Sozialgericht Karlsruhe Urteil, 29. Juni 2018 - S 1 U 4293/16

bei uns veröffentlicht am29.06.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob ein Tinnitus rechts, ständige Kopfschmerzen und Schwindelanfälle als weitere Folgen eines Arbeitsunfalls festzustellen sind.
Der 1954 geborene, als Gießereiarbeiter beschäftigte Kläger erlitt am 03.03.2016 einen Arbeitsunfall, als er während seiner versicherten Tätigkeit an einer Treppe ausrutschte, stürzte und sich dabei den Kopf und die rechte Schulter anstieß. Bei der Erstuntersuchung durch den Chirurgen Dr. T. bestanden keine Amnesie, Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen oder Kopfschmerzen. Der Kläger war wach, ansprechbar und allseits orientiert. Dr. T. konnte keinen Haut- oder Weichteildefekt, jedoch ein etwa 1 cm² großes Hämatom epikranian parietal links objektivieren. Die von ihm veranlasste bildgebende Diagnostik erbrachte keinen Hinweis auf eine Fraktur im Bereich der Halswirbelsäule bei Zeichen degenerativer Diskopathien in den Segmenten C4 bis C6 mit geringer Retrolisthesis von C4 und C5. Dr. T. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein Hämatom epikranian parietal links und eine HWS-Distorsion (vgl. Durchgangsarztbericht vom 03.03.2016). Bei der Nachuntersuchung durch Dr. T. am 10.03.2016 gab der Kläger erstmals rezidivierende Schwindelerscheinungen an. Neurologische Auffälligkeiten konnte Dr. T. nicht objektivieren. Die von ihm veranlasste kernspintomografische Untersuchungen des Schädels und der Halswirbelsäule ergaben keinen Anhalt für eine Arteriendissektion oder traumatische Veränderungen (vgl. Nachschaubericht vom 10.03.2016 und Arztbrief des Radiologen E. vom selben Tag). Am 22.03.2016 stellte sich der Kläger bei der HNO-Ärztin Dr. M. vor. Diese äußerte den Verdacht auf einen paroxysmalen Lagerungsschwindel (vgl. HNO-Bericht vom 22.03.2016). Gegenüber dem Orthopäden Dr. Tr. gab der Kläger am 13.04.2016 unter anderem an, die Schwindelerscheinungen hätten abgenommen. Dafür hätten die Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule zugenommen. Außerdem klagte der Kläger über einen Pfeifton im rechten Ohr seit drei Tagen (vgl. Zwischenbericht vom 13.04.2016). Die HNO-Ärztin Dr. F. diagnostizierte aufgrund des Untersuchungsbefundes vom 15.04.2016 (u.a. Angabe eines Ohrgeräusches bei 750 Hz und 5 dB) als Gesundheitsstörungen einen Tinnitus rechts (vgl. Schreiben vom 19.04.2016). Am 25.04.2016 gab der Kläger gegenüber Dr. F. an, der Schwindel sei nicht mehr vorhanden. Bei der weiteren Nachuntersuchung am 03.05.2016 lokalisierte Dr. F. das Ohrgeräusch rechts bei 3000 Hz und 50 dB (vgl. HNO-Bericht vom 03.05.2016). Im Rahmen einer ambulanten Untersuchung im P.-Klinikum Bad K. diagnostizierte Dr. D. als Gesundheitsstörungen einen bewegungsabhängigen Drehschwindel ohne klinisch-neurologische Hinweise für einen Vestibularisausfall oder einen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel. Er könne deshalb die Beschwerden des Klägers momentan nicht näher zuordnen (vgl. Behandlungsbericht vom 07.06.2016).
Im Rahmen des Reintegrations-Managements befand sich der Kläger vom 08. bis 28.06.2016 stationär im P.-Klinikum. Dabei verzeichneten die behandelnden Ärzte eine lediglich minimale Besserung der Schwindelerscheinungen bei im Übrigen unveränderter Beschwerdeschilderung. Ein sicheres Korrelat für den Schwindel ließ sich indes nicht nachweisen. Die Klinikärzte empfahlen eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers (Entlassungsbericht vom 28.06.2016). Eine erste Arbeits- und Belastungserprobung ab dem 11.07.2016 trat der Kläger nicht an. Eine weitere Arbeits- und Belastungserprobung ab dem 18.07.2016 brach der Kläger am 21.07.2016 unter Hinweis auf Schwindelerscheinungen und Kopfschmerzen ab. Eine im weiteren Verlauf durch Dr. Tr. veranlasste Kernspintomografie des Schädels erbrachte einen altersentsprechenden Befund des Neurocraniums mit vereinzelten unspezifischen Marklagergliosen, am ehesten mikroangiopathischer Genese (vgl. Arztbrief des Radiologen E. vom 01.08.2016). Nach weiterer medizinischer Sachaufklärung (u.a. Beizug des Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK P. und der Tonaudiogramme der Dr. F., beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. B) anerkannte die Beklagte das Ereignis vom 03.03.2016 als Arbeitsunfall und als dessen Folgen:
„Jeweils vorübergehender Drehschwindel sowie vorübergehende Kopfschmerzen nach folgenlos verheilten Prellungen des Hinterkopfes sowie der Halswirbelsäule (HWS). Folgenlos verheilte Prellung der rechten Schulter.“
Keine Folgen des Arbeitsunfalls seien ein subjektiver Tinnitus unklarer Genese, Kopfschmerzen, Schwindel und degenerative Veränderungen mit spinaler Stenose im mittleren und unteren HWS-Bereich. Ein Anspruch auf Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und sonstige Lohnersatzleistungen (z. B. Verletztengeld) über den 21.08.2016 hinaus bestehe nicht: Die bildgebenden Untersuchungen hätten keine unfallspezifischen Begleitverletzungen im Bereich des Kopfes oder der Halswirbelsäule objektiviert, sondern ausschließlich degenerative Veränderungen im Sinne einer Verengung der Wirbelkörper der Halswirbelsäule. Auch Hirnschädigungen oder Einblutungen seien nicht festzustellen. Weiter hätten sich auch keine Hinweise für eine traumatische Schädigung des Innenohres ergeben. Überdies sei der Unfallhergang nach Art und Schwere nicht geeignet gewesen, eine Innenohrschädigung im unfallrechtlichen Sinne zu verursachen. Damit ließen sich auch die geklagten Ohrgeräusche nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Gleiches gelte für die angegebenen Schwindelerscheinungen: Diese wären nur dann unfallbedingt, wenn sie unmittelbar nach dem Unfallereignis aufgetreten wären. Im Fall des Klägers seien Schwindelerscheinungen jedoch erst mehrere Monate nach dem Unfallereignis erneut aufgetreten. Insgesamt seien auf chirurgischem, neurologischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet keine objektivierbar klinischen Befunde zu erheben, die einen Ursachenzusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Unfallereignis wahrscheinlich werden ließen. Die unfallbedingten Verletzungen in Form eines vorübergehenden Drehschwindels und vorübergehender Kopfschmerzen sowie Prellungen des Hinterkopfes, der Halswirbelsäule und der rechten Schulter seien folgenlos ausgeheilt (Bescheid vom 17.08.2016, Widerspruchsbescheid vom 16.11.2016).
Deswegen hat der Kläger am 14.12.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die unfallbedingten starken Kopfschmerzen und Schwindelanfälle hielten weiterhin an. Hinzu kämen ein Tinnitus rechts und massive Schmerzen im Bereich des Trigeminusnervs. Vor dem Arbeitsunfall habe er diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht gehabt. Wegen der Unfallfolgen sei er weiterhin arbeitsunfähig krank.
Das Gericht hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Chirurgen Prof. Dr. W. auf Antrag und im Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Dieser hat als Gesundheitsstörungen eine fortgeschrittene Verschleißerkrankung der Halswirbelsäule diagnostiziert. Diese Veränderungen seien anlagebedingt und hätten durch das Unfallereignis keine Verschlimmerung erfahren. Anhaltende unfallbedingte Gesundheitsstörungen seien nicht zu objektivieren. Die erst einige Zeit nach dem Unfallereignis aufgetretenen Nackenbeschwerden seien den Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule zuzuschreiben. Vonseiten seines Fachgebiets sei von einer Arbeitsunfähigkeit von allenfalls sieben bis zehn Tagen auszugehen.
Außerdem hat die Kammer von Amts wegen ein medizinisches Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Prof. Dr. B. eingeholt. Diesem gegenüber hat der Kläger unter anderem angegeben, er habe nach dem Unfallereignis ein Schwindelgefühl gehabt und „Sterne gesehen“. Außerdem seien Kopfschmerzen und ein Pfeifen im rechten Ohr aufgetreten. Die Schwindelbeschwerden wie auch das Pfeifen seien jeweils einige Wochen nach dem Unfallereignis und gleichzeitig aufgetreten. Prof. Dr. B. hat zusammenfassend ausgeführt, die kurze Zeit nach dem Unfallereignis aufgetretenen Schwindelbeschwerden könnten Folge der Schädelprellung gewesen sein. Die objektivierten Hörverluste beidseits überschritten nicht das altersentsprechende Ausmaß. Ein Ohrgeräusch sei nur dann unfallbedingt, wenn ein entsprechendes Ereignis vorgelegen habe. Der Sturz auf den Hinterkopf sei jedoch nicht ohrnah erfolgt. Deshalb sei von einer anderen Ursache des Ohrgeräusches auszugehen. Weiter habe der Kläger das Ohrgeräusch erstmals rund fünf Wochen nach dem Unfallereignis bemerkt. Damit spreche bereits der zeitliche Ablauf gegen die Wahrscheinlichkeit eines traumatischen Tinnitusleidens. Gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs sprächen außerdem die unauffälligen Ergebnisse der Vestibularisprüfung ohne Spontan- oder Provokationsnystagmus und der kalorischen Vestibularisprüfung. Auf hno-fachärztlichem Gebiet seien keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2016 wahrscheinlich zu machen. Wegen der Schädelprellung habe Arbeitsunfähigkeit für eine Woche bestanden.
Hierzu hat der Kläger unter anderem vorgetragen, die behandelnden und begutachtenden Ärzte hätten bislang keine Verletzung am Atlasnerv untersucht. Eine solche sei nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen durch einen Sturz möglich und könne auch Auswirkungen auf seinen Gleichgewichtssinn haben.
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In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Prof. Dr. B. am Ergebnis seines Gutachtens festgehalten: Die vom Kläger nach dem Unfallereignis zunächst angegebenen Schwindelgefühle, das Sterne sehen und Kopfschmerzen könnten typische Beschwerden einer Gehirnerschütterung sein. Erst Wochen später auftretende Schwindelanfälle seien jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis zurückzuführen. Die berichteten Schwindelempfindungen sprächen überdies gegen eine Unterfunktion oder gar einen Ausfall eines peripheren Gleichgewichtsorgans. Ein gegebenenfalls zu berücksichtigender Otolithenschwindel bzw. ein gutartiger paroxysmaler Lagerungsschwindel äußere sich jedoch niemals in Dauerbeschwerden und führe auch nicht zu ständigen Gleichgewichtsstörungen. Ebenso sprächen die Ergebnisse der Vestibularisprüfungen vorliegend gegen einen vestibulären Schwindel und damit gegen einen Innenohrschwindel.
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Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,
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den Bescheid vom 17. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2016 abzuändern und „Tinnitus rechts, ständige Kopfschmerzen und Schwindelanfälle“ als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 03. März 2016 festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
15 
Unter Bezugnahme auf die Gutachten der Prof. Dres. W. und B. erachtet sie die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
17 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
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Die Klage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs.2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG; zum Wahlrecht des Versicherten zwischen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage: vgl. BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 8/11 R -, Rdnr. 13 m. w. N. und BSG vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 11 ) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen als – weitere – Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2016.
19 
1. Dass der Kläger am 03.03.2016 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit als Gießereiarbeiter einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung -) erlitten hat, hat die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht auch nicht umstritten.
20 
Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).
21 
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (ständige Rechtsprechung: vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
22 
Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. u.a. BSGE 1, 72, 76 und BSGE 12, 242, 246). Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründenden Norm zu beurteilen (vgl. BSG vom 30.03.2017 – B 2 U 6/15 R -, Rdnr. 16 m.w.N. ).
23 
2. Daran orientiert sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden und hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, einen Tinnitus rechts sowie ständige Kopfschmerzen und Schwindelanfälle als – weitere – Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2016 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. B. sowie den Entlassungsbericht des P.-Klinikums Bad K. vom 28.06.2016, ferner den neurologischen Untersuchungsbericht des Dr. D. vom 07.06.2016, die Durchgangs-, Nachschau- und Zwischenberichte der Dres. T. und Dr. Tr. sowie die HNO-Arztberichte der Dres. M. und F., außerdem auf die Arztbriefe der Radiologen E. und Dr. S..
24 
a) Danach ist das Tinnitusleiden rechts nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 03.03.2016 zurückzuführen, wie Prof. Dr. B. zutreffend dargelegt hat. Dagegen spricht bereits der Umstand, dass ein Ohrgeräusch als Unfallerst-Schaden nicht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) erwiesen ist. Denn der Kläger gab erstmals bei der Nachuntersuchung durch Dr. Tr. am 13.04.2016, mithin rund fünf Wochen nach dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis, ein seit drei Tagen bestehendes Tinnitusleiden rechts an. Bestätigt wird dieser Zeitpunkt durch die Angaben des Klägers gegenüber der HNO-Ärztin Dr. F. bei der Nachuntersuchung am 15.04.2016, einem Freitag, denen zufolge er „seit Sonntag“, mithin seit dem 10.04.2016, „ein pfeifendes Ohrgeräusch im rechten Ohr bemerkt habe“. Demgegenüber finden sich weder im Durchgangsarztbericht des Dr. T. vom 03.03.2016 noch dessen Nachschaubericht vom 10.03.2016 noch dem HNO-Bericht von Dr. M. vom 22.03.2016 Angaben zu einem irgendwie gearteten Tinnitusleiden.
25 
Weiter setzt ein traumatischer Tinnitus nach dem herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Gerichts vom 20.04.2017 - S 1 U 3641/16 -, Rdnr. 35 m. w. N. ). Den isolierten unfallbedingten Tinnitus gibt es demgegenüber nicht. Prof. Dr. B. hat jedoch bei seiner Untersuchung eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, ausdrücklich verneint, vielmehr einen altersentsprechenden Normalbefund bestätigt. Auch das Gesamtwortverstehen war nach den von dem Sachverständigen erhobenen Befunden und Krankheitsäußerungen nur gering gegenüber dem Normalbefund eingeschränkt. Ungeachtet dessen hat der Kläger gegenüber Prof. Dr. B. im Zusammenhang mit dem Unfallereignis auch nicht über eine Hörminderung berichtet.
26 
Hinweise auf eine unfallbedingte Störung der Gleichgewichtsorgane bestehen aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens ebenfalls nicht. Denn bei der von Prof. Dr. B. durchgeführten Vestibularisprüfung ließen sich weder ein Spontan- noch ein Provokationsnystagmus. Auch bei allen anderen Lagemanövern bzw. Lagerungsmanövern, die bei einem paroxysmalen Lagerungsschwindel pathologisch sein können, konnte der Sachverständige keinen Nystagmus objektivieren. Ebenso fanden sich keine sonstigen Reizzeichen. Wenn schließlich auch die kalorische Vestibularisprüfung mit Kalt- und Warmwasser (allein) eine seitengleiche und sehr starke Erregbarkeit auslöste, belegen die Untersuchungsergebnisse insgesamt nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen, dass die peripheren Gleichgewichtsorgane durch das Unfallereignis vom 03.03.2016 nicht beeinträchtigt worden sind.
27 
Soweit der Kläger gegenüber Prof. Dr. B. nach dem Unfallereignis ein Schwindelgefühl, „Sterne sehen“ und Kopfschmerzen angegeben hatte, handelt es sich bei diesen Symptomen im Anschluss an den Sachverständigen um typische und nur vorübergehende Beschwerden nach einer leichtgradigen Gehirnerschütterung. Darüber hinausgehende Schwindelanfälle hat der Kläger erstmals erst einige Wochen nach dem Unfallereignis angegeben, nachdem er gegenüber Dr. F. noch am 25.04.2016 berichtete, der Schwindel sei „nicht mehr vorhanden“. Dieser Verlauf spricht mit Prof. Dr. B. ebenfalls gegen einen unfallbedingten Gesundheitserstschaden und damit gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfallereignis.
28 
Überdies sprechen gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Ohrgeräusch und dem Arbeitsunfallereignis die unterschiedlichen Frequenzangaben des Klägers bzgl. des Ohrgeräusches im Behandlungsverlauf: Während er bei der Untersuchung durch Dr. F. am 15.04.2016 das Ohrgeräusch bei einer Frequenz von 750 Hz und in einer Lautstärke von 5 dB angab, berichtete er bei der Nachuntersuchung dort am 25.04.2016 das Ohrgeräusch bei 2000 Hz und 35 dB und im zweiten Durchgang bei 750 Hz und 15 dB. Bei der weiteren Nachuntersuchung durch Dr. F. am 03.05.2016 gab der Kläger das Ohrgeräusch demgegenüber bei 3000 Hz und 50 dB an, ebenso gegenüber Prof. Dr. B.. Bei einem traumabedingten Ohrgeräusch ist jedoch nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen (vgl. hierzu Gerichtsbescheid des erkennenden Gerichts vom 02.10.2017 - S 1 U 723/17 - ) regelmäßig zu erwarten, dass dessen Frequenz stabil bleibt und nicht wechselt.
29 
Schließlich war nach den auch insoweit überzeugenden des Sachverständigen Prof. Dr. B. das Unfallereignis bereits dem Grunde nach nicht geeignet, einen traumatischen Tinnitus zu bewirken, weil der Sturz auf den Hinterkopf erfolgte und damit nicht ohrnah.
30 
b) Auch die vom Kläger angegebenen Schwindelbeschwerden sind nicht ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis vom 03.03.2016 zurückzuführen. Denn nach den anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Tr. bei der Nachuntersuchung am 13.04.2016 waren im zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis geäußerte Schwindelerscheinungen, die Prof. Dr. B. überdies als vorübergehende Erscheinung bei einer leichtgradigen Gehirnerschütterung angesehen hat, „fast weg“ und schon bei der Nachuntersuchung bei Dr. F. am 25.04.2016 „nicht mehr vorhanden“. Auch Dr. D. konnte bei der ambulanten neurologischen Untersuchung im Juni 2016 keine Hinweise für einen Vestibularisausfall oder einen gutartigen paroxysmalen Lagerungsschwindel objektivieren und die subjektiven Beschwerden vonseiten seines Fachgebietes nicht näher zuordnen. Auch die durch die Vestibularisprüfungen durch Prof. Dr. B. nachgewiesene intakte Funktion der peripheren Gleichgewichtsorgane spricht – wie oben bereits ausgeführt - gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den vom Kläger erneut angegebenen Schwindelerscheinungen und dem Unfallereignis. Ein von dem Sachverständigen in Betracht gezogener sogenannter Otolithenschwindel liegt ebenfalls nicht vor. Denn dieser äußert sich mit Prof. Dr. B. nicht– wie vom Kläger angegeben – in einem Dauerschwindel und führt auch nicht zu ständigen Gleichgewichtsstörungen, die der Kläger bei der Untersuchung und Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen demonstriert hat. Zutreffend weist Prof. Dr. B. überdies darauf hin, dass Schwindelbeschwerden zahlreiche Ursachen auf internistischem und neurologischem Fachgebiet haben und solche Beschwerden im Lebensverlauf irgendwann auftreten können, auch in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit einem leichten Schädel-Hirn-Trauma, ohne dass insoweit jedoch ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich zu machen ist.
31 
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 28.02.2018 auf eine mögliche unfallbedingte Verletzung des Atlasnervs mit Auswirkungen auf seinen Gleichgewichtssinn geltend macht, ist eine derartige Verletzung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) erwiesen. Denn die während des stationären Aufenthaltes des Klägers im P.-Klinikum Bad K. durchgeführte Überprüfung der Atlasgelenke ergab nach dem Entlassungsbericht der Klinik vom 28.06.2016 ein unauffälliges Ergebnis. Im Übrigen boten die zeitnah zum streitgegenständlichen Unfallereignis erhobenen bildgebenden Befunde keinen Anhalt für eine knöcherne oder diskoligamentäre Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule.
32 
c) Schließlich ist auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfallereignis und den vom Kläger geltend gemachten Kopfschmerzen nicht wahrscheinlich zu machen. Diese Überzeugung gewinnt die Kammer aus den zutreffenden Darlegungen des Dr. D. im Arztbrief vom 07.06.2016: Danach sind die von ihm diagnostizierten linksseitigen Zervikozephalgien am ehesten auf eine Neuralgie des Nervus occipitalis major zurückzuführen, ohne dass der Arzt insoweit einen ursächlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfallereignis hergestellt hat. Auch die zeitnah zum Unfallereignis angefertigten, völlig normal ausgeprägten bildgebende Befunde im Bereich des Schädels und der Halswirbelsäule lassen einen solchen Zusammenhang nicht wahrscheinlich werden. Das weitere Schädel-MRT zeigte nach dem Arztbrief des Radiologen E. vom 01.08.2016 ebenfalls einen altersentsprechenden Befund des Neurocraniums mit vereinzelten unspezifischen Marklagergliosen, am ehesten mikroangiopathischer Genese. Im Übrigen sind bei dem Kläger degenerative Vorschäden an der Halswirbelsäule im Sinne einer Osteochondrose, Spondylose, Unkarthrose und Verschmälerung der Zwischenwirbelräume in den Segmenten C4 bis C6 und ein leichter Versatz der Wirbelkörper zwischen C4 und C5 erwiesen. Diese Gesundheitsstörungen, die unfallbedingt keine Veränderung, insbesondere keine – vorübergehende oder gar richtungweisende - Verschlimmerung, erfahren haben, sind nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. W., die sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung zu eigen macht, Ursache der vom Kläger vermehrt angegebenen Nackenbeschwerden. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der linksseitigen Zervikozephalgie und dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis haben zudem auch die Ärzte des P.-Klinikums Bad K. in ihrem Entlassungsbericht vom 28.06.2016 nicht beschrieben.
33 
d) Soweit der Kläger seinem Vorbringen zufolge vor dem Arbeitsunfall vom 03.03.2016 weder an einem Ohrgeräusch rechts litt noch Kopfschmerzen oder Schwindelanfälle verspürte, ist auch dies nicht geeignet, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfallereignis zu begründen. Denn ein allenfalls rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen, der hier jedenfalls in Bezug auf das Ohrgeräusch rechts und die Schwindelerscheinungen ohnedies nicht gegeben ist, ist nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R -, Rdnr. 20 und – im Ergebnis – BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; LSG Berlin vom 25.03.2003 - L 2 U 3/01 -, Rdnr. 23; Bay. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 und Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 2 U 142/11 -, Rdnr. 41 ). Selbst aus der Abwesenheit konkurrierender Ursachen für einen Körperschaden lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfallereignis und dem Körperschaden nicht herleiten (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rdnr. 18 und Bay. LSG vom 22.04.2009 - L 18 U 301/06 -, Rdnr. 32 ).
34 
3. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
35 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Gründe

 
18 
Die Klage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs.2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG; zum Wahlrecht des Versicherten zwischen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage: vgl. BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 8/11 R -, Rdnr. 13 m. w. N. und BSG vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 11 ) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen als – weitere – Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2016.
19 
1. Dass der Kläger am 03.03.2016 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit als Gießereiarbeiter einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung -) erlitten hat, hat die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht auch nicht umstritten.
20 
Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).
21 
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (ständige Rechtsprechung: vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
22 
Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. u.a. BSGE 1, 72, 76 und BSGE 12, 242, 246). Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründenden Norm zu beurteilen (vgl. BSG vom 30.03.2017 – B 2 U 6/15 R -, Rdnr. 16 m.w.N. ).
23 
2. Daran orientiert sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden und hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, einen Tinnitus rechts sowie ständige Kopfschmerzen und Schwindelanfälle als – weitere – Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2016 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. B. sowie den Entlassungsbericht des P.-Klinikums Bad K. vom 28.06.2016, ferner den neurologischen Untersuchungsbericht des Dr. D. vom 07.06.2016, die Durchgangs-, Nachschau- und Zwischenberichte der Dres. T. und Dr. Tr. sowie die HNO-Arztberichte der Dres. M. und F., außerdem auf die Arztbriefe der Radiologen E. und Dr. S..
24 
a) Danach ist das Tinnitusleiden rechts nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 03.03.2016 zurückzuführen, wie Prof. Dr. B. zutreffend dargelegt hat. Dagegen spricht bereits der Umstand, dass ein Ohrgeräusch als Unfallerst-Schaden nicht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) erwiesen ist. Denn der Kläger gab erstmals bei der Nachuntersuchung durch Dr. Tr. am 13.04.2016, mithin rund fünf Wochen nach dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis, ein seit drei Tagen bestehendes Tinnitusleiden rechts an. Bestätigt wird dieser Zeitpunkt durch die Angaben des Klägers gegenüber der HNO-Ärztin Dr. F. bei der Nachuntersuchung am 15.04.2016, einem Freitag, denen zufolge er „seit Sonntag“, mithin seit dem 10.04.2016, „ein pfeifendes Ohrgeräusch im rechten Ohr bemerkt habe“. Demgegenüber finden sich weder im Durchgangsarztbericht des Dr. T. vom 03.03.2016 noch dessen Nachschaubericht vom 10.03.2016 noch dem HNO-Bericht von Dr. M. vom 22.03.2016 Angaben zu einem irgendwie gearteten Tinnitusleiden.
25 
Weiter setzt ein traumatischer Tinnitus nach dem herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Gerichts vom 20.04.2017 - S 1 U 3641/16 -, Rdnr. 35 m. w. N. ). Den isolierten unfallbedingten Tinnitus gibt es demgegenüber nicht. Prof. Dr. B. hat jedoch bei seiner Untersuchung eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, ausdrücklich verneint, vielmehr einen altersentsprechenden Normalbefund bestätigt. Auch das Gesamtwortverstehen war nach den von dem Sachverständigen erhobenen Befunden und Krankheitsäußerungen nur gering gegenüber dem Normalbefund eingeschränkt. Ungeachtet dessen hat der Kläger gegenüber Prof. Dr. B. im Zusammenhang mit dem Unfallereignis auch nicht über eine Hörminderung berichtet.
26 
Hinweise auf eine unfallbedingte Störung der Gleichgewichtsorgane bestehen aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens ebenfalls nicht. Denn bei der von Prof. Dr. B. durchgeführten Vestibularisprüfung ließen sich weder ein Spontan- noch ein Provokationsnystagmus. Auch bei allen anderen Lagemanövern bzw. Lagerungsmanövern, die bei einem paroxysmalen Lagerungsschwindel pathologisch sein können, konnte der Sachverständige keinen Nystagmus objektivieren. Ebenso fanden sich keine sonstigen Reizzeichen. Wenn schließlich auch die kalorische Vestibularisprüfung mit Kalt- und Warmwasser (allein) eine seitengleiche und sehr starke Erregbarkeit auslöste, belegen die Untersuchungsergebnisse insgesamt nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen, dass die peripheren Gleichgewichtsorgane durch das Unfallereignis vom 03.03.2016 nicht beeinträchtigt worden sind.
27 
Soweit der Kläger gegenüber Prof. Dr. B. nach dem Unfallereignis ein Schwindelgefühl, „Sterne sehen“ und Kopfschmerzen angegeben hatte, handelt es sich bei diesen Symptomen im Anschluss an den Sachverständigen um typische und nur vorübergehende Beschwerden nach einer leichtgradigen Gehirnerschütterung. Darüber hinausgehende Schwindelanfälle hat der Kläger erstmals erst einige Wochen nach dem Unfallereignis angegeben, nachdem er gegenüber Dr. F. noch am 25.04.2016 berichtete, der Schwindel sei „nicht mehr vorhanden“. Dieser Verlauf spricht mit Prof. Dr. B. ebenfalls gegen einen unfallbedingten Gesundheitserstschaden und damit gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfallereignis.
28 
Überdies sprechen gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Ohrgeräusch und dem Arbeitsunfallereignis die unterschiedlichen Frequenzangaben des Klägers bzgl. des Ohrgeräusches im Behandlungsverlauf: Während er bei der Untersuchung durch Dr. F. am 15.04.2016 das Ohrgeräusch bei einer Frequenz von 750 Hz und in einer Lautstärke von 5 dB angab, berichtete er bei der Nachuntersuchung dort am 25.04.2016 das Ohrgeräusch bei 2000 Hz und 35 dB und im zweiten Durchgang bei 750 Hz und 15 dB. Bei der weiteren Nachuntersuchung durch Dr. F. am 03.05.2016 gab der Kläger das Ohrgeräusch demgegenüber bei 3000 Hz und 50 dB an, ebenso gegenüber Prof. Dr. B.. Bei einem traumabedingten Ohrgeräusch ist jedoch nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen (vgl. hierzu Gerichtsbescheid des erkennenden Gerichts vom 02.10.2017 - S 1 U 723/17 - ) regelmäßig zu erwarten, dass dessen Frequenz stabil bleibt und nicht wechselt.
29 
Schließlich war nach den auch insoweit überzeugenden des Sachverständigen Prof. Dr. B. das Unfallereignis bereits dem Grunde nach nicht geeignet, einen traumatischen Tinnitus zu bewirken, weil der Sturz auf den Hinterkopf erfolgte und damit nicht ohrnah.
30 
b) Auch die vom Kläger angegebenen Schwindelbeschwerden sind nicht ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis vom 03.03.2016 zurückzuführen. Denn nach den anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Tr. bei der Nachuntersuchung am 13.04.2016 waren im zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis geäußerte Schwindelerscheinungen, die Prof. Dr. B. überdies als vorübergehende Erscheinung bei einer leichtgradigen Gehirnerschütterung angesehen hat, „fast weg“ und schon bei der Nachuntersuchung bei Dr. F. am 25.04.2016 „nicht mehr vorhanden“. Auch Dr. D. konnte bei der ambulanten neurologischen Untersuchung im Juni 2016 keine Hinweise für einen Vestibularisausfall oder einen gutartigen paroxysmalen Lagerungsschwindel objektivieren und die subjektiven Beschwerden vonseiten seines Fachgebietes nicht näher zuordnen. Auch die durch die Vestibularisprüfungen durch Prof. Dr. B. nachgewiesene intakte Funktion der peripheren Gleichgewichtsorgane spricht – wie oben bereits ausgeführt - gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den vom Kläger erneut angegebenen Schwindelerscheinungen und dem Unfallereignis. Ein von dem Sachverständigen in Betracht gezogener sogenannter Otolithenschwindel liegt ebenfalls nicht vor. Denn dieser äußert sich mit Prof. Dr. B. nicht– wie vom Kläger angegeben – in einem Dauerschwindel und führt auch nicht zu ständigen Gleichgewichtsstörungen, die der Kläger bei der Untersuchung und Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen demonstriert hat. Zutreffend weist Prof. Dr. B. überdies darauf hin, dass Schwindelbeschwerden zahlreiche Ursachen auf internistischem und neurologischem Fachgebiet haben und solche Beschwerden im Lebensverlauf irgendwann auftreten können, auch in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit einem leichten Schädel-Hirn-Trauma, ohne dass insoweit jedoch ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich zu machen ist.
31 
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 28.02.2018 auf eine mögliche unfallbedingte Verletzung des Atlasnervs mit Auswirkungen auf seinen Gleichgewichtssinn geltend macht, ist eine derartige Verletzung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) erwiesen. Denn die während des stationären Aufenthaltes des Klägers im P.-Klinikum Bad K. durchgeführte Überprüfung der Atlasgelenke ergab nach dem Entlassungsbericht der Klinik vom 28.06.2016 ein unauffälliges Ergebnis. Im Übrigen boten die zeitnah zum streitgegenständlichen Unfallereignis erhobenen bildgebenden Befunde keinen Anhalt für eine knöcherne oder diskoligamentäre Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule.
32 
c) Schließlich ist auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfallereignis und den vom Kläger geltend gemachten Kopfschmerzen nicht wahrscheinlich zu machen. Diese Überzeugung gewinnt die Kammer aus den zutreffenden Darlegungen des Dr. D. im Arztbrief vom 07.06.2016: Danach sind die von ihm diagnostizierten linksseitigen Zervikozephalgien am ehesten auf eine Neuralgie des Nervus occipitalis major zurückzuführen, ohne dass der Arzt insoweit einen ursächlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfallereignis hergestellt hat. Auch die zeitnah zum Unfallereignis angefertigten, völlig normal ausgeprägten bildgebende Befunde im Bereich des Schädels und der Halswirbelsäule lassen einen solchen Zusammenhang nicht wahrscheinlich werden. Das weitere Schädel-MRT zeigte nach dem Arztbrief des Radiologen E. vom 01.08.2016 ebenfalls einen altersentsprechenden Befund des Neurocraniums mit vereinzelten unspezifischen Marklagergliosen, am ehesten mikroangiopathischer Genese. Im Übrigen sind bei dem Kläger degenerative Vorschäden an der Halswirbelsäule im Sinne einer Osteochondrose, Spondylose, Unkarthrose und Verschmälerung der Zwischenwirbelräume in den Segmenten C4 bis C6 und ein leichter Versatz der Wirbelkörper zwischen C4 und C5 erwiesen. Diese Gesundheitsstörungen, die unfallbedingt keine Veränderung, insbesondere keine – vorübergehende oder gar richtungweisende - Verschlimmerung, erfahren haben, sind nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. W., die sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung zu eigen macht, Ursache der vom Kläger vermehrt angegebenen Nackenbeschwerden. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der linksseitigen Zervikozephalgie und dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis haben zudem auch die Ärzte des P.-Klinikums Bad K. in ihrem Entlassungsbericht vom 28.06.2016 nicht beschrieben.
33 
d) Soweit der Kläger seinem Vorbringen zufolge vor dem Arbeitsunfall vom 03.03.2016 weder an einem Ohrgeräusch rechts litt noch Kopfschmerzen oder Schwindelanfälle verspürte, ist auch dies nicht geeignet, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfallereignis zu begründen. Denn ein allenfalls rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen, der hier jedenfalls in Bezug auf das Ohrgeräusch rechts und die Schwindelerscheinungen ohnedies nicht gegeben ist, ist nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R -, Rdnr. 20 und – im Ergebnis – BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; LSG Berlin vom 25.03.2003 - L 2 U 3/01 -, Rdnr. 23; Bay. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 und Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 2 U 142/11 -, Rdnr. 41 ). Selbst aus der Abwesenheit konkurrierender Ursachen für einen Körperschaden lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfallereignis und dem Körperschaden nicht herleiten (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rdnr. 18 und Bay. LSG vom 22.04.2009 - L 18 U 301/06 -, Rdnr. 32 ).
34 
3. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
35 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

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Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos

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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. (3) Entscheidungen des Gerichts, d

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

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(1) Mit der Klage kann begehrt werden 1. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,2. die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,3. die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörun

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Mit der Klage kann begehrt werden

1.
die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2.
die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,
3.
die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist,
4.
die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

(2) Unter Absatz 1 Nr. 1 fällt auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

(3) Mit Klagen, die sich gegen Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch richten, kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die gerichtliche Feststellung eines Arbeitsunfalls.

2

Am 5.5.2006 brachte sie während ihrer Freistellungsphase aufgrund vereinbarter Altersteilzeit ihrem Arbeitgeber ein von ihm auszufüllendes Formular für eine sog Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt, um sie sodann beim Rentenversicherungsträger vorzulegen, damit dieser ihr nahtlos zum Eintritt in den Ruhestand Rente wegen Alters in richtiger Höhe zahlen sollte. Dabei stolperte sie auf einer Treppe im Betriebsbereich, stürzte auf ihr linkes Handgelenk und erlitt dadurch einen Speichenbruch des linken Unterarms.

3

Die Beklagte lehnte es ab, deswegen einen Arbeitsunfall festzustellen (Bescheid vom 17.8.2006; Widerspruchsbescheid vom 17.1.2007). Von einer versicherten Tätigkeit sei nicht auszugehen, da die Abgabe der Bescheinigung im eigenwirtschaftlichen Interesse der Klägerin gelegen habe.

4

Die Klagen und die Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG Landshut vom 29.3.2010 und Urteil des Bayerischen LSG vom 8.2.2011). Das LSG hat ausgeführt: Ein sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit als Beschäftigte und der Überbringung des Formulars liege nicht vor. Das private Interesse der Klägerin im Rahmen ihrer Sozialversicherungsangelegenheit stehe hierbei im Vordergrund. Soweit auch Belange des Arbeitgebers berührt seien, beträfen diese weder seine unmittelbaren Pflichten aus dem Arbeitsvertrag noch seine allgemeine Fürsorgepflicht. Dass die Gewährung von Altersrente zugleich Voraussetzung für die Gewährung einer Betriebsrente sei und dass der Arbeitgeber bei fehlerhafter oder verspäteter Ausstellung der Bescheinigung sich möglicherweise schadensersatzpflichtig mache, rechtfertige kein anderes Ergebnis. Zwar habe das BSG einen Arbeitnehmer auf dem Weg zum Personalbüro als versichert angesehen, wenn er dort eine Arbeitsbescheinigung abholen wollte, die er für die weitere Aufenthaltserlaubnis benötige (Urteil vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78). Während der Arbeitgeber die Ausstellung der Arbeitsbescheinigung aufgrund seiner Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis schulde, diene die Vorausbescheinigung jedoch wesentlich dem eigenwirtschaftlichen Interesse der Realisierung von Sozialleistungsansprüchen.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Das Überbringen des Formulars für eine Vorausbescheinigung des Arbeitgebers stehe im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Die ordnungsgemäße Ausfüllung einer Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI stelle neben der Erfüllung seiner Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis eine eigene gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers dar und habe daher nicht ausschließlich in ihrem privaten Interesse gelegen. Eine unrichtige oder verspätete Ausstellung der Bescheinigung hätte nicht nur dazu geführt, dass die Klägerin nicht nahtlos die rentenversicherungsrechtliche Altersrente erhalten hätte. Der Bezug der Altersrente sei auch Voraussetzung für den Bezug der betrieblichen Altersrente gewesen. Die Ausstellung der Bescheinigung habe also im Hinblick auf ihre möglicherweise entstehenden Schadensersatzansprüche im wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers gelegen. Sie habe ohne weiteres der Auffassung sein können, mit der Überbringung des Formulars und der beabsichtigten gemeinsamen Ausfüllung desselben mit dem zuständigen Mitarbeiter des Arbeitgebers, eine sich aus ihrem Arbeitsverhältnis ergebende Nebenpflicht zu erfüllen. Schließlich müsse die Entscheidung des BSG (Urteil vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78) - anders als das LSG meint - aufgrund der in beiden Fällen vergleichbaren Motivation der Arbeitnehmer zur Zurechnung der Abgabe des Formulars zur versicherten Tätigkeit führen. In beiden Fällen bestehe eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis.

6

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 29. März 2010 aufzuheben und unter Aufhebung der die Feststellung eines Versicherungsfalls ablehnenden Entscheidung in dem Bescheid der Beklagten vom 17. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2007 festzustellen, dass das Ereignis vom 5. Mai 2006 ein Arbeitsunfall der Klägerin ist.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Die Entscheidung des BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe die Vorausbescheinigung zur Berechnung ihrer Altersrente und nicht für ihre Arbeitstätigkeit benötigt. Mangels Aufforderung zum Tätigwerden sei auch die Motivationslage in beiden Fällen unterschiedlich gewesen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat die zulässige Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen, da das SG ihre zulässigen Klagen zutreffend als unbegründet abgewiesen hat.

10

Gemäß § 54 Abs 1 iVm § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG ist die Kombination einer Anfechtungs- mit einer Feststellungsklage zulässig.

11

Die Anfechtungsklage richtet sich zulässig gegen die Ablehnung des von der Klägerin bei der Beklagten verfolgten Anspruchs auf Feststellung des geltend gemachten Arbeitsunfalls.

12

Die Feststellungsklage ist statthaft auf die gerichtliche Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG, nämlich des geltend gemachten Versicherungsfalls, gerichtet. Der Eintritt eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 SGB VII bedeutet die Begründung eines konkreten, nach Inhalt und Umfang durch den Versicherungsfall bestimmten Leistungsrechtsverhältnisses zwischen dem Versicherten und einem bestimmten Unfallversicherungsträger, aus dem konkrete Rechte auf Versicherungsleistungen entstehen können, aber nicht müssen.

13

Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen gerichtlichen Feststellung, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, also das Leistungsrechtsverhältnis besteht. Insbesondere fehlt es hieran nicht deshalb, weil sie nach ständiger Rechtsprechung des BSG zulässig auch eine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Arbeitsunfalls, also auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes, erheben könnte. Der prozessuale Nachrang der Feststellungsklage im Verhältnis zu den (Gestaltungs- und) Leistungsklagen (Verpflichtungsklagen, allgemeine Leistungsklagen) besteht nur, wenn das jeweilige Rechtsschutzbegehren umfassend und effektiv durch eine dieser spezieller ausgestalteten Klagen verfolgt werden kann. Die Feststellungsklage ist aber gerade bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls jedenfalls gleich rechtsschutzintensiv, da die gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalls mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit für die Beteiligten auch materiell rechtskräftig wird (§§ 141 Abs 1, 179, 180 SGG). Allerdings kann die Verpflichtungsklage dem maßgeblichen (§ 123 SGG) Begehren des Verletzten im Einzelfall eher entsprechen. Daher erkennt das BSG ein Wahlrecht des Verletzten zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen Verpflichtungsklage an (zuletzt BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN; BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - Juris RdNr 9 mwN - UV-Recht Aktuell 2010, 897 und BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25 RdNr 8 mwN).

14

Die Klagen sind, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht begründet.

15

Die Anfechtungsklage ist unbegründet, weil die Ablehnung der Feststellung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte rechtmäßig und die Klägerin dadurch nicht in einem ihr zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Sie hat nämlich gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, da kein Arbeitsunfall vorliegt. Deswegen ist der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig und auch die Feststellungsklage unbegründet, weil das umstrittene Rechtsverhältnis nicht besteht.

16

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Arbeitsunfalls vom 5.5.2006.

17

Der Versicherte kann vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung eines Versicherungsfalls, hier eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII, beanspruchen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

18

Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit, S 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 S 2).

19

Ein Arbeitsunfall setzt danach voraus: Eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis muss den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Diese Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese Einwirkung muss schließlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; vgl ua BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 16; BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17, RdNr 10; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 30 RdNr 10 mwN).

20

Die Klägerin hat keine versicherte Tätigkeit verrichtet, war also keine Versicherte und hat deshalb keinen Arbeitsunfall erlitten, als sie ihrem Arbeitgeber das Formular für eine Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt für den Rentenversicherungsträger brachte und dabei auf einer Treppe im Betriebsbereich stürzte. Versicherter ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer (in der freiwilligen Versicherung nach § 6 Abs 1 SGB VII nur kraft Antrags iS des Abs 2 aaO) versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt.

21

Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese auch als "Handlungstendenz" bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten ist eine innere Tatsache.

22

Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung (erst recht nicht eine niedrigere Vorsatzstufe) reicht hingegen nicht.

23

Zwar liegt die objektive Grundvoraussetzung der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit, das von außen beobachtbare Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, mit dem Begehen der Treppe vor. Dieses sehr unspezifische Verhalten lässt aber aus sich heraus keinen Schluss auf die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes einer versicherten Tätigkeit zu. Jedoch steht es in natürlicher Handlungseinheit mit der Überbringung des Formulars, dessen Ausfüllung als Vorausbescheinigung die Klägerin von ihrem Arbeitgeber beanspruchte. Daher kommt, wie die Vorinstanzen zutreffend angesprochen haben, als einziger Tatbestand einer versicherten Tätigkeit der der Beschäftigtenversicherung, also die Tätigkeit als "Beschäftigte" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII in Betracht.

24

Die Klägerin hat die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sind "Beschäftigte" versichert.

25

Das Gesetz stellt für die Versicherteneigenschaft nicht abstrakt auf einen rechtlichen "Status" als "Beschäftigter" ab. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind Rechte auf Versicherungsleistungen nach den §§ 26 ff SGB VII bei Arbeitsunfällen iS des § 8 Abs 1 S 1 SGB VII nur wegen solcher Unfälle vorgesehen, die infolge "einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" entstanden sind. Die Tatbestände der versicherten Tätigkeiten sind jeweils gesondert materiell gesetzlich bestimmt und begründen eigenständige "Sparten" der gesetzlichen Unfallversicherung mit eigenen Schutzbereichen. Nur wenn, solange und soweit jemand den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eine eigene Verrichtung erfüllt, ist er gegen Unfälle (§ 8 Abs 1 S 2 SGB VII) versichert, die rechtlich wesentlich durch diese Verrichtung verursacht werden.

26

Deswegen reicht die Fiktion einer Beschäftigung für Personen nach § 7 Abs 1a SGB IV, die wegen Altersteilzeit von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt sind, zur Begründung der Versicherteneigenschaft nicht aus. § 7 Abs 1 und 1a SGB IV lassen die unfallversicherungsrechtliche Bedeutung des Rechtsbegriffs "Beschäftigte" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII unberührt, soweit sie davon abweichen(§ 1 Abs 3 SGB IV). Erforderlich ist auch bei solchen Freigestellten stets die tatsächliche Verrichtung einer Beschäftigung.

27

1. Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als "Beschäftigter" setzt tatbestandlich voraus, dass der Verletzte eine eigene Tätigkeit(vgl auch § 121 Abs 1 SGB VII) in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII).

28

Das ist nur der Fall, wenn

-       

seine Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen,

-       

er eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht,

-       

er eigene unternehmensbezogene Rechte aus der Beschäftigung ausübt.

29

a) Für die Verrichtung einer Tätigkeit als Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII kommt es nach dem Wortlaut dieser Vorschrift im Zusammenhang des SGB VII objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile nur für das Unternehmen des anderen bringen soll. Denn nur unter diesen Voraussetzungen ist nicht der die Tätigkeit Verrichtende selbst Unternehmer im unfallversicherungsrechtlichen Sinne (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII), sondern der andere, der durch sie unmittelbar begünstigt wird. Der "Beschäftigte" verrichtet seine Beschäftigung also nur, wenn er Handlungen in Unterordnung zur selbständigen Tätigkeit eines anderen und zu deren unmittelbaren Förderung vornimmt.

30

b) Auch die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII führt zu diesem Ergebnis.

31

Nach den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) erfasst § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII die Beschäftigten iS des § 7 Abs 1 SGB IV(vgl BT-Drucks 13/2204, S 74 zu § 2 Abs 1 SGB VII). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (S 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S 2).

32

§ 7 Abs 1 SGB IV ist mit Wirkung vom 1.7.1977 durch Gesetz vom 23.12.1976 (BGBl I 3845, 3846) eingeführt worden. Eine entsprechende Vorschrift gab es bis dahin nicht. Der Begriff der Beschäftigung war jedoch Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung zu allen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, die mit der Begriffsbestimmung zu § 7 SGB IV im Wesentlichen übereinstimmt. Nach § 7 Abs 1 SGB IV liegt eine Beschäftigung zwar immer dann vor, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht; sie kann allerdings auch ohne ein Arbeitsverhältnis gegeben sein (vgl BT-Drucks 7/4122, S 31). Hierin ist eine Konkretisierung und behutsame Weiterentwicklung der in der Rechtsprechung bereits vorher herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze zu sehen (vgl Knospe in Hauck/Noftz, SGB IV, Stand August 2009, K § 7 RdNr 9 unter Hinweis auf BSGE 37, 10, 13; 41, 24, 25; 41, 41, 53; vgl zur Entwicklung des § 7 SGB IV in der Folgezeit: Seewald in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV RdNr 1, Stand April 2012 sowie Rittweger in BeckOK SGB IV, § 7 RdNr 1, Stand 1.3.2012). Auch Dienstleistungsverhältnisse anderer Art werden erfasst, soweit das Handeln des Dienstverpflichteten sich in das Unternehmen des Dienstberechtigten einfügt und dessen unmittelbarer Förderung dient.

33

Ein Verletzter hat nach den allgemeinen Anhaltspunkten des § 7 Abs 1 SGB VII dann eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII ausgeübt, wenn er sich in ein fremdes Unternehmen (eine fremde Arbeitsorganisation) eingliedert und seine konkrete Handlung sich dem Weisungsrecht eines Unternehmers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer und Art der Verrichtung, unterordnet(vgl hierzu etwa BSG vom 29.1.1981 - 12 RK 63/79 - BSGE 51, 164, 167 = SozR 2400 § 2 Nr 16 mwN sowie BSG vom 17.3.1992 - 2 RU 22/91 - SozR 3-2200 § 539 Nr 16 S 57). Naturgemäß ist dieses Weisungsrecht besonders bei Diensten höherer Art erheblich eingeschränkt; es genügt für die Unterordnung unter die Tätigkeit des anderen die "funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess" (vgl hierzu schon BSG vom 14.12.1999 - B 2 U 38/98 R - BSGE 85, 214, 216 = SozR 3-2200 § 539 Nr 48 S 202 mwN).

34

c) Ferner sind die unfallversicherungsrechtlichen Bedeutungen der Begriffe des "Beschäftigten" und der Verrichtung einer Beschäftigung iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII eigenständig nach dem Zweck dieses Versicherungstatbestandes im Gefüge des SGB VII zu bestimmen.

35

Die Schutzzwecke der Beschäftigtenversicherung und ihre Stellung im Rechtssystem begrenzen den Anwendungsbereich des Versicherungstatbestandes des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gleichfalls auf die oben umschriebenen Voraussetzungen.

36

Zweck der Beschäftigtenversicherung ist vor allem anderen der umfassende Unfallversicherungsschutz aller Beschäftigten vor und bei Gesundheitsschäden (oder Tod) infolge der Verrichtung der Beschäftigung, unabhängig davon, ob ein anderer den Unfall überhaupt mitverursacht und ggf dabei rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat.

37

Die Versicherung zielt primär auf die Verhütung von Gesundheitsschäden und Tod infolge der Gefahren ab, denen die Beschäftigten gerade durch die Verrichtung der Beschäftigung in Eingliederung in den fremdbestimmten Unternehmensbereich ausgesetzt sind (Prävention nach §§ 14 ff SGB VII). Ferner wird ihnen, falls die Prävention versagt, bei Gesundheitsschäden eine umfassende medizinische Rehabilitation sowie berufliche und soziale Teilhabe gesichert. Zudem werden sie gegen die wirtschaftlichen Folgen einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit geschützt. Bei unfallbedingtem Tod sollen auch ihre Familienangehörigen gegen den Unterhaltsverlust abgesichert werden.

38

Daneben soll die Beschäftigtenversicherung auch den sog Betriebsfrieden nach Unfällen infolge der Verrichtung der Beschäftigung schützen, wenn umstritten sein könnte, ob der Unternehmer (oder ein ihm gesetzlich gleichgestellter Dritter) den Gesundheitsschaden oder den Tod mitverursacht und ggf dabei rechtswidrig und fahrlässig oder sogar grob fahrlässig gehandelt hat und dem Verletzten deswegen nach Zivilrecht/Arbeitsrecht haftet. Da die Versicherung dem Verletzten die Schadensfolgen weitgehend ausgleicht, besteht insoweit kein Bedarf für einen Rechtsstreit zwischen dem Verletzten und dem Unternehmer (oder ihm gleichgestellten Dritten), wenn dieser nicht vorsätzlich gehandelt hat. Deshalb entzieht das SGB VII dem Verletzten insoweit seine ggf nach Zivilrecht entstandenen Schadensersatzansprüche (einschließlich der Schmerzensgeldansprüche) gegen den Unternehmer (§§ 104 bis 109 SGB VII).

39

Schließlich bezweckt sie auch eine gerechte Lastenverteilung unter den beitragszahlenden Unternehmern, die durch ihre Umlagebeiträge zu ihrer Berufsgenossenschaft den Versicherungsschutz in der Beschäftigtenversicherung bezahlen. Ein Unternehmer, der den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig mitverursacht hat, haftet dem Unfallversicherungsträger (also mittelbar auch den anderen Unternehmern) auf Ersatz der Ausgaben für Versicherungsleistungen an den Verletzten (§§ 110 bis 113 SGB VII).

40

Die Beschäftigtenversicherung hat also in diesem Sinne und in diesen Grenzen eine möglicherweise gegebene zivilrechtliche Haftung der Unternehmer (oder gleichgestellter Dritter) gegenüber den Beschäftigten aus Gefährdungshaftung, Delikt oder aus der Verletzung von arbeitsrechtlichen Schutz- oder Fürsorgepflichten ersetzt (vgl BSG vom 19.12.2000 - B 2 U 37/99 R - BSGE 87, 224 = SozR 3-2200 § 548 Nr 41; Gitter/Nunius in Schulin, HS-UV, § 5 RdNr 28, 51, 119; zu §§ 539 Abs 1 Nr 1, 636 ff RVO: BSG vom 25.10.1989 - 2 RU 26/88 - SozR 2200 § 548 Nr 96; ferner auch BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16 ff).

41

Sie bildet jeher den Kern des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl schon § 95 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO). Sie versichert im genannten Sinn die Beschäftigten unter weitgehendem Ausschluss ihrer zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche nur gegen solche Gesundheits- und Lebensgefahren, die sich spezifisch daraus ergeben, dass sie Tätigkeiten für einen anderen unter Eingliederung in dessen Tätigkeit und nur zu dessen unmittelbarem Vorteil verrichten.

42

2. Auch die Entwicklung der Rechtsprechung des BSG zu § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII und dessen Vorgängervorschriften führt zu dem Ergebnis, dass nur unter den drei oben genannten Voraussetzungen eine Beschäftigung verrichtet wird.

43

a) Nach der Rechtsprechung des BSG wird eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII verrichtet, wenn der Verletzte zumindest dazu ansetzt, eine ihn gegenüber dem Unternehmer treffende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis tatsächlich zu erfüllen.

44

aa) Dies ist dann der Fall, wenn die Verrichtung eine Hauptpflicht des Beschäftigten erfüllt, weil sie die vertragsgemäß geschuldete Arbeits- oder Dienstleistung ist (vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 18; BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 19; BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 47/03 R - Juris RdNr 26 - SozR 4-2700 § 8 Nr 11).

45

bb) Der Tatbestand der versicherten Tätigkeit iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird auch erfüllt, wenn die Verrichtung eine Nebenpflicht des Beschäftigten gegenüber dem Unternehmer aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllen soll.

46

Als Nebenpflichten kommen vor allem die Mitwirkungspflichten des Beschäftigten als Gläubiger von Leistungspflichten des Unternehmers (§§ 293 ff BGB) und die Pflichten zur Rücksichtnahme auf dessen Rechte, Rechtsgüter und Interessen in Betracht. Diese seit dem 1.1.2002 in § 241 Abs 2 BGB ausdrücklich normierte Pflicht wurde zuvor aus § 242 BGB hergeleitet(BAG vom 22.1.2009 - 8 AZR 161/08 - Juris RdNr 27, NZA 2009, 608; vgl auch Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, § 611, RdNr 985 f). Arbeitsrechtlich muss jeder Vertragspartner seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so erfüllen, seine Rechte so ausüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Vertragspartners so wahren, wie dies unter Berücksichtigung der wechselseitigen Belange verlangt werden kann (vgl BAG vom 16.2.2012 - 6 AZR 553/10 - Juris RdNr 12, zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen; BAG vom 13.8.2009 - 6 AZR 330/08 - Juris RdNr 31 - BAGE 131, 325; BAG vom 19.5.2010 - 5 AZR 162/09 - Juris RdNr 26 - BAGE 134, 296; Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, § 611, RdNr 984, 1074). Gleiches gilt für Beschäftigte und Unternehmer, die nicht durch ein Arbeitsverhältnis, sondern durch ein anderes Beschäftigungsverhältnis miteinander verbunden sind. Auch für den Beschäftigten zählt dazu die sog Treuepflicht, sich im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses so zu verhalten, dass Leben, Körper, Eigentum und sonstige absolute Rechtsgüter des Unternehmers nicht verletzt werden (vgl dazu BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16).

47

Das BSG hat bisher zumeist nicht zwischen Haupt- oder Nebenpflichten des Beschäftigten unterschieden. Die Erfüllung des Tatbestandes des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII (bzw nach früherem Sprachgebrauch: der innere Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit) wurde als gegeben erachtet, wenn die Verrichtung Teil der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung des Beschäftigten war, bzw dann, wenn der Beschäftigte zur Erfüllung einer sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtung handelte(vgl BSG vom 30.6.2009 - B 2 U 22/08 R - Juris RdNr 14 - UV-Recht Aktuell 2009, 1040; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 31/07 R - Juris RdNr 11 - UV-Recht Aktuell 2009, 485; so auch noch einleitend, später aber differenzierend BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 8/06 R - Juris RdNr 12 - UV-Recht Aktuell 2007, 860; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 14; BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 47/03 R - Juris RdNr 26 - SozR 4-2700 § 8 Nr 11).

48

Es hat aber seit dem genannten Urteil vom 18.3.2008, insbesondere in seinen Entscheidungen vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - (SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 19) und vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - (Juris RdNr 18 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - SGb 2012, 148 ), ausdrücklich die Erfüllung beider Pflichtenarten aus dem Beschäftigungsverhältnis als Verrichtung einer versicherten Beschäftigung anerkannt (vgl auch BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 21). Es hat schon im Urteil vom 18.3.2008 (B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16 ff) entschieden, dass auch die Erfüllung allein einer Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis den Tatbestand der versicherten Tätigkeit iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII zu erfüllen vermag. Den Arbeitnehmer treffe die aus § 241 Abs 2 BGB folgende Nebenpflicht, sich bei der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses so zu verhalten, dass Leben, Körper, Eigentum und sonstige absolute Rechtsgüter des Arbeitgebers nicht verletzt werden. Das Aufstellen eines Warndreiecks sei eine Nebenpflicht eines Beschäftigten, der in Verrichtung der Beschäftigung mit dem Pkw des Unternehmers an einem Verkehrsunfall beteiligt sei. Dadurch würden die Unfallstelle gesichert, der nachfolgende Verkehr gewarnt und damit Folgeschäden vermieden, die sich zu Lasten des Unternehmers auswirken könnten (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16 ff). Es hat dazu festgestellt, dass der Verletzte durch sein Handeln objektiv seine Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt hatte. Daher kam es nicht darauf an, ob er dabei das Rechtsbewusstsein hatte, auch einer Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis nachzukommen, oder ob er in erster Linie sich und andere schützen und seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht genügen wollte. Das Bewusstsein, dem Unternehmer rechtlich zu der Handlung verpflichtet zu sein, ist weder notwendige subjektive Voraussetzung des Versicherungstatbestandes der Beschäftigung noch einer Verrichtung einer Beschäftigung. Es reicht, wenn die Intention auch darauf gerichtet war, etwas zu tun, das objektiv dem Unternehmer geschuldet war.

49

cc) Eigene Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Unternehmer erfüllt der Verletzte auch, wenn er Mitwirkungshandlungen vornimmt, die ihm zu dem Zweck obliegen (vgl §§ 241 Abs 2, 293 ff BGB), dass der Unternehmer seine ihm aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Beschäftigten treffenden Haupt- oder Nebenpflichten erfüllen kann.

50

Das ist der Fall bei Handlungen des Verletzten zwecks Empfangnahme des Lohnes (BSG vom 1.12.1960 - 5 RKn 69/59 - BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO unter Bezugnahme auf RVA EuM Bd 20, 31; 26, 165; 33, 270) oder zur Geltendmachung von (vermeintlichen) Fehlern bei der Lohnabrechnung (BSG vom 1.12.1960 - 5 RKn 69/59 - BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO) oder zum Abtransport von Deputatholz als Teil der Vergütung (BSG vom 4.5.1999 - B 2 U 21/98 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 34). In diesen Fällen ist der Beschäftigte zivilrechtlich gehalten, dem Unternehmer zu ermöglichen, seine Hauptpflicht (§ 611 Abs 1 BGB) zu erfüllen, die Vergütung zur rechten Zeit, am rechten Ort, in rechter Weise und in richtiger Höhe zu leisten (vgl BSG vom 4.5.1999 - B 2 U 21/98 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 34 ua unter Hinweis auf BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO aF; BSGE 41, 207 = SozR 2200 § 548 Nr 16; BSGE 43, 119, 121 = SozR 2200 § 548 Nr 28).

51

Gleiches gilt für eine ggf bestehende Obliegenheit des Beschäftigten, dem Unternehmer die Erfüllung seiner Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis zu ermöglichen. Solche Nebenpflichten des Beschäftigten können sich aus § 241 Abs 2 BGB, der nicht nur in Arbeitsverhältnissen gilt, ergeben. Voraussetzung ist, dass eine solche Haupt- oder Nebenpflicht des Unternehmers bereits entstanden ist und er sie nur erfüllen kann, wenn der Beschäftigte in bestimmter und ihm zumutbarer Weise mitwirkt. Denn der Beschäftigte und der Unternehmer müssen bei ihrem Zusammenwirken jeweils auf das Wohl und die berechtigten Interessen des anderen Rücksicht nehmen (vgl BAG vom 16.11.2010 - 9 AZR 573/09 - BAGE 136, 156 mwN; vgl zu den Einzelheiten Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Aufl 2012, § 611 BGB RdNr 610 ff).

52

In diesem Sinn hat das BSG die Verrichtung einer Beschäftigung in einer Mitwirkungshandlung gesehen, als ein Beschäftigter den Weg zum Ort seiner bisherigen Tätigkeit zurücklegte, um sich dort seine Arbeitspapiere aushändigen zu lassen. Der Beschäftigte hatte den Unternehmer in gebotener Rücksichtnahme auf die Belange seines bisherigen Arbeitgebers durch die (beabsichtigte) Empfangnahme der Arbeitspapiere von der diesem obliegenden (nachgehenden) Nebenpflicht entlastet, ihm seine Arbeitspapiere - nach erfolglosem ersten Abholversuch - auf seine Rechnung und Gefahr zu übersenden (BSG vom 30.8.1963 - 2 RU 68/60 - BSGE 20, 23, 25 = SozR Nr 43 zu § 543 RVO aF). Die Verrichtung einer Beschäftigung lag auch bei einer Mitwirkungshandlung des Verletzten vor, der vom Arbeitgeber eine Arbeitsbescheinigung abholte, die er auf Verlangen der Ausländerbehörde für seine weitere Aufenthaltserlaubnis und damit für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses benötigte. Er hat vom Arbeitgeber eine Handlung begehrt, die dieser ihm aus dem Arbeitsverhältnis schuldete; das Abholen der Bescheinigung war vertragsgemäße arbeitsrechtliche Nebenpflicht des Beschäftigten (BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - Juris RdNr 11 - SozR 2200 § 548 Nr 78).

53

b) Keine Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII durch Erfüllung einer Nebenpflicht liegt hingegen dann vor, wenn der Verletzte zur Mitwirkungshandlung bei der Pflichtenerfüllung des Unternehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis nicht verpflichtet war. Dasselbe gilt, wenn die Pflicht des Unternehmers nur entstanden ist, weil der Beschäftigte nach freiem Ermessen ein Recht gegen ihn ausgeübt hatte, das nicht auf die Förderung des Unternehmens gerichtet ist und auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die den Unternehmer hoheitlich für den Staat zugunsten von Verwaltungsverfahren in Dienst nimmt. In beiden Fällen erfüllt nämlich der Beschäftigte keine Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis, sondern begibt er sich freiwillig in den unternehmerischen Gefahrenbereich, um daraus unmittelbar nur eigene Vorteile zu erlangen (sog eigenwirtschaftliche Verrichtung).

54

War er zur Mitwirkung nicht verpflichtet, unterlag er dem unternehmerischen Gefahrenbereich nicht kraft des Beschäftigungsverhältnisses, sondern kraft freien Entschlusses, wie zB bei einer Gefälligkeit. Entstand die Pflicht des Unternehmers nicht aus dem Beschäftigungsverhältnis, sondern durch die freiwillige Ausübung eines anderweitig begründeten Rechts des Beschäftigten, ist seine Mitwirkungshandlung an der Durchsetzung seines eigenen Rechts nicht "der Beschäftigung geschuldet", sondern allein der Verfolgung eigener Interessen, also gleichfalls ein freiwilliger Eintritt in den unternehmerischen Gefahrenbereich. Das wird durch die Beschäftigtenversicherung nicht versichert. Denn sie soll nur gegen solche Gefahren begründet werden, denen der Beschäftigte wegen der Ausübung seiner Beschäftigung im fremden Gefahrenbereich, nicht aber aus eigenem Entschluss in Verfolgung nur eigener Belange ausgesetzt ist. Haupt- und Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis sind also nur solche, die das Zusammenwirken des Unternehmers mit dem Beschäftigten zur Förderung der Unternehmenszwecke betreffen. In beiden Fallgruppen fehlt es an der aus der Beschäftigung entstehenden Nebenpflicht des Beschäftigten, in der zweiten außerdem an der Förderung der Unternehmenszwecke.

55

In der arbeitsrechtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass den Arbeitgeber treffende öffentlich-rechtliche Pflichten (zumeist aus dem Steuer- und Sozialversicherungsrecht), die an das Arbeitsverhältnis tatbestandlich anknüpfen und durch die der Arbeitgeber hoheitlich für den Staat in Dienst genommen wird, zugleich zivilrechtliche (arbeitsrechtliche) Nebenpflichten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer sind. Sie werden arbeitsrechtlich als Konkretisierungen der privatrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstanden (vgl die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen; BAG vom 29.3.2001 - 6 AZR 653/99 - NZA 2003, 105; BAG vom 11.6.2003 - 5 AZB 1/03 - BAGE 106, 269 ; BAG vom 15.1.1992 - 5 AZR 15/91 - BAGE 69, 204, 210 ; BAG vom 13.5.1970 - 5 AZR 385/69 - BAGE 22, 332 ; BAG vom 30.1.1969 - 5 AZR 229/68 - BB 1969, 407 ; BAG vom 2.6.1960 - 2 AZR 168/59 - BB 1960, 983 ; Linck in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Aufl 2011, § 106, RdNr 56 mwN; Ring in Handkommentar zum Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010, § 611 BGB, RdNr 658; vgl zum Begriff der Fürsorgepflicht auch Boemke in Handkommentar zum Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010, § 611 BGB, RdNr 378 mwN, danach stellt die Fürsorgepflicht selbst keine eigenständige Pflicht, sondern ein Bündel einzelner Nebenpflichten dar und soll nach im Vordringen befindlicher Auffassung sogar ganz fallen gelassen werden).

56

Hierauf ist nicht näher einzugehen, da es für die Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht entscheidend auf die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers oder deren öffentlich-rechtliche "Konkretisierungen" ankommt. Entscheidend ist, ob der Beschäftigte zur Mitwirkung an der Erfüllungshandlung des Arbeitgebers aus dem Beschäftigungsverhältnis verpflichtet war. Falls überhaupt eine Mitwirkungspflicht bestand, ist er nicht "aus dem Beschäftigungsverhältnis" zur Mitwirkung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber seine Handlung nur deshalb vornehmen muss, weil der Beschäftigte ein Recht ohne Bindungen aus dem Beschäftigungsverhältnis im ausschließlich eigenen Interesse ausgeübt hat, das ihm durch öffentliches Recht verliehen wurde.

57

c) Ferner verrichtet der Verletzte eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, wenn er in der vertretbaren, aber objektiv irrigen Annahme handelt, dazu aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses verpflichtet zu sein. Die Annahme dieser Pflicht ist vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht. Die durchgeführte Verrichtung muss objektiviert darauf ausgerichtet sein, die angenommene Pflicht zu erfüllen.

58

Die Einbeziehung dieser Fallgruppe der vermeintlichen Pflichterfüllung durch den Beschäftigten rechtfertigt sich aus dem genannten ersten Schutzzweck der Beschäftigtenversicherung. Jeder, der etwas in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dessen unmittelbarem Vorteil tut, muss, außer bei völliger Weisungsabhängigkeit, seine Pflichten kennen. Er kann durch die Beschäftigung aber auch in Umstände geraten, in denen er sofort entscheiden muss, ob ihn eine Haupt- oder Nebenpflicht zur Vornahme bestimmter Handlungen trifft. Dies ist ggf Teil seiner Pflichten aus seiner Beschäftigung.

59

In diesem Sinne hat das BSG die Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII bejaht, als ein Versicherter aus gutem Grund der Auffassung sein konnte, sich "betriebsdienlich" zu verhalten(BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14 unter Verweis auf BSGE 20, 215, 218 = SozR Nr 67 zu § 542 RVO aF; BSG SozR Nr 30 zu § 548 RVO; BSGE 52, 57, 59 = SozR 2200 § 555 Nr 5). Daher liegt bei einem "nur" eigenwirtschaftlichen Zwecken dienenden Verhalten, also bei einer Handlung mit der Absicht (dolus directus ersten Grades), nur andere Zwecke zu verfolgen als die Erfüllung des Versicherungstatbestandes der Beschäftigung, auch dann keine Verrichtung einer Beschäftigung vor, wenn das Handeln zugleich dem Unternehmen objektiv nützlich ist (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14 unter Bezugnahme auf BSG vom 25.10.1989 - 2 RU 26/88 - SozR 2200 § 548 Nr 96; BSG vom 20.1.1987 - 2 RU 15/86 - SozR 2200 § 539 Nr 119). Entscheidend ist nur, ob der Verletzte von seinem Standpunkt aufgrund objektiver Anhaltspunkte der Auffassung sein durfte, seine Verrichtung sei von ihm geschuldet, um den Interessen des Unternehmens zu dienen. Dafür reichen aber subjektive Vorstellungen ohne bestätigende objektive Anhaltspunkte nicht aus.

60

d) Den Tatbestand einer versicherten Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt ein Verletzter schließlich auch dann, wenn er handelt, um eigene unternehmensbezogene Rechte wahrzunehmen. Dabei handelt es sich um die Wahrnehmung von Rechten, die die Regelung innerbetrieblicher Belange zum Gegenstand haben und/oder den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der Unternehmensführung fördern. Hierzu zählen ua:

die Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl hierzu etwa Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 40; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 179, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 103, Stand Mai 2010),

die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied bei der Ausübung der im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Aufgaben (vgl etwa BSG vom 20.5.1976 - 8 RU 76/75 - BSGE 42, 36, 37 = SozR 2200 § 539 Nr 19 RdNr 18 und BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 7/00 R - SozR 3-2200 § 539 Nr 54; vgl ferner Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 38; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 180, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 102, Stand Mai 2010),

und die Tätigkeiten zur Vorbereitung und Durchführung der zur Bildung der Räte erforderlichen Wahlen (Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 40; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 180, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 103, Stand Mai 2010; vgl hierzu insgesamt zuletzt auch Krasney, SGb 2012, 130).

61

3. Die Klägerin hat vor ihrem Treppensturz keine versicherte Beschäftigung im Sinne der abschließend aufgeführten Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII verrichtet.

62

Nach § 194 Abs 1 S 1 SGB VI(in der bis zum 31.12.2007 geltenden und damit hier maßgeblichen Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 21.7.2004 - BGBl I 1791 - erhalten hatte ) haben die Arbeitgeber auf Verlangen des Beschäftigten, der für die Zeit nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses eine Altersrente beantragt hat, die Pflicht, das voraussichtliche Arbeitsentgelt bis zu drei Monate im Voraus zu bescheinigen (vgl Finke in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 194 RdNr 1, Stand Juli 1996).

63

Die Klägerin beabsichtigte, von ihrem Arbeitgeber eine sog Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI zu verlangen. Dazu wollte sie ihm das einschlägige Formular vorlegen und hatte sich deshalb auf das Betriebsgelände begeben. Sie hatte also mit der Verrichtung, deren unfallversicherungsrechtliche Bedeutung hier umstritten ist, begonnen.

64

Die Abgabe des Formulars für eine Vorausbescheinigung erfüllt aber weder eine vertragliche Haupt- oder Nebenleistungspflicht der Klägerin aus ihrem Beschäftigungsverhältnis (s sogleich unter a>). Ferner durfte die Klägerin nicht annehmen, sie treffe eine solche Pflicht (dazu unter b>). Schließlich hat sie auch keine unternehmensbezogenen Rechte wahrgenommen (dazu unter c>).

65

a) Die Abgabe des Formulars für die Ausstellung der Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI ist augenfällig keine sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebende Hauptpflicht der Klägerin.

66

Sie hat damit auch keine gegenüber dem Unternehmer treffende Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt, sondern, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nur eigene Vorteile angestrebt. Mit ihrem Vortrag, sie habe auch abstrakt denkbare mittelbare Schadensersatzansprüche aus verzögerter Betriebsrentenzahlung vom Arbeitgeber abwehren wollen, hat sie keine solche eigene Nebenpflicht dargetan. Sie hat nicht zur Abwendung von Gefahren, die absolut geschützte Rechtsgüter des Unternehmers betrafen, gehandelt, sondern Gefahren bedacht, die allenfalls mittelbar seinen Vermögensinteressen drohten. Nach den Feststellungen des LSG gab es aber keine allgemeine oder spezielle Vermögensfürsorgepflicht der Klägerin für ihren Arbeitgeber. Hierfür sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich.

67

Die beabsichtigte Vorlage des Formulars erfüllte auch keine sie treffende Mitwirkungspflicht, dem Unternehmer dabei Hilfe zu leisten, eine ihm aus dem Beschäftigungsverhältnis ihr gegenüber obliegende Haupt- oder Nebenleistungspflicht zu erfüllen.

68

Die begehrte Ausstellung der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber ist für die Erfüllung seiner Hauptleistungspflicht gegenüber der Klägerin - nämlich seiner Pflicht zur Vergütung iS des § 611 Abs 1 BGB - offensichtlich ohne rechtlichen Belang. Eine Mitwirkungspflicht der Klägerin zur Ermöglichung der Hauptleistung des Arbeitgebers bestand somit nicht.

69

Sie hatte zudem keine Mitwirkungspflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber ihrem Arbeitgeber, von diesem die Ausstellung einer Vorausbescheinigung zu verlangen und ihm dies dann durch Vorlage des Formulars zu ermöglichen. Aufgrund ihrer Beschäftigung war sie nicht verpflichtet, vom Unternehmer die Vorausbescheinigung zu verlangen, die ausschließlich der Durchsetzung ihres allein gegen den Rentenversicherungsträger gerichteten Rechts auf nahtlose richtige Zahlung der dort beantragten Altersrente diente.

70

Dass der Unternehmer allein aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses, ohne § 194 SGB VI, nicht verpflichtet war, eine Vorausbescheinigung zu erteilen, liegt auf der Hand. Daher bestand allein auf dieser Grundlage keine Mitwirkungspflicht der Klägerin. Notwendige Voraussetzungen der Entstehung dieser Pflicht waren das Bestehen einer gesetzlichen Vorschrift, die dem Beschäftigten das Recht gegen den Arbeitgeber gewährt, nach freiem Willen die Ausstellung der Bescheinigung zu verlangen, und die Ausübung dieses Rechts. Dieses dient allein dem privaten Interesse der Klägerin an richtiger Rentenzahlung durch den Rentenversicherungsträger. Dasselbe gilt daher auch für ihre Mitwirkung an der Ausstellung der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber, dessen Unternehmen dadurch nicht berührt wird.

71

Entgegen der Ansicht der Klägerin unterscheidet sich ihr Fall grundlegend von dem der Erteilung einer Arbeitsbescheinigung zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis, die auch die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses ermöglichte. Der Arbeitnehmer hat, wie oben schon gesagt, vom Arbeitgeber eine Handlung begehrt, die dieser ihm unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis schuldete; das Abholen der Bescheinigung war vertragsgemäße arbeitsrechtliche Nebenpflicht des Beschäftigten (vgl BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78).

72

b) Die Klägerin hat ferner keine objektiv nicht geschuldete Handlung vorgenommen in der vertretbaren, aber irrigen Annahme, damit eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Die Annahme dieser Pflicht ist nur vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) aufgrund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 18/85 - BSGE 59, 291 = SozR 2200 § 539 Nr 115 und BSG vom 27.6.1991 - 2 RU 17/90 - Juris RdNr 15; vgl auch Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 34 f, Stand Mai 2010).

73

Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin der Auffassung sein durfte, eine vermeintliche eigene Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sind jedoch nicht ersichtlich. Die von ihr angenommene Vermögensbetreuungspflicht für das Vermögen des Arbeitgebers besteht nicht.

74

c) Schließlich hat die Klägerin durch die beabsichtigte Formularabgabe auch kein eigenes unternehmensbezogenes Recht wahrgenommen. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Handlung die Regelung innerbetrieblicher Belange zum Gegenstand hatte oder sie den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der Unternehmensführung förderte. Vielmehr ging es nur um das eigenwirtschaftliche Interesse an der sofort richtigen Altersrente.

75

4. Das Berufungsgericht hat schließlich auch zu Recht darauf hingewiesen, dass eine versicherte Tätigkeit im Sinne einer sog gemischten Tätigkeit nicht vorliegt. Es liegt mit dem Gehen auf der Treppe vor der Abgabe des Formulars für eine Vorausbescheinigung nämlich nur eine einzige Verrichtung vor. Gemischte Tätigkeiten setzen (zumindest) zwei gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraus, von denen (wenigstens) eine den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt.

76

Das LSG hat schließlich auch richtig erkannt, dass diese einzige Verrichtung auch nicht auf einer gemischten Motivationslage beruhte. Denn es hat schon nicht festgestellt, dass die Klägerin mit dem Weg zur Vorlage des Formulars zusätzlich noch eine andere Intention hatte als diejenige, die Vorausbescheinigung des Arbeitgebers und dadurch sofort die angestrebte Rentenhöhe zu erhalten.

77

5. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2015 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. April 2014 zurückgewiesen.

Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Die Klägerin ist beim Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz beschäftigt. Sie arbeitet aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber zur Regelung der Telearbeit auf einem in ihrer Wohnung eingerichteten Telearbeitsplatz. Die Arbeitsmittel werden danach vom Dienstherrn zur Verfügung gestellt und dürfen nicht für private Zwecke genutzt werden. Die häusliche Arbeitsstätte wird hingegen von der Klägerin kostenlos bereit gestellt. Der Arbeitsplatz ist im Dachgeschoss des Wohngebäudes gelegen, in dem sich außerdem ein kleines Bad, das Arbeitszimmer des Ehemanns der Klägerin sowie ein Schlafraum befinden. Diese Räume sind über eine Treppe zu erreichen. Im Erdgeschoss liegen Küche, Wohnzimmer und ein weiteres Bad.

3

Die Klägerin, die unter Asthma sowie COPD leidet und daher mehrmals am Tag viel trinken muss, arbeitete am 21.9.2012 an ihrem Telearbeitsplatz. Weil die mitgenommenen Wasserflaschen bereits leer waren, verließ sie ihren Arbeitsplatz, um in der Küche Wasser zu holen. Auf der Treppe rutschte sie ab, knickte mit dem linken Fuß um und erlitt dadurch eine Metatarsale V Schrägfraktur links.

4

Die beklagte Unfallkasse lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab (Bescheid vom 11.10.2012, Widerspruchsbescheid vom 5.11.2012). Das SG Mainz hat die Klage abgewiesen. Ein Weg zur Nahrungsaufnahme sei nur dann vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst, wenn er durch die Notwendigkeit geprägt sei, persönlich am Beschäftigungsort anwesend zu sein. Die Klägerin habe hingegen den von ihr beherrschten privaten Bereich nicht verlassen und sich nur Risiken ausgesetzt, die aus dem privaten Bereich stammten (Urteil vom 29.4.2014). Das LSG Rheinland-Pfalz hat das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Unfallkasse verurteilt, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls vom 21.9.2012 anzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Betriebsweg zurückgelegt. Insoweit komme es darauf an, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignet hat, wesentlich auch Betriebszwecken diene. Das sei der Fall, weil die Klägerin ihren Arbeitsplatz ausschließlich über die Treppe erreichen könne. Das Begehen der Treppe habe zum Unfallzeitpunkt auch im inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden. Zwar sei die Nahrungsaufnahme grundsätzlich dem unversicherten privaten Bereich zuzuordnen. Allerdings seien die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung des BSG Unfallversicherungsschutz auf Wegen zum Ort der Nahrungsaufnahme im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit grundsätzlich anerkenne, erfüllt. Das Handlungsziel der Klägerin sei auf die Aufrechterhaltung der Arbeitskraft gerichtet gewesen. Darüber hinaus habe die Notwendigkeit bestanden, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein. Dass sich die Klägerin die Arbeitszeit frei einteilen könne, stehe dem Unfallversicherungsschutz nicht entgegen. Die vom BSG in einer früheren Entscheidung angesprochene Gefahr des "Versicherungsschutzes rund um die Uhr" rechtfertige nicht dessen grundlegende Einschränkung (Urteil des LSG vom 27.1.2015).

5

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Das BSG fordere die ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung der Treppe zu betrieblichen Zwecken. Weil die Treppe aber nicht nur genutzt werde, um die Arbeitsstätte, sondern auch die anderen Räumlichkeiten im Dachgeschoss zu erreichen, habe das Begehen der Treppe nicht wesentlich dem Zweck des Unternehmens, hier der Telearbeit, gedient.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. April 2014 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Arbeitsstätte sei vom privaten Lebensbereich innerhalb der Wohnung abgegrenzt. Um ihrer Telearbeit nachgehen zu können, sei sie auf die Nutzung der Treppe angewiesen. Sie dürfe nicht gegenüber Beschäftigten benachteiligt werden, die ihrer Arbeit außerhalb der Wohnung nachgingen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht auf die Berufung der Klägerin entschieden, dass das Abrutschen von einer Treppenstufe auf dem Weg von ihrem Telearbeitsplatz zur Küche, um Wasser zu holen, als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Die Ablehnung eines Arbeitsunfalls im Bescheid der Beklagten vom 11.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Daher war das die Klage abweisende Urteil des SG wiederherzustellen.

10

Die Klägerin begehrt zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), die Ablehnungsentscheidung der Beklagten aufzuheben und die Unfallkasse zu verurteilen, einen am 21.9.2012 erlittenen Arbeitsunfall anzuerkennen. Zwar hat sie sowohl vor dem SG als auch dem LSG jeweils zuletzt neben der Aufhebung der angegriffenen Verwaltungsakte beantragt, die Beklagte zu verurteilen, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen. Gleichwohl hat sie damit nicht die Feststellung einer Unfallfolge iS des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(vgl hierzu BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1), sondern angesichts dieser zwischen den Beteiligten nicht streitigen Unfallerstverletzung vielmehr die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Arbeitsunfalls geltend gemacht. Davon sind auch die Vorinstanzen ausgegangen. Auch wenn das LSG die Beklagte verurteilt hat, die Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen, setzt es sich in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - ebenso wie das SG - lediglich mit den Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls auseinander. Allein in diesem Zusammenhang wird die Schrägfraktur als unzweifelhaft eingetretener Gesundheitserstschaden als Tatbestandsmerkmal eines (vermeintlichen) Arbeitsunfalls zugrunde gelegt.

11

Dass die Klägerin vor dem SG zunächst nur die Feststellung eines Arbeitsunfalls beantragt hatte (Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG), steht der Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats haben die Verletzten ein Wahlrecht zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen Verpflichtungsklage (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 13 mwN). Der Übergang von der einen zu der anderen Klage ist jedenfalls bei einem Streit um die Feststellung eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung eine nach § 99 Abs 3 SGG zulässige Antragsänderung(BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 9).

12

Die Klage ist indes unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte.

13

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 9; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 11; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 10 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 14; BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 26 f).

14

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin hat zwar einen Unfall und dadurch - wie bereits ausgeführt - einen Gesundheitserstschaden erlitten. Sie war auch als Beschäftigte kraft Gesetzes versichert. Ihre Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Hinabsteigen der Treppe - stand aber nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt übte sie weder ihre Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII aus(dazu 1.) noch legte sie im Zusammenhang mit dieser einen Betriebsweg zurück (dazu 2.). Die Klägerin befand sich auch nicht auf einem versicherten Weg zum Ort der Nahrungsaufnahme und wird deshalb nicht in höherrangigem Recht verletzt (dazu 3.). Schließlich war sie im Unfallzeitpunkt nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützt(dazu 4.).

15

1. Versicherter iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese innere Tatsache der subjektiven Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten wird als "Handlungstendenz" bezeichnet. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung reicht hingegen nicht (zur Handlungstendenz zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 14 mwN; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14 mwN; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18).

16

Das Hinabsteigen der Treppe zum Unfallzeitpunkt ist ein solches von außen beobachtbares Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Bei dieser Tätigkeit war die objektivierte Handlungstendenz der Klägerin aber nicht auf die Erfüllung des gesetzlichen Versicherungstatbestands als Beschäftigte iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gerichtet.

17

Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigte liegt vor, wenn die Verletzte zur Erfüllung eines von ihr begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen(vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihr selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (vgl § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder die Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern sie nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, sie treffe eine solche Pflicht, oder sie unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt(BSG vom 23.4.2015 -B 2 U 5/14 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 33 RdNr 14 mwN; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 12; BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 27 ff; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 23 f; BSG vom 14.11.2013 - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 13).

18

Das Holen des Wassers gehörte unzweifelhaft nicht zu der sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebenden Hauptpflicht der Klägerin. Sie hat dadurch auch keine aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierende Nebenpflicht erfüllt. Eine arbeitsrechtliche Verpflichtung zu gesundheitsfördernden, der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienenden Handlungen besteht grundsätzlich nicht (vgl Schäfer NZA 1992, 529, 530). Etwas anderes gilt bei einem bereits arbeitsunfähigen Arbeitnehmer. Ihm wird aufgrund seiner Treue- und Rücksichtnahmepflicht gegenüber seinem Arbeitgeber abverlangt, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird, und alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten liegt daher vor, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet (BAG vom 2.3.2006 - 2 AZR 53/05 - Juris RdNr 23 f). Zu diesem Personenkreis zählt die Klägerin aber nicht. Sie hat ferner keine objektiv nicht geschuldete Handlung vorgenommen in der vertretbaren, aber irrigen Annahme, damit eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Die Annahme dieser Pflicht ist nur vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) aufgrund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 72). Solche objektiven Anhaltspunkte sind jedoch weder festgestellt noch ersichtlich. Schließlich hat die Klägerin durch das beabsichtigte Holen von Wasser auch kein eigenes unternehmensbezogenes, innerbetrieblichen Belangen dienendes Recht wahrgenommen.

19

2. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg iS des § 8 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Ein im unmittelbaren Betriebsinteresse liegender Weg kommt grundsätzlich nur außerhalb des (privaten) Wohngebäudes in Betracht (dazu a). Befinden sich die Wohnung und die Arbeitsstätte im selben Gebäude, ist ein Betriebsweg ausnahmsweise auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn er in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird. Das war bei der Klägerin nicht der Fall (dazu b).

20

a) Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen (BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 35/08 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 36 RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 25/07 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 8 RdNr 24; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14 mwN; BSG vom 6.5.2003 - B 2 U 33/02 R - Juris RdNr 15 mwN; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 16 f). Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen, unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen(BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13). Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen (BSG vom 28.2.1990 - 2 RU 34/89 - SozR 3-2200 § 539 Nr 1 S 2).

21

Sowohl bei Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit als auch bei einem direkt von der Wohnung aus angetretenen Betriebsweg (Dienstweg oder Dienstreise) beginnt die versicherte Tätigkeit allerdings grundsätzlich erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes (Mehr- oder Einfamilienhaus), in dem sich die Wohnung des Versicherten befindet. Diese vom BSG stets beibehaltene Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem versicherten Zurücklegen eines (Betriebs-)Weges ist im Interesse der Rechtssicherheit bewusst starr gezogen, weil sie an objektive Merkmale anknüpft, die im allgemeinen leicht feststellbar sind. Damit wird zugleich der die gesetzliche Unfallversicherung kennzeichnenden Freistellung des Unternehmers von der Haftung für Betriebsgefahren Rechnung getragen. Das BSG hat im Interesse der Rechtssicherheit insbesondere auch deshalb keine Veranlassung gesehen, die bisherige Rechtsprechung zur Außentür als der Grenze zwischen häuslichem Bereich und versichertem Weg aufzugeben oder zu modifizieren, weil mit der verbreiteten Einführung von Telearbeit am PC eine Verlagerung vieler den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich einhergeht (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 17). Daran hält der Senat weiterhin fest. Da sich der Unfall der Klägerin nicht außerhalb des Wohngebäudes ereignet hat, ist nur Raum für einen Betriebsweg innerhalb des häuslichen Bereichs.

22

b) Den Weg zur Küche hat die Klägerin indes nicht in unmittelbarem betrieblichen, sondern in eigenwirtschaftlichem Interesse zurückgelegt. Unfallversicherungsschutz an der Unfallstelle könnte hier zwar unter dem Gesichtspunkt eines versicherten Betriebswegs ausnahmsweise dann bestehen, wenn der Weg bereits zwischen dem häuslichen Arbeitszimmer - und nicht erst nach Durchschreiten der Außentür - und der Küche als Weg in Ausführung der versicherten Tätigkeit anzusehen wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

23

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 15 und - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 RdNr 17), greift die unter a) aufgezeigte Grenzziehung durch die Außentür des Wohngebäudes nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden. In diesem Zusammenhang hat der Senat auf rechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Zurechnung von Wegen zur versicherten Tätigkeit vor allem in zwei Fallgestaltungen hingewiesen. Bei der ersten Fallgestaltung handelt es sich um Unfälle, die sich in Räumen oder auf Treppen ereignen, die weder eindeutig der Privatwohnung noch der Betriebsstätte zugeordnet werden können. Insoweit ist zur Entscheidung über den Versicherungsschutz darauf abgestellt worden, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignete, auch Betriebszwecken (wesentlich) dient, ob der rein persönliche Lebensbereich schon verlassen wurde oder wie sich der Nutzungszweck zum Unfallzeitpunkt darstelle. Als Kriterium für die Wesentlichkeit wurden eine ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung des Unfallorts für betriebliche Zwecke angeführt. Die zweite - hier aber nicht einschlägige - Fallgestaltung betraf Unfälle im rein persönlichen Wohnbereich, bei denen die Situation durch eine Art Rufbereitschaft und die Notwendigkeit, sofort zu handeln, geprägt war (BSG vom 12.12.2006, aaO, RdNr 15 ff und 18 ff, jeweils mit zahlreichen Nachweisen).

24

Der Senat hat Zweifel, ob an dieser Rechtsprechung, die bei der Feststellung eines Betriebswegs im häuslichen Bereich an die Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts anknüpft, festzuhalten ist (vgl hierzu auch LSG Baden-Württemberg vom 25.2.2016 L 10 U 1241/14 - Juris, Revision anhängig unter B 2 U 9/16 R). Ob das Ausmaß der Nutzung auch weiterhin ein sachgerechtes Beurteilungskriterium bildet, kann jedenfalls im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, denn die im Urteil des Senats vom 12.12.2006 (aaO) in Bezug genommenen Entscheidungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der jeweils zugrunde liegende Unfall auf einem Weg zur Ausübung der versicherten Tätigkeit ereignet hatte. Demgegenüber ist die Klägerin auf dem Weg von der Arbeitsstätte zur Küche und damit in den persönlichen Lebensbereich ausgerutscht.

25

Unabhängig von dem konkreten Umfang der betrieblichen oder privaten Nutzung der in das Dachgeschoss führenden Treppe vermag entgegen der Auffassung des LSG allein der Umstand, dass die Klägerin darauf angewiesen ist, die Treppe zu benutzen, um ihrer Beschäftigung überhaupt nachgehen zu können, das unmittelbare Betriebsinteresse nicht zu begründen. Entscheidend ist vielmehr, welche konkrete Verrichtung mit welchem Zweck sie in dem Moment des Unfalls ausübte. Da es außer in der Schifffahrt (vgl § 10 SGB VII) keinen Betriebsbann gibt, sind nicht alle Verrichtungen eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und auf der Arbeitsstätte versichert. Dementsprechend stehen auch nicht alle Wege eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäftigungsverhältnis eingegangen wurde, in einer mehr (zB Betriebswege) oder weniger engen Beziehung (zB Weg zur Arbeit) steht (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 13). Ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich wiederum nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13 mwN). Diese für außerhalb des Wohngebäudes zurückgelegte Wege geltende ständige Rechtsprechung des Senats ist auch bei Wegen innerhalb der häuslichen Sphäre von der Arbeitsstätte in den persönlichen Lebensbereich heranzuziehen.

26

Nach Maßgabe dieser Grundsätze war die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls nicht im unmittelbaren Betriebsinteresse tätig. Sie ist die Treppe nicht hinabgestiegen, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um in der Küche Wasser zum Trinken zu holen und demnach einer typischen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Als sich der Unfall ereignete, hatte sie ihre Arbeitsstätte verlassen und bereits den persönlichen häuslichen Lebensbereich erreicht. Ihre als Beschäftigte des Landesbetriebs versicherte Tätigkeit war mangels entgegenstehender Feststellungen und Anhaltspunkte spätestens mit dem Verlassen des Arbeitszimmers beendet. Daher kann offenbleiben, inwieweit innerhalb eines zur Telearbeit eingerichteten Arbeitsraumes Unfallversicherungsschutz besteht. Dass gerade die versicherte Tätigkeit ein besonderes Durstgefühl verursacht hätte (vgl hierzu zusammenfassend BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 20/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 2 mwN) und die Klägerin unabhängig von ihrer Erkrankung betriebsbedingt veranlasst gewesen wäre, sich Wasser zu besorgen, ist vom LSG weder festgestellt noch ersichtlich.

27

Dass die Ausübung einer Beschäftigung in einem Home-Office zu einer Verlagerung von den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich führt (zum Unfallversicherungsschutz bei häuslicher Telearbeit vgl Spellbrink, NZS 2016, 527; Leube, SGb 2012, 380; Wolber, SozVers 1997, 239), rechtfertigt auch in diesem Zusammenhang keine andere Beurteilung. Die betrieblichen Interessen dienende Arbeit in der Wohnung eines Versicherten nimmt dieser außerhalb des konkreten Arbeitszimmers oder -raums nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 17). Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken hat nicht der Arbeitgeber zu verantworten und vermag der Versicherte selbst am besten zu beherrschen. Der Wohnbereich ist dem Versicherten im Regelfall besser bekannt als anderen. Für die mit ihm einhergehenden Gefahren ist der Versicherte selbst verantwortlich. Kraft seiner Verfügungsmacht über die Wohnung kann er die private Risikosphäre durch entsprechendes Verhalten weitgehend beseitigen oder zumindest reduzieren. In der häuslichen Lebenssphäre vermag sich mangels einer betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko nicht zu verwirklichen.

28

Auch ist es dem Arbeitgeber außerhalb des Betriebsgeländes regelmäßig verwehrt, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Unternehmer sind zwar für die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe verantwortlich (§ 21 Abs 1 SGB VII). Ungeachtet der Frage, inwieweit Arbeitgeber rechtlich durchsetzbar in die Lage versetzt sein müssen, diese Verantwortung in Bezug auf betriebliche Arbeitsplätze im häuslichen Bereich nachzukommen, beschränkt sich die Verpflichtung zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen aber auf die jeweilige Betriebsstätte, zu der jedenfalls häusliche Örtlichkeiten außerhalb eines räumlich abgegrenzten Home-Office nicht zählen. Zudem ist zu beachten, dass es den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung außerhalb der Betriebsstätten ihrer Mitglieder (der Arbeitgeber) nur bedingt möglich ist, präventiv zu handeln. Die Unfallversicherungsträger haben mit allen geeigneten Mitteln ebenfalls für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen; sie sollen dabei auch den Ursachen von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit nachgehen (§ 14 Abs 1 SGB VII). In diesem Zusammenhang obliegt ihnen die Überwachung des nach § 21 Abs 1 SGB VII den Unternehmern übertragenen Arbeitsschutzes durch fachkundige Aufsichtspersonen(§ 17 Abs 1, § 18 SGB VII). Im Rahmen der Überwachung sind die Aufsichtspersonen insbesondere befugt, zu den Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Betriebsstätten zu betreten, zu besichtigen und zu prüfen (§ 19 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VII idF des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes vom 30.10.2008, BGBl I 2130). Eine solche Maßnahme kann auch für Wohnräume zu jeder Tages- und Nachtzeit getroffen werden. Insoweit ist das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 GG) eingeschränkt. Allerdings muss die Überwachung von Wohnräumen zur Verhütung dringender Gefahren geboten sein (§ 19 Abs 2 Satz 3 und 4 SGB VII idF des UVMG, aaO; zur Prävention und Überwachung häuslicher Arbeitsplätze vgl auch Spellbrink, NZS 2016, 527, 530; Leube, SGb 2012, 380, 384). Sowohl Arbeitgeber als auch die Unfallversicherungsträger sind demnach nur eingeschränkt zu präventiven, der sicheren Gestaltung der Arbeitsplätze dienenden Maßnahmen in der Lage. Daher ist es sachgerecht und nicht unbillig, das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko den Versicherten und nicht der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der gerade die Unternehmerhaftung abgelöst werden soll, anzulasten (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 18 mwN).

29

3. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt auch nicht auf einem versicherten Weg zum Ort einer Nahrungsaufnahme. Insoweit liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dieser ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG vom 19.12.2012 - 1 BvL 18/11 - BVerfGE 133, 1 RdNr 44 mwN; BVerfG vom 30.3.2007 - 1 BvR 3144/06 - SozR 4-2700 § 9 Nr 10 RdNr 18 mwN). Solche rechtfertigenden Gründe sind hier gegeben.

30

Das Zurücklegen eines Weges durch einen Beschäftigten mit der Handlungstendenz, sich an einem vom Ort der Tätigkeit verschiedenen Ort Nahrungsmittel zu besorgen oder einzunehmen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich versichert (vgl BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 20; BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - UV-Recht Aktuell 2010, 897, Juris RdNr 15; BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 6/00 R - Juris RdNr 20 mwN; BSG vom 27.6.2000 - B 2 U 22/99 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 38 S 135 f mwN). Dieser Versicherungsschutz beruht darauf, dass der während einer Arbeitspause zurückgelegte Weg zur Nahrungsaufnahme oder zum Einkauf von Lebensmitteln für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz in zweierlei Hinsicht mit der Betriebstätigkeit verknüpft ist. Zum einen dient die beabsichtigte Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit im Gegensatz zur bloßen Vorbereitungshandlung vor der Arbeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Aufgrund des Zusammentreffens dieser beiden betriebsbezogenen Merkmale, des Handlungsziels und der Betriebsbedingtheit des Weges, ist der wesentliche innere Zusammenhang zwischen dem Betrieb und einem zur Nahrungsaufnahme zurückgelegten Weg angenommen worden (vgl BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 21 mwN; BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 RdNr 30 f; BSG vom 2.7.1996 - 2 RU 34/95 - SozR 3-2200 § 550 Nr 15 S 55 mwN).

31

Diese Betriebsbedingtheit des Weges liegt bei der Klägerin entgegen der Rechtsansicht des LSG gerade nicht vor. Sie ist jedenfalls nicht bereits darin zu sehen, dass die Klägerin den Weg zur Küche über die Treppe deshalb zurücklegen musste, weil sie sich zuvor in ihrem Arbeitszimmer aufgehalten hatte. Die Klägerin unterlag hinsichtlich der beabsichtigten Flüssigkeitszufuhr keinen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen. Es stand vielmehr in ihrem Belieben, ob und wann sie sich wegen des nicht betriebs-, sondern krankheitsbedingten Trinkbedürfnisses Wasser aus der Küche holt. Der Weg zur Küche war weder räumlich durch einen außerhalb der Wohnung gelegenen Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen und stand in keinem Zusammenhang mit bereits erbrachter Arbeit. Dieser vom LSG nicht gesehene, aber offenkundige grundlegende Unterschied steht der von der Klägerin geforderten gebotenen Gleichbehandlung mit Versicherten, die außerhalb der Wohnung einer Beschäftigung nachgehen, entgegen (vgl insoweit auch BSG vom 31.10.1968 - 2 RU 122/66 - Juris RdNr 18; BSG vom 29.6.1971 - 2 RU 117/69 - Juris RdNr 20 f; BSG vom 25.1.1977 - 2 RU 57/75 - SozR 2200 § 550 Nr 24 S 53; BSG vom 19.5.1983 - 2 RU 44/82 - BSGE 55, 139, 140 = SozR 2200 § 550 Nr 54 S 136; BSG vom 6.12.1989 - 2 RU 5/89 - SozR 2200 § 548 Nr 97 S 275; BSG vom 11.5.1995 - 2 RU 30/94 - Juris RdNr 16). Auch die weitere Überlegung des LSG, dass Unfallversicherungsschutz gleichheitswidrig nicht an der Möglichkeit einer freien Arbeitszeiteinteilung und einer schwierigen Beweislage scheitern dürfe, überzeugt nicht. Das Berufungsgericht übersieht insoweit, dass vorliegend nicht die Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Arbeitszeit oder Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung, sondern das Zurücklegen eines Wegs mit dem Ziel, eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit innerhalb des persönlichen Lebens- und Risikobereichs zu verrichten, den Versicherungsschutz ausschließt.

32

4. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt schließlich nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützt. Danach zählt zu den versicherten Tätigkeiten zwar auch das Zurücklegen des mit einer gemäß §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Allerdings beginnt und endet der Weg zur oder von der Arbeit nach ständiger Rechtsprechung des Senats erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses, in dem die Wohnung liegt (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 14; BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 39/06 R - Juris RdNr 10; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 RdNr 16 und - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14). Die Wegeunfallversicherung erstreckt sich damit nicht auf Unfälle innerhalb des Gebäudes, in dem sich die Wohnung des Verletzten befindet. Der Unfall der Klägerin hat sich indes innerhalb ihrer Wohnung ereignet.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Oktober 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Bronchialkarzinom als Berufskrankheit (BK) nach Nr 1103 (Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; in Zukunft BK Nr 1103) anzuerkennen und eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen ist.

2

Die Klägerin ist die Witwe des 1952 geborenen und während des Berufungsverfahrens im März 2013 an den Folgen einer Krebserkrankung verstorbenen Versicherten. Sie lebte zur Zeit seines Todes mit dem Versicherten in einem Haushalt. Von April 1977 bis Ende 1985 arbeitete er in einem Stahlwerk. Dort war er bei seiner Tätigkeit als Schweißer Atemwegsbelastungen insbesondere durch Chrom und Nickel ausgesetzt. Die Chromatexposition betrug 307,51 Chrom-VI-Jahre und die Nickelexposition 196,04 Nickeljahre. Zudem war er einer Asbestbelastung von 12,66 Faserjahren ausgesetzt. Der Versicherte rauchte über einen Zeitraum von 30 Jahren zumindest 20 Zigaretten täglich. Im Jahr 2004 erkrankte er an einem peripheren nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom des linken Lungenoberlappens. Die Beklagte lehnte sowohl die Anerkennung der Bronchialkarzinomerkrankung als BK Nr 1103 als auch als BK Nr 4104 der Anlage 1 zur BKV ab (Bescheide vom 25.8.2005 und Widerspruchsbescheide vom 8.12.2005).

3

Das SG hat die die Anerkennung der BK Nr 1103 ablehnenden Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, bei dem (damaligen) Kläger einen Zustand nach Oberlappenresektion links wegen nicht kleinzelligem Lungenkarzinom als BK Nr 1103 anzuerkennen sowie ihm ab Ende der durch die BK bedingten Arbeitsunfähigkeit Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH zu gewähren. Die Klage gegen die die Anerkennung einer BK Nr 4104 wegen der Asbestbelastung ablehnenden Bescheide hat es abgewiesen (Urteil vom 28.5.2009). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Chromatbelastung des Versicherten am Arbeitsplatz habe kausal die BK Nr 1103 verursacht. Nach neueren Studien liege die Dosis für die Verdoppelung des Lungenkrebsrisikos deutlich unter dem früher angenommenen Grenzwert einer Belastung von 2000 Chrom-VI-Jahren. Im Übrigen verlange der Wortlaut der BK Nr 1103 gerade nicht, dass sich das Erkrankungsrisiko für die jeweils exponierte Personengruppe im Vergleich zur übrigen Bevölkerung verdopple. Demgegenüber trete die Raucheranamnese des Versicherten zurück. Zu Recht habe die Beklagte dagegen die Anerkennung einer BK Nr 4104 abgelehnt, weil die Voraussetzungen hierfür mangels Asbestose, asbesttypischer Pleuraveränderung und Erreichen einer Asbestfaserdosis von 25 Faserjahren nicht vorlägen.

4

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage der den Prozess nach dem Tode des Versicherten fortführenden Klägerin abgewiesen (Urteil vom 14.10.2014). Es hat ausgeführt, die Chromatbelastung mit 307,51 Chrom-VI-Jahren habe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als naturwissenschaftliche (Mit-)Ursache dazu beigetragen, dass der Versicherte im Alter von 52 Jahren an einem Bronchialkarzinom erkrankt sei, denn die Indizien für eine Mitursächlichkeit der Chrom-VI-Einwirkung im naturwissenschaftlichen Sinn würden deutlich überwiegen. Der Zusammenhang zwischen Einwirkungen von Chrom-VI und Lungenkrebs sei durch Studien klar belegt; hieraus ergebe sich teilweise eine Verdoppelung des Lungenkrebsrisikos schon bei einer Dosis von 300 Chrom-VI-Jahren. Hinzu komme die durch das Biomonitoring nachgewiesene deutlich erhöhte Chromatbelastung des Lungengewebes. Ebenso seien für die Entstehung des Lungenkrebses die Asbest- und Nickelbelastung und als unversicherte Einwirkung der langjährige Nikotinmissbrauch mitursächlich. Die erforderliche rechtliche Bewertung der festgestellten naturwissenschaftlichen Ursachen für die Zurechnungsentscheidung der zweiten Stufe, ob diese für den eingetretenen Erfolg rechtlich wesentlich geworden seien, führe jedoch zu dem Ergebnis, dass die versicherte Chrom-VI-Einwirkung neben dem unversicherten Zigarettenrauch eine derart untergeordnete Bedeutung erlange, dass sie nicht als rechtlich wesentliche (Mit-)Ursache für die Bronchialkrebserkrankung betrachtet werden könne. Während die Risikosteigerung durch die Chromatbelastung von 307,51 Chrom-VI-Jahren deutlich unter einer anzunehmenden Verdoppelungsdosis von 1000 Chrom-VI-Jahren liege, begründe der langjährige Nikotinkonsum ein zehnfach erhöhtes Lungenkrebsrisiko.

5

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK Nr 1103. Entgegen der Auffassung des LSG sei die Chromateinwirkung nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch rechtlich wesentlich für die Entstehung des Bronchialkarzinoms gewesen. Nach der Rechtsprechung des BSG komme es auf das Vorhandensein weiterer belastender Einwirkungen nicht an, wenn die beruflichen Einwirkungen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen für sich allein ein so hohes Gefährdungspotential bergen würden, dass sich hierauf eine hinreichende Verursachungswahrscheinlichkeit stützen lasse. Schon eine Belastung von 300 Chrom-VI-Jahren, wie sie bei dem Versicherten vorgelegen habe, führe zu einer Risikoverdoppelung. Das LSG habe deshalb bei der Prüfung der rechtlichen Wesentlichkeit einen zu hohen Grenzwert zugrunde gelegt und auch nicht isoliert die rechtliche Wesentlichkeit aller kanzerogenen Stoffe geprüft.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14.10.2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28.05.2009 zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die Entscheidung des LSG im Ergebnis für zutreffend. Das LSG hätte allerdings aufgrund der festgestellten Einwirkungen bereits die Kausalität der Einwirkung von Chrom-VI im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn verneinen müssen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet. Das LSG hat zu Unrecht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit das SG die Beklagte zur Anerkennung der BK Nr 1103 verurteilt hat. Die Ablehnung der Anerkennung dieser BK in dem Bescheid vom 25.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 war rechtswidrig. Bei dem Versicherten lag ein Zustand nach Oberlappenresektion links wegen nicht kleinzelligem Lungenkarzinom des linken Lungenoberlappens als Folge einer BK Nr 1103 vor. Das LSG hat - von seiner Rechtsansicht her konsequent - selbst keine Feststellungen zur Höhe der MdE getroffen. Der Senat konnte daher nicht entscheiden, ob das SG zu Recht die Beklagte zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 100 vH verurteilt hat; deshalb musste der Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückverwiesen werden.

10

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens - wie auch des Berufungsverfahrens - ist die Aufhebung der die BK Nr 1103 betreffenden Bescheide der Beklagten und ihre Verurteilung zur Anerkennung der BK Nr 1103 sowie zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 100 vH durch das SG. Nur insoweit hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die zulässige Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, Abs 4 SGG) abgewiesen (vgl insbesondere zur Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 - juris RdNr 10; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 13c).

11

Dass die Klägerin den Rechtsstreit nach dem während des Berufungsverfahrens eingetretenen Tod des Versicherten fortführt, steht der Zulässigkeit der Klagen nicht entgegen. Die Klägerin, die zur Zeit des Todes des mit ihr verheirateten Versicherten mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, verfolgt als Sonderrechtsnachfolgerin einen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente und damit auf laufende Geldleistungen iS von § 56 Abs 1 Nr 1 SGB I. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der BK Nr 1103 ist gegeben, denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass noch andere auf die Klägerin übergegangene Ansprüche gegen die Beklagte bestehen und ggf auch in einem Verfahren nach § 44 SGB X geltend gemacht werden können.

12

Das LSG hat zu Unrecht unter Aufhebung des Urteils des SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr 1103 der Anlage 1 zur BKV liegen vor. Rechtsgrundlage für die Anerkennung dieser BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK Nr 1103. BK Nr 1103 lautet: "Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen". Der Tatbestand der BK Nr 1103 enthält darüber hinaus weder normative Vorgaben in Form einer Mindestdosis oder Mindestdauer der Einwirkung noch eine inhaltliche Eingrenzung der möglichen Krankheitsbilder. Nach § 9 Abs 1 S 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Die Voraussetzungen der "versicherten Tätigkeit", der "Verrichtung", der "Einwirkungen" und der "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (stRspr; vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 mwN).

13

1. Nach den bindenden Feststellungen des LSG arbeitete der Ehemann der Klägerin von 1977 bis 1985 als Beschäftigter eines Stahlwerks. In dieser Tätigkeit war er nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung. Während und aufgrund dieser versicherten Tätigkeit unterlag er den im Tatbestand der BK Nr 1103 genannten Einwirkungen "Chrom und seinen Verbindungen" durch Chrom-VI mit einer Dosis von 307,51 Chromatjahren.

14

2. Beim Versicherten bestand als Erkrankung iS von § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK Nr 1103 ein Zustand nach Oberlappenresektion links wegen nicht kleinzelligem Lungenkarzinom des linken Lungenoberlappens im Stadium IIa. Nach den Feststellungen des LSG sind Chrom-VI-Einwirkungen geeignet, Bronchialkarzinome zu verursachen. Bei der BK Nr 1103 handelt es sich um einen sog offenen BK-Tatbestand (vgl dazu Spellbrink, SR 2014, 140, 143; Bieresborn, NZS 2008, 354, 359), der ua keine konkrete Erkrankung benennt, die bei dem Versicherten diagnostiziert werden muss, um den BK-Tatbestand bejahen zu können. Anerkennungsfähig sind deshalb alle Krankheiten, die durch die benannten Einwirkungen potentiell verursacht werden können (vgl hierzu BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 14).

15

3. Zwischen den festgestellten gefährdenden Einwirkungen iS der BK Nr 1103 durch Chrom-VI und der Lungenkrebserkrankung des Versicherten bestand nach den Feststellungen des LSG ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Voraussetzung für die Anerkennung der BK Nr 1103 ist deshalb, dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten durch die während seiner versicherten Tätigkeit erfolgten Einwirkungen von Chrom-VI verursacht worden ist.

16

Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im BKen-Recht wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser sog ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die Einwirkung durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der sog zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr ist (stRspr; vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 19 mwN).

17

Das LSG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhang sowohl hinsichtlich der sog arbeitstechnischen als auch arbeitsmedizinischen Voraussetzungen festgestellt (hierzu unter a). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz haben die festgestellten naturwissenschaftlich-kausalen Chromateinwirkungen die Lungenkrebserkrankung auch rechtlich wesentlich verursacht (hierzu unter b).

18

a) Nach den Feststellungen des LSG hat die gefährdende Einwirkung durch Chrom-VI die Lungenkrebserkrankung des Versicherten verursacht. Das LSG hat dazu ohne Verstoß gegen Bundesrecht und damit den Senat gemäß § 163 SGG bindend festgestellt(anders als in dem dem Urteil des Senats vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - zugrundeliegenden Verfahren), dass die Chromatbelastung von 307,51 Chrom-VI-Jahren, der der Versicherte durch seine versicherte Tätigkeit ausgesetzt war, geeignet war, die Lungenkrebserkrankung zu verursachen und dass diese Einwirkung auch (Mit-)Ursache für diese Erkrankung war. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung auf der sog ersten Stufe ist zwar eine der revisionsrechtlichen Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte iS des § 163 SGG. Eine solche das Revisionsgericht bindende Wirkung besteht jedoch dann nicht, wenn das LSG von einem nicht existierenden oder offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen oder einen bestehenden Erfahrungssatz nicht angewandt hat und eine solche fehlerhafte Anwendung zulässig gerügt wird (vgl hierzu zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 28 mwN). Die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale der jeweiligen die BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen sind revisionsrechtlich darauf überprüfbar, ob sie dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen (vgl BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20, vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 und vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23). Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Maßgebend bei diesem ersten Schritt der Kausalitätsprüfung ist die Feststellung von wissenschaftlichen Erfahrungssätzen und deren Tragweite (vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff und SR 2015, 15, 17). Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin ggf durch Sachverständige zu überprüfen (vgl BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 28; vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68; vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also - von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen - Konsens besteht (BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 17; BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22; BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).

19

Danach ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das LSG unter Berufung auf das durch das SG eingeholte medizinische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S. auf Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2000 gestützt und eine Ursächlichkeit der Chromateinwirkungen für eine Lungenkrebserkrankung schon ab einer Dosis von 300 Chrom-VI-Jahren bejaht hat. Der Senat kann jedenfalls nicht feststellen, dass das LSG damit einen offenkundig falschen Erfahrungssatz zugrunde gelegt oder einen bestehenden Erfahrungssatz außer Acht oder offensichtlich fehlerhaft angewandt hat. Denn ein allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisstand zur Dosis-Wirkungsbeziehung von Chromateinwirkungen und des Risikos, an Lungenkrebs zur erkranken, existiert nicht. Nach dem derzeitigen Stand in der medizinischen Wissenschaft besteht zwar Einigkeit darüber, dass eine inhalative Chromatexposition ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko bedingt (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, 666, 667 unter Bezugnahme auf Studien von Gibb ua 2000, Mundt ua 2002, Luippold ua 2003), eine zuverlässige und allgemein akzeptierte Dosis-Wirkungsbeziehung bei Chromateinwirkungen konnte bislang aber nicht ermittelt werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176; Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 674). Auch die von der Beklagten im Revisionsverfahren vorgelegte aktuelle Veröffentlichung aus dem Jahr 2015 (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666 ff), die insbesondere unter Berücksichtigung einer Studie aus dem Jahr 2006 (Birk ua) eine Risikoverdoppelung für Lungenkrebs in einem Bereich von 500 Chromatjahren bei 40 Jahren Lebensarbeitszeit annimmt, gibt insofern keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wieder, unabhängig davon, dass jedenfalls das Gesetz in § 9 Abs 1 S 2 SGB VII das Kriterium einer Risikoverdoppelung als Voraussetzung einer BK-Anerkennung nicht erwähnt(hierzu bereits BSG vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 37 f = SozR 3-2200 § 551 Nr 12, S 42; skeptisch gegenüber dem Kriterium der Risikoverdoppelung ua auch P. Becker, SGb 2006, 449, 454). Vielmehr weisen die Autoren ausdrücklich darauf hin, dass die dem vorgeschlagenen Wert zugrundeliegenden Berechnungen eine Vielzahl von Unsicherheiten enthalten, und schlagen deshalb vor, ihre Ergebnisse lediglich als Orientierungswerte zu verstehen (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 673 f; so auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176).

20

Mithin besteht zwar derzeit ein wissenschaftlich gesicherter Grenzwert für eine Dosis-Wirkungsbeziehung nicht, den Forschungsergebnissen lässt sich jedoch die Tendenz entnehmen, bei immer geringeren Einwirkungsmengen eine naturwissenschaftliche Ursächlichkeit zu bejahen. Während im Jahr 1994 für die Annahme einer erheblichen inhalativen Chrom-VI-Belastung und die Anerkennung der BK Nr 1103 ein Chromat-Jahre-Wert von 2000 für CrO3 bzw 1000 für Chrom-VI für Lichtbogenschweißer und für andere Tätigkeiten Werte von 1000 für CrO3 bzw 500 für Chrom-VI vorgeschlagen wurden (Norpoth und Popp, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 337), nennt eine Studie aus dem Jahr 2005 einen Grenzwert von 1300 Chromat-Jahren (Luippold, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 340; dies ASUMed 2015, S 666, 671). Aufbauend auf einer Studie aus dem Jahr 2000 (Gibb ua) wurde im Jahr 2006 von einem ursächlichen Zusammenhang bei einem Wert von 300 Chromat-Jahren ausgegangen (Borsch-Galetke, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 341; zu den Schwächen der Studien vgl Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 670 ff; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176).

21

Die Tendenz zur Annahme immer geringerer Werte wird gestützt durch die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) veröffentlichte Begründung in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 910 zur Exposition-Risiko-Beziehung bei Chrom-VI. Ziel solcher präventiver Grenzwerte ist zwar die Ermittlung einer Dosis, ab der die ernsthafte Möglichkeit einer Gefährdung besteht, so dass aus ihnen keine direkten Aussagen über retrospektiv betrachtete Dosis-Wirkungsbeziehungen abgeleitet werden können (vgl hierzu Bieresborn, SGb 2016, 310, 319; Seidler, ZblArbeitsmed 2014, 325, 326). Dennoch können solche Studien - zumindest ergänzend - auch für die Kausalitätsprüfung herangezogen werden, da sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Aufschluss über Zusammenhänge zwischen Schadstoffexposition und Erkrankung geben können (vgl hierzu Spellbrink, Synkanzerogenese aus rechtlicher Sicht, in DGUV , Erfahrungen mit der Anwendung von § 9 Abs 2 SGB VII , 6. Erfahrungsbericht, 2013, S 53, insb S 62 ff; Spellbrink, SR 2015, 15, 19; Seidler, ZblArbeitsmed 2014, 325, 329; BAuA, TRGS 910 , S 34; Brünung/Pesch ua, ASUMed 2015, 666, 667). Nach der Begründung zu Chrom-VI in TRGS 910 (BAuA, Ausschluss für Gefahrstoffe, Stand: November 2013, Ausgabe: April 2014, S 31) besteht nach derzeitigen Erkenntnissen eine ernsthafte Gefährdungsmöglichkeit bereits ab einer Konzentration von 12,5 µg/m³. Angesichts dieser Veröffentlichungen ist mithin für das Revisionsgericht nicht erkennbar, dass der vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Erfahrungssatz offensichtlich falsch ist, nach dem ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer Lungenkrebserkrankung und einer Einwirkung von Chromat bereits bei 300 Chromatjahren vorliegen kann.

22

b) Zu Unrecht hat das LSG dagegen die rechtliche Wesentlichkeit dieser Ursache für den eingetretenen Erfolg verneint, weil den Einwirkungen durch Nikotinrauch ein statistisch höheres Erkrankungsrisiko für die Krebserkrankung des Versicherten zugrunde lag als der Einwirkung durch Chrom-VI. Entgegen der Auffassung des LSG kann im Rahmen der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung nicht ausschließlich das jeweilige Erkrankungsrisiko rein mathematisch gegenüber gestellt und ziffernmäßig abgewogen werden. Die nummerischen Verursachungsbeiträge durch Chrom einerseits und Nikotinkonsum andererseits hätten bereits auf der ersten (rein tatsächlichen) Prüfungsstufe festgestellt und abgewogen werden müssen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat die Chrom-VI-Einwirkung die Lungenkrebserkrankung auch auf der sog zweiten, rein rechtlichen Stufe der Kausalitätsprüfung rechtlich wesentlich verursacht.

23

Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden (grundlegend BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31 RdNr 12). Die Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist eine reine Rechtsfrage, die sich nach dem Schutzzweck der Norm beantwortet (grundlegend P. Becker, MedSach 2007, 92; Spellbrink, MedSach 2017, 51, 55). Die rechtliche Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 23). Das BSG hat dabei schon immer betont, dass bei dieser Prüfung "wesentlich" nicht gleichzusetzen ist mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat (BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 22). Folglich war in den seit längerer Zeit problematisierten Fällen der durch mehrere Ursachen (kumulativ oder additiv) verursachten Krebserkrankungen (sog Synkanzerogenese) schon immer diskutiert worden, dass auch (teil-)wesentliche Ursachen eine Entschädigungspflicht auslösen können, wenn auf der ersten Stufe der notwendige naturwissenschaftlich-philosophische Zusammenhang gesichert ist (vgl P. Becker, MedSach 2005, 115 und zuletzt P. Becker, ZblArbeitsmed 2015, 301; Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 365). So liegen die Verhältnisse hier.

24

Die versicherungsrechtliche Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers setzt voraus, dass die Rechtsgutsverletzung des Versicherten in den jeweiligen Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Für Schäden, die außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegen, muss der jeweils zuständige Unfallversicherungsträger nicht einstehen. Entscheidend ist mithin, ob der begründete Versicherungsschutz den Sinn und Zweck hat, gegen Schäden der konkret eingetretenen Art zu schützen. Die kausal auf den versicherten Chromateinwirkungen beruhende Lungenkrebserkrankung des Versicherten ist vom Schutzzweck der BK Nr 1103 umfasst. Die gesetzliche Unfallversicherung soll im Rahmen der BK Nr 1103 vor Erkrankungen, insbesondere vor Bronchialkarzinomen, durch betriebliche Chromatbelastungen schützen und im Falle des Eintritts einer solchen Erkrankung Leistungen gewähren. Der Verordnungsgeber hat dabei gerade keinen Schwellenwert festgeschrieben, der überschritten sein muss, damit die BK Nr 1103 festgestellt werden kann. Mithin zeigt bereits die Normformulierung der BK Nr 1103, dass Chrom und seine Verbindungen vom Verordnungsgeber auch niedrigschwellig als gefährlich eingestuft werden, was durch die oben (unter 3.a) referierten Forschungsbefunde eindrucksvoll belegt wird. Schutzzweck des Versicherungstatbestandes der BK Nr 1103 ist gerade die Gewährung von Versicherungsschutz bei Erkrankungen, die durch die als grundsätzlich gefährdend eingestuften Einwirkungen von Chrom und seinen Verbindungen hervorgerufen werden. Auch angesichts des Gefahrenpotentials dieses Stoffes hat der Verordnungsgeber den Wortlaut der BK Nr 1103 denkbar weit gefasst und die Anerkennung dieser BK gerade nicht von der Erreichung bestimmter Grenzwerte abhängig machen wollen. Damit ist eine Anerkennung der BK Nr 1103 auch nicht von vorneherein nur Nichtrauchern vorbehalten. Grund für die Einführung dieses BK-Tatbestandes war allein die Erkenntnis, dass sich durch metallische Chrome oder andere Verbindungen des Chroms gesundheitliche Schädigungen einstellen können (vgl BR-Drucks 194/1/52, S 2).

25

Die Wesentlichkeit der vom LSG festgestellten (Mit-)Ursache ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil nach seinen Feststellungen als Mitursache neben die Einwirkung durch Chromat die unversicherte Einwirkung des Nikotinkonsums des Verletzten mit einer Dosis von 30 Packungsjahren trat. Denn die Einwirkung durch den Nikotinkonsum hat unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der BK Nr 1103 das Erkrankungsgeschehen rechtlich nicht derart geprägt, dass die Erkrankung nicht mehr dem Schutzbereich des Versicherungstatbestandes unterfällt. Es besteht zwar kein Automatismus dergestalt, dass die Bejahung des naturwissenschaftlichen Kausalitätszusammenhangs zwischen Einwirkung und Erkrankung auch die rechtliche Wesentlichkeit der Ursache zur Folge hätte. Für BKen, die "harte Kriterien" enthalten, wie die BK Nr 4104, die die Einwirkung einer berufsbedingten Asbestfaserstaub-Dosis von 25 Faserjahren verlangt, hat der Senat allerdings entschieden, dass bereits bei Nachweis dieser in der Norm selbst genannten Einwirkungsgröße eine Tatsachenvermutung für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und der Einwirkung von Asbest besteht (vgl BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 24 ff). Diese Vermutung kann widerlegt werden, indem beispielsweise gezeigt wird, dass wegen der Art oder der Lokalisation des Tumors, wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung oder aufgrund sonstiger Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Belastung nicht wahrscheinlich ist, nicht jedoch schon dadurch, dass der Versicherte auch außerberuflich Schadstoffeinwirkungen - wie langjähriges Zigarettenrauchen - ausgesetzt war, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet sind, ebenfalls an dem befallenen Organ eine Krebserkrankung zu verursachen. Andernfalls bliebe angesichts vielfältiger, in ihren Wirkungen und Wechselwirkungen nur teilweise bekannter und erforschter gesundheitsschädlicher Umwelteinflüsse, denen jeder in seinem persönlichen Umfeld in mehr oder weniger großem Umfang ausgesetzt ist, die vom Verordnungsgeber aufgestellte Vermutung weitgehend bedeutungslos (so BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 27).

26

Anders als die BK Nr 4104 enthält der Tatbestand der BK Nr 1103 zwar keinen Grenzwert, ab dem ein Ursachenzusammenhang zwischen Chromateinwirkung und Erkrankung vermutet wird. Der Verordnungsgeber hat im Text der BK Nr 1103 die Wirkungsbeziehung "Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen" für entschädigungswürdig gehalten und keinen Ausschluss von Erkrankungen, die auch durch außerberufliche Einwirkungen verursacht werden können, vorgesehen. Wenn - wie vorliegend - ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung festgestellt wurde, kann die rechtliche Wesentlichkeit dieser Einwirkung nicht bereits deshalb verneint werden, weil eine andere, außerberufliche Einwirkung ebenfalls geeignet ist, die Erkrankung des Versicherten hervorzurufen. Denn dies würde die vom Gesetzgeber mit der Aufnahme einer Einwirkung in die BKV getroffene Wertentscheidung unterlaufen, dass die Beteiligten von deren generellen Eignung zur Verursachung bestimmter Erkrankungen und von deren Entschädigungswürdigkeit auszugehen haben (vgl Koch in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, Unfallversicherungsrecht, 1996, § 36 RdNr 6). Das in BK Nr 1103 vorausgesetzte hohe Gefährdungspotential, das der Verordnungsgeber Chrom-VI zuschreibt, bliebe unberücksichtigt, wenn allein die abstrakte Möglichkeit, dass die Erkrankung durch eine andere (außerberufliche) Einwirkung verursacht wurde, und das Hinzutreten weiterer - statistisch gefährlicherer - Einwirkungen die Wesentlichkeit ausschließen könnte. Auch würde die Normierung eines BKen-Tatbestandes wie der BK Nr 1103 weitgehend bedeutungslos, insbesondere weil Krebserkrankungen regelmäßig multifaktorielle Geschehensabläufe zugrunde liegen, deren Ursachen teils im beruflichen, teils im außerberuflichen Bereich liegen, ohne dass insofern eine wissenschaftlich begründete exakte Bezifferung der jeweiligen Verursachungsbeiträge möglich ist (grundlegend Hallier, Synkanzerogenese aus medizinischer Sicht, in DGUV , Erfahrungen mit der Anwendung von § 9 Abs 2 SGB VII<6. Erfahrungsbericht, 2013, S 72 ff>). Insofern erscheint es bei multifaktorieller Verursachung von Erkrankungen - wie vorliegend - auch nicht möglich, im Rahmen der Wesentlichkeitsprüfung einen Schwellenwert - wie etwa das sog Krasneysche Drittel - zu definieren (hierzu Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 365), den der Verursachungsbeitrag eines isoliert betrachteten Stoffes in jedem Falle überschritten haben müsste, um auch als rechtlich wesentlich betrachtet werden zu können (vgl hierzu auch Bultmann, ASR 2016,140,148).

27

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung wird der Versicherte vielmehr in dem gesundheitlichen Zustand geschützt, in dem er mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert wird. Wenn - wie vorliegend - ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung festgestellt wurde, kann die rechtliche Wesentlichkeit dieser Einwirkung mithin nicht bereits deshalb verneint werden, weil eine außerberufliche Einwirkung ebenfalls geeignet war, die Erkrankung des Versicherten hervorzurufen. Zudem würde die Rechtsauffassung des LSG, die Ermittlung der Wesentlichkeit sei anhand einer rein statistischen Gegenüberstellung vorzunehmen, im Ergebnis alle Raucher von Entschädigungsleistungen der Unfallversicherung ausschließen und damit dem Prinzip der gesetzlichen Unfallversicherung widersprechen, die grundsätzlich Versicherungsschutz auch bei bestehenden sonstigen gesundheitlichen Risiken bietet (vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 19).

28

Der Rechtsstreit war gemäß § 170 Abs 2 S 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen. Für eine abschließende Entscheidung durch den Senat darüber, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe ein Anspruch auf eine Verletztenrente nach § 56 SGB VII besteht, reichen die vom LSG getroffenen Feststellungen nicht aus. Dies richtet sich gemäß § 56 Abs 2 S 1 SGB VII ua nach dem Umfang der MdE. Zur MdE hat das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - keine Feststellungen getroffen. Diese hat es nach Zurückverweisung nachzuholen und über den Anspruch auf Verletztenrente unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zum Vorliegen einer BK Nr 1103 zu entscheiden (§ 170 Abs 5 SGG). Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls, um die Dauer unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit und um die Gewährung von Verletztenrente.
Der 19... geborene, seit Januar 20... als Kundenberater eines Versicherungsunternehmens beschäftigte Kläger erlitt am 17.09.2014 einen Arbeitsunfall: Auf dem Rückweg von einem Kunden und der Fahrt zu einem weiteren Kunden musste er an einer Ampel verkehrsbedingt anhalten, als ein anderes Fahrzeug von hinten auf seinen Pkw auffuhr. Am Unfallfolgetag suchte der Kläger den Orthopäden Dr. H. auf und klagte über Schmerzen im Nacken und Rücken und ein Ziehen im rechten Bein. Dr. H. erhob einen Muskelhartspann, Kopfschmerzen, eine schmerzhafte Beweglichkeit der Halswirbelsäule, Lumboischialgie-Schmerzen rechts und eine Stauchung von Wirbelsäule und des Beckens. Die Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule in zwei Ebenen belegte eine Steilstellung ohne Fraktur- oder Instabilitätszeichen. Dr. H. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen Kopfschmerzen, Muskelhärte und eine HWS-Distorsion. Die Erstversorgung erfolgte mittels Zervikalstütze und Medikamenten gegen Muskelverspannungen und Schmerzen (vgl. H-Arzt-Bericht vom 18.09.2014). Am 14.10.2014 begab sich der Kläger in Behandlung der HNO-Ärztin Dr. M.. Diese diagnostizierte einen beidseitigen Tinnitus und Schwindel und äußerte den Verdacht auf eine Contusio labyrinthi. Der von ihr erhobene Ohrenbefund war beidseits „o.B.“ (vgl. HNO-Arztbericht vom 14.10.2014). In ihrer Auskunft vom 10.11.2014 teilte Dr. M. der Beklagten mit, der Kläger berichte seit dem Unfallereignis u.a. über ein beidseitiges Ohrensausen und Pfeifen, links etwas stärker ausgeprägt als rechts; er empfinde die Ohrgeräusche als sehr störend (Schlafstörungen). Aktuell finde insoweit keine Therapie ihrerseits mehr statt. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund des Tinnitusleidens bewertete Dr. M. mit 10 v.H..
Im Rahmen der weiteren Sachaufklärung zog die Beklagte Behandlungsunterlagen der HNO-Klinik des S. Klinikums K-Stadt (Behandlung dort wegen Neuropathia vestibularis links im Juli 2009), das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK K-Stadt (u.a. Behandlung wegen Tinnitus aurium im April 2014) sowie das von Dr. M. am 12.12.2014 erstellte Ton- und Sprachaudiogramm bei. Außerdem holte sie Befundberichte des Neurologen Dr. R. und des Dr. H. ein. Ein von diesem veranlasstes MRT des Neurocraniums ergab keinen krankhaften Befund (vgl. Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015). Zur Feststellung von Art und Ausmaß der Unfallfolgen ließ die Beklagte den Kläger sodann durch den HNO-Arzt Dr. G. und den Orthopäden Dr. C. untersuchen und begutachten.
Dr. G. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen eine Hochtoninnenohrschwerhörigkeit beidseits bei ton- und sprachaudiometrisch nachgewiesener Normalhörigkeit und einen chronischen Tinnitus mit psychovegetativen Begleiterscheinungen. Das Unfallereignis vom September 2014 sei mit Wahrscheinlichkeit Ursache oder wesentliche Teilursache des Tinnitusleidens. Die unfallbedingte MdE hierfür bewertete Dr. G. mit 10 v.H. .
Bei der Untersuchung und Begutachtung durch Dr. C. gelang die Rotation der Halswirbelsäule beidseits bis 60° und die Seitneigung bis jeweils 40°. Die Vor- und Rückbeugung des Kopfes konnte der Kläger bis zu einem Kinn-Brustbein-Abstand von 0/17 cm verrichten. Bei der Rumpfbeuge nach vorn verblieb ein Finger-Boden-Abstand von 13 cm. Dr. C. erhob ein Ott’sches-Zeichen von 30/31,5 cm und ein Schober’sches-Zeichen von 10/14,5 cm. Das Nervendehnungszeichen nach Lasègue war beidseits negativ. Die Nachbefundung der von Dr. H. am 18.09.2014 angefertigten Röntgenbilder der Halswirbelsäule ergab eine Steilstellung ohne knöchernen Verletzungsbefund und ohne Hinweise auf eine ventrale oder dorsale Instabilität. Auch bei der Nachbefundung von Röntgenbildern der Lendenwirbelsäule objektivierte Dr. C. einen im Wesentlichen unauffälligen Befund und diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein myalgisches HWS-Syndrom und rezidivierende Lumbalgien mit lumbalen und/oder thorakalen Blockierungen, jeweils ohne sensomotorische Ausfälle der Extremitäten und ohne relevante Funktionseinschränkung. Durch das Unfallereignis habe der Kläger eine Distorsion I. Grades der Hals- und wahrscheinlich auch der Lendenwirbelsäule erlitten. Die geklagten Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule ließen sich jedoch nicht mehr mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen, weil keine substantiellen Schäden zu objektivieren seien, die eine derart lange Beschwerdedauer plausibel erklären könnten. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe längstens bis zum 09.11.2014 bestanden. Eine messbare MdE auf seinem Fachgebiet sei nicht verblieben.
Gestützt auf diese Gutachten und eine beratungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. J. anerkannte die Beklagte das Unfallereignis als Arbeitsunfall und als dessen Folge
„Folgenlos ausgeheilte Distorsion der Hals- und Lendenwirbelsäule.“
Keine Folgen des Arbeitsunfalls, und zwar weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung, seien eine Hochton-Innenohrschwerhörigkeit beidseits und ein chronischer Tinnitus des linken Ohres mit psychovegetativen Begleiterscheinungen: Der Unfallhergang sei nicht geeignet gewesen, diese Gesundheitsstörungen zu bewirken. Für die Anerkennung eines traumatischen Tinnitus als Unfallfolge sei schon ein geeigneter Gesundheitserstschaden nicht erwiesen. Allein ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem Tinnitus und einem Arbeitsunfallereignis begründe keinen ursächlichen Zusammenhang. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe bis zum 09.11.2014 bestanden. Anspruch auf Verletztenrente habe der Kläger nicht, weil seine Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert sei (Bescheid vom 22.09.2015).
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, die Unfallfolgen im Bereich der Wirbelsäule seien nicht folgenlos ausgeheilt. Zu Unrecht habe die Beklagte auch die Anerkennung seines Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen und die chronischen Schwindelanfällen als Unfallfolgen versagt. Seit Ende März 2015 befinde er sich in psychotherapeutischer Behandlung. Außerdem habe er wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden eine stationäre Schmerztherapie durchgeführt. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten daher über dem 09.11.2014 hinaus bestanden. Zu Unrecht habe die Beklagte weiter einen Anspruch auf Verletztenrente versagt. Zur Stützung seines Widerspruchsbegehrens legte der Kläger das Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vor.
10 
Die Beklagte veranlasste weitere Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers durch den HNO-Arzt Dr. Z. und den Orthopäden Prof. Dr. Sch.:
11 
Dr. Z. gegenüber gab der Kläger u.a. an, der Unfall sei „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Er sei danach aus seinem Fahrzeug gestiegen und habe mit dem Unfallverursacher „das Ganze geregelt“. Danach habe er noch einen weiteren Kundentermin wahrgenommen. In Auswertung der von ihm erhobenen Befunde und unter Einbeziehung des vom Kläger überreichten Attestes des Allgemeinmediziners Dr. W. führte Dr. Z. zusammenfassend aus, durch den Arbeitsunfall sei es nicht mit Wahrscheinlichkeit zu einem wesentlichen unfallbedingten Innenohrgeschehen gekommen. Bereits im November 2011 habe Dr. W. den Kläger wegen einer Hörstörung und Schwindel behandelt. Im Juli 2013 habe der Kläger diesem gegenüber einen durch Stress vermehrten Tinnitus angegeben; Dr. W. habe den Kläger außerdem im April 2014 wegen verstärkter Ohrgeräusche erneut behandelt. Damit habe bereits vor dem Arbeitsunfallereignis eine Tinnitussymptomatik vorgelegen. Weiter erfordere ein traumatischer Tinnitus den Nachweis anderer objektivierbarer Störungen des Innenohrs. Solche seien indes nicht nachzuweisen. Denn die vestibuläre Gleichgewichtsdiagnostik habe einen Normalbefund ergeben; das Hörvermögen des Klägers sei nicht altersübersteigernd gemindert. Auf seinem Fachgebiet lägen mithin keine Unfallfolgen vor. Das Unfallereignis habe auch nicht zu einer Verschlimmerung vorbestehender Gesundheitsstörungen geführt.
12 
Prof. Dr. Sch. legte zusammenfassend dar, er habe keine Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und keine neurologische Defizite objektiviert. Beschwerden bestünden allein bei endgradigen Rotations- und Inklinationsbewegungen. Unmittelbare Unfallfolgen seien eine HWS-Distorsion Grad I und eine Prellung der Lendenwirbelsäule. Beide Gesundheitsstörungen heilten nach ärztlichen Erfahrungen innerhalb von vier bis sechs Wochen folgenlos aus. Symptome wie überdauernder Schwindel, Tinnitus und Schlaf- oder Konzentrationsstörungen seien für eine HWS-Distorsion Grad I untypisch. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit auf seinem Fachgebiet habe für etwa eine Woche vorgelegen, Behandlungsbedürftigkeit bis allenfalls sechs Wochen nach dem Unfallereignis. Darauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.09.2016).
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Deswegen hat der Kläger am 26.10.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er unter Wiederholung seines Widerspruchsvorbringens sein Begehren weiterverfolgt.
14 
Mit Schriftsatz vom 19.01.2017 hat der Kläger beantragt, gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf sein Kostenrisiko ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. P., K-Stadt, einzuholen. Mit Verfügung vom 23.01.2017 hat die Kammer dem Kläger über seine Prozessbevollmächtigten die Auflagen erteilt, bis zum 17.02.2017 einen näher bezeichneten Kostenvorschuss einzuzahlen, eine von ihm unterschriebene Kostenverpflichtungserklärung zurückzusenden und durch geeignete Unterlagen die Bereitschaft der als Sachverständige benannten Ärztin nachzuweisen, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtenauftrags zu erstellen und vorzulegen. Innerhalb der Frist hat der Kläger zwar den Kostenvorschuss einbezahlt und die Kostenverpflichtungserklärung vorgelegt, nicht jedoch die Bereitschaftsanzeige von Prof. Dr. P..
15 
Der Kläger beantragt,
16 
den Bescheid vom 22. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, „Distorsion der Hals- und Lendenwirbelsäule mit Schwindelattacken, chronischer Tinnitus mit psychovegetativen Begleiterscheinungen, Somatisierungsstörungen, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen“ als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. September 2014, außerdem unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit über den 09. November 2014 hinaus anzuerkennen und ihm wegen der Unfallfolgen Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. der Vollrente zu gewähren,
17 
hilfsweise gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. P., K-Stadt, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.
18 
Die Beklagte beantragt,
19 
die Klage abzuweisen.
20 
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
21 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 und § 56 SGG zulässig (zum Wahlrecht eines Unfallversicherten, den Anspruch auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen: BSG SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Rdnr. 12 m.W. N.) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Weder sind weitere Gesundheitsstörungen als Folge des streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignisses anzuerkennen (dazu nachfolgend unter 3.) noch war der Kläger über den 09.11.2014 hinaus unfallbedingt arbeitsunfähig und/oder behandlungsbedürftig (dazu nachfolgend unter 4.). Er hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls auch keinen Anspruch auf Verletztenrente (dazu nachfolgend unter 5).
23 
1. Dass der Kläger am 17.09.2014 auf einem sogenannten Betriebsweg (vgl. hierzu BSG vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 20 m.W. N. und Wagner in jurisPK-SGB VII, Stand 30.06.2016, § 8, Rdnr. 78 m.W. N.) bei seiner versicherten Tätigkeit als Kundenberater (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung -) einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 22.09.2015 ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht nicht umstritten.
24 
2. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften des SGB VII und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch Anspruch auf Heilbehandlung, einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 27 ff SGB VII) sowie auf Geldleistungen u.a. in Form von Verletztenrente (§ 56 SGB VII). Die Gewährung von Verletztenrente setzt voraus, dass die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII).
25 
a) Dies setzt voraus, dass Schäden, die zu einer Erwerbsminderung geführt haben, „infolge“ Versicherungsfalls entstanden sind. Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen deshalb (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).
26 
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
27 
b) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rdnrn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSGE 1, 72, 76).
28 
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (B 2 U 1/05 R <= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17> und B 2 U 26/04 R<= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff>) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:
29 
Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen „Erfolg“ rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als „wesentlich“ anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache „der Erfolg“ eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245 und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht „wesentlich“ und damit keine Ursache i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet werden (vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 und BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860 ff).
30 
3. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.
31 
3.1. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 17.09.2014 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Dres. Z. und C. und des Prof. Dr. Sch., deren Gutachten sie im Wege des Urkundenbeweises (vgl. BSG vom 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87 -, Rdnr. 17 und LSG Baden-Württemberg vom 25.08.2016 - L 6 VG 3508/12, Rdnr. 61 ) verwertet, hinsichtlich der erhobenen Befunde auf HNO-fachärztlichem Gebiet ferner auf das ebenfalls urkundenbeweislich verwertete Gutachten von Dr. G. und das Attest des Allgemeinmediziners Dr. W. vom 15.12.2015.
32 
a) Auf orthopädischem Fachgebiet hat das Unfallereignis mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließt, eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der Halswirbelsäule I. Grades und eine allenfalls leichte Prellung der Lendenwirbelsäule bewirkt. Dies belegen bereits die von Dr. H. am Unfallfolgetag erhobenen Befunde im Sinne eines Muskelhartspanns, von Kopfschmerzen, einer schmerzhaften Beweglichkeit der Halswirbelsäule und von Schmerzen im Lendenwirbelsäulen- und Beckenbereich. Die an diesem Tag erhobenen Röntgenbefunde ergaben keinen Hinweis auf strukturelle Unfallschäden, insbesondere keine Frakturzeichen oder Instabilitäten. Eine unfallbedingte Dissektion (= Verletzung) der Halsgefäße hat Dr. R. bei der Untersuchung am 08.12.2014 ebenfalls ausgeschlossen. Auch das Kernspintomogramm des Neurocraniums war unauffällig und ohne Hinweis auf einen raumfordernden, entzündlichen oder ischämischen Prozess oder sonstige krankhafte Veränderungen, wie sich aus dem Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015 ergibt. Überdauernde Funktionseinschränkungen der Hals-, Brust- oder Lendenwirbelsäule haben oder substantielle Wirbelsäulenschäden Dr. C. und Prof. Dr Sch. nicht objektiviert. Vielmehr lagen die von ihnen erhobenen Bewegungsausmaße in allen Wirbelsäulenabschnitten innerhalb der physiologischen Normwerte und bestanden auch keine neurologischen Defizite der oberen und/oder unteren Extremitäten. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer auch insoweit anschließt, waren die HWS-Distorsion und die Prellung der Lendenwirbelsäule nach allgemeinen ärztlichen Erfahrungen nach vier bis längstens sechs Wochen folgenlos ausgeheilt.
33 
b) Gesundheitsstörungen auf HNO-fachärztlichem Gebiet in Form eines chronischen Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen (Somatisierungsstörungen, Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen) sind ebenfalls nicht als weitere Unfallfolgen anzuerkennen. Denn der Tinnitus ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Ereignis vom 17.09.2014 zurückzuführen. Insoweit fehlt es bereits am Nachweis eines unfallbedingten Gesundheitserstschadens. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. hat der Kläger - wie oben unter 3.1. a) bereits ausgeführt, unfallbedingt eine HWS-Distorsion Grad I erlitten. Diese Gesundheitsstörung geht nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. Sch. anfangs zwar mit Schmerzen der Halsmuskulatur und gegebenenfalls begleitenden Bewegungseinschränkungen einher, wobei zumeist ein symptomfreies Intervall auftritt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 480 ff). Symptome wie persistierender Schwindel, Tinnitus, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen sind hierfür indes mit Prof. Dr. Sch. untypisch.
34 
Gegen die Wahrscheinlichkeit eines unfallbedingten Tinnitus und daraus resultierenden unfallbedingten psychovegetativen Begleitschäden spricht mit Dr. Z. außerdem der Umstand, dass der Kläger bereits zeitlich deutlich vor dem Unfallereignis am 17.09.2014, nämlich schon im November 2011, bei Dr. W. u.a. wegen Schwindelerscheinungen und im Juni 2013 und erneut im April 2014 auch wegen Tinnitusbeschwerden in Behandlung stand. Als Ursache der Tinnitusbeschwerden gab der Kläger Dr. W. gegenüber seinerzeit „Stress“ an, wie sich aus dessen Attest vom 15.12.2015 ergibt. Diese Umstände belegen, dass die Tinnitus-Symptomatik mit Schwindelerscheinungen schon vor dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall bestand.
35 
Überdies setzt ein traumatischer Tinnitus nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Dr. Z. voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu u.a. LSG Baden-Württemberg vom 28.01.2011 - L 8 U 1205/10 -, Rdnr. 27, LSG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2014 - L 3 U 57/11 -, Rdnr. 29 f. und LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2015 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 f. ; ferner Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 7. Aufl. 2012, S. 361, 364 und 370). Dies entspricht auch den Erfahrungen des erkennenden Gerichts aus vergleichbaren Unfallversicherungsrechtstreitigkeiten (vgl. zuletzt Urteil vom 24.02.2017 - S 1 U 175/15 - ). Bei der Untersuchung durch die HNO-Ärztin Dr. M. am 14.10.2014, mithin zeitnah nach dem Unfallereignis, war der Befund an beiden Ohren indes normal („o.B.“). Auch die Dres. G. und Z. konnten bei ihren Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers keine unfallbedingte Schädigung des Innenohrs objektivieren: Weder fand sich eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, noch ergab die Gleichgewichtsdiagnostik einen krankhaften Befund. Insbesondere die von beiden Ärzten durchgeführten ton- und sprachaudiometrischen Untersuchungen des Hörvermögens erbrachten keinen messbaren Hörverlust.
36 
Typisch für ein traumatisches Tinnitusleiden ist außerdem dessen Ansiedlung im tief- bis mittelfrequenten Bereich (vgl. hierzu LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2005 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 und Urteil des erkennenden Gerichts vom 19.10.2015 - S 1 U 3219/14 - ). Das linksseitige Ohrgeräusch des Klägers ist indes nach den übereinstimmenden Darlegungen der Dres. G. und Z. bei 4 kHz, mithin im Hochtonbereich, zu lokalisieren.
37 
Weiter entspricht es medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand, dass zwar nach einer - hier nicht nachgewiesenen - commotio labyrinthi ein Innenohrschaden im Sinne einer Hochtonsenke mit Begleittinnitus auftreten kann. Auch in diesem Fall ist jedoch ein alleiniger Tinnitus ohne gleichzeitigen Hörverlust nicht erklärbar. Letzteres gilt erst recht bei einem HWS-Beschleunigungstrauma, weil keine neuroanatomischen Verbindungen zwischen der Halswirbelsäule, insbesondere den Kapseln der Kopfgelenke, und den Cochleariskernen existieren bzw. nur schwer nachzuweisen sind (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 370 m.W. N.).
38 
Soweit Dr. G. gleichwohl das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit als Ursache oder zumindest als Teilursache des Tinnitusleidens des Klägers erachtet, folgt ihm das erkennende Gericht aus den vorgenannten Gründen nicht. Ein - angesichts der Vorbehandlungen bei Dr. W. ohnedies nicht gegebener - rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem versicherten Unfallereignis und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen reicht nämlich nicht aus, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Rechtssinn zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - Rdnr. 20 und - im Ergebnis - BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; ferner Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 6 U 142/11 -, Rdnr. 41 und Bay. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 ).
39 
Das Unfallereignis vom 17.09.2014 hat auch nicht zu einer Verschlimmerung des vorbestehenden Tinnitus geführt, weil eine unfallbedingte Verschlimmerung ebenfalls mit einer nachweisbaren akuten Hörminderung hätte einhergehen müssen, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Eine unfallbedingte Hörminderung ist indes weder durch die Arztbriefe und Berichte der HNO-Ärztin Dr. M. noch durch die von den Dres. G. und Z. erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen belegt. Im Übrigen ließe sich eine Verschlimmerung eines vorbestehenden Tinnitus audiometrisch auch nicht messen (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 371).
40 
c) Die vom Kläger geltend gemachten psychischen Begleiterscheinungen sind auch im Übrigen nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfallereignisses vom 17.09.2014. Denn dieses war zur Überzeugung der Kammer schon dem Grunde nach nicht geeignet, entsprechende Gesundheitsstörungen zu bewirken. Dagegen sprechen bereits die eigenen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Z.: Danach war das Unfallereignis „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Auch das situationsgerechte Verhalten des Klägers an der Unfallstelle (Aussteigen aus dem Pkw, um mit dem Unfallverursacher „das Ganze“ zu regeln) und das Aufsuchen eines weiteren Kunden nach Beendigung der Unfallformalitäten spricht sehr deutlich gegen ein gravierendes traumatisches Ereignis. Eine posttraumatische Belastungsstörung hat - entgegen dem Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vom 23.09.2015 - zu keinem Zeitpunkt vorgelegen, weil Art und Ausmaß des Unfallereignisses nicht das Traumakriterium im Sinne der ICD 10, des DSM-4 oder DSM-5 (belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde) erfüllten. Überdies waren die neurologischen, neuropsychologischen und psychischen Untersuchungsbefunde bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. R. am 08.12.2014, und damit zeitnah nach dem Unfallereignis, nahezu unauffällig. Der von Dr. R. damals geäußerte „Verdacht auf Belastungsreaktion“ stellt keinen Nachweis einer solchen Gesundheitsstörung dar und begründet insbesondere nicht die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis.
41 
Vor diesem Hintergrund hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzuerkennen.
42 
3.2. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. ist die Kammer weiter davon überzeugt, dass unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 09.11.2014 vorgelegen haben. Denn eine HWS-Distorsion I. Grades heilt nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen innerhalb einer Zeitspanne von vier bis längstens sechs Wochen folgenlos aus, wie Prof. Dr. Sch. zutreffend dargelegt hat (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 489). Auf HNO-fachärztlichem Gebiet hat mangels Nachweises unfallbedingter Gesundheitsstörungen zu keinem Zeitpunkt eine Behandlungsbedürftigkeit bestanden, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend ausgeführt hat.
43 
3.3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Denn abgeheilte Unfallfolgen verursachen ersichtlich keine messbare MdE. Dies bedarf keiner weiteren Begründung.
44 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
45 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei der HNO-Ärztin Prof. Dr. P., K-Stadt, war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 23.01.2017 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 17.02.2017 nicht vollständig erfüllt.
46 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG Karlsruhe vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.W. N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes „ … insbesondere …“ ergibt (vgl. Urteile des erkennenden Gerichts vom 23.03.2017 - S 1 SB 2687/16 -, Rn. 40 und vom 20.04.2017 - S 1 U 2039/16 -).
47 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Prof. Dr. P. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 23.01.2017 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung der benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck textlich noch hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.04.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
48 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

Gründe

 
22 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 und § 56 SGG zulässig (zum Wahlrecht eines Unfallversicherten, den Anspruch auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen: BSG SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Rdnr. 12 m.W. N.) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Weder sind weitere Gesundheitsstörungen als Folge des streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignisses anzuerkennen (dazu nachfolgend unter 3.) noch war der Kläger über den 09.11.2014 hinaus unfallbedingt arbeitsunfähig und/oder behandlungsbedürftig (dazu nachfolgend unter 4.). Er hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls auch keinen Anspruch auf Verletztenrente (dazu nachfolgend unter 5).
23 
1. Dass der Kläger am 17.09.2014 auf einem sogenannten Betriebsweg (vgl. hierzu BSG vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 20 m.W. N. und Wagner in jurisPK-SGB VII, Stand 30.06.2016, § 8, Rdnr. 78 m.W. N.) bei seiner versicherten Tätigkeit als Kundenberater (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung -) einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 22.09.2015 ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht nicht umstritten.
24 
2. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften des SGB VII und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch Anspruch auf Heilbehandlung, einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 27 ff SGB VII) sowie auf Geldleistungen u.a. in Form von Verletztenrente (§ 56 SGB VII). Die Gewährung von Verletztenrente setzt voraus, dass die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII).
25 
a) Dies setzt voraus, dass Schäden, die zu einer Erwerbsminderung geführt haben, „infolge“ Versicherungsfalls entstanden sind. Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen deshalb (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).
26 
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
27 
b) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rdnrn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSGE 1, 72, 76).
28 
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (B 2 U 1/05 R <= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17> und B 2 U 26/04 R<= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff>) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:
29 
Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen „Erfolg“ rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als „wesentlich“ anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache „der Erfolg“ eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245 und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht „wesentlich“ und damit keine Ursache i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet werden (vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 und BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860 ff).
30 
3. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.
31 
3.1. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 17.09.2014 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Dres. Z. und C. und des Prof. Dr. Sch., deren Gutachten sie im Wege des Urkundenbeweises (vgl. BSG vom 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87 -, Rdnr. 17 und LSG Baden-Württemberg vom 25.08.2016 - L 6 VG 3508/12, Rdnr. 61 ) verwertet, hinsichtlich der erhobenen Befunde auf HNO-fachärztlichem Gebiet ferner auf das ebenfalls urkundenbeweislich verwertete Gutachten von Dr. G. und das Attest des Allgemeinmediziners Dr. W. vom 15.12.2015.
32 
a) Auf orthopädischem Fachgebiet hat das Unfallereignis mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließt, eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der Halswirbelsäule I. Grades und eine allenfalls leichte Prellung der Lendenwirbelsäule bewirkt. Dies belegen bereits die von Dr. H. am Unfallfolgetag erhobenen Befunde im Sinne eines Muskelhartspanns, von Kopfschmerzen, einer schmerzhaften Beweglichkeit der Halswirbelsäule und von Schmerzen im Lendenwirbelsäulen- und Beckenbereich. Die an diesem Tag erhobenen Röntgenbefunde ergaben keinen Hinweis auf strukturelle Unfallschäden, insbesondere keine Frakturzeichen oder Instabilitäten. Eine unfallbedingte Dissektion (= Verletzung) der Halsgefäße hat Dr. R. bei der Untersuchung am 08.12.2014 ebenfalls ausgeschlossen. Auch das Kernspintomogramm des Neurocraniums war unauffällig und ohne Hinweis auf einen raumfordernden, entzündlichen oder ischämischen Prozess oder sonstige krankhafte Veränderungen, wie sich aus dem Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015 ergibt. Überdauernde Funktionseinschränkungen der Hals-, Brust- oder Lendenwirbelsäule haben oder substantielle Wirbelsäulenschäden Dr. C. und Prof. Dr Sch. nicht objektiviert. Vielmehr lagen die von ihnen erhobenen Bewegungsausmaße in allen Wirbelsäulenabschnitten innerhalb der physiologischen Normwerte und bestanden auch keine neurologischen Defizite der oberen und/oder unteren Extremitäten. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer auch insoweit anschließt, waren die HWS-Distorsion und die Prellung der Lendenwirbelsäule nach allgemeinen ärztlichen Erfahrungen nach vier bis längstens sechs Wochen folgenlos ausgeheilt.
33 
b) Gesundheitsstörungen auf HNO-fachärztlichem Gebiet in Form eines chronischen Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen (Somatisierungsstörungen, Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen) sind ebenfalls nicht als weitere Unfallfolgen anzuerkennen. Denn der Tinnitus ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Ereignis vom 17.09.2014 zurückzuführen. Insoweit fehlt es bereits am Nachweis eines unfallbedingten Gesundheitserstschadens. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. hat der Kläger - wie oben unter 3.1. a) bereits ausgeführt, unfallbedingt eine HWS-Distorsion Grad I erlitten. Diese Gesundheitsstörung geht nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. Sch. anfangs zwar mit Schmerzen der Halsmuskulatur und gegebenenfalls begleitenden Bewegungseinschränkungen einher, wobei zumeist ein symptomfreies Intervall auftritt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 480 ff). Symptome wie persistierender Schwindel, Tinnitus, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen sind hierfür indes mit Prof. Dr. Sch. untypisch.
34 
Gegen die Wahrscheinlichkeit eines unfallbedingten Tinnitus und daraus resultierenden unfallbedingten psychovegetativen Begleitschäden spricht mit Dr. Z. außerdem der Umstand, dass der Kläger bereits zeitlich deutlich vor dem Unfallereignis am 17.09.2014, nämlich schon im November 2011, bei Dr. W. u.a. wegen Schwindelerscheinungen und im Juni 2013 und erneut im April 2014 auch wegen Tinnitusbeschwerden in Behandlung stand. Als Ursache der Tinnitusbeschwerden gab der Kläger Dr. W. gegenüber seinerzeit „Stress“ an, wie sich aus dessen Attest vom 15.12.2015 ergibt. Diese Umstände belegen, dass die Tinnitus-Symptomatik mit Schwindelerscheinungen schon vor dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall bestand.
35 
Überdies setzt ein traumatischer Tinnitus nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Dr. Z. voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu u.a. LSG Baden-Württemberg vom 28.01.2011 - L 8 U 1205/10 -, Rdnr. 27, LSG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2014 - L 3 U 57/11 -, Rdnr. 29 f. und LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2015 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 f. ; ferner Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 7. Aufl. 2012, S. 361, 364 und 370). Dies entspricht auch den Erfahrungen des erkennenden Gerichts aus vergleichbaren Unfallversicherungsrechtstreitigkeiten (vgl. zuletzt Urteil vom 24.02.2017 - S 1 U 175/15 - ). Bei der Untersuchung durch die HNO-Ärztin Dr. M. am 14.10.2014, mithin zeitnah nach dem Unfallereignis, war der Befund an beiden Ohren indes normal („o.B.“). Auch die Dres. G. und Z. konnten bei ihren Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers keine unfallbedingte Schädigung des Innenohrs objektivieren: Weder fand sich eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, noch ergab die Gleichgewichtsdiagnostik einen krankhaften Befund. Insbesondere die von beiden Ärzten durchgeführten ton- und sprachaudiometrischen Untersuchungen des Hörvermögens erbrachten keinen messbaren Hörverlust.
36 
Typisch für ein traumatisches Tinnitusleiden ist außerdem dessen Ansiedlung im tief- bis mittelfrequenten Bereich (vgl. hierzu LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2005 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 und Urteil des erkennenden Gerichts vom 19.10.2015 - S 1 U 3219/14 - ). Das linksseitige Ohrgeräusch des Klägers ist indes nach den übereinstimmenden Darlegungen der Dres. G. und Z. bei 4 kHz, mithin im Hochtonbereich, zu lokalisieren.
37 
Weiter entspricht es medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand, dass zwar nach einer - hier nicht nachgewiesenen - commotio labyrinthi ein Innenohrschaden im Sinne einer Hochtonsenke mit Begleittinnitus auftreten kann. Auch in diesem Fall ist jedoch ein alleiniger Tinnitus ohne gleichzeitigen Hörverlust nicht erklärbar. Letzteres gilt erst recht bei einem HWS-Beschleunigungstrauma, weil keine neuroanatomischen Verbindungen zwischen der Halswirbelsäule, insbesondere den Kapseln der Kopfgelenke, und den Cochleariskernen existieren bzw. nur schwer nachzuweisen sind (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 370 m.W. N.).
38 
Soweit Dr. G. gleichwohl das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit als Ursache oder zumindest als Teilursache des Tinnitusleidens des Klägers erachtet, folgt ihm das erkennende Gericht aus den vorgenannten Gründen nicht. Ein - angesichts der Vorbehandlungen bei Dr. W. ohnedies nicht gegebener - rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem versicherten Unfallereignis und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen reicht nämlich nicht aus, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Rechtssinn zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - Rdnr. 20 und - im Ergebnis - BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; ferner Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 6 U 142/11 -, Rdnr. 41 und Bay. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 ).
39 
Das Unfallereignis vom 17.09.2014 hat auch nicht zu einer Verschlimmerung des vorbestehenden Tinnitus geführt, weil eine unfallbedingte Verschlimmerung ebenfalls mit einer nachweisbaren akuten Hörminderung hätte einhergehen müssen, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Eine unfallbedingte Hörminderung ist indes weder durch die Arztbriefe und Berichte der HNO-Ärztin Dr. M. noch durch die von den Dres. G. und Z. erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen belegt. Im Übrigen ließe sich eine Verschlimmerung eines vorbestehenden Tinnitus audiometrisch auch nicht messen (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 371).
40 
c) Die vom Kläger geltend gemachten psychischen Begleiterscheinungen sind auch im Übrigen nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfallereignisses vom 17.09.2014. Denn dieses war zur Überzeugung der Kammer schon dem Grunde nach nicht geeignet, entsprechende Gesundheitsstörungen zu bewirken. Dagegen sprechen bereits die eigenen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Z.: Danach war das Unfallereignis „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Auch das situationsgerechte Verhalten des Klägers an der Unfallstelle (Aussteigen aus dem Pkw, um mit dem Unfallverursacher „das Ganze“ zu regeln) und das Aufsuchen eines weiteren Kunden nach Beendigung der Unfallformalitäten spricht sehr deutlich gegen ein gravierendes traumatisches Ereignis. Eine posttraumatische Belastungsstörung hat - entgegen dem Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vom 23.09.2015 - zu keinem Zeitpunkt vorgelegen, weil Art und Ausmaß des Unfallereignisses nicht das Traumakriterium im Sinne der ICD 10, des DSM-4 oder DSM-5 (belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde) erfüllten. Überdies waren die neurologischen, neuropsychologischen und psychischen Untersuchungsbefunde bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. R. am 08.12.2014, und damit zeitnah nach dem Unfallereignis, nahezu unauffällig. Der von Dr. R. damals geäußerte „Verdacht auf Belastungsreaktion“ stellt keinen Nachweis einer solchen Gesundheitsstörung dar und begründet insbesondere nicht die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis.
41 
Vor diesem Hintergrund hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzuerkennen.
42 
3.2. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. ist die Kammer weiter davon überzeugt, dass unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 09.11.2014 vorgelegen haben. Denn eine HWS-Distorsion I. Grades heilt nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen innerhalb einer Zeitspanne von vier bis längstens sechs Wochen folgenlos aus, wie Prof. Dr. Sch. zutreffend dargelegt hat (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 489). Auf HNO-fachärztlichem Gebiet hat mangels Nachweises unfallbedingter Gesundheitsstörungen zu keinem Zeitpunkt eine Behandlungsbedürftigkeit bestanden, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend ausgeführt hat.
43 
3.3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Denn abgeheilte Unfallfolgen verursachen ersichtlich keine messbare MdE. Dies bedarf keiner weiteren Begründung.
44 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
45 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei der HNO-Ärztin Prof. Dr. P., K-Stadt, war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 23.01.2017 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 17.02.2017 nicht vollständig erfüllt.
46 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG Karlsruhe vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.W. N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes „ … insbesondere …“ ergibt (vgl. Urteile des erkennenden Gerichts vom 23.03.2017 - S 1 SB 2687/16 -, Rn. 40 und vom 20.04.2017 - S 1 U 2039/16 -).
47 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Prof. Dr. P. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 23.01.2017 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung der benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck textlich noch hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.04.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
48 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Der Kläger war an der Universität B. als Student eingeschrieben. Am 15.12.2008 fiel er auf einem Bahnsteig des Hauptbahnhofs B., an dem die zur Universität führende Bahn abfährt, um. Er prallte mit dem Kopf auf den Boden und blieb liegen. Durch den Aufprall erlitt er ein Schädel-Hirntrauma mit Blutungen im Gehirn. Die Beklagte lehnte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 29.4.2009) und wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 9.3.2010). Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Zwar habe eine innere Ursache für den Sturz nicht festgestellt werden können, dies lasse aber nicht den Schluss zu, dass eine versicherte Tätigkeit oder andere betrieblich bedingte Umstände für das Unfallereignis ursächlich gewesen seien.

3

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das Ereignis vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen (Urteil vom 30.7.2012). Neben der versicherten Tätigkeit des Zurücklegens des Weges zur Universität sei keine weitere Ursache feststellbar, sondern allenfalls denkbar, sodass mangels Konkurrenzursache keine Zweifel an der Unfallkausalität bestünden. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.5.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zwar einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII erlitten. Der Unfall sei jedoch nicht "infolge" einer versicherten Tätigkeit eingetreten. Die Einwirkung auf den Körper des Klägers sei zwar objektiv, dh im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn, nicht aber rechtlich wesentlich durch dessen zuvor verrichtete Tätigkeit (Zurücklegen des Weges von der Wohnung zur Universität) verursacht worden. Weshalb der Kläger umgefallen sei, sei nicht aufklärbar. Das BSG fordere im Kontext der Wegeunfallversicherung bei der Wesentlichkeitsprüfung, dass sich bei dem Geschehen eine dem Schutzzweck der Wegeversicherung entsprechende, spezifische Gefahr realisiere. Die Wesentlichkeit der Wirkursache sei eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen. Wie und warum der Kläger umgefallen sei, sei nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht mehr feststellbar. Damit könne auch die Verwirklichung einer spezifischen Verkehrsgefahr nicht festgestellt werden. Allein im Umfallen und Aufschlagen auf dem Boden habe sich kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht.

4

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Die Unfallkausalität sei immer gegeben, wenn neben der versicherten Tätigkeit keine weiteren konkurrierenden Ursachen festgestellt werden könnten. Die Prüfung, ob die versicherte Tätigkeit rechtlich wesentlich gewesen sei, habe nur zu erfolgen, wenn noch weitere Ursachen festgestellt würden. Dies folge aus dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung, weil bei vielen Unfällen der genaue Hergang nicht geklärt werden könne. Das Vorliegen einer inneren Ursache oder anderer konkurrierender Ursachen habe das LSG gerade nicht festgestellt.

5

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30. Juli 2012 zurückzuweisen.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Ablehnung der Feststellung des Ereignisses vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Arbeitsunfall iS des § 8 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 SGB VII erlitten.

9

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 18/13 R - SozR 4-2700 § 101 Nr 2 RdNr 16 ff mwN, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; vgl auch BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20).

10

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar erlitt der Kläger einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII(dazu unter 1.). Den Feststellungen des LSG ist jedoch bereits nicht zu entnehmen, welche konkrete Verrichtung mit welcher Handlungstendenz der Kläger in dem Moment des Unfalls ausübte, sodass schon fraglich ist, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall als Studierender iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII in der Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auf einem Weg nach dem Ort seiner Studientätigkeit versichert war(dazu 2.). Dies kann aber letztlich offen bleiben, denn der Unfall stellt jedenfalls schon deshalb keinen Arbeitsunfall iS des § 8 SGB VII dar, weil das Unfallereignis dem allein hier als versicherte Tätigkeit in Betracht kommenden Zurücklegen eines solchen Weges rechtlich nicht zugerechnet werden kann(dazu 3.).

11

1. Der Kläger erlitt am 15.12.2008 auf dem Bahnsteig eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII. Er schlug mit dem Kopf auf den Boden auf, wodurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkte (vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 14). Dies führte zu einem seine körperliche Unversehrtheit verletzenden Schädel-Hirntrauma mit Blutungen im Bereich des Gehirns.

12

2. Offen bleiben kann, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall einer versicherten Verrichtung iS des § 8 Abs 2 Nr 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII nachgegangen ist. Als eingeschriebener Student einer Universität war der Kläger am 15.12.2008 Studierender iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII(vgl zu diesem Begriff BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 24/11 R - SozR 4-2200 § 539 Nr 2 RdNr 13 ff) und damit während seiner Ausbildung an der Hochschule in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (vgl zur versicherten Tätigkeit zuletzt BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 14/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 30 RdNr 13 ff und - B 2 U 10/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 32 RdNr 15 ff, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, sowie - B 2 U 13/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 RdNr 15 f; vgl auch BSG vom 26.9.1996 - 2 RU 12/96 - SozR 3-2200 § 539 Nr 36 und vom 4.7.1995 - 2 RU 45/94 - HVBG-INFO 1995, 2377 jeweils mit weiteren Nachweisen). Damit stand er grundsätzlich gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auf einem mit dieser versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach und von dem Ort dieser Tätigkeit unter Versicherungsschutz. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) befand sich der Kläger auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zum Ort seiner versicherten Tätigkeit, der Universität. Der Unfall ereignete sich auf dem Bahnsteig, von dem eine zur Universität führende Bahn abfuhr.

13

Dass der Versicherte sich auf dem unmittelbaren Weg zwischen dem Ort seiner versicherten Tätigkeit und seiner Wohnung befindet, reicht jedoch für den Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nicht aus. Vielmehr muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses in einem sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Ein solcher sachlicher Zusammenhang besteht, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört (BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Andernfalls wäre jede Handlung auf einem Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII vom Versicherungsschutz umfasst. Einen solchen "Wegebann" kennt die gesetzliche Unfallversicherung hingegen nicht.

14

Wie das BSG seit seiner Entscheidung vom 9.12.2003 (B 2 U 23/03 R - BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3) in ständiger Rechtsprechung betont hat (vgl nur Urteile vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25, vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 und - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 22 f sowie vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32), ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, die Handlungstendenz des Versicherten (zuletzt Urteile vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18). Das Handeln muss subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen Tätigkeit ausgerichtet sein (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 31 und vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14). Darüber hinaus muss sich die subjektive Handlungstendenz als von den Instanzgerichten festzustellende Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln (vgl BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Eine Verrichtung in diesem Sinne ist jedes konkrete, räumlich und zeitlich bestimmte Verhalten eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar ist. Für die Prüfung ist dabei regelmäßig die kleinste beobachtbare Handlungssequenz maßgebend (vgl Spellbrink, WzS 2011, 351, 354).

15

Das LSG hat offen gelassen, ob der Kläger unmittelbar vor dem Sturz gestanden hat oder gegangen ist. Auch eine andere Verrichtung ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Selbst wenn der Aufenthalt des Klägers auf dem Bahnsteig an sich - allerdings als dann nicht mehr kleinste beobachtbare Handlungssequenz - ausnahmsweise als die maßgebliche Verrichtung angesehen würde, bleibt dennoch die objektivierte Handlungstendenz im Zeitpunkt des Unfallereignisses, zu dem Ort der Tätigkeit - hier der Universität - zu gelangen, mangels entsprechender Feststellungen durch das LSG offen. Daher kann schon nicht beurteilt werden, ob ein sachlicher Zusammenhang der zur Zeit des Unfallereignisses ausgeübten Verrichtung mit dem grundsätzlich versicherten Zurücklegen des Weges bestand.

16

Ungeachtet dessen, ob sich die Verrichtung und Handlungstendenz überhaupt noch aufklären lassen, kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob der soeben dargestellte sachliche Zusammenhang mit der Verrichtung im Zeitpunkt des Unfallereignisses gegeben war. Denn selbst wenn ein solcher sachlicher Zusammenhang angenommen würde, scheitert der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Arbeitsunfalls jedenfalls daran, dass der Unfall nicht "infolge" des Zurücklegens dieses Weges eingetreten und ihm deshalb rechtlich nicht zuzurechnen ist.

17

3. Der Unfall ist nicht einer versicherten Tätigkeit iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII zuzurechnen, weil sich nicht feststellen lässt, dass sich mit dem Aufprall auf dem Bahnsteig eine Gefahr verwirklicht hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt.

18

a) Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben Schutz gegen Gefahren zu gewähren, die sich durch die ihre Verbandszuständigkeit, den Versicherungsschutz und das Versichertsein des Verletzten begründende Verrichtung von im jeweiligen Versicherungstatbestand konkret umschriebenen Tätigkeiten realisieren können. Ihre Einstandspflicht besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert daher zweistufig die Erfüllung erstens tatsächlicher und zweitens darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 32 ff mwN).

19

Auf der ersten Stufe setzt die Zurechnung mithin voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit-)verursacht wurde. Für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine Wirkursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und hat der Unfallversicherungsträger nicht einzustehen. Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der "conditio-Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Wie bereits ausgeführt, ist die Verrichtung des Klägers vor dem Unfallereignis vom LSG nicht festgestellt worden, sodass die Annahme eines Ursachenzusammenhangs bereits an der ersten Stufe scheitert. Dies kann - wie bereits angedeutet - aber letztlich dahinstehen, weil sich jedenfalls bei dem Unfall des Klägers kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht hat.

20

Selbst wenn eine versicherte Tätigkeit als Wirkursache feststeht, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass eine versicherte Verrichtung - wie hier ggf das Stehen auf dem Bahnsteig - wegen ihrer objektiven (Mit-)Verursachung der Einwirkung - die hier gerade nicht festgestellt ist - auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R, aaO, RdNr 33 ff).

21

Ob eine Ursache rechtlich wesentlich ist, ist auch dann zu prüfen, wenn sie als alleinige Ursache festgestellt ist, weil andere (Mit-)Ursachen nicht erwiesen oder nicht in Betracht zu ziehen sind. Denn auch in diesem Fall wird die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers nur begründet, wenn sich durch den Unfall, der durch die versicherte Verrichtung objektiv verursacht wurde, eine Gefahr verwirklicht hat, gegen die die Versicherung schützen soll. Diese Voraussetzung wird zumeist erfüllt sein, bedarf aber stets der Entscheidung (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R, aaO, RdNr 42). Dem stehen die vom Kläger benannten Urteile des Senats vom 30.1.2007 (B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr 22) und vom 17.2.2009 (B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31) nicht entgegen. Nach den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten waren die dort vom LSG festgestellten Verrichtungen unmittelbar vor dem Unfall der jeweiligen versicherten Tätigkeit zuzurechnen und die nichtversicherten Ursachen waren lediglich mögliche Wirkursachen. Entscheidend war aber auch dort, dass sich durch den Unfall jeweils eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der der jeweilige Versicherungstatbestand gerade schützen sollte, nämlich die Gefahr eines Sturzes während des der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Laufens bzw eines Verkehrsunfalls während des dem Zurücklegen des Weges zuzurechnenden Steuerns eines Kraftfahrzeugs. Somit war dort die im vorliegenden Fall zu verneinende Frage, ob sich jeweils im Hinblick auf diese Verrichtung durch das Unfallereignis eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der die gesetzliche Unfallversicherung schützen soll, unproblematisch zu bejahen.

22

b) Das Umfallen und der Aufprall des Klägers auf den Bahnsteig war danach jedenfalls nicht rechtlich wesentlich durch eine zuvor versicherte Tätigkeit verursacht worden. Wie ausgeführt, ist den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG lediglich zu entnehmen, dass sich der Kläger auf dem Bahnsteig befand. Das LSG konnte jedoch nicht feststellen, von welchen konkreten Umständen das Unfallereignis begleitet war. Insbesondere steht nicht fest und ist nach den insoweit unangegriffenen Beweiswürdigungen des LSG auch nicht mehr feststellbar, ob der Kläger unmittelbar vor dem Ereignis sich bewegt hat, sodass er dabei möglicherweise stolperte oder ausrutschte, oder ob er aus dem Stand umfiel, ob er angerempelt wurde, gegen eine Vitrine stieß, ob die Bodenverhältnisse auf dem Bahnsteig den Sturz bewirkten oder ob ggf eine (innere) Erkrankung bestand. Mithin ist nicht feststellbar, welche Faktoren im Zeitpunkt des Sturzes und Aufpralls auf den Kläger eingewirkt haben. Damit kann auch nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich durch das Unfallereignis ein Risiko verwirklicht hat, vor dem gerade die Wegeunfallversicherung Schutz gewähren soll.

23

Die Wegeunfallversicherung schützt, wie der Senat zuletzt entschieden hat, vor Gefahren für Gesundheit und Leben, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremdem Verkehrsverhalten oder äußeren Einflüssen während der Zurücklegung des Weges hervorgehen (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 20 und vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 45). Zwar könnte das Risiko, beim Gehen durch Stolpern oder Ausrutschen, durch einen Zusammenstoß mit einer Vitrine oder durch den Anstoß anderer Personen zu stürzen, jeweils von dem Schutzzweck der Wegeunfallversicherung umfasst sein. Solche äußeren Einwirkungen auf den Körper des Klägers müssten als solche aber zunächst konkret festgestellt sein, was hier gerade nicht der Fall ist. Ihre Nichterweislichkeit geht zu Lasten des Klägers.

24

c) Die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, müssen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 mwN). In der Wegeunfallversicherung wie auch sonst bei anderen Versicherungstatbeständen der gesetzlichen Unfallversicherung besteht keine Vermutungsregel, dass bei Verrichtung einer versicherten Tätigkeit unmittelbar vor dem Unfallereignis der Unfall objektiv und rechtlich wesentlich durch diese versicherte Tätigkeit verursacht wurde. Sind - wie hier - die Umstände, die vor dem Unfallereignis unmittelbar auf den Kläger eingewirkt haben, unbekannt, kann nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Sturz durch ein Risiko verursacht wurde, gegen das die gesetzliche Unfallversicherung beim Zurücklegen des Weges nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII Schutz gewähren soll.

25

Den Nachteil aus der tatsächlichen Unaufklärbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen hat nach den Regeln der objektiven Beweislast der Kläger zu tragen. Für die erforderlichen Feststellungen der Tatsachen können ua die Angaben des Versicherten, Bekundungen von Zeugen und Sachverständigen sowie sonstige Umstände herangezogen werden. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben - soweit ersichtlich - alle denkbaren Beweismittel ausgeschöpft. Insofern werden auch von der Revision keine Rügen erhoben. Ist danach dennoch das zum Unfallereignis führende Geschehen und insbesondere - wie hier - die zum Unfallereignis führende Kausalkette nicht aufklärbar, geht dies zu Lasten des Versicherten (vgl hierzu BSG vom 27.3.1990 - 2 RU 45/89 - HV-INFO 1990, 1181 mwN; vgl auch BSG vom 28.6.1984 - 2 RU 54/83 - HV-INFO 1984, Nr 15, 40 bis 44). Wie bereits oben ausgeführt, kann ohne Feststellung der konkreten Kausalkette nicht aus der bloßen Tatsache des "auf dem Wege seins" abgeleitet werden, dass sich auch eine Gefahr realisiert hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt. Ein solcher "Wegebann" entspricht nicht dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. Entgegen der Auffassung der Revision führt auch der allgemeine Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung nicht dazu, dass die Nichterweislichkeit der Ursache bei ungeklärtem Unfallhergang jeweils zu Lasten des Unfallversicherungsträgers geht. Denn die Einstandspflicht und damit der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht auch in der Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand dieser versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Verrichtung erfüllte Versicherungstatbestand der Wegeunfallversicherung schützen soll. Ein solches spezifisches Wegerisiko als Unfallursache ist hier aber nicht feststellbar, was zu Lasten des Klägers geht.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sein Bandscheibenvorfall im Bereich C 6/7 seiner Halswirbelsäule (HWS) ein weiterer Gesundheitserstschaden seines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 3.7.2005 ist.

2

Der Kläger absolvierte an diesem Tag als Arbeitnehmer eines Automobilherstellers aufgabengemäß eine Testfahrt auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Italien. Dabei platzte bei einer Geschwindigkeit von 295 km/h ein Hinterreifen seines Fahrzeugs. Es kam von der Fahrbahn ab, durchbrach die Leitplanke und kam in einem Wäldchen zum Stehen.

3

Bei der Erstuntersuchung des Klägers erbrachten die Röntgenaufnahmen keinen Anhalt für Frakturen. Am 6.7.2005 diagnostizierte ein Facharzt für Chirurgie ua eine Halswirbelsäulen-Distorsion (Verstauchung, Zerrung). In der Kernspintomographie der HWS vom 4.8.2005 wurden erhebliche degenerative Veränderungen bei multisegmentaler Osteochondrose sowie für den Bereich von C 6/7 eine fast normal hohe Bandscheibe mit normal weiten Neuroforamina (Wurzelkanälen) beschrieben. Eine weitere Kernspintomographie der HWS vom 30.8.2005 ergab zwischen den Halswirbelkörpern C 6/7 einen links gelegenen Bandscheibenvorfall mit intraforaminaler Vorfallskomponente. Eine Begleitverletzung wurde nicht benannt.

4

Im Bescheid vom 18.10.2007 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 3.7.2005 als Arbeitsunfall. Als "Unfallfolgen" wurden "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers" anerkannt.

5

Ferner wurde festgestellt, der Bandscheibenvorfall zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper sei keine "Folge des Arbeitsunfalls", weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung. Ein traumatischer Bandscheibenvorfall sei angesichts des MRT-Befundes vom 4.8.2005, in dem eine Traumatisierung des Segments C 6/7 nicht beschrieben sei, zu verneinen. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.2.2008).

6

Das SG Karlsruhe hat mit Urteil vom 14.7.2010 festgestellt, dass "die Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei.

7

Die Beklagte hat mit ihrer Berufung geltend gemacht, das Urteil sei in seiner Kausalitätsbeurteilung mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht vereinbar. Im Standardwerk der gesetzlichen Unfallversicherung von Schönberger/Mehrtens/Valentin, das den anerkannten neuesten medizinischen Kenntnisstand dokumentiere, werde seit der 7. Auflage ausgeführt, dass die traumatische Verursachung eines isolierten Bandscheibenschadens ohne Begleitverletzung nicht möglich sei. Dazu sei Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

8

Das LSG hat die Berufung durch Beschluss vom 22.12.2010 zurückgewiesen. Es sei vorliegend zumindest wahrscheinlich, dass der Unfall vom 3.7.2005 naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7 gewesen sei. Hierfür sprächen vor allem jene Indizien, die auf eine akute Schädigung im Bereich des Bewegungssegments C 6/7 und damit eine Substanzschädigung der betreffenden Bandscheibe in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis hinwiesen. Vor dem Unfall sei der Kläger trotz bestehender degenerativer Veränderungen gerade auch im Bereich der HWS beschwerdefrei gewesen. Der Unfall habe zu einer Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule geführt. Umstände, die üblicherweise gegen einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang sprächen, hätten im vorliegenden Fall keine durchgreifende Bedeutung.

9

Zu Unrecht berufe sich die Beklagte auf das Werk von Schönberger/Mehrtens/Valentin und meine, es sei dort dokumentierter neuester medizinischer Kenntnisstand, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall immer mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen einhergehe. Diesen Ausführungen könne aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Denn dieses Standardwerk der unfallmedizinischen Literatur vermenge die Prüfung der naturwissenschaftlichen Kausalität auf der ersten Stufe mit der wertenden Entscheidung der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung (Wesentlichkeit). Bei der Prüfung der Wesentlichkeit handele es sich um eine wertende Entscheidung, die dem juristischen Betrachter vorbehalten sei.

10

Der Antrag der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens werde abgelehnt. Selbst wenn die von Schönberger/Mehrtens/Valentin vertretene Auffassung den herrschenden medizinischen Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung wiedergeben sollte, ändere dies nichts daran, dass dieser Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung nicht zugrunde gelegt werden dürfe, weil er die maßgebenden rechtlichen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG vernachlässige.

11

Lägen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall "örtlich-zeitlich in Rede" stehe, sei ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

12

Sei der naturwissenschaftliche Zusammenhang zu bejahen, stelle sich die Frage (zweite Stufe der Kausalitätsprüfung), ob das Unfallereignis auch wesentlich gewesen sei. Hierbei sei vor dem Hintergrund der Schwere des Unfalltraumas mit einer plötzlichen unphysiologischen Belastung der HWS den bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen im Hinblick auf den aufgetretenen Bandscheibenvorfall keine überragende Bedeutung beizumessen gewesen. Demnach sei das Unfallereignis wesentliche Mitursache des erlittenen Bandscheibenvorfalls und die beim Kläger in der Folge erforderlich gewordene Versteifung im Bewegungssegment einschließlich der fortbestehenden Schmerzsymptomatik als Unfallfolge festzustellen.

13

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII und einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Bandscheibenvorfall liege nicht vor. Das LSG habe nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ermittelt.

14

Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juli 2010 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

15

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

17

1. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann das BSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, die die Verbandszuständigkeit der Beklagten begründet und eine Einwirkung auf die HWS des Klägers wesentlich mitverursacht hat (dazu unter 3.), dadurch auch eine objektive und zudem rechtlich wesentliche Mitursache des Bandscheibenvorfalls auf der Höhe des 6./7. Halswirbelkörpers geworden ist. Nur dann wäre dieser ein Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls.

18

Das LSG hat nicht festgestellt, ob dieser Schaden nach Maßgabe des derzeit anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft durch die verrichtungsbedingte und deshalb versicherte Einwirkung unmittelbar objektiv mitverursacht wurde (dazu unter 4.). Seine Ansicht, dies könne durch "eine wertende Entscheidung …, die … dem juristischen Betrachter vorbehalten" sei, im Rahmen der rechtlichen "Wesentlichkeitsbeurteilung" ersetzt werden, verfehlt den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache für eine bestimmte Wirkung (dazu unter 3. und 5.).

19

2. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen die Zurückweisung ihrer zulässigen Berufung durch das LSG. Mit ihr wandte sie sich erstens gegen die Aufhebung ihres Verwaltungsakts durch das SG, der Kläger habe gegen sie keinen Anspruch auf Feststellung seines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als "Folge des Arbeitsunfalls". Zweitens begehrte sie die Aufhebung des Feststellungsurteils des SG, dass die "Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei. Der Erfolg ihrer Rechtsmittel hängt davon ab, ob die zulässige Kombination der zulässigen Anfechtungs- mit der zulässigen Feststellungsklage des Klägers begründet ist. Das wäre dann der Fall, wenn sie durch ihren negativ feststellenden Verwaltungsakt einen Anspruch des Klägers auf die Feststellung eines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als Gesundheitserstschaden zu Unrecht abgelehnt hätte. Dann wäre dieser (insoweit unter klarstellender Änderung des bisherigen Ausspruchs des SG) durch Feststellungsurteil als weiterer Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls festzustellen. Andernfalls hätte ihre Revision durchgreifenden Erfolg.

20

Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG zwischen den Beteiligten klargestellt werden konnte, richtete sich das Begehren des Klägers von Anfang an nicht auf die Feststellung seines Bandscheibenvorfalls als eine (unmittelbare) Unfallfolge. Ihm kam es vielmehr stets auf die Feststellung dieses Gesundheitsschadens als weiteren Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls an. Eine unmittelbare Unfallfolge kann sich hingegen nur infolge eines Gesundheitserstschadens einstellen, der selbst als Tatbestandsvoraussetzung des Unfallbegriffs iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII dem Begriff des Arbeitsunfalls unterfällt. Der Bandscheibenvorfall war zudem ersichtlich keine Wirkung eines bereits anerkannten Erstschadens. Bei sachgerechter Auslegung war auch die angefochtene negative Feststellung der Beklagten auf die Ablehnung der Anerkennung eines Erstschadens gerichtet.

21

3. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist nicht abschließend beurteilbar, aber möglich, dass dem Kläger der erhobene Feststellungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Jeder Versicherte hat nämlich das Recht, vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung aller Erstschäden (Gesundheitserstschäden oder Tod) eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII zu verlangen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 8 Nr 43 vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

22

a) Der Anspruch scheitert nicht schon daran, dass die Beklagte eine insoweit unanfechtbar gewordene Feststellung getroffen hat, der Kläger habe infolge seiner versicherten Testfahrt einen Arbeitsunfall mit folgenden Gesundheitserstschäden erlitten: "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers".

23

Die rechtliche Bindungswirkung dieses Verwaltungsakts erstreckt sich nicht auf die hier umstrittene Frage, ob die infolge der Testfahrt eingetretene Einwirkung auf den Körper des Klägers weitere Gesundheitserstschäden (objektiv und unfallversicherungsrechtlich wesentlich) mitverursacht hat. Werden die Erstschäden anfangs nur unvollständig anerkannt, hat der Versicherte Anspruch auf eine vollständige Feststellung aller objektiv vom Arbeitsunfall umfassten Gesundheitserstschäden. Entscheidet der Versicherungsträgerbei seiner Feststellung eines Arbeitsunfalls, wie hier, dass der Versicherte keinen Anspruch auf Feststellung bestimmter weiterer Erstschäden habe, oder stellt er die Gesundheitserstschäden ausdrücklich abschließend (positiv oder negativ) fest, ist dagegen der Widerspruch gegeben (nach Fristablauf allein §§ 44 f SGB X). Da hier erstmals um einen weiteren, von der Beklagten abgelehnten Gesundheitserstschaden gestritten wird, erfasst die rechtliche Bindungswirkung des den Arbeitsunfall feststellenden Verwaltungsakts den hier rechtshängigen Streitgegenstand nicht.

24

b) Die Feststellungen des LSG lassen erkennen, dass der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Feststellung der umstrittenen Gesundheitserstschäden hat. Denn danach hat er eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter verrichtet und infolge dessen ein Unfallereignis erlitten (dazu sogleich).

25

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 (oder 8 Abs 2) SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 Satz 2).

26

Daher muss eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das "infolge" also ua nach dieser Verrichtung eingetreten sein muss, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet seine Versichertenstellung in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung.

27

Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).

28

Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein.

29

aa) § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII setzt voraus, dass der Verletzte eine "den Versicherungsschutz" begründende "Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" verrichtet hat und dass der Unfall (iS von Satz 2 aaO) "infolge" dieser versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

30

Diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen umschreiben den Rechtsgrund, aufgrund dessen der wegen einer Verrichtung einer versicherten Tätigkeit durch den Verletzten verbandszuständige Unfallversicherungsträger überhaupt versicherungsrechtlich für die Schäden, Nachteile und Bedarfe des verunfallten Verletzten einstehen soll. Er soll nur verpflichtet sein, soweit der Versicherungsschutz durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit in der jeweiligen Versicherung begründet ist. Er soll deshalb (grundsätzlich) nur einstehen müssen für Gesundheitsschäden (oder Tod und ggf wirtschaftliche Folgen etc), die "infolge" der versicherten Verrichtung eingetreten sind und ein Risiko realisieren, gegen das die jeweils begründete Versicherung schützen soll. Zurechnungsvoraussetzungen sind somit auf der ersten Stufe die (faktisch-objektive) Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung des Verletzten für den Schaden und auf der darauf aufbauenden zweiten Stufe dessen rechtliche Erfassung vom jeweiligen Schutzzweck der begründeten Versicherung.

31

bb) Die Zurechnung setzt somit erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) objektiv mitverursacht hat. Denn für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Verrichtung keine Wirkursache war, ist schlechthin kein Versicherungsschutz begründet, hat also der Versicherungsträger nicht einzustehen. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (innere Tatsache). Als (objektives) Handeln des Verletzten kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden oder Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder iS von § 11 SGB VII, der für die zweite Stufe andere Zurechnungsgründe als die "Wesentlichkeit" regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie ua zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zu den Bedarfen reichen, derentwegen das SGB VII Leistungsrechte vorsieht.

32

Erst dann, wenn die "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" festgestellt sind, kann und darf (auf der ersten Stufe der Zurechnung) über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung (objektive Verursachung) zwischen der Verrichtung und der Einwirkung (mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der Wahrscheinlichkeit) entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und ggf mit welchem Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) eine Wirkursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper des Versicherten war.

33

cc) Zweitens muss der (letztlich) durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll.

34

Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so schon BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung (etc) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden.

35

Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden. Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl hierzu BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 2 Nr 21 vorgesehen - RdNr 21 ff - Lebendnierenspende).

36

Bei der folgenden Subsumtion muss vorab entschieden werden, ob die versicherte Verrichtung durch ihren auf der ersten Stufe festgestellten Verursachungsbeitrag überhaupt ein Risiko verwirklicht hat, das in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Nur wenn dies, wie zumeist, zu bejahen ist, kommt es darauf an, ob ggf konkret festgestellte unversicherte Mitursachen, die selbst die Zurechnung zum Unfallversicherungsträger nie begründen können, gleichwohl die Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das gesamte Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass die Wirkung insgesamt trotz des Mitwirkungsanteils der versicherten Verrichtung nicht mehr unter den Schutzbereich der jeweiligen Versicherung fällt. Bei dieser Subsumtion sind alle auf der ersten Stufe im Einzelfall konkret festgestellten versicherten und unversicherten Wirkursachen mit ihren ggf festgestellten Mitwirkungsanteilen in einer rechtlichen Gesamtabwägung nach Maßgabe des jeweilig festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten.

37

Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als "wesentliche Ursache" (vgl schon RVA vom 24.5.1912, AN 1912, 930 = Breithaupt 1912, 212; GS RVA vom 26.2.1914, AN 1914, 411 <2690>; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 17).

38

dd) In gleicher Weise muss zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls ggf die versicherte Einwirkung den Erstschaden (ggf den Tod) a) objektiv und b) rechtlich wesentlich verursacht haben. Dabei kommt es schon wegen der Einheit des jeweiligen Versicherungsfalls stets auch darauf an, dass die Zurechnungskette auf ein- und dieselbe versicherte und den Versicherungsschutz bei dem Unfallversicherungsträger begründende Verrichtung zurückzuführen ist.

39

ee) Diese Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Gesundheitserstschaden erfüllt sein. "Gesundheitserstschaden" ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde, die durch ein- und dieselbe versicherte Verrichtung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden (oder den Tod), die "infolge" ein- und derselben versicherten Verrichtung eintreten.

40

c) Nach den Feststellungen des LSG liegt eine versicherte Verrichtung des Klägers vor, die eine Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat.

41

aa) Der Kläger hat durch seine Testfahrt den Tatbestand der versicherten Tätigkeit als "Beschäftigter" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt(zu den Voraussetzungen dieses Tatbestandes näher BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 2 Nr 20 vorgesehen). Denn er hat dadurch zur Erfüllung einer Hauptpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis mit dem Automobilhersteller zumindest angesetzt, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG auch in tatsächlicher Hinsicht abschließend außer Streit gestellt werden konnte. Er war daher in der Beschäftigtenversicherung grundsätzlich gegen alle Gefahren unfallversichert, die sich "infolge" der versicherten Testfahrt verwirklichten.

42

bb) Das LSG hat ferner bindend festgestellt, dass es infolge der Testfahrt zu einer "Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule" gekommen ist. Unter "Einwirkung" (als Kurzbezeichnung für das von außen kommende, zeitlich begrenzt einwirkende Unfallereignis) ist die durch einen solchen Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem (möglicherweise zeitnah danach eintretenden) Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Das LSG hat zur Natur der körperlichen Veränderung festgestellt, dass ein Chirurg am 6.7.2005 beim Kläger eine "HWS-Distorsion" diagnostiziert habe. Nach dem Gesamtzusammenhang des Beschlusses des LSG hat es sich diese Diagnose zu eigen gemacht. Eine solche HWS-Verstauchung genügt jedenfalls dem (weiten) Einwirkungsbegriff.

43

cc) Das LSG hat auch noch festgestellt, dass die versicherte Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit, das Platzen des Autoreifens, das Abkommen von der Testbahn, das Durchbrechen der Leitplanke und das Abstoppen im Wäldchen diese Einwirkung auf die HWS objektiv mitverursacht haben. Auch wenn das LSG keine näheren Feststellungen zur Ursache des Platzens des Reifens (ua Materialfehler, äußere Ursache) und auch nicht dazu getroffen hat, ob es bei der Testfahrt gerade um die Prüfung der Belastbarkeit der Reifen ging, ist seine Feststellung rechtlich nicht zu beanstanden, dass die versicherte Testfahrt als Grundvoraussetzung des Unfallhergangs eine mitwirkende Ursache für die Einwirkung war. Wie zudem vor dem BSG zur Gehörsgewährung eingeführt und von den Beteiligten bestätigt wurde, entspricht es dem heutigen allgemeinkundigen Stand der Erfahrung, dass ein solcher Ablauf einer Autofahrt Ursache eines starken Aufpralls mit der Wirkung ua einer Verstauchung der HWS sein kann und nach den konkreten Umständen des Falles hier auch war. Weitere Mitursachen wurden vom LSG nicht festgestellt und von der Beklagten nicht behauptet.

44

dd) Das LSG hat sinngemäß auch die rechtliche Beurteilung geäußert, dass das versicherte Handeln des Klägers eine mit der Erfüllung dieser Pflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis verbundene Gefahr für seine Gesundheit verwirklicht hat. Das trifft bundesrechtlich zu. Denn die Beschäftigtenversicherung soll grundsätzlich in allen Lebens- und Gesundheitsgefahren schützen, die sich aus dem Handeln zur Erfüllung von Pflichten oder zur Wahrnehmung unternehmensbezogener Rechte aus dem Beschäftigungsverhältnis unter Eingliederung in einen vom Unternehmer bestimmten Gefahrenbereich ergeben. Der Kläger hat infolge der ihm aufgetragenen Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit Gesundheitsgefahren eingehen müssen, die sich in der Einwirkung realisiert haben. Damit fällt die durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Einwirkung auf die HWS unter den Schutzbereich der hier begründeten Beschäftigtenversicherung. Die konkret festgestellten Mitursachen der Einwirkung, das Platzen des Reifens, der Widerstand der durchbrochenen Leitplanke schließen in der gebotenen rechtlichen Gesamtabwägung die Zuordnung der HWS-Verstauchung zum Schutzbereich der Beschäftigtenversicherung nicht aus. Denn in ihnen hat sich gerade die besondere Gefahr verwirklicht, die mit der vom Kläger zu erfüllenden Pflicht verbunden war.

45

ee) Das LSG hat schließlich bindend festgestellt, dass der vom Kläger als Gesundheitserstschaden geltend gemachte Bandscheibenvorfall C 6/7 vorliegt.

46

d) Damit sind die Voraussetzungen für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung dieses Vorfalls C 6/7 als weiteren Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls mit der Ausnahme erfüllt, dass das BSG noch nicht entscheiden kann, ob die Testfahrt mit der durch sie rechtlich wesentlich mitverursachten Einwirkung auf die HWS des Klägers auch rechtserhebliche (Mit-)Wirkursache dieses Bandscheibenvorfalls war.

47

4. Das LSG hat zwar ausgeführt, die versicherte Einwirkung und letztlich die versicherte Testfahrt hätten auch den Bandscheibenvorfall objektiv und wesentlich verursacht. Dies ist jedoch für das BSG nicht bindend. Es darf dies seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.

48

a) Dies folgt für die Rechtsfrage der unfallversicherungsrechtlichen Wesentlichkeit schon daraus, dass es hier allein um Rechtsanwendung, also um die rechtliche Subsumtion der auf der ersten Stufe der Zurechnung festgestellten Tatsachen unter den Schutzbereich der für die konkrete Beschäftigung begründeten Beschäftigtenversicherung geht. Hier muss das Revisionsgericht in vollem Umfang die Beachtung des Bundesrechts überprüfen. Das LSG hat hierbei den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache unzutreffend angewandt (dazu unter 5.).

49

b) Auf der ersten Stufe der Zurechnung hat das LSG keine das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen zur objektiven Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Einwirkung/versicherte Verrichtung getroffen.

50

Allerdings hat das LSG ausdrücklich festgestellt, dass die (versicherte) Einwirkung auf die HWS des Klägers "naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7" gewesen ist.

51

aa) Grundsätzlich ist das Revisionsgericht an eine solche Tatsachenfeststellung, zu der auch der konkrete objektive Kausalzusammenhang im Einzelfall gehört, gebunden (§ 163 SGG). Hier tritt diese Bindung jedoch nicht ein, weil das LSG zum einen von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven ("wissenschaftlich-philosophischen") Kausalität ausgegangen ist. Zum anderen hat es, wie die Beklagte zulässig und begründet rügt, die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Es hat seinem Beschluss einen nicht existierenden Erfahrungssatz zugrunde gelegt und deshalb davon abgesehen aufzuklären, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle durch Unfalleinwirkungen nur verursacht werden können, wenn ein unfallbedingter Begleitschaden vorliegt.

52

bb) Das LSG hat seine Kausalitätsbeurteilung auch auf folgenden nicht existierenden Erfahrungssatz gestützt: Liegen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall örtlich-zeitlich in Rede steht, ist ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

53

Daran ist das BSG nicht gebunden. Ein solcher Erfahrungssatz ist nicht allgemeinkundig oder dem BSG gerichtsbekannt. Die Revisionsführerin bestreitet seine Existenz. Das LSG hat nicht mitgeteilt, woher es diese Erkenntnis gewonnen hat. Soweit die Formulierung auch als generelle weitere "Beweiserleichterung" bei der richterlichen Überzeugungsbildung zum Grad der (juristischen) Wahrscheinlichkeit gemeint sein könnte, wäre sie bundesrechtswidrig. Denn der juristische Überzeugungsgrad der Wahrscheinlichkeit knüpft an die Würdigung der Einzelfallumstände nach Maßgabe der im jeweiligen Lebensbereich vorhandenen aktuell anerkannten wissenschaftlichen Erfahrung, hilfsweise der sonstigen einschlägigen Fachkunde, und deren ggf vorhandene Unsicherheiten an. Er erlaubt es aber nicht, an dem vorhandenen Erfahrungswissen durch "juristische Betrachtungen" vorbeizugehen.

54

c) Das LSG hat auch im Übrigen einen unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven Verursachung (der "philosophisch-wissenschaftlichen Kausalität") zugrunde gelegt.

55

Objektive Verursachung bedeutet einen nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand der einschlägigen Erfahrung (insbesondere der Wissenschaft, hilfsweise der sonstigen Fachkunde) geprüften und festgestellten Wirkungszusammenhang zwischen einer bestimmten Wirkursache und ihrer Wirkung. Dabei gibt es keine Ursache ohne Wirkung und keine Wirkung ohne Ursache.

56

Die versicherte Verrichtung muss also eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) der Einwirkung, die Einwirkung eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) des Gesundheitserstschadens sein. Ob die Verrichtung Wirkursache der Einwirkung (etc) war, ist eine Frage, die nur auf der Grundlage von Erfahrung über Kausalbeziehungen beantwortet werden kann.

57

Auch der Satz der Bedingungstheorie, ein tatsächlicher Umstand sei "notwendige Bedingung" (nicht: Ursache) eines anderen Umstandes, wenn der erste nicht "hinweggedacht" werden könne, ohne dass der zweite (der "Erfolg") entfiele ("conditio sine qua non"), ist kein logischer Schluss. Er verlangt eine hypothetische, dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich fremde, alternative Zusammenhangserwägung ohne Berücksichtigung eines in Wirklichkeit vorhandenen Umstandes und mit Unterstellung eines in Wirklichkeit nicht erfolgten Geschehensablaufs. Darüber hinaus verweist er auf Erfahrungswissen über den Zusammenhang von Bedingungen.

58

Die Erwägung nach dieser Formel führt zur Unbeachtlichkeit von Bedingungen, die nach Erfahrung die Wirkung nicht mitverursacht haben können. Insoweit kann sie zur ersten negativen Vorklärung, dem Ausscheiden von als Ursachen von vornherein nicht in Betracht kommender Bedingungen, beitragen. Sie erfasst aber alle Bedingungen, die nach Erfahrung möglicherweise die fragliche Wirkung (den "Erfolg") verursacht haben könnten. Aus sich heraus gibt sie aber keinen Maßstab dafür, ob ein solcher als für das Geschehen erforderliche (und nur in diesem Sinne "notwendige") Bedingung erkannter Umstand den "Erfolg" wirklich bewirkt, also die Wirkung mitverursacht hat, worauf schon der große Senat des RVA (aaO) hingewiesen hat. Eine solche Bedingung kann Wirkursache sein, muss es aber nicht. Sie kann auch bloße Randbedingung sein. Die Formel schließt nur "Bedingungen" aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.

59

Entscheidend ist aber, ob die versicherte Verrichtung die Einwirkung und ob diese den Erstschaden bewirkt hat. Wenn die festgestellte versicherte Verrichtung nach Erfahrung eine "Bedingung eines Erfolgs", also einer Einwirkung und des Gesundheitserstschadens (etc) ist, wären diese (hypothetisch) ohne sie nicht eingetreten. Gleiches gilt für eine kaum abzählbare Menge anderer Bedingungen für den konkreten Unfall. Die Verrichtung war aber nur dann eine Wirkursache der Einwirkung/des Gesundheitserstschadens, wenn sie das Unfallereignis hervorgerufen oder in Gang gehalten und dadurch die Einwirkung herbeigeführt hat, welche den Körper des Verletzten, seinen physiologischen Zustand verändert und dadurch den Gesundheitsschaden mitbewirkt hat. Ob dies der Fall war, ist nach dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Fachwissens zu beurteilen.

60

aa) Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Bandscheibenvorfall des Klägers Wirkung der festgestellten versicherten Einwirkung/versicherten Testfahrt als Ursache war. Dafür kommt es, weil es sich um eine in den Fachbereich der medizinischen Wissenschaft fallende Frage handelt, allein darauf an, ob ein Wirkungszusammenhang zwischen dieser Testfahrt und dieser Einwirkung auf die HWS des Klägers und diesem Bandscheibenvorfall nach dem aktuellen Stand des anerkannten medizinischen Erfahrungswissens vorliegt. Dafür reicht ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang nicht aus.

61

Vielmehr ist der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrunde zu legen. Dies wird in der Regel die Auffassung der Mehrheit der im jeweiligen Fragenbereich veröffentlichenden Wissenschaftler/Fachkundigen eines Fachgebiets sein. Lässt sich eine solche "herrschende Meinung" nicht feststellen, so darf der Richter nicht gleichsam als Schiedsrichter im Streit einer Wissenschaft fungieren und selbst eine (von ihm anerkannte) Ansicht zur maßgeblichen des jeweiligen für ihn fachfremden Wissenschaftsgebietes erklären. Vielmehr kommt, falls auch durch staatliche Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände etc kein von den Fachkreisen mehrheitlich anerkannter neuester Erfahrungsstand festgestellt werden kann, eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen in Betracht (anders offenbar noch BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).

62

Dazu muss dieser Erfahrungsstand inhaltlich festgestellt und so rechtzeitig mit seiner Erkenntnisquelle (zB medizinisches Fachbuch) in das Gerichtsverfahren eingeführt werden, dass die Beteiligten sich darüber fachkundig machen und ggf konkrete Beweiserhebungen beantragen können. Das gilt auch dann, wenn das Gericht meint, der Stand des einschlägigen Erfahrungswissens sei gerichtsbekannt, allgemeinkundig oder könne vom Gericht aus eigener, stets rechtzeitig offenzulegender Fachkompetenz beurteilt werden.

63

bb) Soweit ein nicht allgemeinkundiges oder gerichtsbekanntes Erfahrungswissen Gegenstand einer staatlich anerkannten Wissenschaft, hilfsweise einer sonstigen fachkundigen Profession, ist, muss das Gericht, sofern es keine nachweisbare eigene Fachkompetenz oder Gerichtskenntnis auf diesem Gebiet hat, aufgrund der Ermessensreduktion im Rahmen seiner Sachaufklärung nach § 103 SGG sich die erforderliche Kenntnis durch Sachverständige verschaffen. Es ist gerade Aufgabe der Sachverständigen, dem Richter den aktuellen anerkannten Stand des Wissens darüber zu vermitteln, ob es Erfahrungssätze über Ursache-Wirkung-Beziehungen der fraglichen Art gibt und ggf welche Anwendungsbedingungen für die Anwendung dieser Sätze im Einzelfall erfüllt sein müssen. Soweit auch die Anwendung der Erfahrungssätze im Einzelfall, wie häufig, ebenfalls besondere Sachkunde erfordert, kann der Sachverständige auch damit beauftragt werden.

64

Gegenstand solcher Erfahrungssätze und ihrer generellen Anwendungsbedingungen ist, ob Vorgänge der Art des vorderen Kausalgliedes - hier: die Einwirkung auf den HWS-Bereich durch den Aufprall unter Absehung von bloßen Randbedingungen des konkreten Falles - allein oder im Zusammenwirken mit anderen nach dieser Erfahrung ursächlichen Bedingungen Vorgänge der Art des zweiten Kausalgliedes - hier: Bandscheibenvorfall C 6/7 als Gesundheitserstschaden - bewirken. Sofern diese Kausalbeziehung zwischen den beiden Arten der Kausalglieder besteht, ist das vordere eine hinreichende Ursache des folgenden Kausalgliedes. Tritt das zweite Kausalglied (hier: der Gesundheitserstschaden) immer und nur dann auf, wenn das vordere Kausalglied vorliegt, handelt es sich bei diesem um eine notwendige Ursache, bei dem zweiten um eine notwendige Wirkung. Bedingungen im Sinne der Bedingungstheorie, die erfahrungsgemäß keine solchen hinreichenden oder sogar notwendigen Wirkursachen sind, bleiben schon deshalb bei der Zurechnung außer Betracht.

65

cc) Allerdings darf das Gericht die jeweils einschlägige Wissenschaft (oder Fachkunde) auch nicht mit gebietsfremden Anforderungen überfordern, welchen dieser Erfahrungsbereich nicht genügen kann. Das Rechtssystem knüpft in den Grenzen der Rechtslogik an den jeweiligen aktuell anerkannten Stand der einschlägigen empirischen Wissenschaft (oder Fachkunde) an.

66

Es sind - gerade auch im Bereich der Medizin - nicht immer deterministische Erfahrungssätze vorhanden oder anerkannt. Sehr häufig werden nur wissenschaftlich begründete Wahrscheinlichkeitssätze (die nichts mit dem juristischen Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit zu tun haben) festgestellt werden können. Dabei gibt es in den verschiedenen Wissenschaften unterschiedliche Begriffe von empirischer Wahrscheinlichkeit bis hin zu probabilistischen Erfahrungssätzen. Sie werden nach entsprechenden Untersuchungen gelegentlich mathematisch formuliert, häufig aber allein durch tradierte Erfahrung im jeweiligen Fachkreis mit geringer Überprüfungsdichte gelehrt und/oder bloß unausgesprochen in der Praxis vorausgesetzt (begründete Vermutungen). Hier sind Unterschiede ferner zwischen Fachbereichen zu beachten, in denen es wissenschaftliche Fachdisziplinen gibt, und solchen, in denen es überwiegend nur die tradierte Erfahrung des Kreises der professionell im jeweiligen Gebiet Tätigen gibt.

67

dd) Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist also der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl hierzu zuletzt auch BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Als Maßstäbe sind jeweils, soweit vorhanden, die aktuell anerkannten Erfahrungssätze festzustellen und anzuwenden. Dies ist eine reine Tatsachenfeststellung bei der der Richter der Hilfe des Sachverständigen bedarf. Hinsichtlich der richterlichen Feststellung des Inhalts der Erfahrungssätze genügt der richterliche Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit. Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung also gerade verdeutlichen, welche Erfahrungssätze er seiner Begutachtung zugrunde legt und dass dieses Erfahrungswissen in der einschlägigen Wissenschaft (oder Fachkunde) aktuell als neuester Stand anerkannt ist.

68

ee) Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 24 ff). Ausgangsbasis der richterlichen Erkenntnisbildung über wissenschaftliche Erfahrungssätze sind auch bei Fragen der objektiven Verursachung die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich. Außerdem sind die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen. Hinzu kommen andere aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese Quellen hat der Richter jeweils kritisch zu würdigen.

69

Eine bloße Literaturauswertung durch auf dem einschlägigen Gebiet nicht fachgerecht ausgebildete Richter genügt zur Feststellung des (nicht allgemeinkundigen oder gerichtsbekannten) aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über Kausalbeziehungen in der Regel nicht. Vielmehr wird dessen Klärung im Rahmen des ohnehin benötigten Gutachtens erfolgen. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung durch den Sachverständigen, die er stets zugrunde legen muss und von der er nur durch zusätzliche Ausführungen, weshalb er ihr nicht folgt, mit wissenschaftlicher Begründung abweichen darf.

70

Bestreitet nach rechtzeitiger Einführung eines solchen Erfahrungssatzes in den Prozess einer der Beteiligten dessen Vorliegen oder Tragweite mit nicht offenkundig fernliegenden Sachargumenten, so wird das Gericht im Regelfall diesem Vorbingen durch (zumindest schriftliche) Befragung eines Sachverständigen nachzugehen haben (vgl BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

71

d) Das LSG hat hinsichtlich der strittigen Verursachung des Bandscheibenvorfalls schon keinen neuesten anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft festgestellt, sondern einen anderen Verursachungsbegriff zugrunde gelegt.

72

aa) Die Beklagte hatte unter Zitierung des Werks von Schönberger/Mehrtens/Valentin dargelegt, dass es dem dort dokumentierten Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall nur mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen vorkommen könne. Das LSG hätte hierauf selbst die Existenz oder Nichtexistenz dieses oder eines anderen anerkannten Erfahrungssatzes in der medizinischen Wissenschaft feststellen müssen.

73

bb) Dies war nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil das LSG davon ausgegangen ist, dass sich eine Feststellung des einschlägigen medizinischen Erfahrungssatzes erübrige, weil die Autoren Schönberger/Mehrtens/Valentin von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab bei der Kausalitätsbetrachtung ausgegangen seien. Sie hätten Aspekte der rechtlichen Wesentlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG mit naturwissenschaftlichen Aussagen verquickt.

74

Es ist hier nicht darauf einzugehen, ob diese Behauptungen zutreffen. Beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Gebrauch des Wortes "wesentlich" zugleich eine Äußerung zur "Theorie der wesentlichen Bedingung" sein muss. Soweit Nichtjuristen sich zu solchen juristischen Problemen äußern, liegen keine Stellungnahmen eines Sachverständigen, möglicherweise aber dennoch bedenkenswerte oder richtige Argumente vor. In keinem Fall durfte das LSG davon absehen, den aktuellen Stand der anerkannten medizinischen Erfahrung über durch Unfälle verursachte Bandscheibenvorfälle festzustellen.

75

e) Es ist nicht tunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), dass das BSG das Bestehen und den Inhalt des von der Beklagten behaupteten oder eines sonstigen aktuell anerkannten medizinischen Erfahrungssatzes über die Verursachung von Bandscheibenvorfällen durch Unfalleinwirkungen und dessen generelle Anwendungsbedingungen selbst feststellt. Zwar gehören solche generellen Erfahrungssätze dem revisiblen Bundesrecht (§ 162 SGG) an. Jedoch bedürfte es zu einer Entscheidung darüber, ob im Fall des Klägers die Vorgaben eines solchen Erfahrungssatzes erfüllt sind, der Feststellung von Einzelfalltatsachen und deren fachgerechte Zuordnung zum generellen medizinischen Erfahrungssatz. Das BSG müsste daher voraussichtlich nach Klärung des generellen Standes der anerkannten Erfahrung die Sache dennoch an das LSG zurückverweisen, dem die Feststellung von Tatsachen des Einzelfalles grundsätzlich vorbehalten ist.

76

Das LSG wird folglich nach der Zurückverweisung durch Einholung von Sachverständigengutachten und die anderen aufgezeigten Ermittlungsmöglichkeiten festzustellen haben, ob der von der Beklagten behauptete wissenschaftliche Erfahrungssatz oder ein anderer von der Mehrheit der Wissenschaftler des einschlägigen medizinischen Wissenschaftszweiges vertreten wird.

77

Lässt sich dies zur vollen richterlichen Überzeugung bejahen, so ist er nebst seinen in gleicher Weise wissenschaftlich anerkannten generellen Anwendungsbedingungen der (mindestens im richterlichen Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit zu treffenden) Feststellung zwingend zugrunde zu legen, ob im vorliegenden Fall die versicherte Einwirkung faktische Mitursache des Bandscheibenvorfalls C 6/7 war. Stellt das LSG hingegen fest, dass nicht dieser Erfahrungssatz, sondern ein anderer entsprechend anerkannt ist, ist dieser zwingend maßgeblich. In jedem Fall ist dann über die Mitursächlichkeit der Testfahrt und der durch sie verursachten Einwirkung für den Vorfall C 6/7 und dabei auch der Mitverursachungsanteil anderer Wirkursachen zu entscheiden.

78

5. Von diesen Feststellungen darf das LSG nicht wegen der zweiten Zurechnungsstufe, der rechtlichen "Wesentlichkeit" der Wirkursache für den Schaden, absehen. Das LSG hat nämlich in seinem Beschluss den dargelegten bundesrechtlichen Begriff der Wesentlichkeit unzutreffend auf den Bereich der objektiven Verursachung angewandt. Er betrifft aber allein die zweite Stufe der Zurechnung. Auf ihr geht es ausschließlich um die Rechtsfrage, ob die auf der ersten Stufe abschließend festzustellende faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der Beschäftigtenversicherung verwirklicht hat. Ggf hängt - wie oben gezeigt - diese Rechtserheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt.

79

Hierbei geht es ausschließlich um rechtliche Bewertungen (Auslegung und Subsumtion). Die Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile (Tatsachenfrage) sind bereits auf der ersten Stufe der objektiven Verursachung abschließend festzustellen. Insbesondere kann die ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung auf der ersten Stufe nicht durch Wertungen auf der zweiten ersetzt werden.

80

Das LSG wird daher, falls es auf der ersten Stufe die objektive Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Verrichtung/Einwirkung nach neuer Prüfung bejahen wird, auf der zweiten Stufe erstmals die vorgenannte Rechtsfrage beantworten müssen.

81

6. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2013 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 20. Juli 2006 eine Verletztenrente zu gewähren ist.

Der 1971 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt bei der A. AG bei der Karosserie-Aufbaulinie A3 beschäftigt. Er verletzte sich am 20. Juli 2006 am Handgelenk und an der Schulter, als sich ein verklemmter Kappenfräser löste. Er wurde von dem schweren Maschinenteil an der linken Schulter und am Rücken getroffen und zu Boden geworfen. Nach dem Bericht des Durchgangsarztes Dr. L. vom 20. Juli 2006 bestanden eine Prellung des rechten Unterarms, eine Prellung des linken Schulterblattes sowie eine Schürfwunde. Eine Fraktur wurde nicht diagnostiziert. Es bestand weiter Arbeitsfähigkeit. Im Nachschaubericht vom 12. Oktober 2006 gab Dr. L. als Befund eine Prellung rechter Unterarm, linkes Schulterblatt, eine Schürfwunde sowie eine Myogelose Schulter und Rücken an. Seit zwei Wochen übe der Kläger eine neue Tätigkeit mit regelmäßigem Heben von 5 kg aus; es seien jetzt Schmerzen und eine Verspannung im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule (BWS) und Reibegeräusche in der rechten Schulter mit gelegentlichen ziehenden Schmerzen aufgetreten. Im Bericht vom 6. Januar 2007 werden nach Angabe des Klägers immer wieder Schmerzen und Verspannungen der BWS und des rechten Schultergelenks, die sich mit wechselnder Arbeitstätigkeit Anfang Oktober 2006 verstärkt hätten, berichtet.

Eine Kernspintomographie der HWS vom 2. Oktober 2007 zeigte einen kleinen rechtsparamedianen Bandscheibenvorfall im Segment HWK 3/4 ohne Nachweis einer Myelpathie oder einer Einengung des Spinalkanals. Dr. D. diagnostizierte am 4. Oktober 2007 ein leichtgradiges Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts/links eher als Radikulopathie C 8. Mit Nachschaubericht des Dr. L. vom 10. Januar 2008 wird von der Angabe des Klägers über Schmerzen seit dem Unfall in beiden Schulterblättern berichtet, beide Schultern waren im Befund mit normaler Funktion, die Halswirbelsäule (HWS) frei, leichte Verspannung paravertebral. Mit Krankheitsbericht des Dr. L. vom 28. Januar 2008 wird auf ein Begehren des Klägers, eine neu entdeckte BWS-Verletzung von der Beklagten anerkannt zu bekommen, hingewiesen.

Eine Kernspintomographie der HWS vom 30. Januar 2008 ergab einen im Vergleich zur Voruntersuchung vom 2. Juli 2007 unveränderten Befund mit unverändert kleinem rechtsparamedian betontem Bandscheibenprolaps im Segment HWK 3/4 mit initialen ossären Abstützreaktionen.

In dem Bericht über die Kernspintomographie des linken Schultergelenks vom 13. März 2008 wird über aktivierte AC-Gelenksarthrose, deutliche Auftreibung des AC-Gelenks berichtet. Hierbei könne es sich auch um eine posttraumatische Veränderung handeln. Laut Unfallklinik M. vom 14. April 2008 bestand eine Gelenksprengung Typ Rockwood I rechts, eine Ruptur des Diskus articularis, aufgrund derer sich im Laufe der Zeit eine AC-Gelenksarthrose ausbilden würde. Ferner bestünden eine Bandscheibenprotrusion BWK 7/8 und ein Bandscheibenprolaps HWK 3/4. Im Abschlussbericht vom 28. April 2008 der Unfallklinik M. wird über eine arthroskopische AC-Gelenksresektion linke Schulter vom 21.04.2008 berichtet. Intraartikulär habe sich eine Auffaserung des superioren Labrumkomplexes im Sinne einer SLAP 1-Läsion gezeigt, die wahrscheinlich nicht unfallbedingt sei. Des Weiteren sei eine arthroskopische AC-Gelenksresektion erfolgt. Der Kläger habe während des gesamten Aufenthalts fortwährend Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich mit Kribbelparästhesien des rechten Unterarms und der Hand geklagt.

Es folgten weitere ärztliche Behandlungen, insbesondere auch der Schulter, u. a. bei Dr. H., in der Unfallklinik M., bei Herrn Dr. S. und in den Kliniken Dr. E. in den Jahren 2008 und 2009. Im Bericht über ein MRT linkes Schultergelenk vom 3. September 2008 des Dr. P. wird der postoperative Zustand mit Veränderungen im AC-Gelenk beschrieben. Bzgl. MRT der HWS vom 3. September 2008 wird von Dr. P. über einen Diskusprolaps HWK 3 /4 berichtet, Streckhaltung der oberen und mittleren HWS im Liegen, keine das Altersmaß überschreitenden degenerativen Veränderungen. Weiter liegt ein Bericht über die Kernspintomographie des Neurocraniums vom 30. September 2008 vor.

Auf weitere Berichte v.a. des Dr. H., Kliniken Dr. E., vom 9. Oktober 2008, der Klinik B. F. vom 7. Oktober 2008 über berufliche Rehabilitation seit 5. August 2008, des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. G. vom 3. November 2008, des Neurochirurgen Dr. C. vom 23. April 2008, den vorläufigen Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 19. Januar 2009 über stationäre Reha-Behandlung vom 5. August 2008 bis 20. Januar 2009 sowie den ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik B. vom 25. Februar 2009 (als Diagnosen werden neben den Reha-Diagnosen bzgl. der linken Schulter als weitere Diagnosen kleiner Bandscheibenprolaps C 3 /4 sowie Anpassungsstörung im Rahmen Persönlichkeitsstörung genannt) wird verwiesen.

Die Beklagte holte im Rahmen der ersten Rentengutachten ein neurologisches Zusatzgutachten zum Rentengutachten vom 27. März 2009 der Dipl.Med. B. R. ein. Als wesentliche Unfallfolgen bestünde ein Zustand nach Acromioclavikularruptur Tossy links mit ACG-Arthrose. Aus neurologischer Sicht bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

In dem von der Beklagten eingeholten Gutachten auf psychiatrischem Gebiet des Prof. Dr. P. vom 17. Juli 2009 werden als Diagnosen für die Zeit nach dem Arbeitsunfall bis zu einem zweiten Arbeitsunfall am 8. Dezember 2007, bei dem sich der Kläger den Kopf bei einem Sprung nach oben an einer Absaugung gestoßen hat, eine depressive Episode leichten Grades, für die Zeit danach eine depressive Episode mittleren bis schweren Grades beschrieben. Die MdE betrage hierfür 15 v. H. bzw. 60 v. H. Durch die Geburt der jüngsten Tochter (mit gesundheitlicher Einschränkung) im Juli 2007 sei es zu einer geringfügigen Befundverschlechterung gekommen. Die Befundverschlechterung stehe jedoch nicht in kausalem Zusammenhang mit den Arbeitsunfällen. Eine somatoforme Schmerzstörung sei nicht gegeben.

Im unfallchirurgischen Gutachten des Dr. S. vom 27. Juli 2009 wird eine seitengleich ausgebildete Muskulatur an Ober- und Unterarmen geschildert, auch die Handflächenbeschwielung sei seitengleich. Aus den aktuellen Röntgenaufnahmen der linken Schulter ergebe sich kein Hinweis auf ein auffälliges Impingement, die Knochenstruktur sei regelrecht. Der Gutachter nannte als Diagnosen eine AC-Gelenksverletzung Typ Rockwood I linke Schulter, AC-Gelenksarthrose posttraumatisch und unfallunabhängig eine SLAP 1-Läsion linke Schulter sowie eine Bandscheibenprotrusion HWK 3/4. Es lägen Unfallfolgen vor bzgl. Bewegungseinschränkung linke Schulter, Kraftverlust linker Arm, röntgenologische Veränderungen mit lateraler Clavikularesektion bei deutlichen Aggravationstendenzen. Die MdE wurde auf 10 v. H. eingeschätzt. Der Sachverständige wies auf eine deutliche Diskrepanz zwischen angegebenen Beschwerden und tatsächlich objektivierbaren Unfallverletzungsfolgen hin.

Mit beratungsärztlicher Stellungnahme des Prof. Dr. G. wurde eine erneute Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet empfohlen. Der Klägerbevollmächtigte teilte am 14. Oktober 2009 mit, es werde keine neue Begutachtung im Verwaltungsverfahren gewünscht.

Mit ergänzender Stellungnahme des Dr. P. vom 29. Dezember 2009 wies dieser auf das Fehlen psychiatrischer Vorerkrankungen vor dem ersten Arbeitsunfall hin. Beide Unfallgeschehen seien generell geeignet, psychiatrische Erkrankungen auszulösen. Das erste Unfallereignis sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursächlich und wesentlich für die depressive Episode leichten Grades. Der zweite Arbeitsunfall sei lediglich Gelegenheitsursache für die Verschlechterung. Zu diesem Zeitpunkt habe eine psychiatrische Vorerkrankung nach dem ersten Arbeitsunfall bestanden. Bislang bestehe keine ausreichende psychiatrische Behandlung. Es liege zum Nachuntersuchungszeitpunkt eine Besserung der MdE auf 50 v. H. vor, anzustreben sei ein rehabilitative Wiedereinstieg am Arbeitsplatz mit dem Ziel leichterer Tätigkeiten.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. K. vom 8. April 2010 wird ein im Vollbeweis vorliegender psychischer Primärschaden in Abrede gestellt. Eine messbare unfallbedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe bzgl. des Unfalls vom 20. Juli 2006 und auch bzgl. des Unfalls vom 8. Dezember 2007 nicht.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2010 erkannte die Beklagte den Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 an mit den Unfallfolgen: „Linke Schulter: Nach einer Verrenkung des Schultereckgelenkes mit Zerrung des Kapsel-/Bandapparates (Rockwood I) bestehen noch: Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes, röntgenologische Veränderungen des Schultereckgelenkes mit Teilentfernung des äußeren Anteils des Schlüsselbeins, Kraftverlust des Armes, belastungsabhängige Beschwerden.“ Nicht als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt die Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2007, eine depressive Episode mittleren bis schweren Grades, eine Verletzung der Knorpellippe am oberen Rand der Schulterpfanne (SLAP Läsion), Bandscheibenschädigungen zwischen dem 3. und 4. HWK. Eine Verletztenrente sei nicht zu gewähren.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2011 zurück. Zu den im Widerspruchsverfahren vorgelegten MRT-Bildern der linken und rechten Schulter hatte die Beklagte eine Stellungnahme des Prof. Dr. B. vom 18. Januar 2011 eingeholt. Anlässlich der MRT-Untersuchungen im September 2010 habe ein leichtgradiger Reizzustand des Schulterdachgleitbeutels (Bursitis subacromialis) und ein leichter Reizzustand des ehemaligen Schultereckgelenks vorgelegen.

Hinsichtlich des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2007 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Feststellung von Unfallfolgen ab. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht München (Az.: S 9 U 187/11) hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2013 zurückgenommen.

Hinsichtlich des Bescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011, der den Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 betraf, hat der Kläger ebenfalls Klage zum Sozialgericht München erhoben. Er hat zur Begründung eine Darstellung des Unfallhergangs (Schleudern mit Oberkörper, Kopf und Nackenbereich gegen Robotersockel, Bewusstlosigkeit nach dem Unfall) und der nachfolgenden Behandlungen vorgelegt.

Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte eingeholt und den Orthopäden Dr. K. sowie den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

Dr. K. hat in seinem Gutachten vom 5. November 2011 die Ansicht vertreten, dass die MdE weniger als 10 v. H. betrage. Allerdings sei bereits der Unfallhergang bzw. -zusammenhang fraglich, wegen der wohl großen Gewalteinwirkung sei jedoch der Unfall als wesentliche Teilursache der aufgetretenen Schultereckgelenksschädigung anzusehen.

Dr. D. hat in seinem Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vom

3. März 2012 dargelegt, dass bei dem Unfall Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht aufgetreten seien. Erstmals etwa zwei Jahre nach dem Unfall seien psychische Auffälligkeiten zu beobachten gewesen, zu werten als Zeichen einer beginnenden psychogenen Fehlverarbeitung tendenzieller Ausrichtung. Diese seien nicht als Unfallfolgen anzusehen, sondern als Folge von Persönlichkeitseigentümlichkeiten. Vorbestehende Leiden seien durch den Unfall auch nicht verschlimmert worden. Hinsichtlich der MdE hat der Sachverständige auf das Gutachten des Dr. K. verwiesen.

Mit Bericht vom 30. Juli 2012 der BG-Unfallklinik M. wird über Behandlung am gleichen Tag berichtet. Es wird angeführt, dass nach der letzten MRT-Untersuchung wesentliche Unfallfolgen nicht mehr nachzuweisen seien. Es liege eine erhebliche psychosomatische Überlagerung vor. Es erging Empfehlung einer psychosomatischen Behandlung, allerdings zulasten der Krankenkasse.

Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Prof. Dr. W. auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet vom 25. Januar 2013 eingeholt. Bei nach dem Unfall fortbestehenden Schmerzen sei eine Gelenksprengung Typ Rockwood I links diagnostiziert worden. Eine valide diagnostische Einordnung der neuropsychologischen Untersuchungsergebnisse sei nicht möglich. Aufgrund der Schmerzen habe sich eine somatoforme Schmerzstörung entwickelt. Die MdE sei deshalb mit 20 v. H. auf psychiatrischem Fachgebiet anzusetzen. Dabei sei berücksichtigt, dass auch Aggraviationstendenzen vorhanden seien - was jedoch nicht untypisch für somatoforme Schmerzstörungen sei. Im Gegensatz zur Begutachtung bei Herrn

Dr. B./Dr. P. fänden sich keine Hinweise auf Depression oder depressive Phasen. Auf neurologischem Fachgebiet sei keine Schädigung nachzuweisen. Das vom Kläger angeführte Schädelhirntrauma mit sechzehnminütiger Bewusstlosigkeit im Rahmen des Unfalls sei in den Unterlagen nicht dokumentiert.

Im weiterhin übersandten neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 14. September 2012 des Prof. Dr. Z. wird hervorgehoben, dass sich insgesamt in den Bereichen Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis, exekutive Funktionen durchwegs deutlich beeinträchtigte Leistungen ergeben hätten. Sprach- und Instruktionsverständnis wäre gut gegeben gewesen, die erhaltenen Ergebnisse seien nicht interpretierbar.

Die Kammer hat ferner das in dem Verfahren eingeholte Gutachten des Prof. Dr. W. vom 23. April 2013, das den Arbeitsunfall vom 8. Dezember 2007 betroffen hat, sowie das im Rentenverfahren (Az. S 25 R 174/13) eingeholte sozialgerichtliche Gutachten des Dr. M. vom 16. Juli 2013 beigezogen. Dr. M. hat neben einer leichtgradigen depressiven Episode eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2013 hat die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld für den Zeitraum vom 14. April 2008 bis 20. Januar 2009 anerkannt. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil abgewiesen. Unter Berücksichtigung des Erstschadensbildes, dem Gutachten des Dr. K. und der Fachliteratur werde aus orthopädischer Sicht keine rentenberechtigende MdE von wenigstens 20 v. H. erreicht. Auch weitere Unfallfolgen in Form der von Prof. Dr. W. befürworteten somatoformen Schmerzstörung seien zur Überzeugung des Gerichts nicht anzuerkennen. Diese Diagnose sei nicht gesichert.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und die Einholung eines „Obergutachtens“ auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet angeregt.

Der gemäß § 109 SGG gehörte Orthopäde Dr. C. hat als Unfallfolgen in seinem Gutachten vom 5. Mai 2014 lediglich eine Prellung des rechten Armes und der rechten Schulter sowie eine Prellung des linken Schulterblattes mit begleitender Schürfverletzung angenommen. Es gelinge nicht der Beweis einer stattgehabten Schultereckgelenksverletzung links. Der festgestellte Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS müsse als degenerativ bewertet werden. Sämtliche Unfallfolgen seien bis 12. Oktober 2006 folgenlos ausgeheilt. Eine MdE bestehe nicht.

Zu dem Gutachten des Prof. Dr. W. hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. D. vom Juli 2014 eingeholt. Dieser hat an seinem Gutachtensergebnis festgehalten. Weder eine undifferenzierte somatoforme Schmerzstörung noch eine somatoforme Schmerzstörung seien in der Diagnosestellung und erst recht nicht als Unfallfolge belegt. Eine psychische Störung sei erst ca. zwei Jahre nach dem Unfall dokumentiert. Daraus allein könne zwar nicht geschlossen werden, dass keine unfallbedingte psychische Störung vorliege und vorgelegen habe. Dies sei aber im Hinblick auf den fachärztlichen Vorbefund (kein auffälliger psychischer Befund bei der Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. am 4. Oktober 2007) spekulativ. Soweit Dr. M. neben einer leichtgradigen depressiven Episode eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert habe, sei aus den Befunden nur bedingt nachvollziehbar, wie er zu dieser Diagnose gekommen sei, zumal er in der Beurteilung immer wieder auf erhebliche Aggraviationstendenzen des Klägers hinweise.

Der Durchgangsarzt Dr. S. hat in seinem Befundbericht vom 17. Februar 2014 ein chronisches Schmerzsyndrom an der linken Schulter (ICD 10) diagnostiziert. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. W. hat am 5. März 2014 eine Anpassungsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Eine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sei nicht erfolgt. Hinsichtlich eines Zusammenhangs mit den Unfallereignissen hat die Ärztin auf die Diskussion in den Gutachten verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2014 hat der Kläger nochmals den Unfallhergang geschildert und auf seitdem bestehende gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen hingewiesen. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 20. Juli 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakte des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Nicht streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII), der in dem Ereignis vom 20. Juli 2006 zu sehen ist. Die Schilderung des Unfallereignisses durch den Kläger, vor allem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, deckt sich im Wesentlichen mit der Schilderung der Arbeitgeberin in der Unfallanzeige. Der Kläger wurde an Rücken und Schulter von dem schweren Maschinenteil getroffen und stürzte zu Boden, wobei er sich auch an der rechten Schulter stieß. Zu Recht weist z. B. auch der vom Kläger benannte Gutachter Prof. Dr. W. darauf hin, dass ein Schädelhirntrauma mit sechzehnminütiger Bewusstlosigkeit nach Aktenlage nicht dokumentiert ist. Es bestehen erhebliche Differenzen zwischen den vorliegenden Befunden - ausgehend von dem Durchgangsarztbericht des Dr. L. vom Unfalltag - und der späteren Darstellung der Schwere des Unfallereignisses durch den Kläger. Mehrere Gutachter verweisen auf die deutlichen Aggravationstendenzen des Klägers; auch objektiv ist festzuhalten, dass der Kläger weiterarbeiten konnte und vom Durchgangsarzt Arbeitsfähigkeit bescheinigt wurde.

Die Beklagte hat mit streitgegenständlichem Bescheid den Arbeitsunfall sowie als Unfallfolgen betreffend der linken Schulter festgestellt: „Nach einer Verrenkung des Schultereckgelenkes mit Zerrung des Kapsel-/Bandapparates (Rockwood I) bestehen noch: Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes, röntgenologische Veränderungen des Schultereckgelenkes mit Teilentfernung des äußeren Anteils des Schlüsselbeins, Kraftverlust des Armes, belastungsabhängige Beschwerden“. Von diesen Unfallfolgen ist zunächst auszugehen, auch wenn nach dem Gutachten des Dr. C. der Nachweis einer Schultereckgelenksverletzung links nicht als Unfallfolge gelingt.

Nach allen Gutachten ergibt sich darüber hinaus übereinstimmend, dass der festgestellte Bandscheibenvorfall BWK 3/4 keine Unfallfolge ist. Auch ergibt sich aus den orthopädischen Gutachten übereinstimmend, dass keine weiteren Unfallfolgen auf diesem Fachgebiet anzuerkennen sind.

Zu entscheiden ist über die Frage, ob sich hieraus ein Anspruch auf eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. ergibt. Das Vorliegen eines Stützrententatbestandes wird von den Beteiligten verneint. Darüber hinaus ist maßgebend, ob auch eine somatoforme Schmerzstörung besteht, die ebenfalls für die Bewertung der MdE zu berücksichtigen wäre.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 S. 2 SGB VII. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSGE 21, 63, 66; vom 26. November 1987, SozR 2200 § 581 Nr. 27; vom 30. Mai 1988, a. a. O., Nr. 28).

Dabei muss die Gesundheitsbeeinträchtigung in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z. B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.

Das Sozialgericht hat unter Berücksichtigung der Gutachten des Dr. K. dargelegt, dass auf orthopädischem Fachgebiet eine MdE von 20 v. H. nicht gegeben ist. Das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung hat das Sozialgericht unter Auswertung der Gutachten des Dr. D. und Prof. Dr. W. als nicht nachgewiesen beurteilt. Der Senat folgt dieser Einschätzung durch das Sozialgericht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dies bestätigte sich auch durch die Ermittlungen des Senats im Berufungsverfahren.

Auf orthopädischem Fachgebiet hat der Senat auf Antrag des Klägers das Gutachten des Dr. C. eingeholt, der nur als unfallbedingt eine Prellung des rechten Armes und der rechten Schulter sowie eine Prellung des linken Schulterblattes mit begleitender Schürfverletzung angenommen hat und deshalb im Ergebnis zu keiner MdE gelangt. Sämtliche Unfallfolgen sind nach Ansicht dieses Sachverständigen bis 12. Oktober 2006 folgenlos ausgeheilt. Eine stattgehabte Zerrverletzung des Schultereckgelenks vom Typ Rockwood I hat der Sachverständige als rein hypothetisch angesehen bzw. aufgrund der offensichtlich unfallzeitpunktnahen Beschwerdefreiheit am linken Schultereckgelenk ausgeschlossen. Diese stringente medizinische Bewertung steht, wie dargelegt, im Widerspruch zu den orthopädischen Vorgutachten des Dr. S., der als unfallbedingte Folge eine AC-Gelenksverletzung Typ Rockwood I linke Schulter sowie eine AC-Gelenksarthrose posttraumatisch ansah, und des Dr. K.. Letztere sah die im Unfall aufgetretene deutliche Gewalteinwirkung wenigstens als wesentliche Teilursache der aufgetretenen Schultereckgelenksschädigung an. Gemäß dem Gutachten des Dr. S. hat die Beklagte auch die orthopädischen Unfallfolgen anerkannt. Auch nach diesen beiden Gutachten ergibt sich jedoch keine MdE in Höhe von 20 v. H.

Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Fachliteratur. Während unkomplizierte Schultergelenksverrenkungen regelmäßig ohne nennenswerte Schäden ausheilen, ist bei den darüber hinausgehenden Beeinträchtigungen vor allem auf die Bewegungseinschränkungen abzustellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin (abgekürzt S/M/V), Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 520 und 523). Beim Kläger besteht ein Impingementsyndrom, d. h. ein Engpasssyndrom. Dr. K. konnte im Rahmen der Untersuchung keine reproduzierbare Bewegungseinschränkung insbesondere hinsichtlich der Überkopfbewegungen feststellen. Auch wenn der Kläger den linken Arm in Schonhaltung am Körper adduziert geführt hat, waren die gemessenen Bewegungsausmaße der Schultergelenke rechts und links identisch. Dr. C. stellte lediglich eine Abweichung bei Seithebung mit Schultergürtel fest (rechts 90 Grad, links 70 Grad); die aktive Schultervorhebung, nach S/M/V das Hauptkriterium (S/M/V, a. a. O; S. 523), war mit 90 Grad seitengleich. Die Entwicklung des Deltamuskels war seitengleich normal. Es zeigte sich links auch keine auffallende Atrophie oder Mindertonisierung. Eine MdE - zumindest in Höhe von 20 v. H. - lässt sich hieraus somit nicht ableiten.

Auf psychiatrischem Fachgebiet ist fraglich, ob eine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung nachgewiesen ist. Nach den im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Berichten wie des Dr. S. hat der Kläger Schmerzen im Bereich der linken Schulter; Dr. S. geht von einem chronischen Schmerzsyndrom an der linken Schulter aus. Die Beklagte hat auch belastungsabhängige Beschwerden - neben Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks - anerkannt.

Es finden sich auch einige ärztliche Dokumentationen wie das Gutachten des Prof. Dr. W., das Rentengutachten des Dr. M. oder der Arztbrief der Dr. W. vom 5. März 2014, die eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung beschreiben. Dabei ergibt sich aber andererseits auch aus diversen Ausführungen, dass eine deutliche Aggraviationstendenz des Klägers besteht. Ferner erfolgt nach Auskunft der behandelnden Neurologin Dr. W. entgegen der Empfehlungen der Gutachter bislang keine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung.

Dr. D. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass weder die Diagnose einer undifferenzierten somatoformen Schmerzstörung noch einer somatoformen Schmerzstörung belegt ist und erst recht nicht als Unfallfolge anzuerkennen ist. Eine psychische Störung ist erst ca. zwei Jahre nach dem Unfall dokumentiert. Die fachärztlichen Vorbefunde waren zwischen dem Unfallereignis und der ersten Befunderhebung unauffällig, so bei der Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. am 4. Oktober 2007. Auch aus dem Gutachten des Prof. Dr. W. ergeben sich hinsichtlich der Frage der Unfallkausalität - bei Annahme der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung - Anhaltspunkte für Zweifel auch des Sachverständigen, wenn er auf S. 84 seines Gutachtens ausführt: „Soweit der Kausalzusammenhang bejaht wird“. Darüber hinaus stellt der Sachverständige z. B. im Rahmen des strukturierten klinischen Interviews stark auf die Angaben des Klägers (z. B. auf S. 59: (...)“nach seinen Aussagen“) ab. Die Ursachen somatoformer Schmerzstörungen sind, wie Prof. Dr. W. auch ausführt, vielfältig. Es spielen die genetische Vulnerabilität sowie die Persönlichkeitseigenschaften eine wichtige Rolle. Der Unfall stellt somit auch nach Prof. Dr. W. nur eine Teilursache, wenn auch eine wesentliche, dar.

Die Neurologin und Psychiaterin Dr. R. diagnostizierte am 4. August 2008 erstmals eine somatoforme Schmerzstörung, es fiel aber bereits eine deutliche Somatisierungstendenz auf, die Beschwerdeschilderung war teils demonstrativ und kaum nachvollziehbar, Aggravationstendenzen waren nicht auszuschließen. Vor dem Hintergrund der erst spät dokumentierten psychischen Befunde und den Verdeutlichungstendenzen hält der Senat die Ausführung des Dr. D. für überzeugend, dass es sich insgesamt nicht um eine unfallbedingte Gesundheitsstörung, sondern um tendenzielle Verhaltensweisen im Sinne einer psychogenen Fehlverarbeitung tendenzieller Ausrichtung handelt. Der Sachverständige sieht hier die wesentliche Ursache nicht in dem Unfallereignis, sondern in den Persönlichkeitseigentümlichkeiten, so dass eine Berücksichtigung bei der MdE-Bewertung nicht erfolgen kann.

Auch die Unfallklinik M. ist bereits im Juli 2012 zu dem Ergebnis gelangt, nachdem die letzte MRT-Untersuchung ergeben hat, dass wesentliche Unfallfolgen nicht mehr nachgewiesen werden können, dass ein vernünftiger Behandlungsansatz fehlt. Es konnten weder Reizzustände noch andersartige Gewebeveränderungen festgestellt werden, die als Erklärung für die vorgetragene Schmerzhaftigkeit in der Schulter in Betracht kommen. Das Ausmaß der verbliebenen Unfallfolgen war objektiv aufgrund unverkennbarer Verdeutlichungstendenzen nur sehr schwer zu messen. Es wurde im Ergebnis eine erhebliche psychosomatische Überlagerung angenommen, so dass als der einzige denkbare Therapieansatz eine psychosomatische Behandlung vorgeschlagen wurde, allerdings zulasten der Krankenkasse.

Der Senat ist daher zu der Überzeugung gelangt, dass keine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung vorliegt, sondern eine Persönlichkeitseigentümlichkeit im Vordergrund steht. Aber auch bei Annahme einer Schmerzstörung ergäbe sich bei der Bewertung der MdE kein abweichendes Ergebnis, wie dies oben unter Bezugnahme auf die Fachliteratur bereits dargelegt wurde. Die beim Kläger festgestellten Bewegungsmaße lassen nur eine geringfügige Bewegungseinschränkung erkennen. Eine Muskeldifferenz im Bereich der Oberarme ist nicht gegeben. Dabei ist der Kläger von kräftiger Statur, der Muskelumfang 15 cm oberhalb des Gelenkspaltes wurde von Dr. C. mit jeweils 35 cm seitengleich gemessen. Dies spricht nicht für ein Ausmaß der Schmerzen, das zu einer MdE in Höhe von 20 v. H. führen würde.

Eine depressive Episode, wie von Dr. B./Dr. P. beschrieben, bestätigte sich in den letzten Gutachten nicht. Ausdrücklich weist hierauf auch Prof. Dr. W. hin.

Nicht ausreichend für die Gewährung einer Verletztenrente ist ein Vorbringen, vor dem Unfallereignis gesund gewesen zu sein und seitdem unter verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen einem Unfallereignis und Gesundheitsschäden ist nicht ausreichend.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Mit der Klage kann begehrt werden

1.
die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2.
die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,
3.
die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist,
4.
die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

(2) Unter Absatz 1 Nr. 1 fällt auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

(3) Mit Klagen, die sich gegen Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch richten, kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die gerichtliche Feststellung eines Arbeitsunfalls.

2

Am 5.5.2006 brachte sie während ihrer Freistellungsphase aufgrund vereinbarter Altersteilzeit ihrem Arbeitgeber ein von ihm auszufüllendes Formular für eine sog Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt, um sie sodann beim Rentenversicherungsträger vorzulegen, damit dieser ihr nahtlos zum Eintritt in den Ruhestand Rente wegen Alters in richtiger Höhe zahlen sollte. Dabei stolperte sie auf einer Treppe im Betriebsbereich, stürzte auf ihr linkes Handgelenk und erlitt dadurch einen Speichenbruch des linken Unterarms.

3

Die Beklagte lehnte es ab, deswegen einen Arbeitsunfall festzustellen (Bescheid vom 17.8.2006; Widerspruchsbescheid vom 17.1.2007). Von einer versicherten Tätigkeit sei nicht auszugehen, da die Abgabe der Bescheinigung im eigenwirtschaftlichen Interesse der Klägerin gelegen habe.

4

Die Klagen und die Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG Landshut vom 29.3.2010 und Urteil des Bayerischen LSG vom 8.2.2011). Das LSG hat ausgeführt: Ein sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit als Beschäftigte und der Überbringung des Formulars liege nicht vor. Das private Interesse der Klägerin im Rahmen ihrer Sozialversicherungsangelegenheit stehe hierbei im Vordergrund. Soweit auch Belange des Arbeitgebers berührt seien, beträfen diese weder seine unmittelbaren Pflichten aus dem Arbeitsvertrag noch seine allgemeine Fürsorgepflicht. Dass die Gewährung von Altersrente zugleich Voraussetzung für die Gewährung einer Betriebsrente sei und dass der Arbeitgeber bei fehlerhafter oder verspäteter Ausstellung der Bescheinigung sich möglicherweise schadensersatzpflichtig mache, rechtfertige kein anderes Ergebnis. Zwar habe das BSG einen Arbeitnehmer auf dem Weg zum Personalbüro als versichert angesehen, wenn er dort eine Arbeitsbescheinigung abholen wollte, die er für die weitere Aufenthaltserlaubnis benötige (Urteil vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78). Während der Arbeitgeber die Ausstellung der Arbeitsbescheinigung aufgrund seiner Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis schulde, diene die Vorausbescheinigung jedoch wesentlich dem eigenwirtschaftlichen Interesse der Realisierung von Sozialleistungsansprüchen.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Das Überbringen des Formulars für eine Vorausbescheinigung des Arbeitgebers stehe im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Die ordnungsgemäße Ausfüllung einer Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI stelle neben der Erfüllung seiner Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis eine eigene gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers dar und habe daher nicht ausschließlich in ihrem privaten Interesse gelegen. Eine unrichtige oder verspätete Ausstellung der Bescheinigung hätte nicht nur dazu geführt, dass die Klägerin nicht nahtlos die rentenversicherungsrechtliche Altersrente erhalten hätte. Der Bezug der Altersrente sei auch Voraussetzung für den Bezug der betrieblichen Altersrente gewesen. Die Ausstellung der Bescheinigung habe also im Hinblick auf ihre möglicherweise entstehenden Schadensersatzansprüche im wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers gelegen. Sie habe ohne weiteres der Auffassung sein können, mit der Überbringung des Formulars und der beabsichtigten gemeinsamen Ausfüllung desselben mit dem zuständigen Mitarbeiter des Arbeitgebers, eine sich aus ihrem Arbeitsverhältnis ergebende Nebenpflicht zu erfüllen. Schließlich müsse die Entscheidung des BSG (Urteil vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78) - anders als das LSG meint - aufgrund der in beiden Fällen vergleichbaren Motivation der Arbeitnehmer zur Zurechnung der Abgabe des Formulars zur versicherten Tätigkeit führen. In beiden Fällen bestehe eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis.

6

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 29. März 2010 aufzuheben und unter Aufhebung der die Feststellung eines Versicherungsfalls ablehnenden Entscheidung in dem Bescheid der Beklagten vom 17. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2007 festzustellen, dass das Ereignis vom 5. Mai 2006 ein Arbeitsunfall der Klägerin ist.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Die Entscheidung des BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe die Vorausbescheinigung zur Berechnung ihrer Altersrente und nicht für ihre Arbeitstätigkeit benötigt. Mangels Aufforderung zum Tätigwerden sei auch die Motivationslage in beiden Fällen unterschiedlich gewesen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat die zulässige Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen, da das SG ihre zulässigen Klagen zutreffend als unbegründet abgewiesen hat.

10

Gemäß § 54 Abs 1 iVm § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG ist die Kombination einer Anfechtungs- mit einer Feststellungsklage zulässig.

11

Die Anfechtungsklage richtet sich zulässig gegen die Ablehnung des von der Klägerin bei der Beklagten verfolgten Anspruchs auf Feststellung des geltend gemachten Arbeitsunfalls.

12

Die Feststellungsklage ist statthaft auf die gerichtliche Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG, nämlich des geltend gemachten Versicherungsfalls, gerichtet. Der Eintritt eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 SGB VII bedeutet die Begründung eines konkreten, nach Inhalt und Umfang durch den Versicherungsfall bestimmten Leistungsrechtsverhältnisses zwischen dem Versicherten und einem bestimmten Unfallversicherungsträger, aus dem konkrete Rechte auf Versicherungsleistungen entstehen können, aber nicht müssen.

13

Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen gerichtlichen Feststellung, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, also das Leistungsrechtsverhältnis besteht. Insbesondere fehlt es hieran nicht deshalb, weil sie nach ständiger Rechtsprechung des BSG zulässig auch eine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Arbeitsunfalls, also auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes, erheben könnte. Der prozessuale Nachrang der Feststellungsklage im Verhältnis zu den (Gestaltungs- und) Leistungsklagen (Verpflichtungsklagen, allgemeine Leistungsklagen) besteht nur, wenn das jeweilige Rechtsschutzbegehren umfassend und effektiv durch eine dieser spezieller ausgestalteten Klagen verfolgt werden kann. Die Feststellungsklage ist aber gerade bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls jedenfalls gleich rechtsschutzintensiv, da die gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalls mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit für die Beteiligten auch materiell rechtskräftig wird (§§ 141 Abs 1, 179, 180 SGG). Allerdings kann die Verpflichtungsklage dem maßgeblichen (§ 123 SGG) Begehren des Verletzten im Einzelfall eher entsprechen. Daher erkennt das BSG ein Wahlrecht des Verletzten zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen Verpflichtungsklage an (zuletzt BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN; BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - Juris RdNr 9 mwN - UV-Recht Aktuell 2010, 897 und BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25 RdNr 8 mwN).

14

Die Klagen sind, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht begründet.

15

Die Anfechtungsklage ist unbegründet, weil die Ablehnung der Feststellung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte rechtmäßig und die Klägerin dadurch nicht in einem ihr zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Sie hat nämlich gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, da kein Arbeitsunfall vorliegt. Deswegen ist der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig und auch die Feststellungsklage unbegründet, weil das umstrittene Rechtsverhältnis nicht besteht.

16

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Arbeitsunfalls vom 5.5.2006.

17

Der Versicherte kann vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung eines Versicherungsfalls, hier eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII, beanspruchen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

18

Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit, S 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 S 2).

19

Ein Arbeitsunfall setzt danach voraus: Eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis muss den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Diese Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese Einwirkung muss schließlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; vgl ua BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 16; BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17, RdNr 10; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 30 RdNr 10 mwN).

20

Die Klägerin hat keine versicherte Tätigkeit verrichtet, war also keine Versicherte und hat deshalb keinen Arbeitsunfall erlitten, als sie ihrem Arbeitgeber das Formular für eine Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt für den Rentenversicherungsträger brachte und dabei auf einer Treppe im Betriebsbereich stürzte. Versicherter ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer (in der freiwilligen Versicherung nach § 6 Abs 1 SGB VII nur kraft Antrags iS des Abs 2 aaO) versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt.

21

Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese auch als "Handlungstendenz" bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten ist eine innere Tatsache.

22

Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung (erst recht nicht eine niedrigere Vorsatzstufe) reicht hingegen nicht.

23

Zwar liegt die objektive Grundvoraussetzung der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit, das von außen beobachtbare Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, mit dem Begehen der Treppe vor. Dieses sehr unspezifische Verhalten lässt aber aus sich heraus keinen Schluss auf die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes einer versicherten Tätigkeit zu. Jedoch steht es in natürlicher Handlungseinheit mit der Überbringung des Formulars, dessen Ausfüllung als Vorausbescheinigung die Klägerin von ihrem Arbeitgeber beanspruchte. Daher kommt, wie die Vorinstanzen zutreffend angesprochen haben, als einziger Tatbestand einer versicherten Tätigkeit der der Beschäftigtenversicherung, also die Tätigkeit als "Beschäftigte" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII in Betracht.

24

Die Klägerin hat die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sind "Beschäftigte" versichert.

25

Das Gesetz stellt für die Versicherteneigenschaft nicht abstrakt auf einen rechtlichen "Status" als "Beschäftigter" ab. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind Rechte auf Versicherungsleistungen nach den §§ 26 ff SGB VII bei Arbeitsunfällen iS des § 8 Abs 1 S 1 SGB VII nur wegen solcher Unfälle vorgesehen, die infolge "einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" entstanden sind. Die Tatbestände der versicherten Tätigkeiten sind jeweils gesondert materiell gesetzlich bestimmt und begründen eigenständige "Sparten" der gesetzlichen Unfallversicherung mit eigenen Schutzbereichen. Nur wenn, solange und soweit jemand den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eine eigene Verrichtung erfüllt, ist er gegen Unfälle (§ 8 Abs 1 S 2 SGB VII) versichert, die rechtlich wesentlich durch diese Verrichtung verursacht werden.

26

Deswegen reicht die Fiktion einer Beschäftigung für Personen nach § 7 Abs 1a SGB IV, die wegen Altersteilzeit von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt sind, zur Begründung der Versicherteneigenschaft nicht aus. § 7 Abs 1 und 1a SGB IV lassen die unfallversicherungsrechtliche Bedeutung des Rechtsbegriffs "Beschäftigte" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII unberührt, soweit sie davon abweichen(§ 1 Abs 3 SGB IV). Erforderlich ist auch bei solchen Freigestellten stets die tatsächliche Verrichtung einer Beschäftigung.

27

1. Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als "Beschäftigter" setzt tatbestandlich voraus, dass der Verletzte eine eigene Tätigkeit(vgl auch § 121 Abs 1 SGB VII) in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII).

28

Das ist nur der Fall, wenn

-       

seine Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen,

-       

er eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht,

-       

er eigene unternehmensbezogene Rechte aus der Beschäftigung ausübt.

29

a) Für die Verrichtung einer Tätigkeit als Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII kommt es nach dem Wortlaut dieser Vorschrift im Zusammenhang des SGB VII objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile nur für das Unternehmen des anderen bringen soll. Denn nur unter diesen Voraussetzungen ist nicht der die Tätigkeit Verrichtende selbst Unternehmer im unfallversicherungsrechtlichen Sinne (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII), sondern der andere, der durch sie unmittelbar begünstigt wird. Der "Beschäftigte" verrichtet seine Beschäftigung also nur, wenn er Handlungen in Unterordnung zur selbständigen Tätigkeit eines anderen und zu deren unmittelbaren Förderung vornimmt.

30

b) Auch die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII führt zu diesem Ergebnis.

31

Nach den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) erfasst § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII die Beschäftigten iS des § 7 Abs 1 SGB IV(vgl BT-Drucks 13/2204, S 74 zu § 2 Abs 1 SGB VII). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (S 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S 2).

32

§ 7 Abs 1 SGB IV ist mit Wirkung vom 1.7.1977 durch Gesetz vom 23.12.1976 (BGBl I 3845, 3846) eingeführt worden. Eine entsprechende Vorschrift gab es bis dahin nicht. Der Begriff der Beschäftigung war jedoch Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung zu allen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, die mit der Begriffsbestimmung zu § 7 SGB IV im Wesentlichen übereinstimmt. Nach § 7 Abs 1 SGB IV liegt eine Beschäftigung zwar immer dann vor, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht; sie kann allerdings auch ohne ein Arbeitsverhältnis gegeben sein (vgl BT-Drucks 7/4122, S 31). Hierin ist eine Konkretisierung und behutsame Weiterentwicklung der in der Rechtsprechung bereits vorher herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze zu sehen (vgl Knospe in Hauck/Noftz, SGB IV, Stand August 2009, K § 7 RdNr 9 unter Hinweis auf BSGE 37, 10, 13; 41, 24, 25; 41, 41, 53; vgl zur Entwicklung des § 7 SGB IV in der Folgezeit: Seewald in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV RdNr 1, Stand April 2012 sowie Rittweger in BeckOK SGB IV, § 7 RdNr 1, Stand 1.3.2012). Auch Dienstleistungsverhältnisse anderer Art werden erfasst, soweit das Handeln des Dienstverpflichteten sich in das Unternehmen des Dienstberechtigten einfügt und dessen unmittelbarer Förderung dient.

33

Ein Verletzter hat nach den allgemeinen Anhaltspunkten des § 7 Abs 1 SGB VII dann eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII ausgeübt, wenn er sich in ein fremdes Unternehmen (eine fremde Arbeitsorganisation) eingliedert und seine konkrete Handlung sich dem Weisungsrecht eines Unternehmers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer und Art der Verrichtung, unterordnet(vgl hierzu etwa BSG vom 29.1.1981 - 12 RK 63/79 - BSGE 51, 164, 167 = SozR 2400 § 2 Nr 16 mwN sowie BSG vom 17.3.1992 - 2 RU 22/91 - SozR 3-2200 § 539 Nr 16 S 57). Naturgemäß ist dieses Weisungsrecht besonders bei Diensten höherer Art erheblich eingeschränkt; es genügt für die Unterordnung unter die Tätigkeit des anderen die "funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess" (vgl hierzu schon BSG vom 14.12.1999 - B 2 U 38/98 R - BSGE 85, 214, 216 = SozR 3-2200 § 539 Nr 48 S 202 mwN).

34

c) Ferner sind die unfallversicherungsrechtlichen Bedeutungen der Begriffe des "Beschäftigten" und der Verrichtung einer Beschäftigung iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII eigenständig nach dem Zweck dieses Versicherungstatbestandes im Gefüge des SGB VII zu bestimmen.

35

Die Schutzzwecke der Beschäftigtenversicherung und ihre Stellung im Rechtssystem begrenzen den Anwendungsbereich des Versicherungstatbestandes des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gleichfalls auf die oben umschriebenen Voraussetzungen.

36

Zweck der Beschäftigtenversicherung ist vor allem anderen der umfassende Unfallversicherungsschutz aller Beschäftigten vor und bei Gesundheitsschäden (oder Tod) infolge der Verrichtung der Beschäftigung, unabhängig davon, ob ein anderer den Unfall überhaupt mitverursacht und ggf dabei rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat.

37

Die Versicherung zielt primär auf die Verhütung von Gesundheitsschäden und Tod infolge der Gefahren ab, denen die Beschäftigten gerade durch die Verrichtung der Beschäftigung in Eingliederung in den fremdbestimmten Unternehmensbereich ausgesetzt sind (Prävention nach §§ 14 ff SGB VII). Ferner wird ihnen, falls die Prävention versagt, bei Gesundheitsschäden eine umfassende medizinische Rehabilitation sowie berufliche und soziale Teilhabe gesichert. Zudem werden sie gegen die wirtschaftlichen Folgen einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit geschützt. Bei unfallbedingtem Tod sollen auch ihre Familienangehörigen gegen den Unterhaltsverlust abgesichert werden.

38

Daneben soll die Beschäftigtenversicherung auch den sog Betriebsfrieden nach Unfällen infolge der Verrichtung der Beschäftigung schützen, wenn umstritten sein könnte, ob der Unternehmer (oder ein ihm gesetzlich gleichgestellter Dritter) den Gesundheitsschaden oder den Tod mitverursacht und ggf dabei rechtswidrig und fahrlässig oder sogar grob fahrlässig gehandelt hat und dem Verletzten deswegen nach Zivilrecht/Arbeitsrecht haftet. Da die Versicherung dem Verletzten die Schadensfolgen weitgehend ausgleicht, besteht insoweit kein Bedarf für einen Rechtsstreit zwischen dem Verletzten und dem Unternehmer (oder ihm gleichgestellten Dritten), wenn dieser nicht vorsätzlich gehandelt hat. Deshalb entzieht das SGB VII dem Verletzten insoweit seine ggf nach Zivilrecht entstandenen Schadensersatzansprüche (einschließlich der Schmerzensgeldansprüche) gegen den Unternehmer (§§ 104 bis 109 SGB VII).

39

Schließlich bezweckt sie auch eine gerechte Lastenverteilung unter den beitragszahlenden Unternehmern, die durch ihre Umlagebeiträge zu ihrer Berufsgenossenschaft den Versicherungsschutz in der Beschäftigtenversicherung bezahlen. Ein Unternehmer, der den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig mitverursacht hat, haftet dem Unfallversicherungsträger (also mittelbar auch den anderen Unternehmern) auf Ersatz der Ausgaben für Versicherungsleistungen an den Verletzten (§§ 110 bis 113 SGB VII).

40

Die Beschäftigtenversicherung hat also in diesem Sinne und in diesen Grenzen eine möglicherweise gegebene zivilrechtliche Haftung der Unternehmer (oder gleichgestellter Dritter) gegenüber den Beschäftigten aus Gefährdungshaftung, Delikt oder aus der Verletzung von arbeitsrechtlichen Schutz- oder Fürsorgepflichten ersetzt (vgl BSG vom 19.12.2000 - B 2 U 37/99 R - BSGE 87, 224 = SozR 3-2200 § 548 Nr 41; Gitter/Nunius in Schulin, HS-UV, § 5 RdNr 28, 51, 119; zu §§ 539 Abs 1 Nr 1, 636 ff RVO: BSG vom 25.10.1989 - 2 RU 26/88 - SozR 2200 § 548 Nr 96; ferner auch BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16 ff).

41

Sie bildet jeher den Kern des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl schon § 95 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO). Sie versichert im genannten Sinn die Beschäftigten unter weitgehendem Ausschluss ihrer zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche nur gegen solche Gesundheits- und Lebensgefahren, die sich spezifisch daraus ergeben, dass sie Tätigkeiten für einen anderen unter Eingliederung in dessen Tätigkeit und nur zu dessen unmittelbarem Vorteil verrichten.

42

2. Auch die Entwicklung der Rechtsprechung des BSG zu § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII und dessen Vorgängervorschriften führt zu dem Ergebnis, dass nur unter den drei oben genannten Voraussetzungen eine Beschäftigung verrichtet wird.

43

a) Nach der Rechtsprechung des BSG wird eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII verrichtet, wenn der Verletzte zumindest dazu ansetzt, eine ihn gegenüber dem Unternehmer treffende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis tatsächlich zu erfüllen.

44

aa) Dies ist dann der Fall, wenn die Verrichtung eine Hauptpflicht des Beschäftigten erfüllt, weil sie die vertragsgemäß geschuldete Arbeits- oder Dienstleistung ist (vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 18; BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 19; BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 47/03 R - Juris RdNr 26 - SozR 4-2700 § 8 Nr 11).

45

bb) Der Tatbestand der versicherten Tätigkeit iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird auch erfüllt, wenn die Verrichtung eine Nebenpflicht des Beschäftigten gegenüber dem Unternehmer aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllen soll.

46

Als Nebenpflichten kommen vor allem die Mitwirkungspflichten des Beschäftigten als Gläubiger von Leistungspflichten des Unternehmers (§§ 293 ff BGB) und die Pflichten zur Rücksichtnahme auf dessen Rechte, Rechtsgüter und Interessen in Betracht. Diese seit dem 1.1.2002 in § 241 Abs 2 BGB ausdrücklich normierte Pflicht wurde zuvor aus § 242 BGB hergeleitet(BAG vom 22.1.2009 - 8 AZR 161/08 - Juris RdNr 27, NZA 2009, 608; vgl auch Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, § 611, RdNr 985 f). Arbeitsrechtlich muss jeder Vertragspartner seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so erfüllen, seine Rechte so ausüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Vertragspartners so wahren, wie dies unter Berücksichtigung der wechselseitigen Belange verlangt werden kann (vgl BAG vom 16.2.2012 - 6 AZR 553/10 - Juris RdNr 12, zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen; BAG vom 13.8.2009 - 6 AZR 330/08 - Juris RdNr 31 - BAGE 131, 325; BAG vom 19.5.2010 - 5 AZR 162/09 - Juris RdNr 26 - BAGE 134, 296; Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, § 611, RdNr 984, 1074). Gleiches gilt für Beschäftigte und Unternehmer, die nicht durch ein Arbeitsverhältnis, sondern durch ein anderes Beschäftigungsverhältnis miteinander verbunden sind. Auch für den Beschäftigten zählt dazu die sog Treuepflicht, sich im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses so zu verhalten, dass Leben, Körper, Eigentum und sonstige absolute Rechtsgüter des Unternehmers nicht verletzt werden (vgl dazu BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16).

47

Das BSG hat bisher zumeist nicht zwischen Haupt- oder Nebenpflichten des Beschäftigten unterschieden. Die Erfüllung des Tatbestandes des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII (bzw nach früherem Sprachgebrauch: der innere Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit) wurde als gegeben erachtet, wenn die Verrichtung Teil der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung des Beschäftigten war, bzw dann, wenn der Beschäftigte zur Erfüllung einer sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtung handelte(vgl BSG vom 30.6.2009 - B 2 U 22/08 R - Juris RdNr 14 - UV-Recht Aktuell 2009, 1040; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 31/07 R - Juris RdNr 11 - UV-Recht Aktuell 2009, 485; so auch noch einleitend, später aber differenzierend BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 8/06 R - Juris RdNr 12 - UV-Recht Aktuell 2007, 860; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 14; BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 47/03 R - Juris RdNr 26 - SozR 4-2700 § 8 Nr 11).

48

Es hat aber seit dem genannten Urteil vom 18.3.2008, insbesondere in seinen Entscheidungen vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - (SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 19) und vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - (Juris RdNr 18 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - SGb 2012, 148 ), ausdrücklich die Erfüllung beider Pflichtenarten aus dem Beschäftigungsverhältnis als Verrichtung einer versicherten Beschäftigung anerkannt (vgl auch BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 21). Es hat schon im Urteil vom 18.3.2008 (B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16 ff) entschieden, dass auch die Erfüllung allein einer Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis den Tatbestand der versicherten Tätigkeit iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII zu erfüllen vermag. Den Arbeitnehmer treffe die aus § 241 Abs 2 BGB folgende Nebenpflicht, sich bei der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses so zu verhalten, dass Leben, Körper, Eigentum und sonstige absolute Rechtsgüter des Arbeitgebers nicht verletzt werden. Das Aufstellen eines Warndreiecks sei eine Nebenpflicht eines Beschäftigten, der in Verrichtung der Beschäftigung mit dem Pkw des Unternehmers an einem Verkehrsunfall beteiligt sei. Dadurch würden die Unfallstelle gesichert, der nachfolgende Verkehr gewarnt und damit Folgeschäden vermieden, die sich zu Lasten des Unternehmers auswirken könnten (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16 ff). Es hat dazu festgestellt, dass der Verletzte durch sein Handeln objektiv seine Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt hatte. Daher kam es nicht darauf an, ob er dabei das Rechtsbewusstsein hatte, auch einer Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis nachzukommen, oder ob er in erster Linie sich und andere schützen und seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht genügen wollte. Das Bewusstsein, dem Unternehmer rechtlich zu der Handlung verpflichtet zu sein, ist weder notwendige subjektive Voraussetzung des Versicherungstatbestandes der Beschäftigung noch einer Verrichtung einer Beschäftigung. Es reicht, wenn die Intention auch darauf gerichtet war, etwas zu tun, das objektiv dem Unternehmer geschuldet war.

49

cc) Eigene Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Unternehmer erfüllt der Verletzte auch, wenn er Mitwirkungshandlungen vornimmt, die ihm zu dem Zweck obliegen (vgl §§ 241 Abs 2, 293 ff BGB), dass der Unternehmer seine ihm aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Beschäftigten treffenden Haupt- oder Nebenpflichten erfüllen kann.

50

Das ist der Fall bei Handlungen des Verletzten zwecks Empfangnahme des Lohnes (BSG vom 1.12.1960 - 5 RKn 69/59 - BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO unter Bezugnahme auf RVA EuM Bd 20, 31; 26, 165; 33, 270) oder zur Geltendmachung von (vermeintlichen) Fehlern bei der Lohnabrechnung (BSG vom 1.12.1960 - 5 RKn 69/59 - BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO) oder zum Abtransport von Deputatholz als Teil der Vergütung (BSG vom 4.5.1999 - B 2 U 21/98 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 34). In diesen Fällen ist der Beschäftigte zivilrechtlich gehalten, dem Unternehmer zu ermöglichen, seine Hauptpflicht (§ 611 Abs 1 BGB) zu erfüllen, die Vergütung zur rechten Zeit, am rechten Ort, in rechter Weise und in richtiger Höhe zu leisten (vgl BSG vom 4.5.1999 - B 2 U 21/98 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 34 ua unter Hinweis auf BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO aF; BSGE 41, 207 = SozR 2200 § 548 Nr 16; BSGE 43, 119, 121 = SozR 2200 § 548 Nr 28).

51

Gleiches gilt für eine ggf bestehende Obliegenheit des Beschäftigten, dem Unternehmer die Erfüllung seiner Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis zu ermöglichen. Solche Nebenpflichten des Beschäftigten können sich aus § 241 Abs 2 BGB, der nicht nur in Arbeitsverhältnissen gilt, ergeben. Voraussetzung ist, dass eine solche Haupt- oder Nebenpflicht des Unternehmers bereits entstanden ist und er sie nur erfüllen kann, wenn der Beschäftigte in bestimmter und ihm zumutbarer Weise mitwirkt. Denn der Beschäftigte und der Unternehmer müssen bei ihrem Zusammenwirken jeweils auf das Wohl und die berechtigten Interessen des anderen Rücksicht nehmen (vgl BAG vom 16.11.2010 - 9 AZR 573/09 - BAGE 136, 156 mwN; vgl zu den Einzelheiten Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Aufl 2012, § 611 BGB RdNr 610 ff).

52

In diesem Sinn hat das BSG die Verrichtung einer Beschäftigung in einer Mitwirkungshandlung gesehen, als ein Beschäftigter den Weg zum Ort seiner bisherigen Tätigkeit zurücklegte, um sich dort seine Arbeitspapiere aushändigen zu lassen. Der Beschäftigte hatte den Unternehmer in gebotener Rücksichtnahme auf die Belange seines bisherigen Arbeitgebers durch die (beabsichtigte) Empfangnahme der Arbeitspapiere von der diesem obliegenden (nachgehenden) Nebenpflicht entlastet, ihm seine Arbeitspapiere - nach erfolglosem ersten Abholversuch - auf seine Rechnung und Gefahr zu übersenden (BSG vom 30.8.1963 - 2 RU 68/60 - BSGE 20, 23, 25 = SozR Nr 43 zu § 543 RVO aF). Die Verrichtung einer Beschäftigung lag auch bei einer Mitwirkungshandlung des Verletzten vor, der vom Arbeitgeber eine Arbeitsbescheinigung abholte, die er auf Verlangen der Ausländerbehörde für seine weitere Aufenthaltserlaubnis und damit für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses benötigte. Er hat vom Arbeitgeber eine Handlung begehrt, die dieser ihm aus dem Arbeitsverhältnis schuldete; das Abholen der Bescheinigung war vertragsgemäße arbeitsrechtliche Nebenpflicht des Beschäftigten (BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - Juris RdNr 11 - SozR 2200 § 548 Nr 78).

53

b) Keine Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII durch Erfüllung einer Nebenpflicht liegt hingegen dann vor, wenn der Verletzte zur Mitwirkungshandlung bei der Pflichtenerfüllung des Unternehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis nicht verpflichtet war. Dasselbe gilt, wenn die Pflicht des Unternehmers nur entstanden ist, weil der Beschäftigte nach freiem Ermessen ein Recht gegen ihn ausgeübt hatte, das nicht auf die Förderung des Unternehmens gerichtet ist und auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die den Unternehmer hoheitlich für den Staat zugunsten von Verwaltungsverfahren in Dienst nimmt. In beiden Fällen erfüllt nämlich der Beschäftigte keine Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis, sondern begibt er sich freiwillig in den unternehmerischen Gefahrenbereich, um daraus unmittelbar nur eigene Vorteile zu erlangen (sog eigenwirtschaftliche Verrichtung).

54

War er zur Mitwirkung nicht verpflichtet, unterlag er dem unternehmerischen Gefahrenbereich nicht kraft des Beschäftigungsverhältnisses, sondern kraft freien Entschlusses, wie zB bei einer Gefälligkeit. Entstand die Pflicht des Unternehmers nicht aus dem Beschäftigungsverhältnis, sondern durch die freiwillige Ausübung eines anderweitig begründeten Rechts des Beschäftigten, ist seine Mitwirkungshandlung an der Durchsetzung seines eigenen Rechts nicht "der Beschäftigung geschuldet", sondern allein der Verfolgung eigener Interessen, also gleichfalls ein freiwilliger Eintritt in den unternehmerischen Gefahrenbereich. Das wird durch die Beschäftigtenversicherung nicht versichert. Denn sie soll nur gegen solche Gefahren begründet werden, denen der Beschäftigte wegen der Ausübung seiner Beschäftigung im fremden Gefahrenbereich, nicht aber aus eigenem Entschluss in Verfolgung nur eigener Belange ausgesetzt ist. Haupt- und Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis sind also nur solche, die das Zusammenwirken des Unternehmers mit dem Beschäftigten zur Förderung der Unternehmenszwecke betreffen. In beiden Fallgruppen fehlt es an der aus der Beschäftigung entstehenden Nebenpflicht des Beschäftigten, in der zweiten außerdem an der Förderung der Unternehmenszwecke.

55

In der arbeitsrechtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass den Arbeitgeber treffende öffentlich-rechtliche Pflichten (zumeist aus dem Steuer- und Sozialversicherungsrecht), die an das Arbeitsverhältnis tatbestandlich anknüpfen und durch die der Arbeitgeber hoheitlich für den Staat in Dienst genommen wird, zugleich zivilrechtliche (arbeitsrechtliche) Nebenpflichten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer sind. Sie werden arbeitsrechtlich als Konkretisierungen der privatrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstanden (vgl die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen; BAG vom 29.3.2001 - 6 AZR 653/99 - NZA 2003, 105; BAG vom 11.6.2003 - 5 AZB 1/03 - BAGE 106, 269 ; BAG vom 15.1.1992 - 5 AZR 15/91 - BAGE 69, 204, 210 ; BAG vom 13.5.1970 - 5 AZR 385/69 - BAGE 22, 332 ; BAG vom 30.1.1969 - 5 AZR 229/68 - BB 1969, 407 ; BAG vom 2.6.1960 - 2 AZR 168/59 - BB 1960, 983 ; Linck in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Aufl 2011, § 106, RdNr 56 mwN; Ring in Handkommentar zum Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010, § 611 BGB, RdNr 658; vgl zum Begriff der Fürsorgepflicht auch Boemke in Handkommentar zum Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010, § 611 BGB, RdNr 378 mwN, danach stellt die Fürsorgepflicht selbst keine eigenständige Pflicht, sondern ein Bündel einzelner Nebenpflichten dar und soll nach im Vordringen befindlicher Auffassung sogar ganz fallen gelassen werden).

56

Hierauf ist nicht näher einzugehen, da es für die Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht entscheidend auf die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers oder deren öffentlich-rechtliche "Konkretisierungen" ankommt. Entscheidend ist, ob der Beschäftigte zur Mitwirkung an der Erfüllungshandlung des Arbeitgebers aus dem Beschäftigungsverhältnis verpflichtet war. Falls überhaupt eine Mitwirkungspflicht bestand, ist er nicht "aus dem Beschäftigungsverhältnis" zur Mitwirkung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber seine Handlung nur deshalb vornehmen muss, weil der Beschäftigte ein Recht ohne Bindungen aus dem Beschäftigungsverhältnis im ausschließlich eigenen Interesse ausgeübt hat, das ihm durch öffentliches Recht verliehen wurde.

57

c) Ferner verrichtet der Verletzte eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, wenn er in der vertretbaren, aber objektiv irrigen Annahme handelt, dazu aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses verpflichtet zu sein. Die Annahme dieser Pflicht ist vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht. Die durchgeführte Verrichtung muss objektiviert darauf ausgerichtet sein, die angenommene Pflicht zu erfüllen.

58

Die Einbeziehung dieser Fallgruppe der vermeintlichen Pflichterfüllung durch den Beschäftigten rechtfertigt sich aus dem genannten ersten Schutzzweck der Beschäftigtenversicherung. Jeder, der etwas in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dessen unmittelbarem Vorteil tut, muss, außer bei völliger Weisungsabhängigkeit, seine Pflichten kennen. Er kann durch die Beschäftigung aber auch in Umstände geraten, in denen er sofort entscheiden muss, ob ihn eine Haupt- oder Nebenpflicht zur Vornahme bestimmter Handlungen trifft. Dies ist ggf Teil seiner Pflichten aus seiner Beschäftigung.

59

In diesem Sinne hat das BSG die Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII bejaht, als ein Versicherter aus gutem Grund der Auffassung sein konnte, sich "betriebsdienlich" zu verhalten(BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14 unter Verweis auf BSGE 20, 215, 218 = SozR Nr 67 zu § 542 RVO aF; BSG SozR Nr 30 zu § 548 RVO; BSGE 52, 57, 59 = SozR 2200 § 555 Nr 5). Daher liegt bei einem "nur" eigenwirtschaftlichen Zwecken dienenden Verhalten, also bei einer Handlung mit der Absicht (dolus directus ersten Grades), nur andere Zwecke zu verfolgen als die Erfüllung des Versicherungstatbestandes der Beschäftigung, auch dann keine Verrichtung einer Beschäftigung vor, wenn das Handeln zugleich dem Unternehmen objektiv nützlich ist (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14 unter Bezugnahme auf BSG vom 25.10.1989 - 2 RU 26/88 - SozR 2200 § 548 Nr 96; BSG vom 20.1.1987 - 2 RU 15/86 - SozR 2200 § 539 Nr 119). Entscheidend ist nur, ob der Verletzte von seinem Standpunkt aufgrund objektiver Anhaltspunkte der Auffassung sein durfte, seine Verrichtung sei von ihm geschuldet, um den Interessen des Unternehmens zu dienen. Dafür reichen aber subjektive Vorstellungen ohne bestätigende objektive Anhaltspunkte nicht aus.

60

d) Den Tatbestand einer versicherten Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt ein Verletzter schließlich auch dann, wenn er handelt, um eigene unternehmensbezogene Rechte wahrzunehmen. Dabei handelt es sich um die Wahrnehmung von Rechten, die die Regelung innerbetrieblicher Belange zum Gegenstand haben und/oder den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der Unternehmensführung fördern. Hierzu zählen ua:

die Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl hierzu etwa Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 40; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 179, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 103, Stand Mai 2010),

die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied bei der Ausübung der im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Aufgaben (vgl etwa BSG vom 20.5.1976 - 8 RU 76/75 - BSGE 42, 36, 37 = SozR 2200 § 539 Nr 19 RdNr 18 und BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 7/00 R - SozR 3-2200 § 539 Nr 54; vgl ferner Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 38; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 180, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 102, Stand Mai 2010),

und die Tätigkeiten zur Vorbereitung und Durchführung der zur Bildung der Räte erforderlichen Wahlen (Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 40; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 180, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 103, Stand Mai 2010; vgl hierzu insgesamt zuletzt auch Krasney, SGb 2012, 130).

61

3. Die Klägerin hat vor ihrem Treppensturz keine versicherte Beschäftigung im Sinne der abschließend aufgeführten Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII verrichtet.

62

Nach § 194 Abs 1 S 1 SGB VI(in der bis zum 31.12.2007 geltenden und damit hier maßgeblichen Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 21.7.2004 - BGBl I 1791 - erhalten hatte ) haben die Arbeitgeber auf Verlangen des Beschäftigten, der für die Zeit nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses eine Altersrente beantragt hat, die Pflicht, das voraussichtliche Arbeitsentgelt bis zu drei Monate im Voraus zu bescheinigen (vgl Finke in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 194 RdNr 1, Stand Juli 1996).

63

Die Klägerin beabsichtigte, von ihrem Arbeitgeber eine sog Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI zu verlangen. Dazu wollte sie ihm das einschlägige Formular vorlegen und hatte sich deshalb auf das Betriebsgelände begeben. Sie hatte also mit der Verrichtung, deren unfallversicherungsrechtliche Bedeutung hier umstritten ist, begonnen.

64

Die Abgabe des Formulars für eine Vorausbescheinigung erfüllt aber weder eine vertragliche Haupt- oder Nebenleistungspflicht der Klägerin aus ihrem Beschäftigungsverhältnis (s sogleich unter a>). Ferner durfte die Klägerin nicht annehmen, sie treffe eine solche Pflicht (dazu unter b>). Schließlich hat sie auch keine unternehmensbezogenen Rechte wahrgenommen (dazu unter c>).

65

a) Die Abgabe des Formulars für die Ausstellung der Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI ist augenfällig keine sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebende Hauptpflicht der Klägerin.

66

Sie hat damit auch keine gegenüber dem Unternehmer treffende Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt, sondern, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nur eigene Vorteile angestrebt. Mit ihrem Vortrag, sie habe auch abstrakt denkbare mittelbare Schadensersatzansprüche aus verzögerter Betriebsrentenzahlung vom Arbeitgeber abwehren wollen, hat sie keine solche eigene Nebenpflicht dargetan. Sie hat nicht zur Abwendung von Gefahren, die absolut geschützte Rechtsgüter des Unternehmers betrafen, gehandelt, sondern Gefahren bedacht, die allenfalls mittelbar seinen Vermögensinteressen drohten. Nach den Feststellungen des LSG gab es aber keine allgemeine oder spezielle Vermögensfürsorgepflicht der Klägerin für ihren Arbeitgeber. Hierfür sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich.

67

Die beabsichtigte Vorlage des Formulars erfüllte auch keine sie treffende Mitwirkungspflicht, dem Unternehmer dabei Hilfe zu leisten, eine ihm aus dem Beschäftigungsverhältnis ihr gegenüber obliegende Haupt- oder Nebenleistungspflicht zu erfüllen.

68

Die begehrte Ausstellung der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber ist für die Erfüllung seiner Hauptleistungspflicht gegenüber der Klägerin - nämlich seiner Pflicht zur Vergütung iS des § 611 Abs 1 BGB - offensichtlich ohne rechtlichen Belang. Eine Mitwirkungspflicht der Klägerin zur Ermöglichung der Hauptleistung des Arbeitgebers bestand somit nicht.

69

Sie hatte zudem keine Mitwirkungspflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber ihrem Arbeitgeber, von diesem die Ausstellung einer Vorausbescheinigung zu verlangen und ihm dies dann durch Vorlage des Formulars zu ermöglichen. Aufgrund ihrer Beschäftigung war sie nicht verpflichtet, vom Unternehmer die Vorausbescheinigung zu verlangen, die ausschließlich der Durchsetzung ihres allein gegen den Rentenversicherungsträger gerichteten Rechts auf nahtlose richtige Zahlung der dort beantragten Altersrente diente.

70

Dass der Unternehmer allein aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses, ohne § 194 SGB VI, nicht verpflichtet war, eine Vorausbescheinigung zu erteilen, liegt auf der Hand. Daher bestand allein auf dieser Grundlage keine Mitwirkungspflicht der Klägerin. Notwendige Voraussetzungen der Entstehung dieser Pflicht waren das Bestehen einer gesetzlichen Vorschrift, die dem Beschäftigten das Recht gegen den Arbeitgeber gewährt, nach freiem Willen die Ausstellung der Bescheinigung zu verlangen, und die Ausübung dieses Rechts. Dieses dient allein dem privaten Interesse der Klägerin an richtiger Rentenzahlung durch den Rentenversicherungsträger. Dasselbe gilt daher auch für ihre Mitwirkung an der Ausstellung der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber, dessen Unternehmen dadurch nicht berührt wird.

71

Entgegen der Ansicht der Klägerin unterscheidet sich ihr Fall grundlegend von dem der Erteilung einer Arbeitsbescheinigung zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis, die auch die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses ermöglichte. Der Arbeitnehmer hat, wie oben schon gesagt, vom Arbeitgeber eine Handlung begehrt, die dieser ihm unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis schuldete; das Abholen der Bescheinigung war vertragsgemäße arbeitsrechtliche Nebenpflicht des Beschäftigten (vgl BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78).

72

b) Die Klägerin hat ferner keine objektiv nicht geschuldete Handlung vorgenommen in der vertretbaren, aber irrigen Annahme, damit eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Die Annahme dieser Pflicht ist nur vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) aufgrund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 18/85 - BSGE 59, 291 = SozR 2200 § 539 Nr 115 und BSG vom 27.6.1991 - 2 RU 17/90 - Juris RdNr 15; vgl auch Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 34 f, Stand Mai 2010).

73

Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin der Auffassung sein durfte, eine vermeintliche eigene Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sind jedoch nicht ersichtlich. Die von ihr angenommene Vermögensbetreuungspflicht für das Vermögen des Arbeitgebers besteht nicht.

74

c) Schließlich hat die Klägerin durch die beabsichtigte Formularabgabe auch kein eigenes unternehmensbezogenes Recht wahrgenommen. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Handlung die Regelung innerbetrieblicher Belange zum Gegenstand hatte oder sie den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der Unternehmensführung förderte. Vielmehr ging es nur um das eigenwirtschaftliche Interesse an der sofort richtigen Altersrente.

75

4. Das Berufungsgericht hat schließlich auch zu Recht darauf hingewiesen, dass eine versicherte Tätigkeit im Sinne einer sog gemischten Tätigkeit nicht vorliegt. Es liegt mit dem Gehen auf der Treppe vor der Abgabe des Formulars für eine Vorausbescheinigung nämlich nur eine einzige Verrichtung vor. Gemischte Tätigkeiten setzen (zumindest) zwei gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraus, von denen (wenigstens) eine den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt.

76

Das LSG hat schließlich auch richtig erkannt, dass diese einzige Verrichtung auch nicht auf einer gemischten Motivationslage beruhte. Denn es hat schon nicht festgestellt, dass die Klägerin mit dem Weg zur Vorlage des Formulars zusätzlich noch eine andere Intention hatte als diejenige, die Vorausbescheinigung des Arbeitgebers und dadurch sofort die angestrebte Rentenhöhe zu erhalten.

77

5. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2015 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. April 2014 zurückgewiesen.

Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Die Klägerin ist beim Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz beschäftigt. Sie arbeitet aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber zur Regelung der Telearbeit auf einem in ihrer Wohnung eingerichteten Telearbeitsplatz. Die Arbeitsmittel werden danach vom Dienstherrn zur Verfügung gestellt und dürfen nicht für private Zwecke genutzt werden. Die häusliche Arbeitsstätte wird hingegen von der Klägerin kostenlos bereit gestellt. Der Arbeitsplatz ist im Dachgeschoss des Wohngebäudes gelegen, in dem sich außerdem ein kleines Bad, das Arbeitszimmer des Ehemanns der Klägerin sowie ein Schlafraum befinden. Diese Räume sind über eine Treppe zu erreichen. Im Erdgeschoss liegen Küche, Wohnzimmer und ein weiteres Bad.

3

Die Klägerin, die unter Asthma sowie COPD leidet und daher mehrmals am Tag viel trinken muss, arbeitete am 21.9.2012 an ihrem Telearbeitsplatz. Weil die mitgenommenen Wasserflaschen bereits leer waren, verließ sie ihren Arbeitsplatz, um in der Küche Wasser zu holen. Auf der Treppe rutschte sie ab, knickte mit dem linken Fuß um und erlitt dadurch eine Metatarsale V Schrägfraktur links.

4

Die beklagte Unfallkasse lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab (Bescheid vom 11.10.2012, Widerspruchsbescheid vom 5.11.2012). Das SG Mainz hat die Klage abgewiesen. Ein Weg zur Nahrungsaufnahme sei nur dann vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst, wenn er durch die Notwendigkeit geprägt sei, persönlich am Beschäftigungsort anwesend zu sein. Die Klägerin habe hingegen den von ihr beherrschten privaten Bereich nicht verlassen und sich nur Risiken ausgesetzt, die aus dem privaten Bereich stammten (Urteil vom 29.4.2014). Das LSG Rheinland-Pfalz hat das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Unfallkasse verurteilt, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls vom 21.9.2012 anzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Betriebsweg zurückgelegt. Insoweit komme es darauf an, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignet hat, wesentlich auch Betriebszwecken diene. Das sei der Fall, weil die Klägerin ihren Arbeitsplatz ausschließlich über die Treppe erreichen könne. Das Begehen der Treppe habe zum Unfallzeitpunkt auch im inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden. Zwar sei die Nahrungsaufnahme grundsätzlich dem unversicherten privaten Bereich zuzuordnen. Allerdings seien die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung des BSG Unfallversicherungsschutz auf Wegen zum Ort der Nahrungsaufnahme im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit grundsätzlich anerkenne, erfüllt. Das Handlungsziel der Klägerin sei auf die Aufrechterhaltung der Arbeitskraft gerichtet gewesen. Darüber hinaus habe die Notwendigkeit bestanden, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein. Dass sich die Klägerin die Arbeitszeit frei einteilen könne, stehe dem Unfallversicherungsschutz nicht entgegen. Die vom BSG in einer früheren Entscheidung angesprochene Gefahr des "Versicherungsschutzes rund um die Uhr" rechtfertige nicht dessen grundlegende Einschränkung (Urteil des LSG vom 27.1.2015).

5

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Das BSG fordere die ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung der Treppe zu betrieblichen Zwecken. Weil die Treppe aber nicht nur genutzt werde, um die Arbeitsstätte, sondern auch die anderen Räumlichkeiten im Dachgeschoss zu erreichen, habe das Begehen der Treppe nicht wesentlich dem Zweck des Unternehmens, hier der Telearbeit, gedient.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. April 2014 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Arbeitsstätte sei vom privaten Lebensbereich innerhalb der Wohnung abgegrenzt. Um ihrer Telearbeit nachgehen zu können, sei sie auf die Nutzung der Treppe angewiesen. Sie dürfe nicht gegenüber Beschäftigten benachteiligt werden, die ihrer Arbeit außerhalb der Wohnung nachgingen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht auf die Berufung der Klägerin entschieden, dass das Abrutschen von einer Treppenstufe auf dem Weg von ihrem Telearbeitsplatz zur Küche, um Wasser zu holen, als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Die Ablehnung eines Arbeitsunfalls im Bescheid der Beklagten vom 11.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Daher war das die Klage abweisende Urteil des SG wiederherzustellen.

10

Die Klägerin begehrt zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), die Ablehnungsentscheidung der Beklagten aufzuheben und die Unfallkasse zu verurteilen, einen am 21.9.2012 erlittenen Arbeitsunfall anzuerkennen. Zwar hat sie sowohl vor dem SG als auch dem LSG jeweils zuletzt neben der Aufhebung der angegriffenen Verwaltungsakte beantragt, die Beklagte zu verurteilen, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen. Gleichwohl hat sie damit nicht die Feststellung einer Unfallfolge iS des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(vgl hierzu BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1), sondern angesichts dieser zwischen den Beteiligten nicht streitigen Unfallerstverletzung vielmehr die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Arbeitsunfalls geltend gemacht. Davon sind auch die Vorinstanzen ausgegangen. Auch wenn das LSG die Beklagte verurteilt hat, die Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen, setzt es sich in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - ebenso wie das SG - lediglich mit den Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls auseinander. Allein in diesem Zusammenhang wird die Schrägfraktur als unzweifelhaft eingetretener Gesundheitserstschaden als Tatbestandsmerkmal eines (vermeintlichen) Arbeitsunfalls zugrunde gelegt.

11

Dass die Klägerin vor dem SG zunächst nur die Feststellung eines Arbeitsunfalls beantragt hatte (Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG), steht der Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats haben die Verletzten ein Wahlrecht zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen Verpflichtungsklage (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 13 mwN). Der Übergang von der einen zu der anderen Klage ist jedenfalls bei einem Streit um die Feststellung eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung eine nach § 99 Abs 3 SGG zulässige Antragsänderung(BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 9).

12

Die Klage ist indes unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte.

13

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 9; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 11; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 10 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 14; BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 26 f).

14

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin hat zwar einen Unfall und dadurch - wie bereits ausgeführt - einen Gesundheitserstschaden erlitten. Sie war auch als Beschäftigte kraft Gesetzes versichert. Ihre Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Hinabsteigen der Treppe - stand aber nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt übte sie weder ihre Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII aus(dazu 1.) noch legte sie im Zusammenhang mit dieser einen Betriebsweg zurück (dazu 2.). Die Klägerin befand sich auch nicht auf einem versicherten Weg zum Ort der Nahrungsaufnahme und wird deshalb nicht in höherrangigem Recht verletzt (dazu 3.). Schließlich war sie im Unfallzeitpunkt nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützt(dazu 4.).

15

1. Versicherter iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese innere Tatsache der subjektiven Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten wird als "Handlungstendenz" bezeichnet. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung reicht hingegen nicht (zur Handlungstendenz zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 14 mwN; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14 mwN; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18).

16

Das Hinabsteigen der Treppe zum Unfallzeitpunkt ist ein solches von außen beobachtbares Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Bei dieser Tätigkeit war die objektivierte Handlungstendenz der Klägerin aber nicht auf die Erfüllung des gesetzlichen Versicherungstatbestands als Beschäftigte iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gerichtet.

17

Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigte liegt vor, wenn die Verletzte zur Erfüllung eines von ihr begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen(vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihr selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (vgl § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder die Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern sie nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, sie treffe eine solche Pflicht, oder sie unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt(BSG vom 23.4.2015 -B 2 U 5/14 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 33 RdNr 14 mwN; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 12; BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 27 ff; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 23 f; BSG vom 14.11.2013 - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 13).

18

Das Holen des Wassers gehörte unzweifelhaft nicht zu der sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebenden Hauptpflicht der Klägerin. Sie hat dadurch auch keine aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierende Nebenpflicht erfüllt. Eine arbeitsrechtliche Verpflichtung zu gesundheitsfördernden, der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienenden Handlungen besteht grundsätzlich nicht (vgl Schäfer NZA 1992, 529, 530). Etwas anderes gilt bei einem bereits arbeitsunfähigen Arbeitnehmer. Ihm wird aufgrund seiner Treue- und Rücksichtnahmepflicht gegenüber seinem Arbeitgeber abverlangt, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird, und alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten liegt daher vor, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet (BAG vom 2.3.2006 - 2 AZR 53/05 - Juris RdNr 23 f). Zu diesem Personenkreis zählt die Klägerin aber nicht. Sie hat ferner keine objektiv nicht geschuldete Handlung vorgenommen in der vertretbaren, aber irrigen Annahme, damit eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Die Annahme dieser Pflicht ist nur vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) aufgrund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 72). Solche objektiven Anhaltspunkte sind jedoch weder festgestellt noch ersichtlich. Schließlich hat die Klägerin durch das beabsichtigte Holen von Wasser auch kein eigenes unternehmensbezogenes, innerbetrieblichen Belangen dienendes Recht wahrgenommen.

19

2. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg iS des § 8 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Ein im unmittelbaren Betriebsinteresse liegender Weg kommt grundsätzlich nur außerhalb des (privaten) Wohngebäudes in Betracht (dazu a). Befinden sich die Wohnung und die Arbeitsstätte im selben Gebäude, ist ein Betriebsweg ausnahmsweise auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn er in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird. Das war bei der Klägerin nicht der Fall (dazu b).

20

a) Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen (BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 35/08 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 36 RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 25/07 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 8 RdNr 24; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14 mwN; BSG vom 6.5.2003 - B 2 U 33/02 R - Juris RdNr 15 mwN; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 16 f). Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen, unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen(BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13). Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen (BSG vom 28.2.1990 - 2 RU 34/89 - SozR 3-2200 § 539 Nr 1 S 2).

21

Sowohl bei Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit als auch bei einem direkt von der Wohnung aus angetretenen Betriebsweg (Dienstweg oder Dienstreise) beginnt die versicherte Tätigkeit allerdings grundsätzlich erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes (Mehr- oder Einfamilienhaus), in dem sich die Wohnung des Versicherten befindet. Diese vom BSG stets beibehaltene Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem versicherten Zurücklegen eines (Betriebs-)Weges ist im Interesse der Rechtssicherheit bewusst starr gezogen, weil sie an objektive Merkmale anknüpft, die im allgemeinen leicht feststellbar sind. Damit wird zugleich der die gesetzliche Unfallversicherung kennzeichnenden Freistellung des Unternehmers von der Haftung für Betriebsgefahren Rechnung getragen. Das BSG hat im Interesse der Rechtssicherheit insbesondere auch deshalb keine Veranlassung gesehen, die bisherige Rechtsprechung zur Außentür als der Grenze zwischen häuslichem Bereich und versichertem Weg aufzugeben oder zu modifizieren, weil mit der verbreiteten Einführung von Telearbeit am PC eine Verlagerung vieler den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich einhergeht (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 17). Daran hält der Senat weiterhin fest. Da sich der Unfall der Klägerin nicht außerhalb des Wohngebäudes ereignet hat, ist nur Raum für einen Betriebsweg innerhalb des häuslichen Bereichs.

22

b) Den Weg zur Küche hat die Klägerin indes nicht in unmittelbarem betrieblichen, sondern in eigenwirtschaftlichem Interesse zurückgelegt. Unfallversicherungsschutz an der Unfallstelle könnte hier zwar unter dem Gesichtspunkt eines versicherten Betriebswegs ausnahmsweise dann bestehen, wenn der Weg bereits zwischen dem häuslichen Arbeitszimmer - und nicht erst nach Durchschreiten der Außentür - und der Küche als Weg in Ausführung der versicherten Tätigkeit anzusehen wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

23

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 15 und - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 RdNr 17), greift die unter a) aufgezeigte Grenzziehung durch die Außentür des Wohngebäudes nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden. In diesem Zusammenhang hat der Senat auf rechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Zurechnung von Wegen zur versicherten Tätigkeit vor allem in zwei Fallgestaltungen hingewiesen. Bei der ersten Fallgestaltung handelt es sich um Unfälle, die sich in Räumen oder auf Treppen ereignen, die weder eindeutig der Privatwohnung noch der Betriebsstätte zugeordnet werden können. Insoweit ist zur Entscheidung über den Versicherungsschutz darauf abgestellt worden, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignete, auch Betriebszwecken (wesentlich) dient, ob der rein persönliche Lebensbereich schon verlassen wurde oder wie sich der Nutzungszweck zum Unfallzeitpunkt darstelle. Als Kriterium für die Wesentlichkeit wurden eine ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung des Unfallorts für betriebliche Zwecke angeführt. Die zweite - hier aber nicht einschlägige - Fallgestaltung betraf Unfälle im rein persönlichen Wohnbereich, bei denen die Situation durch eine Art Rufbereitschaft und die Notwendigkeit, sofort zu handeln, geprägt war (BSG vom 12.12.2006, aaO, RdNr 15 ff und 18 ff, jeweils mit zahlreichen Nachweisen).

24

Der Senat hat Zweifel, ob an dieser Rechtsprechung, die bei der Feststellung eines Betriebswegs im häuslichen Bereich an die Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts anknüpft, festzuhalten ist (vgl hierzu auch LSG Baden-Württemberg vom 25.2.2016 L 10 U 1241/14 - Juris, Revision anhängig unter B 2 U 9/16 R). Ob das Ausmaß der Nutzung auch weiterhin ein sachgerechtes Beurteilungskriterium bildet, kann jedenfalls im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, denn die im Urteil des Senats vom 12.12.2006 (aaO) in Bezug genommenen Entscheidungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der jeweils zugrunde liegende Unfall auf einem Weg zur Ausübung der versicherten Tätigkeit ereignet hatte. Demgegenüber ist die Klägerin auf dem Weg von der Arbeitsstätte zur Küche und damit in den persönlichen Lebensbereich ausgerutscht.

25

Unabhängig von dem konkreten Umfang der betrieblichen oder privaten Nutzung der in das Dachgeschoss führenden Treppe vermag entgegen der Auffassung des LSG allein der Umstand, dass die Klägerin darauf angewiesen ist, die Treppe zu benutzen, um ihrer Beschäftigung überhaupt nachgehen zu können, das unmittelbare Betriebsinteresse nicht zu begründen. Entscheidend ist vielmehr, welche konkrete Verrichtung mit welchem Zweck sie in dem Moment des Unfalls ausübte. Da es außer in der Schifffahrt (vgl § 10 SGB VII) keinen Betriebsbann gibt, sind nicht alle Verrichtungen eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und auf der Arbeitsstätte versichert. Dementsprechend stehen auch nicht alle Wege eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäftigungsverhältnis eingegangen wurde, in einer mehr (zB Betriebswege) oder weniger engen Beziehung (zB Weg zur Arbeit) steht (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 13). Ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich wiederum nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13 mwN). Diese für außerhalb des Wohngebäudes zurückgelegte Wege geltende ständige Rechtsprechung des Senats ist auch bei Wegen innerhalb der häuslichen Sphäre von der Arbeitsstätte in den persönlichen Lebensbereich heranzuziehen.

26

Nach Maßgabe dieser Grundsätze war die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls nicht im unmittelbaren Betriebsinteresse tätig. Sie ist die Treppe nicht hinabgestiegen, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um in der Küche Wasser zum Trinken zu holen und demnach einer typischen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Als sich der Unfall ereignete, hatte sie ihre Arbeitsstätte verlassen und bereits den persönlichen häuslichen Lebensbereich erreicht. Ihre als Beschäftigte des Landesbetriebs versicherte Tätigkeit war mangels entgegenstehender Feststellungen und Anhaltspunkte spätestens mit dem Verlassen des Arbeitszimmers beendet. Daher kann offenbleiben, inwieweit innerhalb eines zur Telearbeit eingerichteten Arbeitsraumes Unfallversicherungsschutz besteht. Dass gerade die versicherte Tätigkeit ein besonderes Durstgefühl verursacht hätte (vgl hierzu zusammenfassend BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 20/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 2 mwN) und die Klägerin unabhängig von ihrer Erkrankung betriebsbedingt veranlasst gewesen wäre, sich Wasser zu besorgen, ist vom LSG weder festgestellt noch ersichtlich.

27

Dass die Ausübung einer Beschäftigung in einem Home-Office zu einer Verlagerung von den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich führt (zum Unfallversicherungsschutz bei häuslicher Telearbeit vgl Spellbrink, NZS 2016, 527; Leube, SGb 2012, 380; Wolber, SozVers 1997, 239), rechtfertigt auch in diesem Zusammenhang keine andere Beurteilung. Die betrieblichen Interessen dienende Arbeit in der Wohnung eines Versicherten nimmt dieser außerhalb des konkreten Arbeitszimmers oder -raums nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 17). Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken hat nicht der Arbeitgeber zu verantworten und vermag der Versicherte selbst am besten zu beherrschen. Der Wohnbereich ist dem Versicherten im Regelfall besser bekannt als anderen. Für die mit ihm einhergehenden Gefahren ist der Versicherte selbst verantwortlich. Kraft seiner Verfügungsmacht über die Wohnung kann er die private Risikosphäre durch entsprechendes Verhalten weitgehend beseitigen oder zumindest reduzieren. In der häuslichen Lebenssphäre vermag sich mangels einer betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko nicht zu verwirklichen.

28

Auch ist es dem Arbeitgeber außerhalb des Betriebsgeländes regelmäßig verwehrt, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Unternehmer sind zwar für die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe verantwortlich (§ 21 Abs 1 SGB VII). Ungeachtet der Frage, inwieweit Arbeitgeber rechtlich durchsetzbar in die Lage versetzt sein müssen, diese Verantwortung in Bezug auf betriebliche Arbeitsplätze im häuslichen Bereich nachzukommen, beschränkt sich die Verpflichtung zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen aber auf die jeweilige Betriebsstätte, zu der jedenfalls häusliche Örtlichkeiten außerhalb eines räumlich abgegrenzten Home-Office nicht zählen. Zudem ist zu beachten, dass es den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung außerhalb der Betriebsstätten ihrer Mitglieder (der Arbeitgeber) nur bedingt möglich ist, präventiv zu handeln. Die Unfallversicherungsträger haben mit allen geeigneten Mitteln ebenfalls für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen; sie sollen dabei auch den Ursachen von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit nachgehen (§ 14 Abs 1 SGB VII). In diesem Zusammenhang obliegt ihnen die Überwachung des nach § 21 Abs 1 SGB VII den Unternehmern übertragenen Arbeitsschutzes durch fachkundige Aufsichtspersonen(§ 17 Abs 1, § 18 SGB VII). Im Rahmen der Überwachung sind die Aufsichtspersonen insbesondere befugt, zu den Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Betriebsstätten zu betreten, zu besichtigen und zu prüfen (§ 19 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VII idF des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes vom 30.10.2008, BGBl I 2130). Eine solche Maßnahme kann auch für Wohnräume zu jeder Tages- und Nachtzeit getroffen werden. Insoweit ist das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 GG) eingeschränkt. Allerdings muss die Überwachung von Wohnräumen zur Verhütung dringender Gefahren geboten sein (§ 19 Abs 2 Satz 3 und 4 SGB VII idF des UVMG, aaO; zur Prävention und Überwachung häuslicher Arbeitsplätze vgl auch Spellbrink, NZS 2016, 527, 530; Leube, SGb 2012, 380, 384). Sowohl Arbeitgeber als auch die Unfallversicherungsträger sind demnach nur eingeschränkt zu präventiven, der sicheren Gestaltung der Arbeitsplätze dienenden Maßnahmen in der Lage. Daher ist es sachgerecht und nicht unbillig, das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko den Versicherten und nicht der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der gerade die Unternehmerhaftung abgelöst werden soll, anzulasten (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 18 mwN).

29

3. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt auch nicht auf einem versicherten Weg zum Ort einer Nahrungsaufnahme. Insoweit liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dieser ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG vom 19.12.2012 - 1 BvL 18/11 - BVerfGE 133, 1 RdNr 44 mwN; BVerfG vom 30.3.2007 - 1 BvR 3144/06 - SozR 4-2700 § 9 Nr 10 RdNr 18 mwN). Solche rechtfertigenden Gründe sind hier gegeben.

30

Das Zurücklegen eines Weges durch einen Beschäftigten mit der Handlungstendenz, sich an einem vom Ort der Tätigkeit verschiedenen Ort Nahrungsmittel zu besorgen oder einzunehmen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich versichert (vgl BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 20; BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - UV-Recht Aktuell 2010, 897, Juris RdNr 15; BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 6/00 R - Juris RdNr 20 mwN; BSG vom 27.6.2000 - B 2 U 22/99 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 38 S 135 f mwN). Dieser Versicherungsschutz beruht darauf, dass der während einer Arbeitspause zurückgelegte Weg zur Nahrungsaufnahme oder zum Einkauf von Lebensmitteln für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz in zweierlei Hinsicht mit der Betriebstätigkeit verknüpft ist. Zum einen dient die beabsichtigte Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit im Gegensatz zur bloßen Vorbereitungshandlung vor der Arbeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Aufgrund des Zusammentreffens dieser beiden betriebsbezogenen Merkmale, des Handlungsziels und der Betriebsbedingtheit des Weges, ist der wesentliche innere Zusammenhang zwischen dem Betrieb und einem zur Nahrungsaufnahme zurückgelegten Weg angenommen worden (vgl BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 21 mwN; BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 RdNr 30 f; BSG vom 2.7.1996 - 2 RU 34/95 - SozR 3-2200 § 550 Nr 15 S 55 mwN).

31

Diese Betriebsbedingtheit des Weges liegt bei der Klägerin entgegen der Rechtsansicht des LSG gerade nicht vor. Sie ist jedenfalls nicht bereits darin zu sehen, dass die Klägerin den Weg zur Küche über die Treppe deshalb zurücklegen musste, weil sie sich zuvor in ihrem Arbeitszimmer aufgehalten hatte. Die Klägerin unterlag hinsichtlich der beabsichtigten Flüssigkeitszufuhr keinen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen. Es stand vielmehr in ihrem Belieben, ob und wann sie sich wegen des nicht betriebs-, sondern krankheitsbedingten Trinkbedürfnisses Wasser aus der Küche holt. Der Weg zur Küche war weder räumlich durch einen außerhalb der Wohnung gelegenen Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen und stand in keinem Zusammenhang mit bereits erbrachter Arbeit. Dieser vom LSG nicht gesehene, aber offenkundige grundlegende Unterschied steht der von der Klägerin geforderten gebotenen Gleichbehandlung mit Versicherten, die außerhalb der Wohnung einer Beschäftigung nachgehen, entgegen (vgl insoweit auch BSG vom 31.10.1968 - 2 RU 122/66 - Juris RdNr 18; BSG vom 29.6.1971 - 2 RU 117/69 - Juris RdNr 20 f; BSG vom 25.1.1977 - 2 RU 57/75 - SozR 2200 § 550 Nr 24 S 53; BSG vom 19.5.1983 - 2 RU 44/82 - BSGE 55, 139, 140 = SozR 2200 § 550 Nr 54 S 136; BSG vom 6.12.1989 - 2 RU 5/89 - SozR 2200 § 548 Nr 97 S 275; BSG vom 11.5.1995 - 2 RU 30/94 - Juris RdNr 16). Auch die weitere Überlegung des LSG, dass Unfallversicherungsschutz gleichheitswidrig nicht an der Möglichkeit einer freien Arbeitszeiteinteilung und einer schwierigen Beweislage scheitern dürfe, überzeugt nicht. Das Berufungsgericht übersieht insoweit, dass vorliegend nicht die Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Arbeitszeit oder Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung, sondern das Zurücklegen eines Wegs mit dem Ziel, eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit innerhalb des persönlichen Lebens- und Risikobereichs zu verrichten, den Versicherungsschutz ausschließt.

32

4. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt schließlich nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützt. Danach zählt zu den versicherten Tätigkeiten zwar auch das Zurücklegen des mit einer gemäß §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Allerdings beginnt und endet der Weg zur oder von der Arbeit nach ständiger Rechtsprechung des Senats erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses, in dem die Wohnung liegt (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 14; BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 39/06 R - Juris RdNr 10; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 RdNr 16 und - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14). Die Wegeunfallversicherung erstreckt sich damit nicht auf Unfälle innerhalb des Gebäudes, in dem sich die Wohnung des Verletzten befindet. Der Unfall der Klägerin hat sich indes innerhalb ihrer Wohnung ereignet.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Oktober 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Bronchialkarzinom als Berufskrankheit (BK) nach Nr 1103 (Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; in Zukunft BK Nr 1103) anzuerkennen und eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen ist.

2

Die Klägerin ist die Witwe des 1952 geborenen und während des Berufungsverfahrens im März 2013 an den Folgen einer Krebserkrankung verstorbenen Versicherten. Sie lebte zur Zeit seines Todes mit dem Versicherten in einem Haushalt. Von April 1977 bis Ende 1985 arbeitete er in einem Stahlwerk. Dort war er bei seiner Tätigkeit als Schweißer Atemwegsbelastungen insbesondere durch Chrom und Nickel ausgesetzt. Die Chromatexposition betrug 307,51 Chrom-VI-Jahre und die Nickelexposition 196,04 Nickeljahre. Zudem war er einer Asbestbelastung von 12,66 Faserjahren ausgesetzt. Der Versicherte rauchte über einen Zeitraum von 30 Jahren zumindest 20 Zigaretten täglich. Im Jahr 2004 erkrankte er an einem peripheren nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom des linken Lungenoberlappens. Die Beklagte lehnte sowohl die Anerkennung der Bronchialkarzinomerkrankung als BK Nr 1103 als auch als BK Nr 4104 der Anlage 1 zur BKV ab (Bescheide vom 25.8.2005 und Widerspruchsbescheide vom 8.12.2005).

3

Das SG hat die die Anerkennung der BK Nr 1103 ablehnenden Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, bei dem (damaligen) Kläger einen Zustand nach Oberlappenresektion links wegen nicht kleinzelligem Lungenkarzinom als BK Nr 1103 anzuerkennen sowie ihm ab Ende der durch die BK bedingten Arbeitsunfähigkeit Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH zu gewähren. Die Klage gegen die die Anerkennung einer BK Nr 4104 wegen der Asbestbelastung ablehnenden Bescheide hat es abgewiesen (Urteil vom 28.5.2009). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Chromatbelastung des Versicherten am Arbeitsplatz habe kausal die BK Nr 1103 verursacht. Nach neueren Studien liege die Dosis für die Verdoppelung des Lungenkrebsrisikos deutlich unter dem früher angenommenen Grenzwert einer Belastung von 2000 Chrom-VI-Jahren. Im Übrigen verlange der Wortlaut der BK Nr 1103 gerade nicht, dass sich das Erkrankungsrisiko für die jeweils exponierte Personengruppe im Vergleich zur übrigen Bevölkerung verdopple. Demgegenüber trete die Raucheranamnese des Versicherten zurück. Zu Recht habe die Beklagte dagegen die Anerkennung einer BK Nr 4104 abgelehnt, weil die Voraussetzungen hierfür mangels Asbestose, asbesttypischer Pleuraveränderung und Erreichen einer Asbestfaserdosis von 25 Faserjahren nicht vorlägen.

4

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage der den Prozess nach dem Tode des Versicherten fortführenden Klägerin abgewiesen (Urteil vom 14.10.2014). Es hat ausgeführt, die Chromatbelastung mit 307,51 Chrom-VI-Jahren habe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als naturwissenschaftliche (Mit-)Ursache dazu beigetragen, dass der Versicherte im Alter von 52 Jahren an einem Bronchialkarzinom erkrankt sei, denn die Indizien für eine Mitursächlichkeit der Chrom-VI-Einwirkung im naturwissenschaftlichen Sinn würden deutlich überwiegen. Der Zusammenhang zwischen Einwirkungen von Chrom-VI und Lungenkrebs sei durch Studien klar belegt; hieraus ergebe sich teilweise eine Verdoppelung des Lungenkrebsrisikos schon bei einer Dosis von 300 Chrom-VI-Jahren. Hinzu komme die durch das Biomonitoring nachgewiesene deutlich erhöhte Chromatbelastung des Lungengewebes. Ebenso seien für die Entstehung des Lungenkrebses die Asbest- und Nickelbelastung und als unversicherte Einwirkung der langjährige Nikotinmissbrauch mitursächlich. Die erforderliche rechtliche Bewertung der festgestellten naturwissenschaftlichen Ursachen für die Zurechnungsentscheidung der zweiten Stufe, ob diese für den eingetretenen Erfolg rechtlich wesentlich geworden seien, führe jedoch zu dem Ergebnis, dass die versicherte Chrom-VI-Einwirkung neben dem unversicherten Zigarettenrauch eine derart untergeordnete Bedeutung erlange, dass sie nicht als rechtlich wesentliche (Mit-)Ursache für die Bronchialkrebserkrankung betrachtet werden könne. Während die Risikosteigerung durch die Chromatbelastung von 307,51 Chrom-VI-Jahren deutlich unter einer anzunehmenden Verdoppelungsdosis von 1000 Chrom-VI-Jahren liege, begründe der langjährige Nikotinkonsum ein zehnfach erhöhtes Lungenkrebsrisiko.

5

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK Nr 1103. Entgegen der Auffassung des LSG sei die Chromateinwirkung nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch rechtlich wesentlich für die Entstehung des Bronchialkarzinoms gewesen. Nach der Rechtsprechung des BSG komme es auf das Vorhandensein weiterer belastender Einwirkungen nicht an, wenn die beruflichen Einwirkungen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen für sich allein ein so hohes Gefährdungspotential bergen würden, dass sich hierauf eine hinreichende Verursachungswahrscheinlichkeit stützen lasse. Schon eine Belastung von 300 Chrom-VI-Jahren, wie sie bei dem Versicherten vorgelegen habe, führe zu einer Risikoverdoppelung. Das LSG habe deshalb bei der Prüfung der rechtlichen Wesentlichkeit einen zu hohen Grenzwert zugrunde gelegt und auch nicht isoliert die rechtliche Wesentlichkeit aller kanzerogenen Stoffe geprüft.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14.10.2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28.05.2009 zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die Entscheidung des LSG im Ergebnis für zutreffend. Das LSG hätte allerdings aufgrund der festgestellten Einwirkungen bereits die Kausalität der Einwirkung von Chrom-VI im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn verneinen müssen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet. Das LSG hat zu Unrecht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit das SG die Beklagte zur Anerkennung der BK Nr 1103 verurteilt hat. Die Ablehnung der Anerkennung dieser BK in dem Bescheid vom 25.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 war rechtswidrig. Bei dem Versicherten lag ein Zustand nach Oberlappenresektion links wegen nicht kleinzelligem Lungenkarzinom des linken Lungenoberlappens als Folge einer BK Nr 1103 vor. Das LSG hat - von seiner Rechtsansicht her konsequent - selbst keine Feststellungen zur Höhe der MdE getroffen. Der Senat konnte daher nicht entscheiden, ob das SG zu Recht die Beklagte zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 100 vH verurteilt hat; deshalb musste der Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückverwiesen werden.

10

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens - wie auch des Berufungsverfahrens - ist die Aufhebung der die BK Nr 1103 betreffenden Bescheide der Beklagten und ihre Verurteilung zur Anerkennung der BK Nr 1103 sowie zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 100 vH durch das SG. Nur insoweit hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die zulässige Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, Abs 4 SGG) abgewiesen (vgl insbesondere zur Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 - juris RdNr 10; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 13c).

11

Dass die Klägerin den Rechtsstreit nach dem während des Berufungsverfahrens eingetretenen Tod des Versicherten fortführt, steht der Zulässigkeit der Klagen nicht entgegen. Die Klägerin, die zur Zeit des Todes des mit ihr verheirateten Versicherten mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, verfolgt als Sonderrechtsnachfolgerin einen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente und damit auf laufende Geldleistungen iS von § 56 Abs 1 Nr 1 SGB I. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der BK Nr 1103 ist gegeben, denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass noch andere auf die Klägerin übergegangene Ansprüche gegen die Beklagte bestehen und ggf auch in einem Verfahren nach § 44 SGB X geltend gemacht werden können.

12

Das LSG hat zu Unrecht unter Aufhebung des Urteils des SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr 1103 der Anlage 1 zur BKV liegen vor. Rechtsgrundlage für die Anerkennung dieser BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK Nr 1103. BK Nr 1103 lautet: "Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen". Der Tatbestand der BK Nr 1103 enthält darüber hinaus weder normative Vorgaben in Form einer Mindestdosis oder Mindestdauer der Einwirkung noch eine inhaltliche Eingrenzung der möglichen Krankheitsbilder. Nach § 9 Abs 1 S 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Die Voraussetzungen der "versicherten Tätigkeit", der "Verrichtung", der "Einwirkungen" und der "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (stRspr; vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 mwN).

13

1. Nach den bindenden Feststellungen des LSG arbeitete der Ehemann der Klägerin von 1977 bis 1985 als Beschäftigter eines Stahlwerks. In dieser Tätigkeit war er nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung. Während und aufgrund dieser versicherten Tätigkeit unterlag er den im Tatbestand der BK Nr 1103 genannten Einwirkungen "Chrom und seinen Verbindungen" durch Chrom-VI mit einer Dosis von 307,51 Chromatjahren.

14

2. Beim Versicherten bestand als Erkrankung iS von § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK Nr 1103 ein Zustand nach Oberlappenresektion links wegen nicht kleinzelligem Lungenkarzinom des linken Lungenoberlappens im Stadium IIa. Nach den Feststellungen des LSG sind Chrom-VI-Einwirkungen geeignet, Bronchialkarzinome zu verursachen. Bei der BK Nr 1103 handelt es sich um einen sog offenen BK-Tatbestand (vgl dazu Spellbrink, SR 2014, 140, 143; Bieresborn, NZS 2008, 354, 359), der ua keine konkrete Erkrankung benennt, die bei dem Versicherten diagnostiziert werden muss, um den BK-Tatbestand bejahen zu können. Anerkennungsfähig sind deshalb alle Krankheiten, die durch die benannten Einwirkungen potentiell verursacht werden können (vgl hierzu BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 14).

15

3. Zwischen den festgestellten gefährdenden Einwirkungen iS der BK Nr 1103 durch Chrom-VI und der Lungenkrebserkrankung des Versicherten bestand nach den Feststellungen des LSG ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Voraussetzung für die Anerkennung der BK Nr 1103 ist deshalb, dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten durch die während seiner versicherten Tätigkeit erfolgten Einwirkungen von Chrom-VI verursacht worden ist.

16

Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im BKen-Recht wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser sog ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die Einwirkung durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der sog zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr ist (stRspr; vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 19 mwN).

17

Das LSG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhang sowohl hinsichtlich der sog arbeitstechnischen als auch arbeitsmedizinischen Voraussetzungen festgestellt (hierzu unter a). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz haben die festgestellten naturwissenschaftlich-kausalen Chromateinwirkungen die Lungenkrebserkrankung auch rechtlich wesentlich verursacht (hierzu unter b).

18

a) Nach den Feststellungen des LSG hat die gefährdende Einwirkung durch Chrom-VI die Lungenkrebserkrankung des Versicherten verursacht. Das LSG hat dazu ohne Verstoß gegen Bundesrecht und damit den Senat gemäß § 163 SGG bindend festgestellt(anders als in dem dem Urteil des Senats vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - zugrundeliegenden Verfahren), dass die Chromatbelastung von 307,51 Chrom-VI-Jahren, der der Versicherte durch seine versicherte Tätigkeit ausgesetzt war, geeignet war, die Lungenkrebserkrankung zu verursachen und dass diese Einwirkung auch (Mit-)Ursache für diese Erkrankung war. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung auf der sog ersten Stufe ist zwar eine der revisionsrechtlichen Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte iS des § 163 SGG. Eine solche das Revisionsgericht bindende Wirkung besteht jedoch dann nicht, wenn das LSG von einem nicht existierenden oder offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen oder einen bestehenden Erfahrungssatz nicht angewandt hat und eine solche fehlerhafte Anwendung zulässig gerügt wird (vgl hierzu zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 28 mwN). Die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale der jeweiligen die BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen sind revisionsrechtlich darauf überprüfbar, ob sie dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen (vgl BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20, vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 und vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23). Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Maßgebend bei diesem ersten Schritt der Kausalitätsprüfung ist die Feststellung von wissenschaftlichen Erfahrungssätzen und deren Tragweite (vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff und SR 2015, 15, 17). Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin ggf durch Sachverständige zu überprüfen (vgl BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 28; vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68; vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also - von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen - Konsens besteht (BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 17; BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22; BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).

19

Danach ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das LSG unter Berufung auf das durch das SG eingeholte medizinische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S. auf Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2000 gestützt und eine Ursächlichkeit der Chromateinwirkungen für eine Lungenkrebserkrankung schon ab einer Dosis von 300 Chrom-VI-Jahren bejaht hat. Der Senat kann jedenfalls nicht feststellen, dass das LSG damit einen offenkundig falschen Erfahrungssatz zugrunde gelegt oder einen bestehenden Erfahrungssatz außer Acht oder offensichtlich fehlerhaft angewandt hat. Denn ein allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisstand zur Dosis-Wirkungsbeziehung von Chromateinwirkungen und des Risikos, an Lungenkrebs zur erkranken, existiert nicht. Nach dem derzeitigen Stand in der medizinischen Wissenschaft besteht zwar Einigkeit darüber, dass eine inhalative Chromatexposition ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko bedingt (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, 666, 667 unter Bezugnahme auf Studien von Gibb ua 2000, Mundt ua 2002, Luippold ua 2003), eine zuverlässige und allgemein akzeptierte Dosis-Wirkungsbeziehung bei Chromateinwirkungen konnte bislang aber nicht ermittelt werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176; Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 674). Auch die von der Beklagten im Revisionsverfahren vorgelegte aktuelle Veröffentlichung aus dem Jahr 2015 (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666 ff), die insbesondere unter Berücksichtigung einer Studie aus dem Jahr 2006 (Birk ua) eine Risikoverdoppelung für Lungenkrebs in einem Bereich von 500 Chromatjahren bei 40 Jahren Lebensarbeitszeit annimmt, gibt insofern keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wieder, unabhängig davon, dass jedenfalls das Gesetz in § 9 Abs 1 S 2 SGB VII das Kriterium einer Risikoverdoppelung als Voraussetzung einer BK-Anerkennung nicht erwähnt(hierzu bereits BSG vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 37 f = SozR 3-2200 § 551 Nr 12, S 42; skeptisch gegenüber dem Kriterium der Risikoverdoppelung ua auch P. Becker, SGb 2006, 449, 454). Vielmehr weisen die Autoren ausdrücklich darauf hin, dass die dem vorgeschlagenen Wert zugrundeliegenden Berechnungen eine Vielzahl von Unsicherheiten enthalten, und schlagen deshalb vor, ihre Ergebnisse lediglich als Orientierungswerte zu verstehen (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 673 f; so auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176).

20

Mithin besteht zwar derzeit ein wissenschaftlich gesicherter Grenzwert für eine Dosis-Wirkungsbeziehung nicht, den Forschungsergebnissen lässt sich jedoch die Tendenz entnehmen, bei immer geringeren Einwirkungsmengen eine naturwissenschaftliche Ursächlichkeit zu bejahen. Während im Jahr 1994 für die Annahme einer erheblichen inhalativen Chrom-VI-Belastung und die Anerkennung der BK Nr 1103 ein Chromat-Jahre-Wert von 2000 für CrO3 bzw 1000 für Chrom-VI für Lichtbogenschweißer und für andere Tätigkeiten Werte von 1000 für CrO3 bzw 500 für Chrom-VI vorgeschlagen wurden (Norpoth und Popp, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 337), nennt eine Studie aus dem Jahr 2005 einen Grenzwert von 1300 Chromat-Jahren (Luippold, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 340; dies ASUMed 2015, S 666, 671). Aufbauend auf einer Studie aus dem Jahr 2000 (Gibb ua) wurde im Jahr 2006 von einem ursächlichen Zusammenhang bei einem Wert von 300 Chromat-Jahren ausgegangen (Borsch-Galetke, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 341; zu den Schwächen der Studien vgl Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 670 ff; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176).

21

Die Tendenz zur Annahme immer geringerer Werte wird gestützt durch die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) veröffentlichte Begründung in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 910 zur Exposition-Risiko-Beziehung bei Chrom-VI. Ziel solcher präventiver Grenzwerte ist zwar die Ermittlung einer Dosis, ab der die ernsthafte Möglichkeit einer Gefährdung besteht, so dass aus ihnen keine direkten Aussagen über retrospektiv betrachtete Dosis-Wirkungsbeziehungen abgeleitet werden können (vgl hierzu Bieresborn, SGb 2016, 310, 319; Seidler, ZblArbeitsmed 2014, 325, 326). Dennoch können solche Studien - zumindest ergänzend - auch für die Kausalitätsprüfung herangezogen werden, da sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Aufschluss über Zusammenhänge zwischen Schadstoffexposition und Erkrankung geben können (vgl hierzu Spellbrink, Synkanzerogenese aus rechtlicher Sicht, in DGUV , Erfahrungen mit der Anwendung von § 9 Abs 2 SGB VII , 6. Erfahrungsbericht, 2013, S 53, insb S 62 ff; Spellbrink, SR 2015, 15, 19; Seidler, ZblArbeitsmed 2014, 325, 329; BAuA, TRGS 910 , S 34; Brünung/Pesch ua, ASUMed 2015, 666, 667). Nach der Begründung zu Chrom-VI in TRGS 910 (BAuA, Ausschluss für Gefahrstoffe, Stand: November 2013, Ausgabe: April 2014, S 31) besteht nach derzeitigen Erkenntnissen eine ernsthafte Gefährdungsmöglichkeit bereits ab einer Konzentration von 12,5 µg/m³. Angesichts dieser Veröffentlichungen ist mithin für das Revisionsgericht nicht erkennbar, dass der vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Erfahrungssatz offensichtlich falsch ist, nach dem ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer Lungenkrebserkrankung und einer Einwirkung von Chromat bereits bei 300 Chromatjahren vorliegen kann.

22

b) Zu Unrecht hat das LSG dagegen die rechtliche Wesentlichkeit dieser Ursache für den eingetretenen Erfolg verneint, weil den Einwirkungen durch Nikotinrauch ein statistisch höheres Erkrankungsrisiko für die Krebserkrankung des Versicherten zugrunde lag als der Einwirkung durch Chrom-VI. Entgegen der Auffassung des LSG kann im Rahmen der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung nicht ausschließlich das jeweilige Erkrankungsrisiko rein mathematisch gegenüber gestellt und ziffernmäßig abgewogen werden. Die nummerischen Verursachungsbeiträge durch Chrom einerseits und Nikotinkonsum andererseits hätten bereits auf der ersten (rein tatsächlichen) Prüfungsstufe festgestellt und abgewogen werden müssen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat die Chrom-VI-Einwirkung die Lungenkrebserkrankung auch auf der sog zweiten, rein rechtlichen Stufe der Kausalitätsprüfung rechtlich wesentlich verursacht.

23

Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden (grundlegend BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31 RdNr 12). Die Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist eine reine Rechtsfrage, die sich nach dem Schutzzweck der Norm beantwortet (grundlegend P. Becker, MedSach 2007, 92; Spellbrink, MedSach 2017, 51, 55). Die rechtliche Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 23). Das BSG hat dabei schon immer betont, dass bei dieser Prüfung "wesentlich" nicht gleichzusetzen ist mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat (BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 22). Folglich war in den seit längerer Zeit problematisierten Fällen der durch mehrere Ursachen (kumulativ oder additiv) verursachten Krebserkrankungen (sog Synkanzerogenese) schon immer diskutiert worden, dass auch (teil-)wesentliche Ursachen eine Entschädigungspflicht auslösen können, wenn auf der ersten Stufe der notwendige naturwissenschaftlich-philosophische Zusammenhang gesichert ist (vgl P. Becker, MedSach 2005, 115 und zuletzt P. Becker, ZblArbeitsmed 2015, 301; Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 365). So liegen die Verhältnisse hier.

24

Die versicherungsrechtliche Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers setzt voraus, dass die Rechtsgutsverletzung des Versicherten in den jeweiligen Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Für Schäden, die außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegen, muss der jeweils zuständige Unfallversicherungsträger nicht einstehen. Entscheidend ist mithin, ob der begründete Versicherungsschutz den Sinn und Zweck hat, gegen Schäden der konkret eingetretenen Art zu schützen. Die kausal auf den versicherten Chromateinwirkungen beruhende Lungenkrebserkrankung des Versicherten ist vom Schutzzweck der BK Nr 1103 umfasst. Die gesetzliche Unfallversicherung soll im Rahmen der BK Nr 1103 vor Erkrankungen, insbesondere vor Bronchialkarzinomen, durch betriebliche Chromatbelastungen schützen und im Falle des Eintritts einer solchen Erkrankung Leistungen gewähren. Der Verordnungsgeber hat dabei gerade keinen Schwellenwert festgeschrieben, der überschritten sein muss, damit die BK Nr 1103 festgestellt werden kann. Mithin zeigt bereits die Normformulierung der BK Nr 1103, dass Chrom und seine Verbindungen vom Verordnungsgeber auch niedrigschwellig als gefährlich eingestuft werden, was durch die oben (unter 3.a) referierten Forschungsbefunde eindrucksvoll belegt wird. Schutzzweck des Versicherungstatbestandes der BK Nr 1103 ist gerade die Gewährung von Versicherungsschutz bei Erkrankungen, die durch die als grundsätzlich gefährdend eingestuften Einwirkungen von Chrom und seinen Verbindungen hervorgerufen werden. Auch angesichts des Gefahrenpotentials dieses Stoffes hat der Verordnungsgeber den Wortlaut der BK Nr 1103 denkbar weit gefasst und die Anerkennung dieser BK gerade nicht von der Erreichung bestimmter Grenzwerte abhängig machen wollen. Damit ist eine Anerkennung der BK Nr 1103 auch nicht von vorneherein nur Nichtrauchern vorbehalten. Grund für die Einführung dieses BK-Tatbestandes war allein die Erkenntnis, dass sich durch metallische Chrome oder andere Verbindungen des Chroms gesundheitliche Schädigungen einstellen können (vgl BR-Drucks 194/1/52, S 2).

25

Die Wesentlichkeit der vom LSG festgestellten (Mit-)Ursache ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil nach seinen Feststellungen als Mitursache neben die Einwirkung durch Chromat die unversicherte Einwirkung des Nikotinkonsums des Verletzten mit einer Dosis von 30 Packungsjahren trat. Denn die Einwirkung durch den Nikotinkonsum hat unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der BK Nr 1103 das Erkrankungsgeschehen rechtlich nicht derart geprägt, dass die Erkrankung nicht mehr dem Schutzbereich des Versicherungstatbestandes unterfällt. Es besteht zwar kein Automatismus dergestalt, dass die Bejahung des naturwissenschaftlichen Kausalitätszusammenhangs zwischen Einwirkung und Erkrankung auch die rechtliche Wesentlichkeit der Ursache zur Folge hätte. Für BKen, die "harte Kriterien" enthalten, wie die BK Nr 4104, die die Einwirkung einer berufsbedingten Asbestfaserstaub-Dosis von 25 Faserjahren verlangt, hat der Senat allerdings entschieden, dass bereits bei Nachweis dieser in der Norm selbst genannten Einwirkungsgröße eine Tatsachenvermutung für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und der Einwirkung von Asbest besteht (vgl BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 24 ff). Diese Vermutung kann widerlegt werden, indem beispielsweise gezeigt wird, dass wegen der Art oder der Lokalisation des Tumors, wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung oder aufgrund sonstiger Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Belastung nicht wahrscheinlich ist, nicht jedoch schon dadurch, dass der Versicherte auch außerberuflich Schadstoffeinwirkungen - wie langjähriges Zigarettenrauchen - ausgesetzt war, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet sind, ebenfalls an dem befallenen Organ eine Krebserkrankung zu verursachen. Andernfalls bliebe angesichts vielfältiger, in ihren Wirkungen und Wechselwirkungen nur teilweise bekannter und erforschter gesundheitsschädlicher Umwelteinflüsse, denen jeder in seinem persönlichen Umfeld in mehr oder weniger großem Umfang ausgesetzt ist, die vom Verordnungsgeber aufgestellte Vermutung weitgehend bedeutungslos (so BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 27).

26

Anders als die BK Nr 4104 enthält der Tatbestand der BK Nr 1103 zwar keinen Grenzwert, ab dem ein Ursachenzusammenhang zwischen Chromateinwirkung und Erkrankung vermutet wird. Der Verordnungsgeber hat im Text der BK Nr 1103 die Wirkungsbeziehung "Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen" für entschädigungswürdig gehalten und keinen Ausschluss von Erkrankungen, die auch durch außerberufliche Einwirkungen verursacht werden können, vorgesehen. Wenn - wie vorliegend - ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung festgestellt wurde, kann die rechtliche Wesentlichkeit dieser Einwirkung nicht bereits deshalb verneint werden, weil eine andere, außerberufliche Einwirkung ebenfalls geeignet ist, die Erkrankung des Versicherten hervorzurufen. Denn dies würde die vom Gesetzgeber mit der Aufnahme einer Einwirkung in die BKV getroffene Wertentscheidung unterlaufen, dass die Beteiligten von deren generellen Eignung zur Verursachung bestimmter Erkrankungen und von deren Entschädigungswürdigkeit auszugehen haben (vgl Koch in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, Unfallversicherungsrecht, 1996, § 36 RdNr 6). Das in BK Nr 1103 vorausgesetzte hohe Gefährdungspotential, das der Verordnungsgeber Chrom-VI zuschreibt, bliebe unberücksichtigt, wenn allein die abstrakte Möglichkeit, dass die Erkrankung durch eine andere (außerberufliche) Einwirkung verursacht wurde, und das Hinzutreten weiterer - statistisch gefährlicherer - Einwirkungen die Wesentlichkeit ausschließen könnte. Auch würde die Normierung eines BKen-Tatbestandes wie der BK Nr 1103 weitgehend bedeutungslos, insbesondere weil Krebserkrankungen regelmäßig multifaktorielle Geschehensabläufe zugrunde liegen, deren Ursachen teils im beruflichen, teils im außerberuflichen Bereich liegen, ohne dass insofern eine wissenschaftlich begründete exakte Bezifferung der jeweiligen Verursachungsbeiträge möglich ist (grundlegend Hallier, Synkanzerogenese aus medizinischer Sicht, in DGUV , Erfahrungen mit der Anwendung von § 9 Abs 2 SGB VII<6. Erfahrungsbericht, 2013, S 72 ff>). Insofern erscheint es bei multifaktorieller Verursachung von Erkrankungen - wie vorliegend - auch nicht möglich, im Rahmen der Wesentlichkeitsprüfung einen Schwellenwert - wie etwa das sog Krasneysche Drittel - zu definieren (hierzu Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 365), den der Verursachungsbeitrag eines isoliert betrachteten Stoffes in jedem Falle überschritten haben müsste, um auch als rechtlich wesentlich betrachtet werden zu können (vgl hierzu auch Bultmann, ASR 2016,140,148).

27

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung wird der Versicherte vielmehr in dem gesundheitlichen Zustand geschützt, in dem er mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert wird. Wenn - wie vorliegend - ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung festgestellt wurde, kann die rechtliche Wesentlichkeit dieser Einwirkung mithin nicht bereits deshalb verneint werden, weil eine außerberufliche Einwirkung ebenfalls geeignet war, die Erkrankung des Versicherten hervorzurufen. Zudem würde die Rechtsauffassung des LSG, die Ermittlung der Wesentlichkeit sei anhand einer rein statistischen Gegenüberstellung vorzunehmen, im Ergebnis alle Raucher von Entschädigungsleistungen der Unfallversicherung ausschließen und damit dem Prinzip der gesetzlichen Unfallversicherung widersprechen, die grundsätzlich Versicherungsschutz auch bei bestehenden sonstigen gesundheitlichen Risiken bietet (vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 19).

28

Der Rechtsstreit war gemäß § 170 Abs 2 S 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen. Für eine abschließende Entscheidung durch den Senat darüber, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe ein Anspruch auf eine Verletztenrente nach § 56 SGB VII besteht, reichen die vom LSG getroffenen Feststellungen nicht aus. Dies richtet sich gemäß § 56 Abs 2 S 1 SGB VII ua nach dem Umfang der MdE. Zur MdE hat das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - keine Feststellungen getroffen. Diese hat es nach Zurückverweisung nachzuholen und über den Anspruch auf Verletztenrente unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zum Vorliegen einer BK Nr 1103 zu entscheiden (§ 170 Abs 5 SGG). Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls, um die Dauer unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit und um die Gewährung von Verletztenrente.
Der 19... geborene, seit Januar 20... als Kundenberater eines Versicherungsunternehmens beschäftigte Kläger erlitt am 17.09.2014 einen Arbeitsunfall: Auf dem Rückweg von einem Kunden und der Fahrt zu einem weiteren Kunden musste er an einer Ampel verkehrsbedingt anhalten, als ein anderes Fahrzeug von hinten auf seinen Pkw auffuhr. Am Unfallfolgetag suchte der Kläger den Orthopäden Dr. H. auf und klagte über Schmerzen im Nacken und Rücken und ein Ziehen im rechten Bein. Dr. H. erhob einen Muskelhartspann, Kopfschmerzen, eine schmerzhafte Beweglichkeit der Halswirbelsäule, Lumboischialgie-Schmerzen rechts und eine Stauchung von Wirbelsäule und des Beckens. Die Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule in zwei Ebenen belegte eine Steilstellung ohne Fraktur- oder Instabilitätszeichen. Dr. H. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen Kopfschmerzen, Muskelhärte und eine HWS-Distorsion. Die Erstversorgung erfolgte mittels Zervikalstütze und Medikamenten gegen Muskelverspannungen und Schmerzen (vgl. H-Arzt-Bericht vom 18.09.2014). Am 14.10.2014 begab sich der Kläger in Behandlung der HNO-Ärztin Dr. M.. Diese diagnostizierte einen beidseitigen Tinnitus und Schwindel und äußerte den Verdacht auf eine Contusio labyrinthi. Der von ihr erhobene Ohrenbefund war beidseits „o.B.“ (vgl. HNO-Arztbericht vom 14.10.2014). In ihrer Auskunft vom 10.11.2014 teilte Dr. M. der Beklagten mit, der Kläger berichte seit dem Unfallereignis u.a. über ein beidseitiges Ohrensausen und Pfeifen, links etwas stärker ausgeprägt als rechts; er empfinde die Ohrgeräusche als sehr störend (Schlafstörungen). Aktuell finde insoweit keine Therapie ihrerseits mehr statt. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund des Tinnitusleidens bewertete Dr. M. mit 10 v.H..
Im Rahmen der weiteren Sachaufklärung zog die Beklagte Behandlungsunterlagen der HNO-Klinik des S. Klinikums K-Stadt (Behandlung dort wegen Neuropathia vestibularis links im Juli 2009), das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK K-Stadt (u.a. Behandlung wegen Tinnitus aurium im April 2014) sowie das von Dr. M. am 12.12.2014 erstellte Ton- und Sprachaudiogramm bei. Außerdem holte sie Befundberichte des Neurologen Dr. R. und des Dr. H. ein. Ein von diesem veranlasstes MRT des Neurocraniums ergab keinen krankhaften Befund (vgl. Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015). Zur Feststellung von Art und Ausmaß der Unfallfolgen ließ die Beklagte den Kläger sodann durch den HNO-Arzt Dr. G. und den Orthopäden Dr. C. untersuchen und begutachten.
Dr. G. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen eine Hochtoninnenohrschwerhörigkeit beidseits bei ton- und sprachaudiometrisch nachgewiesener Normalhörigkeit und einen chronischen Tinnitus mit psychovegetativen Begleiterscheinungen. Das Unfallereignis vom September 2014 sei mit Wahrscheinlichkeit Ursache oder wesentliche Teilursache des Tinnitusleidens. Die unfallbedingte MdE hierfür bewertete Dr. G. mit 10 v.H. .
Bei der Untersuchung und Begutachtung durch Dr. C. gelang die Rotation der Halswirbelsäule beidseits bis 60° und die Seitneigung bis jeweils 40°. Die Vor- und Rückbeugung des Kopfes konnte der Kläger bis zu einem Kinn-Brustbein-Abstand von 0/17 cm verrichten. Bei der Rumpfbeuge nach vorn verblieb ein Finger-Boden-Abstand von 13 cm. Dr. C. erhob ein Ott’sches-Zeichen von 30/31,5 cm und ein Schober’sches-Zeichen von 10/14,5 cm. Das Nervendehnungszeichen nach Lasègue war beidseits negativ. Die Nachbefundung der von Dr. H. am 18.09.2014 angefertigten Röntgenbilder der Halswirbelsäule ergab eine Steilstellung ohne knöchernen Verletzungsbefund und ohne Hinweise auf eine ventrale oder dorsale Instabilität. Auch bei der Nachbefundung von Röntgenbildern der Lendenwirbelsäule objektivierte Dr. C. einen im Wesentlichen unauffälligen Befund und diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein myalgisches HWS-Syndrom und rezidivierende Lumbalgien mit lumbalen und/oder thorakalen Blockierungen, jeweils ohne sensomotorische Ausfälle der Extremitäten und ohne relevante Funktionseinschränkung. Durch das Unfallereignis habe der Kläger eine Distorsion I. Grades der Hals- und wahrscheinlich auch der Lendenwirbelsäule erlitten. Die geklagten Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule ließen sich jedoch nicht mehr mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen, weil keine substantiellen Schäden zu objektivieren seien, die eine derart lange Beschwerdedauer plausibel erklären könnten. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe längstens bis zum 09.11.2014 bestanden. Eine messbare MdE auf seinem Fachgebiet sei nicht verblieben.
Gestützt auf diese Gutachten und eine beratungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. J. anerkannte die Beklagte das Unfallereignis als Arbeitsunfall und als dessen Folge
„Folgenlos ausgeheilte Distorsion der Hals- und Lendenwirbelsäule.“
Keine Folgen des Arbeitsunfalls, und zwar weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung, seien eine Hochton-Innenohrschwerhörigkeit beidseits und ein chronischer Tinnitus des linken Ohres mit psychovegetativen Begleiterscheinungen: Der Unfallhergang sei nicht geeignet gewesen, diese Gesundheitsstörungen zu bewirken. Für die Anerkennung eines traumatischen Tinnitus als Unfallfolge sei schon ein geeigneter Gesundheitserstschaden nicht erwiesen. Allein ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem Tinnitus und einem Arbeitsunfallereignis begründe keinen ursächlichen Zusammenhang. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe bis zum 09.11.2014 bestanden. Anspruch auf Verletztenrente habe der Kläger nicht, weil seine Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert sei (Bescheid vom 22.09.2015).
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, die Unfallfolgen im Bereich der Wirbelsäule seien nicht folgenlos ausgeheilt. Zu Unrecht habe die Beklagte auch die Anerkennung seines Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen und die chronischen Schwindelanfällen als Unfallfolgen versagt. Seit Ende März 2015 befinde er sich in psychotherapeutischer Behandlung. Außerdem habe er wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden eine stationäre Schmerztherapie durchgeführt. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten daher über dem 09.11.2014 hinaus bestanden. Zu Unrecht habe die Beklagte weiter einen Anspruch auf Verletztenrente versagt. Zur Stützung seines Widerspruchsbegehrens legte der Kläger das Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vor.
10 
Die Beklagte veranlasste weitere Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers durch den HNO-Arzt Dr. Z. und den Orthopäden Prof. Dr. Sch.:
11 
Dr. Z. gegenüber gab der Kläger u.a. an, der Unfall sei „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Er sei danach aus seinem Fahrzeug gestiegen und habe mit dem Unfallverursacher „das Ganze geregelt“. Danach habe er noch einen weiteren Kundentermin wahrgenommen. In Auswertung der von ihm erhobenen Befunde und unter Einbeziehung des vom Kläger überreichten Attestes des Allgemeinmediziners Dr. W. führte Dr. Z. zusammenfassend aus, durch den Arbeitsunfall sei es nicht mit Wahrscheinlichkeit zu einem wesentlichen unfallbedingten Innenohrgeschehen gekommen. Bereits im November 2011 habe Dr. W. den Kläger wegen einer Hörstörung und Schwindel behandelt. Im Juli 2013 habe der Kläger diesem gegenüber einen durch Stress vermehrten Tinnitus angegeben; Dr. W. habe den Kläger außerdem im April 2014 wegen verstärkter Ohrgeräusche erneut behandelt. Damit habe bereits vor dem Arbeitsunfallereignis eine Tinnitussymptomatik vorgelegen. Weiter erfordere ein traumatischer Tinnitus den Nachweis anderer objektivierbarer Störungen des Innenohrs. Solche seien indes nicht nachzuweisen. Denn die vestibuläre Gleichgewichtsdiagnostik habe einen Normalbefund ergeben; das Hörvermögen des Klägers sei nicht altersübersteigernd gemindert. Auf seinem Fachgebiet lägen mithin keine Unfallfolgen vor. Das Unfallereignis habe auch nicht zu einer Verschlimmerung vorbestehender Gesundheitsstörungen geführt.
12 
Prof. Dr. Sch. legte zusammenfassend dar, er habe keine Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und keine neurologische Defizite objektiviert. Beschwerden bestünden allein bei endgradigen Rotations- und Inklinationsbewegungen. Unmittelbare Unfallfolgen seien eine HWS-Distorsion Grad I und eine Prellung der Lendenwirbelsäule. Beide Gesundheitsstörungen heilten nach ärztlichen Erfahrungen innerhalb von vier bis sechs Wochen folgenlos aus. Symptome wie überdauernder Schwindel, Tinnitus und Schlaf- oder Konzentrationsstörungen seien für eine HWS-Distorsion Grad I untypisch. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit auf seinem Fachgebiet habe für etwa eine Woche vorgelegen, Behandlungsbedürftigkeit bis allenfalls sechs Wochen nach dem Unfallereignis. Darauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.09.2016).
13 
Deswegen hat der Kläger am 26.10.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er unter Wiederholung seines Widerspruchsvorbringens sein Begehren weiterverfolgt.
14 
Mit Schriftsatz vom 19.01.2017 hat der Kläger beantragt, gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf sein Kostenrisiko ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. P., K-Stadt, einzuholen. Mit Verfügung vom 23.01.2017 hat die Kammer dem Kläger über seine Prozessbevollmächtigten die Auflagen erteilt, bis zum 17.02.2017 einen näher bezeichneten Kostenvorschuss einzuzahlen, eine von ihm unterschriebene Kostenverpflichtungserklärung zurückzusenden und durch geeignete Unterlagen die Bereitschaft der als Sachverständige benannten Ärztin nachzuweisen, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtenauftrags zu erstellen und vorzulegen. Innerhalb der Frist hat der Kläger zwar den Kostenvorschuss einbezahlt und die Kostenverpflichtungserklärung vorgelegt, nicht jedoch die Bereitschaftsanzeige von Prof. Dr. P..
15 
Der Kläger beantragt,
16 
den Bescheid vom 22. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, „Distorsion der Hals- und Lendenwirbelsäule mit Schwindelattacken, chronischer Tinnitus mit psychovegetativen Begleiterscheinungen, Somatisierungsstörungen, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen“ als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. September 2014, außerdem unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit über den 09. November 2014 hinaus anzuerkennen und ihm wegen der Unfallfolgen Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. der Vollrente zu gewähren,
17 
hilfsweise gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. P., K-Stadt, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.
18 
Die Beklagte beantragt,
19 
die Klage abzuweisen.
20 
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
21 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 und § 56 SGG zulässig (zum Wahlrecht eines Unfallversicherten, den Anspruch auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen: BSG SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Rdnr. 12 m.W. N.) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Weder sind weitere Gesundheitsstörungen als Folge des streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignisses anzuerkennen (dazu nachfolgend unter 3.) noch war der Kläger über den 09.11.2014 hinaus unfallbedingt arbeitsunfähig und/oder behandlungsbedürftig (dazu nachfolgend unter 4.). Er hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls auch keinen Anspruch auf Verletztenrente (dazu nachfolgend unter 5).
23 
1. Dass der Kläger am 17.09.2014 auf einem sogenannten Betriebsweg (vgl. hierzu BSG vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 20 m.W. N. und Wagner in jurisPK-SGB VII, Stand 30.06.2016, § 8, Rdnr. 78 m.W. N.) bei seiner versicherten Tätigkeit als Kundenberater (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung -) einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 22.09.2015 ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht nicht umstritten.
24 
2. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften des SGB VII und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch Anspruch auf Heilbehandlung, einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 27 ff SGB VII) sowie auf Geldleistungen u.a. in Form von Verletztenrente (§ 56 SGB VII). Die Gewährung von Verletztenrente setzt voraus, dass die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII).
25 
a) Dies setzt voraus, dass Schäden, die zu einer Erwerbsminderung geführt haben, „infolge“ Versicherungsfalls entstanden sind. Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen deshalb (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).
26 
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
27 
b) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rdnrn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSGE 1, 72, 76).
28 
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (B 2 U 1/05 R <= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17> und B 2 U 26/04 R<= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff>) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:
29 
Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen „Erfolg“ rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als „wesentlich“ anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache „der Erfolg“ eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245 und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht „wesentlich“ und damit keine Ursache i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet werden (vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 und BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860 ff).
30 
3. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.
31 
3.1. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 17.09.2014 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Dres. Z. und C. und des Prof. Dr. Sch., deren Gutachten sie im Wege des Urkundenbeweises (vgl. BSG vom 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87 -, Rdnr. 17 und LSG Baden-Württemberg vom 25.08.2016 - L 6 VG 3508/12, Rdnr. 61 ) verwertet, hinsichtlich der erhobenen Befunde auf HNO-fachärztlichem Gebiet ferner auf das ebenfalls urkundenbeweislich verwertete Gutachten von Dr. G. und das Attest des Allgemeinmediziners Dr. W. vom 15.12.2015.
32 
a) Auf orthopädischem Fachgebiet hat das Unfallereignis mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließt, eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der Halswirbelsäule I. Grades und eine allenfalls leichte Prellung der Lendenwirbelsäule bewirkt. Dies belegen bereits die von Dr. H. am Unfallfolgetag erhobenen Befunde im Sinne eines Muskelhartspanns, von Kopfschmerzen, einer schmerzhaften Beweglichkeit der Halswirbelsäule und von Schmerzen im Lendenwirbelsäulen- und Beckenbereich. Die an diesem Tag erhobenen Röntgenbefunde ergaben keinen Hinweis auf strukturelle Unfallschäden, insbesondere keine Frakturzeichen oder Instabilitäten. Eine unfallbedingte Dissektion (= Verletzung) der Halsgefäße hat Dr. R. bei der Untersuchung am 08.12.2014 ebenfalls ausgeschlossen. Auch das Kernspintomogramm des Neurocraniums war unauffällig und ohne Hinweis auf einen raumfordernden, entzündlichen oder ischämischen Prozess oder sonstige krankhafte Veränderungen, wie sich aus dem Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015 ergibt. Überdauernde Funktionseinschränkungen der Hals-, Brust- oder Lendenwirbelsäule haben oder substantielle Wirbelsäulenschäden Dr. C. und Prof. Dr Sch. nicht objektiviert. Vielmehr lagen die von ihnen erhobenen Bewegungsausmaße in allen Wirbelsäulenabschnitten innerhalb der physiologischen Normwerte und bestanden auch keine neurologischen Defizite der oberen und/oder unteren Extremitäten. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer auch insoweit anschließt, waren die HWS-Distorsion und die Prellung der Lendenwirbelsäule nach allgemeinen ärztlichen Erfahrungen nach vier bis längstens sechs Wochen folgenlos ausgeheilt.
33 
b) Gesundheitsstörungen auf HNO-fachärztlichem Gebiet in Form eines chronischen Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen (Somatisierungsstörungen, Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen) sind ebenfalls nicht als weitere Unfallfolgen anzuerkennen. Denn der Tinnitus ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Ereignis vom 17.09.2014 zurückzuführen. Insoweit fehlt es bereits am Nachweis eines unfallbedingten Gesundheitserstschadens. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. hat der Kläger - wie oben unter 3.1. a) bereits ausgeführt, unfallbedingt eine HWS-Distorsion Grad I erlitten. Diese Gesundheitsstörung geht nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. Sch. anfangs zwar mit Schmerzen der Halsmuskulatur und gegebenenfalls begleitenden Bewegungseinschränkungen einher, wobei zumeist ein symptomfreies Intervall auftritt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 480 ff). Symptome wie persistierender Schwindel, Tinnitus, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen sind hierfür indes mit Prof. Dr. Sch. untypisch.
34 
Gegen die Wahrscheinlichkeit eines unfallbedingten Tinnitus und daraus resultierenden unfallbedingten psychovegetativen Begleitschäden spricht mit Dr. Z. außerdem der Umstand, dass der Kläger bereits zeitlich deutlich vor dem Unfallereignis am 17.09.2014, nämlich schon im November 2011, bei Dr. W. u.a. wegen Schwindelerscheinungen und im Juni 2013 und erneut im April 2014 auch wegen Tinnitusbeschwerden in Behandlung stand. Als Ursache der Tinnitusbeschwerden gab der Kläger Dr. W. gegenüber seinerzeit „Stress“ an, wie sich aus dessen Attest vom 15.12.2015 ergibt. Diese Umstände belegen, dass die Tinnitus-Symptomatik mit Schwindelerscheinungen schon vor dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall bestand.
35 
Überdies setzt ein traumatischer Tinnitus nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Dr. Z. voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu u.a. LSG Baden-Württemberg vom 28.01.2011 - L 8 U 1205/10 -, Rdnr. 27, LSG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2014 - L 3 U 57/11 -, Rdnr. 29 f. und LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2015 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 f. ; ferner Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 7. Aufl. 2012, S. 361, 364 und 370). Dies entspricht auch den Erfahrungen des erkennenden Gerichts aus vergleichbaren Unfallversicherungsrechtstreitigkeiten (vgl. zuletzt Urteil vom 24.02.2017 - S 1 U 175/15 - ). Bei der Untersuchung durch die HNO-Ärztin Dr. M. am 14.10.2014, mithin zeitnah nach dem Unfallereignis, war der Befund an beiden Ohren indes normal („o.B.“). Auch die Dres. G. und Z. konnten bei ihren Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers keine unfallbedingte Schädigung des Innenohrs objektivieren: Weder fand sich eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, noch ergab die Gleichgewichtsdiagnostik einen krankhaften Befund. Insbesondere die von beiden Ärzten durchgeführten ton- und sprachaudiometrischen Untersuchungen des Hörvermögens erbrachten keinen messbaren Hörverlust.
36 
Typisch für ein traumatisches Tinnitusleiden ist außerdem dessen Ansiedlung im tief- bis mittelfrequenten Bereich (vgl. hierzu LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2005 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 und Urteil des erkennenden Gerichts vom 19.10.2015 - S 1 U 3219/14 - ). Das linksseitige Ohrgeräusch des Klägers ist indes nach den übereinstimmenden Darlegungen der Dres. G. und Z. bei 4 kHz, mithin im Hochtonbereich, zu lokalisieren.
37 
Weiter entspricht es medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand, dass zwar nach einer - hier nicht nachgewiesenen - commotio labyrinthi ein Innenohrschaden im Sinne einer Hochtonsenke mit Begleittinnitus auftreten kann. Auch in diesem Fall ist jedoch ein alleiniger Tinnitus ohne gleichzeitigen Hörverlust nicht erklärbar. Letzteres gilt erst recht bei einem HWS-Beschleunigungstrauma, weil keine neuroanatomischen Verbindungen zwischen der Halswirbelsäule, insbesondere den Kapseln der Kopfgelenke, und den Cochleariskernen existieren bzw. nur schwer nachzuweisen sind (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 370 m.W. N.).
38 
Soweit Dr. G. gleichwohl das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit als Ursache oder zumindest als Teilursache des Tinnitusleidens des Klägers erachtet, folgt ihm das erkennende Gericht aus den vorgenannten Gründen nicht. Ein - angesichts der Vorbehandlungen bei Dr. W. ohnedies nicht gegebener - rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem versicherten Unfallereignis und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen reicht nämlich nicht aus, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Rechtssinn zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - Rdnr. 20 und - im Ergebnis - BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; ferner Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 6 U 142/11 -, Rdnr. 41 und Bay. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 ).
39 
Das Unfallereignis vom 17.09.2014 hat auch nicht zu einer Verschlimmerung des vorbestehenden Tinnitus geführt, weil eine unfallbedingte Verschlimmerung ebenfalls mit einer nachweisbaren akuten Hörminderung hätte einhergehen müssen, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Eine unfallbedingte Hörminderung ist indes weder durch die Arztbriefe und Berichte der HNO-Ärztin Dr. M. noch durch die von den Dres. G. und Z. erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen belegt. Im Übrigen ließe sich eine Verschlimmerung eines vorbestehenden Tinnitus audiometrisch auch nicht messen (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 371).
40 
c) Die vom Kläger geltend gemachten psychischen Begleiterscheinungen sind auch im Übrigen nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfallereignisses vom 17.09.2014. Denn dieses war zur Überzeugung der Kammer schon dem Grunde nach nicht geeignet, entsprechende Gesundheitsstörungen zu bewirken. Dagegen sprechen bereits die eigenen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Z.: Danach war das Unfallereignis „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Auch das situationsgerechte Verhalten des Klägers an der Unfallstelle (Aussteigen aus dem Pkw, um mit dem Unfallverursacher „das Ganze“ zu regeln) und das Aufsuchen eines weiteren Kunden nach Beendigung der Unfallformalitäten spricht sehr deutlich gegen ein gravierendes traumatisches Ereignis. Eine posttraumatische Belastungsstörung hat - entgegen dem Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vom 23.09.2015 - zu keinem Zeitpunkt vorgelegen, weil Art und Ausmaß des Unfallereignisses nicht das Traumakriterium im Sinne der ICD 10, des DSM-4 oder DSM-5 (belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde) erfüllten. Überdies waren die neurologischen, neuropsychologischen und psychischen Untersuchungsbefunde bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. R. am 08.12.2014, und damit zeitnah nach dem Unfallereignis, nahezu unauffällig. Der von Dr. R. damals geäußerte „Verdacht auf Belastungsreaktion“ stellt keinen Nachweis einer solchen Gesundheitsstörung dar und begründet insbesondere nicht die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis.
41 
Vor diesem Hintergrund hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzuerkennen.
42 
3.2. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. ist die Kammer weiter davon überzeugt, dass unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 09.11.2014 vorgelegen haben. Denn eine HWS-Distorsion I. Grades heilt nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen innerhalb einer Zeitspanne von vier bis längstens sechs Wochen folgenlos aus, wie Prof. Dr. Sch. zutreffend dargelegt hat (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 489). Auf HNO-fachärztlichem Gebiet hat mangels Nachweises unfallbedingter Gesundheitsstörungen zu keinem Zeitpunkt eine Behandlungsbedürftigkeit bestanden, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend ausgeführt hat.
43 
3.3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Denn abgeheilte Unfallfolgen verursachen ersichtlich keine messbare MdE. Dies bedarf keiner weiteren Begründung.
44 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
45 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei der HNO-Ärztin Prof. Dr. P., K-Stadt, war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 23.01.2017 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 17.02.2017 nicht vollständig erfüllt.
46 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG Karlsruhe vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.W. N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes „ … insbesondere …“ ergibt (vgl. Urteile des erkennenden Gerichts vom 23.03.2017 - S 1 SB 2687/16 -, Rn. 40 und vom 20.04.2017 - S 1 U 2039/16 -).
47 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Prof. Dr. P. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 23.01.2017 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung der benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck textlich noch hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.04.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
48 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

Gründe

 
22 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 und § 56 SGG zulässig (zum Wahlrecht eines Unfallversicherten, den Anspruch auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen: BSG SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Rdnr. 12 m.W. N.) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Weder sind weitere Gesundheitsstörungen als Folge des streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignisses anzuerkennen (dazu nachfolgend unter 3.) noch war der Kläger über den 09.11.2014 hinaus unfallbedingt arbeitsunfähig und/oder behandlungsbedürftig (dazu nachfolgend unter 4.). Er hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls auch keinen Anspruch auf Verletztenrente (dazu nachfolgend unter 5).
23 
1. Dass der Kläger am 17.09.2014 auf einem sogenannten Betriebsweg (vgl. hierzu BSG vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 20 m.W. N. und Wagner in jurisPK-SGB VII, Stand 30.06.2016, § 8, Rdnr. 78 m.W. N.) bei seiner versicherten Tätigkeit als Kundenberater (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung -) einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 22.09.2015 ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht nicht umstritten.
24 
2. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften des SGB VII und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch Anspruch auf Heilbehandlung, einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 27 ff SGB VII) sowie auf Geldleistungen u.a. in Form von Verletztenrente (§ 56 SGB VII). Die Gewährung von Verletztenrente setzt voraus, dass die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII).
25 
a) Dies setzt voraus, dass Schäden, die zu einer Erwerbsminderung geführt haben, „infolge“ Versicherungsfalls entstanden sind. Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen deshalb (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).
26 
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
27 
b) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rdnrn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSGE 1, 72, 76).
28 
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (B 2 U 1/05 R <= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17> und B 2 U 26/04 R<= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff>) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:
29 
Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen „Erfolg“ rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als „wesentlich“ anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache „der Erfolg“ eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245 und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht „wesentlich“ und damit keine Ursache i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet werden (vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 und BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860 ff).
30 
3. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.
31 
3.1. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 17.09.2014 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Dres. Z. und C. und des Prof. Dr. Sch., deren Gutachten sie im Wege des Urkundenbeweises (vgl. BSG vom 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87 -, Rdnr. 17 und LSG Baden-Württemberg vom 25.08.2016 - L 6 VG 3508/12, Rdnr. 61 ) verwertet, hinsichtlich der erhobenen Befunde auf HNO-fachärztlichem Gebiet ferner auf das ebenfalls urkundenbeweislich verwertete Gutachten von Dr. G. und das Attest des Allgemeinmediziners Dr. W. vom 15.12.2015.
32 
a) Auf orthopädischem Fachgebiet hat das Unfallereignis mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließt, eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der Halswirbelsäule I. Grades und eine allenfalls leichte Prellung der Lendenwirbelsäule bewirkt. Dies belegen bereits die von Dr. H. am Unfallfolgetag erhobenen Befunde im Sinne eines Muskelhartspanns, von Kopfschmerzen, einer schmerzhaften Beweglichkeit der Halswirbelsäule und von Schmerzen im Lendenwirbelsäulen- und Beckenbereich. Die an diesem Tag erhobenen Röntgenbefunde ergaben keinen Hinweis auf strukturelle Unfallschäden, insbesondere keine Frakturzeichen oder Instabilitäten. Eine unfallbedingte Dissektion (= Verletzung) der Halsgefäße hat Dr. R. bei der Untersuchung am 08.12.2014 ebenfalls ausgeschlossen. Auch das Kernspintomogramm des Neurocraniums war unauffällig und ohne Hinweis auf einen raumfordernden, entzündlichen oder ischämischen Prozess oder sonstige krankhafte Veränderungen, wie sich aus dem Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015 ergibt. Überdauernde Funktionseinschränkungen der Hals-, Brust- oder Lendenwirbelsäule haben oder substantielle Wirbelsäulenschäden Dr. C. und Prof. Dr Sch. nicht objektiviert. Vielmehr lagen die von ihnen erhobenen Bewegungsausmaße in allen Wirbelsäulenabschnitten innerhalb der physiologischen Normwerte und bestanden auch keine neurologischen Defizite der oberen und/oder unteren Extremitäten. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer auch insoweit anschließt, waren die HWS-Distorsion und die Prellung der Lendenwirbelsäule nach allgemeinen ärztlichen Erfahrungen nach vier bis längstens sechs Wochen folgenlos ausgeheilt.
33 
b) Gesundheitsstörungen auf HNO-fachärztlichem Gebiet in Form eines chronischen Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen (Somatisierungsstörungen, Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen) sind ebenfalls nicht als weitere Unfallfolgen anzuerkennen. Denn der Tinnitus ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Ereignis vom 17.09.2014 zurückzuführen. Insoweit fehlt es bereits am Nachweis eines unfallbedingten Gesundheitserstschadens. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. hat der Kläger - wie oben unter 3.1. a) bereits ausgeführt, unfallbedingt eine HWS-Distorsion Grad I erlitten. Diese Gesundheitsstörung geht nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. Sch. anfangs zwar mit Schmerzen der Halsmuskulatur und gegebenenfalls begleitenden Bewegungseinschränkungen einher, wobei zumeist ein symptomfreies Intervall auftritt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 480 ff). Symptome wie persistierender Schwindel, Tinnitus, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen sind hierfür indes mit Prof. Dr. Sch. untypisch.
34 
Gegen die Wahrscheinlichkeit eines unfallbedingten Tinnitus und daraus resultierenden unfallbedingten psychovegetativen Begleitschäden spricht mit Dr. Z. außerdem der Umstand, dass der Kläger bereits zeitlich deutlich vor dem Unfallereignis am 17.09.2014, nämlich schon im November 2011, bei Dr. W. u.a. wegen Schwindelerscheinungen und im Juni 2013 und erneut im April 2014 auch wegen Tinnitusbeschwerden in Behandlung stand. Als Ursache der Tinnitusbeschwerden gab der Kläger Dr. W. gegenüber seinerzeit „Stress“ an, wie sich aus dessen Attest vom 15.12.2015 ergibt. Diese Umstände belegen, dass die Tinnitus-Symptomatik mit Schwindelerscheinungen schon vor dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall bestand.
35 
Überdies setzt ein traumatischer Tinnitus nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Dr. Z. voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu u.a. LSG Baden-Württemberg vom 28.01.2011 - L 8 U 1205/10 -, Rdnr. 27, LSG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2014 - L 3 U 57/11 -, Rdnr. 29 f. und LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2015 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 f. ; ferner Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 7. Aufl. 2012, S. 361, 364 und 370). Dies entspricht auch den Erfahrungen des erkennenden Gerichts aus vergleichbaren Unfallversicherungsrechtstreitigkeiten (vgl. zuletzt Urteil vom 24.02.2017 - S 1 U 175/15 - ). Bei der Untersuchung durch die HNO-Ärztin Dr. M. am 14.10.2014, mithin zeitnah nach dem Unfallereignis, war der Befund an beiden Ohren indes normal („o.B.“). Auch die Dres. G. und Z. konnten bei ihren Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers keine unfallbedingte Schädigung des Innenohrs objektivieren: Weder fand sich eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, noch ergab die Gleichgewichtsdiagnostik einen krankhaften Befund. Insbesondere die von beiden Ärzten durchgeführten ton- und sprachaudiometrischen Untersuchungen des Hörvermögens erbrachten keinen messbaren Hörverlust.
36 
Typisch für ein traumatisches Tinnitusleiden ist außerdem dessen Ansiedlung im tief- bis mittelfrequenten Bereich (vgl. hierzu LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2005 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 und Urteil des erkennenden Gerichts vom 19.10.2015 - S 1 U 3219/14 - ). Das linksseitige Ohrgeräusch des Klägers ist indes nach den übereinstimmenden Darlegungen der Dres. G. und Z. bei 4 kHz, mithin im Hochtonbereich, zu lokalisieren.
37 
Weiter entspricht es medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand, dass zwar nach einer - hier nicht nachgewiesenen - commotio labyrinthi ein Innenohrschaden im Sinne einer Hochtonsenke mit Begleittinnitus auftreten kann. Auch in diesem Fall ist jedoch ein alleiniger Tinnitus ohne gleichzeitigen Hörverlust nicht erklärbar. Letzteres gilt erst recht bei einem HWS-Beschleunigungstrauma, weil keine neuroanatomischen Verbindungen zwischen der Halswirbelsäule, insbesondere den Kapseln der Kopfgelenke, und den Cochleariskernen existieren bzw. nur schwer nachzuweisen sind (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 370 m.W. N.).
38 
Soweit Dr. G. gleichwohl das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit als Ursache oder zumindest als Teilursache des Tinnitusleidens des Klägers erachtet, folgt ihm das erkennende Gericht aus den vorgenannten Gründen nicht. Ein - angesichts der Vorbehandlungen bei Dr. W. ohnedies nicht gegebener - rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem versicherten Unfallereignis und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen reicht nämlich nicht aus, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Rechtssinn zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - Rdnr. 20 und - im Ergebnis - BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; ferner Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 6 U 142/11 -, Rdnr. 41 und Bay. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 ).
39 
Das Unfallereignis vom 17.09.2014 hat auch nicht zu einer Verschlimmerung des vorbestehenden Tinnitus geführt, weil eine unfallbedingte Verschlimmerung ebenfalls mit einer nachweisbaren akuten Hörminderung hätte einhergehen müssen, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Eine unfallbedingte Hörminderung ist indes weder durch die Arztbriefe und Berichte der HNO-Ärztin Dr. M. noch durch die von den Dres. G. und Z. erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen belegt. Im Übrigen ließe sich eine Verschlimmerung eines vorbestehenden Tinnitus audiometrisch auch nicht messen (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 371).
40 
c) Die vom Kläger geltend gemachten psychischen Begleiterscheinungen sind auch im Übrigen nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfallereignisses vom 17.09.2014. Denn dieses war zur Überzeugung der Kammer schon dem Grunde nach nicht geeignet, entsprechende Gesundheitsstörungen zu bewirken. Dagegen sprechen bereits die eigenen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Z.: Danach war das Unfallereignis „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Auch das situationsgerechte Verhalten des Klägers an der Unfallstelle (Aussteigen aus dem Pkw, um mit dem Unfallverursacher „das Ganze“ zu regeln) und das Aufsuchen eines weiteren Kunden nach Beendigung der Unfallformalitäten spricht sehr deutlich gegen ein gravierendes traumatisches Ereignis. Eine posttraumatische Belastungsstörung hat - entgegen dem Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vom 23.09.2015 - zu keinem Zeitpunkt vorgelegen, weil Art und Ausmaß des Unfallereignisses nicht das Traumakriterium im Sinne der ICD 10, des DSM-4 oder DSM-5 (belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde) erfüllten. Überdies waren die neurologischen, neuropsychologischen und psychischen Untersuchungsbefunde bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. R. am 08.12.2014, und damit zeitnah nach dem Unfallereignis, nahezu unauffällig. Der von Dr. R. damals geäußerte „Verdacht auf Belastungsreaktion“ stellt keinen Nachweis einer solchen Gesundheitsstörung dar und begründet insbesondere nicht die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis.
41 
Vor diesem Hintergrund hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzuerkennen.
42 
3.2. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. ist die Kammer weiter davon überzeugt, dass unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 09.11.2014 vorgelegen haben. Denn eine HWS-Distorsion I. Grades heilt nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen innerhalb einer Zeitspanne von vier bis längstens sechs Wochen folgenlos aus, wie Prof. Dr. Sch. zutreffend dargelegt hat (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 489). Auf HNO-fachärztlichem Gebiet hat mangels Nachweises unfallbedingter Gesundheitsstörungen zu keinem Zeitpunkt eine Behandlungsbedürftigkeit bestanden, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend ausgeführt hat.
43 
3.3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Denn abgeheilte Unfallfolgen verursachen ersichtlich keine messbare MdE. Dies bedarf keiner weiteren Begründung.
44 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
45 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei der HNO-Ärztin Prof. Dr. P., K-Stadt, war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 23.01.2017 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 17.02.2017 nicht vollständig erfüllt.
46 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG Karlsruhe vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.W. N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes „ … insbesondere …“ ergibt (vgl. Urteile des erkennenden Gerichts vom 23.03.2017 - S 1 SB 2687/16 -, Rn. 40 und vom 20.04.2017 - S 1 U 2039/16 -).
47 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Prof. Dr. P. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 23.01.2017 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung der benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck textlich noch hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.04.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
48 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Der Kläger war an der Universität B. als Student eingeschrieben. Am 15.12.2008 fiel er auf einem Bahnsteig des Hauptbahnhofs B., an dem die zur Universität führende Bahn abfährt, um. Er prallte mit dem Kopf auf den Boden und blieb liegen. Durch den Aufprall erlitt er ein Schädel-Hirntrauma mit Blutungen im Gehirn. Die Beklagte lehnte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 29.4.2009) und wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 9.3.2010). Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Zwar habe eine innere Ursache für den Sturz nicht festgestellt werden können, dies lasse aber nicht den Schluss zu, dass eine versicherte Tätigkeit oder andere betrieblich bedingte Umstände für das Unfallereignis ursächlich gewesen seien.

3

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das Ereignis vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen (Urteil vom 30.7.2012). Neben der versicherten Tätigkeit des Zurücklegens des Weges zur Universität sei keine weitere Ursache feststellbar, sondern allenfalls denkbar, sodass mangels Konkurrenzursache keine Zweifel an der Unfallkausalität bestünden. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.5.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zwar einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII erlitten. Der Unfall sei jedoch nicht "infolge" einer versicherten Tätigkeit eingetreten. Die Einwirkung auf den Körper des Klägers sei zwar objektiv, dh im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn, nicht aber rechtlich wesentlich durch dessen zuvor verrichtete Tätigkeit (Zurücklegen des Weges von der Wohnung zur Universität) verursacht worden. Weshalb der Kläger umgefallen sei, sei nicht aufklärbar. Das BSG fordere im Kontext der Wegeunfallversicherung bei der Wesentlichkeitsprüfung, dass sich bei dem Geschehen eine dem Schutzzweck der Wegeversicherung entsprechende, spezifische Gefahr realisiere. Die Wesentlichkeit der Wirkursache sei eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen. Wie und warum der Kläger umgefallen sei, sei nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht mehr feststellbar. Damit könne auch die Verwirklichung einer spezifischen Verkehrsgefahr nicht festgestellt werden. Allein im Umfallen und Aufschlagen auf dem Boden habe sich kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht.

4

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Die Unfallkausalität sei immer gegeben, wenn neben der versicherten Tätigkeit keine weiteren konkurrierenden Ursachen festgestellt werden könnten. Die Prüfung, ob die versicherte Tätigkeit rechtlich wesentlich gewesen sei, habe nur zu erfolgen, wenn noch weitere Ursachen festgestellt würden. Dies folge aus dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung, weil bei vielen Unfällen der genaue Hergang nicht geklärt werden könne. Das Vorliegen einer inneren Ursache oder anderer konkurrierender Ursachen habe das LSG gerade nicht festgestellt.

5

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30. Juli 2012 zurückzuweisen.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Ablehnung der Feststellung des Ereignisses vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Arbeitsunfall iS des § 8 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 SGB VII erlitten.

9

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 18/13 R - SozR 4-2700 § 101 Nr 2 RdNr 16 ff mwN, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; vgl auch BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20).

10

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar erlitt der Kläger einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII(dazu unter 1.). Den Feststellungen des LSG ist jedoch bereits nicht zu entnehmen, welche konkrete Verrichtung mit welcher Handlungstendenz der Kläger in dem Moment des Unfalls ausübte, sodass schon fraglich ist, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall als Studierender iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII in der Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auf einem Weg nach dem Ort seiner Studientätigkeit versichert war(dazu 2.). Dies kann aber letztlich offen bleiben, denn der Unfall stellt jedenfalls schon deshalb keinen Arbeitsunfall iS des § 8 SGB VII dar, weil das Unfallereignis dem allein hier als versicherte Tätigkeit in Betracht kommenden Zurücklegen eines solchen Weges rechtlich nicht zugerechnet werden kann(dazu 3.).

11

1. Der Kläger erlitt am 15.12.2008 auf dem Bahnsteig eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII. Er schlug mit dem Kopf auf den Boden auf, wodurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkte (vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 14). Dies führte zu einem seine körperliche Unversehrtheit verletzenden Schädel-Hirntrauma mit Blutungen im Bereich des Gehirns.

12

2. Offen bleiben kann, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall einer versicherten Verrichtung iS des § 8 Abs 2 Nr 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII nachgegangen ist. Als eingeschriebener Student einer Universität war der Kläger am 15.12.2008 Studierender iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII(vgl zu diesem Begriff BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 24/11 R - SozR 4-2200 § 539 Nr 2 RdNr 13 ff) und damit während seiner Ausbildung an der Hochschule in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (vgl zur versicherten Tätigkeit zuletzt BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 14/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 30 RdNr 13 ff und - B 2 U 10/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 32 RdNr 15 ff, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, sowie - B 2 U 13/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 RdNr 15 f; vgl auch BSG vom 26.9.1996 - 2 RU 12/96 - SozR 3-2200 § 539 Nr 36 und vom 4.7.1995 - 2 RU 45/94 - HVBG-INFO 1995, 2377 jeweils mit weiteren Nachweisen). Damit stand er grundsätzlich gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auf einem mit dieser versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach und von dem Ort dieser Tätigkeit unter Versicherungsschutz. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) befand sich der Kläger auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zum Ort seiner versicherten Tätigkeit, der Universität. Der Unfall ereignete sich auf dem Bahnsteig, von dem eine zur Universität führende Bahn abfuhr.

13

Dass der Versicherte sich auf dem unmittelbaren Weg zwischen dem Ort seiner versicherten Tätigkeit und seiner Wohnung befindet, reicht jedoch für den Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nicht aus. Vielmehr muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses in einem sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Ein solcher sachlicher Zusammenhang besteht, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört (BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Andernfalls wäre jede Handlung auf einem Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII vom Versicherungsschutz umfasst. Einen solchen "Wegebann" kennt die gesetzliche Unfallversicherung hingegen nicht.

14

Wie das BSG seit seiner Entscheidung vom 9.12.2003 (B 2 U 23/03 R - BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3) in ständiger Rechtsprechung betont hat (vgl nur Urteile vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25, vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 und - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 22 f sowie vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32), ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, die Handlungstendenz des Versicherten (zuletzt Urteile vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18). Das Handeln muss subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen Tätigkeit ausgerichtet sein (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 31 und vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14). Darüber hinaus muss sich die subjektive Handlungstendenz als von den Instanzgerichten festzustellende Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln (vgl BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Eine Verrichtung in diesem Sinne ist jedes konkrete, räumlich und zeitlich bestimmte Verhalten eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar ist. Für die Prüfung ist dabei regelmäßig die kleinste beobachtbare Handlungssequenz maßgebend (vgl Spellbrink, WzS 2011, 351, 354).

15

Das LSG hat offen gelassen, ob der Kläger unmittelbar vor dem Sturz gestanden hat oder gegangen ist. Auch eine andere Verrichtung ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Selbst wenn der Aufenthalt des Klägers auf dem Bahnsteig an sich - allerdings als dann nicht mehr kleinste beobachtbare Handlungssequenz - ausnahmsweise als die maßgebliche Verrichtung angesehen würde, bleibt dennoch die objektivierte Handlungstendenz im Zeitpunkt des Unfallereignisses, zu dem Ort der Tätigkeit - hier der Universität - zu gelangen, mangels entsprechender Feststellungen durch das LSG offen. Daher kann schon nicht beurteilt werden, ob ein sachlicher Zusammenhang der zur Zeit des Unfallereignisses ausgeübten Verrichtung mit dem grundsätzlich versicherten Zurücklegen des Weges bestand.

16

Ungeachtet dessen, ob sich die Verrichtung und Handlungstendenz überhaupt noch aufklären lassen, kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob der soeben dargestellte sachliche Zusammenhang mit der Verrichtung im Zeitpunkt des Unfallereignisses gegeben war. Denn selbst wenn ein solcher sachlicher Zusammenhang angenommen würde, scheitert der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Arbeitsunfalls jedenfalls daran, dass der Unfall nicht "infolge" des Zurücklegens dieses Weges eingetreten und ihm deshalb rechtlich nicht zuzurechnen ist.

17

3. Der Unfall ist nicht einer versicherten Tätigkeit iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII zuzurechnen, weil sich nicht feststellen lässt, dass sich mit dem Aufprall auf dem Bahnsteig eine Gefahr verwirklicht hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt.

18

a) Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben Schutz gegen Gefahren zu gewähren, die sich durch die ihre Verbandszuständigkeit, den Versicherungsschutz und das Versichertsein des Verletzten begründende Verrichtung von im jeweiligen Versicherungstatbestand konkret umschriebenen Tätigkeiten realisieren können. Ihre Einstandspflicht besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert daher zweistufig die Erfüllung erstens tatsächlicher und zweitens darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 32 ff mwN).

19

Auf der ersten Stufe setzt die Zurechnung mithin voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit-)verursacht wurde. Für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine Wirkursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und hat der Unfallversicherungsträger nicht einzustehen. Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der "conditio-Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Wie bereits ausgeführt, ist die Verrichtung des Klägers vor dem Unfallereignis vom LSG nicht festgestellt worden, sodass die Annahme eines Ursachenzusammenhangs bereits an der ersten Stufe scheitert. Dies kann - wie bereits angedeutet - aber letztlich dahinstehen, weil sich jedenfalls bei dem Unfall des Klägers kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht hat.

20

Selbst wenn eine versicherte Tätigkeit als Wirkursache feststeht, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass eine versicherte Verrichtung - wie hier ggf das Stehen auf dem Bahnsteig - wegen ihrer objektiven (Mit-)Verursachung der Einwirkung - die hier gerade nicht festgestellt ist - auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R, aaO, RdNr 33 ff).

21

Ob eine Ursache rechtlich wesentlich ist, ist auch dann zu prüfen, wenn sie als alleinige Ursache festgestellt ist, weil andere (Mit-)Ursachen nicht erwiesen oder nicht in Betracht zu ziehen sind. Denn auch in diesem Fall wird die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers nur begründet, wenn sich durch den Unfall, der durch die versicherte Verrichtung objektiv verursacht wurde, eine Gefahr verwirklicht hat, gegen die die Versicherung schützen soll. Diese Voraussetzung wird zumeist erfüllt sein, bedarf aber stets der Entscheidung (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R, aaO, RdNr 42). Dem stehen die vom Kläger benannten Urteile des Senats vom 30.1.2007 (B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr 22) und vom 17.2.2009 (B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31) nicht entgegen. Nach den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten waren die dort vom LSG festgestellten Verrichtungen unmittelbar vor dem Unfall der jeweiligen versicherten Tätigkeit zuzurechnen und die nichtversicherten Ursachen waren lediglich mögliche Wirkursachen. Entscheidend war aber auch dort, dass sich durch den Unfall jeweils eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der der jeweilige Versicherungstatbestand gerade schützen sollte, nämlich die Gefahr eines Sturzes während des der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Laufens bzw eines Verkehrsunfalls während des dem Zurücklegen des Weges zuzurechnenden Steuerns eines Kraftfahrzeugs. Somit war dort die im vorliegenden Fall zu verneinende Frage, ob sich jeweils im Hinblick auf diese Verrichtung durch das Unfallereignis eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der die gesetzliche Unfallversicherung schützen soll, unproblematisch zu bejahen.

22

b) Das Umfallen und der Aufprall des Klägers auf den Bahnsteig war danach jedenfalls nicht rechtlich wesentlich durch eine zuvor versicherte Tätigkeit verursacht worden. Wie ausgeführt, ist den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG lediglich zu entnehmen, dass sich der Kläger auf dem Bahnsteig befand. Das LSG konnte jedoch nicht feststellen, von welchen konkreten Umständen das Unfallereignis begleitet war. Insbesondere steht nicht fest und ist nach den insoweit unangegriffenen Beweiswürdigungen des LSG auch nicht mehr feststellbar, ob der Kläger unmittelbar vor dem Ereignis sich bewegt hat, sodass er dabei möglicherweise stolperte oder ausrutschte, oder ob er aus dem Stand umfiel, ob er angerempelt wurde, gegen eine Vitrine stieß, ob die Bodenverhältnisse auf dem Bahnsteig den Sturz bewirkten oder ob ggf eine (innere) Erkrankung bestand. Mithin ist nicht feststellbar, welche Faktoren im Zeitpunkt des Sturzes und Aufpralls auf den Kläger eingewirkt haben. Damit kann auch nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich durch das Unfallereignis ein Risiko verwirklicht hat, vor dem gerade die Wegeunfallversicherung Schutz gewähren soll.

23

Die Wegeunfallversicherung schützt, wie der Senat zuletzt entschieden hat, vor Gefahren für Gesundheit und Leben, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremdem Verkehrsverhalten oder äußeren Einflüssen während der Zurücklegung des Weges hervorgehen (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 20 und vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 45). Zwar könnte das Risiko, beim Gehen durch Stolpern oder Ausrutschen, durch einen Zusammenstoß mit einer Vitrine oder durch den Anstoß anderer Personen zu stürzen, jeweils von dem Schutzzweck der Wegeunfallversicherung umfasst sein. Solche äußeren Einwirkungen auf den Körper des Klägers müssten als solche aber zunächst konkret festgestellt sein, was hier gerade nicht der Fall ist. Ihre Nichterweislichkeit geht zu Lasten des Klägers.

24

c) Die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, müssen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 mwN). In der Wegeunfallversicherung wie auch sonst bei anderen Versicherungstatbeständen der gesetzlichen Unfallversicherung besteht keine Vermutungsregel, dass bei Verrichtung einer versicherten Tätigkeit unmittelbar vor dem Unfallereignis der Unfall objektiv und rechtlich wesentlich durch diese versicherte Tätigkeit verursacht wurde. Sind - wie hier - die Umstände, die vor dem Unfallereignis unmittelbar auf den Kläger eingewirkt haben, unbekannt, kann nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Sturz durch ein Risiko verursacht wurde, gegen das die gesetzliche Unfallversicherung beim Zurücklegen des Weges nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII Schutz gewähren soll.

25

Den Nachteil aus der tatsächlichen Unaufklärbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen hat nach den Regeln der objektiven Beweislast der Kläger zu tragen. Für die erforderlichen Feststellungen der Tatsachen können ua die Angaben des Versicherten, Bekundungen von Zeugen und Sachverständigen sowie sonstige Umstände herangezogen werden. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben - soweit ersichtlich - alle denkbaren Beweismittel ausgeschöpft. Insofern werden auch von der Revision keine Rügen erhoben. Ist danach dennoch das zum Unfallereignis führende Geschehen und insbesondere - wie hier - die zum Unfallereignis führende Kausalkette nicht aufklärbar, geht dies zu Lasten des Versicherten (vgl hierzu BSG vom 27.3.1990 - 2 RU 45/89 - HV-INFO 1990, 1181 mwN; vgl auch BSG vom 28.6.1984 - 2 RU 54/83 - HV-INFO 1984, Nr 15, 40 bis 44). Wie bereits oben ausgeführt, kann ohne Feststellung der konkreten Kausalkette nicht aus der bloßen Tatsache des "auf dem Wege seins" abgeleitet werden, dass sich auch eine Gefahr realisiert hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt. Ein solcher "Wegebann" entspricht nicht dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. Entgegen der Auffassung der Revision führt auch der allgemeine Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung nicht dazu, dass die Nichterweislichkeit der Ursache bei ungeklärtem Unfallhergang jeweils zu Lasten des Unfallversicherungsträgers geht. Denn die Einstandspflicht und damit der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht auch in der Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand dieser versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Verrichtung erfüllte Versicherungstatbestand der Wegeunfallversicherung schützen soll. Ein solches spezifisches Wegerisiko als Unfallursache ist hier aber nicht feststellbar, was zu Lasten des Klägers geht.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sein Bandscheibenvorfall im Bereich C 6/7 seiner Halswirbelsäule (HWS) ein weiterer Gesundheitserstschaden seines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 3.7.2005 ist.

2

Der Kläger absolvierte an diesem Tag als Arbeitnehmer eines Automobilherstellers aufgabengemäß eine Testfahrt auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Italien. Dabei platzte bei einer Geschwindigkeit von 295 km/h ein Hinterreifen seines Fahrzeugs. Es kam von der Fahrbahn ab, durchbrach die Leitplanke und kam in einem Wäldchen zum Stehen.

3

Bei der Erstuntersuchung des Klägers erbrachten die Röntgenaufnahmen keinen Anhalt für Frakturen. Am 6.7.2005 diagnostizierte ein Facharzt für Chirurgie ua eine Halswirbelsäulen-Distorsion (Verstauchung, Zerrung). In der Kernspintomographie der HWS vom 4.8.2005 wurden erhebliche degenerative Veränderungen bei multisegmentaler Osteochondrose sowie für den Bereich von C 6/7 eine fast normal hohe Bandscheibe mit normal weiten Neuroforamina (Wurzelkanälen) beschrieben. Eine weitere Kernspintomographie der HWS vom 30.8.2005 ergab zwischen den Halswirbelkörpern C 6/7 einen links gelegenen Bandscheibenvorfall mit intraforaminaler Vorfallskomponente. Eine Begleitverletzung wurde nicht benannt.

4

Im Bescheid vom 18.10.2007 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 3.7.2005 als Arbeitsunfall. Als "Unfallfolgen" wurden "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers" anerkannt.

5

Ferner wurde festgestellt, der Bandscheibenvorfall zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper sei keine "Folge des Arbeitsunfalls", weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung. Ein traumatischer Bandscheibenvorfall sei angesichts des MRT-Befundes vom 4.8.2005, in dem eine Traumatisierung des Segments C 6/7 nicht beschrieben sei, zu verneinen. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.2.2008).

6

Das SG Karlsruhe hat mit Urteil vom 14.7.2010 festgestellt, dass "die Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei.

7

Die Beklagte hat mit ihrer Berufung geltend gemacht, das Urteil sei in seiner Kausalitätsbeurteilung mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht vereinbar. Im Standardwerk der gesetzlichen Unfallversicherung von Schönberger/Mehrtens/Valentin, das den anerkannten neuesten medizinischen Kenntnisstand dokumentiere, werde seit der 7. Auflage ausgeführt, dass die traumatische Verursachung eines isolierten Bandscheibenschadens ohne Begleitverletzung nicht möglich sei. Dazu sei Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

8

Das LSG hat die Berufung durch Beschluss vom 22.12.2010 zurückgewiesen. Es sei vorliegend zumindest wahrscheinlich, dass der Unfall vom 3.7.2005 naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7 gewesen sei. Hierfür sprächen vor allem jene Indizien, die auf eine akute Schädigung im Bereich des Bewegungssegments C 6/7 und damit eine Substanzschädigung der betreffenden Bandscheibe in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis hinwiesen. Vor dem Unfall sei der Kläger trotz bestehender degenerativer Veränderungen gerade auch im Bereich der HWS beschwerdefrei gewesen. Der Unfall habe zu einer Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule geführt. Umstände, die üblicherweise gegen einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang sprächen, hätten im vorliegenden Fall keine durchgreifende Bedeutung.

9

Zu Unrecht berufe sich die Beklagte auf das Werk von Schönberger/Mehrtens/Valentin und meine, es sei dort dokumentierter neuester medizinischer Kenntnisstand, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall immer mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen einhergehe. Diesen Ausführungen könne aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Denn dieses Standardwerk der unfallmedizinischen Literatur vermenge die Prüfung der naturwissenschaftlichen Kausalität auf der ersten Stufe mit der wertenden Entscheidung der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung (Wesentlichkeit). Bei der Prüfung der Wesentlichkeit handele es sich um eine wertende Entscheidung, die dem juristischen Betrachter vorbehalten sei.

10

Der Antrag der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens werde abgelehnt. Selbst wenn die von Schönberger/Mehrtens/Valentin vertretene Auffassung den herrschenden medizinischen Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung wiedergeben sollte, ändere dies nichts daran, dass dieser Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung nicht zugrunde gelegt werden dürfe, weil er die maßgebenden rechtlichen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG vernachlässige.

11

Lägen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall "örtlich-zeitlich in Rede" stehe, sei ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

12

Sei der naturwissenschaftliche Zusammenhang zu bejahen, stelle sich die Frage (zweite Stufe der Kausalitätsprüfung), ob das Unfallereignis auch wesentlich gewesen sei. Hierbei sei vor dem Hintergrund der Schwere des Unfalltraumas mit einer plötzlichen unphysiologischen Belastung der HWS den bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen im Hinblick auf den aufgetretenen Bandscheibenvorfall keine überragende Bedeutung beizumessen gewesen. Demnach sei das Unfallereignis wesentliche Mitursache des erlittenen Bandscheibenvorfalls und die beim Kläger in der Folge erforderlich gewordene Versteifung im Bewegungssegment einschließlich der fortbestehenden Schmerzsymptomatik als Unfallfolge festzustellen.

13

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII und einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Bandscheibenvorfall liege nicht vor. Das LSG habe nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ermittelt.

14

Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juli 2010 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

15

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

17

1. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann das BSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, die die Verbandszuständigkeit der Beklagten begründet und eine Einwirkung auf die HWS des Klägers wesentlich mitverursacht hat (dazu unter 3.), dadurch auch eine objektive und zudem rechtlich wesentliche Mitursache des Bandscheibenvorfalls auf der Höhe des 6./7. Halswirbelkörpers geworden ist. Nur dann wäre dieser ein Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls.

18

Das LSG hat nicht festgestellt, ob dieser Schaden nach Maßgabe des derzeit anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft durch die verrichtungsbedingte und deshalb versicherte Einwirkung unmittelbar objektiv mitverursacht wurde (dazu unter 4.). Seine Ansicht, dies könne durch "eine wertende Entscheidung …, die … dem juristischen Betrachter vorbehalten" sei, im Rahmen der rechtlichen "Wesentlichkeitsbeurteilung" ersetzt werden, verfehlt den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache für eine bestimmte Wirkung (dazu unter 3. und 5.).

19

2. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen die Zurückweisung ihrer zulässigen Berufung durch das LSG. Mit ihr wandte sie sich erstens gegen die Aufhebung ihres Verwaltungsakts durch das SG, der Kläger habe gegen sie keinen Anspruch auf Feststellung seines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als "Folge des Arbeitsunfalls". Zweitens begehrte sie die Aufhebung des Feststellungsurteils des SG, dass die "Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei. Der Erfolg ihrer Rechtsmittel hängt davon ab, ob die zulässige Kombination der zulässigen Anfechtungs- mit der zulässigen Feststellungsklage des Klägers begründet ist. Das wäre dann der Fall, wenn sie durch ihren negativ feststellenden Verwaltungsakt einen Anspruch des Klägers auf die Feststellung eines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als Gesundheitserstschaden zu Unrecht abgelehnt hätte. Dann wäre dieser (insoweit unter klarstellender Änderung des bisherigen Ausspruchs des SG) durch Feststellungsurteil als weiterer Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls festzustellen. Andernfalls hätte ihre Revision durchgreifenden Erfolg.

20

Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG zwischen den Beteiligten klargestellt werden konnte, richtete sich das Begehren des Klägers von Anfang an nicht auf die Feststellung seines Bandscheibenvorfalls als eine (unmittelbare) Unfallfolge. Ihm kam es vielmehr stets auf die Feststellung dieses Gesundheitsschadens als weiteren Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls an. Eine unmittelbare Unfallfolge kann sich hingegen nur infolge eines Gesundheitserstschadens einstellen, der selbst als Tatbestandsvoraussetzung des Unfallbegriffs iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII dem Begriff des Arbeitsunfalls unterfällt. Der Bandscheibenvorfall war zudem ersichtlich keine Wirkung eines bereits anerkannten Erstschadens. Bei sachgerechter Auslegung war auch die angefochtene negative Feststellung der Beklagten auf die Ablehnung der Anerkennung eines Erstschadens gerichtet.

21

3. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist nicht abschließend beurteilbar, aber möglich, dass dem Kläger der erhobene Feststellungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Jeder Versicherte hat nämlich das Recht, vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung aller Erstschäden (Gesundheitserstschäden oder Tod) eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII zu verlangen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 8 Nr 43 vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

22

a) Der Anspruch scheitert nicht schon daran, dass die Beklagte eine insoweit unanfechtbar gewordene Feststellung getroffen hat, der Kläger habe infolge seiner versicherten Testfahrt einen Arbeitsunfall mit folgenden Gesundheitserstschäden erlitten: "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers".

23

Die rechtliche Bindungswirkung dieses Verwaltungsakts erstreckt sich nicht auf die hier umstrittene Frage, ob die infolge der Testfahrt eingetretene Einwirkung auf den Körper des Klägers weitere Gesundheitserstschäden (objektiv und unfallversicherungsrechtlich wesentlich) mitverursacht hat. Werden die Erstschäden anfangs nur unvollständig anerkannt, hat der Versicherte Anspruch auf eine vollständige Feststellung aller objektiv vom Arbeitsunfall umfassten Gesundheitserstschäden. Entscheidet der Versicherungsträgerbei seiner Feststellung eines Arbeitsunfalls, wie hier, dass der Versicherte keinen Anspruch auf Feststellung bestimmter weiterer Erstschäden habe, oder stellt er die Gesundheitserstschäden ausdrücklich abschließend (positiv oder negativ) fest, ist dagegen der Widerspruch gegeben (nach Fristablauf allein §§ 44 f SGB X). Da hier erstmals um einen weiteren, von der Beklagten abgelehnten Gesundheitserstschaden gestritten wird, erfasst die rechtliche Bindungswirkung des den Arbeitsunfall feststellenden Verwaltungsakts den hier rechtshängigen Streitgegenstand nicht.

24

b) Die Feststellungen des LSG lassen erkennen, dass der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Feststellung der umstrittenen Gesundheitserstschäden hat. Denn danach hat er eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter verrichtet und infolge dessen ein Unfallereignis erlitten (dazu sogleich).

25

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 (oder 8 Abs 2) SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 Satz 2).

26

Daher muss eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das "infolge" also ua nach dieser Verrichtung eingetreten sein muss, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet seine Versichertenstellung in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung.

27

Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).

28

Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein.

29

aa) § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII setzt voraus, dass der Verletzte eine "den Versicherungsschutz" begründende "Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" verrichtet hat und dass der Unfall (iS von Satz 2 aaO) "infolge" dieser versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

30

Diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen umschreiben den Rechtsgrund, aufgrund dessen der wegen einer Verrichtung einer versicherten Tätigkeit durch den Verletzten verbandszuständige Unfallversicherungsträger überhaupt versicherungsrechtlich für die Schäden, Nachteile und Bedarfe des verunfallten Verletzten einstehen soll. Er soll nur verpflichtet sein, soweit der Versicherungsschutz durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit in der jeweiligen Versicherung begründet ist. Er soll deshalb (grundsätzlich) nur einstehen müssen für Gesundheitsschäden (oder Tod und ggf wirtschaftliche Folgen etc), die "infolge" der versicherten Verrichtung eingetreten sind und ein Risiko realisieren, gegen das die jeweils begründete Versicherung schützen soll. Zurechnungsvoraussetzungen sind somit auf der ersten Stufe die (faktisch-objektive) Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung des Verletzten für den Schaden und auf der darauf aufbauenden zweiten Stufe dessen rechtliche Erfassung vom jeweiligen Schutzzweck der begründeten Versicherung.

31

bb) Die Zurechnung setzt somit erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) objektiv mitverursacht hat. Denn für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Verrichtung keine Wirkursache war, ist schlechthin kein Versicherungsschutz begründet, hat also der Versicherungsträger nicht einzustehen. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (innere Tatsache). Als (objektives) Handeln des Verletzten kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden oder Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder iS von § 11 SGB VII, der für die zweite Stufe andere Zurechnungsgründe als die "Wesentlichkeit" regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie ua zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zu den Bedarfen reichen, derentwegen das SGB VII Leistungsrechte vorsieht.

32

Erst dann, wenn die "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" festgestellt sind, kann und darf (auf der ersten Stufe der Zurechnung) über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung (objektive Verursachung) zwischen der Verrichtung und der Einwirkung (mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der Wahrscheinlichkeit) entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und ggf mit welchem Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) eine Wirkursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper des Versicherten war.

33

cc) Zweitens muss der (letztlich) durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll.

34

Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so schon BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung (etc) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden.

35

Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden. Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl hierzu BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 2 Nr 21 vorgesehen - RdNr 21 ff - Lebendnierenspende).

36

Bei der folgenden Subsumtion muss vorab entschieden werden, ob die versicherte Verrichtung durch ihren auf der ersten Stufe festgestellten Verursachungsbeitrag überhaupt ein Risiko verwirklicht hat, das in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Nur wenn dies, wie zumeist, zu bejahen ist, kommt es darauf an, ob ggf konkret festgestellte unversicherte Mitursachen, die selbst die Zurechnung zum Unfallversicherungsträger nie begründen können, gleichwohl die Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das gesamte Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass die Wirkung insgesamt trotz des Mitwirkungsanteils der versicherten Verrichtung nicht mehr unter den Schutzbereich der jeweiligen Versicherung fällt. Bei dieser Subsumtion sind alle auf der ersten Stufe im Einzelfall konkret festgestellten versicherten und unversicherten Wirkursachen mit ihren ggf festgestellten Mitwirkungsanteilen in einer rechtlichen Gesamtabwägung nach Maßgabe des jeweilig festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten.

37

Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als "wesentliche Ursache" (vgl schon RVA vom 24.5.1912, AN 1912, 930 = Breithaupt 1912, 212; GS RVA vom 26.2.1914, AN 1914, 411 <2690>; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 17).

38

dd) In gleicher Weise muss zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls ggf die versicherte Einwirkung den Erstschaden (ggf den Tod) a) objektiv und b) rechtlich wesentlich verursacht haben. Dabei kommt es schon wegen der Einheit des jeweiligen Versicherungsfalls stets auch darauf an, dass die Zurechnungskette auf ein- und dieselbe versicherte und den Versicherungsschutz bei dem Unfallversicherungsträger begründende Verrichtung zurückzuführen ist.

39

ee) Diese Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Gesundheitserstschaden erfüllt sein. "Gesundheitserstschaden" ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde, die durch ein- und dieselbe versicherte Verrichtung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden (oder den Tod), die "infolge" ein- und derselben versicherten Verrichtung eintreten.

40

c) Nach den Feststellungen des LSG liegt eine versicherte Verrichtung des Klägers vor, die eine Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat.

41

aa) Der Kläger hat durch seine Testfahrt den Tatbestand der versicherten Tätigkeit als "Beschäftigter" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt(zu den Voraussetzungen dieses Tatbestandes näher BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 2 Nr 20 vorgesehen). Denn er hat dadurch zur Erfüllung einer Hauptpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis mit dem Automobilhersteller zumindest angesetzt, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG auch in tatsächlicher Hinsicht abschließend außer Streit gestellt werden konnte. Er war daher in der Beschäftigtenversicherung grundsätzlich gegen alle Gefahren unfallversichert, die sich "infolge" der versicherten Testfahrt verwirklichten.

42

bb) Das LSG hat ferner bindend festgestellt, dass es infolge der Testfahrt zu einer "Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule" gekommen ist. Unter "Einwirkung" (als Kurzbezeichnung für das von außen kommende, zeitlich begrenzt einwirkende Unfallereignis) ist die durch einen solchen Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem (möglicherweise zeitnah danach eintretenden) Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Das LSG hat zur Natur der körperlichen Veränderung festgestellt, dass ein Chirurg am 6.7.2005 beim Kläger eine "HWS-Distorsion" diagnostiziert habe. Nach dem Gesamtzusammenhang des Beschlusses des LSG hat es sich diese Diagnose zu eigen gemacht. Eine solche HWS-Verstauchung genügt jedenfalls dem (weiten) Einwirkungsbegriff.

43

cc) Das LSG hat auch noch festgestellt, dass die versicherte Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit, das Platzen des Autoreifens, das Abkommen von der Testbahn, das Durchbrechen der Leitplanke und das Abstoppen im Wäldchen diese Einwirkung auf die HWS objektiv mitverursacht haben. Auch wenn das LSG keine näheren Feststellungen zur Ursache des Platzens des Reifens (ua Materialfehler, äußere Ursache) und auch nicht dazu getroffen hat, ob es bei der Testfahrt gerade um die Prüfung der Belastbarkeit der Reifen ging, ist seine Feststellung rechtlich nicht zu beanstanden, dass die versicherte Testfahrt als Grundvoraussetzung des Unfallhergangs eine mitwirkende Ursache für die Einwirkung war. Wie zudem vor dem BSG zur Gehörsgewährung eingeführt und von den Beteiligten bestätigt wurde, entspricht es dem heutigen allgemeinkundigen Stand der Erfahrung, dass ein solcher Ablauf einer Autofahrt Ursache eines starken Aufpralls mit der Wirkung ua einer Verstauchung der HWS sein kann und nach den konkreten Umständen des Falles hier auch war. Weitere Mitursachen wurden vom LSG nicht festgestellt und von der Beklagten nicht behauptet.

44

dd) Das LSG hat sinngemäß auch die rechtliche Beurteilung geäußert, dass das versicherte Handeln des Klägers eine mit der Erfüllung dieser Pflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis verbundene Gefahr für seine Gesundheit verwirklicht hat. Das trifft bundesrechtlich zu. Denn die Beschäftigtenversicherung soll grundsätzlich in allen Lebens- und Gesundheitsgefahren schützen, die sich aus dem Handeln zur Erfüllung von Pflichten oder zur Wahrnehmung unternehmensbezogener Rechte aus dem Beschäftigungsverhältnis unter Eingliederung in einen vom Unternehmer bestimmten Gefahrenbereich ergeben. Der Kläger hat infolge der ihm aufgetragenen Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit Gesundheitsgefahren eingehen müssen, die sich in der Einwirkung realisiert haben. Damit fällt die durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Einwirkung auf die HWS unter den Schutzbereich der hier begründeten Beschäftigtenversicherung. Die konkret festgestellten Mitursachen der Einwirkung, das Platzen des Reifens, der Widerstand der durchbrochenen Leitplanke schließen in der gebotenen rechtlichen Gesamtabwägung die Zuordnung der HWS-Verstauchung zum Schutzbereich der Beschäftigtenversicherung nicht aus. Denn in ihnen hat sich gerade die besondere Gefahr verwirklicht, die mit der vom Kläger zu erfüllenden Pflicht verbunden war.

45

ee) Das LSG hat schließlich bindend festgestellt, dass der vom Kläger als Gesundheitserstschaden geltend gemachte Bandscheibenvorfall C 6/7 vorliegt.

46

d) Damit sind die Voraussetzungen für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung dieses Vorfalls C 6/7 als weiteren Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls mit der Ausnahme erfüllt, dass das BSG noch nicht entscheiden kann, ob die Testfahrt mit der durch sie rechtlich wesentlich mitverursachten Einwirkung auf die HWS des Klägers auch rechtserhebliche (Mit-)Wirkursache dieses Bandscheibenvorfalls war.

47

4. Das LSG hat zwar ausgeführt, die versicherte Einwirkung und letztlich die versicherte Testfahrt hätten auch den Bandscheibenvorfall objektiv und wesentlich verursacht. Dies ist jedoch für das BSG nicht bindend. Es darf dies seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.

48

a) Dies folgt für die Rechtsfrage der unfallversicherungsrechtlichen Wesentlichkeit schon daraus, dass es hier allein um Rechtsanwendung, also um die rechtliche Subsumtion der auf der ersten Stufe der Zurechnung festgestellten Tatsachen unter den Schutzbereich der für die konkrete Beschäftigung begründeten Beschäftigtenversicherung geht. Hier muss das Revisionsgericht in vollem Umfang die Beachtung des Bundesrechts überprüfen. Das LSG hat hierbei den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache unzutreffend angewandt (dazu unter 5.).

49

b) Auf der ersten Stufe der Zurechnung hat das LSG keine das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen zur objektiven Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Einwirkung/versicherte Verrichtung getroffen.

50

Allerdings hat das LSG ausdrücklich festgestellt, dass die (versicherte) Einwirkung auf die HWS des Klägers "naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7" gewesen ist.

51

aa) Grundsätzlich ist das Revisionsgericht an eine solche Tatsachenfeststellung, zu der auch der konkrete objektive Kausalzusammenhang im Einzelfall gehört, gebunden (§ 163 SGG). Hier tritt diese Bindung jedoch nicht ein, weil das LSG zum einen von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven ("wissenschaftlich-philosophischen") Kausalität ausgegangen ist. Zum anderen hat es, wie die Beklagte zulässig und begründet rügt, die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Es hat seinem Beschluss einen nicht existierenden Erfahrungssatz zugrunde gelegt und deshalb davon abgesehen aufzuklären, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle durch Unfalleinwirkungen nur verursacht werden können, wenn ein unfallbedingter Begleitschaden vorliegt.

52

bb) Das LSG hat seine Kausalitätsbeurteilung auch auf folgenden nicht existierenden Erfahrungssatz gestützt: Liegen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall örtlich-zeitlich in Rede steht, ist ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

53

Daran ist das BSG nicht gebunden. Ein solcher Erfahrungssatz ist nicht allgemeinkundig oder dem BSG gerichtsbekannt. Die Revisionsführerin bestreitet seine Existenz. Das LSG hat nicht mitgeteilt, woher es diese Erkenntnis gewonnen hat. Soweit die Formulierung auch als generelle weitere "Beweiserleichterung" bei der richterlichen Überzeugungsbildung zum Grad der (juristischen) Wahrscheinlichkeit gemeint sein könnte, wäre sie bundesrechtswidrig. Denn der juristische Überzeugungsgrad der Wahrscheinlichkeit knüpft an die Würdigung der Einzelfallumstände nach Maßgabe der im jeweiligen Lebensbereich vorhandenen aktuell anerkannten wissenschaftlichen Erfahrung, hilfsweise der sonstigen einschlägigen Fachkunde, und deren ggf vorhandene Unsicherheiten an. Er erlaubt es aber nicht, an dem vorhandenen Erfahrungswissen durch "juristische Betrachtungen" vorbeizugehen.

54

c) Das LSG hat auch im Übrigen einen unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven Verursachung (der "philosophisch-wissenschaftlichen Kausalität") zugrunde gelegt.

55

Objektive Verursachung bedeutet einen nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand der einschlägigen Erfahrung (insbesondere der Wissenschaft, hilfsweise der sonstigen Fachkunde) geprüften und festgestellten Wirkungszusammenhang zwischen einer bestimmten Wirkursache und ihrer Wirkung. Dabei gibt es keine Ursache ohne Wirkung und keine Wirkung ohne Ursache.

56

Die versicherte Verrichtung muss also eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) der Einwirkung, die Einwirkung eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) des Gesundheitserstschadens sein. Ob die Verrichtung Wirkursache der Einwirkung (etc) war, ist eine Frage, die nur auf der Grundlage von Erfahrung über Kausalbeziehungen beantwortet werden kann.

57

Auch der Satz der Bedingungstheorie, ein tatsächlicher Umstand sei "notwendige Bedingung" (nicht: Ursache) eines anderen Umstandes, wenn der erste nicht "hinweggedacht" werden könne, ohne dass der zweite (der "Erfolg") entfiele ("conditio sine qua non"), ist kein logischer Schluss. Er verlangt eine hypothetische, dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich fremde, alternative Zusammenhangserwägung ohne Berücksichtigung eines in Wirklichkeit vorhandenen Umstandes und mit Unterstellung eines in Wirklichkeit nicht erfolgten Geschehensablaufs. Darüber hinaus verweist er auf Erfahrungswissen über den Zusammenhang von Bedingungen.

58

Die Erwägung nach dieser Formel führt zur Unbeachtlichkeit von Bedingungen, die nach Erfahrung die Wirkung nicht mitverursacht haben können. Insoweit kann sie zur ersten negativen Vorklärung, dem Ausscheiden von als Ursachen von vornherein nicht in Betracht kommender Bedingungen, beitragen. Sie erfasst aber alle Bedingungen, die nach Erfahrung möglicherweise die fragliche Wirkung (den "Erfolg") verursacht haben könnten. Aus sich heraus gibt sie aber keinen Maßstab dafür, ob ein solcher als für das Geschehen erforderliche (und nur in diesem Sinne "notwendige") Bedingung erkannter Umstand den "Erfolg" wirklich bewirkt, also die Wirkung mitverursacht hat, worauf schon der große Senat des RVA (aaO) hingewiesen hat. Eine solche Bedingung kann Wirkursache sein, muss es aber nicht. Sie kann auch bloße Randbedingung sein. Die Formel schließt nur "Bedingungen" aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.

59

Entscheidend ist aber, ob die versicherte Verrichtung die Einwirkung und ob diese den Erstschaden bewirkt hat. Wenn die festgestellte versicherte Verrichtung nach Erfahrung eine "Bedingung eines Erfolgs", also einer Einwirkung und des Gesundheitserstschadens (etc) ist, wären diese (hypothetisch) ohne sie nicht eingetreten. Gleiches gilt für eine kaum abzählbare Menge anderer Bedingungen für den konkreten Unfall. Die Verrichtung war aber nur dann eine Wirkursache der Einwirkung/des Gesundheitserstschadens, wenn sie das Unfallereignis hervorgerufen oder in Gang gehalten und dadurch die Einwirkung herbeigeführt hat, welche den Körper des Verletzten, seinen physiologischen Zustand verändert und dadurch den Gesundheitsschaden mitbewirkt hat. Ob dies der Fall war, ist nach dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Fachwissens zu beurteilen.

60

aa) Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Bandscheibenvorfall des Klägers Wirkung der festgestellten versicherten Einwirkung/versicherten Testfahrt als Ursache war. Dafür kommt es, weil es sich um eine in den Fachbereich der medizinischen Wissenschaft fallende Frage handelt, allein darauf an, ob ein Wirkungszusammenhang zwischen dieser Testfahrt und dieser Einwirkung auf die HWS des Klägers und diesem Bandscheibenvorfall nach dem aktuellen Stand des anerkannten medizinischen Erfahrungswissens vorliegt. Dafür reicht ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang nicht aus.

61

Vielmehr ist der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrunde zu legen. Dies wird in der Regel die Auffassung der Mehrheit der im jeweiligen Fragenbereich veröffentlichenden Wissenschaftler/Fachkundigen eines Fachgebiets sein. Lässt sich eine solche "herrschende Meinung" nicht feststellen, so darf der Richter nicht gleichsam als Schiedsrichter im Streit einer Wissenschaft fungieren und selbst eine (von ihm anerkannte) Ansicht zur maßgeblichen des jeweiligen für ihn fachfremden Wissenschaftsgebietes erklären. Vielmehr kommt, falls auch durch staatliche Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände etc kein von den Fachkreisen mehrheitlich anerkannter neuester Erfahrungsstand festgestellt werden kann, eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen in Betracht (anders offenbar noch BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).

62

Dazu muss dieser Erfahrungsstand inhaltlich festgestellt und so rechtzeitig mit seiner Erkenntnisquelle (zB medizinisches Fachbuch) in das Gerichtsverfahren eingeführt werden, dass die Beteiligten sich darüber fachkundig machen und ggf konkrete Beweiserhebungen beantragen können. Das gilt auch dann, wenn das Gericht meint, der Stand des einschlägigen Erfahrungswissens sei gerichtsbekannt, allgemeinkundig oder könne vom Gericht aus eigener, stets rechtzeitig offenzulegender Fachkompetenz beurteilt werden.

63

bb) Soweit ein nicht allgemeinkundiges oder gerichtsbekanntes Erfahrungswissen Gegenstand einer staatlich anerkannten Wissenschaft, hilfsweise einer sonstigen fachkundigen Profession, ist, muss das Gericht, sofern es keine nachweisbare eigene Fachkompetenz oder Gerichtskenntnis auf diesem Gebiet hat, aufgrund der Ermessensreduktion im Rahmen seiner Sachaufklärung nach § 103 SGG sich die erforderliche Kenntnis durch Sachverständige verschaffen. Es ist gerade Aufgabe der Sachverständigen, dem Richter den aktuellen anerkannten Stand des Wissens darüber zu vermitteln, ob es Erfahrungssätze über Ursache-Wirkung-Beziehungen der fraglichen Art gibt und ggf welche Anwendungsbedingungen für die Anwendung dieser Sätze im Einzelfall erfüllt sein müssen. Soweit auch die Anwendung der Erfahrungssätze im Einzelfall, wie häufig, ebenfalls besondere Sachkunde erfordert, kann der Sachverständige auch damit beauftragt werden.

64

Gegenstand solcher Erfahrungssätze und ihrer generellen Anwendungsbedingungen ist, ob Vorgänge der Art des vorderen Kausalgliedes - hier: die Einwirkung auf den HWS-Bereich durch den Aufprall unter Absehung von bloßen Randbedingungen des konkreten Falles - allein oder im Zusammenwirken mit anderen nach dieser Erfahrung ursächlichen Bedingungen Vorgänge der Art des zweiten Kausalgliedes - hier: Bandscheibenvorfall C 6/7 als Gesundheitserstschaden - bewirken. Sofern diese Kausalbeziehung zwischen den beiden Arten der Kausalglieder besteht, ist das vordere eine hinreichende Ursache des folgenden Kausalgliedes. Tritt das zweite Kausalglied (hier: der Gesundheitserstschaden) immer und nur dann auf, wenn das vordere Kausalglied vorliegt, handelt es sich bei diesem um eine notwendige Ursache, bei dem zweiten um eine notwendige Wirkung. Bedingungen im Sinne der Bedingungstheorie, die erfahrungsgemäß keine solchen hinreichenden oder sogar notwendigen Wirkursachen sind, bleiben schon deshalb bei der Zurechnung außer Betracht.

65

cc) Allerdings darf das Gericht die jeweils einschlägige Wissenschaft (oder Fachkunde) auch nicht mit gebietsfremden Anforderungen überfordern, welchen dieser Erfahrungsbereich nicht genügen kann. Das Rechtssystem knüpft in den Grenzen der Rechtslogik an den jeweiligen aktuell anerkannten Stand der einschlägigen empirischen Wissenschaft (oder Fachkunde) an.

66

Es sind - gerade auch im Bereich der Medizin - nicht immer deterministische Erfahrungssätze vorhanden oder anerkannt. Sehr häufig werden nur wissenschaftlich begründete Wahrscheinlichkeitssätze (die nichts mit dem juristischen Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit zu tun haben) festgestellt werden können. Dabei gibt es in den verschiedenen Wissenschaften unterschiedliche Begriffe von empirischer Wahrscheinlichkeit bis hin zu probabilistischen Erfahrungssätzen. Sie werden nach entsprechenden Untersuchungen gelegentlich mathematisch formuliert, häufig aber allein durch tradierte Erfahrung im jeweiligen Fachkreis mit geringer Überprüfungsdichte gelehrt und/oder bloß unausgesprochen in der Praxis vorausgesetzt (begründete Vermutungen). Hier sind Unterschiede ferner zwischen Fachbereichen zu beachten, in denen es wissenschaftliche Fachdisziplinen gibt, und solchen, in denen es überwiegend nur die tradierte Erfahrung des Kreises der professionell im jeweiligen Gebiet Tätigen gibt.

67

dd) Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist also der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl hierzu zuletzt auch BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Als Maßstäbe sind jeweils, soweit vorhanden, die aktuell anerkannten Erfahrungssätze festzustellen und anzuwenden. Dies ist eine reine Tatsachenfeststellung bei der der Richter der Hilfe des Sachverständigen bedarf. Hinsichtlich der richterlichen Feststellung des Inhalts der Erfahrungssätze genügt der richterliche Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit. Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung also gerade verdeutlichen, welche Erfahrungssätze er seiner Begutachtung zugrunde legt und dass dieses Erfahrungswissen in der einschlägigen Wissenschaft (oder Fachkunde) aktuell als neuester Stand anerkannt ist.

68

ee) Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 24 ff). Ausgangsbasis der richterlichen Erkenntnisbildung über wissenschaftliche Erfahrungssätze sind auch bei Fragen der objektiven Verursachung die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich. Außerdem sind die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen. Hinzu kommen andere aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese Quellen hat der Richter jeweils kritisch zu würdigen.

69

Eine bloße Literaturauswertung durch auf dem einschlägigen Gebiet nicht fachgerecht ausgebildete Richter genügt zur Feststellung des (nicht allgemeinkundigen oder gerichtsbekannten) aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über Kausalbeziehungen in der Regel nicht. Vielmehr wird dessen Klärung im Rahmen des ohnehin benötigten Gutachtens erfolgen. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung durch den Sachverständigen, die er stets zugrunde legen muss und von der er nur durch zusätzliche Ausführungen, weshalb er ihr nicht folgt, mit wissenschaftlicher Begründung abweichen darf.

70

Bestreitet nach rechtzeitiger Einführung eines solchen Erfahrungssatzes in den Prozess einer der Beteiligten dessen Vorliegen oder Tragweite mit nicht offenkundig fernliegenden Sachargumenten, so wird das Gericht im Regelfall diesem Vorbingen durch (zumindest schriftliche) Befragung eines Sachverständigen nachzugehen haben (vgl BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

71

d) Das LSG hat hinsichtlich der strittigen Verursachung des Bandscheibenvorfalls schon keinen neuesten anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft festgestellt, sondern einen anderen Verursachungsbegriff zugrunde gelegt.

72

aa) Die Beklagte hatte unter Zitierung des Werks von Schönberger/Mehrtens/Valentin dargelegt, dass es dem dort dokumentierten Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall nur mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen vorkommen könne. Das LSG hätte hierauf selbst die Existenz oder Nichtexistenz dieses oder eines anderen anerkannten Erfahrungssatzes in der medizinischen Wissenschaft feststellen müssen.

73

bb) Dies war nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil das LSG davon ausgegangen ist, dass sich eine Feststellung des einschlägigen medizinischen Erfahrungssatzes erübrige, weil die Autoren Schönberger/Mehrtens/Valentin von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab bei der Kausalitätsbetrachtung ausgegangen seien. Sie hätten Aspekte der rechtlichen Wesentlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG mit naturwissenschaftlichen Aussagen verquickt.

74

Es ist hier nicht darauf einzugehen, ob diese Behauptungen zutreffen. Beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Gebrauch des Wortes "wesentlich" zugleich eine Äußerung zur "Theorie der wesentlichen Bedingung" sein muss. Soweit Nichtjuristen sich zu solchen juristischen Problemen äußern, liegen keine Stellungnahmen eines Sachverständigen, möglicherweise aber dennoch bedenkenswerte oder richtige Argumente vor. In keinem Fall durfte das LSG davon absehen, den aktuellen Stand der anerkannten medizinischen Erfahrung über durch Unfälle verursachte Bandscheibenvorfälle festzustellen.

75

e) Es ist nicht tunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), dass das BSG das Bestehen und den Inhalt des von der Beklagten behaupteten oder eines sonstigen aktuell anerkannten medizinischen Erfahrungssatzes über die Verursachung von Bandscheibenvorfällen durch Unfalleinwirkungen und dessen generelle Anwendungsbedingungen selbst feststellt. Zwar gehören solche generellen Erfahrungssätze dem revisiblen Bundesrecht (§ 162 SGG) an. Jedoch bedürfte es zu einer Entscheidung darüber, ob im Fall des Klägers die Vorgaben eines solchen Erfahrungssatzes erfüllt sind, der Feststellung von Einzelfalltatsachen und deren fachgerechte Zuordnung zum generellen medizinischen Erfahrungssatz. Das BSG müsste daher voraussichtlich nach Klärung des generellen Standes der anerkannten Erfahrung die Sache dennoch an das LSG zurückverweisen, dem die Feststellung von Tatsachen des Einzelfalles grundsätzlich vorbehalten ist.

76

Das LSG wird folglich nach der Zurückverweisung durch Einholung von Sachverständigengutachten und die anderen aufgezeigten Ermittlungsmöglichkeiten festzustellen haben, ob der von der Beklagten behauptete wissenschaftliche Erfahrungssatz oder ein anderer von der Mehrheit der Wissenschaftler des einschlägigen medizinischen Wissenschaftszweiges vertreten wird.

77

Lässt sich dies zur vollen richterlichen Überzeugung bejahen, so ist er nebst seinen in gleicher Weise wissenschaftlich anerkannten generellen Anwendungsbedingungen der (mindestens im richterlichen Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit zu treffenden) Feststellung zwingend zugrunde zu legen, ob im vorliegenden Fall die versicherte Einwirkung faktische Mitursache des Bandscheibenvorfalls C 6/7 war. Stellt das LSG hingegen fest, dass nicht dieser Erfahrungssatz, sondern ein anderer entsprechend anerkannt ist, ist dieser zwingend maßgeblich. In jedem Fall ist dann über die Mitursächlichkeit der Testfahrt und der durch sie verursachten Einwirkung für den Vorfall C 6/7 und dabei auch der Mitverursachungsanteil anderer Wirkursachen zu entscheiden.

78

5. Von diesen Feststellungen darf das LSG nicht wegen der zweiten Zurechnungsstufe, der rechtlichen "Wesentlichkeit" der Wirkursache für den Schaden, absehen. Das LSG hat nämlich in seinem Beschluss den dargelegten bundesrechtlichen Begriff der Wesentlichkeit unzutreffend auf den Bereich der objektiven Verursachung angewandt. Er betrifft aber allein die zweite Stufe der Zurechnung. Auf ihr geht es ausschließlich um die Rechtsfrage, ob die auf der ersten Stufe abschließend festzustellende faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der Beschäftigtenversicherung verwirklicht hat. Ggf hängt - wie oben gezeigt - diese Rechtserheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt.

79

Hierbei geht es ausschließlich um rechtliche Bewertungen (Auslegung und Subsumtion). Die Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile (Tatsachenfrage) sind bereits auf der ersten Stufe der objektiven Verursachung abschließend festzustellen. Insbesondere kann die ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung auf der ersten Stufe nicht durch Wertungen auf der zweiten ersetzt werden.

80

Das LSG wird daher, falls es auf der ersten Stufe die objektive Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Verrichtung/Einwirkung nach neuer Prüfung bejahen wird, auf der zweiten Stufe erstmals die vorgenannte Rechtsfrage beantworten müssen.

81

6. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2013 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 20. Juli 2006 eine Verletztenrente zu gewähren ist.

Der 1971 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt bei der A. AG bei der Karosserie-Aufbaulinie A3 beschäftigt. Er verletzte sich am 20. Juli 2006 am Handgelenk und an der Schulter, als sich ein verklemmter Kappenfräser löste. Er wurde von dem schweren Maschinenteil an der linken Schulter und am Rücken getroffen und zu Boden geworfen. Nach dem Bericht des Durchgangsarztes Dr. L. vom 20. Juli 2006 bestanden eine Prellung des rechten Unterarms, eine Prellung des linken Schulterblattes sowie eine Schürfwunde. Eine Fraktur wurde nicht diagnostiziert. Es bestand weiter Arbeitsfähigkeit. Im Nachschaubericht vom 12. Oktober 2006 gab Dr. L. als Befund eine Prellung rechter Unterarm, linkes Schulterblatt, eine Schürfwunde sowie eine Myogelose Schulter und Rücken an. Seit zwei Wochen übe der Kläger eine neue Tätigkeit mit regelmäßigem Heben von 5 kg aus; es seien jetzt Schmerzen und eine Verspannung im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule (BWS) und Reibegeräusche in der rechten Schulter mit gelegentlichen ziehenden Schmerzen aufgetreten. Im Bericht vom 6. Januar 2007 werden nach Angabe des Klägers immer wieder Schmerzen und Verspannungen der BWS und des rechten Schultergelenks, die sich mit wechselnder Arbeitstätigkeit Anfang Oktober 2006 verstärkt hätten, berichtet.

Eine Kernspintomographie der HWS vom 2. Oktober 2007 zeigte einen kleinen rechtsparamedianen Bandscheibenvorfall im Segment HWK 3/4 ohne Nachweis einer Myelpathie oder einer Einengung des Spinalkanals. Dr. D. diagnostizierte am 4. Oktober 2007 ein leichtgradiges Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts/links eher als Radikulopathie C 8. Mit Nachschaubericht des Dr. L. vom 10. Januar 2008 wird von der Angabe des Klägers über Schmerzen seit dem Unfall in beiden Schulterblättern berichtet, beide Schultern waren im Befund mit normaler Funktion, die Halswirbelsäule (HWS) frei, leichte Verspannung paravertebral. Mit Krankheitsbericht des Dr. L. vom 28. Januar 2008 wird auf ein Begehren des Klägers, eine neu entdeckte BWS-Verletzung von der Beklagten anerkannt zu bekommen, hingewiesen.

Eine Kernspintomographie der HWS vom 30. Januar 2008 ergab einen im Vergleich zur Voruntersuchung vom 2. Juli 2007 unveränderten Befund mit unverändert kleinem rechtsparamedian betontem Bandscheibenprolaps im Segment HWK 3/4 mit initialen ossären Abstützreaktionen.

In dem Bericht über die Kernspintomographie des linken Schultergelenks vom 13. März 2008 wird über aktivierte AC-Gelenksarthrose, deutliche Auftreibung des AC-Gelenks berichtet. Hierbei könne es sich auch um eine posttraumatische Veränderung handeln. Laut Unfallklinik M. vom 14. April 2008 bestand eine Gelenksprengung Typ Rockwood I rechts, eine Ruptur des Diskus articularis, aufgrund derer sich im Laufe der Zeit eine AC-Gelenksarthrose ausbilden würde. Ferner bestünden eine Bandscheibenprotrusion BWK 7/8 und ein Bandscheibenprolaps HWK 3/4. Im Abschlussbericht vom 28. April 2008 der Unfallklinik M. wird über eine arthroskopische AC-Gelenksresektion linke Schulter vom 21.04.2008 berichtet. Intraartikulär habe sich eine Auffaserung des superioren Labrumkomplexes im Sinne einer SLAP 1-Läsion gezeigt, die wahrscheinlich nicht unfallbedingt sei. Des Weiteren sei eine arthroskopische AC-Gelenksresektion erfolgt. Der Kläger habe während des gesamten Aufenthalts fortwährend Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich mit Kribbelparästhesien des rechten Unterarms und der Hand geklagt.

Es folgten weitere ärztliche Behandlungen, insbesondere auch der Schulter, u. a. bei Dr. H., in der Unfallklinik M., bei Herrn Dr. S. und in den Kliniken Dr. E. in den Jahren 2008 und 2009. Im Bericht über ein MRT linkes Schultergelenk vom 3. September 2008 des Dr. P. wird der postoperative Zustand mit Veränderungen im AC-Gelenk beschrieben. Bzgl. MRT der HWS vom 3. September 2008 wird von Dr. P. über einen Diskusprolaps HWK 3 /4 berichtet, Streckhaltung der oberen und mittleren HWS im Liegen, keine das Altersmaß überschreitenden degenerativen Veränderungen. Weiter liegt ein Bericht über die Kernspintomographie des Neurocraniums vom 30. September 2008 vor.

Auf weitere Berichte v.a. des Dr. H., Kliniken Dr. E., vom 9. Oktober 2008, der Klinik B. F. vom 7. Oktober 2008 über berufliche Rehabilitation seit 5. August 2008, des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. G. vom 3. November 2008, des Neurochirurgen Dr. C. vom 23. April 2008, den vorläufigen Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 19. Januar 2009 über stationäre Reha-Behandlung vom 5. August 2008 bis 20. Januar 2009 sowie den ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik B. vom 25. Februar 2009 (als Diagnosen werden neben den Reha-Diagnosen bzgl. der linken Schulter als weitere Diagnosen kleiner Bandscheibenprolaps C 3 /4 sowie Anpassungsstörung im Rahmen Persönlichkeitsstörung genannt) wird verwiesen.

Die Beklagte holte im Rahmen der ersten Rentengutachten ein neurologisches Zusatzgutachten zum Rentengutachten vom 27. März 2009 der Dipl.Med. B. R. ein. Als wesentliche Unfallfolgen bestünde ein Zustand nach Acromioclavikularruptur Tossy links mit ACG-Arthrose. Aus neurologischer Sicht bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

In dem von der Beklagten eingeholten Gutachten auf psychiatrischem Gebiet des Prof. Dr. P. vom 17. Juli 2009 werden als Diagnosen für die Zeit nach dem Arbeitsunfall bis zu einem zweiten Arbeitsunfall am 8. Dezember 2007, bei dem sich der Kläger den Kopf bei einem Sprung nach oben an einer Absaugung gestoßen hat, eine depressive Episode leichten Grades, für die Zeit danach eine depressive Episode mittleren bis schweren Grades beschrieben. Die MdE betrage hierfür 15 v. H. bzw. 60 v. H. Durch die Geburt der jüngsten Tochter (mit gesundheitlicher Einschränkung) im Juli 2007 sei es zu einer geringfügigen Befundverschlechterung gekommen. Die Befundverschlechterung stehe jedoch nicht in kausalem Zusammenhang mit den Arbeitsunfällen. Eine somatoforme Schmerzstörung sei nicht gegeben.

Im unfallchirurgischen Gutachten des Dr. S. vom 27. Juli 2009 wird eine seitengleich ausgebildete Muskulatur an Ober- und Unterarmen geschildert, auch die Handflächenbeschwielung sei seitengleich. Aus den aktuellen Röntgenaufnahmen der linken Schulter ergebe sich kein Hinweis auf ein auffälliges Impingement, die Knochenstruktur sei regelrecht. Der Gutachter nannte als Diagnosen eine AC-Gelenksverletzung Typ Rockwood I linke Schulter, AC-Gelenksarthrose posttraumatisch und unfallunabhängig eine SLAP 1-Läsion linke Schulter sowie eine Bandscheibenprotrusion HWK 3/4. Es lägen Unfallfolgen vor bzgl. Bewegungseinschränkung linke Schulter, Kraftverlust linker Arm, röntgenologische Veränderungen mit lateraler Clavikularesektion bei deutlichen Aggravationstendenzen. Die MdE wurde auf 10 v. H. eingeschätzt. Der Sachverständige wies auf eine deutliche Diskrepanz zwischen angegebenen Beschwerden und tatsächlich objektivierbaren Unfallverletzungsfolgen hin.

Mit beratungsärztlicher Stellungnahme des Prof. Dr. G. wurde eine erneute Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet empfohlen. Der Klägerbevollmächtigte teilte am 14. Oktober 2009 mit, es werde keine neue Begutachtung im Verwaltungsverfahren gewünscht.

Mit ergänzender Stellungnahme des Dr. P. vom 29. Dezember 2009 wies dieser auf das Fehlen psychiatrischer Vorerkrankungen vor dem ersten Arbeitsunfall hin. Beide Unfallgeschehen seien generell geeignet, psychiatrische Erkrankungen auszulösen. Das erste Unfallereignis sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursächlich und wesentlich für die depressive Episode leichten Grades. Der zweite Arbeitsunfall sei lediglich Gelegenheitsursache für die Verschlechterung. Zu diesem Zeitpunkt habe eine psychiatrische Vorerkrankung nach dem ersten Arbeitsunfall bestanden. Bislang bestehe keine ausreichende psychiatrische Behandlung. Es liege zum Nachuntersuchungszeitpunkt eine Besserung der MdE auf 50 v. H. vor, anzustreben sei ein rehabilitative Wiedereinstieg am Arbeitsplatz mit dem Ziel leichterer Tätigkeiten.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. K. vom 8. April 2010 wird ein im Vollbeweis vorliegender psychischer Primärschaden in Abrede gestellt. Eine messbare unfallbedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe bzgl. des Unfalls vom 20. Juli 2006 und auch bzgl. des Unfalls vom 8. Dezember 2007 nicht.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2010 erkannte die Beklagte den Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 an mit den Unfallfolgen: „Linke Schulter: Nach einer Verrenkung des Schultereckgelenkes mit Zerrung des Kapsel-/Bandapparates (Rockwood I) bestehen noch: Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes, röntgenologische Veränderungen des Schultereckgelenkes mit Teilentfernung des äußeren Anteils des Schlüsselbeins, Kraftverlust des Armes, belastungsabhängige Beschwerden.“ Nicht als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt die Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2007, eine depressive Episode mittleren bis schweren Grades, eine Verletzung der Knorpellippe am oberen Rand der Schulterpfanne (SLAP Läsion), Bandscheibenschädigungen zwischen dem 3. und 4. HWK. Eine Verletztenrente sei nicht zu gewähren.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2011 zurück. Zu den im Widerspruchsverfahren vorgelegten MRT-Bildern der linken und rechten Schulter hatte die Beklagte eine Stellungnahme des Prof. Dr. B. vom 18. Januar 2011 eingeholt. Anlässlich der MRT-Untersuchungen im September 2010 habe ein leichtgradiger Reizzustand des Schulterdachgleitbeutels (Bursitis subacromialis) und ein leichter Reizzustand des ehemaligen Schultereckgelenks vorgelegen.

Hinsichtlich des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2007 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Feststellung von Unfallfolgen ab. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht München (Az.: S 9 U 187/11) hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2013 zurückgenommen.

Hinsichtlich des Bescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011, der den Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 betraf, hat der Kläger ebenfalls Klage zum Sozialgericht München erhoben. Er hat zur Begründung eine Darstellung des Unfallhergangs (Schleudern mit Oberkörper, Kopf und Nackenbereich gegen Robotersockel, Bewusstlosigkeit nach dem Unfall) und der nachfolgenden Behandlungen vorgelegt.

Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte eingeholt und den Orthopäden Dr. K. sowie den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

Dr. K. hat in seinem Gutachten vom 5. November 2011 die Ansicht vertreten, dass die MdE weniger als 10 v. H. betrage. Allerdings sei bereits der Unfallhergang bzw. -zusammenhang fraglich, wegen der wohl großen Gewalteinwirkung sei jedoch der Unfall als wesentliche Teilursache der aufgetretenen Schultereckgelenksschädigung anzusehen.

Dr. D. hat in seinem Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vom

3. März 2012 dargelegt, dass bei dem Unfall Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht aufgetreten seien. Erstmals etwa zwei Jahre nach dem Unfall seien psychische Auffälligkeiten zu beobachten gewesen, zu werten als Zeichen einer beginnenden psychogenen Fehlverarbeitung tendenzieller Ausrichtung. Diese seien nicht als Unfallfolgen anzusehen, sondern als Folge von Persönlichkeitseigentümlichkeiten. Vorbestehende Leiden seien durch den Unfall auch nicht verschlimmert worden. Hinsichtlich der MdE hat der Sachverständige auf das Gutachten des Dr. K. verwiesen.

Mit Bericht vom 30. Juli 2012 der BG-Unfallklinik M. wird über Behandlung am gleichen Tag berichtet. Es wird angeführt, dass nach der letzten MRT-Untersuchung wesentliche Unfallfolgen nicht mehr nachzuweisen seien. Es liege eine erhebliche psychosomatische Überlagerung vor. Es erging Empfehlung einer psychosomatischen Behandlung, allerdings zulasten der Krankenkasse.

Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Prof. Dr. W. auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet vom 25. Januar 2013 eingeholt. Bei nach dem Unfall fortbestehenden Schmerzen sei eine Gelenksprengung Typ Rockwood I links diagnostiziert worden. Eine valide diagnostische Einordnung der neuropsychologischen Untersuchungsergebnisse sei nicht möglich. Aufgrund der Schmerzen habe sich eine somatoforme Schmerzstörung entwickelt. Die MdE sei deshalb mit 20 v. H. auf psychiatrischem Fachgebiet anzusetzen. Dabei sei berücksichtigt, dass auch Aggraviationstendenzen vorhanden seien - was jedoch nicht untypisch für somatoforme Schmerzstörungen sei. Im Gegensatz zur Begutachtung bei Herrn

Dr. B./Dr. P. fänden sich keine Hinweise auf Depression oder depressive Phasen. Auf neurologischem Fachgebiet sei keine Schädigung nachzuweisen. Das vom Kläger angeführte Schädelhirntrauma mit sechzehnminütiger Bewusstlosigkeit im Rahmen des Unfalls sei in den Unterlagen nicht dokumentiert.

Im weiterhin übersandten neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 14. September 2012 des Prof. Dr. Z. wird hervorgehoben, dass sich insgesamt in den Bereichen Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis, exekutive Funktionen durchwegs deutlich beeinträchtigte Leistungen ergeben hätten. Sprach- und Instruktionsverständnis wäre gut gegeben gewesen, die erhaltenen Ergebnisse seien nicht interpretierbar.

Die Kammer hat ferner das in dem Verfahren eingeholte Gutachten des Prof. Dr. W. vom 23. April 2013, das den Arbeitsunfall vom 8. Dezember 2007 betroffen hat, sowie das im Rentenverfahren (Az. S 25 R 174/13) eingeholte sozialgerichtliche Gutachten des Dr. M. vom 16. Juli 2013 beigezogen. Dr. M. hat neben einer leichtgradigen depressiven Episode eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2013 hat die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld für den Zeitraum vom 14. April 2008 bis 20. Januar 2009 anerkannt. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil abgewiesen. Unter Berücksichtigung des Erstschadensbildes, dem Gutachten des Dr. K. und der Fachliteratur werde aus orthopädischer Sicht keine rentenberechtigende MdE von wenigstens 20 v. H. erreicht. Auch weitere Unfallfolgen in Form der von Prof. Dr. W. befürworteten somatoformen Schmerzstörung seien zur Überzeugung des Gerichts nicht anzuerkennen. Diese Diagnose sei nicht gesichert.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und die Einholung eines „Obergutachtens“ auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet angeregt.

Der gemäß § 109 SGG gehörte Orthopäde Dr. C. hat als Unfallfolgen in seinem Gutachten vom 5. Mai 2014 lediglich eine Prellung des rechten Armes und der rechten Schulter sowie eine Prellung des linken Schulterblattes mit begleitender Schürfverletzung angenommen. Es gelinge nicht der Beweis einer stattgehabten Schultereckgelenksverletzung links. Der festgestellte Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS müsse als degenerativ bewertet werden. Sämtliche Unfallfolgen seien bis 12. Oktober 2006 folgenlos ausgeheilt. Eine MdE bestehe nicht.

Zu dem Gutachten des Prof. Dr. W. hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. D. vom Juli 2014 eingeholt. Dieser hat an seinem Gutachtensergebnis festgehalten. Weder eine undifferenzierte somatoforme Schmerzstörung noch eine somatoforme Schmerzstörung seien in der Diagnosestellung und erst recht nicht als Unfallfolge belegt. Eine psychische Störung sei erst ca. zwei Jahre nach dem Unfall dokumentiert. Daraus allein könne zwar nicht geschlossen werden, dass keine unfallbedingte psychische Störung vorliege und vorgelegen habe. Dies sei aber im Hinblick auf den fachärztlichen Vorbefund (kein auffälliger psychischer Befund bei der Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. am 4. Oktober 2007) spekulativ. Soweit Dr. M. neben einer leichtgradigen depressiven Episode eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert habe, sei aus den Befunden nur bedingt nachvollziehbar, wie er zu dieser Diagnose gekommen sei, zumal er in der Beurteilung immer wieder auf erhebliche Aggraviationstendenzen des Klägers hinweise.

Der Durchgangsarzt Dr. S. hat in seinem Befundbericht vom 17. Februar 2014 ein chronisches Schmerzsyndrom an der linken Schulter (ICD 10) diagnostiziert. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. W. hat am 5. März 2014 eine Anpassungsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Eine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sei nicht erfolgt. Hinsichtlich eines Zusammenhangs mit den Unfallereignissen hat die Ärztin auf die Diskussion in den Gutachten verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2014 hat der Kläger nochmals den Unfallhergang geschildert und auf seitdem bestehende gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen hingewiesen. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 20. Juli 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakte des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Nicht streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII), der in dem Ereignis vom 20. Juli 2006 zu sehen ist. Die Schilderung des Unfallereignisses durch den Kläger, vor allem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, deckt sich im Wesentlichen mit der Schilderung der Arbeitgeberin in der Unfallanzeige. Der Kläger wurde an Rücken und Schulter von dem schweren Maschinenteil getroffen und stürzte zu Boden, wobei er sich auch an der rechten Schulter stieß. Zu Recht weist z. B. auch der vom Kläger benannte Gutachter Prof. Dr. W. darauf hin, dass ein Schädelhirntrauma mit sechzehnminütiger Bewusstlosigkeit nach Aktenlage nicht dokumentiert ist. Es bestehen erhebliche Differenzen zwischen den vorliegenden Befunden - ausgehend von dem Durchgangsarztbericht des Dr. L. vom Unfalltag - und der späteren Darstellung der Schwere des Unfallereignisses durch den Kläger. Mehrere Gutachter verweisen auf die deutlichen Aggravationstendenzen des Klägers; auch objektiv ist festzuhalten, dass der Kläger weiterarbeiten konnte und vom Durchgangsarzt Arbeitsfähigkeit bescheinigt wurde.

Die Beklagte hat mit streitgegenständlichem Bescheid den Arbeitsunfall sowie als Unfallfolgen betreffend der linken Schulter festgestellt: „Nach einer Verrenkung des Schultereckgelenkes mit Zerrung des Kapsel-/Bandapparates (Rockwood I) bestehen noch: Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes, röntgenologische Veränderungen des Schultereckgelenkes mit Teilentfernung des äußeren Anteils des Schlüsselbeins, Kraftverlust des Armes, belastungsabhängige Beschwerden“. Von diesen Unfallfolgen ist zunächst auszugehen, auch wenn nach dem Gutachten des Dr. C. der Nachweis einer Schultereckgelenksverletzung links nicht als Unfallfolge gelingt.

Nach allen Gutachten ergibt sich darüber hinaus übereinstimmend, dass der festgestellte Bandscheibenvorfall BWK 3/4 keine Unfallfolge ist. Auch ergibt sich aus den orthopädischen Gutachten übereinstimmend, dass keine weiteren Unfallfolgen auf diesem Fachgebiet anzuerkennen sind.

Zu entscheiden ist über die Frage, ob sich hieraus ein Anspruch auf eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. ergibt. Das Vorliegen eines Stützrententatbestandes wird von den Beteiligten verneint. Darüber hinaus ist maßgebend, ob auch eine somatoforme Schmerzstörung besteht, die ebenfalls für die Bewertung der MdE zu berücksichtigen wäre.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 S. 2 SGB VII. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSGE 21, 63, 66; vom 26. November 1987, SozR 2200 § 581 Nr. 27; vom 30. Mai 1988, a. a. O., Nr. 28).

Dabei muss die Gesundheitsbeeinträchtigung in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z. B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.

Das Sozialgericht hat unter Berücksichtigung der Gutachten des Dr. K. dargelegt, dass auf orthopädischem Fachgebiet eine MdE von 20 v. H. nicht gegeben ist. Das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung hat das Sozialgericht unter Auswertung der Gutachten des Dr. D. und Prof. Dr. W. als nicht nachgewiesen beurteilt. Der Senat folgt dieser Einschätzung durch das Sozialgericht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dies bestätigte sich auch durch die Ermittlungen des Senats im Berufungsverfahren.

Auf orthopädischem Fachgebiet hat der Senat auf Antrag des Klägers das Gutachten des Dr. C. eingeholt, der nur als unfallbedingt eine Prellung des rechten Armes und der rechten Schulter sowie eine Prellung des linken Schulterblattes mit begleitender Schürfverletzung angenommen hat und deshalb im Ergebnis zu keiner MdE gelangt. Sämtliche Unfallfolgen sind nach Ansicht dieses Sachverständigen bis 12. Oktober 2006 folgenlos ausgeheilt. Eine stattgehabte Zerrverletzung des Schultereckgelenks vom Typ Rockwood I hat der Sachverständige als rein hypothetisch angesehen bzw. aufgrund der offensichtlich unfallzeitpunktnahen Beschwerdefreiheit am linken Schultereckgelenk ausgeschlossen. Diese stringente medizinische Bewertung steht, wie dargelegt, im Widerspruch zu den orthopädischen Vorgutachten des Dr. S., der als unfallbedingte Folge eine AC-Gelenksverletzung Typ Rockwood I linke Schulter sowie eine AC-Gelenksarthrose posttraumatisch ansah, und des Dr. K.. Letztere sah die im Unfall aufgetretene deutliche Gewalteinwirkung wenigstens als wesentliche Teilursache der aufgetretenen Schultereckgelenksschädigung an. Gemäß dem Gutachten des Dr. S. hat die Beklagte auch die orthopädischen Unfallfolgen anerkannt. Auch nach diesen beiden Gutachten ergibt sich jedoch keine MdE in Höhe von 20 v. H.

Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Fachliteratur. Während unkomplizierte Schultergelenksverrenkungen regelmäßig ohne nennenswerte Schäden ausheilen, ist bei den darüber hinausgehenden Beeinträchtigungen vor allem auf die Bewegungseinschränkungen abzustellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin (abgekürzt S/M/V), Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 520 und 523). Beim Kläger besteht ein Impingementsyndrom, d. h. ein Engpasssyndrom. Dr. K. konnte im Rahmen der Untersuchung keine reproduzierbare Bewegungseinschränkung insbesondere hinsichtlich der Überkopfbewegungen feststellen. Auch wenn der Kläger den linken Arm in Schonhaltung am Körper adduziert geführt hat, waren die gemessenen Bewegungsausmaße der Schultergelenke rechts und links identisch. Dr. C. stellte lediglich eine Abweichung bei Seithebung mit Schultergürtel fest (rechts 90 Grad, links 70 Grad); die aktive Schultervorhebung, nach S/M/V das Hauptkriterium (S/M/V, a. a. O; S. 523), war mit 90 Grad seitengleich. Die Entwicklung des Deltamuskels war seitengleich normal. Es zeigte sich links auch keine auffallende Atrophie oder Mindertonisierung. Eine MdE - zumindest in Höhe von 20 v. H. - lässt sich hieraus somit nicht ableiten.

Auf psychiatrischem Fachgebiet ist fraglich, ob eine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung nachgewiesen ist. Nach den im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Berichten wie des Dr. S. hat der Kläger Schmerzen im Bereich der linken Schulter; Dr. S. geht von einem chronischen Schmerzsyndrom an der linken Schulter aus. Die Beklagte hat auch belastungsabhängige Beschwerden - neben Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks - anerkannt.

Es finden sich auch einige ärztliche Dokumentationen wie das Gutachten des Prof. Dr. W., das Rentengutachten des Dr. M. oder der Arztbrief der Dr. W. vom 5. März 2014, die eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung beschreiben. Dabei ergibt sich aber andererseits auch aus diversen Ausführungen, dass eine deutliche Aggraviationstendenz des Klägers besteht. Ferner erfolgt nach Auskunft der behandelnden Neurologin Dr. W. entgegen der Empfehlungen der Gutachter bislang keine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung.

Dr. D. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass weder die Diagnose einer undifferenzierten somatoformen Schmerzstörung noch einer somatoformen Schmerzstörung belegt ist und erst recht nicht als Unfallfolge anzuerkennen ist. Eine psychische Störung ist erst ca. zwei Jahre nach dem Unfall dokumentiert. Die fachärztlichen Vorbefunde waren zwischen dem Unfallereignis und der ersten Befunderhebung unauffällig, so bei der Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. am 4. Oktober 2007. Auch aus dem Gutachten des Prof. Dr. W. ergeben sich hinsichtlich der Frage der Unfallkausalität - bei Annahme der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung - Anhaltspunkte für Zweifel auch des Sachverständigen, wenn er auf S. 84 seines Gutachtens ausführt: „Soweit der Kausalzusammenhang bejaht wird“. Darüber hinaus stellt der Sachverständige z. B. im Rahmen des strukturierten klinischen Interviews stark auf die Angaben des Klägers (z. B. auf S. 59: (...)“nach seinen Aussagen“) ab. Die Ursachen somatoformer Schmerzstörungen sind, wie Prof. Dr. W. auch ausführt, vielfältig. Es spielen die genetische Vulnerabilität sowie die Persönlichkeitseigenschaften eine wichtige Rolle. Der Unfall stellt somit auch nach Prof. Dr. W. nur eine Teilursache, wenn auch eine wesentliche, dar.

Die Neurologin und Psychiaterin Dr. R. diagnostizierte am 4. August 2008 erstmals eine somatoforme Schmerzstörung, es fiel aber bereits eine deutliche Somatisierungstendenz auf, die Beschwerdeschilderung war teils demonstrativ und kaum nachvollziehbar, Aggravationstendenzen waren nicht auszuschließen. Vor dem Hintergrund der erst spät dokumentierten psychischen Befunde und den Verdeutlichungstendenzen hält der Senat die Ausführung des Dr. D. für überzeugend, dass es sich insgesamt nicht um eine unfallbedingte Gesundheitsstörung, sondern um tendenzielle Verhaltensweisen im Sinne einer psychogenen Fehlverarbeitung tendenzieller Ausrichtung handelt. Der Sachverständige sieht hier die wesentliche Ursache nicht in dem Unfallereignis, sondern in den Persönlichkeitseigentümlichkeiten, so dass eine Berücksichtigung bei der MdE-Bewertung nicht erfolgen kann.

Auch die Unfallklinik M. ist bereits im Juli 2012 zu dem Ergebnis gelangt, nachdem die letzte MRT-Untersuchung ergeben hat, dass wesentliche Unfallfolgen nicht mehr nachgewiesen werden können, dass ein vernünftiger Behandlungsansatz fehlt. Es konnten weder Reizzustände noch andersartige Gewebeveränderungen festgestellt werden, die als Erklärung für die vorgetragene Schmerzhaftigkeit in der Schulter in Betracht kommen. Das Ausmaß der verbliebenen Unfallfolgen war objektiv aufgrund unverkennbarer Verdeutlichungstendenzen nur sehr schwer zu messen. Es wurde im Ergebnis eine erhebliche psychosomatische Überlagerung angenommen, so dass als der einzige denkbare Therapieansatz eine psychosomatische Behandlung vorgeschlagen wurde, allerdings zulasten der Krankenkasse.

Der Senat ist daher zu der Überzeugung gelangt, dass keine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung vorliegt, sondern eine Persönlichkeitseigentümlichkeit im Vordergrund steht. Aber auch bei Annahme einer Schmerzstörung ergäbe sich bei der Bewertung der MdE kein abweichendes Ergebnis, wie dies oben unter Bezugnahme auf die Fachliteratur bereits dargelegt wurde. Die beim Kläger festgestellten Bewegungsmaße lassen nur eine geringfügige Bewegungseinschränkung erkennen. Eine Muskeldifferenz im Bereich der Oberarme ist nicht gegeben. Dabei ist der Kläger von kräftiger Statur, der Muskelumfang 15 cm oberhalb des Gelenkspaltes wurde von Dr. C. mit jeweils 35 cm seitengleich gemessen. Dies spricht nicht für ein Ausmaß der Schmerzen, das zu einer MdE in Höhe von 20 v. H. führen würde.

Eine depressive Episode, wie von Dr. B./Dr. P. beschrieben, bestätigte sich in den letzten Gutachten nicht. Ausdrücklich weist hierauf auch Prof. Dr. W. hin.

Nicht ausreichend für die Gewährung einer Verletztenrente ist ein Vorbringen, vor dem Unfallereignis gesund gewesen zu sein und seitdem unter verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen einem Unfallereignis und Gesundheitsschäden ist nicht ausreichend.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.