 4 W 85/00 - juris RdNr 19; Hess/Binz/Wienberg, GesO, 4. Aufl 1998, § 18 RdNr 105),steht der sich aus § 51 Abs 2 SGB I ergebenden Aufrechnungs- bzw Verrechnungsbefugnis nicht entgegen. Denn anderenfalls wäre den Sozialleistungsträgern im Falle einer Privatinsolvenz des Versicherten bzw Schuldners (sogar) nach Abschluss des Gesamtvollstreckungsverfahrens stets die Möglichkeit versperrt, den unpfändbaren Teil der Ansprüche auf laufende Rentenleistungen mit Beitrags- und Erstattungsforderungen aufrechnen bzw verrechnen zu können, obwohl diese unterhalb der Pfändungsfreigrenzen liegenden Rentenzahlungen zuvor nicht zur Gesamtvollstreckungsmasse (vgl § 1 Abs 1 S 2 GesO) gehörten und somit während des Gesamtvollstreckungsverfahrens grundsätzlich gemäß §§ 52, 51 Abs 2 SGB I bis zur Grenze der Sozialhilfebedürftigkeit aufgerechnet bzw verrechnet werden konnten. Dann aber würde es einen Wertungswiderspruch bedeuten, wenn nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens in der Restschuldbefreiungsphase das Postulat einer - zuvor nicht bestehenden - Gläubigergleichbehandlung ein Verrechnungsverbot bedingen sollte (vgl LSG Berlin-Brandenburg vom 27.7.2009 - L 33 R 204/09 B ER, L 33 R L 33 R 207/09 B PKH - juris RdNr 26; SG Dortmund vom 21.2.2008 - S 26 R 320/06 - juris RdNr 41, beide zur Zulässigkeit der Verrechnung bzw Aufrechnung während der Restschuldbefreiungsphase nach der InsO). Auch wären die Grenzen zwischen einer Aufrechnung bzw Verrechnung mit Erstattungs- oder Beitragsforderungen nach § 51 Abs 2 SGB I(iVm § 52 SGB I) und einer solchen mit sonstigen Geldforderungen nach § 51 Abs 1 SGB I(iVm § 52 SGB I) verwischt und das damit verbundene Privileg des mit Beitrags- oder Erstattungsansprüchen aufrechnenden bzw verrechnenden Sozialleistungsträgers in der Privatinsolvenz (faktisch) aufgehoben.

65

d) Die einseitig durch Verwaltungsakt geregelte Verrechnung steht - ebenso wie die Aufrechnung - im pflichtgemäßen Ermessen des sie durchführenden Leistungsträgers; insoweit handelt es sich bei dem "Kann" in § 52 Halbs 1 und § 51 Abs 1 Halbs 1, Abs 2 Halbs 1 SGB I um ein sog "Ermessens-Kann"(vgl Vorlagebeschluss des Senats vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R - RdNr 18; vgl bereits BSG vom 16.9.1981 - BSGE 52, 98, 102 = SozR 1200 § 51 Nr 11 S 27; BSG vom 11.10.1979 - SozR 1200 § 51 Nr 5 S 11; BSG vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 23 = SozR 1200 § 54 Nr 13 S 39; LSG Berlin-Brandenburg vom 4.6.2009 - L 17 R 48/09 - juris RdNr 52; LSG Baden-Württemberg vom 2.7.2009 - L 10 R 2467/08 - juris RdNr 19; ebenso Seewald in Kasseler Komm, SGB I, § 51 RdNr 13a, Stand Einzelkommentierung Oktober 2010; Pflüger in juris PK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 51 RdNr 64-67, Stand Einzelkommentierung Januar 2012 mwN - unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 51 SGB I in BT-Drucks 7/868, S 32: "Der Leistungsträger hat bei der Ausübung seines Ermessens, ob und in welchem Umfang er aufrechnet, auch den Zweck der einzelnen Sozialleistung zu berücksichtigen; …").

66

Mit der Einräumung "echten Ermessens" steht dem die Verrechnung durch Verwaltungsakt regelnden Leistungsträger eine breite Handlungsmöglichkeit hinsichtlich des Ob und des Umfangs einer Verrechnung zur Verfügung, um so die Besonderheiten des Einzelfalls und insbesondere die wirtschaftliche Situation des Leistungsempfängers angemessen berücksichtigen zu können. Dabei ist das Verrechnungsermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs 1 S 1 SGB I). Damit korrespondierend hat der Leistungsempfänger einen Anspruch auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I). In diesem (eingeschränkten) Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung der richterlichen Kontrolle, insbesondere auf Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch (vgl § 54 Abs 2 S 2 SGG).

67

Die Anforderungen an eine Ermessensentscheidung sind für die mit Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 durchgeführte Verrechnung (noch) zu bejahen (dazu unter aa), nicht hingegen für die in den Bescheiden vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 getroffenen Verrechnungs-Entscheidungen (dazu unter bb). Die Beklagte durfte in diesen Bescheiden auch nicht ausnahmsweise auf eine Begründung verzichten (dazu unter cc).

68

aa) Nach der Begründung im Widerspruchsbescheid (vgl § 95 SGG) hat die Beklagte erkannt, dass ihr im Rahmen der nach § 52 SGB I zu treffenden Verrechnungs-Entscheidung Ermessen zusteht und sie nicht verpflichtet ist, den für die Verrechnung mit den Beitragsforderungen der Beigeladenen nach § 51 Abs 2 SGB I gesetzten Rahmen der Höhe nach in jedem Fall auszuschöpfen(vgl in diesem Sinne bereits BSG vom 11.10.1979 - SozR 1200 § 51 Nr 5 S 11). Zwar hat sie die Beitragsforderungen der Beigeladenen mit unpfändbaren Rentenzahlungsansprüchen des Klägers verrechnet; sie hat sich jedoch bei der Festsetzung der monatlichen Verrechnungsbeträge ausdrücklich an der besonderen - für den Kläger eigentlich nicht einschlägigen - Einkommensgrenze des § 81 Abs 1 BSHG orientiert. Dem Kläger verblieb in dem hier maßgeblichen Verrechnungszeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 damit deutlich mehr als die zulässige Grenze der laufenden Sozialhilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (s hierzu unter f). Im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen hat die Beklagte dem öffentlichen Interesse an der Begleichung der Beitragsschulden und damit der Funktionsfähigkeit der im Wesentlichen beitragsfinanzierten Sozialversicherungssysteme nur insoweit den Vorrang vor dem privaten Interesse des Klägers an der ungeschmälerten Auszahlung seiner Altersrente gegeben. Eine über die ohnehin von Gesetzes wegen zu beachtende Sozialhilfebedürftigkeitsgrenze hinausgehende außergewöhnliche soziale oder finanzielle Situation hatte der Kläger nicht vorgetragen; sie ist auch nicht ersichtlich.

69

bb) Demgegenüber sind in den Bescheiden vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 keinerlei Ermessenserwägungen der Beklagten zu den dort von ihr geregelten Verrechnungen enthalten.

70

Die Ausführungen in den Bescheiden geben keine Hinweise darauf, dass die Beklagte überhaupt erkannt hat, dass es sich auch bei den dortigen (Folge-)Verrechnungen um Ermessensentscheidungen handelt; sie hat jedenfalls keine entsprechenden Begründungen (mehr) gegeben, obwohl sie zB im Bescheid vom 15.5.2003 den ab 1.7.2003 einbehaltenen Verrechnungsbetrag von zuvor monatlich 34,76 Euro auf monatlich 54,91 Euro und damit um 20,15 Euro (ca 58 %) erhöht sowie den Rentenauszahlungsbetrag von zuvor monatlich 820 Euro auf monatlich 810 Euro reduziert hat. Der pauschale Hinweis der Beklagten, dass für die Ermittlung des verrechenbaren Betrags die auf volle Euro aufgerundeten Werte aus dem BSHG zugrunde gelegt worden seien, dieser Wert nicht dynamisiert werde und gegenwärtig 810 Euro betrage, reicht nicht aus. Entsprechendes gilt für die Hinweise zu den Verrechnungen in den Bescheiden vom 15.10.2004 und 9.6.2008 im Hinblick auf die Senkung des Beitragssatzes (zur Krankenversicherung) bzw die Rentenanpassung.

71

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Beklagte bei Erlass der Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 überhaupt kein Ermessen (mehr) ausgeübt hat oder ihr betätigtes Ermessen in diesen Bescheiden lediglich nicht begründet hat. Denn in beiden Fällen treten dieselben Rechtsfolgen der Anfechtung ein; die Bescheide sind im Hinblick auf die Ermessensausübung nicht hinreichend begründet iS des § 35 Abs 1 S 3 SGB X(vgl BSG vom 18.4.2000 - SozR 3-2700 § 76 Nr 2 S 5).

72

cc) Die Voraussetzungen des § 35 Abs 2 SGB X, bei deren Vorliegen ausnahmsweise auf eine (gesonderte) Begründung verzichtet werden kann, liegen hier nicht vor. Danach bedarf es keiner Begründung - außer in anderen, vorliegend von vornherein nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen -, soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar war (Nr 2 aaO).

73

Dem Kläger mag zwar durch den Hinweis im Bescheid vom 11.5.2001 zur Verrechnung mit den Zahlungsansprüchen aus seiner Rente wegen EU bekannt gewesen sein, dass der mit der Rente zu verrechnende Betrag bei jeder Änderung der Rentenhöhe (zB durch Rentenanpassungen, Neufeststellungen) von der Beklagten "neu ermittelt" werde. Unabhängig davon, dass bezüglich der Erkennbarkeit (… "ohne weiteres erkennbar" …) iS des § 35 Abs 2 Nr 2 SGB X ein strenger Maßstab(vgl Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 35 RdNr 12; Waschull in LPK, SGB X, 3. Aufl 2011, § 35 RdNr 12) anzulegen ist, ergibt sich jedenfalls allein aus einer solchen pauschalen Mitteilung nicht, welche konkreten Umstände die Beklagte im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens dazu bewogen haben, gerade mit dem jeweils konkret einbehaltenen ("abgetrennten") Betrag zu verrechnen.

74

Aus dem Widerspruchsbescheid vom 10.10.2002 lässt sich nicht entnehmen, dass - und ggf in welchem Umfang - die dortigen Ermessenserwägungen - etwa im Sinne einer "vorweggenommenen Ermessensausübung" - auf von ihm nicht erfasste Verrechnungszeiträume "fortwirken" sollen; umgekehrt nehmen die nachfolgenden Verrechnungs-Bescheide auch nicht auf die dortigen Ausführungen zum Ermessen (ergänzend) Bezug. Unabhängig davon haben sich diese Bescheide auch nicht innerhalb der Verrechnungs-Entscheidungen im Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 (Verrechnung monatlich 34,76 Euro; Auszahlungsbetrag 820 Euro) gehalten, sondern sind zu Ungunsten des Klägers davon abgewichen.

75

e) Angesichts dessen kann offen bleiben, ob die Verrechnungs-Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 sämtlich oder zum Teil auch deshalb rechtswidrig waren, weil die Beklagte vor deren Erlass den Kläger nicht angehört (§ 24 Abs 1 SGB X) und dies auch nicht bis zum Abschluss des LSG-Verfahrens nachgeholt hat (§ 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X).

76

Nach § 24 Abs 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

77

aa) Trotz unterbliebener Anhörung des Klägers vor Erlass des Bescheids vom 10.5.2002 war jedenfalls dieser hinsichtlich der dort geregelten Verrechnung nicht rechtswidrig. Denn dieser Verfahrensfehler ist hier gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Der Kläger hat sich mit seinem Widerspruch zu den für die Verrechnungs-Entscheidung der Beklagten in diesem Bescheid maßgeblichen Tatsachen geäußert. Aus dem Widerspruchsbescheid vom 10.10.2002 wird zudem deutlich, dass die Beklagte die von dem Kläger vorgebrachten Einwände gegen die Verrechnung zur Kenntnis genommen und bei ihrer (ablehnenden) Entscheidung in Erwägung gezogen, wenn auch nicht für durchschlagend erachtet hat.

78

bb) Demgegenüber hat die Beklagte den Kläger hinsichtlich ihrer Verrechnungs-Entscheidungen in den Bescheiden vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 weder angehört noch dies mit heilender Wirkung nachgeholt. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob von einer Anhörung zur Verrechnung in Rentenanpassungsbescheiden dann abgesehen werden kann, wenn sich der monatliche Auszahlungsbetrag nicht vermindert. Denn bereits mit Bescheid vom 15.5.2003 wurde ein niedrigerer Betrag (810 Euro) festgesetzt als zuvor mit Bescheid vom 10.5.2002 (820 Euro).

79

f) Der Kläger ist durch die mit Bescheid vom 10.5.2002 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002) für den Zeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 verfahrensfehlerfrei (s oben bei d aa und e aa) geregelte Verrechnung mit einem monatlichen Einbehalt iHv 34,76 Euro bei einem ihm noch verbleibenden monatlichen Rentenauszahlungsbetrag iHv 820 Euro nicht hilfebedürftig im Sinne der hier noch maßgeblichen Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt geworden (vgl hierzu BSG vom 15.12.1992 - SozR 3-1200 § 51 Nr 3 S 6).

80

Bei der Prüfung der Sozialhilfebedürftigkeit als Zulässigkeitsgrenze für die Verrechnung nach § 52 iVm § 51 Abs 2 SGB I mit Beitragsforderungen der Beigeladenen ist zunächst festzustellen, welcher Bedarf dem Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum (1.7.2002 bis zum 30.6.2003) gemäß der Hilfe zum Lebensunterhalt nach Maßgabe des BSHG zusteht.

81

Der Umfang der Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt war in den §§ 11 ff BSHG geregelt. Nach § 22 Abs 2 BSHG iVm § 2 Abs 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (Regelsatzverordnung) stand dem im Freistaat Sachsen lebenden Kläger(nach der Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales zur Anhebung der Regelsätze und der Grundbeträge nach dem BSHG sowie zur Höhe der Blindenhilfe vom 31.5.2002, Sächsisches Amtsblatt 2002, 707) ab 1.7.2002 als Haushaltsvorstand ein monatlicher Regelsatz iHv 279 Euro zu. Zudem hatte der Kläger wegen Vollendung des 65. Lebensjahres und des Merkzeichens "G" gemäß § 23 Abs 1 Nr 1 BSHG Anspruch auf einen Mehrbedarf iHv monatlich 55,80 Euro. Zum notwendigen Lebensunterhalt zählen ferner die laufenden Kosten für die Unterkunft (vgl § 12 Abs 1 BSHG, § 3 Regelsatzverordnung). Diese betrugen nach den Feststellungen des LSG für die Mietwohnung des Klägers und seiner Ehefrau im hier maßgeblichen Zeitraum ab 1.10.2002 monatlich 263,77 Euro (zuvor monatlich 257,22 Euro). Für die mit dem Kläger zusammenlebende Ehefrau war als Haushaltsangehörige nach § 2 Abs 3 Nr 4 der Regelsatzverordnung iVm der Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales vom 31.5.2002 (aaO) im Freistaat Sachsen ab 1.7.2002 ein monatlicher Bedarf iHv 223,00 Euro anzusetzen.

82

Dem danach berücksichtigungsfähigen monatlichen Bedarf iHv 821,57 Euro ist gemäß § 11 Abs 1 S 2 Halbs 1 BSHG das monatliche Einkommen und das Vermögen des Klägers und seiner Ehefrau gegenüberzustellen. Nach § 76 Abs 1 BSHG gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem BSHG, der Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz und der Rente oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden am Leben sowie an Körper und Gesundheit gewährt werden. Der Kläger verfügte im hier maßgeblichen Zeitraum über eine monatliche Nettoaltersrente iHv 820 Euro. Die Ehefrau des Klägers erhielt nach den Feststellungen des LSG eine Rente wegen EU iHv monatlich 646,83 Euro (= 1 265,08 DM). Danach verfügten der Kläger und seine Ehefrau über ein Monatseinkommen iHv 1 466,83 Euro. Dieser Betrag überstieg den berücksichtigungsfähigen monatlichen Bedarf iHv 821,57 Euro deutlich, und zwar um 645,26 Euro.

83

Anhaltspunkte für einen konkret zu beziffernden weiteren Bedarf des Klägers oder seiner Ehefrau nach §§ 11 ff BSHG oder vom vorgenannten anzurechnenden Einkommen gemäß § 76 Abs 2 BSHG abzugsfähige Belastungen (oder für anrechenbares Vermögen des Klägers oder seiner Ehefrau) ergeben sich für den Senat aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht; da gegen diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vom Kläger vorgebracht worden sind, sind sie für den Senat bindend (§ 163 SGG).

84

Damit erweist sich der Verrechnungs-Bescheid der Beklagten vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 (§ 95 SGG) auch insoweit als rechtmäßig.

85

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen.

(2) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung

1.
eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird,
2.
eines nach § 10a oder Abschnitt XI des Einkommensteuergesetzes geförderten Altersvorsorgevermögens im Sinne des § 92 des Einkommensteuergesetzes; dies gilt auch für das in der Auszahlungsphase insgesamt zur Verfügung stehende Kapital, soweit die Auszahlung als monatliche oder als sonstige regelmäßige Leistung im Sinne von § 82 Absatz 5 Satz 3 erfolgt; für diese Auszahlungen ist § 82 Absatz 4 und 5 anzuwenden,
3.
eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken von Menschen mit einer wesentlichen Behinderung oder einer drohenden wesentlichen Behinderung (§ 99 Absatz 1 und 2 des Neunten Buches) oder von blinden Menschen (§ 72) oder pflegebedürftigen Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde,
4.
eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
5.
von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind,
6.
von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde,
7.
von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist,
8.
eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes,
9.
kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
10.
eines angemessenen Kraftfahrzeuges.

(3) Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Heimpflegekosten zu gewähren, ohne bei deren Berechnung den Bestattungsvorvertrag der Klägerin mit der Firma D. Bestattungen in H. als Vermögen mit einzubeziehen.

2

Die am 23. Mai 1923 geborene Klägerin befand sich im Sommer 2004 wegen eines beginnenden Demenzprozesses und eines depressiven Syndroms in stationärer Krankenhausbehandlung. Seit dem 2. September 2004 lebt die Klägerin in einem Alten- und Pflegeheim und wird dort vollstationär betreut. Die Klägerin bezieht seit April 2004 eine Altersrente in Höhe von 125,56 EUR, Unterhaltshilfe in Höhe von 387,00 EUR sowie ab Aufnahme in das Heim Pflegewohngeld in Höhe von 466,95 EUR.

3

Am 31. August 2004 beantragte die Klägerin erstmals bei dem Beklagten die Übernahme der ihr durch die Heimaufnahme entstehenden Kosten. Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass die Klägerin über ein Vermögen in Höhe von 820,80 EUR auf ihrem Girokonto verfügte. Außerdem legte die Klägerin einen Bestattungsvorvertrag mit dem Bestattungsunternehmen D. in H. vor, den sie am 24. September 1997 abgeschlossen und mit dem sie das Unternehmen beauftragt hatte, ihre Beerdigung unter Zugrundelegung einer in der Anlage zu diesem Vertrag enthaltenen Leistungsbeschreibung gegen ein Entgelt von voraussichtlich 9.019,00 DM durchzuführen. Darin wurde Folgendes festgelegt: Eichensarg/Natur-Antik, Ausstattung und Sarg, Damentalar, Steppdecke und Kissen, Pflege, Einkleiden und Einbetten, Aufbahrung im Hause D., Aufbahrung zur Trauerfeier, Organisation und Leitung, Eigenbemühungen mit den Ämtern usw., Überführung vom Sterbeort zur Einstell-Kapelle D., Überführung zur Trauerfeier, Träger bei den Überführungen, Träger zur Beisetzung, Blumendekoration auf dem Sarg, Anzeige in den „H.er Nachrichten“, Telefongebühren, ärztliche Bescheinigung, Sterbeurkunden, Grabpflegelegat. Unter Ziff. III hieß es: Eine Verpflichtung des Bestattungsinstituts „zur Bestattung ist aufgrund dieses Vertrages nur dann gegeben, wenn der vereinbarte Preis, unter Berücksichtigung der Ziffern II. bis IV., zum Zeitpunkt des Beginns der Ausführung der Bestattung voll gedeckt ist. a) Durch Barzahlung, welche mit einem besonderen Sperrvermerk, z. B. Auflösung des Kontos nur in Verbindung mit der Sterbeurkunde des Kontoinhabers durch das B.J.“ (Beerdigungsinstitut). „Die Zinsen werden dem Konto gutgeschrieben und bei Durchführung des Auftrages verrechnet.“ Unter Ziff. VII war als besondere Vereinbarung eine anonyme Erdbestattung auf dem Südfriedhof getroffen worden. Nach einer vom 13. November 1995 stammenden „Bestätigung“ hatte das Bestattungsinstitut den Erhalt von 9.000,00 DM für die Bestattung der Klägerin einschließlich Grabstein und Grabpflege mit Frühjahrsbepflanzung, Sommerbepflanzung und Wintereindeckung quittiert. Der Erhalt des Geldes wurde nachträglich nochmals am 24. September 1997 zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bestattungsvorvertrages bestätigt.

4

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2004 lehnte der Beklagte die Übernahme der nicht durch ihr eigenes Einkommen und Vermögen gedeckten Heimpflegekosten im DRK-Heim H. ab Heimaufnahme ab. Der Beklagte stützte sich auf § 2 i.V.m. § 68 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und wies darauf hin, dass gemäß § 2 BSHG Sozialhilfe grundsätzlich nachrangig zu gewähren sei, so dass die Klägerin zunächst ihr eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen habe. Weiter hieß es, dass nach den vorliegenden Unterlagen die Klägerin über Sparguthaben in Höhe von insgesamt 5.422,43 EUR (Girokonto 820,80 EUR ohne Renteneingänge für September; Bestattungsvorsorge beim Bestattungshaus D. 4.601,63 EUR entsprechend 9.000,00 DM) verfüge. Dieses Guthaben gehöre zum Vermögen im Sinne von § 88 BSHG und sei von der Klägerin zur Deckung ihres Lebensunterhalts einzusetzen. Denn der nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG kleinere Barbetrag, von dem die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden dürfe, betrage z. Zt. 2.301,00 EUR, so dass das darüber liegende Vermögen in Höhe von 3.121,43 EUR zur Deckung der Heimpflegekosten einzusetzen sei. Neben dem einzusetzenden Vermögen verfüge die Klägerin noch über monatliches Einkommen, welches ebenfalls von ihr zur Deckung der Heimpflegekosten einzusetzen sei.

5

Am 11. Januar 2005 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten erneut die Übernahme von Heimpflegekosten. Mit Bescheid vom 12. Januar 2005 lehnte der Beklagte auch diesen Antrag ab, weil die Klägerin über Vermögenswerte in Höhe von insgesamt 4.927,14 EUR (Girokonto 325,80 EUR, Bestattungsvorsorgevertrag 4.611,34 EUR) verfüge. Auch unter Berücksichtigung des nach § 90 Abs. 2 Ziff. 9 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII) nicht zu berücksichtigenden kleineren Barbetrags von z. Zt. 2.600,00 EUR verfüge sie über ein Vermögen von 2.337,14 EUR, welches sie vorrangig einzusetzen habe. Hiergegen legte die Klägerin am 24. Januar 2005 Widerspruch ein. Nach ihrer Auffassung sei der Bestattungsvorvertrag nicht mit in die Berechnung einzubeziehen. Sie stützte sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2003 (Az.: 5 C 84/02).

6

Am 22. Februar 2005 beantragte die Klägerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, die Beklagte vorläufig zu verpflichten, ihr Sozialhilfeleistungen zu gewähren ohne Einbeziehung des Bestattungsvorvertrages als Vermögen. Zur Begründung führte sie weiter aus, dass durch den Bestattungsvorvertrag keine überteuerte Bestattung abgesichert werden solle. Außerdem stünde ihr der Bestattungsvorvertrag geldmäßig nicht zur Verfügung. Die Klägerin verwies erneut auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 5 C 84/02 - (NJW 2004, S. 2914 ff.). Im Übrigen sei eine Bestattung entgegen der Auffassung des Beklagten nicht für 2.600,00 EUR durchzuführen, da nicht nur Eigenleistungen des Bestattungsunternehmens, sondern auch Fremdleistungen durchgeführt werden müssten. Nach der Verwaltungspraxis der Stadt Hannover seien Vorsorgeaufwendungen sogar bis zu einer Höhe von 5.200,00 EUR neben dem Vermögensfreibetrag anrechnungsfrei. Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Klägerin den Vorsorgevertrag zivilrechtlich rückabwickeln könne. Die Verwertung stelle auch keine Härte dar. Der der bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt sei mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar. Im Übrigen sehe das Sozialhilferecht eine Übernahme von Bestattungskosten bei Mittellosen vor.

7

Mit Beschluss vom 7. März 2005 entsprach das Sozialgericht Schleswig dem Antrag der Klägerin. Zur Begründung des Anordnungsgrundes führte das Sozialgericht im Wesentlichen aus, dass der Einsatz des Vermögens nicht nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII verlangt werden könne, da dies für die Klägerin eine Härte darstellen würde.

8

Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Beschwerde trug der Beklagte vor, dass aus einer möglichen Rückabwicklung des Bestattungsvorvertrages die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit der Klägerin nicht über Gebühr eingeschränkt würde. Die Hinzurechnung der Kosten für die Bestattung sei vom gesetzlich eingeräumten Bewegungsspielraum nicht mehr gedeckt und auch der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu entnehmen. Vorliegend seien auch keine vom Bundesverwaltungsgericht geforderten atypischen Umstände gegeben, die eine Härte begründen könnten. Dass die Grabpflegevorsorge in jedem Fall von der Verwertung verschont werden müsse, sei gerade nicht entschieden worden. Zudem sei vorliegend auch nicht eine angemessene Bestattungsvorsorge getroffen worden. Die vereinbarten Kosten wären gegenüber den Höchstbeträgen, wie sie von ihm - dem Beklagten - für Bestattungskosten nach § 15 BSHG anerkannt würden, etwa doppelt so hoch. Da die Bestattung in einem anonymen Grab erfolgen solle, fielen auch keine Grabpflegekosten an. Die Klägerin machte geltend, dass die Sozialbestattung nach § 15 BSHG qualitativ unter dem normalen Bestattungsaufwand liege und deshalb kein geeigneter Maßstab sei. Aus der eingereichten Kostenzusammenstellung der Firma D. sowie der Friedhofsverwaltung jeweils vom 19. April 2005 ergebe sich die Angemessenheit der Aufwendungen. Da sie in H. keine Verwandtschaft habe, die sich um die Grabpflege kümmern könnte, habe sie hierfür selbst Vorsorge getroffen. Sie habe die einfachste Grablage gewählt, zudem solle nur ein Drittel der Fläche bepflanzt werden. Hierfür würden Kosten von 2.560,00 EUR anzusetzen sein.

9

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2005 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin das über dem Schonbetrag liegende Vermögen in Höhe von 2.337,14 EUR zur Deckung der Heimpflegekosten einzusetzen habe. Aus den bereits im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen könne kein sog. Härtefall angenommen werden.

10

Mit Beschluss vom 15. Juli 2005 hat der Senat die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig zurückgewiesen (L 9 B 76/05 SO ER). Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2005 (1 BvR 569/05) sei bei der Beurteilung des Anordnungsanspruchs maßgeblich auf die Abwägung der Folgen der Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes für die Antragstellerin auf der einen Seite und die Folgen seiner Gewährung für den Antragsgegner auf der anderen Seite abzustellen. Dies führe hier zu dem Ergebnis, dass keine durchgreifenden Argumente dafür vorhanden wären, die vom Sozialgericht erlassene einstweilige Anordnung aufzuheben.

11

Gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2005 hat die Klägerin am 3. Juni 2005 vor dem Sozialgericht Schleswig Klage erhoben und im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren wie auch im einstweiligen Anordnungsverfahren verwiesen.

12

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21. Oktober 2005 den Beklagten verpflichtet, der Klägerin Heimpflegekosten unter Außerachtlassung des abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrages zu gewähren.

13

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt:

14

„Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Heimpflegekosten unter Außerachtlassung des abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrages. Der angefochtene Bescheid vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. Mai 2005 verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist daher antragsgemäß aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab Antragstellung Heimpflege unter Außerachtlassung des abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrages zu gewähren.

15

Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 09. Mai 2005 die Voraussetzungen eines Anspruches auf Gewährung von Hilfe zur Pflege nach § 61 SGB XII dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf verwiesen. Die Klägerin gehört zum Personenkreis nach § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Sie ist in die Pflegestufe I eingestuft und wird in einer voll stationären Pflegeeinrichtung (Pflegeheim) versorgt. Sie erhält damit Leistungen, die als Hilfe zur Pflege in Form der stationären Pflege vom Leistungskatalog des § 61 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erfasst werden. Diese Voraussetzungen sind zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig, dass die Rente der Klägerin, die Unterhaltshilfe sowie das der Klägerin ab September 2004 bewilligte Pflegewohngeld nach § 6 Abs. 4 Landespflegegeldgesetz zusammen nicht ausreichen, um den Eigenanteil der Klägerin den Heimpflegekosten (1.401,78 Euro) zu decken; nicht gedeckt ist ein Betrag von 423,27 Euro pro Monat.

16

Entsprechend dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem u. a. durch den Einsatz seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen erhält. Gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte Vermögen einzusetzen. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Klägerin über keine weiteren Vermögenswerte verfügt, als den zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellten Girokontostand von 325,80 Euro sowie den Ansprüchen aus dem Bestattungsvorvertrag gegenüber der Firma D. Bestattungen, die als Leistung die Durchführung für die dereinstige Bestattung sowie eines Grabpflegelegats zu dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im September 1997 in Höhe von 9.019,00 DM (= 4.611,34 Euro) schuldet. Im Katalog des § 90 Abs. 2 SGB XII sind die zur Bestattungsvorsorge zweckgerichteten Vermögensansammlungen nicht erwähnt. Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz und von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte, wobei eine besondere Notlage der Nachfrage in Person zu berücksichtigen ist. Dieser kleinere Betrag beträgt zur Zeit 2.600,00 Euro (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 b der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII vom 11. Februar 1988 in der zuletzt geänderten Fassung vom 27.12.2003 [BGBL I Seite 3022]). Da der Klägerin ein entsprechender Barbetrag in dieser Höhe nicht zur Verfügung steht, stellt sich die Frage, ob die Klägerin vor Inanspruchnahme des Beklagten - da eine Verwertung des Bestattungsvorsorgevertrages wegen der individuell geschuldeten vertraglichen Leistungen durch das Bestattungsunternehmen nicht in Betracht kommen dürfte - verpflichtet wäre, den Bestattungsvertrag zu kündigen und die hieraus frei werdenden Mittel einzusetzen hätte. Anerkannt ist, dass ein Hilfeempfänger auch sogenannte „bereite Mittel“ einzusetzen hat; hierzu gehören diejenigen Mittel, über die der Hilfeempfänger nach einer ihm möglichen und zumutbaren Rechtsgestaltung wie z. B. Vertragskündigung rechtzeitig zur Bedarfszeit verfügen kann (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 5 C 84/02 - m.w.N.). Im Anschluss an den Beschluss im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens geht auch die Kammer davon aus, dass der Bestattungsvorvertrag zu den verwertbaren Mitteln und damit von der Klägerin auch grundsätzlich einsetzbarem Vermögen gehört. Ob der Klägerin auch im konkreten Fall ein Kündigungsrecht, ggf. in Form eines außerordentlichen Kündigungsrechts zusteht (vgl. hierzu Beschluss der 15. Kammer vom 07.03.2005 [a.a.O]), konnte auch die Kammer vorliegend offen lassen, weil es der Klägerin unter den konkreten Umständen nicht zumutbar ist, den Bestattungsvorvertrag zu kündigen, weil die Kammer vorliegend den Bestattungsvorvertrag als durch § 90 Abs. 3 SGB XII als geschützt ansieht. In dem hier allein einschlägigen Absatz 1 der Vorschrift des § 90 Abs. 3 SGB XII heißt es, dass die Sozialhilfe ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden darf, soweit dies für den, der Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Während es in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2003 (a.a.O.) zu Grunde liegenden Sachverhalt zwar um die mögliche Verschonung der für die Grabpflege zurückgelegten Mittel ging, hat das Bundesverwaltungsgericht sich in seiner Entscheidung jedoch auch grundsätzlich zur Verschonung von für die Bestattung (und Grabpflege) zurückgelegten Mitteln geäußert und hierzu unter Hinweis auf die Entscheidungen des OVG Lüneburg vom 23. Juli 2003 (- 4 LC 523/02 - und - 4 LB 178/03 -) ausgeführt, dass es gerechtfertigt sei, „eine angemessene finanzielle Vorsorge für den Todesfall nach [dem zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen] § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG zu verschonen“. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG hergeleitet. Dieses Würdeprinzip ist auch in der hier maßgeblichen Vorschrift des § 1 Satz 1 SGB XII verankert, so dass die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Geltung des SGB XII weiterhin Gültigkeit hat. Dieser grundsätzlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und weiterer Oberverwaltungsgerichte (z.B. OVG Münster Beschluss vom 19.12.2003 - 16 B 2078/03 -) und Teilen der Literatur (vgl. Kruse/Wahrendorf SGB XII § 90 Anm. 44) zu der möglichen Verschonung der für Bestattung und Grabpflege zurückgelegten Mittel schließt sich die Kammer an. Die insoweit gegenteilige Auffassung des Beklagten (gegen die Annahme einer Härte auch OVG Rheinland-Pfalz vom 24.03:2003 - 12 A 10302/03 -) vermochte die Kammer nicht zu überzeugen. Insbesondere erfolgte die Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz durch das Bundesverwaltungsgericht nicht deshalb, weil nicht „in jedem Fall“ der Grabpflege von der Verwertung verschont bleiben müsse, sondern weil sich die Angemessenheit der im dortigen Fall getroffenen Vorsorge nicht abschließend beurteilen ließ (siehe Entscheidungsgründe des Bundesverwaltungsgerichts a.a.O. letzter Absatz). Eine angemessene Grabpflege sollte nach der Entscheidung aber in jedem Fall erhalten bleiben. Auch hat das Bundesverwaltungsgericht entgegen der Ansicht des Beklagten nicht gefordert, dass atypische Umstände gegeben sein müssten, um überhaupt eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bei der konkret streitigen Frage annehmen zu können. Soweit der Beklagte argumentiert, dass es nicht einer juristisch korrekten Auslegung der Härteklausel entspreche, wenn hier ein Vorgang subsumiert werde, der jeden Menschen treffen könne und eine überwiegende Gruppe von Menschen zu bestimmten Vorsorgehandlungen veranlasse, vermochte dies nicht zu überzeugen. Nach Auffassung der Kammer macht es sehr wohl einen Unterschied, in welcher Form diese Vorsorgehandlungen vorgenommen werden. Denn entscheidend dürfte auch hier sein, ob der Wille zur Bestattungsvorsorge sich in äußerlich erkennbarer Form dokumentiert wie z. B. dadurch, dass ein Bestattungsvorvertrag abgeschlossen wird. Denn im Gegensatz dazu bestünde bei dem auf einem Sparbuch eingezahlten Betrag oder beim Abschluss einer Lebensversicherung immer noch die Möglichkeit, auf diese Mittel zurückzugreifen oder (ggf. betr. die Lebensversicherung) zu beleihen. Natürlich ist der Betroffene in seiner Entscheidung frei, welche Art von Bestattungsvorsorge er trifft. Es entspricht aber auch hier wieder dem durch Art. 1 Grundgesetz verfassungsrechtlich fundierten Anspruch einer würdigen Bestattung, eine entsprechende Bestattungsvorsorge treffen zu können und dass das so zur Bestattung und Grabpflege angesammelte Vermögen auch ohne ausdrückliche gesetzgeberische Regelung geschont und geschützt wird (vgl. Kruse/Wahrendorf a. a. 0.). Nach Auffassung der Kammer ergibt sich aus dem oben Ausgeführten damit zugleich, dass neben dem allgemeinen Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Höhe von 2.600,00 Euro ein für eine angemessene Bestattungsvorsorge vorgesehener Betrag anrechnungsfrei bleibt, dieser - weitere Schonbetrag - nicht lediglich den Betrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII erhöht.

17

Nach Auffassung der Kammer ist auch die Höhe des konkret abgeschlossenen Bestattungsvorvertrages von 9.019,00 (= 4.611,34 Euro) als (noch) angemessen anzusehen. Die Prüfung der Angemessenheit orientiert sich an den von der Klägerin mit dem Bestattungsunternehmen im September 1997 für die dereinstige Bestattung festgelegten Leistungen. Hieraus ergeben sich keine über das Notwendige hinaus gehende Leistungen. Soweit in dem Vorvertrag unter Ziff. VII eine anonyme Erdbestattung auf dem Südfriedhof im Vertragstext mit aufgeführt ist, erfährt dieser Punkt bereits eine Modifizierung durch die am gleichen Tag erfolgte nachträgliche Bestätigung für die am 13. November 1995 erfolgte Bestätigung, nämlich für den Erhalt 9.000,00 DM für die dereinstige Bestattung der Klägerin einschließlich Grabstein und Grabpflege mit Frühjahrsbepflanzung, Sommerbepflanzung und Wintereindeckung. Soweit der Beklagte dem entgegenhält, dass nach seinen Erkenntnissen die vertraglich vereinbarte Bestattung nur die Hälfte der im Vorvertrag angenommenen Bezahlung vorgenommen werden könnte, überzeugt die Kammer demgegenüber nicht. Zum einen stellt der Beklagte hier auf die reinen Bestattungskosten ab. Nach der handschriftlich erfolgten Bestätigungserklärung beinhaltet der Vertrag darüber hinaus aber auch einen Grabstein sowie die Grabpflege mit den entsprechenden Bepflanzungen als Leistung. Diese dürften daher in jedem Falle zu den von dem Beklagten angenommenen Kosten hinzu kommen. Hinzu tritt, dass der Beklagte die Grundlage seiner Erkenntnisse nicht offen legt. Demgegenüber hat die Klägerin im Beschwerdeverfahren eine genaue Zusammenstellung der Kosten zum Bestattungsvorsorgevertrag von der Firma D. Bestattungen bezogen auf April 2005 unter Einschluss der Kosten der Friedhofsverwaltung für ein Reihengrab auf dem H.er Südfriedhof beigebracht. Aus dieser Aufstellung ergeben sich keine über den Bestattungsvorvertrag hinausgehenden Leistungen, sie entsprechen auch in ihrer Höhe den durchschnittlichen Kosten. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch, dass beispielsweise die Landeshauptstadt Hannover Guthaben aus Sterbeversicherungen bzw. Bestattungsvorsorgeverträgen, die eine menschenwürdige Bestattung sicherstellen sollen, bis zu einer Höhe von insgesamt 5.200,00 Euro neben dem Vermögensfreibetrag anrechnungsfrei sind.

18

Nach alledem ist der Beklagte verpflichtet, die nicht gedeckten Heimkosten für die Klägerin ab Antragstellung am 11.01.2005 zu übernehmen.“

19

Gegen dieses dem Beklagten am 30. Dezember 2005 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die am 20. Januar 2006 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung wiederholt der Beklagte sein bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend, dass das im Rahmen eines Bestattungs- bzw. Grabpflegevorsorgevertrags zweckgebundene Vermögen nicht generell zu verschonen sei. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls. Die aus einem Grabpflegevertrag bereitzustellenden Mittel seien nur insoweit geschützt, als sie für eine angemessene Grabpflege bestimmt seien. Die Angemessenheit richte sich danach, ob sich eine Vertragsrückabwicklung nach den Umständen des Einzelfalls als eine verhältnismäßige Vermögensdisposition darstelle. Darüber hinaus sei die hier getroffene Bestattungsvorsorge in einem Umfang von 4.611,34 EUR nicht angemessen.

20

Der Beklagte beantragt,

21

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

22

Die Klägerin beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie ist der Auffassung, dass aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) das Recht folge, für eine angemessene Bestattung Sorge zu tragen. Sie verweist darauf, dass andere Sozialhilfeträger Obergrenzen zwischen 5.000,00 und 6.000,00 EUR akzeptierten. Die Klägerin macht weiterhin geltend, dass sie den Vorsorgevertrag bereits zu einem Zeitpunkt geschlossen habe, zu dem sie nicht damit habe rechnen können, jemals Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Sie beruft sich u. a. auf eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel, in § 90 SGB XII einzufügen, dass Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung einer Versicherung, mit der eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende angemessene Bestattung sichergestellt werden solle, abhängig gemacht werden dürfe. Abschließend verweist die Klägerin darauf, dass es in ihrem Fall niemanden gebe, der für die Kosten ihrer Bestattung aufkommen würde, so dass ohnehin der Beklagte die Bestattungskosten übernehmen müsste.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten in dem Verfahren L 9 B 76/05 SO ER. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

26

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

27

Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Heimpflegekosten unter Außerachtlassung des abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrages zu gewähren. Dieser gehört nicht zum einzusetzenden Vermögen. Das ist hier die allein streiterhebliche Frage. Dass die übrigen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung vorliegen, hat das Sozialgericht zutreffend dargelegt. Hierauf nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug.

28

Zum verwertbaren Vermögen im Sinne von § 90 Abs. 1 SGB XII gehört jeder Vermögensgegenstand, der nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten tatsächlich verwertet werden kann und damit grundsätzlich geeignet ist, der bestehenden Hilfebedürftigkeit zu begegnen. Hierunter fallen auch Mittel für Bestattungsvorsorgeverträge, denn diese sind nicht in der Aufzählung verschonter Vermögensgegenstände in § 90 Abs. 2 SGB XII genannt. Ihre Verschonung ist daher nur unter den Voraussetzungen des § 90 Abs. 3 SGB XII möglich, wobei nur unmittelbar Satz 1 und nicht Satz 2 dieser Norm einschlägig ist (vergl. Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 11. Dezember 2003, 5 C 84/02).

29

Nach § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII bedeutet der Vermögenseinsatz bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen eine Härte vor allem, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Eine Härte im Sinne dieser Vorschrift ist schon deshalb zu verneinen, weil nach ihr Vermögen nur dann der Verschonung unterliegen kann, wenn es um die Deckung eines Bedarfs geht, welchen der Hilfesuchende noch zu seinen Lebzeiten hat. Denn sowohl die „angemessene Lebensführung“ als auch die „angemessene Alterssicherung“ finden begriffsnotwendig ihr Ende mit dem Tod des Betreffenden. Eine Vorsorge des Hilfesuchenden für die Zeit nach seinem Tod kann daher weder unter dem Begriff „angemessene Lebensführung“ noch unter dem Begriff Aufrechterhaltung einer „angemessenen Alterssicherung“ subsumiert werden. Eine Auslegung dahingehend, dass der Lebensabschnitt „Alter“ auch den diesen Lebensabschnitt abschließenden Todesfall umfasse, überdehnt den Gesetzeswortlaut (Hauck/Noftz-Lücking, SGB XII, § 90 Rdnr. 73, anderer Ansicht Spranger NVwZ 2001, S. 877).

30

Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für denjenigen, der Vermögen einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. Diese Vorschrift zielt auf atypische Fälle ab, die nicht von § 90 Abs. 2 SGB XII erfasst, aber unter wertenden Gesichtspunkten mit diesen Fällen vergleichbar sind (vergl. BVerwGE 92, 254). Dabei ist zum einen auf die Leitvorstellungen des Gesetzes für die Verschonung zurückzugreifen, die in § 90 Abs. 2 SGB XII zum Ausdruck gekommen sind, und zum anderen sind auch Schutzwertungen aus anderen Bestimmungen des SGB XII zu berücksichtigen. Letztlich sind die Wertvorstellungen der Grundrechte zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Härte zu beachten. Dabei stellt das für die eigene Bestattung angesammelte Vermögen nicht generell ein Vermögen dar, das durch § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt wird. Dies würde der Zielrichtung des Gesetzgebers widersprechen, der diesen Tatbestand gerade nicht in § 90 Abs. 2 SGB XII (und vorher auch nicht in § 88 Abs. 2 BSHG) aufgeführt hat. Nach dem Beschluss der 816. Sitzung des Bundesrats am 4. November 2005 soll nun ein Gesetzentwurf (§ 90 Abs. 2 a SGB XII) beim Deutschen Bundestag eingebracht werden, wonach eine Versicherung, mit der eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende angemessene Bestattung sichergestellt werden soll, verschont werden soll. Zur Begründung wird auf die „höchst unbefriedigende“ derzeitige Rechtslage verwiesen. Außerdem soll mit der Erweiterung des Katalogs für das „Schonvermögen“ der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Urteil vom 11. Dezember 2003 (5 C 84/02) Rechnung getragen werden. Nach der gegenwärtigen Rechtslage ist jedoch in Übereinstimmung mit der Begründung der Ausschüsse des Bundesrats die Verwertung von Mitteln aus einem Bestattungsvorsorgevertrag nicht generell als Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII anzusehen. Vielmehr müssen die Gesamtumstände des Einzelfalls das Vorliegen einer Härte ergeben (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 2. Februar 2006 - L 8 SO 135/05 ER; Hauck/Noftz-Lücking, ebenda; Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., § 90 SGB XII Rdnr. 21; Mergler/Zink, SGB XII, § 90 Rdnr. 78 mit Nachweisen auf die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte; anderer Ansicht: Brühl in LPK-SGB XII, § 90 Rdnr. 12 und Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rdnr. 44, Widmann ZfSH/SGB 2001, 653, nach deren Auffassung für Bestattung und Grabpflege angesammeltes angemessenes Vermögen in verfassungskonformer Auslegung generell durch die Härteregelung zu verschonen ist - so im Ergebnis wohl auch Bundesverwaltungsgericht, ebenda).

31

Eine generelle Härte kann schon deswegen nicht angenommen werden, weil es eine Vielzahl von Personen gibt, die zur Deckung von Bestattungskosten Vermögen ansparen. Wenn der Gesetzgeber eine Härtevorschrift einführt, so regelmäßig deshalb, weil er mit den Regelvorschriften zwar den dem Gesetz zugrunde liegenden typischen Sachverhalten gerecht werden kann, nicht aber den atypischen. Da die atypischen Fälle nicht mit den abstrakten Merkmalen der Gesetzessprache erfasst werden können, muss der Gesetzgeber neben dem Regeltatbestand einen Ausnahmetatbestand setzen, der zwar in den einzelnen Merkmalen unbestimmt ist, jedoch bei einer sinngerechten Anwendung ein Ergebnis gestattet, das dem Regelergebnis in seiner grundsätzlichen Zielsetzung gleichwertig ist. Danach kommt es bei der Bestimmung des Begriffs der Härte darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschrift zu einem den Leitvorstellungen des § 90 Abs. 2 SGB XII nicht entsprechendem Ergebnis führen würde. Die Systematik des Vermögensschutzes in diesen Vorschriften verbietet es, den unbestimmten Rechtsbegriff der Härte in der Weise auszulegen, dass dadurch in einer Vielzahl von Fällen generell die Pflicht zum Vermögenseinsatz weiter eingeschränkt wird.

32

Im Übrigen ist die Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII im Zusammenhang mit § 74 SGB XII zu sehen, wonach die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen werden, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Dadurch wird gewährleistet, dass selbst dann, wenn kein Schonvermögen vorhanden ist, eine angemessene Bestattung erfolgt.

33

Nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Verwertung des in den Bestattungsvorsorgevertrag eingezahlten Geldes für die Klägerin objektiv eine Härte bedeutet. Prüfungsmaßstab ist dabei, ob der Einzelfall Besonderheiten gegenüber der Situation anderer vergleichbarer Gruppen von Leistungsberechtigten aufweist (Mergler/Zink, a.a.O., Rdnr. 74). Das ist hier der Fall.

34

Vorliegend hat die ansonsten in bescheidenen Verhältnissen lebende Klägerin im Jahre 1995 im Alter von 72 Jahren einen Betrag von 9.019,00 DM für die Bestattungsvorsorge aufgewendet. Hierbei handelte es sich nahezu um ihr gesamtes Vermögen. Dies unterstreicht die Bedeutung für die Klägerin. Sie lebte damals von Altersrente (jetzt ca. 125,00 EUR) und Unterhaltshilfe (jetzt ca. 386,00 EUR). Ergänzend wurde evtl. Wohngeld gezahlt. Weiteres Vermögen besaß und besitzt die Klägerin nicht. Zum damaligen Zeitpunkt war die zukünftige Sozialhilfebedürftigkeit (ab September 2004) nicht erkennbar. Es handelt sich also um einen lange bestehenden Vertrag. Die Klägerin hat mithin jetzt vor über zehn Jahren die Entscheidung getroffen, ihr (ganzes) Vermögen für ihre Bestattung zu binden, statt dieses für die alltägliche Lebensführung zu verwenden bzw. zu verbrauchen. Sie hat andauernd in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt, um dadurch eine Bestattung nach ihren Vorstellungen zu ermöglichen. Dieser Umstand rechtfertigt es auch, einen Bestattungsvorsorgevertrag anders zu bewerten als z. B. ein grundsätzlich nicht verschontes Sparbuch. Es kommt für die Verschonung entscheidend darauf an, dass sichergestellt ist, dass die eingezahlten Beträge nur für die Bestattung verwendet werden können. Hinzu kommt die Besonderheit, dass hier aller Wahrscheinlichkeit nach der Beklagte mangels anderer Verpflichteter die Kosten der Beerdigung der mittlerweile 83-jährigen Klägerin ohnehin zu tragen hätte. Es gibt keine Verwandten außer einem Neffen, der nach dem „Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen des Landes Schleswig-Holstein“ vom 4. Februar 2005 (GVOBl. Schl.-H. 2005, 70) nicht verpflichtet ist, für die Bestattung aufzukommen. Er gehört nicht zu den dort genannten bestattungsverpflichteten Hinterbliebenen (§ 2 Nr. 12 i.V.m. § 13 Abs. 2). Wegen der Vermögenslosigkeit der Klägerin ist auch nicht zu erwarten, dass der Neffe die Erbschaft annehmen wird. Er kommt daher auch als Verpflichteter gemäß § 74 SGB XII i.V.m. § 1968 BGB nicht mit Wahrscheinlichkeit in Betracht. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass sich bei Auflösung des Bestattungsvorsorgevertrags durch die Klägerin für den bestattungsverpflichteten Sozialhilfeträger kein wirtschaftlicher Vorteil ergeben würde. Das Vermögen der Klägerin in Höhe von 4.937,14 EUR, wie es einschließlich des Bestattungsvorsorgevertrags im angefochtenen Bescheid vom 12. Januar 2005 zugrunde gelegt ist, überschreitet den allgemeinen Betrag für das Schonvermögen von 2.600,00 EUR um 2.337,14 EUR. Von diesem Betrag wären jedenfalls noch ca. 50,00 EUR abzusetzen wegen der Verwaltungsgebühr, die bei Auflösung des Bestattungsvorsorgevertrags anfiele. Damit verbliebe ein Betrag von 2.287,00 EUR. Bereits Bestattungskosten von 2.300,00 EUR, die der Beklagte nach eigenem Vortrag für angemessen hält, würden diesen Betrag überschreiten.

35

Diese Umstände nicht als Härte anzuerkennen, liefe den in § 1 SGB XII normierten Leitvorstellungen des Gesetzes zuwider. Danach gehört zu den vorrangigsten Aufgaben der Sozialhilfe, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht, wobei die Sozialleistung die Empfänger so weit wie möglich dazu befähigen soll, unabhängig von ihr zu leben. Hierauf haben die Leistungsempfänger nach Kräften hinzuwirken. Diese Grundsätze sind auch auf Situationen übertragbar, in denen (noch) keine Hilfebedürftigkeit besteht. Das bedeutet, dass sich insbesondere Bemühungen nicht hilfebedürftiger Personen, Hilfebedürftigkeit auch in Zukunft zu vermeiden, grundsätzlich nicht negativ auswirken dürfen, wenn schließlich dennoch Hilfebedürftigkeit eintritt. Gerade die rechtzeitige Vorsorge für das eigene Ableben in dem bewussten Bemühen, insbesondere der Allgemeinheit nicht zur Last zu fallen, muss vor diesem Hintergrund als grundsätzlich geeignet angesehen werden, eine Schonung der dafür aufgewendeten Mittel auszulösen. Dem kann von vornherein gerade nicht entgegengehalten werden, die Vorsorge für das eigene Ableben sei unnötig und der Einsatz der dafür aufgewendeten Mittel deshalb keine Härte, weil der Sozialhilfeträger ohnehin für die Kosten einer würdigen Bestattung aufkomme. Diese Sichtweise würde den Einzelnen jedenfalls wirtschaftlich zum bloßen Objekt staatlichen Handels herabwürdigen und damit den Zielen des § 1 Satz 1 SGB XII nicht gerecht werden.

36

Der Senat sieht den hier abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrag in Höhe von 4.611,34 EUR aus den vom Sozialgericht genannten Gründen als (noch) angemessen an, zumal der Beklagte nicht konkret dargelegt hat, aus welchen Gründen die „Zusammenstellung der Kosten zum Bestattungsvorsorgevertrag“ der Firma D. vom 19. April 2005 nicht angemessene Einzelleistungen enthalten würde. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in der Endsumme von 5.528,57 EUR Kosten in Höhe von 2.436,82 EUR enthalten sind, die von der Friedhofsverwaltung in Rechnung gestellt werden und nicht reduzierbar sind. Diese beziehen sich im Wesentlichen auf das Grabnutzungsrecht für ein Reihengrab auf 25 Jahre, das Ausheben und Schließen der Grabstätte sowie auf eine einfache Grabpflege ohne Bepflanzung.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.

38

Der Senat lässt die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Zu der hier streitentscheidenden Rechtsfrage gibt es bislang keine Urteile von Landessozialgerichten bzw. dem Bundessozialgericht. Die Verwaltungspraxis der Sozialhilfeträger ist im höchsten Maße uneinheitlich.


(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind.

(2) Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.

(1) Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen können nicht gepfändet werden.

(2) Ansprüche auf einmalige Geldleistungen können nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht.

(3) Unpfändbar sind Ansprüche auf

1.
Elterngeld bis zur Höhe der nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes anrechnungsfreien Beträge sowie dem Erziehungsgeld vergleichbare Leistungen der Länder,
2.
Mutterschaftsgeld nach § 19 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes, soweit das Mutterschaftsgeld nicht aus einer Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit herrührt, bis zur Höhe des Elterngeldes nach § 2 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, soweit es die anrechnungsfreien Beträge nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes nicht übersteigt,
2a.
Wohngeld, soweit nicht die Pfändung wegen Ansprüchen erfolgt, die Gegenstand der §§ 9 und 10 des Wohngeldgesetzes sind,
3.
Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen.

(4) Im übrigen können Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

(5) Ein Anspruch des Leistungsberechtigten auf Geldleistungen für Kinder (§ 48 Abs. 1 Satz 2) kann nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung der Geldleistungen berücksichtigt wird, gepfändet werden. Für die Höhe des pfändbaren Betrages bei Kindergeld gilt:

1.
Gehört das unterhaltsberechtigte Kind zum Kreis der Kinder, für die dem Leistungsberechtigten Kindergeld gezahlt wird, so ist eine Pfändung bis zu dem Betrag möglich, der bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf jedes dieser Kinder entfällt. Ist das Kindergeld durch die Berücksichtigung eines weiteren Kindes erhöht, für das einer dritten Person Kindergeld oder dieser oder dem Leistungsberechtigten eine andere Geldleistung für Kinder zusteht, so bleibt der Erhöhungsbetrag bei der Bestimmung des pfändbaren Betrages des Kindergeldes nach Satz 1 außer Betracht.
2.
Der Erhöhungsbetrag (Nummer 1 Satz 2) ist zugunsten jedes bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigten unterhaltsberechtigten Kindes zu dem Anteil pfändbar, der sich bei gleichmäßiger Verteilung auf alle Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Leistungsberechtigten berücksichtigt werden, ergibt.

(6) In den Fällen der Absätze 2, 4 und 5 gilt § 53 Abs. 6 entsprechend.

(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind.

(2) Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.

Die Träger der Leistungen nach diesem Buch dürfen abweichend von § 80 Absatz 3 des Zehnten Buches zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Buch einschließlich der Erbringung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und Bekämpfung von Leistungsmissbrauch nicht-öffentliche Stellen mit der Verarbeitung von Sozialdaten beauftragen.

(1) Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen können nicht gepfändet werden.

(2) Ansprüche auf einmalige Geldleistungen können nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht.

(3) Unpfändbar sind Ansprüche auf

1.
Elterngeld bis zur Höhe der nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes anrechnungsfreien Beträge sowie dem Erziehungsgeld vergleichbare Leistungen der Länder,
2.
Mutterschaftsgeld nach § 19 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes, soweit das Mutterschaftsgeld nicht aus einer Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit herrührt, bis zur Höhe des Elterngeldes nach § 2 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, soweit es die anrechnungsfreien Beträge nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes nicht übersteigt,
2a.
Wohngeld, soweit nicht die Pfändung wegen Ansprüchen erfolgt, die Gegenstand der §§ 9 und 10 des Wohngeldgesetzes sind,
3.
Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen.

(4) Im übrigen können Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

(5) Ein Anspruch des Leistungsberechtigten auf Geldleistungen für Kinder (§ 48 Abs. 1 Satz 2) kann nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung der Geldleistungen berücksichtigt wird, gepfändet werden. Für die Höhe des pfändbaren Betrages bei Kindergeld gilt:

1.
Gehört das unterhaltsberechtigte Kind zum Kreis der Kinder, für die dem Leistungsberechtigten Kindergeld gezahlt wird, so ist eine Pfändung bis zu dem Betrag möglich, der bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf jedes dieser Kinder entfällt. Ist das Kindergeld durch die Berücksichtigung eines weiteren Kindes erhöht, für das einer dritten Person Kindergeld oder dieser oder dem Leistungsberechtigten eine andere Geldleistung für Kinder zusteht, so bleibt der Erhöhungsbetrag bei der Bestimmung des pfändbaren Betrages des Kindergeldes nach Satz 1 außer Betracht.
2.
Der Erhöhungsbetrag (Nummer 1 Satz 2) ist zugunsten jedes bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigten unterhaltsberechtigten Kindes zu dem Anteil pfändbar, der sich bei gleichmäßiger Verteilung auf alle Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Leistungsberechtigten berücksichtigt werden, ergibt.

(6) In den Fällen der Absätze 2, 4 und 5 gilt § 53 Abs. 6 entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind.

(2) Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. November 2010 und des Sozialgerichts Potsdam vom 20. April 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2006 aufgehoben, soweit sie die Aufrechnung in Höhe von 1713,04 Euro betreffen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für alle Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufrechnung eines Teils ihrer laufenden monatlichen Altersrentenansprüche mit einer von ihr noch nicht beglichenen Beitragsschuld.

2

Die im März 1945 geborene Klägerin hatte ursprünglich ihren Wohnsitz in H., zog später aber nach P. um. Sie bezog von der LVA Sachsen-Anhalt und erhält nunmehr von deren Rechtsnachfolgerin, der DRV Mitteldeutschland, große Witwenrente (Zahlbetrag ab 1.4.2005 monatlich 289,50 Euro). Aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit schuldet sie für den Zeitraum Mai 1992 bis August 1993 noch Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung iHv 3341,24 DM, welche die LVA Sachsen-Anhalt ihr gegenüber im Bescheid vom 17.11.1998 zusammen mit Säumniszuschlägen iHv 9,20 DM, insgesamt also iHv 3350,44 DM geltend gemacht hat.

3

Die LVA Brandenburg (im Folgenden ebenso wie deren Rechtsnachfolgerin, die DRV Berlin-Brandenburg, einheitlich als Beklagte bezeichnet) bewilligte der Klägerin ab 1.4.2005 Altersrente für Frauen iHv netto 475,97 Euro monatlich (Rentenbescheid vom 15.3.2005). Die laufende Rentenzahlung begann zum Monatsende des Mai 2005; die Zahlung für April 2005 behielt die Beklagte bis zur Abklärung eventueller Erstattungsansprüche anderer Träger zunächst ein. Während die LVA Sachsen-Anhalt unter dem 23.5.2005 mitteilte, sie mache keine Ansprüche geltend, meldete die ARGE Potsdam für April 2005 im Hinblick auf von ihr gezahltes Alg II einen Erstattungsanspruch iHv 38,79 Euro an.

4

Mit Schreiben vom 24.3.2005 ermächtigte die Hauptverwaltung der Beklagten ihre für die Rentenzahlung zuständige Arbeitseinheit zur "Aufrechnung" der der Beklagten zustehenden und noch offenen Beitragsforderung für die Zeit vom 1.5.1992 bis zum 31.8.1993 (Beiträge 1708,34 Euro, Säumniszuschlag 4,70 Euro, Nebenkosten 10 Euro). Diese hörte die Klägerin zu der beabsichtigten Aufrechnung an, die iHv monatlich 237,98 Euro vorgenommen werden solle; es werde jedoch Gelegenheit gegeben, innerhalb eines Monats eine Bescheinigung des Sozialhilfeträgers zur Hilfebedürftigkeit zu übersenden. Die Klägerin teilte daraufhin lediglich mit, einer Aufrechnung stehe der Pfändungsfreibetrag nach § 850c ZPO entgegen. Ohnehin sei im Rentenbescheid die Berücksichtigung des Zeitraums Mai 1992 bis August 1993 als rentenrechtliche Zeit abgelehnt worden. Im Übrigen sei seit 15.8.2002 ein sie betreffendes Insolvenzverfahren anhängig, in dem die Beklagte es versäumt habe, ihre Forderung anzumelden.

5

Die Beklagte erklärte sodann die Aufrechnung der Beitragsforderung iHv 1713,04 Euro "nach unserem Bescheid vom 17.11.1998" mit der halben laufenden Rentenleistung von 237,98 Euro ab 1.9.2005 sowie in derselben Höhe mit der Rentennachzahlung für April 2005 (Bescheid vom 22.6.2005). Im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens seien die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Klägerin - soweit bekannt - berücksichtigt worden; besondere Umstände, welche die Interessen der Versichertengemeinschaft ausnahmsweise zurücktreten lassen könnten, seien nicht festgestellt worden. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese sich auch gegen den Einbehalt weiterer 38,79 Euro von der Rentennachzahlung für April 2005 wandte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.1.2006).

6

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 20.4.2007). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ihre hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage abgewiesen (Urteil vom 25.11.2010). Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtung sei nicht dadurch entfallen, dass die Beklagte seit Januar 2007 keinen Teil der Rentenzahlung mehr einbehalte und die Aufrechnung abgeschlossen sei. Der Bescheid vom 22.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2006 sei rechtmäßig. Er finde seine Rechtsgrundlage in § 51 Abs 2 SGB I. Die Gegenseitigkeit der Forderungen sei gegeben, auch wenn die Beklagte und die seinerzeitige LVA Sachsen-Anhalt als Beitragsgläubigerin zwei formal selbstständige Rechtspersönlichkeiten darstellten. Entscheidend sei die sachliche Einheit der allgemeinen Rentenversicherung bei der Aufgabenwahrnehmung durch unterschiedliche Träger iS des § 125 SGB VI, die zudem gemäß § 219 SGB VI in einem Finanzverbund stünden. Das BSG habe bereits im Urteil vom 1.11.1968 (BSGE 28, 288 = SozR Nr 12 zu § 1299 RVO) den Vorrang der sachlichen Einheit vor der formalen Selbstständigkeit der Versicherungsträger betont und aufgrund dessen die Aufrechnung mit Beitragsansprüchen eines Versicherungsträgers gegen Ansprüche auf Leistungen eines anderen Trägers desselben Versicherungszweigs gebilligt. Dieser Grundsatz habe mit der zwischenzeitlich erfolgten Aufhebung der Trennung der Versicherungszweige und deren Umwandlung in die allgemeine Rentenversicherung eine weitere Ausdehnung erfahren.

7

Die Beitragsforderung der LVA Sachsen-Anhalt sei auch fällig und noch nicht verjährt gewesen, da aufgrund ihrer Festsetzung im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 17.11.1998 eine 30-jährige Verjährungsfrist laufe (§ 52 Abs 2 SGB X). Die Pfändungsgrenzen der §§ 850 ff ZPO seien aufgrund der Sonderregelung in § 51 Abs 2 SGB I nicht anwendbar. Das Insolvenzverfahren stehe einer Aufrechnung ebenfalls nicht entgegen, da es nur den pfändbaren Teil einer Altersrente betreffe. Da die Klägerin, wie ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung bestätigt habe, nicht hilfebedürftig geworden sei, habe die Beklagte die Aufrechnung auch in der erfolgten Höhe vornehmen dürfen; Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Schließlich sei die Beklagte befugt gewesen, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt (VA) zu erklären.

8

Die Klägerin rügt mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision sinngemäß eine Verletzung des § 51 SGB I. Die Beklagte habe die Aufrechnung nicht durch VA erklären dürfen (Hinweis auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 24.7.2003 - SozR 4-1200 § 52 Nr 1). Es fehle auch an einer wirksamen Ermächtigung zur Aufrechnung durch den forderungsberechtigten Sozialleistungsträger (die ehemalige LVA Sachsen-Anhalt). Zudem sei sie aufgrund des Einbehalts der Hälfte der Altersrente hilfebedürftig geworden. Das LSG habe ihren Prozessbevollmächtigten zu keiner Zeit nach ihrer eventuellen Hilfebedürftigkeit befragt und dieser habe eine darauf bezogene Auskunft in der mündlichen Verhandlung nicht gegeben; die entsprechende Behauptung in den Gründen des LSG-Urteils sei "definitiv unzutreffend". Schließlich sei die Aufrechnung wegen des Insolvenzverfahrens rechtswidrig; der Beschluss des "Sozialgerichts" (gemeint ist wohl das Amtsgericht) Potsdam vom 25.11.2008, in dem der Klägerin "Rechtsschuldbefreiung" erteilt worden sei, wirke gegen alle Gläubiger und dies erst recht, wenn - wie hier - die LVA Sachsen-Anhalt ihre Forderung zur Tabelle nach § 174 InsO angemeldet habe.

9

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. November 2010 und des Sozialgerichts Potsdam vom 20. April 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2006 aufzuheben;

        

hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2006 rechtswidrig war.

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

11

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere habe eine Aufrechnung in Form eines VA zu erfolgen (Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R). Das weitere Vorbringen der Revision betreffe lediglich Tatsachenfragen; insoweit sei das Rechtsmittel bereits unzulässig.

12

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Dies führt zur Aufhebung sowohl der vorinstanzlichen Urteile als auch der genannten Bescheide, soweit diese noch streitbefangen sind (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

14

A) Die Revision ist zulässig.

15

Soweit die Klägerin allerdings beanstandet, das LSG habe das Vorbringen ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zur fehlenden Hilfebedürftigkeit "definitiv unzutreffend" wiedergegeben, ist sie mit diesem Vorbringen im Revisionsverfahren ausgeschlossen. Sollte ein solcher Fehler unterlaufen sein, hätte er nur mit Hilfe des hierfür vorgesehenen speziellen Rechtsbehelfs einer - binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils zu beantragenden - Tatbestandsberichtigung (§ 139 SGG) vom Berufungsgericht selbst korrigiert werden können. Die Geltendmachung als Verfahrensmangel erstmals im Revisionsverfahren ist dagegen ausgeschlossen (vgl bereits BSG vom 26.6.1959 - 6 RKa 2/57 - SozR Nr 133 zu § 162 SGG Bl Da 39 Rücks - Juris RdNr 2; s auch BGH Beschluss vom 22.9.2008 - II ZR 235/07 - DStR 2008, 2228 RdNr 5; BVerwG Beschluss vom 9.9.2009 - 4 BN 4/09 - Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht 2010, 67, 69 ; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 139 RdNr 6).

16

B) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die in dem angefochtenen Bescheid vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2006 geregelte Aufrechnung des hälftigen monatlichen Zahlbetrags der Altersrente mit einer Gegenforderung auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen iHv 1713,04 Euro. Soweit die Beklagte erstmals im Widerspruchsbescheid den Einbehalt weiterer 38,79 Euro von der Rentennachzahlung für den Monat April 2005 im Hinblick auf einen von der ARGE geltend gemachten Erstattungsanspruch als "Verrechnung nach § 52 SGB I" abgehandelt hat(zur rechtlichen Einordnung vgl den Hinweis auf § 107 Abs 1 SGB X im Senatsurteil vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R - RdNr 24, zur Veröffentlichung in SozR 4-1300 § 104 Nr 5 vorgesehen), ist dies nicht mehr streitbefangen. Zwar richtete sich die Klage nach ihrer Begründung im Schriftsatz vom 18.4.2007 ursprünglich auch hiergegen. Die Klägerin hat aber in der Berufungsbegründung vom 24.11.2010 ihr Rechtsmittel auf den (abtrennbaren) Aspekt der Aufrechnung gegen die Beitragsforderung wirksam beschränkt (vgl BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 8); hinsichtlich des Betrags von 38,79 Euro ist die Klageabweisung durch das SG rechtskräftig geworden (§ 141 SGG).

17

C) Von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Insbesondere hat das LSG zutreffend erkannt, dass die von der Klägerin im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG) nicht unzulässig geworden ist.

18

Das LSG ist davon ausgegangen, dass die streitige "Aufrechnung unterdessen abgeschlossen" sei. Hinreichende Tatsachen, die eine solche rechtliche Bewertung untermauern könnten, hat es allerdings nicht festgestellt. Allein der Umstand, dass die Beklagte seit Januar 2007 keinen Teil der Rentenzahlung mehr einbehält, belegt noch nicht, dass die Aufrechnung ab diesem Zeitpunkt vollständig und endgültig abgewickelt ist. Das ergibt sich auch nicht aus dem Inhalt der Verwaltungsakten, die das LSG zur Ergänzung des Tatbestands in Bezug genommen hat.

19

Einer Zurückverweisung zur weiteren Aufklärung der damit zusammenhängenden tatsächlichen Umstände bedarf es gleichwohl nicht. Selbst wenn die Beklagte den Betrag der von ihr zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung iHv 1713,04 Euro bereits vollständig von den monatlichen Zahlungsansprüchen der Klägerin auf Altersrente einbehalten hätte, wäre deren Interesse an einer Klärung der Rechtmäßigkeit des hoheitlich vorgenommenen Einbehalts nicht allein aus diesem Grund entfallen. Denn ein VA über die Aufrechnung bzw Verrechnung einer Forderung erledigt sich nicht dadurch vollständig "auf andere Weise", dass der Leistungsträger ihn faktisch umsetzt, indem er von der von ihm monatlich geschuldeten Sozialleistung Einbehalte in einem Umfang vornimmt, die dem Betrag der Gegenforderung entsprechen.

20

Die Erledigung eines VA iS des § 39 Abs 2 SGB X tritt ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist(vgl BVerwG NVwZ 2009, 122 RdNr 13 mwN - zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 43 Abs 2 VwVfG; ähnlich BSG SozR 3-4100 § 116 Nr 4 S 132 f). Danach erledigt sich ein VA, der Handlungspflichten auferlegt, nicht einmal mit dessen Vollstreckung durch Ersatzvornahme, und zwar auch dann nicht, wenn dadurch irreversible Tatsachen geschaffen wurden (BVerwG aaO; einschränkend allerdings Rüfner in Wannagat, SGB X, § 39 RdNr 31, Stand Einzelkommentierung November 1995: Erledigung durch Vollzug des VA tritt ein, wenn eine Folgenbeseitigung nicht mehr in Betracht kommt).

21

Entscheidet ein Rentenversicherungsträger über eine Auf- oder Verrechnung durch VA, bedeutet dies: Ein solcher VA zielt auf rechtsgestaltende Wirkungen, da er den Auszahlungsanspruch des Rentenempfängers hinsichtlich der im Rentenbescheid festgelegten Art und Weise seiner Erfüllung modifizieren und zum Erlöschen bringen will (vgl Senatsurteil vom 7.2.2012 - SozR 4-1200 § 52 Nr 5 RdNr 41 - unter Hinweis auf BSG BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 15). Solange aber die - grundsätzlich mit Bekanntgabe eintretende (§ 39 Abs 1 SGB X) - Wirksamkeit eines solchen VA zwischen den Beteiligten nicht verbindlich feststeht (§§ 77, 141 SGG), es vielmehr noch Gegenstand eines (gerichtlichen) Verfahrens ist, ob er Bestand hat oder der Aufhebung mit Wirkung ex tunc unterliegt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 131 RdNr 3a), ist ein derartiger VA noch geeignet, rechtliche Wirkungen - die genannten Gestaltungswirkungen - zu erzeugen. Dies gilt unabhängig davon, ob Aufrechnung oder Verrechnung zulässigerweise durch VA oder in einer anderen Handlungsform zu erklären sind. Mithin hat sich ein entsprechender VA auch dann noch nicht vollständig erledigt, wenn der Leistungsträger während eines laufenden Rechtsstreits von den monatlichen Rentenzahlungen insgesamt einen Betrag in Höhe der zur Auf- oder Verrechnung gestellten Gegenforderung einbehalten hat. Denn bei Erfolg der Klage muss er die einbehaltenen Beträge an den Berechtigten auskehren, weil der Rechtsgrund für den Einbehalt dann entfallen ist.

22

Sofern aus seinem Urteil vom 27.3.2007 (B 13 RJ 43/05 R - Juris RdNr 13) Abweichendes entnommen werden könnte, weist der Senat auf die besondere Konstellation des damals entschiedenen Falles hin: Der dortige Kläger hatte es hingenommen, dass seine mit der Anfechtungsklage erhobene Leistungsklage auf Rückzahlung des einbehaltenen Betrags rechtskräftig abgewiesen wurde; (nur) deshalb bestand nach Abschluss des Einbehalts kein berechtigtes Interesse an der Weiterführung der Anfechtungsklage mehr (vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 141 RdNr 6a, 6b, 12, 12a).

23

D) Die Revision der Klägerin ist auch begründet. Der Bescheid vom 22.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2006 ist - soweit noch streitbefangen - rechtswidrig. Die Beklagte war weder zu einer Aufrechnung (dazu unter 1.) noch zu einer Verrechnung (dazu unter 2.) eines Teils der Ansprüche der Klägerin auf monatliche Zahlung von Altersrente mit der Beitragsforderung der LVA Sachsen-Anhalt berechtigt.

24

1. Entgegen der Rechtsmeinung des LSG lagen die Voraussetzungen einer Aufrechnung (§ 51 SGB I) nicht vor. Es fehlte schon an der erforderlichen Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen und damit an einer Aufrechnungslage. Auf die im Beschluss des Großen Senats des BSG vom 31.8.2011 offengelassene Frage, ob auch eine Aufrechnung iS des § 51 SGB I durch Verwaltungsakt geregelt werden darf(BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 11, 19), kommt es deshalb hier nicht entscheidungserheblich an (s hierzu zB Seewald in Kasseler Komm, § 51 SGB I RdNr 21e am Ende, Stand Einzelkommentierung April 2012; Seewald, SGb 2012, 446, 453; Schaer, jurisPR-SozR 7/2012 Anm 1 D; Plagemann, Beck Fachdienst Sozialversicherungsrecht 2012, 328355; vgl auch den Beschluss des 4. Senats des BSG vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S - Juris RdNr 4).

25

a) Nach § 51 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger - hier die Beklagte - gegen Ansprüche auf Geldleistungen - hier die Altersrente - mit Ansprüchen gegen den Berechtigten - hier die Klägerin - aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Gemäß § 51 Abs 2 SGB I(in der ab 1.1.2005 geltenden, hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003, BGBl I 3022) ist der Leistungsträger befugt, mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufzurechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig iS der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird.

26

Danach ist wesentliche Voraussetzung für eine rechtmäßige Aufrechnung das Vorliegen einer Aufrechnungslage, dh dass sich (entsprechend § 387 BGB) gleichartige und gegenseitige Forderungen gegenüberstehen, von denen die eine - die Hauptforderung auf eine Sozialleistung - entstanden und erfüllbar sein muss, während die Gegenforderung des Sozialleistungsträgers entstanden und bereits fällig sein muss (vgl BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 15; Nr 5 RdNr 54 f). Eine Aufrechnung ist somit nur wirksam, wenn zwischen den zur Aufrechnung gestellten Forderungen ein Gegenseitigkeitsverhältnis besteht, wenn also der Gläubiger der Hauptforderung zugleich Schuldner der Gegenforderung und der Schuldner der Hauptforderung zugleich Gläubiger der Gegenforderung ist (BSGE 101, 1 = SozR 4-2400 § 28h Nr 5, RdNr 13; s auch BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 16 f; BSG Beschluss vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S - Juris RdNr 4).

27

b) Eine Aufrechnungslage hat hier zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids im Januar 2006 nicht bestanden (zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts bei reinen Anfechtungsklagen vgl BSGE 95, 119 = SozR 4-7860 § 10 Nr 2, RdNr 13; BSG SozR 4-2700 § 168 Nr 2 RdNr 17 - jeweils mwN).

28

Die Beklagte hat zwar im Bescheid vom 22.6.2005 nach dessen Wortlaut eine Aufrechnung iS des § 51 SGB I erklärt und deren Rechtsfolgen geregelt, auch wenn im Widerspruchsbescheid vom 26.1.2006 teils auch von einer "Verrechnung" (aaO S 4 Abs 5 und 7) die Rede ist. Denn sie wollte die streitigen Beträge zu ihren eigenen Gunsten einbehalten, da sie davon ausging, dass die Klägerin ihr die noch ausstehenden Beiträge schulde. Das war jedoch nicht der Fall. Die Beklagte war Schuldnerin der Hauptforderung (der Klägerin auf monatliche Zahlung von Altersrente), jedoch nicht zugleich Gläubigerin der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung (gegenüber der Klägerin auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen). Das LSG hat zutreffend angenommen, dass die zur Aufrechnung herangezogene Beitragsforderung von der LVA Sachsen-Anhalt mit Bescheid vom 17.11.1998 bindend als ihr zustehend festgesetzt worden ist. Deren Rechtsnachfolge hat zum 1.10.2005 die DRV Mitteldeutschland angetreten, nicht die Beklagte.

29

aa) Anhaltspunkte dafür, dass die LVA Sachsen-Anhalt - oder später die DRV Mitteldeutschland als deren Rechtsnachfolgerin - die Beitragsforderung an die Beklagte abgetreten hätte und diese dadurch zwischenzeitlich Forderungsinhaberin geworden wäre (vgl § 398 BGB), sind nicht ersichtlich; im LSG-Urteil sind entsprechende Tatsachen auch nicht festgestellt. Daher bedarf es hier keiner Entscheidung, ob eine solche Abtretung wirksam wäre (ablehnend mangels Ermächtigungsgrundlage: BSGE 15, 36, 39 f = SozR Nr 1 zu § 1299 RVO Bl Aa 3; anders für den Bereich des Steuerrechts - die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung verneinend - BFHE 189, 14, 31 f - Juris RdNr 47 ff).

30

bb) Der Regelung in § 128 SGB VI kann - entgegen der wohl vom SG vertretenen Rechtsmeinung - kein gesetzlicher Forderungsübergang(vgl § 412 BGB) der von der LVA Sachsen-Anhalt festgesetzten Beitragsforderung auf die Beklagte entnommen werden.

31

Nach § 128 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI(in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des RVOrgG vom 9.12.2004, BGBl I 3242 ; zuvor inhaltsgleich § 130 SGB VI aF; s auch die Übergangsvorschrift in § 274c Abs 1 S 2 Nr 1 SGB VI) tritt ein Wechsel des örtlich zuständigen Rentenversicherungsträgers ein, sobald ein Versicherter, für den ein Regionalträger zuständig ist, seinen Wohnsitz in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Regionalträgers verlegt. Das war bei der Klägerin offenbar der Fall (nähere Feststellungen dazu, wann dies geschah, fehlen allerdings). Der Übergang der Zuständigkeit hat aber nicht zur Folge, dass zugunsten des bisherigen Rentenversicherungsträgers bereits entstandene Forderungen automatisch auf den neu zuständig gewordenen Regionalträger übergehen. Für einen solchen Forderungsübergang ist eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich; sie ergibt sich insbesondere nicht aus § 130 Abs 1 S 1 SGB VI aF bzw § 128 Abs 1 S 1 SGB VI nF.

32

Vielmehr verbleibt bei einem Zuständigkeitswechsel der bislang verantwortliche Regionalträger für die während seiner örtlichen Zuständigkeit zugunsten der GRV entstandenen Beitragsforderungen in der Gläubigerposition, da für den Bereich der Rentenversicherung abweichende Regelungen nicht existieren (vgl aber zB § 45a Abs 3 BAFöG bei länderübergreifender Änderung der örtlichen Zuständigkeit aufgrund eines Hochschulwechsels, s hierzu BVerwGE 90, 25, 31 f - Juris RdNr 20; zum Sonderfall eines gesetzlich angeordneten Forderungsübergangs im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit vgl BSG SozR 3-8260 § 8 Nr 1). Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Verwaltungsverfahren zur Festsetzung der Beiträge bereits durch Erlass eines Bescheids, der auch den Gläubiger der Forderung bestimmt (vgl den Wortlaut des Bescheids vom 17.11.1998 "Sie schulden der LVA Sachsen-Anhalt Pflichtbeiträge …"), (bestandskräftig) abgeschlossen ist. In einer solchen Konstellation ist für eine Fortführung des Beitragseinzugsverfahrens durch den Versicherungsträger am neuen Wohnort gemäß der Regelung in § 2 Abs 2 SGB X kein Raum(Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 2 RdNr 10, 12a; Waschull in Diering/Timme/Waschull, LPK SGB X, 3. Aufl 2011, § 2 RdNr 8; Mutschler in Kasseler Komm, § 2 SGB X RdNr 11, Stand Einzelkommentierung April 2012; I. Palsherm in juris-PK SGB X, 2013, § 2 RdNr 18). Die Einziehung bzw Vollstreckung einer auch hinsichtlich der Rechtsinhaberschaft konkretisierten Forderung kann - solange der Beitragsbescheid unverändert aufrechterhalten bleibt - nur noch von dem im Bescheid benannten Träger (oder dessen Rechtsnachfolger) veranlasst werden. Dieser hat jedoch die Möglichkeit, den insbesondere für die Leistungsgewährung nunmehr zuständigen Regionalträger des neuen Wohnorts (vgl § 128 Abs 1 S 2 SGB VI nF)gemäß § 52 SGB I zu einer Verrechnung seiner Ansprüche zu ermächtigen.

33

cc) Die fehlende Gegenseitigkeit der Forderung der Klägerin gegen die Beklagte auf Altersrente und der Gegenforderung der DRV Mitteldeutschland auf ausstehende Beiträge kann entgegen der Rechtsmeinung des LSG nicht unter Berufung auf den Grundsatz der "sachlichen Einheit der allgemeinen Rentenversicherung" überwunden werden.

34

Zwar hat der 12. Senat des BSG in einem - insoweit vereinzelt gebliebenen - Urteil vom 1.11.1968 entschieden, dass ein in der Arbeiterrentenversicherung (ArV) Versicherter "im Hinblick auf die sachliche Einheit des Versicherungszweigs der ArV nach Treu und Glauben nicht das Fehlen der Gegenseitigkeit (§ 387 BGB) infolge der formalen rechtlichen Selbständigkeit der verschiedenen LVA als Träger der ArV geltend machen" kann (BSGE 28, 288, 289 = SozR Nr 12 zu § 1299 RVO Bl Aa 15 Rücks). Diese auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)gegründete Entscheidung ist seit dem Inkrafttreten des SGB I am 1.1.1976 jedoch aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Problematik in den §§ 51, 52 SGB I überholt.

35

Wie im Urteil des 5. Senats vom 10.12.2003 ausgeführt ist, hat der Gesetzgeber die spezifisch sozialrechtliche Möglichkeit der Verrechnung nach § 52 SGB I als Reaktion darauf geschaffen, dass zuvor in der Rspr des BSG Aufrechnungen von SV-Trägern mit Forderungen anderer SV-Träger mangels Gegenseitigkeit der Forderungen grundsätzlich für unzulässig erklärt und unter dem Gesichtspunkt der Funktionseinheit nur bei Ansprüchen von Trägern desselben Versicherungszweigs zugelassen worden waren(BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 2 RdNr 14; ebenso bereits BSG SozR 2200 § 1299 Nr 1 S 3 - Juris RdNr 18). Mit Einführung der Verrechnung nach § 52 SGB I ist diese Einschränkung gegenstandslos geworden(s BT-Drucks 7/868 S 32 - zu § 52: "Die Vorschrift beruht auf der Erwägung, dass im Sozialrecht angesichts derselben oder ähnlichen Zielsetzung aller Sozialleistungen, der Verpflichtung aller Leistungsträger zur engen Zusammenarbeit und des Strebens nach Verwaltungsvereinfachung auf die Gegenseitigkeit der aufgerechneten Forderungen verzichtet werden kann"). Die gesetzliche Regelung zur Verrechnung - insbesondere das Erfordernis einer ausdrücklichen Ermächtigung des anderen Leistungsträgers - darf hiernach nicht dadurch umgangen werden, dass weiterhin - wie zu Zeiten vor Erlass des SGB I - auf einen "Vorrang der sachlichen Einheit vor der formalen Selbstständigkeit der Versicherungsträger" und den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben abgestellt wird. Dies widerspräche der Gesetzesbindung (Art 20 Abs 3 GG), der sowohl die Verwaltung als auch die Rechtsprechung verpflichtet sind (im Ergebnis ebenso Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 51 RdNr 15; Zweng/Scherer/Buschmann/Dörr, Handbuch der RV, Teil I Bd 1, Stand November 2011, § 51 SGB I Anm III. 2. A.; Pflüger in juris-PK SGB I, 2. Aufl 2012, § 51 RdNr 29 f; Gutzler in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 51 SGB I RdNr 7, Stand Einzelkommentierung März 2013).

36

dd) Die Regelungen zur - überwiegend zum 1.1. bzw 1.10.2005 in Kraft getretenen - Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVOrgG vom 9.12.2004, BGBl I 3242) haben diese Rechtslage nicht geändert.

37

Die Beklagte (DRV Berlin-Brandenburg) und die DRV Mitteldeutschland sind jeweils Regionalträger der allgemeinen Rentenversicherung iS von § 125 Abs 1 SGB VI(idF des RVOrgG). Diese sind weiterhin als rechtlich eigenständige Selbstverwaltungskörperschaften (§ 29 Abs 1 SGB IV) organisiert (vgl Keck in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen RV, 2. Aufl 2012, Kap 24 RdNr 76; Schillinger, ebenda Kap 26 RdNr 8 ff; Axer, DRV 2005, 542, 545). Ihnen kommt nicht lediglich die Stellung unselbstständiger Verwaltungsstellen eines einheitlichen (Rechts-)Trägers "allgemeine Rentenversicherung" zu; ein solcher Einheitsträger (vergleichbar der BA, s § 368 SGB III) wurde mit der Organisationsreform nicht geschaffen. Die Bezeichnung "allgemeine Rentenversicherung" in § 125 Abs 1 S 1 SGB VI beschreibt vielmehr einen - gemäß § 126 SGB VI von unterschiedlichen Trägern wahrzunehmenden - Aufgabenbereich der gesetzlichen Rentenversicherung (in Abgrenzung zum besonderen Bereich der knappschaftlichen Rentenversicherung), aber keine rechtlich eigenständige Organisationseinheit. Auch die Vorgaben in § 125 Abs 1 S 2 SGB VI für eine vereinheitlichte Namensgebung der jeweiligen Regionalträger beseitigen deren rechtliche Selbstständigkeit nicht. Mithin sind die Regionalträger weiterhin je eigenständige "Leistungsträger" iS der §§ 12, 23 Abs 2, §§ 51 und 52 SGB I.

38

Etwas anderes ergibt sich ebenso wenig aus den durch das RVOrgG neu gefassten Regelungen zu einem Finanzverbund in der allgemeinen Rentenversicherung (§ 219 SGB VI idF von Art 1 Nr 45 RVOrgG - gemäß dessen Art 86 Abs 5 am 1.1.2006 in Kraft getreten). Nach § 219 Abs 1 S 1 SGB VI werden die Ausgaben für Renten, Beitragserstattungen, Beiträge zur Krankenversicherung und sonstige Geldleistungen (ausgenommen jedoch Leistungen zur Teilhalbe, Aufwendungen für Verwaltungs- und Verfahrenskosten sowie Investitionen) von den Trägern der allgemeinen Rentenversicherung nach dem Verhältnis ihrer Beitragseinnahmen jeweils für ein Kalenderjahr gemeinsam getragen. Die Vorschrift sieht damit nur für bestimmte versichertenbezogene Aufwendungen eine gemeinsame Finanzierung durch alle Träger der allgemeinen Rentenversicherung unabhängig davon vor, wie hoch die Ausgaben für die Versicherten des jeweils zuständigen Versicherungsträgers sind. Vielmehr ist für die von den einzelnen Trägern zu übernehmenden Ausgabenanteile ihre Finanzkraft maßgeblich, welche in der Höhe der jeweiligen Beitragseinnahmen zum Ausdruck kommt. Dieses System des Finanzausgleichs ("Gemeinlastverfahren", s hierzu näher Mörschel/Wiederspahn, DRV 2005, 15, 30) soll die Zahlungsströme in der gesetzlichen Rentenversicherung reduzieren und optimieren, dabei aber die finanzielle Eigenständigkeit der einzelnen Träger erhalten (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RVOrgG, BT-Drucks 15/3654 S 64). Der in § 219 SGB VI geregelte Finanzverbund auf der Ausgabenseite ist damit für die Einnahmen ohne Bedeutung; er begründet jedenfalls keine Gesamtgläubigerschaft (vgl § 428 BGB) sämtlicher Träger der allgemeinen Rentenversicherung für jede einzelne Forderung, die gegenüber einem ihrer Versicherten besteht.

39

ee) Das der gesetzlichen Regelung in § 51 SGB I zugrunde liegende Erfordernis der Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen ist auch nicht durch die "im März 2006" getroffene und im Juni-Heft des amtlichen Mitteilungsblatts(RVaktuell 2006, 245) veröffentlichte "Verbindliche Entscheidung" iS des § 138 Abs 2 SGB VI des Vorstands der DRV Bund aufgehoben worden.

40

Diese hat folgenden Wortlaut:

        

"Gegen die Ansprüche eines Berechtigten gegenüber einem Träger der allgemeinen Rentenversicherung kann ein anderer Träger der allgemeinen Rentenversicherung seine Ansprüche gegenüber demselben Berechtigten aus Beitragsforderungen, auf Rückzahlung zu Unrecht erbrachter Leistungen oder aus sonstigen Geldforderungen nach § 51 SGB I aufrechnen. Dies gilt auch in Fällen, in denen die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der allgemeinen Rentenversicherung zuständig ist.

        

Die Aufrechnung erfolgt für Zeiten ab 1.1.2006 auch dann, wenn beide Ansprüche oder einer der beiden Ansprüche vor diesem Zeitpunkt entstanden sind."

41

Da diese "Verbindliche Entscheidung" erst im Juni 2006 mit ihrer Veröffentlichung (§ 138 Abs 5 SGB VI) in Kraft trat, ist sie für die hier maßgebliche Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids - im Januar 2006 - ohne Bedeutung. Deshalb bedarf es an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung, ob Entscheidungen nach § 138 Abs 2 SGB VI als "untergesetzliche Normen eigener Art"(so der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RVOrgG, BT-Drucks 15/3654 S 70) mit dem Grundgesetz vereinbar sind (s hierzu Axer, DRV 2005, 542, 547 ff; Ruland/Dünn, NZS 2005, 113, 119 f; Schnapp, DÖV 2003, 965, 968 ff) und - soweit dies bejaht wird - ob diese nur für die Rentenversicherungsträger (vgl § 138 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB VI)und die Aufsichtsbehörden (so Ruland, DRV 2005, 2, 12; Binne/Dünn, DRV 2005, 50, 62) oder auch für die Versicherten verbindlich sind (so Axer, DRV 2005, 542, 546; wohl auch Hebeler in juris-PK SGB VI, 2008, § 138 RdNr 16 ff). Selbst wenn Letzteres der Fall wäre, könnten "Verbindliche Entscheidungen" als untergesetzliche Normen keine Wirksamkeit entfalten, soweit sie mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sind (so bereits BSGE 78, 70, 77 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 S 32 zu den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen; ebenso Dünn in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskomm zum SGB VI, § 138 RdNr 113, Stand Einzelkommentierung November 2009). Das dürfte bei der oben wiedergegebenen "Verbindlichen Entscheidung" vom März 2006, die nach ihrem Regelungsgegenstand eine solche über die "Auslegung von Rechtsfragen" (§ 138 Abs 2 S 3 SGB VI) enthält, jedoch der Fall sein. Ihr Inhalt steht, wie in den vorstehenden Ausführungen näher dargelegt wurde, im Widerspruch zum geltenden Recht. Dessen letztverbindliche Auslegung obliegt nach Art 92 GG allein den zuständigen Gerichten (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfG vom 2.5.2012 - 2 BvL 5/10 - NVwZ 2012, 876 RdNr 68); ein Gestaltungsspielraum des untergesetzlichen Normgebers besteht insoweit nicht.

42

2. Der nach alledem als Regelung einer Aufrechnung (§ 51 SGB I)rechtswidrige Bescheid der Beklagten vom 22.6.2005 lässt sich nicht in einen Verrechnungsbescheid iS des § 52 SGB I umdeuten. § 43 Abs 1 SGB X gestattet eine Umdeutung nur, wenn der andere VA - hier ein Verrechnungsbescheid - auf das gleiche Ziel wie der fehlerhafte VA gerichtet ist, er von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Während die beiden ersten Anforderungen erfüllt sind, fehlt es jedoch an dem drittgenannten Erfordernis für eine Umdeutung.

43

Die Voraussetzungen für den Erlass eines Verrechnungsbescheids nach § 52 SGB I sind nicht gegeben, da - wie die Revision zu Recht geltend macht - eine wirksame Ermächtigung der Beklagten durch die LVA Sachsen-Anhalt (bzw durch die DRV Mitteldeutschland als deren Rechtsnachfolgerin) zur Verrechnung der ihr zustehenden Beitragsforderung nicht vorliegt. Weder hat das LSG eine solche Ermächtigung festgestellt noch hat die Beklagte Entsprechendes im Verlauf des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens behauptet. Die von der Beklagten selbst ("hausintern") erteilte "Ermächtigung zur Aufrechnung gemäß § 51 SGB I" vom 24.3.2005 genügt den Anforderungen des § 52 SGB I nicht. Denn jedenfalls dann, wenn die Beitragsforderung durch einen anderen Träger - hier: durch den früher zuständig gewesenen Regionalträger - bereits in einem Bescheid bestandskräftig als ihm zustehend festgestellt wurde, bedarf es nach einem Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit (§ 128 Abs 1 S 1 SGB VI nF bzw § 130 Abs 1 S 1 SGB VI aF) der Ermächtigung zur Verrechnung durch diesen Träger. Ein Zuständigkeitswechsel lässt den nunmehr örtlich zuständig gewordenen Leistungsträger, der nicht Forderungsinhaber ist, nicht auch für die Erteilung der Ermächtigung zur Verrechnung mit einer fremden Forderung iS des § 52 SGB I zuständig werden.

44

3. Lediglich ergänzend ist zum hauptsächlichen Vorbringen der Klägerin darauf hinzuweisen, dass das am 15.8.2002 über das Vermögen der Klägerin eröffnete Insolvenzverfahren einer Verrechnung ihrer erst ab 1.4.2005 entstandenen Ansprüche auf monatliche Zahlung der Altersrente mit der gegen sie gerichteten Beitragsforderung aus den Jahren 1992/1993 nicht entgegenstand. Zwar ist grundsätzlich im laufenden Insolvenzverfahren eine Verrechnung nach § 52 SGB I nur möglich, wenn die Verrechnungslage bereits vor Insolvenzeröffnung bestand(BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 2 RdNr 9, 11; BGHZ 177, 1 RdNr 16, 20; zur Aufrechnung s auch BSGE 108, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 62, RdNr 18; BSG vom 16.10.2012 - B 14 AS 188/11 R - RdNr 16 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 11 Nr 55 vorgesehen). Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (vgl § 200 InsO)- hier durch Beschluss des AG Potsdam vom 5.5.2004 - konnten die Insolvenzgläubiger ihre noch nicht befriedigten Forderungen gegen den Schuldner jedoch wieder unbeschränkt geltend machen, soweit sich aus den Regelungen zur Restschuldbefreiung (§§ 286 ff, insbesondere §§ 294, 301 InsO) nichts anderes ergibt (§ 201 Abs 3 InsO). § 294 Abs 1 InsO verbietet in diesem Zusammenhang Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners während der Laufzeit von dessen Abtretungserklärung über pfändbare Forderungen(vgl § 287 Abs 2 InsO). Hierzu hat der Senat - zur vergleichbaren Vorschrift in § 18 Abs 2 S 3 GesO - bereits entschieden, dass dieser Vollstreckungsschutz einer Verrechnung durch den Rentenversicherungsträger mit unpfändbaren Teilen der Rentenzahlungsansprüche des Schuldners(§ 54 Abs 4 SGB I iVm § 850c Abs 1 S 1 ZPO)nicht entgegensteht (BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 5 RdNr 57 ff).

45

Nach Erteilung der Restschuldbefreiung an die Klägerin durch Beschluss des AG Potsdam vom 25.11.2008 dürfte die - infolge der unwirksamen Aufrechnung noch nicht erloschene - Beitragsforderung der DRV Mitteldeutschland allerdings nicht mehr durchsetzbar sein (zur Umwandlung einer Forderung aufgrund Restschuldbefreiung in eine Naturalobligation vgl Lang in Braun, InsO, 5. Aufl 2012, § 301 RdNr 2). Die Klägerin wird jedoch zu erwägen haben, ob es für sie vorteilhaft sein könnte, auf die Rückzahlung der von der Beklagten bereits einbehaltenen Beträge zu verzichten und diese als Erfüllung der Beitragsforderung gelten zu lassen (§ 301 Abs 3 InsO), um so mit zusätzlich zu berücksichtigenden Beitragszeiten ggf eine höhere Altersrente zu erlangen (vgl § 66 Abs 1 Nr 1 SGB VI).

46

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des beklagten Rentenversicherungsträgers, Ansprüche der beigeladenen Bundesagentur für Arbeit mit der Altersrente des Klägers zu verrechnen. Streitig ist insbesondere, ob die Verrechnung durch Verwaltungsakt erfolgen durfte.

2

Der Kläger bezieht von der Beklagten seit Oktober 2003 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Der monatliche Zahlbetrag dieser Rente betrug im Oktober/November 2005 873,83 Euro. Mit Schreiben vom 21.10.2005 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte zur Verrechnung einer Forderung in Höhe von 53.012,27 Euro aus Überzahlung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen sowie Mahnkosten mit Leistungsansprüchen des Klägers gegen die Beklagte. Nach Anhörung des Klägers erklärte diese durch Bescheid vom 21.11.2005, der Anspruch der Beigeladenen werde mit seinem Anspruch auf Rente derart verrechnet, dass ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt monatlich 436 Euro von der Rentenzahlung einbehalten und an die Beigeladene bis zur Tilgung der Forderung gezahlt würden. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos, weil der Kläger eine von der Beklagten angeforderte Grundsicherungsbedarfsberechnung zum Nachweis, dass er bei einer Verrechnung sozialhilfebedürftig werde, nicht vorgelegt habe (Widerspruchsbescheid vom 13.6.2006) .

3

Mit Urteil vom 27.7.2007 hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid der Beklagten vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil eine Verrechnung nicht durch Verwaltungsakt habe vorgenommen werden dürfen. Die in dem Verwaltungsakt enthaltene öffentlich-rechtliche Willenserklärung in Form der Verrechnungserklärung stehe nicht zur Überprüfung, weil der Kläger (der durch einen Rechtsanwalt vertreten war) eine hierfür erforderliche Leistungsklage auf Auszahlung der bereits einbehaltenen Beträge hätte erheben müssen. Dies habe er trotz eines Hinweises des Gerichts aber nicht getan. Deshalb beschränke sich die Prüfung des Gerichts darauf, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Verrechnungserklärung in Form eines Verwaltungsakts abzugeben. Hierfür fehle es jedoch an einer gesetzlichen Ermächtigung (Hinweis auf Bundessozialgericht vom 24.7.2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1). Obwohl es sich bei der Verrechnungserklärung mittels "Bescheids" nicht um einen Verwaltungsakt handele, müsse dieser "Schein-Verwaltungsakt" aufgehoben werden, weil der Betroffene dadurch beschwert sei.

4

Der Kläger hat im Oktober 2006 geheiratet und während des Verfahrens über die Berufung der Beklagten seinen Wohnsitz nach Thailand verlegt. Mit Urteil vom 7.2.2008 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung im Wesentlichen aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen.

5

Sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Beide haben sich zur Begründung im Wesentlichen darauf bezogen, dass sie dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 24.7.2003 (aaO) nicht folgten und eine Verrechnung durch Verwaltungsakt für zulässig hielten. Die Beklagte hat erklärt, sie sei nach wie vor an einer Verrechnung gegenüber dem Kläger interessiert.

6

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7.2.2008 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 27.7.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

8

Auf Anfragebeschluss des vorlegenden Senats vom 5.2.2009 - B 13 R 31/08 R - hat der 4. Senat mit Beschluss vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S - erklärt, er halte an seiner Auffassung fest, dass die Verrechnung nach § 52 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (SGB I) nicht durch Verwaltungsakt erfolge.

Entscheidungsgründe

9

Der 13. Senat beabsichtigt, auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (hierzu im Folgenden unter 1.) . Er sieht sich hieran durch das Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1) gehindert; würde er der Rechtsauffassung, auf der dieses Urteil beruht, im vorliegenden Fall folgen, wären die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen (hierzu im Folgenden unter 2.; dort auch zu weiterer Rechtsprechung des 4. Senats) . Dies macht die aus dem Entscheidungssatz ersichtliche Vorlage gemäß § 41 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlich(hierzu im Folgenden unter 3.) .

10

1. Die vom vorlegenden Senat beabsichtigte Zurückverweisung ist erforderlich, weil auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht entschieden werden kann, ob der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtmäßig ist.

11

a) Die Revision ist aufgrund der - den Senat bindenden (vgl § 160 Abs 3 SGG) - Zulassung im Urteil des LSG statthaft und auch sonst zulässig. Der Senat hat keine Bedenken hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses der Beklagten und der Beigeladenen. Bei einem Rechtsmittelführer besteht ein solches in aller Regel, wenn er - wie hier die Beklagte und die Beigeladene - durch die Entscheidung der Vorinstanz formell beschwert ist (BSG vom 10.5.2000, BSGE 86, 126, 129 = SozR 3-2500 § 85 Nr 37 S 289 mwN) . Einer der Ausnahmefälle (vgl BSG vom 8.5.2007, SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13) liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat nach wie vor ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, in welcher Form sie die Verrechnung gegenüber dem Kläger zu erklären hatte oder in Zukunft hat; sie ist jedenfalls nicht durch Verwirkung an der Durchführung der streitigen oder an einer neuen Verrechnung gegenüber dem Kläger gehindert. Die Forderung der Beigeladenen gegenüber dem Kläger besteht weiterhin.

12

b) Eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht ist nicht schon deshalb zwingend erforderlich, weil das Verfahren vor dem LSG an einem absoluten, die Wirksamkeit des Verfahrens als Ganzes berührenden und somit auch ohne Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu beachtenden Mangel leidet. Zwar hat der Vorsitzende des LSG-Senats als Berichterstatter des Verfahrens mit Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats entschieden und hierbei die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Dies ist nach der Rechtsmeinung des 9. Senats des BSG "regelmäßig" verfahrensfehlerhaft und führt - wenn nicht ausnahmsweise Gründe erkennbar sind, warum die Sache doch durch den Berichterstatter allein entschieden werden konnte - als absoluter Revisionsgrund von Amts wegen gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das LSG(Urteil vom 8.11.2007 - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 11 ff, 22 f; sich hiervon abgrenzend 6. Senat, Urteil vom 6.5.2009 - BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 31; zudem weist der 3. Senat darauf hin, dass auch bei Fehlen von Gründen, die ausnahmsweise eine Entscheidung samt Revisionszulassung wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung durch den Berichterstatter rechtfertigen, nicht stets eine Zurückverweisung zu erfolgen habe: Urteil vom 25.6.2009 - B 3 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 12 ff).

13

Im hier zu entscheidenden Fall liegen besondere Gründe vor, die eine Alleinentscheidung durch den Berichterstatter bzw den Vorsitzenden samt Revisionszulassung als ermessensfehlerfreie Handhabung von § 155 Abs 3 und 4 SGG erscheinen lassen, sodass kein zur Zurückverweisung berechtigender Verfahrensmangel festgestellt werden kann(zu solchen Gründen vgl auch BSG vom 25.6.2009, aaO RdNr 11, sowie BSG, Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 38/08 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Zum einen ist in der Anfrage an die Beteiligten, ob einer Entscheidung durch den Vorsitzenden als Einzelrichter zugestimmt werde, bereits ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass in dem die Rechtsfrage einer Verrechnung durch Verwaltungsakt betreffenden Urteil "aller Voraussicht nach die Revision zuzulassen sein wird". Zum anderen hat der allein für den Senat entscheidende Vorsitzende nicht "am Senat in voller Besetzung vorbei" eine eigenständige Rechtsprechung begründet, sondern ist vielmehr der bisherigen Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen und des 4. Senats des BSG ausdrücklich gefolgt. Die Revision hat er lediglich mit der Erwägung zugelassen, angesichts der zwischen dem 4. und dem 13. Senat des BSG zu Tage getretenen Unterschiede in der Bewertung der Verrechnungserklärung (Hinweis auf das Urteil des 13. Senats vom 27.3.2007 - B 13 RJ 43/05 R - Juris RdNr 18) rasch eine höchstrichterliche Klärung der Streitfrage zu ermöglichen. Dies ist auch im Lichte der verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz ) ermessensfehlerfrei, denn es entzieht den Beteiligten nicht den für die letztverbindliche Entscheidung der Streitfrage zuständigen Richtern des BSG, sondern öffnet den Weg zu ihnen in Übereinstimmung mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung (vgl hierzu BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 21).

14

c) Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits bedarf es auch nicht in jedem Fall im Hinblick darauf, dass das LSG bei zutreffender Auslegung des Rechtsschutzbegehrens des Klägers (§ 123 SGG) auch dessen Vorbringen in der Sache hätte prüfen müssen, dies aber unterlassen hat. In diese Richtung weist allerdings der Antwortbeschluss des 4. Senats vom 22.9.2009 (B 4 SF 1/09 S, RdNr 3) , wenn dort ausdrücklich offen gelassen wird, ob der Rechtsstreit nicht auch dann zurückzuverweisen wäre, wenn der vorlegende Senat der Rechtsmeinung des 4. Senats folgte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn der Kläger hat das nach Einschätzung des 4. Senats möglicherweise unvollständige Urteil des SG selbst nicht angefochten; somit war für die auf Berufung der Beklagten ergangene Entscheidung des LSG eine mögliche Verletzung des § 123 SGG zu Lasten des Klägers ohne Belang.

15

d) Der angefochtene Bescheid war nicht allein deswegen - als sog "formeller Verwaltungsakt" - aufzuheben, weil die durch ihn - nach dem Empfängerhorizont objektiv in der Gestalt eines Verwaltungsakts (vgl Wolff/Brink in Bader/Ronellenfitsch, Kommentar zum VwVfG, 2010, § 35 RdNr 31) - ausgesprochene Verrechnungserklärung nicht in dieser Handlungsform hätte ergehen dürfen. Denn mit dem Verwaltungsakt hat die Beklagte die zutreffende Handlungsform gewählt (wie hier in neuerer Zeit zB vom Rath, DÖV 2010, 180) .

16

Nach § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) ist "Verwaltungsakt … jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist".

17

Die Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen liegt bei dem hier streitbefangenen Verrechnungsbescheid vom 21.11.2005 darin, dass die in ihm enthaltene Verrechnungserklärung eine unmittelbare Wirkung auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten hat, diesen nämlich - soweit die Verrechnungserklärung reicht und sofern sie wirksam ist - zum Erlöschen bringt (vgl BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 8) . Das Tatbestandsmerkmal "auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" in § 31 SGB X ist erfüllt, weil § 52 SGB I eine spezifische Regelung des öffentlichen Rechts zur Ausgestaltung der öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsempfängern und Sozialleistungsträgern darstellt. Die Erklärung einer Verrechnung nach § 52 SGB I enthält schließlich eine hoheitliche Maßnahme, also eine einseitige behördliche Handlung, die ihrem Adressaten - dem Sozialleistungsempfänger - in dieser Form ihrer Art nach nicht zusteht(vgl zu diesem Merkmal U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 35 RdNr 104 mwN; Wolff/Brink, aaO, § 35 RdNr 72 ff; nach Krasney in Kasseler Komm, § 31 SGB X RdNr 6, Stand: Dezember 2003, kommt diesem Gesichtspunkt gegenüber den anderen Voraussetzungen kein eigenes Gewicht zu) .

18

Im Übrigen ist - anders als im Zivilrecht - nach dem SGB I auch die Aufrechnung (§ 51 SGB I) nicht nur davon abhängig, dass sich der Aufrechnungsberechtigte (die Behörde) hierfür frei entscheidet und dies erklärt. Vielmehr ist - das Gleiche gilt wegen der Verweisung in § 52 SGB I für die Verrechnung - die Erklärung an das pflichtgemäße Ermessen(§ 51 Abs 1 Halbsatz 1, Abs 2 Halbsatz 1 SGB I) und an die Pfändbarkeit der Geldleistungen (Abs 1 Halbsatz 2 aaO) gebunden bzw (nach § 51 Abs 2 SGB I) an die Höhenbegrenzung (bis zur Hälfte) sowie die fehlende Hilfebedürftigkeit des Berechtigten nach der Aufrechnung.

19

Auch der Gesetzgeber sieht in einer Verrechnungserklärung einen Verwaltungsakt. Dies folgt aus der Regelung des § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, die durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB vom 13.6.1994 (BGBl I 1229) mit Wirkung ab 18.6.1994 eingefügt wurde. Nach Abs 1 der Vorschrift ist (nur) vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu Äußerung zu geben; dies gilt jedoch nach Abs 2 Nr 7 der Vorschrift nicht, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als (in der ursprünglichen Fassung: 100 DM, jetzt:) 70 Euro (aufgerechnet oder) verrechnet werden soll. Hieraus kann nur geschlossen werden, dass - unabhängig von der Höhe - die Verrechnung nach § 52 SGB I ebenso wie die Aufrechnung nach § 51 SGB I durch Verwaltungsakt zu erklären ist(vgl ferner die Entwurfsbegründung zu § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, BT-Drucks 12/5187 S 35 - Zu Art 6, Zu Nr 1, wonach "materielle Einwände gegen die Aufrechnung bzw. Verrechnung … im Widerspruchsverfahren geltend gemacht werden" können) .

20

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber in nicht zu beanstandender Weise von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, die Aufrechnung und die Verrechnung jedenfalls für den Bereich des Sozialrechts der Handlungsform "Verwaltungsakt" zu unterstellen. Hieran sind die Gerichte gemäß Art 20 Abs 3 GG selbst dann gebunden, wenn sie eine solche Zuordnung aufgrund rechtssystematischer Erwägungen für unzutreffend oder aus praktischen Überlegungen heraus für unerwünscht halten sollten (vgl Wolff/Brink, aaO RdNr 28 f; U. Stelkens, aaO RdNr 13 - beide unter Hinweis auf BVerwGE 70, 77, 82; das Bundesverwaltungsgericht hatte sich in dieser Entscheidung veranlasst gesehen, nach einer Rechtsänderung seine frühere Rechtsprechung zur Einordnung einer Schutzbereichanordnung als Rechtsverordnung aufzugeben) . Bei Beachtung des Vorrangs des Gesetzes kann der Regelungsgehalt von § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X auch nicht mit dem Hinweis darauf ausgeblendet werden, dass diese Regelung nur "beiläufig" und "vordergründig" erfolgt sei und deshalb keine Geltung beanspruchen könne(so aber U. Stelkens, aaO RdNr 139, unter Bezugnahme auf Weber, SGb 1999, 225, 229, der sich in nicht näher belegte Spekulationen über die Regelungsabsichten des Gesetzgebers verliert und sich sogar zu der Wendung versteigt, die "eindeutig" in § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X erfolgte Beimessung von Verwaltungsaktqualität an die Aufrechung/Verrechnung im Sozialrecht sei "legales Unrecht"; s hierzu treffend Günther, SGb 1999, 609 sowie Wehrhahn, SGb 2007, 468).

21

Einer über die Bestimmung des § 52 SGB I hinausgehenden ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung für den Erlass eines Verwaltungsakts mit dem Inhalt der Verrechnung bedarf es nicht(zu der jeder Eingriffsermächtigung immanenten "Verwaltungsakt-Befugnis" vgl Wolff/Brink, aaO RdNr 63) . Ganz generell regelt § 8 SGB X, dass das Verwaltungsverfahren des SGB "auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist". Da die Verrechnung im SGB geregelt ist, kann und darf ein Verwaltungsverfahren zur Verrechnung mit dem Erlass eines Verwaltungsakts enden.

22

Die Verrechnung ist schließlich von der Beklagten auch in der Form eines Verwaltungsakts erklärt worden (unter dieser Voraussetzung sieht die ausführliche Darstellung der Problematik bei Kresser, Die Bedeutung der Form für Begriff und Rechtsfolgen des Verwaltungsakts, 2009 , selbst eine im allgemeinen Verwaltungsrecht erklärte Aufrechnung als materiellen Verwaltungsakt mit einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage an: aaO S 226 ff; dort - passim - auch weitere eingehende Darlegungen).

23

e) Hat aber die Beklagte zu Recht durch Verwaltungsakt entschieden, durfte das SG ihren Bescheid vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.6.2006 nicht als rein "formellen" oder "Schein-Verwaltungsakt" aufheben. Es hätte vielmehr prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die von der Beklagten erklärte Verrechnung vorlagen, nämlich

-       

das Bestehen der von der Beigeladenen gegen den Kläger geltend gemachten Forderung,

-       

das Vorliegen einer Ermächtigung der Beklagten durch die Beigeladene,

-       

die Pfändbarkeit der Rentenansprüche des Klägers gegen die Beklagte (§ 52 iVm § 51 Abs 1 SGB I) ,

-       

die Voraussetzungen des § 51 Abs 2 SGB I (höchstens zur Hälfte; kein Hervorrufen von Hilfebedürftigkeit nach dem Zwölften oder dem Zweiten Buch des SGB) und schließlich

-       

die ordnungsgemäße Ausübung des der Beklagten zustehenden Ermessens sowie die erforderliche Bestimmtheit des Verwaltungsakts.

24

Da insoweit auch in dem das SG-Urteil bestätigenden Berufungsurteil keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen vorliegen, ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Dieses wird sich auch damit auseinanderzusetzen haben, ob sich die Beurteilungsgrundlage durch die Heirat des Klägers und seinen nachfolgenden Umzug nach Thailand geändert hat.

25

2. Eine Entscheidung in diesem Sinne ist dem vorlegenden Senat jedoch nicht ohne Abweichung von dem Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1; s unten zu weiterer Rechtsprechung des 4. Senats) möglich, auch wenn sich der vorlegende Senat in Übereinstimmung mit weiteren Senaten des BSG befindet.

26

a) Das BSG hat unter Geltung des SGB I zunächst sowohl die Erklärung über eine Aufrechnung (§ 51 SGB I)

        

BSG 4. Senat vom 19.1.1978 - BSGE 45, 271 = SozR 1200 § 51 Nr 3
- dass es sich hier um einen Verwaltungsakt handelte, ergibt sich aus dem nicht abgedruckten Volltext, vgl Juris RdNr 2 -;

        

BSG 3. Senat vom 11.10.1979 - SozR 1200 § 51 Nr 5 S 8;

        

BSG 1. Senat vom 12.11.1980 - SozR 1200 § 51 Nr 8 S 18;

        

BSG 4. Senat vom 16.9.1981 - BSGE 52, 98,101 = SozR 1200 § 51 Nr 11;

        

BSG 4. Senat vom 17.9.1981 - SozR 1200 § 51 Nr 12 S 30;

        

BSG 10. Senat vom 25.3.1982 - BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6;

        

BSG 7. Senat vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13;

        

BSG 10. Senat vom 15.12.1992 - SozR 3-1200 § 51 Nr 3 S 5;

        

BSG 14. Senat vom 27.3.1996 - BSGE 78, 132, 134 = SozR 3-1200 § 51 Nr 5

 als auch die Erklärung über eine Verrechnung (§ 52 SGB I)

        

BSG 8a. Senat vom 18.12.1980 - BSGE 51, 98 = SozR 1200 § 51 Nr 9
- dass es sich hier um einen Verwaltungsakt handelte, ergibt sich aus dem nicht abgedruckten Volltext, vgl Juris RdNr 2 -;

        

BSG 10. Senat vom 25.3.1982 - BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6;

        

BSG 7. Senat vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13;

        

BSG 11. Senat vom 9.11.1989 - BSGE 66, 63 = SozR 1200 § 51 Nr 17;

        

BSG 13. Senat vom 18.2.1992 - SozR 3-1200 § 52 Nr 3 S 32, 34, 36

in Form eines Verwaltungsakts entweder nicht beanstandet (so die zitierten Entscheidungen bis einschließlich 1981 und die des 14. Senats vom 27.3.1996) oder aber (so die übrigen Entscheidungen, zT als obiter dictum) ausgeführt, dass Aufrechnung und/oder Verrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären seien.

27

Erstmals ausdrücklich offen blieb die Frage im Urteil

        

BSG 4. Senat vom 12.7.1990 - BSGE 67, 143, 146 = SozR 3-1200 § 52 Nr 1:

Die Rechtsnatur der Auf- oder Verrechnung sei noch nicht abschließend geklärt (Hinweis auf die Rspr von BVerwG und Bundesfinanzhof einerseits und BSG andererseits) ; möglicherweise müsse unterschieden werden zwischen der Aufrechnung als Willenserklärung, die die Gegenforderung zum Erlöschen bringe (§ 389 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) , und der verwaltungsverfahrensrechtlichen Folge hieraus, nämlich dem Erlass eines Bescheids gemäß § 48 SGB X wegen der notwendig gewordenen Änderung des eine Dauerleistung bewilligenden Verwaltungsakts.

28

Diesem Urteil wiederum folgte tendenziell

        

BSG 12. Senat vom 15.12.1994 - BSGE 75, 283, 288 = SozR 3-2400 § 28 Nr 2;

hiernach ist eine Aufrechnung bei erstmaliger Entscheidung über einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge (außerhalb § 51 SGB I) nicht durch Verwaltungsakt zu erklären. Werde jedoch gegen einen durch Verwaltungsakt bindend bewilligten Anspruch aufgerechnet, sei hierfür zwar keine Ermächtigung erforderlich; jedoch möge dies eine Änderung jenes Verwaltungsakts nach sich ziehen, die der verwaltungsverfahrensrechtlichen Umsetzung nach den §§ 45, 48 SGB X bedürfe.

29

Das Urteil

        

BSG 4. Senat vom 24.7.2003 - SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 7 ff - im Rentenbewilligungsbescheid wurde die Entscheidung über die Nachzahlung ausdrücklich vorbehalten -

schließlich qualifizierte den "Bescheid", die Beklagte verrechne die (nach dem zuvor ergangenen Rentenbescheid vorläufig einbehaltene) Nachzahlung, als lediglich formellen (und daher aufzuhebenden) Verwaltungsakt, weil die Verrechnung rechtskonform durch verwaltungsrechtliche Willenserklärung auszuüben sei. Diese Erklärung enthalte keine Regelung iS des § 31 SGB X; das im Rentenbescheid festgesetzte Recht werde dadurch nicht aufgehoben oder geändert. Selbst wenn man der Erklärung "(auch) die Rechtswirkung entsprechend einer Regelung iS eines Verwaltungsakts beimessen" wollte, so fehlte es insoweit an der "für die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsakts erforderlichen (parlaments-)gesetzlichen Ermächtigung". Eine Auseinandersetzung mit der am 18.6.1994 in Kraft getretenen Regelung in § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X erfolgt in dieser Entscheidung nicht.

30

Im zeitlichen Anschluss hieran ließ das Urteil

        

BSG 5. Senat vom 10.12.2003 - BSGE 92, 1 = SozR 4-1200 § 52 Nr 2, RdNr 6

dahingestellt, ob die Verrechnung nach § 52 SGB I lediglich als rechtsgeschäftliche Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts zu qualifizieren sei oder sich in der Form eines Verwaltungsakts zu vollziehen habe (ohne zu prüfen, ob dann nicht jedenfalls die Anfechtungsklage hätte Erfolg haben müssen).

31

In den Urteilen

        

BSG 4. Senat vom 5.9.2006 - B 4 R 71/06 R - SozR 4-2500 § 255 Nr 1 - sowie B 4 R 75/06 R, jeweils RdNr 15 - 27

sah der 4. Senat (unter Hinweis ua auf sein Urteil vom 24.7.2003, ohne weitere Begründung) die in einem Bescheid enthaltenen "Erklärungen behalte aus der Rente Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 1,7 vH ein und zahle deshalb den 'Rentenbetrag' nicht aus ('abzüglich')", als Verrechnung an; der insoweit keinen materiellen Verwaltungsakt verlautbarende Bescheid sei als formeller Verwaltungsakt ("Anscheins-Verwaltungsakt") aufzuheben (in ähnlich gelagerten Verfahren des 12. Senats hat dieser entsprechende Formulierungen als zulässige feststellende Verwaltungsakte über die Höhe des Auszahlungsbetrags bzw als Festsetzung der Pflege- und Krankenversicherungsbeiträge durch Verwaltungsakt angesehen: BSG 12. Senat vom 29.11.2006 - BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 § 59 Nr 1, RdNr 9 und 11; vom 21.1.2009 - B 12 R 11/06 R - SozR 4-2500 § 241a Nr 2 RdNr 13 ff).

32

Im Urteil

        

BSG 13. Senat vom 27.3.2007 - B 13 RJ 43/05 R, Juris RdNr 13 ff, 18

konnte der vorlegende Senat die Rechtsnatur der Verrechnung offen lassen, weil das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die allein zu entscheidende Anfechtungsklage nach Abschluss der Verrechnung entfallen war.

33

Im Rahmen seiner Hinweise für die Sachbehandlung nach Zurückverweisung hat das Urteil

        

BSG 7. Senat vom 16.12.2009 - B 7 AL 43/07 R, Juris RdNr 15 f

im Zusammenhang mit der entschiedenen Fallgestaltung die "rein formale" Frage offen gelassen, ob die Aufrechnung als Verwaltungsakt zu erfolgen hat "oder - wofür mehr spricht - durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung".

34

b) In der für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblichen Rechtsfrage der Rechtsnatur der Verrechnungserklärung vermag der vorlegende Senat sich der Rechtsmeinung des 4. Senats nicht anzuschließen.
Unter Weglassung der Klammerzusätze mit Rechtsprechungs- oder Literaturnachweisen lautet die einschlägige Argumentation des 4. Senats wie folgt (Urteil vom 24.7.2003 - SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 8; die Urteile vom 5.9.2006 bringen insoweit keinen weiteren Aufschluss) :

        

"Die Wirkungen der Verrechnung ebenso wie die der Aufrechnung beurteilen sich, soweit die §§ 51, 52, 57 Abs 2 SGB I nichts anderes vorgeben und soweit sie mit dem öffentlichen Sozialverwaltungsrecht vereinbar sind, nach den zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 387 ff BGB. In diesem Rahmen und auf dieser Grundlage sind sie entsprechend (lückenfüllend) anwendbar. Dies hat zur Folge, dass bei wirksamer Ausübung des öffentlich-rechtlichen Gestaltungsrechts (verwaltungsrechtliche Willenserklärung) die Rechtsfolgen aus § 389 BGB direkt kraft Gesetzes eintreten. Diese setzen folglich gerade voraus, dass das Recht zu diesem Zeitpunkt noch erfüllbar bestanden hat. Nach Erfüllung bleibt es als Rechtsgrund der Leistung solange bestehen, bis der Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert wird oder sich auf andere Weise erledigt hat (§ 39 Abs 2 SGB X). Eine wirksame Verrechnung führt mithin allein zum Erlöschen von Ansprüchen, ohne dass das im Verwaltungsakt festgesetzte Recht - etwa im Wege des Selbstvollzuges - verändert oder sonst geregelt wird. Würde man dennoch der Aufrechnungs- bzw Verrechnungserklärung (auch) die Rechtswirkung entsprechend einer Regelung iS eines Verwaltungsaktes beimessen wollen, so fehlte es insoweit an der für die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsaktes erforderlichen (parlaments-)gesetzlichen Ermächtigung."

35

Hier werden zwei Argumente gegen die Rechtsform des Verwaltungsakts vorgebracht:

(1) Die Verrechnung wolle nichts am durch Verwaltungsakt bewilligten Rentenanspruch ändern.

(2) Die Verwaltung sei nicht gesetzlich ermächtigt, die Verrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären.

36

Zu (1): Hierin kann der Senat keinen Grund sehen, die Verwaltungsaktqualität der Verrechnung zu verneinen. Gemeint scheint die "auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen" gerichtete Regelung eines Einzelfalls iS des § 31 Satz 1 SGB X zu sein, die jedoch nicht davon abhängen kann, ob die Verrechnung am Rentenanspruch selbst etwas ändert(s ferner oben bei 1d). Es genügt, dass der Adressat des Rentenbescheids aufgrund einer wirksam verfügten Verrechnung in dem in ihr festgelegten zeitlichen und betragsmäßigen Umfang das Recht verliert, vom Rentenversicherungsträger monatliche Rentenzahlungen zu verlangen und gegebenenfalls gerichtlich im Wege der Leistungsklage durchzusetzen.

37

Zu (2): Insoweit kann ebenso auf die Ausführungen zu 1d) verwiesen werden.

38

c) Auch sonst sind keine Argumente erkennbar, die den vorlegenden Senat davon überzeugen könnten, von der (mit Ausnahme des 4. Senats) gefestigten Rechtsprechung des BSG zur Verwaltungsaktqualität einer Verrechnungsentscheidung abzugehen (zu den Ausführungen des Antwortbeschlusses des 4. Senats vom 22.9.2009 im Zusammenhang s unter 3.) .

39

Insbesondere besteht keine Rechtsprechung des BVerwG und des BFH zur Rechtsnatur der Verrechnung; deshalb kann die Rechtsauffassung des vorlegenden Senats nicht von einer solchen abweichen. Die Verrechnung stellt ein spezifisch sozialrechtliches Institut dar; sie ist weder im (allgemeinen) Verwaltungs- noch im Steuer- (-verfahrens-) recht bekannt (die "Verrechnung" nach § 10 Abs 3 Satz 1 Abwasserabgabengesetz meint eine vom Gläubiger vorzunehmende Absetzung von der Abgabeschuld) .

40

Auch zum Rechtscharakter der Aufrechnung ist im Übrigen eine sozialrechtliche Lösung ohne Abweichung von anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes möglich. Denn es bestehen unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Die eigenständige Regelung in § 51 SGB I findet anderswo keine Entsprechung: Im allgemeinen Verwaltungsrecht werden auch ohne einschlägige Regelung die Vorschriften der §§ 387 ff BGB über die Aufrechnung für entsprechend anwendbar gehalten; § 226 der Abgabenordnung 1977 verweist insoweit ausdrücklich auf das bürgerliche Recht. Auch ist keine Rechtsprechung des BVerwG zur Rechtsnatur einer Aufrechnung nach § 51 SGB X ersichtlich(das Urteil vom 19.6.1980 - BVerwGE 60, 240 - geht hierauf nicht ein; der Beschluss vom 6.11.1995 - 5 B 154/95, Buchholz 435.11 § 55 SGB I Nr 2 - hat die Nichtzulassungsbeschwerde mangels Entscheidungserheblichkeit der einschlägigen Rechtsfrage zurückgewiesen) .

41

Zudem lässt sich aus der Möglichkeit der Abtretung oder Pfändung eines Anspruchs auf Sozialleistungen nichts anderes herleiten. Zwar ist der Abtretungsgläubiger (Zessionar) oder Pfändungspfandgläubiger nicht am Sozialversicherungsverhältnis beteiligt; durch Abtretung oder Pfändung werden jedoch weder die Natur des Anspruchs geändert (BSG vom 11.6.1987 - SozR 1300 § 50 Nr 17 S 37) noch in die Rechte des zahlenden oder eines anderen Leistungsträgers (auf Aufrechnung bzw Verrechnung) eingegriffen. Auf- oder Verrechnung gegen Ansprüche auf Sozialleistungen bleiben damit weiter möglich; die entsprechenden Bescheide sind dann jedoch (auch) dem Abtretungs- oder Pfändungspfandgläubiger bekannt zu geben (BSG vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 22 f = SozR 1200 § 54 Nr 13) .

42

Schließlich ist es auch nicht unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Sicherung der Funktionsfähigkeit - insbesondere der Finanzierungsgrundlagen- der Sozialversicherungsträger geboten, die Verrechnung (ebenso die Aufrechnung) im Sozialrecht als öffentlich-rechtliche Willenserklärung ohne Verwaltungsaktcharakter zu qualifizieren, weil nur auf diese Weise die beabsichtigte Wirkung einer vom Versicherungsträger erklärten Verrechnung - die Befriedigung des von dem (anderen) Versicherungsträger gegen den Leistungsempfänger geltend gemachten Anspruchs (Erfüllungswirkung - vgl BSGE 75, 283, 284 f = SozR 3-2400 § 28 Nr 2 S 9 f; s auch BVerwGE 66, 218, 222 sowie BVerwGE 132, 250 RdNr 8, 10) - sofort im Zeitpunkt ihrer Erklärung eintrete und nicht aufgrund eines möglicherweise zeitaufwändigen Verwaltungsverfahrens oder infolge von Rechtsbehelfen des Leistungsempfängers verzögert oder vereitelt werden könne. Der Durchführung eines im Einzelfall gegebenenfalls ermittlungsintensiven Verwaltungsverfahrens bedarf es im Anwendungsbereich der §§ 51, 52 SGB I vor Erklärung einer Verrechnung (Aufrechnung) unabhängig von ihrer Qualifizierung als Verwaltungsakt oder Willenserklärung in jedem Fall. Denn hier erfordert - anders als im allgemeinen Verwaltungsrecht - die Verrechnung (Aufrechnung) nicht nur die Existenz einer gleichartigen und fälligen Gegenforderung, sondern ist durch weitere Voraussetzungen eingeschränkt, die an die wirtschaftliche Situation des Leistungsempfängers anknüpfen und nicht zuletzt der Vermeidung des Eintritts von dessen Sozialhilfebedürftigkeit infolge der Verrechnung (Aufrechnung) dienen. Soweit die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen einen Verrechnungsbescheid (Aufrechnungsbescheid) für problematisch erachtet und es - über die bestehende Möglichkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs 2 Nr 5 SGG hinaus - für erforderlich gehalten wird, im Zusammenhang mit Verrechnungen (Aufrechnungen) die bestehende verfahrensrechtliche Stellung der Sozialleistungsempfänger zugunsten der Versicherungsträger zu beschneiden, obläge es dem Gesetzgeber, durch eine entsprechende Ergänzung von § 86a Abs 2 SGG Abhilfe zu schaffen. Die Außerachtlassung der vom Gesetzgeber selbst in § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X vorgenommenen Zuordnung legitimiert dieses Anliegen jedoch nicht.

43

d) Da der vorlegende Senat der Auffassung ist, dass bereits die Verrechnung selbst durch Verwaltungsakt zu erklären ist, bedarf es beim gegenwärtigen Streitstand keiner Prüfung, ob der angefochtene Bescheid weitere Regelungen (zB über die Höhe des Auszahlungsbetrags) enthält, die als Verwaltungsakt zu qualifizieren sein könnten (s ua hierzu Wehrhahn, SGb 2007, 468; Gabbert, RVaktuell 2008, 192, 195 f) .

44

3. Der 4. Senat hat den Anfragebeschluss des vorlegenden Senats vom 5.2.2009 - B 13 R 31/08 R - mit Beschluss vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S - abschlägig beantwortet.

45

a) Die Anfrage war gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG an den 4. Senat und nicht etwa an einen Nachfolgesenat zu richten (hierzu BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 69/08 B, BeckRS 2009-53032 RdNr 4 f) . Ein Fall des Satzes 2 der Vorschrift liegt nicht vor. Denn der 4. Senat kann nach wie vor mit der aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Rechtsfrage zur Auslegung des § 52 SGB I befasst werden(zB trotz § 52 letzter Teilsatz iVm § 51 Abs 2 letzter Teilsatz SGB I bei Empfängern des Zuschlags nach § 24 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch) .

46

b) Der vorlegende Senat vermag sich der Argumentation im Antwortbeschluss des 4. Senats aus folgenden Erwägungen nicht anzuschließen:

47

aa) Zu RdNr 6, 7 des Antwortbeschlusses:

Zu den hier angesprochenen Fragen (Bestimmtheit der - in welcher Form auch immer zu äußernden - Verrechnungserklärung/keine Änderung des - wie auch immer zu bestimmenden - "Stammrechts" durch eine Verrechnung) besteht zwischen dem 4. und dem vorlegenden Senat keine unterschiedliche Auffassung.

48

bb) Zu RdNr 8 des Antwortbeschlusses:

Soweit der 4. Senat an der Rechtsmeinung festhält, eine Verrechnung müsse nicht durch Verwaltungsakt erfolgen (die Formulierung hier und am Ende von RdNr 5 erweckt den Eindruck, sie dürfe jedoch fakultativ auch durch Verwaltungsakt erfolgen; hingegen schließt der Entscheidungssatz des Antwortbeschlusses dies aus), fehlt erneut jegliche Auseinandersetzung mit dem zentralen Argument, der Gesetzgeber selbst habe dies für den Bereich des Sozialrechts in § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X ausdrücklich und unzweifelhaft so vorgegeben (s oben unter 1d sowie Anfragebeschluss vom 5.2.2009 - B 13 R 31/08 R, RdNr 16).

49

cc) Zu RdNr 10 f des Antwortbeschlusses:

Die Argumentation des 4. Senats zur Verrechnung mit Ansprüchen nach § 116 SGB X läuft ins Leere. Denn nach der ua vom 4. Senat (Urteil vom 17.9.1981 - SozR 1200 § 51 Nr 12; ebenso BSG 5b. Senat vom 10.3.1982 - SozR aaO Nr 13) begründeten Rechtsprechung des BSG sind Verwaltungsakte über die Aufrechnung mit einer weder anerkannten noch rechtskräftig festgestellten zivilrechtlichen Forderung ohne weitere Prüfung aufzuheben. Entsprechend hat der 4. Senat (unter RdNr 6 des Antwortbeschlusses vom 22.9.2009) - in Übereinstimmung mit dem 13. Senat - selbst daran festgehalten, dass die Rechtmäßigkeit einer Verrechnungserklärung die Bezeichnung einer bestands- oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderung des ermächtigenden Leistungsträgers voraussetze. Existiert die - nach Anhörung des Betroffenen gemäß § 24 SGB X - in einem Verrechnungsbescheid als rechtskräftig festgestellt benannte Gegenforderung in Wirklichkeit nicht, kann ein gleichwohl bestandskräftig gewordener Verrechnungsbescheid gemäß § 44 SGB X auch noch nachträglich korrigiert werden (wobei die praktische Relevanz einer solchen Konstellation fraglich erscheint).

50

dd) Zu RdNr 12 des Antwortbeschlusses:

Soweit der 4. Senat eine "Umdrehung der Rollenverteilung" durch Aufdrängen der "Angreiferrolle" hinsichtlich der zur Verrechnung gestellten Gegenforderung an den Sozialleistungsempfänger/Rentner beklagt, ist nicht erkennbar, inwiefern dies bei der vom 4. Senat vertretenen Konzeption der Verrechnung als öffentlich-rechtlicher Willenserklärung anders sein soll. Unterschiede bestehen allerdings im Hinblick darauf, dass die Umsetzung einer Verrechnung in der verwaltungsverfahrensrechtlichen Handlungsform eines Verwaltungsakts regelmäßig (abgesehen von den Fällen des § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X) eine vorherige Anhörung des Betroffenen erfordert und diesem auch noch eine verwaltungsinterne Überprüfung im Widerspruchsverfahren eröffnet, bevor sie ihn in das gerichtliche Klageverfahren zur Geltendmachung seiner Rechte zwingt. In Wirklichkeit verstärkt somit eine als Verwaltungsakt zu erklärende Verrechnung die verfahrensrechtliche Position des Sozialleistungsempfängers.

51

ee) Zu RdNr 13 des Antwortbeschlusses (Abweichung von Rechtsprechung des BVerwG oder BFH) sei auf die einschlägigen, großteils bereits im Anfragebeschluss enthaltenen Hinweise (s oben bei 2 c) Bezug genommen.

52

ff) Zu RdNr 15 des Antwortbeschlusses:

Soweit der 4. Senat meint, er sei mit seinem Urteil vom 24.7.2003 (SozR 4-1200 § 52 Nr 1) nicht von anderen Senaten des BSG (Bezug genommen wird lediglich auf die Entscheidung des 7. Senats vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13) iS des § 41 Abs 2 SGG abgewichen, beruft er sich ausschließlich darauf, dass entgegenstehende Ausführungen in den Entscheidungen anderer Senate nicht "näher begründet" gewesen seien. Allerdings kann auch dann eine zur Vorlage an den Großen Senat verpflichtende Abweichung in den tragenden Gründen vorliegen (deutlich zB bei BSG - 11. Senat - vom 9.11.1989 - BSGE 66, 63, 68 f = SozR 1200 § 51 Nr 17) . Im Übrigen findet sich in der im Antwortbeschluss allein zitierten Entscheidung des 7. Senats (aaO) die nähere Begründung in der Gestalt von vier Literaturnachweisen und ist die bewusste Abweichung hiervon im Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 deutlich ausgewiesen (s BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 8 am Ende: "Aufrechnungs- bzw Verrechnungserklärung als Verwaltungsakt: … BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6; BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13; BSG SozR 3-1200 § 52 Nr 3 S 32").

(1) Laufende Geldleistungen mit Ausnahme des Übergangsgeldes werden am Ende des Monats fällig, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind; sie werden am letzten Bankarbeitstag dieses Monats ausgezahlt. Bei Zahlung auf ein Konto im Inland ist die Gutschrift der laufenden Geldleistung, auch wenn sie nachträglich erfolgt, so vorzunehmen, dass die Wertstellung des eingehenden Überweisungsbetrages auf dem Empfängerkonto unter dem Datum des Tages erfolgt, an dem der Betrag dem Geldinstitut zur Verfügung gestellt worden ist. Für die rechtzeitige Auszahlung im Sinne von Satz 1 genügt es, wenn nach dem gewöhnlichen Verlauf die Wertstellung des Betrages der laufenden Geldleistung unter dem Datum des letzten Bankarbeitstages erfolgen kann.

(2) Laufende Geldleistungen, die bei Auszahlungen

1.
im Inland den aktuellen Rentenwert,
2.
im Ausland das Dreifache des aktuellen Rentenwerts nicht übersteigen,
können für einen angemessenen Zeitraum im Voraus ausgezahlt werden.

(2a) Nachzahlungsbeträge, die ein Zehntel des aktuellen Rentenwerts nicht übersteigen, sollen nicht ausgezahlt werden.

(2b) In Fällen des § 47 Absatz 1 Satz 3 des Ersten Buches erfolgt eine kostenfreie Übermittlung von Geldleistungen an den Wohnsitz oder an den gewöhnlichen Aufenthalt spätestens ab dem zweiten Monat, der auf den Monat folgt, in dem der Nachweis erbracht worden ist.

(3) Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut, für das die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (ABl. L 94 vom 30.3.2012, S. 22) gilt, überwiesen wurden, gelten als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung zurückzuüberweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordern. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann. Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden.

(4) Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. Der Träger der Rentenversicherung hat Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Ein Geldinstitut, das eine Rücküberweisung mit dem Hinweis abgelehnt hat, dass über den entsprechenden Betrag bereits anderweitig verfügt wurde, hat der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung auf Verlangen Name und Anschrift des Empfängers oder Verfügenden und etwaiger neuer Kontoinhaber zu benennen. Ein Anspruch gegen die Erben nach § 50 des Zehnten Buches bleibt unberührt.

(4a) Die Ansprüche nach den Absätzen 3 und 4 verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Träger der Rentenversicherung Kenntnis von der Überzahlung und in den Fällen des Absatzes 4 zusätzlich Kenntnis von dem Erstattungspflichtigen erlangt hat. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß.

(5) Sind laufende Geldleistungen, die nach Absatz 1 auszuzahlen und in dem Monat fällig geworden sind, in dem der Berechtigte verstorben ist, auf das bisherige Empfängerkonto bei einem Geldinstitut überwiesen worden, ist der Anspruch der Erben gegenüber dem Träger der Rentenversicherung erfüllt.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Oktober 2008 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 6. Februar 2005 geändert.
2. Auf das Anerkenntnis der Beklagten werden ihre Bescheide vom 11. und 22. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2002 sowie der Bescheid vom 31. Januar 2002 aufgehoben.
3. Die Bescheide der Beklagten vom 15. Mai 2003, 2. März 2004, 15. Oktober 2004, 23. Mai 2005, 1. Juni 2007 und 9. Juni 2008 werden hinsichtlich der aufgrund der Verrechnung einbehaltenen Beträge aufgehoben.
4. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
5. Die Beklagte hat dem Kläger sieben Achtel seiner außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung eines Teils seiner Rentenansprüche (Nachzahlung und laufende Zahlungen) mit gegen ihn gerichteten Beitrags- und Nebenforderungen des beigeladenen Unfallversicherungsträgers.

2

Der im 1937 geborene Kläger ist verheiratet. Seine Ehefrau bezieht seit Juli 2001 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) iHv (seinerzeit) 1 265,08 DM. Der von den Eheleuten für die gemeinsame Wohnung entrichtete Mietzins betrug ab Juni 2001 257,22 Euro, ab Oktober 2002 263,77 Euro und ab September 2004 247,35 Euro. Seit 2001 sind beim Kläger ein Grad der Behinderung von 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt.

3

Der Kläger war seit Mai 1990 als selbstständiger Handwerksmeister mit eigener Firma in L. tätig.

4

Mit Beschluss des Amtsgerichts L. vom 5.6.1996 wurde wegen Zahlungsunfähigkeit des Klägers über dessen Vermögen das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet und mit Beschluss vom 26.9.2002 eingestellt.

5

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 10.10.1996 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) rückwirkend vom 1.5.1993 bis zum 31.10.1995, die allerdings aufgrund von Rehabilitationsmaßnahmen und Übergangsgeldbezug nur in der Zeit vom 29.3. bis zum 31.10.1995 zur Auszahlung kam. Seit 1.2.1996 bezog der Kläger eine Rente wegen EU auf Dauer (Bescheid vom 18.10.1996).

6

Mit Bescheiden vom 25.4.2001 stellte die Beklagte die Renten wegen BU und EU neu fest. Für die Rente wegen BU ergab sich eine Nachzahlung iHv 1 759,62 DM und für die Rente wegen EU iHv 24 727,83 DM.

7

Bereits mit Schreiben vom 23.8.1995 hatte die Beigeladene der Beklagten mitgeteilt, der Kläger schulde ihr aus seiner Mitgliedschaft "rechtswirksam festgestellte Beiträge zuzüglich Nebenforderungen (zB Säumnisgebühren, Mahngebühren, Kosten der Zwangsvollstreckung) in Höhe von derzeit 43 982,50 DM", und die Beklagte zugleich zur Verrechnung gegen Geldleistungen ermächtigt, die der Kläger jetzt oder in Zukunft erhalte.

8

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Beigeladene mit Schreiben vom 9.5.2001 mit, dass ihre Ansprüche, derentwegen sie die Beklagte mit Schreiben vom 23.8.1995 zur Verrechnung ermächtigt hatte, "derzeit 66 635,31 DM" (= 34 070,09 Euro) betrügen, und bat die Beklagte nunmehr auf Grund der seinerzeitigen Ermächtigung um Verrechnung.

9

Die die Renten wegen BU und EU betreffenden Verrechnungen mit Bescheiden vom 11. und 22.5.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2002 sowie mit Bescheid vom 31.1.2002, gegen die der Kläger beim SG Leipzig Klage erhoben hatte (S 7 RJ 285/02), sind nach dem in der Revisionsverhandlung vom 7.2.2012 erklärten Anerkenntnis der Beklagten (s hierzu Nr 2 des Entscheidungssatzes) nicht mehr streitig.

10

Mit Bescheid vom 10.5.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1.7.2002 Regelaltersrente und verrechnete einen Betrag iHv monatlich 34,76 Euro; es verblieb ein monatlicher Auszahlungsbetrag iHv 820 Euro. Den Widerspruch des Klägers gegen die Verrechnung wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2002 zurück. Zur Begründung der Erhöhung des monatlichen Verrechnungsbetrags zum 1.7.2002 (gegenüber zuvor 20,80 Euro) führte die Beklagte aus, dass diese mit der Erhöhung des Rentenzahlbetrags aufgrund der Rentenanpassung zum 1.7.2002 einhergehe. Der Erhöhung des monatlichen Rentenzahlbetrags um 24,76 Euro auf 854,76 Euro stehe eine Erhöhung des aufgrund Verrechnung einbehaltenen Betrags von ca 14 Euro gegenüber. Im Ergebnis verbleibe dem Kläger ab 1.7.2002 mit monatlich 820 Euro ein höherer Rentenauszahlungsbetrag als bisher. Die besondere Einkommensgrenze des § 81 Abs 1 BSHG werde nicht unterschritten; der Kläger werde nicht sozialhilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt. Der monatliche Verrechnungsbetrag sei in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation des Klägers auch sachgerecht. Besondere Umstände, die eine für ihn günstigere Entscheidung im Rahmen der Ermessensausübung nach § 51 Abs 2 SGB I bei der Festsetzung des Verrechnungsbetrags rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Das öffentliche Interesse an der Einbehaltung von Rententeilen zur Tilgung von Beitragsforderungen überwiege. Auch gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage beim SG Leipzig erhoben (S 7 RJ 558/02).

11

Das SG hat mit Beschluss vom 19.11.2004 beide Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

12

Wegen "Änderungen in den Rentenberechnungsgrundlagen" ergingen in der Folgezeit weitere (Verrechnungs-)Bescheide der Beklagten. Ab 1.7.2003 erhöhte sich der Verrechnungsbetrag auf monatlich 54,91 Euro (Bescheid vom 15.5.2003), ab 1.4.2004 betrug er monatlich 49,29 Euro (Bescheid vom 2.3.2004), ab 1.12.2004 monatlich 51,16 Euro (Bescheid vom 15.10.2004), ab 1.7.2005 monatlich 46,95 Euro (Bescheide vom 23.5.2005 und 1.6.2007) und ab 1.7.2008 monatlich 58,39 Euro (Bescheid vom 9.6.2008); dabei verblieb von Juli 2007 bis Juni 2008 ein auszuzahlender Betrag iHv monatlich 814,49 Euro (Bescheid vom 1.6.2007), im Übrigen jeweils monatlich 810 Euro. Im Bescheid vom 15.5.2003 hatte die Beklagte ergänzend mitgeteilt, dass für die Ermittlung des verrechenbaren Betrags die auf volle Euro aufgerundeten Werte aus dem BSHG zugrunde gelegt worden seien. Dieser Wert werde nicht dynamisiert und betrage gegenwärtig 810 Euro. Der Bescheid vom 15.10.2004 enthielt den Hinweis, dass sich aufgrund der Senkung des Beitragssatzes zur Krankenversicherung ab dem 1.12.2004 eine höhere Nettorente ergebe (861,16 Euro). Der entstehende Differenzbetrag werde zur Tilgung der Forderung herangezogen (51,16 Euro). Im Bescheid vom 9.6.2008 hat die Beklagte mit Hinweis auf die zum 1.7.2008 durchgeführte Rentenanpassung ergänzend darauf hingewiesen, dass der monatliche Selbstbehalt des Klägers bei 810 Euro liege, sodass der "abzutrennende Betrag" sich ab 1.7.2008 auf 58,39 Euro erhöhe.

13

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 6.1.2005 (nicht - wie im Tenor versehentlich angegeben - vom 6.2.2005) die Klagen abgewiesen.

14

Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 14.10.2008 die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die seit Juli 2001 von der Beklagten vorgenommene Verrechnung von Beitragsforderungen der Beigeladenen mit Rentenzahlungsansprüchen des Klägers sei rechtmäßig. Keine Bedenken bestünden gegen die Durchführung der Verrechnung durch Verwaltungsakt.

15

Die Voraussetzungen für eine Verrechnung lägen vor: Die Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen mit Schreiben vom 23.8.1995 (aktualisiert mit Schreiben vom 9.5.2001) sei hinreichend bestimmt. Art und Umfang der Forderung seien so genau bezeichnet, dass die Beklagte in die Lage versetzt worden sei, eine substantiierte Verrechnungserklärung abzugeben.

16

Es bestehe eine Verrechnungslage. Die Forderungen der Beigeladenen seien bestandskräftig festgestellt. Gegen die entsprechenden Bescheide habe der Kläger Widerspruch nicht erhoben. Die Rentenansprüche, mit denen verrechnet worden sei, seien gleichartige Forderungen, die bindend bewilligt und fällig gewesen seien.

17

Entgegen der Ansicht des Klägers hindere das über sein Vermögen durchgeführte Gesamtvollstreckungsverfahren die Verrechnung nicht.

18

Ebenso wenig stehe der Verrechnung nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens der Vollstreckungsschutz des § 18 Abs 2 S 3 Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) entgegen. Denn diese Norm bewirke Schutz nur gegen konkrete Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung, zu denen die Verrechnung nicht zähle. Zudem werde die Regelung des § 18 Abs 2 S 3 GesO - soweit wie hier mit Beitragsansprüchen verrechnet werde - durch die Sonderregelung des § 51 Abs 2 SGB I(iVm § 52 SGB I) verdrängt.

19

Der Kläger sei aufgrund der Verrechnung nicht sozialhilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw ab Januar 2005 im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt geworden. Ausgehend von den im Freistaat Sachsen für den Haushaltsvorstand geltenden Regelsätzen und Mehrbedarfszuschlägen nach § 23 Abs 1 Nr 2 BSHG (bis 30.6.2002) und nach § 23 Abs 1 Nr 1 BSHG (ab 1.7.2002) sowie den auf ihn entfallenden anteiligen Unterkunftskosten von 125 Euro (inklusive Heizkosten) seien dem Kläger nach Abzug der jeweiligen Verrechnungsbeträge monatliche Geldmittel verblieben, die den Eintritt einer sozialhilferechtlichen Notlage ausschlössen. Im gesamten Verrechnungszeitraum bis zum 31.12.2004 habe er einen monatlichen Rentenauszahlungsbetrag erhalten, der seinen sozialhilferechtlichen Bedarf nach dem BSHG sogar bei bedarfssteigernder Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen überstiegen habe. Nach der ab Januar 2005 geltenden Rechtslage sei der Kläger verpflichtet, nachzuweisen, dass durch die Verrechnung Bedürftigkeit nach dem SGB XII eingetreten sei. Trotz entsprechender gerichtlicher Hinweise habe er diesbezügliche Nachweise nicht vorgelegt.

20

Ermessensfehler der Beklagten seien nicht ersichtlich. Sie habe das ihr eröffnete Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Dem öffentlichen Interesse an der Begleichung von Beitragsschulden und damit der Funktionsfähigkeit der Versicherungssysteme habe sie Vorrang vor dem privaten Interesse des Klägers an der ungeschmälerten Auszahlung seiner Rente gegeben, weil bei diesem keine außergewöhnliche soziale oder finanzielle Situation vorgelegen habe.

21

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 52 SGB I. Die Beklagte hätte die von der Beigeladenen geltend gemachten Forderungen nicht durch Verwaltungsakt mit seinen Rentenansprüchen verrechnen dürfen. Insoweit beruft er sich auf die Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1).

22
        

Auf Anfragebeschluss des erkennenden Senats vom 5.2.2009 (B 13 R 31/08 R) hat der 4. Senat mit Beschluss vom 22.9.2009 (B 4 SF 1/09 S) erklärt, er halte an seiner Auffassung fest, dass die Verrechnung nach § 52 SGB I nicht durch Verwaltungsakt erfolge. Der daraufhin vom erkennenden Senat mit Beschluss vom 25.2.2010 (B 13 R 76/09 R) angerufene Große Senat (GrS) hat durch Beschluss vom 31.8.2011 (GS 2/10 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1200 § 52 Nr 4 vorgesehen) entschieden:    

"Der Leistungsträger darf die Rechtsfolgen einer einseitig gegenüber dem originär Sozialleistungsberechtigten durchgeführten Verrechnung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen mit ihm obliegenden Geldleistungen nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt regeln."

23

Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu äußern.

24

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14.10.2008 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 6.1.2005 sowie die Bescheide der Beklagten vom 11. und 22.5.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2002, den Bescheid vom 31.1.2002, den Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002, die Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 hinsichtlich der aufgrund der Verrechnung einbehaltenen Beträge aufzuheben.

25
        

In der Revisionsverhandlung am 7.2.2012, in der der Kläger nicht mehr vertreten war, hat die Beklagte das folgende Anerkenntnis abgegeben:        

        

Die Beklagte hebt folgende Bescheide hinsichtlich der aufgrund Verrechnung einbehaltenen Beträge auf:
die Bescheide vom 11. und 22.5.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2002 sowie den Bescheid vom 31.1.2002.

26

Im Übrigen hat sie beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

27

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie sieht sich durch die Entscheidung des GrS in ihrer Rechtsauffassung zur Erklärung einer Verrechnung durch Verwaltungsakt bestätigt.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Revision des Klägers ist in dem im Urteilsausspruch genannten Umfang begründet.

29

Soweit die Beklagte die Bescheide vom 11. und 22.5.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2002 und den Bescheid vom 31.1.2002 hinsichtlich der aufgrund Verrechnung aus den Renten des Klägers wegen BU/EU einbehaltenen Beträge aufgehoben hat, war sie nach dem über § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbaren § 307 S 1 ZPO ihrem Anerkenntnis entsprechend - ohne weitere Sachprüfung - zu verurteilen(vgl BSG vom 12.7.1988 - SozR 6580 Art 5 Nr 4 S 10 f; BSG vom 24.07.2003 - B 4 RA 62/02 R - juris RdNr 18; Senatsurteil vom 6.5.2010 - SozR 4-1300 § 48 Nr 19 RdNr 21 mwN, stRspr).

30

Auch das Begehren des Klägers, die Bescheide der Beklagten vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 hinsichtlich der aufgrund Verrechnung für die Zeit ab 1.7.2003 aus seiner Altersrente einbehaltenen Beträge aufzuheben, hat Erfolg. Die genannten Bescheide erweisen sich insoweit als rechtswidrig. Richtige Klageart ist hier die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Alt 1 SGG). Denn mit der Aufhebung der angefochtenen Verrechnungs-Verwaltungsakte steht fest, dass die verrechneten Beträge auf Grund der Rentenbewilligung an den Kläger auszuzahlen sind.

31

Im Übrigen ist die Revision des Klägers unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.5.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 ist hinsichtlich des für den Zeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 aufgrund Verrechnung aus seiner Regelaltersrente jeweils einbehaltenen monatlichen Betrags iHv 34,76 Euro rechtmäßig.

32

1. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 in entsprechender Anwendung des § 96 Abs 1 SGG in seiner bis zum 31.3.2008 geltenden und hier insoweit noch maßgeblichen Fassung (aF) Gegenstand des Verfahrens geworden sind.

33

Dem steht nicht entgegen, dass diese nicht den mit der Klage (ursprünglich) angefochtenen Bescheid vom 10.5.2002 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002) abgeändert oder ersetzt hat, sondern andere Verrechnungszeiträume erfassen. Denn nach der bis zum 31.3.2008 geltenden Rechtslage hatte das BSG in ständiger Rechtsprechung eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG (aF) im Interesse einer sinnvollen Anwendung der Prozessökonomie bzw eines schnellen und zweckmäßigen Verfahrens dann zugelassen, wenn der ursprüngliche Bescheid zwar nicht abgeändert oder ersetzt wurde, der spätere Bescheid aber im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses erging und ein streitiges Rechtsverhältnis regelte, das im Kern dieselbe Rechtsfrage betraf und sich an den vom ursprünglichen Bescheid erfassten Zeitraum anschloss(vgl etwa BSG vom 17.11.2005 - SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 16 f mwN). Diese Voraussetzungen werden von den Verrechnungs-Folgebescheiden vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005 und 1.6.2007 erfüllt.

34

Ob auch der Bescheid vom 9.6.2008 in entsprechender Anwendung des § 96 Abs 1 SGG (aF) noch Gegenstand des Verfahrens geworden ist, kann dahingestellt bleiben. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Kläger eine Rechtsposition erworben hätte, die ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer Anwendung des § 96 SGG in seiner bis zum 31.3.2008 geltenden Fassung begründen könnte. Denn eine analoge Anwendung des § 96 SGG für nicht ändernde oder ersetzende Folgebescheide scheidet seit 1.4.2008 durch die mit Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (BGBl I 444) neu eingeführte Fassung aus (BSG vom 16.12.2009 - B 7 AL 146/09 B - RdNr 7 f).

35

Dies bedarf hier aber keiner näheren Erörterung. Die Nichtanwendbarkeit des § 96 Abs 1 SGG schließt es nämlich nicht aus, dass ein Folgebescheid im Wege einer (gewillkürten) Klageänderung nach § 99 Abs 1 iVm Abs 2 SGG zum Gegenstand des anhängigen Prozesses gemacht wird, wenn die übrigen Beteiligten - wie hier - nicht widersprochen und sich auf die Klageerweiterung, die auch im Berufungsverfahren noch möglich ist(vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 99 RdNr 12), eingelassen haben (vgl BSG vom 21.3.1978 - SozR 4600 § 143d Nr 3 S 9 f; BSG vom 7.2.1996 - SozR 3-2500 § 85 Nr 12 S 75 f; BSG vom 20.3.1996 - BSGE 78, 98, 103 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 38 f; Leitherer, aaO, § 96 RdNr 9b, 11e).

36

Allerdings hätte das LSG über die während des Berufungsverfahrens ergangenen und Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheide der Beklagten vom 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 nicht auf Berufung, sondern erstinstanzlich "auf Klage" entscheiden müssen (vgl BSG vom 30.1.1963 - BSGE 18, 231, 234 f = SozR Nr 17 zu § 96 SGG; BSG vom 27.1.1999 - SozR 3-2400 § 18b Nr 1 S 3; Senatsurteil vom 20.10.2010 - SozR 4-6480 Art 22 Nr 2 RdNr 23, stRspr).

37

2. Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger - hier die Beklagte - mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers - hier der Beigeladenen - dessen Ansprüche gegen den Berechtigten - also den Kläger - mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Gemäß § 51 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen - hier auf Rentenauszahlung - mit Ansprüchen (jeder Art) gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen und - wie hier - mit Beitragsansprüchen nach dem SGB kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig nach den Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird (bis 31.12.2004); ab 1.1.2005 kann der zuständige Leistungsträger entsprechend aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig nach den Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird (§ 51 Abs 2 SGB I in der jeweiligen Fassung).

38

3. Der Bescheid der Beklagten vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 sowie ihre Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 - jeweils über Verrechnungen mit der Regelaltersrente des Klägers - waren nicht deswegen rechtswidrig und aufzuheben, weil die Verrechnung nicht durch Verwaltungsakt hätte erfolgen dürfen. Vielmehr konnte die Beklagte die Verrechnung einseitig nur in dieser Handlungsform (und nicht durch sog öffentlich-rechtliche Willenserklärung) vornehmen (dazu unter a). Es bestand eine Verrechnungslage (dazu unter b). Die Beklagte war nicht gehindert, die Verrechnung mit Ansprüchen der Beigeladenen auf rückständige Beiträge auf unpfändbare Teile der Rentenzahlungsansprüche des Klägers zu erstrecken. Ebenso wenig stand der Verrechnung nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens die Vollstreckungsbeschränkung des § 18 Abs 2 S 3 GesO entgegen(dazu unter c). Die Beklagte hat bei der mit dem Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 durchgeführten Verrechnung das ihr gemäß § 52 iVm 51 Abs 2 SGB I zustehende Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt(§ 39 Abs 1 SGB I). Dies gilt jedoch nicht für die weiteren streitgegenständlichen Verrechnungs-Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008; diese erweisen sich vielmehr als ermessensfehlerhaft. Denn es fehlen Ausführungen, die eine ordnungsgemäße Ermessensbetätigung erkennen lassen (dazu unter d). Dahingestellt bleiben kann, ob die letztgenannten Bescheide auch deshalb rechtswidrig sind, weil die Beklagte vor ihrem Erlass den Kläger nicht angehört (§ 24 Abs 1 SGB X) und dies auch nicht bis zum Abschluss des LSG-Verfahrens nachgeholt hat (§ 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X; dazu unter e). Der Kläger ist durch die mit Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 für den Zeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 vorgenommene Verrechnung mit einem monatlichen Einbehalt iHv 34,76 Euro bei einem verbleibenden Rentenauszahlungsbetrag iHv 820 Euro nicht hilfebedürftig nach den hier noch maßgeblichen Bestimmungen des BSHG zur laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt geworden (dazu unter f).

39

a) Die Beklagte war berechtigt, auf die Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen vom 23.8.1995, in der Forderungshöhe aktualisiert mit Schreiben vom 9.5.2001, deren Beitrags- und Nebenforderungen iHv insgesamt 66 635,31 DM (= 34 070,09 Euro) mit Rentenansprüchen des Klägers durch Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) zu verrechnen (dazu unter aa). Die Verrechnungs-Verwaltungsakte waren auch inhaltlich hinreichend bestimmt iS des § 33 Abs 1 SGB X(dazu unter bb).

40

aa) Die Beklagte hat die Verrechnung zu Recht durch Verwaltungsakt geregelt (vgl BSG - GrS - vom 31.8.2011 - GS 2/10 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1200 § 52 Nr 4 vorgesehen - RdNr 15 ff).

41

(1) Nach § 31 S 1 SGB X ist ein "Verwaltungsakt … jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist". Die Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen liegt bei einem Verrechnungs-Bescheid darin, dass die durch sie erklärte Verrechnung eine unmittelbare Wirkung auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten (hier des Klägers) hat, diesen nämlich hinsichtlich der im Rentenbescheid festgelegten Art und Weise der Erfüllung (dh - wie in der Regel, vgl § 47 SGB I - durch Überweisung auf das dort benannte Konto des Empfängers bei einem Geldinstitut) modifiziert(vgl § 48 Abs 1 S 1 SGB X) und zum Erlöschen bringt, soweit die Verrechnung reicht und wirksam wird (Vorlagebeschluss des Senats vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R - RdNr 17; BSG - GrS - vom 31.8.2011 - aaO - RdNr 15). Das Tatbestandsmerkmal "auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" in § 31 S 1 SGB X ist erfüllt, weil § 52 SGB I eine spezifische Gestaltung von Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsempfängern und Sozialleistungsträgern durch mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Leistungsträger (wie die Beklagte) ermöglicht. Die Erklärung einer Verrechnung nach § 52 SGB I enthält schließlich eine hoheitliche Maßnahme, also eine einseitige behördliche Handlung, die nur dem Sozialleistungsträger, nicht aber ihrem Adressaten - dem Sozialleistungsempfänger - in dieser Form ihrer Art nach zusteht(vgl Vorlagebeschluss des Senats vom 25.2.2010 - aaO; BSG - GrS - vom 31.8.2011 - aaO). Im Übrigen ist - anders als im Zivilrecht - nach dem SGB I die Verrechnung (§ 52 SGB I) ebenso wie die Aufrechnung (§ 51 SGB I) nicht nur davon abhängig, dass sich der verrechnende (aufrechnende) Leistungsträger hierfür frei entscheidet und dies erklärt. Vielmehr ist ihre Ausübung an die Betätigung pflichtgemäßen Ermessens gebunden (§ 52 iVm § 51 Abs 1 Halbs 1, Abs 2 Halbs 1 SGB I: "kann") und zudem gemäß § 51 Abs 1 Halbs 2 SGB I an die Pfändbarkeit der Geldleistungen bzw gemäß § 51 Abs 2 SGB I an die Höhenbegrenzung (bis zur Hälfte der laufenden Geldleistungen) sowie das Nichteintreten von Hilfebedürftigkeit aufgrund der Verrechnung (Aufrechnung).

42

(2) Auch der Gesetzgeber sieht in der Durchführung einer Verrechnung nach § 52 SGB I einen Verwaltungsakt. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, die durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB vom 13.6.1994 (BGBl I 1229) mit Wirkung ab 18.6.1994 eingefügt wurde. Spätestens mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber klarstellend von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, die Verrechnung (Aufrechnung) für den Bereich des Sozialrechts der Handlungsform "Verwaltungsakt" zu unterstellen.

43

Nach § 24 Abs 1 SGB X ist (nur) vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zur Äußerung zu geben; dies gilt jedoch nach Abs 2 Nr 7 der Vorschrift nicht, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als (in der ursprünglichen Fassung: 100 DM, jetzt:) 70 Euro (aufgerechnet oder) verrechnet werden soll. Hieraus kann nur geschlossen werden, dass - unabhängig von der Höhe - die Verrechnung nach § 52 SGB I (ebenso wie die Aufrechnung nach § 51 SGB I) durch Verwaltungsakt zu erklären ist(vgl ferner die Entwurfsbegründung zu § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, BT-Drucks 12/5187 S 35 - Zu Art 6, Zu Nr 1, wonach "materielle Einwände gegen die Aufrechnung bzw Verrechnung … im Widerspruchsverfahren geltend gemacht werden" können). An den hierin zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers sind die Gerichte gemäß Art 20 Abs 3 GG selbst dann gebunden, wenn sie eine solche Zuordnung aufgrund rechtssystematischer Erwägungen für unzutreffend oder aus praktischen Überlegungen heraus für unerwünscht halten sollten (vgl Wolff/Brink in Bader/Ronellenfitsch, Komm zum VwVfG, 2010, § 35 RdNr 28 f; U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 35 RdNr 13 - beide unter Hinweis auf BVerwGE 70, 77, 82; zur Respektierung der gesetzgeberischen Grundentscheidung s auch BVerfGE 128, 193, 210).

44

Im Übrigen hat der Gesetzgeber erst jüngst in § 42a Abs 2 S 2 bzw § 43 Abs 4 S 1 SGB II(mit Wirkung ab 1.4.2011 idF von Art 2 Nr 32 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) ausdrücklich angeordnet, dass Aufrechnungen im Sozialleistungsbereich des SGB II "durch Verwaltungsakt zu erklären" sind. Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber damit für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine vom allgemeinen Sozialverwaltungsverfahrensrecht abweichende Sonderregelung hat treffen wollen, finden sich in den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren an keiner Stelle (vgl BT-Drucks 17/3404 S 117 - zu § 43, zu Abs 3; BT-Drucks 17/3958 S 19 - zu Art 2 Nr 32 <§ 42a Abs 2 S 2 SGB II>; BT-Drucks 17/4095 S 35 - zu Buchst n, zu Doppelbuchst cc <§ 42a Abs 2 SGB II>).

45

(3) Einer über die Bestimmung des § 52 SGB I hinausgehenden ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung für den Erlass eines Verwaltungsakts mit dem Inhalt der Verrechnung bedarf es nicht(s hierzu BSG - GrS - vom 31.8.2011 - aaO - RdNr 16 ff).

46

bb) Die Verrechnungs-Verwaltungsakte der Beklagten waren iS des § 33 Abs 1 SGB X "inhaltlich hinreichend bestimmt".

47

Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Mithin muss aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde regeln will. Insoweit kommt dem Verfügungssatz des Verwaltungsakts Klarstellungsfunktion zu. Unschädlich ist, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss ( BSG vom 6.2.2007 - SozR 4-2600 § 96a Nr 9 RdNr 38; BSG vom 17.12.2009 - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN, stRspr).

48

Nach diesen Maßstäben sind die angefochtenen Verrechnungs-Bescheide inhaltlich hinreichend bestimmt. Denn sie erklären die Verrechnung bestimmter, von der Beklagten dem Kläger geschuldeter Rentenleistungen mit einer - nach Art und Umfang - bestimmten, weil betragsmäßig im Widerspruchsbescheid vom 26.3.2002 genau bezifferten (Gesamt-)Forderung der Beigeladenen aus rückständigen Beiträgen zuzüglich Nebenforderungen (Säumniszuschläge, Mahngebühren, Kosten der Zwangsvollstreckung) iHv (insgesamt) 66 635,31 DM (= 34 070,09 Euro).

49

Aus den Verfügungssätzen der hier streitgegenständlichen Verwaltungsakte konnte der Kläger ohne weiteres den jeweiligen (monatlichen) Verrechnungsbetrag und den ihm aufgrund der Verrechnung mit den Forderungen der Beigeladenen noch verbleibenden (monatlichen) Rentenauszahlungsbetrag entnehmen. Damit war für ihn klar ersichtlich, dass und in welchem Umfang seine Rentenzahlungsansprüche gegen die Beklagte und damit korrespondierend die gegen ihn bestehenden Forderungen der Beigeladenen durch die Verrechnung jeweils erloschen waren (entsprechend § 389 BGB).

50

Unschädlich ist insoweit, dass der - aufgehobene - (Ausgangs-)Bescheid vom 11.5.2001 und der - ebenfalls aufgehobene - Widerspruchsbescheid vom 26.3.2002 in der Höhe der zur Verrechnung gestellten (Gesamt-)Forderung insoweit differieren, als der Bescheid von einer "offene(n) Forderung in Höhe von derzeit 66.635,31 DM zuzüglich weiterer Kosten wie Zinsen, Säumniszuschläge usw." spricht, während nach dem Widerspruchsbescheid - entsprechend der in der Forderungshöhe aktualisierten Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen - die genannte Summe neben den Beiträgen auch die "Säumniszuschläge und sonstige Nebenforderungen" erfasst. Denn ausschlaggebend ist der (mit der Klage angefochtene) "ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat" (§ 95 SGG).

51

Dass die weiteren streitgegenständlichen Verrechnungs-Bescheide die zur Verrechnung gestellte Forderung der Beigeladenen nicht mehr beziffern, steht ihrer hinreichenden Bestimmtheit iS des § 33 Abs 1 SGB X nicht entgegen, da sich deren Ausgangshöhe (für den Kläger klar erkennbar) aus dem Widerspruchsbescheid vom 26.3.2002 ergab und deshalb - auf Verlangen des Klägers jederzeit - auch "bestimmt" werden konnte, in welchem Umfang die Gesamtforderung der Beigeladenen iHv 66 635,31 DM durch die bis dahin erfolgte Verrechnung mit den Rentenzahlungsansprüchen des Klägers bereits erloschen war.

52

Für die hinreichende Bestimmtheit der angefochtenen Verrechnungs-Verwaltungsakte der Beklagten ist nicht notwendig, dass sie die zur Verrechnung gestellte(n) Forderung(en) der Beigeladenen im Einzelnen - nach Umfang, Entstehungszeitpunkt, Bezugszeitraum oder Fälligkeit - aufschlüsseln. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die bezifferte Gesamtsumme ohne Weiteres mit bestehenden, ihr Art nach benannten Einzelforderungen aufgefüllt werden kann. Insoweit ist ausreichend, dass die zur Verrechnung gestellten Forderungen des anderen Leistungsträgers bestimmbar sind. Denn eine Verrechnung kann - ebenso wie eine Aufrechnung - bei Bestehen mehrerer Forderungen (auch) erklärt werden, ohne (zunächst) im Einzelnen aufzeigen zu müssen, mit welcher (Einzel-)Forderung zuerst verrechnet werden soll (vgl BFH vom 3.11.1983 - BFHE 140, 10 f; BFH vom 6.2.1990 - BFHE 160, 108, 112; BFH vom 4.2.1997 - BFHE 182, 276, 278; alle zur Aufrechnung).

53

Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass dadurch die Rechtsverteidigung gegen Verrechnungs-Verwaltungsakte unzumutbar beeinträchtigt werde. Denn dem insoweit Beschwerten bleibt es unbenommen, im Vor- und Klageverfahren geltend zu machen, die zur Verrechnung gestellte (Gesamt-)Forderung des anderen Leistungsträgers bestehe nach Grund oder Höhe ganz oder teilweise nicht (bzw nicht mehr). Dann mag der verrechnende Leistungsträger darlegen und nachweisen, welche Forderungen ihm aufgrund der Ermächtigung des anderen Leistungsträgers zur Verrechnung zur Verfügung gestanden haben. Ist streitig, ob (und ggf welche) bzw in welchem Umfang Forderungen durch Verrechnung (bereits) erloschen sind, so ist die Konkretisierung (bzw Individualisierung) der Forderungen, mit denen die Verrechnung durch Verwaltungsakt erklärt wurde, unumgänglich. Denn nur auf diese Weise kann festgestellt werden, ob und inwieweit eine Verrechnungslage (entsprechend § 387 BGB)bestanden hat und wann bei mehreren Forderungen welche (ggf in entsprechender Anwendung des § 396 Abs 1 S 2 iVm § 366 Abs 2 BGB) durch Verrechnung - ganz oder teilweise - erloschen sind.

54

b) Vorliegend bestand ab 1.7.2002 objektiv eine Verrechnungslage (entsprechend § 387 BGB).

55

Eine solche ist gegeben, wenn der zur Verrechnung ermächtigende Leistungsträger die ihm gebührende Geldzahlung fordern und wenn der die Verrechnung erklärende Träger die ihm obliegende Geldzahlung bewirken kann. Die Forderung, mit der verrechnet wird (hier: Forderung der Beigeladenen gegen den Kläger), muss entstanden und fällig sein; die gleichartige Forderung, gegen die (durch Einbehaltung mittels Verwaltungsakts) verrechnet werden soll (hier: Zahlungsanspruch des Klägers aus der Regelaltersrente gegen die Beklagte), muss zwar nicht fällig, aber entstanden und erfüllbar sein (vgl BSG vom 5.9.2006 - BSGE 97, 63 = SozR 4-2500 § 255 Nr 1, RdNr 26).

56

Diese Voraussetzungen lagen hier ab dem oben genannten Zeitpunkt vor. Die von der Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen vom 23.8.1995 (aktualisiert mit Schreiben vom 9.5.2001) erfassten und gegen den Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung rückständiger Beiträge (und der Nebenforderungen) iHv insgesamt 66 635,31 DM waren entstanden und fällig; sie sind von der Beigeladenen gegenüber dem Kläger durch Verwaltungsakte bestandskräftig festgestellt worden (§ 77 SGG). Die Zahlungsansprüche des Klägers aus der ihm bindend mit Rentenbescheid vom 10.5.2002 zuerkannten Regelaltersrente waren am Ersten eines jeden Monats jeweils entstanden und erfüllbar (vgl § 272a Abs 1 SGB VI idF des 3. SGB VI-ÄndG vom 27.12.2003 ).

57

c) Die Beklagte war nicht gehindert, die Verrechnung mit Ansprüchen der Beigeladenen auf rückständige Beiträge auf unpfändbare Teile der Rentenzahlungsansprüche des Klägers zu erstrecken (dazu unter aa). Ebenso wenig stand der Verrechnung nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens die Vollstreckungsbeschränkung des § 18 Abs 2 S 3 GesO entgegen(dazu unter bb).

58

aa) Die Verrechnung mit den Beitragsforderungen der Beigeladenen war nicht deshalb rechtswidrig, weil die monatlichen Rentenzahlungsansprüche ab 1.1.2002 durchgängig unter der gemäß § 850c Abs 1 S 1 ZPO iVm § 54 Abs 4 SGB I für den Kläger maßgeblichen Pfändungsfreigrenze von monatlich 930 Euro (ab 1.7.2005: 985,15 Euro) lagen. Denn mit den Vorschriften der §§ 52, 51 Abs 2 SGB I hat der Gesetzgeber den Sozialleistungsträgern zur Durchsetzung ihrer Beitrags- und Erstattungsforderungen die Möglichkeit eröffnet, ohne Bindung an die Pfändungsfreigrenzen der ZPO auch mit dem unpfändbaren Teil einer laufenden Geldleistung bis zu deren Hälfte und bis zur Grenze der Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw ab 1.1.2005 im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II aufzurechnen bzw zu verrechnen.

59

Die Regelungen in §§ 52, 51 Abs 2 SGB I bezwecken eine Privilegierung der Sozialleistungsträger(vgl grundlegend BSG vom 19.1.1978 - BSGE 45, 271, 273 ff = SozR 1200 § 51 Nr 3 S 4 ff; BSG vom 11.10.1979 - SozR 1200 § 51 Nr 5 S 10 f; BSG vom 27.3.1996 - BSGE 78, 132, 135 f = SozR 3-1200 § 51 Nr 5 S 17 f), wenn dem Versicherten bestimmte "systemerhaltende" Gegenansprüche (Beitragsansprüche, Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen) des zuständigen oder eines anderen Leistungsträgers entgegengehalten werden können. Die oben genannten Grenzen (höchstens bis zur Hälfte der laufenden Geldleistung, kein Hervorrufen der Hilfebedürftigkeit nach dem BSHG) hat die Beklagte bei der Verrechnung der laufenden Zahlungsansprüche des Klägers auf Regelaltersrente mit den Beitragsansprüchen der Beigeladenen im hier (noch) maßgeblichen Zeitraum nicht überschritten (s dazu näher unter f).

60

bb) Nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens stand der Verrechnung die Vollstreckungsbeschränkung des § 18 Abs 2 S 3 GesO nicht entgegen.

61

Zwar mag die Möglichkeit eines Rentenversicherungsträgers, Beitrags- und Erstattungsforderungen eines anderen Leistungsträgers mit dem unpfändbaren Teil des Rentenzahlungsanspruchs nach Maßgabe des § 51 Abs 2 SGB I verrechnen zu können, zu Friktionen mit der in § 18 Abs 2 S 3 GesO geregelten (begrenzten) Restschuldbefreiung führen, wonach eine "Vollstreckung" hinsichtlich der "Altschulden" grundsätzlich nur stattfindet, "soweit der Schuldner über ein angemessenes Einkommen hinaus zu neuem Vermögen gelangt" ist.

62

Das LSG hat aber zu Recht einen Vollstreckungsschutz des Klägers nach § 18 Abs 2 S 3 GesO verneint.

63

Dies folgt bereits daraus, dass diese Vorschrift schon nach ihrem Wortlaut Schutz nur gegen konkrete Maßnahmen der "Vollstreckung" bietet (LSG Berlin-Brandenburg vom 4.10.2007 - L 8 B 1205/07 ER - juris RdNr 28; Brandenburgisches OLG vom 20.5.1998 - 13 U 35/97 - juris RdNr 15; OLG Celle vom 12.5.2000 - 4 W 85/00 - juris RdNr 19; Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 4. Aufl 1998, § 18 RdNr 53). Auch nach Art 108 Abs 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (InsO) ist die "Vollstreckungsbeschränkung" des § 18 Abs 2 S 3 GesO nach dem 31.12.1998 nur bei einer "Zwangsvollstreckung" gegen einen Schuldner, über dessen Vermögen ein Gesamtvollstreckungsverfahren durchgeführt worden ist, zu beachten. Die Verrechnung ist aber - ebenso wie die Aufrechnung - keine Maßnahme der "Vollstreckung" iS der Vorschriften der ZPO oder anderer Verfahrensgesetze über die Zwangsvollstreckung (vgl BGH vom 26.5.1971 - NJW 1971, 1563; BVerwG vom 13.10.1971 - DÖV 1972, 573, 574; BFH vom 3.11.1983 - BFHE 140, 9 f; LSG Berlin-Brandenburg vom 4.10.2007 - L 8 B 1205/07 ER - juris RdNr 22, 28; FG Düsseldorf vom 10.11.2004 - 18 K 321/04 AO - juris RdNr 21; Martini in juris PR-InsR 19/2009 vom 24.9.2009, Anm 1 unter C).

64

Zwar ist die Verrechnung - ebenso wie die Aufrechnung - ein der Zwangsvollstreckung ähnlicher, außergerichtlicher Zugriff auf die Gegenforderung, eine Forderungsdurchsetzung im Wege der Selbsthilfe (vgl BGH vom 26.5.1971, aaO; BGH vom 13.6.1995 - BGHZ 130, 76, 80 mwN). Mit der Vorschrift des § 51 Abs 2 SGB I hat der Gesetzgeber jedoch - wie oben aufgezeigt - die Sozialleistungsträger bei der Durchsetzung von Beitrags- und Erstattungsforderungen im Wege der Aufrechnung bzw Verrechnung gegenüber anderen Gläubigern privilegiert, denen (bereits) durch die Unpfändbarkeit die Möglichkeit versperrt ist, ihre Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Dass das (beschränkte) Restschuldbefreiungsverfahren des § 18 Abs 2 S 3 GesO darauf abzielt, dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neubeginn zu ermöglichen (OLG Celle vom 12.5.2000 - 4 W 85/00 - juris RdNr 19; Hess/Binz/Wienberg, GesO, 4. Aufl 1998, § 18 RdNr 105),steht der sich aus § 51 Abs 2 SGB I ergebenden Aufrechnungs- bzw Verrechnungsbefugnis nicht entgegen. Denn anderenfalls wäre den Sozialleistungsträgern im Falle einer Privatinsolvenz des Versicherten bzw Schuldners (sogar) nach Abschluss des Gesamtvollstreckungsverfahrens stets die Möglichkeit versperrt, den unpfändbaren Teil der Ansprüche auf laufende Rentenleistungen mit Beitrags- und Erstattungsforderungen aufrechnen bzw verrechnen zu können, obwohl diese unterhalb der Pfändungsfreigrenzen liegenden Rentenzahlungen zuvor nicht zur Gesamtvollstreckungsmasse (vgl § 1 Abs 1 S 2 GesO) gehörten und somit während des Gesamtvollstreckungsverfahrens grundsätzlich gemäß §§ 52, 51 Abs 2 SGB I bis zur Grenze der Sozialhilfebedürftigkeit aufgerechnet bzw verrechnet werden konnten. Dann aber würde es einen Wertungswiderspruch bedeuten, wenn nach der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens in der Restschuldbefreiungsphase das Postulat einer - zuvor nicht bestehenden - Gläubigergleichbehandlung ein Verrechnungsverbot bedingen sollte (vgl LSG Berlin-Brandenburg vom 27.7.2009 - L 33 R 204/09 B ER, L 33 R L 33 R 207/09 B PKH - juris RdNr 26; SG Dortmund vom 21.2.2008 - S 26 R 320/06 - juris RdNr 41, beide zur Zulässigkeit der Verrechnung bzw Aufrechnung während der Restschuldbefreiungsphase nach der InsO). Auch wären die Grenzen zwischen einer Aufrechnung bzw Verrechnung mit Erstattungs- oder Beitragsforderungen nach § 51 Abs 2 SGB I(iVm § 52 SGB I) und einer solchen mit sonstigen Geldforderungen nach § 51 Abs 1 SGB I(iVm § 52 SGB I) verwischt und das damit verbundene Privileg des mit Beitrags- oder Erstattungsansprüchen aufrechnenden bzw verrechnenden Sozialleistungsträgers in der Privatinsolvenz (faktisch) aufgehoben.

65

d) Die einseitig durch Verwaltungsakt geregelte Verrechnung steht - ebenso wie die Aufrechnung - im pflichtgemäßen Ermessen des sie durchführenden Leistungsträgers; insoweit handelt es sich bei dem "Kann" in § 52 Halbs 1 und § 51 Abs 1 Halbs 1, Abs 2 Halbs 1 SGB I um ein sog "Ermessens-Kann"(vgl Vorlagebeschluss des Senats vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R - RdNr 18; vgl bereits BSG vom 16.9.1981 - BSGE 52, 98, 102 = SozR 1200 § 51 Nr 11 S 27; BSG vom 11.10.1979 - SozR 1200 § 51 Nr 5 S 11; BSG vom 21.7.1988 - BSGE 64, 17, 23 = SozR 1200 § 54 Nr 13 S 39; LSG Berlin-Brandenburg vom 4.6.2009 - L 17 R 48/09 - juris RdNr 52; LSG Baden-Württemberg vom 2.7.2009 - L 10 R 2467/08 - juris RdNr 19; ebenso Seewald in Kasseler Komm, SGB I, § 51 RdNr 13a, Stand Einzelkommentierung Oktober 2010; Pflüger in juris PK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 51 RdNr 64-67, Stand Einzelkommentierung Januar 2012 mwN - unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 51 SGB I in BT-Drucks 7/868, S 32: "Der Leistungsträger hat bei der Ausübung seines Ermessens, ob und in welchem Umfang er aufrechnet, auch den Zweck der einzelnen Sozialleistung zu berücksichtigen; …").

66

Mit der Einräumung "echten Ermessens" steht dem die Verrechnung durch Verwaltungsakt regelnden Leistungsträger eine breite Handlungsmöglichkeit hinsichtlich des Ob und des Umfangs einer Verrechnung zur Verfügung, um so die Besonderheiten des Einzelfalls und insbesondere die wirtschaftliche Situation des Leistungsempfängers angemessen berücksichtigen zu können. Dabei ist das Verrechnungsermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs 1 S 1 SGB I). Damit korrespondierend hat der Leistungsempfänger einen Anspruch auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I). In diesem (eingeschränkten) Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung der richterlichen Kontrolle, insbesondere auf Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch (vgl § 54 Abs 2 S 2 SGG).

67

Die Anforderungen an eine Ermessensentscheidung sind für die mit Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 durchgeführte Verrechnung (noch) zu bejahen (dazu unter aa), nicht hingegen für die in den Bescheiden vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 getroffenen Verrechnungs-Entscheidungen (dazu unter bb). Die Beklagte durfte in diesen Bescheiden auch nicht ausnahmsweise auf eine Begründung verzichten (dazu unter cc).

68

aa) Nach der Begründung im Widerspruchsbescheid (vgl § 95 SGG) hat die Beklagte erkannt, dass ihr im Rahmen der nach § 52 SGB I zu treffenden Verrechnungs-Entscheidung Ermessen zusteht und sie nicht verpflichtet ist, den für die Verrechnung mit den Beitragsforderungen der Beigeladenen nach § 51 Abs 2 SGB I gesetzten Rahmen der Höhe nach in jedem Fall auszuschöpfen(vgl in diesem Sinne bereits BSG vom 11.10.1979 - SozR 1200 § 51 Nr 5 S 11). Zwar hat sie die Beitragsforderungen der Beigeladenen mit unpfändbaren Rentenzahlungsansprüchen des Klägers verrechnet; sie hat sich jedoch bei der Festsetzung der monatlichen Verrechnungsbeträge ausdrücklich an der besonderen - für den Kläger eigentlich nicht einschlägigen - Einkommensgrenze des § 81 Abs 1 BSHG orientiert. Dem Kläger verblieb in dem hier maßgeblichen Verrechnungszeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 damit deutlich mehr als die zulässige Grenze der laufenden Sozialhilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (s hierzu unter f). Im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen hat die Beklagte dem öffentlichen Interesse an der Begleichung der Beitragsschulden und damit der Funktionsfähigkeit der im Wesentlichen beitragsfinanzierten Sozialversicherungssysteme nur insoweit den Vorrang vor dem privaten Interesse des Klägers an der ungeschmälerten Auszahlung seiner Altersrente gegeben. Eine über die ohnehin von Gesetzes wegen zu beachtende Sozialhilfebedürftigkeitsgrenze hinausgehende außergewöhnliche soziale oder finanzielle Situation hatte der Kläger nicht vorgetragen; sie ist auch nicht ersichtlich.

69

bb) Demgegenüber sind in den Bescheiden vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 keinerlei Ermessenserwägungen der Beklagten zu den dort von ihr geregelten Verrechnungen enthalten.

70

Die Ausführungen in den Bescheiden geben keine Hinweise darauf, dass die Beklagte überhaupt erkannt hat, dass es sich auch bei den dortigen (Folge-)Verrechnungen um Ermessensentscheidungen handelt; sie hat jedenfalls keine entsprechenden Begründungen (mehr) gegeben, obwohl sie zB im Bescheid vom 15.5.2003 den ab 1.7.2003 einbehaltenen Verrechnungsbetrag von zuvor monatlich 34,76 Euro auf monatlich 54,91 Euro und damit um 20,15 Euro (ca 58 %) erhöht sowie den Rentenauszahlungsbetrag von zuvor monatlich 820 Euro auf monatlich 810 Euro reduziert hat. Der pauschale Hinweis der Beklagten, dass für die Ermittlung des verrechenbaren Betrags die auf volle Euro aufgerundeten Werte aus dem BSHG zugrunde gelegt worden seien, dieser Wert nicht dynamisiert werde und gegenwärtig 810 Euro betrage, reicht nicht aus. Entsprechendes gilt für die Hinweise zu den Verrechnungen in den Bescheiden vom 15.10.2004 und 9.6.2008 im Hinblick auf die Senkung des Beitragssatzes (zur Krankenversicherung) bzw die Rentenanpassung.

71

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Beklagte bei Erlass der Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 überhaupt kein Ermessen (mehr) ausgeübt hat oder ihr betätigtes Ermessen in diesen Bescheiden lediglich nicht begründet hat. Denn in beiden Fällen treten dieselben Rechtsfolgen der Anfechtung ein; die Bescheide sind im Hinblick auf die Ermessensausübung nicht hinreichend begründet iS des § 35 Abs 1 S 3 SGB X(vgl BSG vom 18.4.2000 - SozR 3-2700 § 76 Nr 2 S 5).

72

cc) Die Voraussetzungen des § 35 Abs 2 SGB X, bei deren Vorliegen ausnahmsweise auf eine (gesonderte) Begründung verzichtet werden kann, liegen hier nicht vor. Danach bedarf es keiner Begründung - außer in anderen, vorliegend von vornherein nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen -, soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar war (Nr 2 aaO).

73

Dem Kläger mag zwar durch den Hinweis im Bescheid vom 11.5.2001 zur Verrechnung mit den Zahlungsansprüchen aus seiner Rente wegen EU bekannt gewesen sein, dass der mit der Rente zu verrechnende Betrag bei jeder Änderung der Rentenhöhe (zB durch Rentenanpassungen, Neufeststellungen) von der Beklagten "neu ermittelt" werde. Unabhängig davon, dass bezüglich der Erkennbarkeit (… "ohne weiteres erkennbar" …) iS des § 35 Abs 2 Nr 2 SGB X ein strenger Maßstab(vgl Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 35 RdNr 12; Waschull in LPK, SGB X, 3. Aufl 2011, § 35 RdNr 12) anzulegen ist, ergibt sich jedenfalls allein aus einer solchen pauschalen Mitteilung nicht, welche konkreten Umstände die Beklagte im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens dazu bewogen haben, gerade mit dem jeweils konkret einbehaltenen ("abgetrennten") Betrag zu verrechnen.

74

Aus dem Widerspruchsbescheid vom 10.10.2002 lässt sich nicht entnehmen, dass - und ggf in welchem Umfang - die dortigen Ermessenserwägungen - etwa im Sinne einer "vorweggenommenen Ermessensausübung" - auf von ihm nicht erfasste Verrechnungszeiträume "fortwirken" sollen; umgekehrt nehmen die nachfolgenden Verrechnungs-Bescheide auch nicht auf die dortigen Ausführungen zum Ermessen (ergänzend) Bezug. Unabhängig davon haben sich diese Bescheide auch nicht innerhalb der Verrechnungs-Entscheidungen im Bescheid vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 (Verrechnung monatlich 34,76 Euro; Auszahlungsbetrag 820 Euro) gehalten, sondern sind zu Ungunsten des Klägers davon abgewichen.

75

e) Angesichts dessen kann offen bleiben, ob die Verrechnungs-Bescheide vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 sämtlich oder zum Teil auch deshalb rechtswidrig waren, weil die Beklagte vor deren Erlass den Kläger nicht angehört (§ 24 Abs 1 SGB X) und dies auch nicht bis zum Abschluss des LSG-Verfahrens nachgeholt hat (§ 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X).

76

Nach § 24 Abs 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

77

aa) Trotz unterbliebener Anhörung des Klägers vor Erlass des Bescheids vom 10.5.2002 war jedenfalls dieser hinsichtlich der dort geregelten Verrechnung nicht rechtswidrig. Denn dieser Verfahrensfehler ist hier gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Der Kläger hat sich mit seinem Widerspruch zu den für die Verrechnungs-Entscheidung der Beklagten in diesem Bescheid maßgeblichen Tatsachen geäußert. Aus dem Widerspruchsbescheid vom 10.10.2002 wird zudem deutlich, dass die Beklagte die von dem Kläger vorgebrachten Einwände gegen die Verrechnung zur Kenntnis genommen und bei ihrer (ablehnenden) Entscheidung in Erwägung gezogen, wenn auch nicht für durchschlagend erachtet hat.

78

bb) Demgegenüber hat die Beklagte den Kläger hinsichtlich ihrer Verrechnungs-Entscheidungen in den Bescheiden vom 15.5.2003, 2.3.2004, 15.10.2004, 23.5.2005, 1.6.2007 und 9.6.2008 weder angehört noch dies mit heilender Wirkung nachgeholt. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob von einer Anhörung zur Verrechnung in Rentenanpassungsbescheiden dann abgesehen werden kann, wenn sich der monatliche Auszahlungsbetrag nicht vermindert. Denn bereits mit Bescheid vom 15.5.2003 wurde ein niedrigerer Betrag (810 Euro) festgesetzt als zuvor mit Bescheid vom 10.5.2002 (820 Euro).

79

f) Der Kläger ist durch die mit Bescheid vom 10.5.2002 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002) für den Zeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 verfahrensfehlerfrei (s oben bei d aa und e aa) geregelte Verrechnung mit einem monatlichen Einbehalt iHv 34,76 Euro bei einem ihm noch verbleibenden monatlichen Rentenauszahlungsbetrag iHv 820 Euro nicht hilfebedürftig im Sinne der hier noch maßgeblichen Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt geworden (vgl hierzu BSG vom 15.12.1992 - SozR 3-1200 § 51 Nr 3 S 6).

80

Bei der Prüfung der Sozialhilfebedürftigkeit als Zulässigkeitsgrenze für die Verrechnung nach § 52 iVm § 51 Abs 2 SGB I mit Beitragsforderungen der Beigeladenen ist zunächst festzustellen, welcher Bedarf dem Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum (1.7.2002 bis zum 30.6.2003) gemäß der Hilfe zum Lebensunterhalt nach Maßgabe des BSHG zusteht.

81

Der Umfang der Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt war in den §§ 11 ff BSHG geregelt. Nach § 22 Abs 2 BSHG iVm § 2 Abs 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (Regelsatzverordnung) stand dem im Freistaat Sachsen lebenden Kläger(nach der Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales zur Anhebung der Regelsätze und der Grundbeträge nach dem BSHG sowie zur Höhe der Blindenhilfe vom 31.5.2002, Sächsisches Amtsblatt 2002, 707) ab 1.7.2002 als Haushaltsvorstand ein monatlicher Regelsatz iHv 279 Euro zu. Zudem hatte der Kläger wegen Vollendung des 65. Lebensjahres und des Merkzeichens "G" gemäß § 23 Abs 1 Nr 1 BSHG Anspruch auf einen Mehrbedarf iHv monatlich 55,80 Euro. Zum notwendigen Lebensunterhalt zählen ferner die laufenden Kosten für die Unterkunft (vgl § 12 Abs 1 BSHG, § 3 Regelsatzverordnung). Diese betrugen nach den Feststellungen des LSG für die Mietwohnung des Klägers und seiner Ehefrau im hier maßgeblichen Zeitraum ab 1.10.2002 monatlich 263,77 Euro (zuvor monatlich 257,22 Euro). Für die mit dem Kläger zusammenlebende Ehefrau war als Haushaltsangehörige nach § 2 Abs 3 Nr 4 der Regelsatzverordnung iVm der Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales vom 31.5.2002 (aaO) im Freistaat Sachsen ab 1.7.2002 ein monatlicher Bedarf iHv 223,00 Euro anzusetzen.

82

Dem danach berücksichtigungsfähigen monatlichen Bedarf iHv 821,57 Euro ist gemäß § 11 Abs 1 S 2 Halbs 1 BSHG das monatliche Einkommen und das Vermögen des Klägers und seiner Ehefrau gegenüberzustellen. Nach § 76 Abs 1 BSHG gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem BSHG, der Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz und der Rente oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden am Leben sowie an Körper und Gesundheit gewährt werden. Der Kläger verfügte im hier maßgeblichen Zeitraum über eine monatliche Nettoaltersrente iHv 820 Euro. Die Ehefrau des Klägers erhielt nach den Feststellungen des LSG eine Rente wegen EU iHv monatlich 646,83 Euro (= 1 265,08 DM). Danach verfügten der Kläger und seine Ehefrau über ein Monatseinkommen iHv 1 466,83 Euro. Dieser Betrag überstieg den berücksichtigungsfähigen monatlichen Bedarf iHv 821,57 Euro deutlich, und zwar um 645,26 Euro.

83

Anhaltspunkte für einen konkret zu beziffernden weiteren Bedarf des Klägers oder seiner Ehefrau nach §§ 11 ff BSHG oder vom vorgenannten anzurechnenden Einkommen gemäß § 76 Abs 2 BSHG abzugsfähige Belastungen (oder für anrechenbares Vermögen des Klägers oder seiner Ehefrau) ergeben sich für den Senat aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht; da gegen diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vom Kläger vorgebracht worden sind, sind sie für den Senat bindend (§ 163 SGG).

84

Damit erweist sich der Verrechnungs-Bescheid der Beklagten vom 10.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2002 (§ 95 SGG) auch insoweit als rechtmäßig.

85

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen.

(2) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung

1.
eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird,
2.
eines nach § 10a oder Abschnitt XI des Einkommensteuergesetzes geförderten Altersvorsorgevermögens im Sinne des § 92 des Einkommensteuergesetzes; dies gilt auch für das in der Auszahlungsphase insgesamt zur Verfügung stehende Kapital, soweit die Auszahlung als monatliche oder als sonstige regelmäßige Leistung im Sinne von § 82 Absatz 5 Satz 3 erfolgt; für diese Auszahlungen ist § 82 Absatz 4 und 5 anzuwenden,
3.
eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken von Menschen mit einer wesentlichen Behinderung oder einer drohenden wesentlichen Behinderung (§ 99 Absatz 1 und 2 des Neunten Buches) oder von blinden Menschen (§ 72) oder pflegebedürftigen Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde,
4.
eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
5.
von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind,
6.
von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde,
7.
von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist,
8.
eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes,
9.
kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
10.
eines angemessenen Kraftfahrzeuges.

(3) Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Heimpflegekosten zu gewähren, ohne bei deren Berechnung den Bestattungsvorvertrag der Klägerin mit der Firma D. Bestattungen in H. als Vermögen mit einzubeziehen.

2

Die am 23. Mai 1923 geborene Klägerin befand sich im Sommer 2004 wegen eines beginnenden Demenzprozesses und eines depressiven Syndroms in stationärer Krankenhausbehandlung. Seit dem 2. September 2004 lebt die Klägerin in einem Alten- und Pflegeheim und wird dort vollstationär betreut. Die Klägerin bezieht seit April 2004 eine Altersrente in Höhe von 125,56 EUR, Unterhaltshilfe in Höhe von 387,00 EUR sowie ab Aufnahme in das Heim Pflegewohngeld in Höhe von 466,95 EUR.

3

Am 31. August 2004 beantragte die Klägerin erstmals bei dem Beklagten die Übernahme der ihr durch die Heimaufnahme entstehenden Kosten. Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass die Klägerin über ein Vermögen in Höhe von 820,80 EUR auf ihrem Girokonto verfügte. Außerdem legte die Klägerin einen Bestattungsvorvertrag mit dem Bestattungsunternehmen D. in H. vor, den sie am 24. September 1997 abgeschlossen und mit dem sie das Unternehmen beauftragt hatte, ihre Beerdigung unter Zugrundelegung einer in der Anlage zu diesem Vertrag enthaltenen Leistungsbeschreibung gegen ein Entgelt von voraussichtlich 9.019,00 DM durchzuführen. Darin wurde Folgendes festgelegt: Eichensarg/Natur-Antik, Ausstattung und Sarg, Damentalar, Steppdecke und Kissen, Pflege, Einkleiden und Einbetten, Aufbahrung im Hause D., Aufbahrung zur Trauerfeier, Organisation und Leitung, Eigenbemühungen mit den Ämtern usw., Überführung vom Sterbeort zur Einstell-Kapelle D., Überführung zur Trauerfeier, Träger bei den Überführungen, Träger zur Beisetzung, Blumendekoration auf dem Sarg, Anzeige in den „H.er Nachrichten“, Telefongebühren, ärztliche Bescheinigung, Sterbeurkunden, Grabpflegelegat. Unter Ziff. III hieß es: Eine Verpflichtung des Bestattungsinstituts „zur Bestattung ist aufgrund dieses Vertrages nur dann gegeben, wenn der vereinbarte Preis, unter Berücksichtigung der Ziffern II. bis IV., zum Zeitpunkt des Beginns der Ausführung der Bestattung voll gedeckt ist. a) Durch Barzahlung, welche mit einem besonderen Sperrvermerk, z. B. Auflösung des Kontos nur in Verbindung mit der Sterbeurkunde des Kontoinhabers durch das B.J.“ (Beerdigungsinstitut). „Die Zinsen werden dem Konto gutgeschrieben und bei Durchführung des Auftrages verrechnet.“ Unter Ziff. VII war als besondere Vereinbarung eine anonyme Erdbestattung auf dem Südfriedhof getroffen worden. Nach einer vom 13. November 1995 stammenden „Bestätigung“ hatte das Bestattungsinstitut den Erhalt von 9.000,00 DM für die Bestattung der Klägerin einschließlich Grabstein und Grabpflege mit Frühjahrsbepflanzung, Sommerbepflanzung und Wintereindeckung quittiert. Der Erhalt des Geldes wurde nachträglich nochmals am 24. September 1997 zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bestattungsvorvertrages bestätigt.

4

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2004 lehnte der Beklagte die Übernahme der nicht durch ihr eigenes Einkommen und Vermögen gedeckten Heimpflegekosten im DRK-Heim H. ab Heimaufnahme ab. Der Beklagte stützte sich auf § 2 i.V.m. § 68 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und wies darauf hin, dass gemäß § 2 BSHG Sozialhilfe grundsätzlich nachrangig zu gewähren sei, so dass die Klägerin zunächst ihr eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen habe. Weiter hieß es, dass nach den vorliegenden Unterlagen die Klägerin über Sparguthaben in Höhe von insgesamt 5.422,43 EUR (Girokonto 820,80 EUR ohne Renteneingänge für September; Bestattungsvorsorge beim Bestattungshaus D. 4.601,63 EUR entsprechend 9.000,00 DM) verfüge. Dieses Guthaben gehöre zum Vermögen im Sinne von § 88 BSHG und sei von der Klägerin zur Deckung ihres Lebensunterhalts einzusetzen. Denn der nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG kleinere Barbetrag, von dem die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden dürfe, betrage z. Zt. 2.301,00 EUR, so dass das darüber liegende Vermögen in Höhe von 3.121,43 EUR zur Deckung der Heimpflegekosten einzusetzen sei. Neben dem einzusetzenden Vermögen verfüge die Klägerin noch über monatliches Einkommen, welches ebenfalls von ihr zur Deckung der Heimpflegekosten einzusetzen sei.

5

Am 11. Januar 2005 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten erneut die Übernahme von Heimpflegekosten. Mit Bescheid vom 12. Januar 2005 lehnte der Beklagte auch diesen Antrag ab, weil die Klägerin über Vermögenswerte in Höhe von insgesamt 4.927,14 EUR (Girokonto 325,80 EUR, Bestattungsvorsorgevertrag 4.611,34 EUR) verfüge. Auch unter Berücksichtigung des nach § 90 Abs. 2 Ziff. 9 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII) nicht zu berücksichtigenden kleineren Barbetrags von z. Zt. 2.600,00 EUR verfüge sie über ein Vermögen von 2.337,14 EUR, welches sie vorrangig einzusetzen habe. Hiergegen legte die Klägerin am 24. Januar 2005 Widerspruch ein. Nach ihrer Auffassung sei der Bestattungsvorvertrag nicht mit in die Berechnung einzubeziehen. Sie stützte sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2003 (Az.: 5 C 84/02).

6

Am 22. Februar 2005 beantragte die Klägerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, die Beklagte vorläufig zu verpflichten, ihr Sozialhilfeleistungen zu gewähren ohne Einbeziehung des Bestattungsvorvertrages als Vermögen. Zur Begründung führte sie weiter aus, dass durch den Bestattungsvorvertrag keine überteuerte Bestattung abgesichert werden solle. Außerdem stünde ihr der Bestattungsvorvertrag geldmäßig nicht zur Verfügung. Die Klägerin verwies erneut auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 5 C 84/02 - (NJW 2004, S. 2914 ff.). Im Übrigen sei eine Bestattung entgegen der Auffassung des Beklagten nicht für 2.600,00 EUR durchzuführen, da nicht nur Eigenleistungen des Bestattungsunternehmens, sondern auch Fremdleistungen durchgeführt werden müssten. Nach der Verwaltungspraxis der Stadt Hannover seien Vorsorgeaufwendungen sogar bis zu einer Höhe von 5.200,00 EUR neben dem Vermögensfreibetrag anrechnungsfrei. Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Klägerin den Vorsorgevertrag zivilrechtlich rückabwickeln könne. Die Verwertung stelle auch keine Härte dar. Der der bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt sei mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar. Im Übrigen sehe das Sozialhilferecht eine Übernahme von Bestattungskosten bei Mittellosen vor.

7

Mit Beschluss vom 7. März 2005 entsprach das Sozialgericht Schleswig dem Antrag der Klägerin. Zur Begründung des Anordnungsgrundes führte das Sozialgericht im Wesentlichen aus, dass der Einsatz des Vermögens nicht nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII verlangt werden könne, da dies für die Klägerin eine Härte darstellen würde.

8

Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Beschwerde trug der Beklagte vor, dass aus einer möglichen Rückabwicklung des Bestattungsvorvertrages die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit der Klägerin nicht über Gebühr eingeschränkt würde. Die Hinzurechnung der Kosten für die Bestattung sei vom gesetzlich eingeräumten Bewegungsspielraum nicht mehr gedeckt und auch der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu entnehmen. Vorliegend seien auch keine vom Bundesverwaltungsgericht geforderten atypischen Umstände gegeben, die eine Härte begründen könnten. Dass die Grabpflegevorsorge in jedem Fall von der Verwertung verschont werden müsse, sei gerade nicht entschieden worden. Zudem sei vorliegend auch nicht eine angemessene Bestattungsvorsorge getroffen worden. Die vereinbarten Kosten wären gegenüber den Höchstbeträgen, wie sie von ihm - dem Beklagten - für Bestattungskosten nach § 15 BSHG anerkannt würden, etwa doppelt so hoch. Da die Bestattung in einem anonymen Grab erfolgen solle, fielen auch keine Grabpflegekosten an. Die Klägerin machte geltend, dass die Sozialbestattung nach § 15 BSHG qualitativ unter dem normalen Bestattungsaufwand liege und deshalb kein geeigneter Maßstab sei. Aus der eingereichten Kostenzusammenstellung der Firma D. sowie der Friedhofsverwaltung jeweils vom 19. April 2005 ergebe sich die Angemessenheit der Aufwendungen. Da sie in H. keine Verwandtschaft habe, die sich um die Grabpflege kümmern könnte, habe sie hierfür selbst Vorsorge getroffen. Sie habe die einfachste Grablage gewählt, zudem solle nur ein Drittel der Fläche bepflanzt werden. Hierfür würden Kosten von 2.560,00 EUR anzusetzen sein.

9

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2005 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin das über dem Schonbetrag liegende Vermögen in Höhe von 2.337,14 EUR zur Deckung der Heimpflegekosten einzusetzen habe. Aus den bereits im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen könne kein sog. Härtefall angenommen werden.

10

Mit Beschluss vom 15. Juli 2005 hat der Senat die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig zurückgewiesen (L 9 B 76/05 SO ER). Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2005 (1 BvR 569/05) sei bei der Beurteilung des Anordnungsanspruchs maßgeblich auf die Abwägung der Folgen der Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes für die Antragstellerin auf der einen Seite und die Folgen seiner Gewährung für den Antragsgegner auf der anderen Seite abzustellen. Dies führe hier zu dem Ergebnis, dass keine durchgreifenden Argumente dafür vorhanden wären, die vom Sozialgericht erlassene einstweilige Anordnung aufzuheben.

11

Gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2005 hat die Klägerin am 3. Juni 2005 vor dem Sozialgericht Schleswig Klage erhoben und im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren wie auch im einstweiligen Anordnungsverfahren verwiesen.

12

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21. Oktober 2005 den Beklagten verpflichtet, der Klägerin Heimpflegekosten unter Außerachtlassung des abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrages zu gewähren.

13

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt:

14

„Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Heimpflegekosten unter Außerachtlassung des abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrages. Der angefochtene Bescheid vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. Mai 2005 verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist daher antragsgemäß aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab Antragstellung Heimpflege unter Außerachtlassung des abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrages zu gewähren.

15

Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 09. Mai 2005 die Voraussetzungen eines Anspruches auf Gewährung von Hilfe zur Pflege nach § 61 SGB XII dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf verwiesen. Die Klägerin gehört zum Personenkreis nach § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Sie ist in die Pflegestufe I eingestuft und wird in einer voll stationären Pflegeeinrichtung (Pflegeheim) versorgt. Sie erhält damit Leistungen, die als Hilfe zur Pflege in Form der stationären Pflege vom Leistungskatalog des § 61 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erfasst werden. Diese Voraussetzungen sind zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig, dass die Rente der Klägerin, die Unterhaltshilfe sowie das der Klägerin ab September 2004 bewilligte Pflegewohngeld nach § 6 Abs. 4 Landespflegegeldgesetz zusammen nicht ausreichen, um den Eigenanteil der Klägerin den Heimpflegekosten (1.401,78 Euro) zu decken; nicht gedeckt ist ein Betrag von 423,27 Euro pro Monat.

16

Entsprechend dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem u. a. durch den Einsatz seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen erhält. Gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte Vermögen einzusetzen. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Klägerin über keine weiteren Vermögenswerte verfügt, als den zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellten Girokontostand von 325,80 Euro sowie den Ansprüchen aus dem Bestattungsvorvertrag gegenüber der Firma D. Bestattungen, die als Leistung die Durchführung für die dereinstige Bestattung sowie eines Grabpflegelegats zu dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im September 1997 in Höhe von 9.019,00 DM (= 4.611,34 Euro) schuldet. Im Katalog des § 90 Abs. 2 SGB XII sind die zur Bestattungsvorsorge zweckgerichteten Vermögensansammlungen nicht erwähnt. Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz und von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte, wobei eine besondere Notlage der Nachfrage in Person zu berücksichtigen ist. Dieser kleinere Betrag beträgt zur Zeit 2.600,00 Euro (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 b der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII vom 11. Februar 1988 in der zuletzt geänderten Fassung vom 27.12.2003 [BGBL I Seite 3022]). Da der Klägerin ein entsprechender Barbetrag in dieser Höhe nicht zur Verfügung steht, stellt sich die Frage, ob die Klägerin vor Inanspruchnahme des Beklagten - da eine Verwertung des Bestattungsvorsorgevertrages wegen der individuell geschuldeten vertraglichen Leistungen durch das Bestattungsunternehmen nicht in Betracht kommen dürfte - verpflichtet wäre, den Bestattungsvertrag zu kündigen und die hieraus frei werdenden Mittel einzusetzen hätte. Anerkannt ist, dass ein Hilfeempfänger auch sogenannte „bereite Mittel“ einzusetzen hat; hierzu gehören diejenigen Mittel, über die der Hilfeempfänger nach einer ihm möglichen und zumutbaren Rechtsgestaltung wie z. B. Vertragskündigung rechtzeitig zur Bedarfszeit verfügen kann (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 5 C 84/02 - m.w.N.). Im Anschluss an den Beschluss im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens geht auch die Kammer davon aus, dass der Bestattungsvorvertrag zu den verwertbaren Mitteln und damit von der Klägerin auch grundsätzlich einsetzbarem Vermögen gehört. Ob der Klägerin auch im konkreten Fall ein Kündigungsrecht, ggf. in Form eines außerordentlichen Kündigungsrechts zusteht (vgl. hierzu Beschluss der 15. Kammer vom 07.03.2005 [a.a.O]), konnte auch die Kammer vorliegend offen lassen, weil es der Klägerin unter den konkreten Umständen nicht zumutbar ist, den Bestattungsvorvertrag zu kündigen, weil die Kammer vorliegend den Bestattungsvorvertrag als durch § 90 Abs. 3 SGB XII als geschützt ansieht. In dem hier allein einschlägigen Absatz 1 der Vorschrift des § 90 Abs. 3 SGB XII heißt es, dass die Sozialhilfe ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden darf, soweit dies für den, der Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Während es in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2003 (a.a.O.) zu Grunde liegenden Sachverhalt zwar um die mögliche Verschonung der für die Grabpflege zurückgelegten Mittel ging, hat das Bundesverwaltungsgericht sich in seiner Entscheidung jedoch auch grundsätzlich zur Verschonung von für die Bestattung (und Grabpflege) zurückgelegten Mitteln geäußert und hierzu unter Hinweis auf die Entscheidungen des OVG Lüneburg vom 23. Juli 2003 (- 4 LC 523/02 - und - 4 LB 178/03 -) ausgeführt, dass es gerechtfertigt sei, „eine angemessene finanzielle Vorsorge für den Todesfall nach [dem zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen] § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG zu verschonen“. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG hergeleitet. Dieses Würdeprinzip ist auch in der hier maßgeblichen Vorschrift des § 1 Satz 1 SGB XII verankert, so dass die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Geltung des SGB XII weiterhin Gültigkeit hat. Dieser grundsätzlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und weiterer Oberverwaltungsgerichte (z.B. OVG Münster Beschluss vom 19.12.2003 - 16 B 2078/03 -) und Teilen der Literatur (vgl. Kruse/Wahrendorf SGB XII § 90 Anm. 44) zu der möglichen Verschonung der für Bestattung und Grabpflege zurückgelegten Mittel schließt sich die Kammer an. Die insoweit gegenteilige Auffassung des Beklagten (gegen die Annahme einer Härte auch OVG Rheinland-Pfalz vom 24.03:2003 - 12 A 10302/03 -) vermochte die Kammer nicht zu überzeugen. Insbesondere erfolgte die Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz durch das Bundesverwaltungsgericht nicht deshalb, weil nicht „in jedem Fall“ der Grabpflege von der Verwertung verschont bleiben müsse, sondern weil sich die Angemessenheit der im dortigen Fall getroffenen Vorsorge nicht abschließend beurteilen ließ (siehe Entscheidungsgründe des Bundesverwaltungsgerichts a.a.O. letzter Absatz). Eine angemessene Grabpflege sollte nach der Entscheidung aber in jedem Fall erhalten bleiben. Auch hat das Bundesverwaltungsgericht entgegen der Ansicht des Beklagten nicht gefordert, dass atypische Umstände gegeben sein müssten, um überhaupt eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bei der konkret streitigen Frage annehmen zu können. Soweit der Beklagte argumentiert, dass es nicht einer juristisch korrekten Auslegung der Härteklausel entspreche, wenn hier ein Vorgang subsumiert werde, der jeden Menschen treffen könne und eine überwiegende Gruppe von Menschen zu bestimmten Vorsorgehandlungen veranlasse, vermochte dies nicht zu überzeugen. Nach Auffassung der Kammer macht es sehr wohl einen Unterschied, in welcher Form diese Vorsorgehandlungen vorgenommen werden. Denn entscheidend dürfte auch hier sein, ob der Wille zur Bestattungsvorsorge sich in äußerlich erkennbarer Form dokumentiert wie z. B. dadurch, dass ein Bestattungsvorvertrag abgeschlossen wird. Denn im Gegensatz dazu bestünde bei dem auf einem Sparbuch eingezahlten Betrag oder beim Abschluss einer Lebensversicherung immer noch die Möglichkeit, auf diese Mittel zurückzugreifen oder (ggf. betr. die Lebensversicherung) zu beleihen. Natürlich ist der Betroffene in seiner Entscheidung frei, welche Art von Bestattungsvorsorge er trifft. Es entspricht aber auch hier wieder dem durch Art. 1 Grundgesetz verfassungsrechtlich fundierten Anspruch einer würdigen Bestattung, eine entsprechende Bestattungsvorsorge treffen zu können und dass das so zur Bestattung und Grabpflege angesammelte Vermögen auch ohne ausdrückliche gesetzgeberische Regelung geschont und geschützt wird (vgl. Kruse/Wahrendorf a. a. 0.). Nach Auffassung der Kammer ergibt sich aus dem oben Ausgeführten damit zugleich, dass neben dem allgemeinen Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Höhe von 2.600,00 Euro ein für eine angemessene Bestattungsvorsorge vorgesehener Betrag anrechnungsfrei bleibt, dieser - weitere Schonbetrag - nicht lediglich den Betrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII erhöht.

17

Nach Auffassung der Kammer ist auch die Höhe des konkret abgeschlossenen Bestattungsvorvertrages von 9.019,00 (= 4.611,34 Euro) als (noch) angemessen anzusehen. Die Prüfung der Angemessenheit orientiert sich an den von der Klägerin mit dem Bestattungsunternehmen im September 1997 für die dereinstige Bestattung festgelegten Leistungen. Hieraus ergeben sich keine über das Notwendige hinaus gehende Leistungen. Soweit in dem Vorvertrag unter Ziff. VII eine anonyme Erdbestattung auf dem Südfriedhof im Vertragstext mit aufgeführt ist, erfährt dieser Punkt bereits eine Modifizierung durch die am gleichen Tag erfolgte nachträgliche Bestätigung für die am 13. November 1995 erfolgte Bestätigung, nämlich für den Erhalt 9.000,00 DM für die dereinstige Bestattung der Klägerin einschließlich Grabstein und Grabpflege mit Frühjahrsbepflanzung, Sommerbepflanzung und Wintereindeckung. Soweit der Beklagte dem entgegenhält, dass nach seinen Erkenntnissen die vertraglich vereinbarte Bestattung nur die Hälfte der im Vorvertrag angenommenen Bezahlung vorgenommen werden könnte, überzeugt die Kammer demgegenüber nicht. Zum einen stellt der Beklagte hier auf die reinen Bestattungskosten ab. Nach der handschriftlich erfolgten Bestätigungserklärung beinhaltet der Vertrag darüber hinaus aber auch einen Grabstein sowie die Grabpflege mit den entsprechenden Bepflanzungen als Leistung. Diese dürften daher in jedem Falle zu den von dem Beklagten angenommenen Kosten hinzu kommen. Hinzu tritt, dass der Beklagte die Grundlage seiner Erkenntnisse nicht offen legt. Demgegenüber hat die Klägerin im Beschwerdeverfahren eine genaue Zusammenstellung der Kosten zum Bestattungsvorsorgevertrag von der Firma D. Bestattungen bezogen auf April 2005 unter Einschluss der Kosten der Friedhofsverwaltung für ein Reihengrab auf dem H.er Südfriedhof beigebracht. Aus dieser Aufstellung ergeben sich keine über den Bestattungsvorvertrag hinausgehenden Leistungen, sie entsprechen auch in ihrer Höhe den durchschnittlichen Kosten. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch, dass beispielsweise die Landeshauptstadt Hannover Guthaben aus Sterbeversicherungen bzw. Bestattungsvorsorgeverträgen, die eine menschenwürdige Bestattung sicherstellen sollen, bis zu einer Höhe von insgesamt 5.200,00 Euro neben dem Vermögensfreibetrag anrechnungsfrei sind.

18

Nach alledem ist der Beklagte verpflichtet, die nicht gedeckten Heimkosten für die Klägerin ab Antragstellung am 11.01.2005 zu übernehmen.“

19

Gegen dieses dem Beklagten am 30. Dezember 2005 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die am 20. Januar 2006 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung wiederholt der Beklagte sein bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend, dass das im Rahmen eines Bestattungs- bzw. Grabpflegevorsorgevertrags zweckgebundene Vermögen nicht generell zu verschonen sei. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls. Die aus einem Grabpflegevertrag bereitzustellenden Mittel seien nur insoweit geschützt, als sie für eine angemessene Grabpflege bestimmt seien. Die Angemessenheit richte sich danach, ob sich eine Vertragsrückabwicklung nach den Umständen des Einzelfalls als eine verhältnismäßige Vermögensdisposition darstelle. Darüber hinaus sei die hier getroffene Bestattungsvorsorge in einem Umfang von 4.611,34 EUR nicht angemessen.

20

Der Beklagte beantragt,

21

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

22

Die Klägerin beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie ist der Auffassung, dass aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) das Recht folge, für eine angemessene Bestattung Sorge zu tragen. Sie verweist darauf, dass andere Sozialhilfeträger Obergrenzen zwischen 5.000,00 und 6.000,00 EUR akzeptierten. Die Klägerin macht weiterhin geltend, dass sie den Vorsorgevertrag bereits zu einem Zeitpunkt geschlossen habe, zu dem sie nicht damit habe rechnen können, jemals Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Sie beruft sich u. a. auf eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel, in § 90 SGB XII einzufügen, dass Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung einer Versicherung, mit der eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende angemessene Bestattung sichergestellt werden solle, abhängig gemacht werden dürfe. Abschließend verweist die Klägerin darauf, dass es in ihrem Fall niemanden gebe, der für die Kosten ihrer Bestattung aufkommen würde, so dass ohnehin der Beklagte die Bestattungskosten übernehmen müsste.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten in dem Verfahren L 9 B 76/05 SO ER. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

26

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

27

Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Heimpflegekosten unter Außerachtlassung des abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrages zu gewähren. Dieser gehört nicht zum einzusetzenden Vermögen. Das ist hier die allein streiterhebliche Frage. Dass die übrigen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung vorliegen, hat das Sozialgericht zutreffend dargelegt. Hierauf nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug.

28

Zum verwertbaren Vermögen im Sinne von § 90 Abs. 1 SGB XII gehört jeder Vermögensgegenstand, der nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten tatsächlich verwertet werden kann und damit grundsätzlich geeignet ist, der bestehenden Hilfebedürftigkeit zu begegnen. Hierunter fallen auch Mittel für Bestattungsvorsorgeverträge, denn diese sind nicht in der Aufzählung verschonter Vermögensgegenstände in § 90 Abs. 2 SGB XII genannt. Ihre Verschonung ist daher nur unter den Voraussetzungen des § 90 Abs. 3 SGB XII möglich, wobei nur unmittelbar Satz 1 und nicht Satz 2 dieser Norm einschlägig ist (vergl. Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 11. Dezember 2003, 5 C 84/02).

29

Nach § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII bedeutet der Vermögenseinsatz bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen eine Härte vor allem, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Eine Härte im Sinne dieser Vorschrift ist schon deshalb zu verneinen, weil nach ihr Vermögen nur dann der Verschonung unterliegen kann, wenn es um die Deckung eines Bedarfs geht, welchen der Hilfesuchende noch zu seinen Lebzeiten hat. Denn sowohl die „angemessene Lebensführung“ als auch die „angemessene Alterssicherung“ finden begriffsnotwendig ihr Ende mit dem Tod des Betreffenden. Eine Vorsorge des Hilfesuchenden für die Zeit nach seinem Tod kann daher weder unter dem Begriff „angemessene Lebensführung“ noch unter dem Begriff Aufrechterhaltung einer „angemessenen Alterssicherung“ subsumiert werden. Eine Auslegung dahingehend, dass der Lebensabschnitt „Alter“ auch den diesen Lebensabschnitt abschließenden Todesfall umfasse, überdehnt den Gesetzeswortlaut (Hauck/Noftz-Lücking, SGB XII, § 90 Rdnr. 73, anderer Ansicht Spranger NVwZ 2001, S. 877).

30

Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für denjenigen, der Vermögen einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. Diese Vorschrift zielt auf atypische Fälle ab, die nicht von § 90 Abs. 2 SGB XII erfasst, aber unter wertenden Gesichtspunkten mit diesen Fällen vergleichbar sind (vergl. BVerwGE 92, 254). Dabei ist zum einen auf die Leitvorstellungen des Gesetzes für die Verschonung zurückzugreifen, die in § 90 Abs. 2 SGB XII zum Ausdruck gekommen sind, und zum anderen sind auch Schutzwertungen aus anderen Bestimmungen des SGB XII zu berücksichtigen. Letztlich sind die Wertvorstellungen der Grundrechte zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Härte zu beachten. Dabei stellt das für die eigene Bestattung angesammelte Vermögen nicht generell ein Vermögen dar, das durch § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt wird. Dies würde der Zielrichtung des Gesetzgebers widersprechen, der diesen Tatbestand gerade nicht in § 90 Abs. 2 SGB XII (und vorher auch nicht in § 88 Abs. 2 BSHG) aufgeführt hat. Nach dem Beschluss der 816. Sitzung des Bundesrats am 4. November 2005 soll nun ein Gesetzentwurf (§ 90 Abs. 2 a SGB XII) beim Deutschen Bundestag eingebracht werden, wonach eine Versicherung, mit der eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende angemessene Bestattung sichergestellt werden soll, verschont werden soll. Zur Begründung wird auf die „höchst unbefriedigende“ derzeitige Rechtslage verwiesen. Außerdem soll mit der Erweiterung des Katalogs für das „Schonvermögen“ der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Urteil vom 11. Dezember 2003 (5 C 84/02) Rechnung getragen werden. Nach der gegenwärtigen Rechtslage ist jedoch in Übereinstimmung mit der Begründung der Ausschüsse des Bundesrats die Verwertung von Mitteln aus einem Bestattungsvorsorgevertrag nicht generell als Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII anzusehen. Vielmehr müssen die Gesamtumstände des Einzelfalls das Vorliegen einer Härte ergeben (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 2. Februar 2006 - L 8 SO 135/05 ER; Hauck/Noftz-Lücking, ebenda; Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., § 90 SGB XII Rdnr. 21; Mergler/Zink, SGB XII, § 90 Rdnr. 78 mit Nachweisen auf die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte; anderer Ansicht: Brühl in LPK-SGB XII, § 90 Rdnr. 12 und Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rdnr. 44, Widmann ZfSH/SGB 2001, 653, nach deren Auffassung für Bestattung und Grabpflege angesammeltes angemessenes Vermögen in verfassungskonformer Auslegung generell durch die Härteregelung zu verschonen ist - so im Ergebnis wohl auch Bundesverwaltungsgericht, ebenda).

31

Eine generelle Härte kann schon deswegen nicht angenommen werden, weil es eine Vielzahl von Personen gibt, die zur Deckung von Bestattungskosten Vermögen ansparen. Wenn der Gesetzgeber eine Härtevorschrift einführt, so regelmäßig deshalb, weil er mit den Regelvorschriften zwar den dem Gesetz zugrunde liegenden typischen Sachverhalten gerecht werden kann, nicht aber den atypischen. Da die atypischen Fälle nicht mit den abstrakten Merkmalen der Gesetzessprache erfasst werden können, muss der Gesetzgeber neben dem Regeltatbestand einen Ausnahmetatbestand setzen, der zwar in den einzelnen Merkmalen unbestimmt ist, jedoch bei einer sinngerechten Anwendung ein Ergebnis gestattet, das dem Regelergebnis in seiner grundsätzlichen Zielsetzung gleichwertig ist. Danach kommt es bei der Bestimmung des Begriffs der Härte darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschrift zu einem den Leitvorstellungen des § 90 Abs. 2 SGB XII nicht entsprechendem Ergebnis führen würde. Die Systematik des Vermögensschutzes in diesen Vorschriften verbietet es, den unbestimmten Rechtsbegriff der Härte in der Weise auszulegen, dass dadurch in einer Vielzahl von Fällen generell die Pflicht zum Vermögenseinsatz weiter eingeschränkt wird.

32

Im Übrigen ist die Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII im Zusammenhang mit § 74 SGB XII zu sehen, wonach die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen werden, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Dadurch wird gewährleistet, dass selbst dann, wenn kein Schonvermögen vorhanden ist, eine angemessene Bestattung erfolgt.

33

Nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Verwertung des in den Bestattungsvorsorgevertrag eingezahlten Geldes für die Klägerin objektiv eine Härte bedeutet. Prüfungsmaßstab ist dabei, ob der Einzelfall Besonderheiten gegenüber der Situation anderer vergleichbarer Gruppen von Leistungsberechtigten aufweist (Mergler/Zink, a.a.O., Rdnr. 74). Das ist hier der Fall.

34

Vorliegend hat die ansonsten in bescheidenen Verhältnissen lebende Klägerin im Jahre 1995 im Alter von 72 Jahren einen Betrag von 9.019,00 DM für die Bestattungsvorsorge aufgewendet. Hierbei handelte es sich nahezu um ihr gesamtes Vermögen. Dies unterstreicht die Bedeutung für die Klägerin. Sie lebte damals von Altersrente (jetzt ca. 125,00 EUR) und Unterhaltshilfe (jetzt ca. 386,00 EUR). Ergänzend wurde evtl. Wohngeld gezahlt. Weiteres Vermögen besaß und besitzt die Klägerin nicht. Zum damaligen Zeitpunkt war die zukünftige Sozialhilfebedürftigkeit (ab September 2004) nicht erkennbar. Es handelt sich also um einen lange bestehenden Vertrag. Die Klägerin hat mithin jetzt vor über zehn Jahren die Entscheidung getroffen, ihr (ganzes) Vermögen für ihre Bestattung zu binden, statt dieses für die alltägliche Lebensführung zu verwenden bzw. zu verbrauchen. Sie hat andauernd in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt, um dadurch eine Bestattung nach ihren Vorstellungen zu ermöglichen. Dieser Umstand rechtfertigt es auch, einen Bestattungsvorsorgevertrag anders zu bewerten als z. B. ein grundsätzlich nicht verschontes Sparbuch. Es kommt für die Verschonung entscheidend darauf an, dass sichergestellt ist, dass die eingezahlten Beträge nur für die Bestattung verwendet werden können. Hinzu kommt die Besonderheit, dass hier aller Wahrscheinlichkeit nach der Beklagte mangels anderer Verpflichteter die Kosten der Beerdigung der mittlerweile 83-jährigen Klägerin ohnehin zu tragen hätte. Es gibt keine Verwandten außer einem Neffen, der nach dem „Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen des Landes Schleswig-Holstein“ vom 4. Februar 2005 (GVOBl. Schl.-H. 2005, 70) nicht verpflichtet ist, für die Bestattung aufzukommen. Er gehört nicht zu den dort genannten bestattungsverpflichteten Hinterbliebenen (§ 2 Nr. 12 i.V.m. § 13 Abs. 2). Wegen der Vermögenslosigkeit der Klägerin ist auch nicht zu erwarten, dass der Neffe die Erbschaft annehmen wird. Er kommt daher auch als Verpflichteter gemäß § 74 SGB XII i.V.m. § 1968 BGB nicht mit Wahrscheinlichkeit in Betracht. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass sich bei Auflösung des Bestattungsvorsorgevertrags durch die Klägerin für den bestattungsverpflichteten Sozialhilfeträger kein wirtschaftlicher Vorteil ergeben würde. Das Vermögen der Klägerin in Höhe von 4.937,14 EUR, wie es einschließlich des Bestattungsvorsorgevertrags im angefochtenen Bescheid vom 12. Januar 2005 zugrunde gelegt ist, überschreitet den allgemeinen Betrag für das Schonvermögen von 2.600,00 EUR um 2.337,14 EUR. Von diesem Betrag wären jedenfalls noch ca. 50,00 EUR abzusetzen wegen der Verwaltungsgebühr, die bei Auflösung des Bestattungsvorsorgevertrags anfiele. Damit verbliebe ein Betrag von 2.287,00 EUR. Bereits Bestattungskosten von 2.300,00 EUR, die der Beklagte nach eigenem Vortrag für angemessen hält, würden diesen Betrag überschreiten.

35

Diese Umstände nicht als Härte anzuerkennen, liefe den in § 1 SGB XII normierten Leitvorstellungen des Gesetzes zuwider. Danach gehört zu den vorrangigsten Aufgaben der Sozialhilfe, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht, wobei die Sozialleistung die Empfänger so weit wie möglich dazu befähigen soll, unabhängig von ihr zu leben. Hierauf haben die Leistungsempfänger nach Kräften hinzuwirken. Diese Grundsätze sind auch auf Situationen übertragbar, in denen (noch) keine Hilfebedürftigkeit besteht. Das bedeutet, dass sich insbesondere Bemühungen nicht hilfebedürftiger Personen, Hilfebedürftigkeit auch in Zukunft zu vermeiden, grundsätzlich nicht negativ auswirken dürfen, wenn schließlich dennoch Hilfebedürftigkeit eintritt. Gerade die rechtzeitige Vorsorge für das eigene Ableben in dem bewussten Bemühen, insbesondere der Allgemeinheit nicht zur Last zu fallen, muss vor diesem Hintergrund als grundsätzlich geeignet angesehen werden, eine Schonung der dafür aufgewendeten Mittel auszulösen. Dem kann von vornherein gerade nicht entgegengehalten werden, die Vorsorge für das eigene Ableben sei unnötig und der Einsatz der dafür aufgewendeten Mittel deshalb keine Härte, weil der Sozialhilfeträger ohnehin für die Kosten einer würdigen Bestattung aufkomme. Diese Sichtweise würde den Einzelnen jedenfalls wirtschaftlich zum bloßen Objekt staatlichen Handels herabwürdigen und damit den Zielen des § 1 Satz 1 SGB XII nicht gerecht werden.

36

Der Senat sieht den hier abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrag in Höhe von 4.611,34 EUR aus den vom Sozialgericht genannten Gründen als (noch) angemessen an, zumal der Beklagte nicht konkret dargelegt hat, aus welchen Gründen die „Zusammenstellung der Kosten zum Bestattungsvorsorgevertrag“ der Firma D. vom 19. April 2005 nicht angemessene Einzelleistungen enthalten würde. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in der Endsumme von 5.528,57 EUR Kosten in Höhe von 2.436,82 EUR enthalten sind, die von der Friedhofsverwaltung in Rechnung gestellt werden und nicht reduzierbar sind. Diese beziehen sich im Wesentlichen auf das Grabnutzungsrecht für ein Reihengrab auf 25 Jahre, das Ausheben und Schließen der Grabstätte sowie auf eine einfache Grabpflege ohne Bepflanzung.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.

38

Der Senat lässt die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Zu der hier streitentscheidenden Rechtsfrage gibt es bislang keine Urteile von Landessozialgerichten bzw. dem Bundessozialgericht. Die Verwaltungspraxis der Sozialhilfeträger ist im höchsten Maße uneinheitlich.


(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind.

(2) Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.

(1) Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen können nicht gepfändet werden.

(2) Ansprüche auf einmalige Geldleistungen können nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht.

(3) Unpfändbar sind Ansprüche auf

1.
Elterngeld bis zur Höhe der nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes anrechnungsfreien Beträge sowie dem Erziehungsgeld vergleichbare Leistungen der Länder,
2.
Mutterschaftsgeld nach § 19 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes, soweit das Mutterschaftsgeld nicht aus einer Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit herrührt, bis zur Höhe des Elterngeldes nach § 2 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, soweit es die anrechnungsfreien Beträge nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes nicht übersteigt,
2a.
Wohngeld, soweit nicht die Pfändung wegen Ansprüchen erfolgt, die Gegenstand der §§ 9 und 10 des Wohngeldgesetzes sind,
3.
Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen.

(4) Im übrigen können Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

(5) Ein Anspruch des Leistungsberechtigten auf Geldleistungen für Kinder (§ 48 Abs. 1 Satz 2) kann nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung der Geldleistungen berücksichtigt wird, gepfändet werden. Für die Höhe des pfändbaren Betrages bei Kindergeld gilt:

1.
Gehört das unterhaltsberechtigte Kind zum Kreis der Kinder, für die dem Leistungsberechtigten Kindergeld gezahlt wird, so ist eine Pfändung bis zu dem Betrag möglich, der bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf jedes dieser Kinder entfällt. Ist das Kindergeld durch die Berücksichtigung eines weiteren Kindes erhöht, für das einer dritten Person Kindergeld oder dieser oder dem Leistungsberechtigten eine andere Geldleistung für Kinder zusteht, so bleibt der Erhöhungsbetrag bei der Bestimmung des pfändbaren Betrages des Kindergeldes nach Satz 1 außer Betracht.
2.
Der Erhöhungsbetrag (Nummer 1 Satz 2) ist zugunsten jedes bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigten unterhaltsberechtigten Kindes zu dem Anteil pfändbar, der sich bei gleichmäßiger Verteilung auf alle Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Leistungsberechtigten berücksichtigt werden, ergibt.

(6) In den Fällen der Absätze 2, 4 und 5 gilt § 53 Abs. 6 entsprechend.

(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind.

(2) Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.

Die Träger der Leistungen nach diesem Buch dürfen abweichend von § 80 Absatz 3 des Zehnten Buches zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Buch einschließlich der Erbringung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und Bekämpfung von Leistungsmissbrauch nicht-öffentliche Stellen mit der Verarbeitung von Sozialdaten beauftragen.

(1) Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen können nicht gepfändet werden.

(2) Ansprüche auf einmalige Geldleistungen können nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht.

(3) Unpfändbar sind Ansprüche auf

1.
Elterngeld bis zur Höhe der nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes anrechnungsfreien Beträge sowie dem Erziehungsgeld vergleichbare Leistungen der Länder,
2.
Mutterschaftsgeld nach § 19 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes, soweit das Mutterschaftsgeld nicht aus einer Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit herrührt, bis zur Höhe des Elterngeldes nach § 2 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, soweit es die anrechnungsfreien Beträge nach § 10 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes nicht übersteigt,
2a.
Wohngeld, soweit nicht die Pfändung wegen Ansprüchen erfolgt, die Gegenstand der §§ 9 und 10 des Wohngeldgesetzes sind,
3.
Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen.

(4) Im übrigen können Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

(5) Ein Anspruch des Leistungsberechtigten auf Geldleistungen für Kinder (§ 48 Abs. 1 Satz 2) kann nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung der Geldleistungen berücksichtigt wird, gepfändet werden. Für die Höhe des pfändbaren Betrages bei Kindergeld gilt:

1.
Gehört das unterhaltsberechtigte Kind zum Kreis der Kinder, für die dem Leistungsberechtigten Kindergeld gezahlt wird, so ist eine Pfändung bis zu dem Betrag möglich, der bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf jedes dieser Kinder entfällt. Ist das Kindergeld durch die Berücksichtigung eines weiteren Kindes erhöht, für das einer dritten Person Kindergeld oder dieser oder dem Leistungsberechtigten eine andere Geldleistung für Kinder zusteht, so bleibt der Erhöhungsbetrag bei der Bestimmung des pfändbaren Betrages des Kindergeldes nach Satz 1 außer Betracht.
2.
Der Erhöhungsbetrag (Nummer 1 Satz 2) ist zugunsten jedes bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigten unterhaltsberechtigten Kindes zu dem Anteil pfändbar, der sich bei gleichmäßiger Verteilung auf alle Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Leistungsberechtigten berücksichtigt werden, ergibt.

(6) In den Fällen der Absätze 2, 4 und 5 gilt § 53 Abs. 6 entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.