Sozialgericht Karlsruhe Urteil, 20. Apr. 2017 - S 1 U 3641/16

bei uns veröffentlicht am20.04.2017

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls, um die Dauer unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit und um die Gewährung von Verletztenrente.
Der 19... geborene, seit Januar 20... als Kundenberater eines Versicherungsunternehmens beschäftigte Kläger erlitt am 17.09.2014 einen Arbeitsunfall: Auf dem Rückweg von einem Kunden und der Fahrt zu einem weiteren Kunden musste er an einer Ampel verkehrsbedingt anhalten, als ein anderes Fahrzeug von hinten auf seinen Pkw auffuhr. Am Unfallfolgetag suchte der Kläger den Orthopäden Dr. H. auf und klagte über Schmerzen im Nacken und Rücken und ein Ziehen im rechten Bein. Dr. H. erhob einen Muskelhartspann, Kopfschmerzen, eine schmerzhafte Beweglichkeit der Halswirbelsäule, Lumboischialgie-Schmerzen rechts und eine Stauchung von Wirbelsäule und des Beckens. Die Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule in zwei Ebenen belegte eine Steilstellung ohne Fraktur- oder Instabilitätszeichen. Dr. H. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen Kopfschmerzen, Muskelhärte und eine HWS-Distorsion. Die Erstversorgung erfolgte mittels Zervikalstütze und Medikamenten gegen Muskelverspannungen und Schmerzen (vgl. H-Arzt-Bericht vom 18.09.2014). Am 14.10.2014 begab sich der Kläger in Behandlung der HNO-Ärztin Dr. M.. Diese diagnostizierte einen beidseitigen Tinnitus und Schwindel und äußerte den Verdacht auf eine Contusio labyrinthi. Der von ihr erhobene Ohrenbefund war beidseits „o.B.“ (vgl. HNO-Arztbericht vom 14.10.2014). In ihrer Auskunft vom 10.11.2014 teilte Dr. M. der Beklagten mit, der Kläger berichte seit dem Unfallereignis u.a. über ein beidseitiges Ohrensausen und Pfeifen, links etwas stärker ausgeprägt als rechts; er empfinde die Ohrgeräusche als sehr störend (Schlafstörungen). Aktuell finde insoweit keine Therapie ihrerseits mehr statt. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund des Tinnitusleidens bewertete Dr. M. mit 10 v.H..
Im Rahmen der weiteren Sachaufklärung zog die Beklagte Behandlungsunterlagen der HNO-Klinik des S. Klinikums K-Stadt (Behandlung dort wegen Neuropathia vestibularis links im Juli 2009), das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK K-Stadt (u.a. Behandlung wegen Tinnitus aurium im April 2014) sowie das von Dr. M. am 12.12.2014 erstellte Ton- und Sprachaudiogramm bei. Außerdem holte sie Befundberichte des Neurologen Dr. R. und des Dr. H. ein. Ein von diesem veranlasstes MRT des Neurocraniums ergab keinen krankhaften Befund (vgl. Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015). Zur Feststellung von Art und Ausmaß der Unfallfolgen ließ die Beklagte den Kläger sodann durch den HNO-Arzt Dr. G. und den Orthopäden Dr. C. untersuchen und begutachten.
Dr. G. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen eine Hochtoninnenohrschwerhörigkeit beidseits bei ton- und sprachaudiometrisch nachgewiesener Normalhörigkeit und einen chronischen Tinnitus mit psychovegetativen Begleiterscheinungen. Das Unfallereignis vom September 2014 sei mit Wahrscheinlichkeit Ursache oder wesentliche Teilursache des Tinnitusleidens. Die unfallbedingte MdE hierfür bewertete Dr. G. mit 10 v.H. .
Bei der Untersuchung und Begutachtung durch Dr. C. gelang die Rotation der Halswirbelsäule beidseits bis 60° und die Seitneigung bis jeweils 40°. Die Vor- und Rückbeugung des Kopfes konnte der Kläger bis zu einem Kinn-Brustbein-Abstand von 0/17 cm verrichten. Bei der Rumpfbeuge nach vorn verblieb ein Finger-Boden-Abstand von 13 cm. Dr. C. erhob ein Ott’sches-Zeichen von 30/31,5 cm und ein Schober’sches-Zeichen von 10/14,5 cm. Das Nervendehnungszeichen nach Lasègue war beidseits negativ. Die Nachbefundung der von Dr. H. am 18.09.2014 angefertigten Röntgenbilder der Halswirbelsäule ergab eine Steilstellung ohne knöchernen Verletzungsbefund und ohne Hinweise auf eine ventrale oder dorsale Instabilität. Auch bei der Nachbefundung von Röntgenbildern der Lendenwirbelsäule objektivierte Dr. C. einen im Wesentlichen unauffälligen Befund und diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein myalgisches HWS-Syndrom und rezidivierende Lumbalgien mit lumbalen und/oder thorakalen Blockierungen, jeweils ohne sensomotorische Ausfälle der Extremitäten und ohne relevante Funktionseinschränkung. Durch das Unfallereignis habe der Kläger eine Distorsion I. Grades der Hals- und wahrscheinlich auch der Lendenwirbelsäule erlitten. Die geklagten Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule ließen sich jedoch nicht mehr mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen, weil keine substantiellen Schäden zu objektivieren seien, die eine derart lange Beschwerdedauer plausibel erklären könnten. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe längstens bis zum 09.11.2014 bestanden. Eine messbare MdE auf seinem Fachgebiet sei nicht verblieben.
Gestützt auf diese Gutachten und eine beratungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. J. anerkannte die Beklagte das Unfallereignis als Arbeitsunfall und als dessen Folge
„Folgenlos ausgeheilte Distorsion der Hals- und Lendenwirbelsäule.“
Keine Folgen des Arbeitsunfalls, und zwar weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung, seien eine Hochton-Innenohrschwerhörigkeit beidseits und ein chronischer Tinnitus des linken Ohres mit psychovegetativen Begleiterscheinungen: Der Unfallhergang sei nicht geeignet gewesen, diese Gesundheitsstörungen zu bewirken. Für die Anerkennung eines traumatischen Tinnitus als Unfallfolge sei schon ein geeigneter Gesundheitserstschaden nicht erwiesen. Allein ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem Tinnitus und einem Arbeitsunfallereignis begründe keinen ursächlichen Zusammenhang. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe bis zum 09.11.2014 bestanden. Anspruch auf Verletztenrente habe der Kläger nicht, weil seine Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert sei (Bescheid vom 22.09.2015).
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, die Unfallfolgen im Bereich der Wirbelsäule seien nicht folgenlos ausgeheilt. Zu Unrecht habe die Beklagte auch die Anerkennung seines Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen und die chronischen Schwindelanfällen als Unfallfolgen versagt. Seit Ende März 2015 befinde er sich in psychotherapeutischer Behandlung. Außerdem habe er wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden eine stationäre Schmerztherapie durchgeführt. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten daher über dem 09.11.2014 hinaus bestanden. Zu Unrecht habe die Beklagte weiter einen Anspruch auf Verletztenrente versagt. Zur Stützung seines Widerspruchsbegehrens legte der Kläger das Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vor.
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Die Beklagte veranlasste weitere Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers durch den HNO-Arzt Dr. Z. und den Orthopäden Prof. Dr. Sch.:
11 
Dr. Z. gegenüber gab der Kläger u.a. an, der Unfall sei „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Er sei danach aus seinem Fahrzeug gestiegen und habe mit dem Unfallverursacher „das Ganze geregelt“. Danach habe er noch einen weiteren Kundentermin wahrgenommen. In Auswertung der von ihm erhobenen Befunde und unter Einbeziehung des vom Kläger überreichten Attestes des Allgemeinmediziners Dr. W. führte Dr. Z. zusammenfassend aus, durch den Arbeitsunfall sei es nicht mit Wahrscheinlichkeit zu einem wesentlichen unfallbedingten Innenohrgeschehen gekommen. Bereits im November 2011 habe Dr. W. den Kläger wegen einer Hörstörung und Schwindel behandelt. Im Juli 2013 habe der Kläger diesem gegenüber einen durch Stress vermehrten Tinnitus angegeben; Dr. W. habe den Kläger außerdem im April 2014 wegen verstärkter Ohrgeräusche erneut behandelt. Damit habe bereits vor dem Arbeitsunfallereignis eine Tinnitussymptomatik vorgelegen. Weiter erfordere ein traumatischer Tinnitus den Nachweis anderer objektivierbarer Störungen des Innenohrs. Solche seien indes nicht nachzuweisen. Denn die vestibuläre Gleichgewichtsdiagnostik habe einen Normalbefund ergeben; das Hörvermögen des Klägers sei nicht altersübersteigernd gemindert. Auf seinem Fachgebiet lägen mithin keine Unfallfolgen vor. Das Unfallereignis habe auch nicht zu einer Verschlimmerung vorbestehender Gesundheitsstörungen geführt.
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Prof. Dr. Sch. legte zusammenfassend dar, er habe keine Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und keine neurologische Defizite objektiviert. Beschwerden bestünden allein bei endgradigen Rotations- und Inklinationsbewegungen. Unmittelbare Unfallfolgen seien eine HWS-Distorsion Grad I und eine Prellung der Lendenwirbelsäule. Beide Gesundheitsstörungen heilten nach ärztlichen Erfahrungen innerhalb von vier bis sechs Wochen folgenlos aus. Symptome wie überdauernder Schwindel, Tinnitus und Schlaf- oder Konzentrationsstörungen seien für eine HWS-Distorsion Grad I untypisch. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit auf seinem Fachgebiet habe für etwa eine Woche vorgelegen, Behandlungsbedürftigkeit bis allenfalls sechs Wochen nach dem Unfallereignis. Darauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.09.2016).
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Deswegen hat der Kläger am 26.10.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er unter Wiederholung seines Widerspruchsvorbringens sein Begehren weiterverfolgt.
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Mit Schriftsatz vom 19.01.2017 hat der Kläger beantragt, gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf sein Kostenrisiko ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. P., K-Stadt, einzuholen. Mit Verfügung vom 23.01.2017 hat die Kammer dem Kläger über seine Prozessbevollmächtigten die Auflagen erteilt, bis zum 17.02.2017 einen näher bezeichneten Kostenvorschuss einzuzahlen, eine von ihm unterschriebene Kostenverpflichtungserklärung zurückzusenden und durch geeignete Unterlagen die Bereitschaft der als Sachverständige benannten Ärztin nachzuweisen, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtenauftrags zu erstellen und vorzulegen. Innerhalb der Frist hat der Kläger zwar den Kostenvorschuss einbezahlt und die Kostenverpflichtungserklärung vorgelegt, nicht jedoch die Bereitschaftsanzeige von Prof. Dr. P..
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 22. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, „Distorsion der Hals- und Lendenwirbelsäule mit Schwindelattacken, chronischer Tinnitus mit psychovegetativen Begleiterscheinungen, Somatisierungsstörungen, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen“ als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. September 2014, außerdem unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit über den 09. November 2014 hinaus anzuerkennen und ihm wegen der Unfallfolgen Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. der Vollrente zu gewähren,
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hilfsweise gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. P., K-Stadt, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
21 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 und § 56 SGG zulässig (zum Wahlrecht eines Unfallversicherten, den Anspruch auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen: BSG SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Rdnr. 12 m.W. N.) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Weder sind weitere Gesundheitsstörungen als Folge des streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignisses anzuerkennen (dazu nachfolgend unter 3.) noch war der Kläger über den 09.11.2014 hinaus unfallbedingt arbeitsunfähig und/oder behandlungsbedürftig (dazu nachfolgend unter 4.). Er hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls auch keinen Anspruch auf Verletztenrente (dazu nachfolgend unter 5).
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1. Dass der Kläger am 17.09.2014 auf einem sogenannten Betriebsweg (vgl. hierzu BSG vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 20 m.W. N. und Wagner in jurisPK-SGB VII, Stand 30.06.2016, § 8, Rdnr. 78 m.W. N.) bei seiner versicherten Tätigkeit als Kundenberater (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung -) einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 22.09.2015 ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht nicht umstritten.
24 
2. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften des SGB VII und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch Anspruch auf Heilbehandlung, einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 27 ff SGB VII) sowie auf Geldleistungen u.a. in Form von Verletztenrente (§ 56 SGB VII). Die Gewährung von Verletztenrente setzt voraus, dass die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII).
25 
a) Dies setzt voraus, dass Schäden, die zu einer Erwerbsminderung geführt haben, „infolge“ Versicherungsfalls entstanden sind. Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen deshalb (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).
26 
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
27 
b) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rdnrn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSGE 1, 72, 76).
28 
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (B 2 U 1/05 R <= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17> und B 2 U 26/04 R<= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff>) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:
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Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen „Erfolg“ rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als „wesentlich“ anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache „der Erfolg“ eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245 und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht „wesentlich“ und damit keine Ursache i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet werden (vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 und BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860 ff).
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3. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.
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3.1. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 17.09.2014 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Dres. Z. und C. und des Prof. Dr. Sch., deren Gutachten sie im Wege des Urkundenbeweises (vgl. BSG vom 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87 -, Rdnr. 17 und LSG Baden-Württemberg vom 25.08.2016 - L 6 VG 3508/12, Rdnr. 61 ) verwertet, hinsichtlich der erhobenen Befunde auf HNO-fachärztlichem Gebiet ferner auf das ebenfalls urkundenbeweislich verwertete Gutachten von Dr. G. und das Attest des Allgemeinmediziners Dr. W. vom 15.12.2015.
32 
a) Auf orthopädischem Fachgebiet hat das Unfallereignis mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließt, eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der Halswirbelsäule I. Grades und eine allenfalls leichte Prellung der Lendenwirbelsäule bewirkt. Dies belegen bereits die von Dr. H. am Unfallfolgetag erhobenen Befunde im Sinne eines Muskelhartspanns, von Kopfschmerzen, einer schmerzhaften Beweglichkeit der Halswirbelsäule und von Schmerzen im Lendenwirbelsäulen- und Beckenbereich. Die an diesem Tag erhobenen Röntgenbefunde ergaben keinen Hinweis auf strukturelle Unfallschäden, insbesondere keine Frakturzeichen oder Instabilitäten. Eine unfallbedingte Dissektion (= Verletzung) der Halsgefäße hat Dr. R. bei der Untersuchung am 08.12.2014 ebenfalls ausgeschlossen. Auch das Kernspintomogramm des Neurocraniums war unauffällig und ohne Hinweis auf einen raumfordernden, entzündlichen oder ischämischen Prozess oder sonstige krankhafte Veränderungen, wie sich aus dem Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015 ergibt. Überdauernde Funktionseinschränkungen der Hals-, Brust- oder Lendenwirbelsäule haben oder substantielle Wirbelsäulenschäden Dr. C. und Prof. Dr Sch. nicht objektiviert. Vielmehr lagen die von ihnen erhobenen Bewegungsausmaße in allen Wirbelsäulenabschnitten innerhalb der physiologischen Normwerte und bestanden auch keine neurologischen Defizite der oberen und/oder unteren Extremitäten. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer auch insoweit anschließt, waren die HWS-Distorsion und die Prellung der Lendenwirbelsäule nach allgemeinen ärztlichen Erfahrungen nach vier bis längstens sechs Wochen folgenlos ausgeheilt.
33 
b) Gesundheitsstörungen auf HNO-fachärztlichem Gebiet in Form eines chronischen Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen (Somatisierungsstörungen, Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen) sind ebenfalls nicht als weitere Unfallfolgen anzuerkennen. Denn der Tinnitus ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Ereignis vom 17.09.2014 zurückzuführen. Insoweit fehlt es bereits am Nachweis eines unfallbedingten Gesundheitserstschadens. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. hat der Kläger - wie oben unter 3.1. a) bereits ausgeführt, unfallbedingt eine HWS-Distorsion Grad I erlitten. Diese Gesundheitsstörung geht nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. Sch. anfangs zwar mit Schmerzen der Halsmuskulatur und gegebenenfalls begleitenden Bewegungseinschränkungen einher, wobei zumeist ein symptomfreies Intervall auftritt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 480 ff). Symptome wie persistierender Schwindel, Tinnitus, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen sind hierfür indes mit Prof. Dr. Sch. untypisch.
34 
Gegen die Wahrscheinlichkeit eines unfallbedingten Tinnitus und daraus resultierenden unfallbedingten psychovegetativen Begleitschäden spricht mit Dr. Z. außerdem der Umstand, dass der Kläger bereits zeitlich deutlich vor dem Unfallereignis am 17.09.2014, nämlich schon im November 2011, bei Dr. W. u.a. wegen Schwindelerscheinungen und im Juni 2013 und erneut im April 2014 auch wegen Tinnitusbeschwerden in Behandlung stand. Als Ursache der Tinnitusbeschwerden gab der Kläger Dr. W. gegenüber seinerzeit „Stress“ an, wie sich aus dessen Attest vom 15.12.2015 ergibt. Diese Umstände belegen, dass die Tinnitus-Symptomatik mit Schwindelerscheinungen schon vor dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall bestand.
35 
Überdies setzt ein traumatischer Tinnitus nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Dr. Z. voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu u.a. LSG Baden-Württemberg vom 28.01.2011 - L 8 U 1205/10 -, Rdnr. 27, LSG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2014 - L 3 U 57/11 -, Rdnr. 29 f. und LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2015 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 f. ; ferner Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 7. Aufl. 2012, S. 361, 364 und 370). Dies entspricht auch den Erfahrungen des erkennenden Gerichts aus vergleichbaren Unfallversicherungsrechtstreitigkeiten (vgl. zuletzt Urteil vom 24.02.2017 - S 1 U 175/15 - ). Bei der Untersuchung durch die HNO-Ärztin Dr. M. am 14.10.2014, mithin zeitnah nach dem Unfallereignis, war der Befund an beiden Ohren indes normal („o.B.“). Auch die Dres. G. und Z. konnten bei ihren Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers keine unfallbedingte Schädigung des Innenohrs objektivieren: Weder fand sich eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, noch ergab die Gleichgewichtsdiagnostik einen krankhaften Befund. Insbesondere die von beiden Ärzten durchgeführten ton- und sprachaudiometrischen Untersuchungen des Hörvermögens erbrachten keinen messbaren Hörverlust.
36 
Typisch für ein traumatisches Tinnitusleiden ist außerdem dessen Ansiedlung im tief- bis mittelfrequenten Bereich (vgl. hierzu LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2005 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 und Urteil des erkennenden Gerichts vom 19.10.2015 - S 1 U 3219/14 - ). Das linksseitige Ohrgeräusch des Klägers ist indes nach den übereinstimmenden Darlegungen der Dres. G. und Z. bei 4 kHz, mithin im Hochtonbereich, zu lokalisieren.
37 
Weiter entspricht es medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand, dass zwar nach einer - hier nicht nachgewiesenen - commotio labyrinthi ein Innenohrschaden im Sinne einer Hochtonsenke mit Begleittinnitus auftreten kann. Auch in diesem Fall ist jedoch ein alleiniger Tinnitus ohne gleichzeitigen Hörverlust nicht erklärbar. Letzteres gilt erst recht bei einem HWS-Beschleunigungstrauma, weil keine neuroanatomischen Verbindungen zwischen der Halswirbelsäule, insbesondere den Kapseln der Kopfgelenke, und den Cochleariskernen existieren bzw. nur schwer nachzuweisen sind (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 370 m.W. N.).
38 
Soweit Dr. G. gleichwohl das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit als Ursache oder zumindest als Teilursache des Tinnitusleidens des Klägers erachtet, folgt ihm das erkennende Gericht aus den vorgenannten Gründen nicht. Ein - angesichts der Vorbehandlungen bei Dr. W. ohnedies nicht gegebener - rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem versicherten Unfallereignis und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen reicht nämlich nicht aus, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Rechtssinn zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - Rdnr. 20 und - im Ergebnis - BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; ferner Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 6 U 142/11 -, Rdnr. 41 und Bay. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 ).
39 
Das Unfallereignis vom 17.09.2014 hat auch nicht zu einer Verschlimmerung des vorbestehenden Tinnitus geführt, weil eine unfallbedingte Verschlimmerung ebenfalls mit einer nachweisbaren akuten Hörminderung hätte einhergehen müssen, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Eine unfallbedingte Hörminderung ist indes weder durch die Arztbriefe und Berichte der HNO-Ärztin Dr. M. noch durch die von den Dres. G. und Z. erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen belegt. Im Übrigen ließe sich eine Verschlimmerung eines vorbestehenden Tinnitus audiometrisch auch nicht messen (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 371).
40 
c) Die vom Kläger geltend gemachten psychischen Begleiterscheinungen sind auch im Übrigen nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfallereignisses vom 17.09.2014. Denn dieses war zur Überzeugung der Kammer schon dem Grunde nach nicht geeignet, entsprechende Gesundheitsstörungen zu bewirken. Dagegen sprechen bereits die eigenen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Z.: Danach war das Unfallereignis „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Auch das situationsgerechte Verhalten des Klägers an der Unfallstelle (Aussteigen aus dem Pkw, um mit dem Unfallverursacher „das Ganze“ zu regeln) und das Aufsuchen eines weiteren Kunden nach Beendigung der Unfallformalitäten spricht sehr deutlich gegen ein gravierendes traumatisches Ereignis. Eine posttraumatische Belastungsstörung hat - entgegen dem Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vom 23.09.2015 - zu keinem Zeitpunkt vorgelegen, weil Art und Ausmaß des Unfallereignisses nicht das Traumakriterium im Sinne der ICD 10, des DSM-4 oder DSM-5 (belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde) erfüllten. Überdies waren die neurologischen, neuropsychologischen und psychischen Untersuchungsbefunde bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. R. am 08.12.2014, und damit zeitnah nach dem Unfallereignis, nahezu unauffällig. Der von Dr. R. damals geäußerte „Verdacht auf Belastungsreaktion“ stellt keinen Nachweis einer solchen Gesundheitsstörung dar und begründet insbesondere nicht die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis.
41 
Vor diesem Hintergrund hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzuerkennen.
42 
3.2. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. ist die Kammer weiter davon überzeugt, dass unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 09.11.2014 vorgelegen haben. Denn eine HWS-Distorsion I. Grades heilt nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen innerhalb einer Zeitspanne von vier bis längstens sechs Wochen folgenlos aus, wie Prof. Dr. Sch. zutreffend dargelegt hat (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 489). Auf HNO-fachärztlichem Gebiet hat mangels Nachweises unfallbedingter Gesundheitsstörungen zu keinem Zeitpunkt eine Behandlungsbedürftigkeit bestanden, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend ausgeführt hat.
43 
3.3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Denn abgeheilte Unfallfolgen verursachen ersichtlich keine messbare MdE. Dies bedarf keiner weiteren Begründung.
44 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
45 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei der HNO-Ärztin Prof. Dr. P., K-Stadt, war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 23.01.2017 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 17.02.2017 nicht vollständig erfüllt.
46 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG Karlsruhe vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.W. N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes „ … insbesondere …“ ergibt (vgl. Urteile des erkennenden Gerichts vom 23.03.2017 - S 1 SB 2687/16 -, Rn. 40 und vom 20.04.2017 - S 1 U 2039/16 -).
47 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Prof. Dr. P. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 23.01.2017 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung der benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck textlich noch hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.04.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
48 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

Gründe

 
22 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 und § 56 SGG zulässig (zum Wahlrecht eines Unfallversicherten, den Anspruch auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen: BSG SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Rdnr. 12 m.W. N.) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Weder sind weitere Gesundheitsstörungen als Folge des streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignisses anzuerkennen (dazu nachfolgend unter 3.) noch war der Kläger über den 09.11.2014 hinaus unfallbedingt arbeitsunfähig und/oder behandlungsbedürftig (dazu nachfolgend unter 4.). Er hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls auch keinen Anspruch auf Verletztenrente (dazu nachfolgend unter 5).
23 
1. Dass der Kläger am 17.09.2014 auf einem sogenannten Betriebsweg (vgl. hierzu BSG vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 20 m.W. N. und Wagner in jurisPK-SGB VII, Stand 30.06.2016, § 8, Rdnr. 78 m.W. N.) bei seiner versicherten Tätigkeit als Kundenberater (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung -) einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 22.09.2015 ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht nicht umstritten.
24 
2. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften des SGB VII und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch Anspruch auf Heilbehandlung, einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 27 ff SGB VII) sowie auf Geldleistungen u.a. in Form von Verletztenrente (§ 56 SGB VII). Die Gewährung von Verletztenrente setzt voraus, dass die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII).
25 
a) Dies setzt voraus, dass Schäden, die zu einer Erwerbsminderung geführt haben, „infolge“ Versicherungsfalls entstanden sind. Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen deshalb (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).
26 
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
27 
b) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rdnrn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSGE 1, 72, 76).
28 
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (B 2 U 1/05 R <= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17> und B 2 U 26/04 R<= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff>) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:
29 
Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen „Erfolg“ rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als „wesentlich“ anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache „der Erfolg“ eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245 und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht „wesentlich“ und damit keine Ursache i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet werden (vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 und BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860 ff).
30 
3. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.
31 
3.1. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 17.09.2014 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Dres. Z. und C. und des Prof. Dr. Sch., deren Gutachten sie im Wege des Urkundenbeweises (vgl. BSG vom 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87 -, Rdnr. 17 und LSG Baden-Württemberg vom 25.08.2016 - L 6 VG 3508/12, Rdnr. 61 ) verwertet, hinsichtlich der erhobenen Befunde auf HNO-fachärztlichem Gebiet ferner auf das ebenfalls urkundenbeweislich verwertete Gutachten von Dr. G. und das Attest des Allgemeinmediziners Dr. W. vom 15.12.2015.
32 
a) Auf orthopädischem Fachgebiet hat das Unfallereignis mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließt, eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der Halswirbelsäule I. Grades und eine allenfalls leichte Prellung der Lendenwirbelsäule bewirkt. Dies belegen bereits die von Dr. H. am Unfallfolgetag erhobenen Befunde im Sinne eines Muskelhartspanns, von Kopfschmerzen, einer schmerzhaften Beweglichkeit der Halswirbelsäule und von Schmerzen im Lendenwirbelsäulen- und Beckenbereich. Die an diesem Tag erhobenen Röntgenbefunde ergaben keinen Hinweis auf strukturelle Unfallschäden, insbesondere keine Frakturzeichen oder Instabilitäten. Eine unfallbedingte Dissektion (= Verletzung) der Halsgefäße hat Dr. R. bei der Untersuchung am 08.12.2014 ebenfalls ausgeschlossen. Auch das Kernspintomogramm des Neurocraniums war unauffällig und ohne Hinweis auf einen raumfordernden, entzündlichen oder ischämischen Prozess oder sonstige krankhafte Veränderungen, wie sich aus dem Arztbrief des Radiologen Dr. F. vom 19.01.2015 ergibt. Überdauernde Funktionseinschränkungen der Hals-, Brust- oder Lendenwirbelsäule haben oder substantielle Wirbelsäulenschäden Dr. C. und Prof. Dr Sch. nicht objektiviert. Vielmehr lagen die von ihnen erhobenen Bewegungsausmaße in allen Wirbelsäulenabschnitten innerhalb der physiologischen Normwerte und bestanden auch keine neurologischen Defizite der oberen und/oder unteren Extremitäten. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch., deren übereinstimmenden Darlegungen sich die Kammer auch insoweit anschließt, waren die HWS-Distorsion und die Prellung der Lendenwirbelsäule nach allgemeinen ärztlichen Erfahrungen nach vier bis längstens sechs Wochen folgenlos ausgeheilt.
33 
b) Gesundheitsstörungen auf HNO-fachärztlichem Gebiet in Form eines chronischen Tinnitus links mit psychovegetativen Begleiterscheinungen (Somatisierungsstörungen, Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen sowie Ein- und Durchschlafstörungen) sind ebenfalls nicht als weitere Unfallfolgen anzuerkennen. Denn der Tinnitus ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Ereignis vom 17.09.2014 zurückzuführen. Insoweit fehlt es bereits am Nachweis eines unfallbedingten Gesundheitserstschadens. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. hat der Kläger - wie oben unter 3.1. a) bereits ausgeführt, unfallbedingt eine HWS-Distorsion Grad I erlitten. Diese Gesundheitsstörung geht nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. Sch. anfangs zwar mit Schmerzen der Halsmuskulatur und gegebenenfalls begleitenden Bewegungseinschränkungen einher, wobei zumeist ein symptomfreies Intervall auftritt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 480 ff). Symptome wie persistierender Schwindel, Tinnitus, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen sind hierfür indes mit Prof. Dr. Sch. untypisch.
34 
Gegen die Wahrscheinlichkeit eines unfallbedingten Tinnitus und daraus resultierenden unfallbedingten psychovegetativen Begleitschäden spricht mit Dr. Z. außerdem der Umstand, dass der Kläger bereits zeitlich deutlich vor dem Unfallereignis am 17.09.2014, nämlich schon im November 2011, bei Dr. W. u.a. wegen Schwindelerscheinungen und im Juni 2013 und erneut im April 2014 auch wegen Tinnitusbeschwerden in Behandlung stand. Als Ursache der Tinnitusbeschwerden gab der Kläger Dr. W. gegenüber seinerzeit „Stress“ an, wie sich aus dessen Attest vom 15.12.2015 ergibt. Diese Umstände belegen, dass die Tinnitus-Symptomatik mit Schwindelerscheinungen schon vor dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall bestand.
35 
Überdies setzt ein traumatischer Tinnitus nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Dr. Z. voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu u.a. LSG Baden-Württemberg vom 28.01.2011 - L 8 U 1205/10 -, Rdnr. 27, LSG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2014 - L 3 U 57/11 -, Rdnr. 29 f. und LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2015 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 f. ; ferner Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 7. Aufl. 2012, S. 361, 364 und 370). Dies entspricht auch den Erfahrungen des erkennenden Gerichts aus vergleichbaren Unfallversicherungsrechtstreitigkeiten (vgl. zuletzt Urteil vom 24.02.2017 - S 1 U 175/15 - ). Bei der Untersuchung durch die HNO-Ärztin Dr. M. am 14.10.2014, mithin zeitnah nach dem Unfallereignis, war der Befund an beiden Ohren indes normal („o.B.“). Auch die Dres. G. und Z. konnten bei ihren Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers keine unfallbedingte Schädigung des Innenohrs objektivieren: Weder fand sich eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, noch ergab die Gleichgewichtsdiagnostik einen krankhaften Befund. Insbesondere die von beiden Ärzten durchgeführten ton- und sprachaudiometrischen Untersuchungen des Hörvermögens erbrachten keinen messbaren Hörverlust.
36 
Typisch für ein traumatisches Tinnitusleiden ist außerdem dessen Ansiedlung im tief- bis mittelfrequenten Bereich (vgl. hierzu LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2005 - L 1 U 168/03 -, Rdnr. 33 und Urteil des erkennenden Gerichts vom 19.10.2015 - S 1 U 3219/14 - ). Das linksseitige Ohrgeräusch des Klägers ist indes nach den übereinstimmenden Darlegungen der Dres. G. und Z. bei 4 kHz, mithin im Hochtonbereich, zu lokalisieren.
37 
Weiter entspricht es medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand, dass zwar nach einer - hier nicht nachgewiesenen - commotio labyrinthi ein Innenohrschaden im Sinne einer Hochtonsenke mit Begleittinnitus auftreten kann. Auch in diesem Fall ist jedoch ein alleiniger Tinnitus ohne gleichzeitigen Hörverlust nicht erklärbar. Letzteres gilt erst recht bei einem HWS-Beschleunigungstrauma, weil keine neuroanatomischen Verbindungen zwischen der Halswirbelsäule, insbesondere den Kapseln der Kopfgelenke, und den Cochleariskernen existieren bzw. nur schwer nachzuweisen sind (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 370 m.W. N.).
38 
Soweit Dr. G. gleichwohl das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit als Ursache oder zumindest als Teilursache des Tinnitusleidens des Klägers erachtet, folgt ihm das erkennende Gericht aus den vorgenannten Gründen nicht. Ein - angesichts der Vorbehandlungen bei Dr. W. ohnedies nicht gegebener - rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem versicherten Unfallereignis und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen reicht nämlich nicht aus, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Rechtssinn zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - Rdnr. 20 und - im Ergebnis - BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; ferner Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 6 U 142/11 -, Rdnr. 41 und Bay. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 ).
39 
Das Unfallereignis vom 17.09.2014 hat auch nicht zu einer Verschlimmerung des vorbestehenden Tinnitus geführt, weil eine unfallbedingte Verschlimmerung ebenfalls mit einer nachweisbaren akuten Hörminderung hätte einhergehen müssen, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Eine unfallbedingte Hörminderung ist indes weder durch die Arztbriefe und Berichte der HNO-Ärztin Dr. M. noch durch die von den Dres. G. und Z. erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen belegt. Im Übrigen ließe sich eine Verschlimmerung eines vorbestehenden Tinnitus audiometrisch auch nicht messen (vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., S. 371).
40 
c) Die vom Kläger geltend gemachten psychischen Begleiterscheinungen sind auch im Übrigen nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfallereignisses vom 17.09.2014. Denn dieses war zur Überzeugung der Kammer schon dem Grunde nach nicht geeignet, entsprechende Gesundheitsstörungen zu bewirken. Dagegen sprechen bereits die eigenen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Z.: Danach war das Unfallereignis „eigentlich kein schwerer Unfall“ gewesen. Auch das situationsgerechte Verhalten des Klägers an der Unfallstelle (Aussteigen aus dem Pkw, um mit dem Unfallverursacher „das Ganze“ zu regeln) und das Aufsuchen eines weiteren Kunden nach Beendigung der Unfallformalitäten spricht sehr deutlich gegen ein gravierendes traumatisches Ereignis. Eine posttraumatische Belastungsstörung hat - entgegen dem Attest des Psychologischen Psychotherapeuten S. vom 23.09.2015 - zu keinem Zeitpunkt vorgelegen, weil Art und Ausmaß des Unfallereignisses nicht das Traumakriterium im Sinne der ICD 10, des DSM-4 oder DSM-5 (belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde) erfüllten. Überdies waren die neurologischen, neuropsychologischen und psychischen Untersuchungsbefunde bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. R. am 08.12.2014, und damit zeitnah nach dem Unfallereignis, nahezu unauffällig. Der von Dr. R. damals geäußerte „Verdacht auf Belastungsreaktion“ stellt keinen Nachweis einer solchen Gesundheitsstörung dar und begründet insbesondere nicht die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis.
41 
Vor diesem Hintergrund hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, weitere Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzuerkennen.
42 
3.2. Mit Dr. C. und Prof. Dr. Sch. ist die Kammer weiter davon überzeugt, dass unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 09.11.2014 vorgelegen haben. Denn eine HWS-Distorsion I. Grades heilt nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen innerhalb einer Zeitspanne von vier bis längstens sechs Wochen folgenlos aus, wie Prof. Dr. Sch. zutreffend dargelegt hat (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 489). Auf HNO-fachärztlichem Gebiet hat mangels Nachweises unfallbedingter Gesundheitsstörungen zu keinem Zeitpunkt eine Behandlungsbedürftigkeit bestanden, wie Dr. Z. auch insoweit zutreffend ausgeführt hat.
43 
3.3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Denn abgeheilte Unfallfolgen verursachen ersichtlich keine messbare MdE. Dies bedarf keiner weiteren Begründung.
44 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
45 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei der HNO-Ärztin Prof. Dr. P., K-Stadt, war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 23.01.2017 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 17.02.2017 nicht vollständig erfüllt.
46 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG Karlsruhe vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.W. N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes „ … insbesondere …“ ergibt (vgl. Urteile des erkennenden Gerichts vom 23.03.2017 - S 1 SB 2687/16 -, Rn. 40 und vom 20.04.2017 - S 1 U 2039/16 -).
47 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Prof. Dr. P. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 23.01.2017 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung der benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck textlich noch hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.04.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
48 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

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(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach d

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

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(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst

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Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

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(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprech

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(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. (2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

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(1) Versicherte haben nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Sozialen

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 27 Umfang der Heilbehandlung


(1) Die Heilbehandlung umfaßt insbesondere 1. Erstversorgung,2. ärztliche Behandlung,3. zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz,4. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln,5. häusliche Krankenpflege,6. Be

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2015 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. April 2014 zurückgewiesen.

Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Die Klägerin ist beim Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz beschäftigt. Sie arbeitet aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber zur Regelung der Telearbeit auf einem in ihrer Wohnung eingerichteten Telearbeitsplatz. Die Arbeitsmittel werden danach vom Dienstherrn zur Verfügung gestellt und dürfen nicht für private Zwecke genutzt werden. Die häusliche Arbeitsstätte wird hingegen von der Klägerin kostenlos bereit gestellt. Der Arbeitsplatz ist im Dachgeschoss des Wohngebäudes gelegen, in dem sich außerdem ein kleines Bad, das Arbeitszimmer des Ehemanns der Klägerin sowie ein Schlafraum befinden. Diese Räume sind über eine Treppe zu erreichen. Im Erdgeschoss liegen Küche, Wohnzimmer und ein weiteres Bad.

3

Die Klägerin, die unter Asthma sowie COPD leidet und daher mehrmals am Tag viel trinken muss, arbeitete am 21.9.2012 an ihrem Telearbeitsplatz. Weil die mitgenommenen Wasserflaschen bereits leer waren, verließ sie ihren Arbeitsplatz, um in der Küche Wasser zu holen. Auf der Treppe rutschte sie ab, knickte mit dem linken Fuß um und erlitt dadurch eine Metatarsale V Schrägfraktur links.

4

Die beklagte Unfallkasse lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab (Bescheid vom 11.10.2012, Widerspruchsbescheid vom 5.11.2012). Das SG Mainz hat die Klage abgewiesen. Ein Weg zur Nahrungsaufnahme sei nur dann vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst, wenn er durch die Notwendigkeit geprägt sei, persönlich am Beschäftigungsort anwesend zu sein. Die Klägerin habe hingegen den von ihr beherrschten privaten Bereich nicht verlassen und sich nur Risiken ausgesetzt, die aus dem privaten Bereich stammten (Urteil vom 29.4.2014). Das LSG Rheinland-Pfalz hat das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Unfallkasse verurteilt, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls vom 21.9.2012 anzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Betriebsweg zurückgelegt. Insoweit komme es darauf an, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignet hat, wesentlich auch Betriebszwecken diene. Das sei der Fall, weil die Klägerin ihren Arbeitsplatz ausschließlich über die Treppe erreichen könne. Das Begehen der Treppe habe zum Unfallzeitpunkt auch im inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden. Zwar sei die Nahrungsaufnahme grundsätzlich dem unversicherten privaten Bereich zuzuordnen. Allerdings seien die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung des BSG Unfallversicherungsschutz auf Wegen zum Ort der Nahrungsaufnahme im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit grundsätzlich anerkenne, erfüllt. Das Handlungsziel der Klägerin sei auf die Aufrechterhaltung der Arbeitskraft gerichtet gewesen. Darüber hinaus habe die Notwendigkeit bestanden, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein. Dass sich die Klägerin die Arbeitszeit frei einteilen könne, stehe dem Unfallversicherungsschutz nicht entgegen. Die vom BSG in einer früheren Entscheidung angesprochene Gefahr des "Versicherungsschutzes rund um die Uhr" rechtfertige nicht dessen grundlegende Einschränkung (Urteil des LSG vom 27.1.2015).

5

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Das BSG fordere die ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung der Treppe zu betrieblichen Zwecken. Weil die Treppe aber nicht nur genutzt werde, um die Arbeitsstätte, sondern auch die anderen Räumlichkeiten im Dachgeschoss zu erreichen, habe das Begehen der Treppe nicht wesentlich dem Zweck des Unternehmens, hier der Telearbeit, gedient.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. April 2014 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Arbeitsstätte sei vom privaten Lebensbereich innerhalb der Wohnung abgegrenzt. Um ihrer Telearbeit nachgehen zu können, sei sie auf die Nutzung der Treppe angewiesen. Sie dürfe nicht gegenüber Beschäftigten benachteiligt werden, die ihrer Arbeit außerhalb der Wohnung nachgingen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht auf die Berufung der Klägerin entschieden, dass das Abrutschen von einer Treppenstufe auf dem Weg von ihrem Telearbeitsplatz zur Küche, um Wasser zu holen, als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Die Ablehnung eines Arbeitsunfalls im Bescheid der Beklagten vom 11.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Daher war das die Klage abweisende Urteil des SG wiederherzustellen.

10

Die Klägerin begehrt zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), die Ablehnungsentscheidung der Beklagten aufzuheben und die Unfallkasse zu verurteilen, einen am 21.9.2012 erlittenen Arbeitsunfall anzuerkennen. Zwar hat sie sowohl vor dem SG als auch dem LSG jeweils zuletzt neben der Aufhebung der angegriffenen Verwaltungsakte beantragt, die Beklagte zu verurteilen, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen. Gleichwohl hat sie damit nicht die Feststellung einer Unfallfolge iS des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(vgl hierzu BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1), sondern angesichts dieser zwischen den Beteiligten nicht streitigen Unfallerstverletzung vielmehr die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Arbeitsunfalls geltend gemacht. Davon sind auch die Vorinstanzen ausgegangen. Auch wenn das LSG die Beklagte verurteilt hat, die Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen, setzt es sich in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - ebenso wie das SG - lediglich mit den Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls auseinander. Allein in diesem Zusammenhang wird die Schrägfraktur als unzweifelhaft eingetretener Gesundheitserstschaden als Tatbestandsmerkmal eines (vermeintlichen) Arbeitsunfalls zugrunde gelegt.

11

Dass die Klägerin vor dem SG zunächst nur die Feststellung eines Arbeitsunfalls beantragt hatte (Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG), steht der Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats haben die Verletzten ein Wahlrecht zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen Verpflichtungsklage (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 13 mwN). Der Übergang von der einen zu der anderen Klage ist jedenfalls bei einem Streit um die Feststellung eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung eine nach § 99 Abs 3 SGG zulässige Antragsänderung(BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 9).

12

Die Klage ist indes unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte.

13

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 9; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 11; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 10 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 14; BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 26 f).

14

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin hat zwar einen Unfall und dadurch - wie bereits ausgeführt - einen Gesundheitserstschaden erlitten. Sie war auch als Beschäftigte kraft Gesetzes versichert. Ihre Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Hinabsteigen der Treppe - stand aber nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt übte sie weder ihre Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII aus(dazu 1.) noch legte sie im Zusammenhang mit dieser einen Betriebsweg zurück (dazu 2.). Die Klägerin befand sich auch nicht auf einem versicherten Weg zum Ort der Nahrungsaufnahme und wird deshalb nicht in höherrangigem Recht verletzt (dazu 3.). Schließlich war sie im Unfallzeitpunkt nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützt(dazu 4.).

15

1. Versicherter iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese innere Tatsache der subjektiven Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten wird als "Handlungstendenz" bezeichnet. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung reicht hingegen nicht (zur Handlungstendenz zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 14 mwN; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14 mwN; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18).

16

Das Hinabsteigen der Treppe zum Unfallzeitpunkt ist ein solches von außen beobachtbares Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Bei dieser Tätigkeit war die objektivierte Handlungstendenz der Klägerin aber nicht auf die Erfüllung des gesetzlichen Versicherungstatbestands als Beschäftigte iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gerichtet.

17

Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigte liegt vor, wenn die Verletzte zur Erfüllung eines von ihr begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen(vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihr selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (vgl § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder die Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern sie nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, sie treffe eine solche Pflicht, oder sie unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt(BSG vom 23.4.2015 -B 2 U 5/14 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 33 RdNr 14 mwN; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 12; BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 27 ff; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 23 f; BSG vom 14.11.2013 - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 13).

18

Das Holen des Wassers gehörte unzweifelhaft nicht zu der sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebenden Hauptpflicht der Klägerin. Sie hat dadurch auch keine aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierende Nebenpflicht erfüllt. Eine arbeitsrechtliche Verpflichtung zu gesundheitsfördernden, der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienenden Handlungen besteht grundsätzlich nicht (vgl Schäfer NZA 1992, 529, 530). Etwas anderes gilt bei einem bereits arbeitsunfähigen Arbeitnehmer. Ihm wird aufgrund seiner Treue- und Rücksichtnahmepflicht gegenüber seinem Arbeitgeber abverlangt, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird, und alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten liegt daher vor, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet (BAG vom 2.3.2006 - 2 AZR 53/05 - Juris RdNr 23 f). Zu diesem Personenkreis zählt die Klägerin aber nicht. Sie hat ferner keine objektiv nicht geschuldete Handlung vorgenommen in der vertretbaren, aber irrigen Annahme, damit eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Die Annahme dieser Pflicht ist nur vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) aufgrund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 72). Solche objektiven Anhaltspunkte sind jedoch weder festgestellt noch ersichtlich. Schließlich hat die Klägerin durch das beabsichtigte Holen von Wasser auch kein eigenes unternehmensbezogenes, innerbetrieblichen Belangen dienendes Recht wahrgenommen.

19

2. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg iS des § 8 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Ein im unmittelbaren Betriebsinteresse liegender Weg kommt grundsätzlich nur außerhalb des (privaten) Wohngebäudes in Betracht (dazu a). Befinden sich die Wohnung und die Arbeitsstätte im selben Gebäude, ist ein Betriebsweg ausnahmsweise auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn er in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird. Das war bei der Klägerin nicht der Fall (dazu b).

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a) Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen (BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 35/08 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 36 RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 25/07 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 8 RdNr 24; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14 mwN; BSG vom 6.5.2003 - B 2 U 33/02 R - Juris RdNr 15 mwN; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 16 f). Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen, unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen(BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13). Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen (BSG vom 28.2.1990 - 2 RU 34/89 - SozR 3-2200 § 539 Nr 1 S 2).

21

Sowohl bei Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit als auch bei einem direkt von der Wohnung aus angetretenen Betriebsweg (Dienstweg oder Dienstreise) beginnt die versicherte Tätigkeit allerdings grundsätzlich erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes (Mehr- oder Einfamilienhaus), in dem sich die Wohnung des Versicherten befindet. Diese vom BSG stets beibehaltene Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem versicherten Zurücklegen eines (Betriebs-)Weges ist im Interesse der Rechtssicherheit bewusst starr gezogen, weil sie an objektive Merkmale anknüpft, die im allgemeinen leicht feststellbar sind. Damit wird zugleich der die gesetzliche Unfallversicherung kennzeichnenden Freistellung des Unternehmers von der Haftung für Betriebsgefahren Rechnung getragen. Das BSG hat im Interesse der Rechtssicherheit insbesondere auch deshalb keine Veranlassung gesehen, die bisherige Rechtsprechung zur Außentür als der Grenze zwischen häuslichem Bereich und versichertem Weg aufzugeben oder zu modifizieren, weil mit der verbreiteten Einführung von Telearbeit am PC eine Verlagerung vieler den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich einhergeht (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 17). Daran hält der Senat weiterhin fest. Da sich der Unfall der Klägerin nicht außerhalb des Wohngebäudes ereignet hat, ist nur Raum für einen Betriebsweg innerhalb des häuslichen Bereichs.

22

b) Den Weg zur Küche hat die Klägerin indes nicht in unmittelbarem betrieblichen, sondern in eigenwirtschaftlichem Interesse zurückgelegt. Unfallversicherungsschutz an der Unfallstelle könnte hier zwar unter dem Gesichtspunkt eines versicherten Betriebswegs ausnahmsweise dann bestehen, wenn der Weg bereits zwischen dem häuslichen Arbeitszimmer - und nicht erst nach Durchschreiten der Außentür - und der Küche als Weg in Ausführung der versicherten Tätigkeit anzusehen wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

23

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 15 und - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 RdNr 17), greift die unter a) aufgezeigte Grenzziehung durch die Außentür des Wohngebäudes nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden. In diesem Zusammenhang hat der Senat auf rechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Zurechnung von Wegen zur versicherten Tätigkeit vor allem in zwei Fallgestaltungen hingewiesen. Bei der ersten Fallgestaltung handelt es sich um Unfälle, die sich in Räumen oder auf Treppen ereignen, die weder eindeutig der Privatwohnung noch der Betriebsstätte zugeordnet werden können. Insoweit ist zur Entscheidung über den Versicherungsschutz darauf abgestellt worden, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignete, auch Betriebszwecken (wesentlich) dient, ob der rein persönliche Lebensbereich schon verlassen wurde oder wie sich der Nutzungszweck zum Unfallzeitpunkt darstelle. Als Kriterium für die Wesentlichkeit wurden eine ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung des Unfallorts für betriebliche Zwecke angeführt. Die zweite - hier aber nicht einschlägige - Fallgestaltung betraf Unfälle im rein persönlichen Wohnbereich, bei denen die Situation durch eine Art Rufbereitschaft und die Notwendigkeit, sofort zu handeln, geprägt war (BSG vom 12.12.2006, aaO, RdNr 15 ff und 18 ff, jeweils mit zahlreichen Nachweisen).

24

Der Senat hat Zweifel, ob an dieser Rechtsprechung, die bei der Feststellung eines Betriebswegs im häuslichen Bereich an die Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts anknüpft, festzuhalten ist (vgl hierzu auch LSG Baden-Württemberg vom 25.2.2016 L 10 U 1241/14 - Juris, Revision anhängig unter B 2 U 9/16 R). Ob das Ausmaß der Nutzung auch weiterhin ein sachgerechtes Beurteilungskriterium bildet, kann jedenfalls im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, denn die im Urteil des Senats vom 12.12.2006 (aaO) in Bezug genommenen Entscheidungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der jeweils zugrunde liegende Unfall auf einem Weg zur Ausübung der versicherten Tätigkeit ereignet hatte. Demgegenüber ist die Klägerin auf dem Weg von der Arbeitsstätte zur Küche und damit in den persönlichen Lebensbereich ausgerutscht.

25

Unabhängig von dem konkreten Umfang der betrieblichen oder privaten Nutzung der in das Dachgeschoss führenden Treppe vermag entgegen der Auffassung des LSG allein der Umstand, dass die Klägerin darauf angewiesen ist, die Treppe zu benutzen, um ihrer Beschäftigung überhaupt nachgehen zu können, das unmittelbare Betriebsinteresse nicht zu begründen. Entscheidend ist vielmehr, welche konkrete Verrichtung mit welchem Zweck sie in dem Moment des Unfalls ausübte. Da es außer in der Schifffahrt (vgl § 10 SGB VII) keinen Betriebsbann gibt, sind nicht alle Verrichtungen eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und auf der Arbeitsstätte versichert. Dementsprechend stehen auch nicht alle Wege eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäftigungsverhältnis eingegangen wurde, in einer mehr (zB Betriebswege) oder weniger engen Beziehung (zB Weg zur Arbeit) steht (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 13). Ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich wiederum nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13 mwN). Diese für außerhalb des Wohngebäudes zurückgelegte Wege geltende ständige Rechtsprechung des Senats ist auch bei Wegen innerhalb der häuslichen Sphäre von der Arbeitsstätte in den persönlichen Lebensbereich heranzuziehen.

26

Nach Maßgabe dieser Grundsätze war die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls nicht im unmittelbaren Betriebsinteresse tätig. Sie ist die Treppe nicht hinabgestiegen, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um in der Küche Wasser zum Trinken zu holen und demnach einer typischen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Als sich der Unfall ereignete, hatte sie ihre Arbeitsstätte verlassen und bereits den persönlichen häuslichen Lebensbereich erreicht. Ihre als Beschäftigte des Landesbetriebs versicherte Tätigkeit war mangels entgegenstehender Feststellungen und Anhaltspunkte spätestens mit dem Verlassen des Arbeitszimmers beendet. Daher kann offenbleiben, inwieweit innerhalb eines zur Telearbeit eingerichteten Arbeitsraumes Unfallversicherungsschutz besteht. Dass gerade die versicherte Tätigkeit ein besonderes Durstgefühl verursacht hätte (vgl hierzu zusammenfassend BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 20/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 2 mwN) und die Klägerin unabhängig von ihrer Erkrankung betriebsbedingt veranlasst gewesen wäre, sich Wasser zu besorgen, ist vom LSG weder festgestellt noch ersichtlich.

27

Dass die Ausübung einer Beschäftigung in einem Home-Office zu einer Verlagerung von den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich führt (zum Unfallversicherungsschutz bei häuslicher Telearbeit vgl Spellbrink, NZS 2016, 527; Leube, SGb 2012, 380; Wolber, SozVers 1997, 239), rechtfertigt auch in diesem Zusammenhang keine andere Beurteilung. Die betrieblichen Interessen dienende Arbeit in der Wohnung eines Versicherten nimmt dieser außerhalb des konkreten Arbeitszimmers oder -raums nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 17). Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken hat nicht der Arbeitgeber zu verantworten und vermag der Versicherte selbst am besten zu beherrschen. Der Wohnbereich ist dem Versicherten im Regelfall besser bekannt als anderen. Für die mit ihm einhergehenden Gefahren ist der Versicherte selbst verantwortlich. Kraft seiner Verfügungsmacht über die Wohnung kann er die private Risikosphäre durch entsprechendes Verhalten weitgehend beseitigen oder zumindest reduzieren. In der häuslichen Lebenssphäre vermag sich mangels einer betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko nicht zu verwirklichen.

28

Auch ist es dem Arbeitgeber außerhalb des Betriebsgeländes regelmäßig verwehrt, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Unternehmer sind zwar für die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe verantwortlich (§ 21 Abs 1 SGB VII). Ungeachtet der Frage, inwieweit Arbeitgeber rechtlich durchsetzbar in die Lage versetzt sein müssen, diese Verantwortung in Bezug auf betriebliche Arbeitsplätze im häuslichen Bereich nachzukommen, beschränkt sich die Verpflichtung zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen aber auf die jeweilige Betriebsstätte, zu der jedenfalls häusliche Örtlichkeiten außerhalb eines räumlich abgegrenzten Home-Office nicht zählen. Zudem ist zu beachten, dass es den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung außerhalb der Betriebsstätten ihrer Mitglieder (der Arbeitgeber) nur bedingt möglich ist, präventiv zu handeln. Die Unfallversicherungsträger haben mit allen geeigneten Mitteln ebenfalls für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen; sie sollen dabei auch den Ursachen von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit nachgehen (§ 14 Abs 1 SGB VII). In diesem Zusammenhang obliegt ihnen die Überwachung des nach § 21 Abs 1 SGB VII den Unternehmern übertragenen Arbeitsschutzes durch fachkundige Aufsichtspersonen(§ 17 Abs 1, § 18 SGB VII). Im Rahmen der Überwachung sind die Aufsichtspersonen insbesondere befugt, zu den Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Betriebsstätten zu betreten, zu besichtigen und zu prüfen (§ 19 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VII idF des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes vom 30.10.2008, BGBl I 2130). Eine solche Maßnahme kann auch für Wohnräume zu jeder Tages- und Nachtzeit getroffen werden. Insoweit ist das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 GG) eingeschränkt. Allerdings muss die Überwachung von Wohnräumen zur Verhütung dringender Gefahren geboten sein (§ 19 Abs 2 Satz 3 und 4 SGB VII idF des UVMG, aaO; zur Prävention und Überwachung häuslicher Arbeitsplätze vgl auch Spellbrink, NZS 2016, 527, 530; Leube, SGb 2012, 380, 384). Sowohl Arbeitgeber als auch die Unfallversicherungsträger sind demnach nur eingeschränkt zu präventiven, der sicheren Gestaltung der Arbeitsplätze dienenden Maßnahmen in der Lage. Daher ist es sachgerecht und nicht unbillig, das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko den Versicherten und nicht der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der gerade die Unternehmerhaftung abgelöst werden soll, anzulasten (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 18 mwN).

29

3. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt auch nicht auf einem versicherten Weg zum Ort einer Nahrungsaufnahme. Insoweit liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dieser ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG vom 19.12.2012 - 1 BvL 18/11 - BVerfGE 133, 1 RdNr 44 mwN; BVerfG vom 30.3.2007 - 1 BvR 3144/06 - SozR 4-2700 § 9 Nr 10 RdNr 18 mwN). Solche rechtfertigenden Gründe sind hier gegeben.

30

Das Zurücklegen eines Weges durch einen Beschäftigten mit der Handlungstendenz, sich an einem vom Ort der Tätigkeit verschiedenen Ort Nahrungsmittel zu besorgen oder einzunehmen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich versichert (vgl BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 20; BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - UV-Recht Aktuell 2010, 897, Juris RdNr 15; BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 6/00 R - Juris RdNr 20 mwN; BSG vom 27.6.2000 - B 2 U 22/99 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 38 S 135 f mwN). Dieser Versicherungsschutz beruht darauf, dass der während einer Arbeitspause zurückgelegte Weg zur Nahrungsaufnahme oder zum Einkauf von Lebensmitteln für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz in zweierlei Hinsicht mit der Betriebstätigkeit verknüpft ist. Zum einen dient die beabsichtigte Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit im Gegensatz zur bloßen Vorbereitungshandlung vor der Arbeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Aufgrund des Zusammentreffens dieser beiden betriebsbezogenen Merkmale, des Handlungsziels und der Betriebsbedingtheit des Weges, ist der wesentliche innere Zusammenhang zwischen dem Betrieb und einem zur Nahrungsaufnahme zurückgelegten Weg angenommen worden (vgl BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 21 mwN; BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 RdNr 30 f; BSG vom 2.7.1996 - 2 RU 34/95 - SozR 3-2200 § 550 Nr 15 S 55 mwN).

31

Diese Betriebsbedingtheit des Weges liegt bei der Klägerin entgegen der Rechtsansicht des LSG gerade nicht vor. Sie ist jedenfalls nicht bereits darin zu sehen, dass die Klägerin den Weg zur Küche über die Treppe deshalb zurücklegen musste, weil sie sich zuvor in ihrem Arbeitszimmer aufgehalten hatte. Die Klägerin unterlag hinsichtlich der beabsichtigten Flüssigkeitszufuhr keinen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen. Es stand vielmehr in ihrem Belieben, ob und wann sie sich wegen des nicht betriebs-, sondern krankheitsbedingten Trinkbedürfnisses Wasser aus der Küche holt. Der Weg zur Küche war weder räumlich durch einen außerhalb der Wohnung gelegenen Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen und stand in keinem Zusammenhang mit bereits erbrachter Arbeit. Dieser vom LSG nicht gesehene, aber offenkundige grundlegende Unterschied steht der von der Klägerin geforderten gebotenen Gleichbehandlung mit Versicherten, die außerhalb der Wohnung einer Beschäftigung nachgehen, entgegen (vgl insoweit auch BSG vom 31.10.1968 - 2 RU 122/66 - Juris RdNr 18; BSG vom 29.6.1971 - 2 RU 117/69 - Juris RdNr 20 f; BSG vom 25.1.1977 - 2 RU 57/75 - SozR 2200 § 550 Nr 24 S 53; BSG vom 19.5.1983 - 2 RU 44/82 - BSGE 55, 139, 140 = SozR 2200 § 550 Nr 54 S 136; BSG vom 6.12.1989 - 2 RU 5/89 - SozR 2200 § 548 Nr 97 S 275; BSG vom 11.5.1995 - 2 RU 30/94 - Juris RdNr 16). Auch die weitere Überlegung des LSG, dass Unfallversicherungsschutz gleichheitswidrig nicht an der Möglichkeit einer freien Arbeitszeiteinteilung und einer schwierigen Beweislage scheitern dürfe, überzeugt nicht. Das Berufungsgericht übersieht insoweit, dass vorliegend nicht die Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Arbeitszeit oder Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung, sondern das Zurücklegen eines Wegs mit dem Ziel, eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit innerhalb des persönlichen Lebens- und Risikobereichs zu verrichten, den Versicherungsschutz ausschließt.

32

4. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt schließlich nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützt. Danach zählt zu den versicherten Tätigkeiten zwar auch das Zurücklegen des mit einer gemäß §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Allerdings beginnt und endet der Weg zur oder von der Arbeit nach ständiger Rechtsprechung des Senats erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses, in dem die Wohnung liegt (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 14; BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 39/06 R - Juris RdNr 10; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 RdNr 16 und - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14). Die Wegeunfallversicherung erstreckt sich damit nicht auf Unfälle innerhalb des Gebäudes, in dem sich die Wohnung des Verletzten befindet. Der Unfall der Klägerin hat sich indes innerhalb ihrer Wohnung ereignet.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

(1) Versicherte haben nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Sozialen Teilhabe, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget nach § 29 des Neunten Buches erbracht; dies gilt im Rahmen des Anspruchs auf Heilbehandlung nur für die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

(2) Der Unfallversicherungsträger hat mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig

1.
den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern,
2.
den Versicherten einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern,
3.
Hilfen zur Bewältigung der Anforderungen des täglichen Lebens und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sowie zur Führung eines möglichst selbständigen Lebens unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Gesundheitsschadens bereitzustellen,
4.
ergänzende Leistungen zur Heilbehandlung und zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Sozialen Teilhabe zu erbringen,
5.
Leistungen bei Pflegebedürftigkeit zu erbringen.

(3) Die Leistungen zur Heilbehandlung und zur Rehabilitation haben Vorrang vor Rentenleistungen.

(4) Qualität und Wirksamkeit der Leistungen zur Heilbehandlung und Teilhabe haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Sie werden als Dienst- und Sachleistungen zur Verfügung gestellt, soweit dieses oder das Neunte Buch keine Abweichungen vorsehen.

(5) Die Unfallversicherungsträger bestimmen im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und der Leistungen zur Teilhabe sowie die Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen, nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei prüfen sie auch, welche Leistungen geeignet und zumutbar sind, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlich Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt und ihr deswegen eine Verletztenrente zusteht.
Die 1947 geborene Klägerin war von Juli 1989 bis August 1998 bei der Firma M. & B. GmbH und Co. in M. als Stanzerin/Maschinenbedienerin tätig. Am 10.08.1998 erlitt sie einen Arbeitsunfall. Anschließend war sie arbeitsunfähig und bezieht nach ihren Angaben seit 2001 Rente wegen Erwerbsminderung.
Wegen des am 10.08.1998 erlittenen Arbeitsunfalls lehnte die S. Metall-Berufsgenossenschaft die Gewährung einer Rente ab. Die daraufhin von der Klägerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage (S 10 U 1483/99), mit der sie als Folgen des Arbeitsunfalles u.a. einen Tinnitus geltend machte, blieb nach Ermittlungen des SG (Einholung sachverständiger Zeugenaussagen behandelnder Ärzte und Gutachten von Dr. H. vom 16.09.2000) mit Urteil vom 28.03.2001 ohne Erfolg. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Klägerin wurde mit Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 13.09.2001 (L 10 U 2076/01) - wegen Fristversäumnis - als unzulässig verworfen.
Ein Antrag der Klägerin vom 23.03.2001 auf Anerkennung einer Berufskrankheit wurde nach Durchführung arbeitstechnischer und medizinischer Ermittlungen von der Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 10.10.2001 und Widerspruchsbescheid vom 30.01.2002). Am 06.10.2004 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 10.10.2001 und legte ein im Rentenrechtsstreit (S 10 RJ 2815/02) vom SG eingeholtes psychiatrisches Gutachten von Dr. V. vom 24.05.2004 vor. Dieser Überprüfungsantrag wurde vom Beklagten abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin (S 3 U 749/05) blieb nach Aufklärung des medizinischen Sachverhalts durch das SG (insbesondere ein auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholtes Gutachten des HNO-Arztes Dr. B. vom 05.09.2007) mit Urteil vom 25.04.2008 ohne Erfolg. Das SG führte in seinem Urteil aus, die Klage auf Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus als Berufskrankheit sei unzulässig, weil die Beklagte hierzu weder ein Feststellungsverfahren durchgeführt noch eine gerichtlich überprüfbare Entscheidung getroffen habe. Im Übrigen wurde die Klage der Klägerin als unbegründet abgewiesen. Die gegen das Urteil vom 25.04.2008 eingelegte Berufung der Klägerin (L 2 U 2551/08) ist beendet.
Am 10.06.2008 beantragte die Klägerin die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit und die Gewährung von Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. Die Beklagte leitete ein Feststellungsverfahren ein. Sie zog medizinische Befundunterlagen, das Vorerkrankungsverzeichnis, die Gutachten von Dr. V. vom 24.05.2004 und 04.01.2007, das in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren an das Arbeitsgericht R. (2 Ca 327/00) erstattete Gutachten von Prof. Dr. S., Universitätsklinikum T., vom 25.05.2001 sowie das Gutachten von Dr. B. vom 05.09.2007, der einen Tinnitus aurium ohne typische Lärmschädigung diagnostizierte und eine lärmbedingte Entstehung des Tinnitus nicht mit letzter Sicherheit ausschloss, da eine Lärmanalyse des Arbeitsplatzes nicht vorliege und die MdE mit 20 v.H. einschätzte, bei.
Mit Bescheid vom 27.06.2008 lehnte die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV ab und teilte außerdem mit, dass Ansprüche auf Leistungen nicht bestünden.
Hiergegen legte die Klägerin am 24.07.2008 Widerspruch ein. Sie berief sich auf das Gutachten des Dr. B. vom 05.09.2007. Die Ansicht, der Tinnitus sei alleine nicht als Folge einer beruflichen Lärmbelastung anzusehen, widerspreche der Mitteilung des Dr. B.. Eine Lärmanalyse sei erforderlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2008 wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 27.06.2008 zurückgewiesen. Das medizinische Bild der Berufskrankheit Nr. 2301 der BKV sei nicht bewiesen. Es liege eine Normalhörigkeit vor. Da keine Lärmschädigung vorliege, könne der Tinnitus keine Begleiterscheinung einer Innenohrschwerhörigkeit sein. Isolierte Ohrgeräusche ohne lärmbedingten Gehörschaden seien ausgeschlossen. Eine Lärmmessung sei somit entbehrlich. Maßnahmen und Leistungen im Rahmen des § 3 BKV seien nicht zu gewähren.
Hiergegen erhob die Klägerin am 12.12.2008 Klage beim SG. Sie machte zur Begründung geltend, die Beklagte setze sich in Widerspruch zu den Ausführungen des Dr. B.. Die Beklagte mache es sich leicht. Auf das Gutachten des Dr. B. sei nichts von einer Lärmanalyse des Arbeitsplatzes zu entnehmen. Die Beklagte habe auch nicht begründet, weshalb keine Lärmanalyse mit entsprechender Bewertung durchgeführt worden sei. Die Klägerin machte Angaben zur Lärmsituation an ihrem Arbeitsplatz. Es könne nicht sein, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung im kausalen Zusammenhang mit den am Arbeitsplatz herrschenden Lärm stehe und andererseits hieraus keine Entschädigungspflicht der Beklagten resultiere.
10 
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
11 
Das SG nahm Untersuchungsbögen „Lärm“ II vom 04.12.1989, 12.11.1990, 02.11.1992, 25.03.1996 und 26.02.1998 zu den Gerichtsakten.
12 
Mit Urteil vom 28.01.2010 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, ob und in welchem Umfang die Klägerin während ihrer Tätigkeit gehörschädigendem Lärm ausgesetzt gewesen sei, sei nicht vollständig aufgeklärt. Die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit scheitere jedoch daran, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsstörung nachgewiesen sei, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf berufliche Lärmeinwirkung beruhe. Bei der Klägerin bestehe keine versicherungsrechtlich erhebliche Schwerhörigkeit. Es bestehe zwar eine Senkung der Hörschwelle bei 4 kHz. Dieser Hörverlust sei jedoch als altersentsprechend zu werten. Damit liege keine Erkrankung vor, die als Lärmschwerhörigkeit anerkannt werden könne. Der Tinnitus sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen. Die Kriterien, die für die Anerkennung eines Tinnitus als Folge einer Lärmschwerhörigkeit erforderlich seien, seien nicht erfüllt. Hinzu komme, dass die Lokalisation des Tinnitus (bei 1 kHz) nicht zu einer Lärmschwerhörigkeit passe. Die abweichende Auffassung von Dr. B. in seinem Gutachten vom 05.09.2007 widerspreche den anerkannten Beurteilungskriterien und könne nicht Grundlage für die begehrte Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2301 sein. Auch die Bewertung der MdE durch Dr. B. dürfte einer Überprüfung nicht standhalten.
13 
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12.02.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.03.2010 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, sie sei nach wie vor der Meinung, dass der erhebliche Tinnitus aurium beidseits im kausalen Zusammenhang mit der berufsbedingten Tätigkeit stehe und damit die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit und die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 20 v.H. rechtfertige. Vom Betriebsarzt bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber erstellte Lärmanalysen, die bestätigten, dass der Tinnitus aurium beidseits im kausalen Zusammenhang mit ihrer berufsbedingten Tätigkeit stehe, sei nicht nachgegangen worden. Bei ihr liege eine für eine Lärmschwerhörigkeit typische Senkung der Hörschwelle bei 4 kHz vor. Eine berufsbedingte kausale Gesundheitsstörung sei gegeben. Bei einer am 26.02.1998 erfolgten Untersuchung habe das Audiogramm einen deutlichen Hörverlust, insbesondere des linken Ohres, bei den Diagnosen Trommelfellperforation sowie ein Cholesteatom erbracht. Damit sei der Tinnitus mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf berufliche Lärmeinwirkung zurückzuführen. Insoweit könne angenommen werden, dass der Tinnitus aurium ursächlich und im kausalen Zusammenhang mit ihrer berufsbedingten Tätigkeit stehe. Die Klägerin hat sich auf das Gutachten des Dr. B. berufen. Der Betriebsarzt Dr. L. sei als Zeuge zu vernehmen und entsprechende Lärmanalysen bezüglich ihres Arbeitsplatzes anzufordern. Die Klägerin hat Unterlagen vorgelegt.
14 
Die Klägerin beantragt,
15 
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Januar 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. November 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihr eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen und ihr eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu gewähren.
16 
Die Beklagte beantragt,
17 
die Berufung zurückzuweisen.
18 
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach dem von Dr. B. erstellten Gutachten vom 05.09.2009 besteht bei der Klägerin ein beidseitiger Hörverlust in Höhe von 0 % entsprechend einer Normalhörigkeit. Damit lägen die medizinischen Voraussetzungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV nicht vor. Unabhängig davon könne der bei der Klägerin bestehende Tinnitus nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit gesehen werden, da dieser bei 1 kHz - eher im Tieftonbereich - und nicht im Hochtonbereich lokalisiert sei. Der im Tonaudiogrammen vom 26.02.1989 ausgewiesene Hörverlust auf dem linken Ohr sei zwanglos durch die diagnostizierte Trommelfellperforation zu erklären. Auf dem rechten Ohr sei von einer Normalhörigkeit auszugehen.
19 
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die im vorliegenden Verfahren angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Akten des SG S 3 U 749/05 und des LSG L 10 U 2076/01 und L 2 U 2551/08 sowie ein Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2008 (Widerspruchsbescheid vom 19.11.2008), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin Leistungen zu gewähren, ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines Hörschädigung als Berufskrankheit und dementsprechend auch nicht auf Rente.
21 
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang zur BKV ist die Erkrankung an einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 enthalten.
22 
Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität folgt der Senat der überzeugenden neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 02.04.2009, a.a.O.), dass auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.
23 
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).
24 
Nach diesen Regeln und Maßstäben liegt die bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 BKV nicht vor.
25 
Nach dem vom SG im Klageverfahren der Klägerin S 3 U 749/05 eingeholten Gutachten von Dr. B. vom 05.09.2007, auf das sich die Klägerin beruft, betrug der nach der Tabelle von Bönnighaus und Röser am 19.07.2007 ermittelte prozentuale Hörverlust aus dem Sprachaudiogramm, auf das maßgeblich abzustellen ist, beiderseits 0 %. Ein typischer Lärmschaden bestand aufgrund der audiometrischen Untersuchung nicht. Auch Prof. Dr. S. ist in seinem vom Beklagten beigezogenen Gutachten an das Arbeitsgericht R. vom 25.05.2001 hinsichtlich der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen der Klägerin nach dem Grundsatz G 20 am 04.12.1989, 12.11.1990, 02.11.1992 und 25.03.1996 davon ausgegangen, dass bei der Klägerin keine Überschreitung des altersentsprechenden Hörverlustgrenzwertes vorliegt. Dies gilt auch für die Ergebnisse der am 26.02.1998 erfolgten Gehöruntersuchung. Eine Senke beidseits bei 4 kHz bewertet Prof. Dr. S. als altersentsprechend. Auch der von Prof. Dr. S. durchgeführte Hörtest ergab keine Überschreitung der altersentsprechenden Hörverlustgrenzwerte. Zudem lässt sich eine bei der Untersuchung am 26.02.1998 im Vergleich zu den Voruntersuchungen und zum rechten Ohr verminderte Hörfähigkeit des linken Ohres mit der Diagnose einer Trommelfellperforation erklären, worauf die Beklagte überzeugend hingewiesen hat. Damit steht fest, dass bei der Klägerin keine Schwerhörigkeit vorliegt, d.h. selbst dann, wenn die Klägerin - unterstellt - gehörschädigendem Lärm am Arbeitsplatz ausgesetzt war, hat dieser Lärm keine Gehörschädigung hervorgerufen. Das Vorliegen eines pathologisch herabgesetzten Hörvermögens hat die Klägerin im Übrigen auch nicht geltend gemacht.
26 
Die Anerkennung des von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens geltend gemachten Tinnitus aurium beidseits als Berufskrankheit scheidet aus. Als Berufskrankheiten kommen nur solche Krankheiten in Betracht, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind und die vom Verordnungsgeber als Berufskrankheiten bezeichnet sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII; § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sogenannten Listenkrankheiten, das sind die in der Anlage 1 zur Verordnung aufgeführten Tatbestände, vor (Enumerationsprinzip). Liegt eine Listenkrankheit nicht vor, scheidet die Anerkennung als Berufskrankheit aus. Auch die Anerkennung von Erkrankungen, die noch nicht in der Anlage 1 erfasst sind (Quasi-Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit), nach § 9 Abs. 2 SGB VII (früher § 551 Abs. 2 RVO) setzt voraus, dass die übrigen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Abs. 1 der Vorschrift vorliegen (Berufskrankheitenreife). Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, stets wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist (ständige Rspr. BSG, Urteile vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - und 04.06.2002 - B 2 U 16/01 R - , juris, SGb 2002, 496). Vielmehr sollen dadurch nur Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die im dargelegten Sinn nach dem aktuellen Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft jetzt „Berufskrankheitenreife“ erlangt haben und alsbald in die abschließende Liste aufgenommen werden (BSG Urteil vom 04.06.2002, a.a.O.). Entgegen der Ansicht der Klägerin besteht damit durchaus die Möglichkeit einer durch Einwirkungen am Arbeitsplatz entstandenen Erkrankung, die nicht als Berufskrankheit anerkannt werden kann, da sie nicht von der BKV als Listenkrankheit erfasst ist.
27 
Ein „isolierter“ Tinnitus (wegen Lärm) wird nicht von einer Listenkrankheit der BKV erfasst. „Isolierte“ Ohrgeräusche ohne lärmbedingten Hörverlust, wie dies bei der Klägerin zutrifft, erfüllen nicht den Tatbestand (Lärm-) Schwerhörigkeit der BK Nr. 2301. Ohrgeräusche (Tinnitus) kommen lediglich als Begleiterscheinung einer Lärmschwerhörigkeit Bedeutung zu. Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche sind zwei Symptome des lärmgeschädigten Innenohres. Ohrgeräusche sind deshalb bei der MdE-Einschätzung im Rahmen der Gesamt-MdE (Hörverlust und Ohrgeräusche) integrierend zu bewerten (vgl. zum Vorstehenden Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 351; Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2301 Nr. 6.4). Die Erkrankung „Tinnitus“ ist jedoch in der Anlage zur BKV nicht als Berufskrankheit erfasst, so dass sie keine eigenständige Berufskrankheit darstellt, sondern nur im Rahmen der „Lärmschwerhörigkeit“ geprüft werden kann (ebenso als obiter dictum: LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 28.01.2009 - L 2 U 876/08 und 27.04.2006 - L 10 U 5135/04 -), weshalb die Ohrgeräusche selbst dann, wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass sie an ihrem Arbeitsplatz gehörschädigendem Lärm ausgesetzt war, nicht als Berufskrankheit anerkannt werden können. Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Ansicht von Dr. B., auf die die Klägerin ihr Begehren maßgeblich stützt, nicht gerecht, weshalb seiner Ansicht nicht zu folgen ist. Zudem hat Dr. B. in seinem Gutachten vom 05.09.2007 einen lärmbedingten Zusammenhang lediglich nicht mit Sicherheit ausgeschlossen und außerdem, wie in seiner Stellungnahme an die Beklagte vom 03.05.2001, eine vaskuläre Enzephalopathie als Ursache des Tinnitus angesehen bzw. in Betracht gezogen, so dass seine Ansicht, bei Vorliegen einer entsprechenden Lärmanalyse könne der Tinnitus als lärmbedingt eingestuft werden, auch deshalb nicht überzeugt. Auch Dr. V. hat in seinem Gutachten vom 04.01.2007 an das SG im Verfahren S 3 U 749/05 durch langjährigen Bluthochdruck hervorgerufene Gefäßveränderungen und in der Folge Durchblutungsstörungen als mögliche Ursache des Tinnitus angesehen. Gegen einen lärmbedingten Tinnitus spricht auch die Lokalisierung des Tinnitus bei 1 kHz, wie das SG im angefochtenen Urteil (Seite 7 Abs. 2) zutreffend ausgeführt hat, dem sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt (vgl. auch Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 350).
28 
Das Vorliegen einer „Wie-Berufskrankheit“ (§ 9 Abs. 2 SGB VII) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, da die Beklagte hierüber keine Verwaltungsentscheidung getroffen hat. Im Übrigen erachtet der Senat das Vorliegen einer „Wie-Berufskrankheit“ (wegen des Tinnitus) auch als sehr unwahrscheinlich.
29 
Den (schriftsätzlichen) Beweisanträgen der Klägerin zur Klärung der Lärmbelastung am Arbeitsplatz war nicht nachzugehen, da nach dem oben Ausgeführten selbst dann, wenn die Klägerin einer zu einer Hörschädigung geeigneten Lärmbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen ist, die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV ausscheidet.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
31 
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Gründe

 
20 
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2008 (Widerspruchsbescheid vom 19.11.2008), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin Leistungen zu gewähren, ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines Hörschädigung als Berufskrankheit und dementsprechend auch nicht auf Rente.
21 
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang zur BKV ist die Erkrankung an einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 enthalten.
22 
Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität folgt der Senat der überzeugenden neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 02.04.2009, a.a.O.), dass auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.
23 
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).
24 
Nach diesen Regeln und Maßstäben liegt die bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 BKV nicht vor.
25 
Nach dem vom SG im Klageverfahren der Klägerin S 3 U 749/05 eingeholten Gutachten von Dr. B. vom 05.09.2007, auf das sich die Klägerin beruft, betrug der nach der Tabelle von Bönnighaus und Röser am 19.07.2007 ermittelte prozentuale Hörverlust aus dem Sprachaudiogramm, auf das maßgeblich abzustellen ist, beiderseits 0 %. Ein typischer Lärmschaden bestand aufgrund der audiometrischen Untersuchung nicht. Auch Prof. Dr. S. ist in seinem vom Beklagten beigezogenen Gutachten an das Arbeitsgericht R. vom 25.05.2001 hinsichtlich der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen der Klägerin nach dem Grundsatz G 20 am 04.12.1989, 12.11.1990, 02.11.1992 und 25.03.1996 davon ausgegangen, dass bei der Klägerin keine Überschreitung des altersentsprechenden Hörverlustgrenzwertes vorliegt. Dies gilt auch für die Ergebnisse der am 26.02.1998 erfolgten Gehöruntersuchung. Eine Senke beidseits bei 4 kHz bewertet Prof. Dr. S. als altersentsprechend. Auch der von Prof. Dr. S. durchgeführte Hörtest ergab keine Überschreitung der altersentsprechenden Hörverlustgrenzwerte. Zudem lässt sich eine bei der Untersuchung am 26.02.1998 im Vergleich zu den Voruntersuchungen und zum rechten Ohr verminderte Hörfähigkeit des linken Ohres mit der Diagnose einer Trommelfellperforation erklären, worauf die Beklagte überzeugend hingewiesen hat. Damit steht fest, dass bei der Klägerin keine Schwerhörigkeit vorliegt, d.h. selbst dann, wenn die Klägerin - unterstellt - gehörschädigendem Lärm am Arbeitsplatz ausgesetzt war, hat dieser Lärm keine Gehörschädigung hervorgerufen. Das Vorliegen eines pathologisch herabgesetzten Hörvermögens hat die Klägerin im Übrigen auch nicht geltend gemacht.
26 
Die Anerkennung des von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens geltend gemachten Tinnitus aurium beidseits als Berufskrankheit scheidet aus. Als Berufskrankheiten kommen nur solche Krankheiten in Betracht, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind und die vom Verordnungsgeber als Berufskrankheiten bezeichnet sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII; § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sogenannten Listenkrankheiten, das sind die in der Anlage 1 zur Verordnung aufgeführten Tatbestände, vor (Enumerationsprinzip). Liegt eine Listenkrankheit nicht vor, scheidet die Anerkennung als Berufskrankheit aus. Auch die Anerkennung von Erkrankungen, die noch nicht in der Anlage 1 erfasst sind (Quasi-Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit), nach § 9 Abs. 2 SGB VII (früher § 551 Abs. 2 RVO) setzt voraus, dass die übrigen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Abs. 1 der Vorschrift vorliegen (Berufskrankheitenreife). Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, stets wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist (ständige Rspr. BSG, Urteile vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - und 04.06.2002 - B 2 U 16/01 R - , juris, SGb 2002, 496). Vielmehr sollen dadurch nur Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die im dargelegten Sinn nach dem aktuellen Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft jetzt „Berufskrankheitenreife“ erlangt haben und alsbald in die abschließende Liste aufgenommen werden (BSG Urteil vom 04.06.2002, a.a.O.). Entgegen der Ansicht der Klägerin besteht damit durchaus die Möglichkeit einer durch Einwirkungen am Arbeitsplatz entstandenen Erkrankung, die nicht als Berufskrankheit anerkannt werden kann, da sie nicht von der BKV als Listenkrankheit erfasst ist.
27 
Ein „isolierter“ Tinnitus (wegen Lärm) wird nicht von einer Listenkrankheit der BKV erfasst. „Isolierte“ Ohrgeräusche ohne lärmbedingten Hörverlust, wie dies bei der Klägerin zutrifft, erfüllen nicht den Tatbestand (Lärm-) Schwerhörigkeit der BK Nr. 2301. Ohrgeräusche (Tinnitus) kommen lediglich als Begleiterscheinung einer Lärmschwerhörigkeit Bedeutung zu. Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche sind zwei Symptome des lärmgeschädigten Innenohres. Ohrgeräusche sind deshalb bei der MdE-Einschätzung im Rahmen der Gesamt-MdE (Hörverlust und Ohrgeräusche) integrierend zu bewerten (vgl. zum Vorstehenden Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 351; Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2301 Nr. 6.4). Die Erkrankung „Tinnitus“ ist jedoch in der Anlage zur BKV nicht als Berufskrankheit erfasst, so dass sie keine eigenständige Berufskrankheit darstellt, sondern nur im Rahmen der „Lärmschwerhörigkeit“ geprüft werden kann (ebenso als obiter dictum: LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 28.01.2009 - L 2 U 876/08 und 27.04.2006 - L 10 U 5135/04 -), weshalb die Ohrgeräusche selbst dann, wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass sie an ihrem Arbeitsplatz gehörschädigendem Lärm ausgesetzt war, nicht als Berufskrankheit anerkannt werden können. Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Ansicht von Dr. B., auf die die Klägerin ihr Begehren maßgeblich stützt, nicht gerecht, weshalb seiner Ansicht nicht zu folgen ist. Zudem hat Dr. B. in seinem Gutachten vom 05.09.2007 einen lärmbedingten Zusammenhang lediglich nicht mit Sicherheit ausgeschlossen und außerdem, wie in seiner Stellungnahme an die Beklagte vom 03.05.2001, eine vaskuläre Enzephalopathie als Ursache des Tinnitus angesehen bzw. in Betracht gezogen, so dass seine Ansicht, bei Vorliegen einer entsprechenden Lärmanalyse könne der Tinnitus als lärmbedingt eingestuft werden, auch deshalb nicht überzeugt. Auch Dr. V. hat in seinem Gutachten vom 04.01.2007 an das SG im Verfahren S 3 U 749/05 durch langjährigen Bluthochdruck hervorgerufene Gefäßveränderungen und in der Folge Durchblutungsstörungen als mögliche Ursache des Tinnitus angesehen. Gegen einen lärmbedingten Tinnitus spricht auch die Lokalisierung des Tinnitus bei 1 kHz, wie das SG im angefochtenen Urteil (Seite 7 Abs. 2) zutreffend ausgeführt hat, dem sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt (vgl. auch Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 350).
28 
Das Vorliegen einer „Wie-Berufskrankheit“ (§ 9 Abs. 2 SGB VII) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, da die Beklagte hierüber keine Verwaltungsentscheidung getroffen hat. Im Übrigen erachtet der Senat das Vorliegen einer „Wie-Berufskrankheit“ (wegen des Tinnitus) auch als sehr unwahrscheinlich.
29 
Den (schriftsätzlichen) Beweisanträgen der Klägerin zur Klärung der Lärmbelastung am Arbeitsplatz war nicht nachzugehen, da nach dem oben Ausgeführten selbst dann, wenn die Klägerin einer zu einer Hörschädigung geeigneten Lärmbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen ist, die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV ausscheidet.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
31 
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. November 2003 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Der am  1954 geborene Kläger ist gelernter Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfe, jedoch als Bankkaufmann tätig und bei der Beklagten versichert. Am 11. Mai 1999 erlitt er morgens auf dem Weg zu seinem Arbeitsort einen Verkehrsunfall. Hierzu äußerte er sich wie folgt: Er habe sich am Unfalltag gegen 7:38 Uhr stadteinwärts in Richtung Lübeck auf der stark befahrenen Ra Allee befunden. Es habe Stop-and-go-Verkehr geherrscht mit ampelbedingten Auflockerungen von bis zu 40 m zwischen den Fahrzeugen. Er habe nach ca. 50 m freier Fahrt verkehrsbedingt wieder stoppen müssen. Die Unfallgegnerin sei mit einer Annäherungsgeschwindigkeit, die er subjektiv auf 40-45 km/h schätze, auf sein Fahrzeug aufgefahren. Sie habe ihre Unachtsamkeit eingeräumt. Polizei sei nicht hinzugezogen worden.

3

Der Kläger begab sich am Unfalltag in die Behandlung der Fachärztin für Allgemeinmedizin M, G. In deren ärztlicher Unfallmeldung vom gleichen Tage sind als Befund angegeben beginnende Nackenmyogelosen und schmerzhafte Bewegungseinschränkung des Kopfes in alle Richtungen. Es wurde die Diagnose eines HWS-Schleudertraumas gestellt. Röntgenaufnahmen hielt sie nicht für erforderlich. Auf dem ebenfalls zur Akte gelangten grünen Durchschlag dieser Meldung findet sich außerdem die handschriftliche Eintragung "Tinnitus bds.". Nach der Vorstellung bei Frau M fuhr der Kläger mit dem beschädigten PKW und nachfolgend öffentlichen Verkehrsmitteln zu seiner Arbeitsstelle. Er ging auch in der Folgezeit ununterbrochen seiner Arbeitstätigkeit nach.

4

In einem weiteren ärztlichen Unfallbericht des Orthopäden Dr. v. T, L, vom 28. Juni 1999 wurden außer dem bereits festgestellten HWS-Syndrom mit Rotationsfehlstellung, Rotationseinschränkung, Kopfgelenksblockierung und Streckhaltung der Befund eines zeitweiligen Tinnitus bds. erhoben. Knöcherne Verletzungen der Halswirbelsäule ergaben sich anhand von Röntgenaufnahmen nicht. Dies wurde auch bestätigt durch Berichte des Radiologen Dr. Ma, L, vom 9. September 1999 und des Dr. v. T vom 7. September 1999, in dem allerdings von einer am 28. Juni 1999 "extrem schmerzhaften" HWS die Rede ist. Der Tinnitus sei nunmehr zeitweise aufgehoben. Der Kläger sei aber mit der Tinnitussituation, bei der er einen Unfallzusammenhang sehe, nicht zufrieden. Zum Tinnitus gab Dr. v. T in einem abschließenden Bericht an die Beklagte vom 23. November 1999 an, der Kläger habe noch wechselnde Ohrgeräusche.

5

Der Kläger selber hatte mit Schreiben vom 31. Juli 1999 gegenüber der Beklagten erklärt, der Tinnitus sei 1 bis 2 Tage nach dem Unfall erstmals aufgetreten.

6

In einem Attest des HNO-Arztes Dr. K, L, vom 9. Juli 1999 heißt es, das zwischen 4000 und 6000 Hz liegende Ohrgeräusch des Klägers sei möglicherweise Folge des Schleudertraumas. Der otoskopische Befund sei unauffällig.

7

Die Beklagte holte ein chirurgisches Fachgutachten des Dr. Ka, H, vom 6. Dezember 2000 ein, in welchem es hieß: es lägen dauerhafte unfallbedingte Schädigungsfolgen beim Kläger nicht vor. Insbesondere sei der wechselhaft aufgetretene Tinnitus nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallgeschehen zurückzuführen. Hierfür bedürfe es zumindest eines verletzungsspezifischen Erstbefundes im oberen Abschnitt der HWS im Bereich der Kopfgelenke. Dieser sei zu keinem Zeitpunkt erhoben worden. Auch die Kernspintomographie habe keine Anhaltspunkte für eine Verletzung ergeben. Bei dem Tinnitus handele es sich um ein unspezifisches Symptom, das differentialdiagnostisch zahlreichen Gesundheitsstörungen zuzuordnen sei. Insbesondere der wechselhafte Verlauf des Tinnitus lasse eine Verletzungsspezifität nicht erkennen. Eine Streckhaltung der Halswirbelsäule des Klägers sei im übrigen anhand eines Röntgenbefundes bereits im Jahr 1998 nachweisbar.

8

Mit Bescheid vom 17. Januar 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen des Unfalls vom 11. Mai 1999 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Als Unfallfolge sei eine folgenlos ausgeheilte Zerrung der Halswirbelsäule anzuerkennen. Die weiteren Beschwerden des Klägers (Streckhaltung der Halswirbelsäule, Tinnitus) mit über den 28. Juni 1999 hinausgehender Behandlungsbedürftigkeit seien unfallunabhängig.

9

Der Kläger erhob rechtzeitig Widerspruch. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Das Gutachten des Dr. Ka sei unrichtig. Der Unfall sei nicht, wie von Dr. Ka angenommen, im Stop-and-go-Verkehr erfolgt, sondern bei einer Aufprallgeschwindigkeit von geschätzt 40-45 km/h. Der Tinnitus sei, worauf er stets hingewiesen habe, in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall erstmals aufgetreten und auch nicht erst am 28. Juni 1999 beschrieben worden. Unmittelbar nach dem Unfall seien Kopfschmerzen und Kopfdruck, verbunden mit dem Gefühl einer brillenformartigen Schwellung um die Augen aufgetreten, außerdem Zittern, Schweißausbrüche und eine Spannung im Nacken. Der Tinnitus sei nicht zeitweilig vorhanden, sondern überwiegend und verschwinde immer nur kurzzeitig. Die medizinischen Bewertungen des Gutachters hinsichtlich des Tinnitus seien nicht belegt und unplausibel. So habe er den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Auffahrunfall und erstmaligem Auftreten des Tinnitus nicht beachtet und sich mit den Ausführungen des Dr. K und des Dr. v. T nicht auseinandergesetzt. Ein neues Gutachten sei erforderlich.

10

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2001 – ohne Zustellnachweis - zurück. Dem Gutachten des Dr. Ka sei zu folgen. Darin seien die Angaben des Klägers in tatsächlicher Hinsicht berücksichtigt worden. Gleichwohl bestehe nicht die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Unfallereignis den Tinnitus verursacht habe. Der zeitliche Zusammenhang reiche nicht aus. Ohrgeräusche träten nicht nur als Folge von Halswirbeltraumen, sondern auch im Rahmen allgemeiner Missempfindungen und des Unwohlseins auf sowie nach strenger Bettruhe und nach Verletzungen. Im Fall des Klägers sei angesichts der geringen Schwere der Unfallschäden schon fraglich, ob überhaupt Ohrgeräusche entstanden sein könnten. Eine wesentliche Schwerhörigkeit sei beim Kläger nicht festgestellt worden. Auch andere objektivierbare pathologische Befunde seien von Dr. K nicht erhoben worden.

11

Mit seiner am 4. Oktober 2001 bei dem Sozialgericht Lübeck erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat im Wesentlichen vorgetragen: Der Widerspruchsbescheid sei seinen Prozessbevollmächtigten am 4. September 2001 zugegangen. Das Gutachten des Dr. Ka sei aus den im Widerspruchsverfahren dargelegten Gründen unbrauchbar. Das Unfallgeschehen habe nicht nur, wie vom Gutachter angenommen, zu einer geringen Schädigung in Gestalt einer leichten Zerrung, sondern zu einer extrem schmerzhaften Situation im Bereich der HWS geführt. Ärztlicherseits sei eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestätigt worden; er habe sich dennoch nicht krankschreiben lassen. Der unfallbedingte Ursachenzusammenhang sei im Zivilgerichtsverfahren von der Gutachterin Dr. E bestätigt worden.

12

Zwischenzeitlich hatte der Kläger erfolgreich zivilrechtliche Ansprüche gegen die Unfallgegnerin und deren Versicherung geltend gemacht. Im Gegensatz zum Amtsgericht war das Landgericht Lübeck auf der Grundlage eines HNO-ärztlichen Gutachtens der Frau Dr. E, Lübeck, vom 28. Mai 2001 zu der Auffassung gelangt, in Anlehnung an die Grundsätze über den Anscheinsbeweis müsse bei Verkehrsunfällen, bei denen wie vorliegend die objektiv feststellbaren Gegebenheiten den Eintritt eines Tinnitus als Folge eines Zusammenstoßes naheliegend erscheinen ließen, die Beweislast dafür, dass dies nicht eingetreten sei, beim Unfallverursacher liegen, da anderenfalls ein – objektiv schwer feststellbarer – Tinnitus nie zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen könne (Urteil vom 27. Februar 2003 – 14 S 352/02 -).

13

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt,

14

den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente nach einer MdE von zumindest 20 v. H. wegen der Folgen des Wegeunfalles vom 11. Mai 1999 zu gewähren.

15

Die Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts das genannte Gutachten von Frau Dr. E sowie das im Verfahren des SG Lübeck S 2 U 8/98 erstattete Gutachten des HNO-Arztes Prof. Dr. R, K, beigezogen. Ferner hat es ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. F, L, vom 27. August 2003 eingeholt.

18

Mit Urteil vom 4. November 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Rentengewährung gem. § 56 SGB VII lägen nicht vor, weil eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 v. H. infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus beim Kläger nicht eingetreten sei. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Tinnitus sei nicht beweisbar. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen solchen Ursachenzusammenhang bestehe nicht. Diese Beweisanforderung seien im Unfallversicherungsrecht allgemein und auch im konkreten Fall maßgeblich; die Erwägungen des LG Lübeck seien daher jedenfalls nicht übertragbar. Nach wissenschaftlicher Lehrmeinung könnten Ohrgeräusche grundsätzlich als Folge von HWS-Schleudertraumen auftreten, wobei die Wahrscheinlichkeit mit der Schwere der primären Schädigung zunehme. Bei einer nur leichten HWS-Distorsion wie hier sei die Möglichkeit der Entstehung von Ohrgeräuschen umstritten. Jedenfalls müssten dann gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten sein, etwa eine messbare Hörstörung, objektivierbare Gleichgewichtsstörungen, neurologische Ausfälle oder eine Schädelbasisfraktur. Solche Befunde fehlten im Fall des Klägers vollständig, wie sich in HNO-ärztlicher Hinsicht den Stellungnahmen von Dr. K und Dr. E entnehmen lasse. Die Ursächlichkeit des Unfallereignisses für den vom Kläger nur subjektiv wahrgenommenen Tinnitus werde von Frau Dr. E nur behauptet, nicht aber belegt. Sie entspreche nicht der wissenschaftlichen Lehrmeinung. Das ergebe sich aus den Gutachten von Dr. F und Prof. Dr. R. Überdies fehlten auch chirurgisch- orthopädische Verletzungsfolgen. Die Kammer folge insoweit dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. Ka. Auch aus dem übrigen Akteninhalt ergäben sich keine Anhaltspunkte für Verletzungen im Bereich der HWS. Das werde auch durch den verhältnismäßig geringen Schaden und die Tatsache bestätigt, dass der Kläger seine Fahrt habe fortsetzen können. Schließlich stehe dem geltend gemachten Rentenanspruch entgegen, dass, wie dem Gutachten von Dr. F zu entnehmen sei, in keinem Fall eine MdE von 20 v. H. erreicht werde.

19

Gegen dieses am 20. November 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, die am Montag, den 22. Dezember 2003 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Er hält der Entscheidung unter Hinweis auf die Ansicht des LG Lübeck entgegen, die in ihr aufgestellten Kausalitätsanforderungen führten zur Entrechtung der unter einem – nicht objektivierbaren – Tinnitus leidenden Versicherten, da der Beweis so gut wie nie zu führen sein werde. Das Sozialgericht sei überdies dem unschlüssigen und auf unrichtigen Annahmen basierenden Gutachten von Dr. F zu Unrecht gefolgt und habe demjenigen von Dr. E, das in der fachärztlichen Literatur nicht allein stehe, keine ausreichende Bedeutung beigemessen.

20

Die Klägerin beantragt,

21

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente nach einer MdE von zumindest 20 v. H. wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11. Mai 1999 zu gewähren, hilfsweise, einen Tinnitus als Unfallfolge anzuerkennen.

22

Die Beklagte beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und auf ihre Bescheide.

25

Der Senat hat einen Befund- und Behandlungsbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. J vom 15. Juni 2004 sowie des HNO-Arztes Prof. Dr. S vom 24. Mai 2004 beigezogen. Auf Antrag des Klägers hat er gem. § 109 SGG das Gutachten der Frau Dr. E vom 12. August 2004 eingeholt.

26

Abschließend hat der Senat den HNO-Arzt Dr. La gehört, der sein Gutachten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. April 2005 näher erläutert hat. Das Ermittlungs- und Beweisergebnis ist den Beteiligten bekannt.

27

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte und die Gerichtsakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht seine Klage abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch weder auf Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung noch auf Feststellung des Tinnitus als Folge des Wegeunfalls vom 11. Mai 1999.

29

Der Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente setzt nach § 56 SGB VII voraus, dass infolge eines Versicherungsfalls eine Erwerbsminderung über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus in Höhe von wenigsten 20 v. H. eingetreten ist. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Eine versicherte Tätigkeit liegt - wie hier - auch beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit vor (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

30

Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen ist somit die Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne, d. h. der Unfall muss eine nicht hinweg zu denkende Bedingung für den Eintritt des Schadens gewesen sein. Bereits dieser Ursachenzusammenhang besteht hier nicht.

31

Der Senat geht allerdings aufgrund der insoweit übereinstimmenden Stellungnahmen der Hals-, Nasen- und Ohrenärzte Dr. v. T, Dr. K, Frau Dr. E und Dr. La davon aus, dass der Kläger tatsächlich unter Tinnitus leidet. Das von den Betroffenen wahrgenommene Ohrgeräusch ist zwar nicht objektivierbar. Dr. La hat jedoch überzeugend ausgeführt, dass durch das sog. Tinnitusmatching eine verlässliche Testmethode zur Verfügung steht, wobei das Ohrgeräusch vom Probanden selbst anhand von Verdeckungsgeräuschen bestimmten Frequenzen zugeordnet wird. Diese sind beim Kläger beidseitig annähernd gleich. Es hat danach keine Anhaltspunkte für Aggravation oder gar Simulation gegeben. Der Senat sieht keinen Anlass, diese Feststellungen, die bis auf eine nunmehr geringfügig erhöhte Frequenz des Ohrgeräuschs mit denjenigen von Frau Dr. E in ihrem für das Amtsgericht Lübeck erstellten Gutachten übereinstimmen, in Zweifel zu ziehen.

32

Wie für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen angeschuldigtem Ereignis und eingetretener Verletzungsfolge erforderlich ist (BSGE 58, 76), muss es mindestens hinreichend wahrscheinlich sein, dass das Unfallereignis vom 11. Mai 1999 ursächlich für den bei dem Kläger aufgetretenen Tinnitus geworden ist. Das wäre dann der Fall, wenn die Gründe für eine solche Kausalität die dagegen sprechenden deutlich überwögen (BSG, Urteil vom 2. Februar 1978, Az: 8 RU 66/77 – BSGE 45, 285 -). Nach Auswertung aller fachärztlicher Stellungnahmen und Unterlagen kommt der Senat jedoch zum gegenteiligen Ergebnis.

33

Bei der Anerkennung eines Tinnitus als Folge eines HWS-Traumas ist folgendes zu bedenken: HWS-Traumata können einen Tinnitus auslösen; ob auch in ihrer leichtesten Erscheinungsform, ist allerdings stark umstritten. Ein Ohrgeräusch als Folge einer Halswirbelsäulendistorsion ist um so wahrscheinlicher, je schwerer die Primärschädigung sei. Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang muss nicht bestehen. Im Vordergrund unfallbedingter Schädigungen des Hör- und Gleichgewichtsorgans stehen Gleichgewichtsstörungen. Sie gehen typischerweise einher mit einseitigen Schallempfindungsstörungen mit flachem Kurvenverlauf, also unter Beteiligung aller Frequenzen. Dementsprechend sollte das Ohrgeräusch nach Halswirbelsäulenschädigungen auch tief- bis mittelfrequent sein (Gutachten Prof. Dr. R vom 12. Februar 1999).

34

Feldmann, Gutachten des HNO-Arztes, 1997, zitiert im Gutachten von Prof. R, führt zusätzlich folgendes aus: Tinnitus als Folge eines Traumas könne nur dann ausreichend wahrscheinlich gemacht werden, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten seien, etwa eine messbare Hörstörung, objektivierbare Gleichgewichtsstörungen, neurologische Ausfälle oder eine Schädelbasisfraktur. Tinnitus als alleiniges Symptom lasse sich in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge darstellen.

35

Nach diesen ärztlichen Meinungen spricht für einen unfallbedingten Tinnitus nur der zeitliche Zusammenhang mit dem angeschuldigten Unfallgeschehen. Dagegen spricht die fehlende Schädigung des Hör- und Gleichgewichtsorgans. Das gilt angesichts der Ausführungen von Prof. Dr. R zur Bedeutung der Primärschädigung für die Eintrittswahrscheinlichkeit des Tinnitus erst recht deswegen, weil auch die unmittelbaren Unfallfolgen nicht sehr bedeutsam waren und folgenlos abgeheilt sind. Die nach dem Unfall erstatteten Befundberichte von Frau M und Dr. v. T wie auch das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. Ka ergeben, dass knöcherne Verletzungen der Halswirbelsäule sicher nicht vorlagen. Welches Ausmaß die unfallbedingte Streckung erreicht hat, ist dagegen nicht eindeutig. Dr. v. T hat erst nachträglich von einer "extrem schmerzhaften" Halswirbelsäule gesprochen; am Untersuchungstag selbst befundete er lediglich ein HWS-Syndrom mit Rotationsfehlstellung, Rotationseinschränkung, Kopfgelenksblockierung und Streckhaltung, ohne auf die Schmerzintensität einzugehen. Am 7. September 1999 soll nach mehrfacher manueller Deblockierung eine "deutlichste" Beschwerdelinderung im Bereich der HWS eingetreten sein. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach dem Unfall weiter gefahren und ununterbrochen seiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Aus diesen Umständen entnimmt der Senat, dass eine nur leichte HWS-Distorsion (Schweregrad I nach Erdmann) vorgelegen hat, bei der ein traumatisch bedingter Tinnitus gar nicht (Dr. Ka) oder nur im Zusammenhang mit hier nicht vorliegenden Schäden der Hör- und Gleichgewichtsorgane bzw. neurologischen Ausfällen (Dr. F, Prof. Dr. R, F, Dr. La) auftreten kann. Dafür spricht auch der nach den vorliegenden Unfallfotos nur sehr geringe Schaden am Fahrzeug des Klägers, der sich auf eine Deformierung des Stoßfängers und leichte Eindellungen an der Karosserie unterhalb der Heckklappe beschränkt.

36

Hinzu kommt, dass nach Prof. Dr. R typischerweise nur Ohrgeräusche mittel- und niederfrequenter Art unfallbedingt sein können. Auch diese liegt beim Kläger nicht vor.

37

Mit diesen Feststellungen folgt der Senat den Gutachten von Prof. Dr. R, Dr. F, Dr. Ka und Dr. Löffler, die ihn in vollem Umfang überzeugt haben. Dadurch ist die Auffassung von Dr. E widerlegt.

38

Frau Dr. E zitiert Claußen mit Beobachtungen an HWS-Patienten, wonach 14 % von ihnen über Tinnitus klagen, obwohl nur 5 % eine nachweisbare Hörminderung hätten. Sie ist der Auffassung, im Rahmen von HWS-Schleudertraumata könne eine Tinnitussymptomatik auch ohne begleitende Innenohrhörstörung auftreten.

39

Dem ist Dr. La in seinem Gutachten mit dem Hinweis entgegengetreten, die Studie von Oosterveld et al. 1992, auf die sich auch Claußen stütze, sei methodisch mangelhaft. Es habe sich um selektiertes Patientengut gehandelt. Zum Teil hätten sich die Patienten aufgrund von Begutachtungen in der Klinik eingefunden. Nach möglichen Vorschäden vor dem Unfall sei nicht gefragt worden. Im übrigen hat sich Dr. La der Meinung angeschlossen, für das Entstehen eines isolierten chronischen Tinnitus nach einem Unfallereignis mit Halswirbelsäulendistorsionstrauma gebe es keinen hinreichenden Beleg.

40

Nach alledem ist der beim Kläger aufgetretene Tinnitus nicht mit Wahrscheinlichkeit durch das Unfallereignis vom 11. Mai 1999 verursacht worden. Die mit dem Hauptantrag begehrte Gewährung einer Verletztenrente scheitert - von den obigen tragenden Gründen abgesehen - überdies, wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat und durch das Gutachten von Dr. La bestätigt wird, an der gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII erforderlichen Intensität der Erwerbsminderung von wenigstens 20 v. H.

41

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

42

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.


Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Der Kläger war an der Universität B. als Student eingeschrieben. Am 15.12.2008 fiel er auf einem Bahnsteig des Hauptbahnhofs B., an dem die zur Universität führende Bahn abfährt, um. Er prallte mit dem Kopf auf den Boden und blieb liegen. Durch den Aufprall erlitt er ein Schädel-Hirntrauma mit Blutungen im Gehirn. Die Beklagte lehnte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 29.4.2009) und wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 9.3.2010). Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Zwar habe eine innere Ursache für den Sturz nicht festgestellt werden können, dies lasse aber nicht den Schluss zu, dass eine versicherte Tätigkeit oder andere betrieblich bedingte Umstände für das Unfallereignis ursächlich gewesen seien.

3

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das Ereignis vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen (Urteil vom 30.7.2012). Neben der versicherten Tätigkeit des Zurücklegens des Weges zur Universität sei keine weitere Ursache feststellbar, sondern allenfalls denkbar, sodass mangels Konkurrenzursache keine Zweifel an der Unfallkausalität bestünden. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.5.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zwar einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII erlitten. Der Unfall sei jedoch nicht "infolge" einer versicherten Tätigkeit eingetreten. Die Einwirkung auf den Körper des Klägers sei zwar objektiv, dh im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn, nicht aber rechtlich wesentlich durch dessen zuvor verrichtete Tätigkeit (Zurücklegen des Weges von der Wohnung zur Universität) verursacht worden. Weshalb der Kläger umgefallen sei, sei nicht aufklärbar. Das BSG fordere im Kontext der Wegeunfallversicherung bei der Wesentlichkeitsprüfung, dass sich bei dem Geschehen eine dem Schutzzweck der Wegeversicherung entsprechende, spezifische Gefahr realisiere. Die Wesentlichkeit der Wirkursache sei eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen. Wie und warum der Kläger umgefallen sei, sei nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht mehr feststellbar. Damit könne auch die Verwirklichung einer spezifischen Verkehrsgefahr nicht festgestellt werden. Allein im Umfallen und Aufschlagen auf dem Boden habe sich kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht.

4

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Die Unfallkausalität sei immer gegeben, wenn neben der versicherten Tätigkeit keine weiteren konkurrierenden Ursachen festgestellt werden könnten. Die Prüfung, ob die versicherte Tätigkeit rechtlich wesentlich gewesen sei, habe nur zu erfolgen, wenn noch weitere Ursachen festgestellt würden. Dies folge aus dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung, weil bei vielen Unfällen der genaue Hergang nicht geklärt werden könne. Das Vorliegen einer inneren Ursache oder anderer konkurrierender Ursachen habe das LSG gerade nicht festgestellt.

5

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30. Juli 2012 zurückzuweisen.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Ablehnung der Feststellung des Ereignisses vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Arbeitsunfall iS des § 8 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 SGB VII erlitten.

9

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 18/13 R - SozR 4-2700 § 101 Nr 2 RdNr 16 ff mwN, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; vgl auch BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20).

10

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar erlitt der Kläger einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII(dazu unter 1.). Den Feststellungen des LSG ist jedoch bereits nicht zu entnehmen, welche konkrete Verrichtung mit welcher Handlungstendenz der Kläger in dem Moment des Unfalls ausübte, sodass schon fraglich ist, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall als Studierender iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII in der Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auf einem Weg nach dem Ort seiner Studientätigkeit versichert war(dazu 2.). Dies kann aber letztlich offen bleiben, denn der Unfall stellt jedenfalls schon deshalb keinen Arbeitsunfall iS des § 8 SGB VII dar, weil das Unfallereignis dem allein hier als versicherte Tätigkeit in Betracht kommenden Zurücklegen eines solchen Weges rechtlich nicht zugerechnet werden kann(dazu 3.).

11

1. Der Kläger erlitt am 15.12.2008 auf dem Bahnsteig eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII. Er schlug mit dem Kopf auf den Boden auf, wodurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkte (vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 14). Dies führte zu einem seine körperliche Unversehrtheit verletzenden Schädel-Hirntrauma mit Blutungen im Bereich des Gehirns.

12

2. Offen bleiben kann, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall einer versicherten Verrichtung iS des § 8 Abs 2 Nr 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII nachgegangen ist. Als eingeschriebener Student einer Universität war der Kläger am 15.12.2008 Studierender iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII(vgl zu diesem Begriff BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 24/11 R - SozR 4-2200 § 539 Nr 2 RdNr 13 ff) und damit während seiner Ausbildung an der Hochschule in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (vgl zur versicherten Tätigkeit zuletzt BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 14/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 30 RdNr 13 ff und - B 2 U 10/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 32 RdNr 15 ff, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, sowie - B 2 U 13/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 RdNr 15 f; vgl auch BSG vom 26.9.1996 - 2 RU 12/96 - SozR 3-2200 § 539 Nr 36 und vom 4.7.1995 - 2 RU 45/94 - HVBG-INFO 1995, 2377 jeweils mit weiteren Nachweisen). Damit stand er grundsätzlich gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auf einem mit dieser versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach und von dem Ort dieser Tätigkeit unter Versicherungsschutz. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) befand sich der Kläger auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zum Ort seiner versicherten Tätigkeit, der Universität. Der Unfall ereignete sich auf dem Bahnsteig, von dem eine zur Universität führende Bahn abfuhr.

13

Dass der Versicherte sich auf dem unmittelbaren Weg zwischen dem Ort seiner versicherten Tätigkeit und seiner Wohnung befindet, reicht jedoch für den Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nicht aus. Vielmehr muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses in einem sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Ein solcher sachlicher Zusammenhang besteht, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört (BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Andernfalls wäre jede Handlung auf einem Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII vom Versicherungsschutz umfasst. Einen solchen "Wegebann" kennt die gesetzliche Unfallversicherung hingegen nicht.

14

Wie das BSG seit seiner Entscheidung vom 9.12.2003 (B 2 U 23/03 R - BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3) in ständiger Rechtsprechung betont hat (vgl nur Urteile vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25, vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 und - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 22 f sowie vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32), ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, die Handlungstendenz des Versicherten (zuletzt Urteile vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18). Das Handeln muss subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen Tätigkeit ausgerichtet sein (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 31 und vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14). Darüber hinaus muss sich die subjektive Handlungstendenz als von den Instanzgerichten festzustellende Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln (vgl BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Eine Verrichtung in diesem Sinne ist jedes konkrete, räumlich und zeitlich bestimmte Verhalten eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar ist. Für die Prüfung ist dabei regelmäßig die kleinste beobachtbare Handlungssequenz maßgebend (vgl Spellbrink, WzS 2011, 351, 354).

15

Das LSG hat offen gelassen, ob der Kläger unmittelbar vor dem Sturz gestanden hat oder gegangen ist. Auch eine andere Verrichtung ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Selbst wenn der Aufenthalt des Klägers auf dem Bahnsteig an sich - allerdings als dann nicht mehr kleinste beobachtbare Handlungssequenz - ausnahmsweise als die maßgebliche Verrichtung angesehen würde, bleibt dennoch die objektivierte Handlungstendenz im Zeitpunkt des Unfallereignisses, zu dem Ort der Tätigkeit - hier der Universität - zu gelangen, mangels entsprechender Feststellungen durch das LSG offen. Daher kann schon nicht beurteilt werden, ob ein sachlicher Zusammenhang der zur Zeit des Unfallereignisses ausgeübten Verrichtung mit dem grundsätzlich versicherten Zurücklegen des Weges bestand.

16

Ungeachtet dessen, ob sich die Verrichtung und Handlungstendenz überhaupt noch aufklären lassen, kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob der soeben dargestellte sachliche Zusammenhang mit der Verrichtung im Zeitpunkt des Unfallereignisses gegeben war. Denn selbst wenn ein solcher sachlicher Zusammenhang angenommen würde, scheitert der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Arbeitsunfalls jedenfalls daran, dass der Unfall nicht "infolge" des Zurücklegens dieses Weges eingetreten und ihm deshalb rechtlich nicht zuzurechnen ist.

17

3. Der Unfall ist nicht einer versicherten Tätigkeit iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII zuzurechnen, weil sich nicht feststellen lässt, dass sich mit dem Aufprall auf dem Bahnsteig eine Gefahr verwirklicht hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt.

18

a) Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben Schutz gegen Gefahren zu gewähren, die sich durch die ihre Verbandszuständigkeit, den Versicherungsschutz und das Versichertsein des Verletzten begründende Verrichtung von im jeweiligen Versicherungstatbestand konkret umschriebenen Tätigkeiten realisieren können. Ihre Einstandspflicht besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert daher zweistufig die Erfüllung erstens tatsächlicher und zweitens darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 32 ff mwN).

19

Auf der ersten Stufe setzt die Zurechnung mithin voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit-)verursacht wurde. Für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine Wirkursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und hat der Unfallversicherungsträger nicht einzustehen. Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der "conditio-Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Wie bereits ausgeführt, ist die Verrichtung des Klägers vor dem Unfallereignis vom LSG nicht festgestellt worden, sodass die Annahme eines Ursachenzusammenhangs bereits an der ersten Stufe scheitert. Dies kann - wie bereits angedeutet - aber letztlich dahinstehen, weil sich jedenfalls bei dem Unfall des Klägers kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht hat.

20

Selbst wenn eine versicherte Tätigkeit als Wirkursache feststeht, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass eine versicherte Verrichtung - wie hier ggf das Stehen auf dem Bahnsteig - wegen ihrer objektiven (Mit-)Verursachung der Einwirkung - die hier gerade nicht festgestellt ist - auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R, aaO, RdNr 33 ff).

21

Ob eine Ursache rechtlich wesentlich ist, ist auch dann zu prüfen, wenn sie als alleinige Ursache festgestellt ist, weil andere (Mit-)Ursachen nicht erwiesen oder nicht in Betracht zu ziehen sind. Denn auch in diesem Fall wird die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers nur begründet, wenn sich durch den Unfall, der durch die versicherte Verrichtung objektiv verursacht wurde, eine Gefahr verwirklicht hat, gegen die die Versicherung schützen soll. Diese Voraussetzung wird zumeist erfüllt sein, bedarf aber stets der Entscheidung (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R, aaO, RdNr 42). Dem stehen die vom Kläger benannten Urteile des Senats vom 30.1.2007 (B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr 22) und vom 17.2.2009 (B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31) nicht entgegen. Nach den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten waren die dort vom LSG festgestellten Verrichtungen unmittelbar vor dem Unfall der jeweiligen versicherten Tätigkeit zuzurechnen und die nichtversicherten Ursachen waren lediglich mögliche Wirkursachen. Entscheidend war aber auch dort, dass sich durch den Unfall jeweils eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der der jeweilige Versicherungstatbestand gerade schützen sollte, nämlich die Gefahr eines Sturzes während des der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Laufens bzw eines Verkehrsunfalls während des dem Zurücklegen des Weges zuzurechnenden Steuerns eines Kraftfahrzeugs. Somit war dort die im vorliegenden Fall zu verneinende Frage, ob sich jeweils im Hinblick auf diese Verrichtung durch das Unfallereignis eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der die gesetzliche Unfallversicherung schützen soll, unproblematisch zu bejahen.

22

b) Das Umfallen und der Aufprall des Klägers auf den Bahnsteig war danach jedenfalls nicht rechtlich wesentlich durch eine zuvor versicherte Tätigkeit verursacht worden. Wie ausgeführt, ist den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG lediglich zu entnehmen, dass sich der Kläger auf dem Bahnsteig befand. Das LSG konnte jedoch nicht feststellen, von welchen konkreten Umständen das Unfallereignis begleitet war. Insbesondere steht nicht fest und ist nach den insoweit unangegriffenen Beweiswürdigungen des LSG auch nicht mehr feststellbar, ob der Kläger unmittelbar vor dem Ereignis sich bewegt hat, sodass er dabei möglicherweise stolperte oder ausrutschte, oder ob er aus dem Stand umfiel, ob er angerempelt wurde, gegen eine Vitrine stieß, ob die Bodenverhältnisse auf dem Bahnsteig den Sturz bewirkten oder ob ggf eine (innere) Erkrankung bestand. Mithin ist nicht feststellbar, welche Faktoren im Zeitpunkt des Sturzes und Aufpralls auf den Kläger eingewirkt haben. Damit kann auch nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich durch das Unfallereignis ein Risiko verwirklicht hat, vor dem gerade die Wegeunfallversicherung Schutz gewähren soll.

23

Die Wegeunfallversicherung schützt, wie der Senat zuletzt entschieden hat, vor Gefahren für Gesundheit und Leben, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremdem Verkehrsverhalten oder äußeren Einflüssen während der Zurücklegung des Weges hervorgehen (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 20 und vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 45). Zwar könnte das Risiko, beim Gehen durch Stolpern oder Ausrutschen, durch einen Zusammenstoß mit einer Vitrine oder durch den Anstoß anderer Personen zu stürzen, jeweils von dem Schutzzweck der Wegeunfallversicherung umfasst sein. Solche äußeren Einwirkungen auf den Körper des Klägers müssten als solche aber zunächst konkret festgestellt sein, was hier gerade nicht der Fall ist. Ihre Nichterweislichkeit geht zu Lasten des Klägers.

24

c) Die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, müssen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 mwN). In der Wegeunfallversicherung wie auch sonst bei anderen Versicherungstatbeständen der gesetzlichen Unfallversicherung besteht keine Vermutungsregel, dass bei Verrichtung einer versicherten Tätigkeit unmittelbar vor dem Unfallereignis der Unfall objektiv und rechtlich wesentlich durch diese versicherte Tätigkeit verursacht wurde. Sind - wie hier - die Umstände, die vor dem Unfallereignis unmittelbar auf den Kläger eingewirkt haben, unbekannt, kann nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Sturz durch ein Risiko verursacht wurde, gegen das die gesetzliche Unfallversicherung beim Zurücklegen des Weges nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII Schutz gewähren soll.

25

Den Nachteil aus der tatsächlichen Unaufklärbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen hat nach den Regeln der objektiven Beweislast der Kläger zu tragen. Für die erforderlichen Feststellungen der Tatsachen können ua die Angaben des Versicherten, Bekundungen von Zeugen und Sachverständigen sowie sonstige Umstände herangezogen werden. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben - soweit ersichtlich - alle denkbaren Beweismittel ausgeschöpft. Insofern werden auch von der Revision keine Rügen erhoben. Ist danach dennoch das zum Unfallereignis führende Geschehen und insbesondere - wie hier - die zum Unfallereignis führende Kausalkette nicht aufklärbar, geht dies zu Lasten des Versicherten (vgl hierzu BSG vom 27.3.1990 - 2 RU 45/89 - HV-INFO 1990, 1181 mwN; vgl auch BSG vom 28.6.1984 - 2 RU 54/83 - HV-INFO 1984, Nr 15, 40 bis 44). Wie bereits oben ausgeführt, kann ohne Feststellung der konkreten Kausalkette nicht aus der bloßen Tatsache des "auf dem Wege seins" abgeleitet werden, dass sich auch eine Gefahr realisiert hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt. Ein solcher "Wegebann" entspricht nicht dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. Entgegen der Auffassung der Revision führt auch der allgemeine Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung nicht dazu, dass die Nichterweislichkeit der Ursache bei ungeklärtem Unfallhergang jeweils zu Lasten des Unfallversicherungsträgers geht. Denn die Einstandspflicht und damit der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht auch in der Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand dieser versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Verrichtung erfüllte Versicherungstatbestand der Wegeunfallversicherung schützen soll. Ein solches spezifisches Wegerisiko als Unfallursache ist hier aber nicht feststellbar, was zu Lasten des Klägers geht.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sein Bandscheibenvorfall im Bereich C 6/7 seiner Halswirbelsäule (HWS) ein weiterer Gesundheitserstschaden seines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 3.7.2005 ist.

2

Der Kläger absolvierte an diesem Tag als Arbeitnehmer eines Automobilherstellers aufgabengemäß eine Testfahrt auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Italien. Dabei platzte bei einer Geschwindigkeit von 295 km/h ein Hinterreifen seines Fahrzeugs. Es kam von der Fahrbahn ab, durchbrach die Leitplanke und kam in einem Wäldchen zum Stehen.

3

Bei der Erstuntersuchung des Klägers erbrachten die Röntgenaufnahmen keinen Anhalt für Frakturen. Am 6.7.2005 diagnostizierte ein Facharzt für Chirurgie ua eine Halswirbelsäulen-Distorsion (Verstauchung, Zerrung). In der Kernspintomographie der HWS vom 4.8.2005 wurden erhebliche degenerative Veränderungen bei multisegmentaler Osteochondrose sowie für den Bereich von C 6/7 eine fast normal hohe Bandscheibe mit normal weiten Neuroforamina (Wurzelkanälen) beschrieben. Eine weitere Kernspintomographie der HWS vom 30.8.2005 ergab zwischen den Halswirbelkörpern C 6/7 einen links gelegenen Bandscheibenvorfall mit intraforaminaler Vorfallskomponente. Eine Begleitverletzung wurde nicht benannt.

4

Im Bescheid vom 18.10.2007 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 3.7.2005 als Arbeitsunfall. Als "Unfallfolgen" wurden "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers" anerkannt.

5

Ferner wurde festgestellt, der Bandscheibenvorfall zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper sei keine "Folge des Arbeitsunfalls", weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung. Ein traumatischer Bandscheibenvorfall sei angesichts des MRT-Befundes vom 4.8.2005, in dem eine Traumatisierung des Segments C 6/7 nicht beschrieben sei, zu verneinen. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.2.2008).

6

Das SG Karlsruhe hat mit Urteil vom 14.7.2010 festgestellt, dass "die Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei.

7

Die Beklagte hat mit ihrer Berufung geltend gemacht, das Urteil sei in seiner Kausalitätsbeurteilung mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht vereinbar. Im Standardwerk der gesetzlichen Unfallversicherung von Schönberger/Mehrtens/Valentin, das den anerkannten neuesten medizinischen Kenntnisstand dokumentiere, werde seit der 7. Auflage ausgeführt, dass die traumatische Verursachung eines isolierten Bandscheibenschadens ohne Begleitverletzung nicht möglich sei. Dazu sei Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

8

Das LSG hat die Berufung durch Beschluss vom 22.12.2010 zurückgewiesen. Es sei vorliegend zumindest wahrscheinlich, dass der Unfall vom 3.7.2005 naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7 gewesen sei. Hierfür sprächen vor allem jene Indizien, die auf eine akute Schädigung im Bereich des Bewegungssegments C 6/7 und damit eine Substanzschädigung der betreffenden Bandscheibe in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis hinwiesen. Vor dem Unfall sei der Kläger trotz bestehender degenerativer Veränderungen gerade auch im Bereich der HWS beschwerdefrei gewesen. Der Unfall habe zu einer Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule geführt. Umstände, die üblicherweise gegen einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang sprächen, hätten im vorliegenden Fall keine durchgreifende Bedeutung.

9

Zu Unrecht berufe sich die Beklagte auf das Werk von Schönberger/Mehrtens/Valentin und meine, es sei dort dokumentierter neuester medizinischer Kenntnisstand, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall immer mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen einhergehe. Diesen Ausführungen könne aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Denn dieses Standardwerk der unfallmedizinischen Literatur vermenge die Prüfung der naturwissenschaftlichen Kausalität auf der ersten Stufe mit der wertenden Entscheidung der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung (Wesentlichkeit). Bei der Prüfung der Wesentlichkeit handele es sich um eine wertende Entscheidung, die dem juristischen Betrachter vorbehalten sei.

10

Der Antrag der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens werde abgelehnt. Selbst wenn die von Schönberger/Mehrtens/Valentin vertretene Auffassung den herrschenden medizinischen Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung wiedergeben sollte, ändere dies nichts daran, dass dieser Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung nicht zugrunde gelegt werden dürfe, weil er die maßgebenden rechtlichen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG vernachlässige.

11

Lägen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall "örtlich-zeitlich in Rede" stehe, sei ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

12

Sei der naturwissenschaftliche Zusammenhang zu bejahen, stelle sich die Frage (zweite Stufe der Kausalitätsprüfung), ob das Unfallereignis auch wesentlich gewesen sei. Hierbei sei vor dem Hintergrund der Schwere des Unfalltraumas mit einer plötzlichen unphysiologischen Belastung der HWS den bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen im Hinblick auf den aufgetretenen Bandscheibenvorfall keine überragende Bedeutung beizumessen gewesen. Demnach sei das Unfallereignis wesentliche Mitursache des erlittenen Bandscheibenvorfalls und die beim Kläger in der Folge erforderlich gewordene Versteifung im Bewegungssegment einschließlich der fortbestehenden Schmerzsymptomatik als Unfallfolge festzustellen.

13

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII und einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Bandscheibenvorfall liege nicht vor. Das LSG habe nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ermittelt.

14

Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juli 2010 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

15

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

17

1. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann das BSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, die die Verbandszuständigkeit der Beklagten begründet und eine Einwirkung auf die HWS des Klägers wesentlich mitverursacht hat (dazu unter 3.), dadurch auch eine objektive und zudem rechtlich wesentliche Mitursache des Bandscheibenvorfalls auf der Höhe des 6./7. Halswirbelkörpers geworden ist. Nur dann wäre dieser ein Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls.

18

Das LSG hat nicht festgestellt, ob dieser Schaden nach Maßgabe des derzeit anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft durch die verrichtungsbedingte und deshalb versicherte Einwirkung unmittelbar objektiv mitverursacht wurde (dazu unter 4.). Seine Ansicht, dies könne durch "eine wertende Entscheidung …, die … dem juristischen Betrachter vorbehalten" sei, im Rahmen der rechtlichen "Wesentlichkeitsbeurteilung" ersetzt werden, verfehlt den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache für eine bestimmte Wirkung (dazu unter 3. und 5.).

19

2. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen die Zurückweisung ihrer zulässigen Berufung durch das LSG. Mit ihr wandte sie sich erstens gegen die Aufhebung ihres Verwaltungsakts durch das SG, der Kläger habe gegen sie keinen Anspruch auf Feststellung seines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als "Folge des Arbeitsunfalls". Zweitens begehrte sie die Aufhebung des Feststellungsurteils des SG, dass die "Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei. Der Erfolg ihrer Rechtsmittel hängt davon ab, ob die zulässige Kombination der zulässigen Anfechtungs- mit der zulässigen Feststellungsklage des Klägers begründet ist. Das wäre dann der Fall, wenn sie durch ihren negativ feststellenden Verwaltungsakt einen Anspruch des Klägers auf die Feststellung eines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als Gesundheitserstschaden zu Unrecht abgelehnt hätte. Dann wäre dieser (insoweit unter klarstellender Änderung des bisherigen Ausspruchs des SG) durch Feststellungsurteil als weiterer Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls festzustellen. Andernfalls hätte ihre Revision durchgreifenden Erfolg.

20

Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG zwischen den Beteiligten klargestellt werden konnte, richtete sich das Begehren des Klägers von Anfang an nicht auf die Feststellung seines Bandscheibenvorfalls als eine (unmittelbare) Unfallfolge. Ihm kam es vielmehr stets auf die Feststellung dieses Gesundheitsschadens als weiteren Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls an. Eine unmittelbare Unfallfolge kann sich hingegen nur infolge eines Gesundheitserstschadens einstellen, der selbst als Tatbestandsvoraussetzung des Unfallbegriffs iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII dem Begriff des Arbeitsunfalls unterfällt. Der Bandscheibenvorfall war zudem ersichtlich keine Wirkung eines bereits anerkannten Erstschadens. Bei sachgerechter Auslegung war auch die angefochtene negative Feststellung der Beklagten auf die Ablehnung der Anerkennung eines Erstschadens gerichtet.

21

3. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist nicht abschließend beurteilbar, aber möglich, dass dem Kläger der erhobene Feststellungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Jeder Versicherte hat nämlich das Recht, vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung aller Erstschäden (Gesundheitserstschäden oder Tod) eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII zu verlangen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 8 Nr 43 vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

22

a) Der Anspruch scheitert nicht schon daran, dass die Beklagte eine insoweit unanfechtbar gewordene Feststellung getroffen hat, der Kläger habe infolge seiner versicherten Testfahrt einen Arbeitsunfall mit folgenden Gesundheitserstschäden erlitten: "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers".

23

Die rechtliche Bindungswirkung dieses Verwaltungsakts erstreckt sich nicht auf die hier umstrittene Frage, ob die infolge der Testfahrt eingetretene Einwirkung auf den Körper des Klägers weitere Gesundheitserstschäden (objektiv und unfallversicherungsrechtlich wesentlich) mitverursacht hat. Werden die Erstschäden anfangs nur unvollständig anerkannt, hat der Versicherte Anspruch auf eine vollständige Feststellung aller objektiv vom Arbeitsunfall umfassten Gesundheitserstschäden. Entscheidet der Versicherungsträgerbei seiner Feststellung eines Arbeitsunfalls, wie hier, dass der Versicherte keinen Anspruch auf Feststellung bestimmter weiterer Erstschäden habe, oder stellt er die Gesundheitserstschäden ausdrücklich abschließend (positiv oder negativ) fest, ist dagegen der Widerspruch gegeben (nach Fristablauf allein §§ 44 f SGB X). Da hier erstmals um einen weiteren, von der Beklagten abgelehnten Gesundheitserstschaden gestritten wird, erfasst die rechtliche Bindungswirkung des den Arbeitsunfall feststellenden Verwaltungsakts den hier rechtshängigen Streitgegenstand nicht.

24

b) Die Feststellungen des LSG lassen erkennen, dass der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Feststellung der umstrittenen Gesundheitserstschäden hat. Denn danach hat er eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter verrichtet und infolge dessen ein Unfallereignis erlitten (dazu sogleich).

25

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 (oder 8 Abs 2) SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 Satz 2).

26

Daher muss eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das "infolge" also ua nach dieser Verrichtung eingetreten sein muss, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet seine Versichertenstellung in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung.

27

Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).

28

Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein.

29

aa) § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII setzt voraus, dass der Verletzte eine "den Versicherungsschutz" begründende "Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" verrichtet hat und dass der Unfall (iS von Satz 2 aaO) "infolge" dieser versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

30

Diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen umschreiben den Rechtsgrund, aufgrund dessen der wegen einer Verrichtung einer versicherten Tätigkeit durch den Verletzten verbandszuständige Unfallversicherungsträger überhaupt versicherungsrechtlich für die Schäden, Nachteile und Bedarfe des verunfallten Verletzten einstehen soll. Er soll nur verpflichtet sein, soweit der Versicherungsschutz durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit in der jeweiligen Versicherung begründet ist. Er soll deshalb (grundsätzlich) nur einstehen müssen für Gesundheitsschäden (oder Tod und ggf wirtschaftliche Folgen etc), die "infolge" der versicherten Verrichtung eingetreten sind und ein Risiko realisieren, gegen das die jeweils begründete Versicherung schützen soll. Zurechnungsvoraussetzungen sind somit auf der ersten Stufe die (faktisch-objektive) Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung des Verletzten für den Schaden und auf der darauf aufbauenden zweiten Stufe dessen rechtliche Erfassung vom jeweiligen Schutzzweck der begründeten Versicherung.

31

bb) Die Zurechnung setzt somit erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) objektiv mitverursacht hat. Denn für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Verrichtung keine Wirkursache war, ist schlechthin kein Versicherungsschutz begründet, hat also der Versicherungsträger nicht einzustehen. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (innere Tatsache). Als (objektives) Handeln des Verletzten kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden oder Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder iS von § 11 SGB VII, der für die zweite Stufe andere Zurechnungsgründe als die "Wesentlichkeit" regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie ua zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zu den Bedarfen reichen, derentwegen das SGB VII Leistungsrechte vorsieht.

32

Erst dann, wenn die "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" festgestellt sind, kann und darf (auf der ersten Stufe der Zurechnung) über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung (objektive Verursachung) zwischen der Verrichtung und der Einwirkung (mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der Wahrscheinlichkeit) entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und ggf mit welchem Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) eine Wirkursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper des Versicherten war.

33

cc) Zweitens muss der (letztlich) durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll.

34

Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so schon BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung (etc) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden.

35

Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden. Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl hierzu BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 2 Nr 21 vorgesehen - RdNr 21 ff - Lebendnierenspende).

36

Bei der folgenden Subsumtion muss vorab entschieden werden, ob die versicherte Verrichtung durch ihren auf der ersten Stufe festgestellten Verursachungsbeitrag überhaupt ein Risiko verwirklicht hat, das in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Nur wenn dies, wie zumeist, zu bejahen ist, kommt es darauf an, ob ggf konkret festgestellte unversicherte Mitursachen, die selbst die Zurechnung zum Unfallversicherungsträger nie begründen können, gleichwohl die Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das gesamte Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass die Wirkung insgesamt trotz des Mitwirkungsanteils der versicherten Verrichtung nicht mehr unter den Schutzbereich der jeweiligen Versicherung fällt. Bei dieser Subsumtion sind alle auf der ersten Stufe im Einzelfall konkret festgestellten versicherten und unversicherten Wirkursachen mit ihren ggf festgestellten Mitwirkungsanteilen in einer rechtlichen Gesamtabwägung nach Maßgabe des jeweilig festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten.

37

Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als "wesentliche Ursache" (vgl schon RVA vom 24.5.1912, AN 1912, 930 = Breithaupt 1912, 212; GS RVA vom 26.2.1914, AN 1914, 411 <2690>; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 17).

38

dd) In gleicher Weise muss zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls ggf die versicherte Einwirkung den Erstschaden (ggf den Tod) a) objektiv und b) rechtlich wesentlich verursacht haben. Dabei kommt es schon wegen der Einheit des jeweiligen Versicherungsfalls stets auch darauf an, dass die Zurechnungskette auf ein- und dieselbe versicherte und den Versicherungsschutz bei dem Unfallversicherungsträger begründende Verrichtung zurückzuführen ist.

39

ee) Diese Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Gesundheitserstschaden erfüllt sein. "Gesundheitserstschaden" ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde, die durch ein- und dieselbe versicherte Verrichtung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden (oder den Tod), die "infolge" ein- und derselben versicherten Verrichtung eintreten.

40

c) Nach den Feststellungen des LSG liegt eine versicherte Verrichtung des Klägers vor, die eine Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat.

41

aa) Der Kläger hat durch seine Testfahrt den Tatbestand der versicherten Tätigkeit als "Beschäftigter" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt(zu den Voraussetzungen dieses Tatbestandes näher BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 2 Nr 20 vorgesehen). Denn er hat dadurch zur Erfüllung einer Hauptpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis mit dem Automobilhersteller zumindest angesetzt, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG auch in tatsächlicher Hinsicht abschließend außer Streit gestellt werden konnte. Er war daher in der Beschäftigtenversicherung grundsätzlich gegen alle Gefahren unfallversichert, die sich "infolge" der versicherten Testfahrt verwirklichten.

42

bb) Das LSG hat ferner bindend festgestellt, dass es infolge der Testfahrt zu einer "Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule" gekommen ist. Unter "Einwirkung" (als Kurzbezeichnung für das von außen kommende, zeitlich begrenzt einwirkende Unfallereignis) ist die durch einen solchen Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem (möglicherweise zeitnah danach eintretenden) Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Das LSG hat zur Natur der körperlichen Veränderung festgestellt, dass ein Chirurg am 6.7.2005 beim Kläger eine "HWS-Distorsion" diagnostiziert habe. Nach dem Gesamtzusammenhang des Beschlusses des LSG hat es sich diese Diagnose zu eigen gemacht. Eine solche HWS-Verstauchung genügt jedenfalls dem (weiten) Einwirkungsbegriff.

43

cc) Das LSG hat auch noch festgestellt, dass die versicherte Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit, das Platzen des Autoreifens, das Abkommen von der Testbahn, das Durchbrechen der Leitplanke und das Abstoppen im Wäldchen diese Einwirkung auf die HWS objektiv mitverursacht haben. Auch wenn das LSG keine näheren Feststellungen zur Ursache des Platzens des Reifens (ua Materialfehler, äußere Ursache) und auch nicht dazu getroffen hat, ob es bei der Testfahrt gerade um die Prüfung der Belastbarkeit der Reifen ging, ist seine Feststellung rechtlich nicht zu beanstanden, dass die versicherte Testfahrt als Grundvoraussetzung des Unfallhergangs eine mitwirkende Ursache für die Einwirkung war. Wie zudem vor dem BSG zur Gehörsgewährung eingeführt und von den Beteiligten bestätigt wurde, entspricht es dem heutigen allgemeinkundigen Stand der Erfahrung, dass ein solcher Ablauf einer Autofahrt Ursache eines starken Aufpralls mit der Wirkung ua einer Verstauchung der HWS sein kann und nach den konkreten Umständen des Falles hier auch war. Weitere Mitursachen wurden vom LSG nicht festgestellt und von der Beklagten nicht behauptet.

44

dd) Das LSG hat sinngemäß auch die rechtliche Beurteilung geäußert, dass das versicherte Handeln des Klägers eine mit der Erfüllung dieser Pflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis verbundene Gefahr für seine Gesundheit verwirklicht hat. Das trifft bundesrechtlich zu. Denn die Beschäftigtenversicherung soll grundsätzlich in allen Lebens- und Gesundheitsgefahren schützen, die sich aus dem Handeln zur Erfüllung von Pflichten oder zur Wahrnehmung unternehmensbezogener Rechte aus dem Beschäftigungsverhältnis unter Eingliederung in einen vom Unternehmer bestimmten Gefahrenbereich ergeben. Der Kläger hat infolge der ihm aufgetragenen Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit Gesundheitsgefahren eingehen müssen, die sich in der Einwirkung realisiert haben. Damit fällt die durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Einwirkung auf die HWS unter den Schutzbereich der hier begründeten Beschäftigtenversicherung. Die konkret festgestellten Mitursachen der Einwirkung, das Platzen des Reifens, der Widerstand der durchbrochenen Leitplanke schließen in der gebotenen rechtlichen Gesamtabwägung die Zuordnung der HWS-Verstauchung zum Schutzbereich der Beschäftigtenversicherung nicht aus. Denn in ihnen hat sich gerade die besondere Gefahr verwirklicht, die mit der vom Kläger zu erfüllenden Pflicht verbunden war.

45

ee) Das LSG hat schließlich bindend festgestellt, dass der vom Kläger als Gesundheitserstschaden geltend gemachte Bandscheibenvorfall C 6/7 vorliegt.

46

d) Damit sind die Voraussetzungen für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung dieses Vorfalls C 6/7 als weiteren Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls mit der Ausnahme erfüllt, dass das BSG noch nicht entscheiden kann, ob die Testfahrt mit der durch sie rechtlich wesentlich mitverursachten Einwirkung auf die HWS des Klägers auch rechtserhebliche (Mit-)Wirkursache dieses Bandscheibenvorfalls war.

47

4. Das LSG hat zwar ausgeführt, die versicherte Einwirkung und letztlich die versicherte Testfahrt hätten auch den Bandscheibenvorfall objektiv und wesentlich verursacht. Dies ist jedoch für das BSG nicht bindend. Es darf dies seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.

48

a) Dies folgt für die Rechtsfrage der unfallversicherungsrechtlichen Wesentlichkeit schon daraus, dass es hier allein um Rechtsanwendung, also um die rechtliche Subsumtion der auf der ersten Stufe der Zurechnung festgestellten Tatsachen unter den Schutzbereich der für die konkrete Beschäftigung begründeten Beschäftigtenversicherung geht. Hier muss das Revisionsgericht in vollem Umfang die Beachtung des Bundesrechts überprüfen. Das LSG hat hierbei den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache unzutreffend angewandt (dazu unter 5.).

49

b) Auf der ersten Stufe der Zurechnung hat das LSG keine das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen zur objektiven Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Einwirkung/versicherte Verrichtung getroffen.

50

Allerdings hat das LSG ausdrücklich festgestellt, dass die (versicherte) Einwirkung auf die HWS des Klägers "naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7" gewesen ist.

51

aa) Grundsätzlich ist das Revisionsgericht an eine solche Tatsachenfeststellung, zu der auch der konkrete objektive Kausalzusammenhang im Einzelfall gehört, gebunden (§ 163 SGG). Hier tritt diese Bindung jedoch nicht ein, weil das LSG zum einen von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven ("wissenschaftlich-philosophischen") Kausalität ausgegangen ist. Zum anderen hat es, wie die Beklagte zulässig und begründet rügt, die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Es hat seinem Beschluss einen nicht existierenden Erfahrungssatz zugrunde gelegt und deshalb davon abgesehen aufzuklären, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle durch Unfalleinwirkungen nur verursacht werden können, wenn ein unfallbedingter Begleitschaden vorliegt.

52

bb) Das LSG hat seine Kausalitätsbeurteilung auch auf folgenden nicht existierenden Erfahrungssatz gestützt: Liegen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall örtlich-zeitlich in Rede steht, ist ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

53

Daran ist das BSG nicht gebunden. Ein solcher Erfahrungssatz ist nicht allgemeinkundig oder dem BSG gerichtsbekannt. Die Revisionsführerin bestreitet seine Existenz. Das LSG hat nicht mitgeteilt, woher es diese Erkenntnis gewonnen hat. Soweit die Formulierung auch als generelle weitere "Beweiserleichterung" bei der richterlichen Überzeugungsbildung zum Grad der (juristischen) Wahrscheinlichkeit gemeint sein könnte, wäre sie bundesrechtswidrig. Denn der juristische Überzeugungsgrad der Wahrscheinlichkeit knüpft an die Würdigung der Einzelfallumstände nach Maßgabe der im jeweiligen Lebensbereich vorhandenen aktuell anerkannten wissenschaftlichen Erfahrung, hilfsweise der sonstigen einschlägigen Fachkunde, und deren ggf vorhandene Unsicherheiten an. Er erlaubt es aber nicht, an dem vorhandenen Erfahrungswissen durch "juristische Betrachtungen" vorbeizugehen.

54

c) Das LSG hat auch im Übrigen einen unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven Verursachung (der "philosophisch-wissenschaftlichen Kausalität") zugrunde gelegt.

55

Objektive Verursachung bedeutet einen nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand der einschlägigen Erfahrung (insbesondere der Wissenschaft, hilfsweise der sonstigen Fachkunde) geprüften und festgestellten Wirkungszusammenhang zwischen einer bestimmten Wirkursache und ihrer Wirkung. Dabei gibt es keine Ursache ohne Wirkung und keine Wirkung ohne Ursache.

56

Die versicherte Verrichtung muss also eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) der Einwirkung, die Einwirkung eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) des Gesundheitserstschadens sein. Ob die Verrichtung Wirkursache der Einwirkung (etc) war, ist eine Frage, die nur auf der Grundlage von Erfahrung über Kausalbeziehungen beantwortet werden kann.

57

Auch der Satz der Bedingungstheorie, ein tatsächlicher Umstand sei "notwendige Bedingung" (nicht: Ursache) eines anderen Umstandes, wenn der erste nicht "hinweggedacht" werden könne, ohne dass der zweite (der "Erfolg") entfiele ("conditio sine qua non"), ist kein logischer Schluss. Er verlangt eine hypothetische, dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich fremde, alternative Zusammenhangserwägung ohne Berücksichtigung eines in Wirklichkeit vorhandenen Umstandes und mit Unterstellung eines in Wirklichkeit nicht erfolgten Geschehensablaufs. Darüber hinaus verweist er auf Erfahrungswissen über den Zusammenhang von Bedingungen.

58

Die Erwägung nach dieser Formel führt zur Unbeachtlichkeit von Bedingungen, die nach Erfahrung die Wirkung nicht mitverursacht haben können. Insoweit kann sie zur ersten negativen Vorklärung, dem Ausscheiden von als Ursachen von vornherein nicht in Betracht kommender Bedingungen, beitragen. Sie erfasst aber alle Bedingungen, die nach Erfahrung möglicherweise die fragliche Wirkung (den "Erfolg") verursacht haben könnten. Aus sich heraus gibt sie aber keinen Maßstab dafür, ob ein solcher als für das Geschehen erforderliche (und nur in diesem Sinne "notwendige") Bedingung erkannter Umstand den "Erfolg" wirklich bewirkt, also die Wirkung mitverursacht hat, worauf schon der große Senat des RVA (aaO) hingewiesen hat. Eine solche Bedingung kann Wirkursache sein, muss es aber nicht. Sie kann auch bloße Randbedingung sein. Die Formel schließt nur "Bedingungen" aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.

59

Entscheidend ist aber, ob die versicherte Verrichtung die Einwirkung und ob diese den Erstschaden bewirkt hat. Wenn die festgestellte versicherte Verrichtung nach Erfahrung eine "Bedingung eines Erfolgs", also einer Einwirkung und des Gesundheitserstschadens (etc) ist, wären diese (hypothetisch) ohne sie nicht eingetreten. Gleiches gilt für eine kaum abzählbare Menge anderer Bedingungen für den konkreten Unfall. Die Verrichtung war aber nur dann eine Wirkursache der Einwirkung/des Gesundheitserstschadens, wenn sie das Unfallereignis hervorgerufen oder in Gang gehalten und dadurch die Einwirkung herbeigeführt hat, welche den Körper des Verletzten, seinen physiologischen Zustand verändert und dadurch den Gesundheitsschaden mitbewirkt hat. Ob dies der Fall war, ist nach dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Fachwissens zu beurteilen.

60

aa) Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Bandscheibenvorfall des Klägers Wirkung der festgestellten versicherten Einwirkung/versicherten Testfahrt als Ursache war. Dafür kommt es, weil es sich um eine in den Fachbereich der medizinischen Wissenschaft fallende Frage handelt, allein darauf an, ob ein Wirkungszusammenhang zwischen dieser Testfahrt und dieser Einwirkung auf die HWS des Klägers und diesem Bandscheibenvorfall nach dem aktuellen Stand des anerkannten medizinischen Erfahrungswissens vorliegt. Dafür reicht ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang nicht aus.

61

Vielmehr ist der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrunde zu legen. Dies wird in der Regel die Auffassung der Mehrheit der im jeweiligen Fragenbereich veröffentlichenden Wissenschaftler/Fachkundigen eines Fachgebiets sein. Lässt sich eine solche "herrschende Meinung" nicht feststellen, so darf der Richter nicht gleichsam als Schiedsrichter im Streit einer Wissenschaft fungieren und selbst eine (von ihm anerkannte) Ansicht zur maßgeblichen des jeweiligen für ihn fachfremden Wissenschaftsgebietes erklären. Vielmehr kommt, falls auch durch staatliche Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände etc kein von den Fachkreisen mehrheitlich anerkannter neuester Erfahrungsstand festgestellt werden kann, eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen in Betracht (anders offenbar noch BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).

62

Dazu muss dieser Erfahrungsstand inhaltlich festgestellt und so rechtzeitig mit seiner Erkenntnisquelle (zB medizinisches Fachbuch) in das Gerichtsverfahren eingeführt werden, dass die Beteiligten sich darüber fachkundig machen und ggf konkrete Beweiserhebungen beantragen können. Das gilt auch dann, wenn das Gericht meint, der Stand des einschlägigen Erfahrungswissens sei gerichtsbekannt, allgemeinkundig oder könne vom Gericht aus eigener, stets rechtzeitig offenzulegender Fachkompetenz beurteilt werden.

63

bb) Soweit ein nicht allgemeinkundiges oder gerichtsbekanntes Erfahrungswissen Gegenstand einer staatlich anerkannten Wissenschaft, hilfsweise einer sonstigen fachkundigen Profession, ist, muss das Gericht, sofern es keine nachweisbare eigene Fachkompetenz oder Gerichtskenntnis auf diesem Gebiet hat, aufgrund der Ermessensreduktion im Rahmen seiner Sachaufklärung nach § 103 SGG sich die erforderliche Kenntnis durch Sachverständige verschaffen. Es ist gerade Aufgabe der Sachverständigen, dem Richter den aktuellen anerkannten Stand des Wissens darüber zu vermitteln, ob es Erfahrungssätze über Ursache-Wirkung-Beziehungen der fraglichen Art gibt und ggf welche Anwendungsbedingungen für die Anwendung dieser Sätze im Einzelfall erfüllt sein müssen. Soweit auch die Anwendung der Erfahrungssätze im Einzelfall, wie häufig, ebenfalls besondere Sachkunde erfordert, kann der Sachverständige auch damit beauftragt werden.

64

Gegenstand solcher Erfahrungssätze und ihrer generellen Anwendungsbedingungen ist, ob Vorgänge der Art des vorderen Kausalgliedes - hier: die Einwirkung auf den HWS-Bereich durch den Aufprall unter Absehung von bloßen Randbedingungen des konkreten Falles - allein oder im Zusammenwirken mit anderen nach dieser Erfahrung ursächlichen Bedingungen Vorgänge der Art des zweiten Kausalgliedes - hier: Bandscheibenvorfall C 6/7 als Gesundheitserstschaden - bewirken. Sofern diese Kausalbeziehung zwischen den beiden Arten der Kausalglieder besteht, ist das vordere eine hinreichende Ursache des folgenden Kausalgliedes. Tritt das zweite Kausalglied (hier: der Gesundheitserstschaden) immer und nur dann auf, wenn das vordere Kausalglied vorliegt, handelt es sich bei diesem um eine notwendige Ursache, bei dem zweiten um eine notwendige Wirkung. Bedingungen im Sinne der Bedingungstheorie, die erfahrungsgemäß keine solchen hinreichenden oder sogar notwendigen Wirkursachen sind, bleiben schon deshalb bei der Zurechnung außer Betracht.

65

cc) Allerdings darf das Gericht die jeweils einschlägige Wissenschaft (oder Fachkunde) auch nicht mit gebietsfremden Anforderungen überfordern, welchen dieser Erfahrungsbereich nicht genügen kann. Das Rechtssystem knüpft in den Grenzen der Rechtslogik an den jeweiligen aktuell anerkannten Stand der einschlägigen empirischen Wissenschaft (oder Fachkunde) an.

66

Es sind - gerade auch im Bereich der Medizin - nicht immer deterministische Erfahrungssätze vorhanden oder anerkannt. Sehr häufig werden nur wissenschaftlich begründete Wahrscheinlichkeitssätze (die nichts mit dem juristischen Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit zu tun haben) festgestellt werden können. Dabei gibt es in den verschiedenen Wissenschaften unterschiedliche Begriffe von empirischer Wahrscheinlichkeit bis hin zu probabilistischen Erfahrungssätzen. Sie werden nach entsprechenden Untersuchungen gelegentlich mathematisch formuliert, häufig aber allein durch tradierte Erfahrung im jeweiligen Fachkreis mit geringer Überprüfungsdichte gelehrt und/oder bloß unausgesprochen in der Praxis vorausgesetzt (begründete Vermutungen). Hier sind Unterschiede ferner zwischen Fachbereichen zu beachten, in denen es wissenschaftliche Fachdisziplinen gibt, und solchen, in denen es überwiegend nur die tradierte Erfahrung des Kreises der professionell im jeweiligen Gebiet Tätigen gibt.

67

dd) Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist also der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl hierzu zuletzt auch BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Als Maßstäbe sind jeweils, soweit vorhanden, die aktuell anerkannten Erfahrungssätze festzustellen und anzuwenden. Dies ist eine reine Tatsachenfeststellung bei der der Richter der Hilfe des Sachverständigen bedarf. Hinsichtlich der richterlichen Feststellung des Inhalts der Erfahrungssätze genügt der richterliche Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit. Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung also gerade verdeutlichen, welche Erfahrungssätze er seiner Begutachtung zugrunde legt und dass dieses Erfahrungswissen in der einschlägigen Wissenschaft (oder Fachkunde) aktuell als neuester Stand anerkannt ist.

68

ee) Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 24 ff). Ausgangsbasis der richterlichen Erkenntnisbildung über wissenschaftliche Erfahrungssätze sind auch bei Fragen der objektiven Verursachung die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich. Außerdem sind die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen. Hinzu kommen andere aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese Quellen hat der Richter jeweils kritisch zu würdigen.

69

Eine bloße Literaturauswertung durch auf dem einschlägigen Gebiet nicht fachgerecht ausgebildete Richter genügt zur Feststellung des (nicht allgemeinkundigen oder gerichtsbekannten) aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über Kausalbeziehungen in der Regel nicht. Vielmehr wird dessen Klärung im Rahmen des ohnehin benötigten Gutachtens erfolgen. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung durch den Sachverständigen, die er stets zugrunde legen muss und von der er nur durch zusätzliche Ausführungen, weshalb er ihr nicht folgt, mit wissenschaftlicher Begründung abweichen darf.

70

Bestreitet nach rechtzeitiger Einführung eines solchen Erfahrungssatzes in den Prozess einer der Beteiligten dessen Vorliegen oder Tragweite mit nicht offenkundig fernliegenden Sachargumenten, so wird das Gericht im Regelfall diesem Vorbingen durch (zumindest schriftliche) Befragung eines Sachverständigen nachzugehen haben (vgl BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

71

d) Das LSG hat hinsichtlich der strittigen Verursachung des Bandscheibenvorfalls schon keinen neuesten anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft festgestellt, sondern einen anderen Verursachungsbegriff zugrunde gelegt.

72

aa) Die Beklagte hatte unter Zitierung des Werks von Schönberger/Mehrtens/Valentin dargelegt, dass es dem dort dokumentierten Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall nur mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen vorkommen könne. Das LSG hätte hierauf selbst die Existenz oder Nichtexistenz dieses oder eines anderen anerkannten Erfahrungssatzes in der medizinischen Wissenschaft feststellen müssen.

73

bb) Dies war nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil das LSG davon ausgegangen ist, dass sich eine Feststellung des einschlägigen medizinischen Erfahrungssatzes erübrige, weil die Autoren Schönberger/Mehrtens/Valentin von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab bei der Kausalitätsbetrachtung ausgegangen seien. Sie hätten Aspekte der rechtlichen Wesentlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG mit naturwissenschaftlichen Aussagen verquickt.

74

Es ist hier nicht darauf einzugehen, ob diese Behauptungen zutreffen. Beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Gebrauch des Wortes "wesentlich" zugleich eine Äußerung zur "Theorie der wesentlichen Bedingung" sein muss. Soweit Nichtjuristen sich zu solchen juristischen Problemen äußern, liegen keine Stellungnahmen eines Sachverständigen, möglicherweise aber dennoch bedenkenswerte oder richtige Argumente vor. In keinem Fall durfte das LSG davon absehen, den aktuellen Stand der anerkannten medizinischen Erfahrung über durch Unfälle verursachte Bandscheibenvorfälle festzustellen.

75

e) Es ist nicht tunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), dass das BSG das Bestehen und den Inhalt des von der Beklagten behaupteten oder eines sonstigen aktuell anerkannten medizinischen Erfahrungssatzes über die Verursachung von Bandscheibenvorfällen durch Unfalleinwirkungen und dessen generelle Anwendungsbedingungen selbst feststellt. Zwar gehören solche generellen Erfahrungssätze dem revisiblen Bundesrecht (§ 162 SGG) an. Jedoch bedürfte es zu einer Entscheidung darüber, ob im Fall des Klägers die Vorgaben eines solchen Erfahrungssatzes erfüllt sind, der Feststellung von Einzelfalltatsachen und deren fachgerechte Zuordnung zum generellen medizinischen Erfahrungssatz. Das BSG müsste daher voraussichtlich nach Klärung des generellen Standes der anerkannten Erfahrung die Sache dennoch an das LSG zurückverweisen, dem die Feststellung von Tatsachen des Einzelfalles grundsätzlich vorbehalten ist.

76

Das LSG wird folglich nach der Zurückverweisung durch Einholung von Sachverständigengutachten und die anderen aufgezeigten Ermittlungsmöglichkeiten festzustellen haben, ob der von der Beklagten behauptete wissenschaftliche Erfahrungssatz oder ein anderer von der Mehrheit der Wissenschaftler des einschlägigen medizinischen Wissenschaftszweiges vertreten wird.

77

Lässt sich dies zur vollen richterlichen Überzeugung bejahen, so ist er nebst seinen in gleicher Weise wissenschaftlich anerkannten generellen Anwendungsbedingungen der (mindestens im richterlichen Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit zu treffenden) Feststellung zwingend zugrunde zu legen, ob im vorliegenden Fall die versicherte Einwirkung faktische Mitursache des Bandscheibenvorfalls C 6/7 war. Stellt das LSG hingegen fest, dass nicht dieser Erfahrungssatz, sondern ein anderer entsprechend anerkannt ist, ist dieser zwingend maßgeblich. In jedem Fall ist dann über die Mitursächlichkeit der Testfahrt und der durch sie verursachten Einwirkung für den Vorfall C 6/7 und dabei auch der Mitverursachungsanteil anderer Wirkursachen zu entscheiden.

78

5. Von diesen Feststellungen darf das LSG nicht wegen der zweiten Zurechnungsstufe, der rechtlichen "Wesentlichkeit" der Wirkursache für den Schaden, absehen. Das LSG hat nämlich in seinem Beschluss den dargelegten bundesrechtlichen Begriff der Wesentlichkeit unzutreffend auf den Bereich der objektiven Verursachung angewandt. Er betrifft aber allein die zweite Stufe der Zurechnung. Auf ihr geht es ausschließlich um die Rechtsfrage, ob die auf der ersten Stufe abschließend festzustellende faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der Beschäftigtenversicherung verwirklicht hat. Ggf hängt - wie oben gezeigt - diese Rechtserheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt.

79

Hierbei geht es ausschließlich um rechtliche Bewertungen (Auslegung und Subsumtion). Die Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile (Tatsachenfrage) sind bereits auf der ersten Stufe der objektiven Verursachung abschließend festzustellen. Insbesondere kann die ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung auf der ersten Stufe nicht durch Wertungen auf der zweiten ersetzt werden.

80

Das LSG wird daher, falls es auf der ersten Stufe die objektive Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Verrichtung/Einwirkung nach neuer Prüfung bejahen wird, auf der zweiten Stufe erstmals die vorgenannte Rechtsfrage beantworten müssen.

81

6. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2013 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 20. Juli 2006 eine Verletztenrente zu gewähren ist.

Der 1971 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt bei der A. AG bei der Karosserie-Aufbaulinie A3 beschäftigt. Er verletzte sich am 20. Juli 2006 am Handgelenk und an der Schulter, als sich ein verklemmter Kappenfräser löste. Er wurde von dem schweren Maschinenteil an der linken Schulter und am Rücken getroffen und zu Boden geworfen. Nach dem Bericht des Durchgangsarztes Dr. L. vom 20. Juli 2006 bestanden eine Prellung des rechten Unterarms, eine Prellung des linken Schulterblattes sowie eine Schürfwunde. Eine Fraktur wurde nicht diagnostiziert. Es bestand weiter Arbeitsfähigkeit. Im Nachschaubericht vom 12. Oktober 2006 gab Dr. L. als Befund eine Prellung rechter Unterarm, linkes Schulterblatt, eine Schürfwunde sowie eine Myogelose Schulter und Rücken an. Seit zwei Wochen übe der Kläger eine neue Tätigkeit mit regelmäßigem Heben von 5 kg aus; es seien jetzt Schmerzen und eine Verspannung im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule (BWS) und Reibegeräusche in der rechten Schulter mit gelegentlichen ziehenden Schmerzen aufgetreten. Im Bericht vom 6. Januar 2007 werden nach Angabe des Klägers immer wieder Schmerzen und Verspannungen der BWS und des rechten Schultergelenks, die sich mit wechselnder Arbeitstätigkeit Anfang Oktober 2006 verstärkt hätten, berichtet.

Eine Kernspintomographie der HWS vom 2. Oktober 2007 zeigte einen kleinen rechtsparamedianen Bandscheibenvorfall im Segment HWK 3/4 ohne Nachweis einer Myelpathie oder einer Einengung des Spinalkanals. Dr. D. diagnostizierte am 4. Oktober 2007 ein leichtgradiges Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts/links eher als Radikulopathie C 8. Mit Nachschaubericht des Dr. L. vom 10. Januar 2008 wird von der Angabe des Klägers über Schmerzen seit dem Unfall in beiden Schulterblättern berichtet, beide Schultern waren im Befund mit normaler Funktion, die Halswirbelsäule (HWS) frei, leichte Verspannung paravertebral. Mit Krankheitsbericht des Dr. L. vom 28. Januar 2008 wird auf ein Begehren des Klägers, eine neu entdeckte BWS-Verletzung von der Beklagten anerkannt zu bekommen, hingewiesen.

Eine Kernspintomographie der HWS vom 30. Januar 2008 ergab einen im Vergleich zur Voruntersuchung vom 2. Juli 2007 unveränderten Befund mit unverändert kleinem rechtsparamedian betontem Bandscheibenprolaps im Segment HWK 3/4 mit initialen ossären Abstützreaktionen.

In dem Bericht über die Kernspintomographie des linken Schultergelenks vom 13. März 2008 wird über aktivierte AC-Gelenksarthrose, deutliche Auftreibung des AC-Gelenks berichtet. Hierbei könne es sich auch um eine posttraumatische Veränderung handeln. Laut Unfallklinik M. vom 14. April 2008 bestand eine Gelenksprengung Typ Rockwood I rechts, eine Ruptur des Diskus articularis, aufgrund derer sich im Laufe der Zeit eine AC-Gelenksarthrose ausbilden würde. Ferner bestünden eine Bandscheibenprotrusion BWK 7/8 und ein Bandscheibenprolaps HWK 3/4. Im Abschlussbericht vom 28. April 2008 der Unfallklinik M. wird über eine arthroskopische AC-Gelenksresektion linke Schulter vom 21.04.2008 berichtet. Intraartikulär habe sich eine Auffaserung des superioren Labrumkomplexes im Sinne einer SLAP 1-Läsion gezeigt, die wahrscheinlich nicht unfallbedingt sei. Des Weiteren sei eine arthroskopische AC-Gelenksresektion erfolgt. Der Kläger habe während des gesamten Aufenthalts fortwährend Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich mit Kribbelparästhesien des rechten Unterarms und der Hand geklagt.

Es folgten weitere ärztliche Behandlungen, insbesondere auch der Schulter, u. a. bei Dr. H., in der Unfallklinik M., bei Herrn Dr. S. und in den Kliniken Dr. E. in den Jahren 2008 und 2009. Im Bericht über ein MRT linkes Schultergelenk vom 3. September 2008 des Dr. P. wird der postoperative Zustand mit Veränderungen im AC-Gelenk beschrieben. Bzgl. MRT der HWS vom 3. September 2008 wird von Dr. P. über einen Diskusprolaps HWK 3 /4 berichtet, Streckhaltung der oberen und mittleren HWS im Liegen, keine das Altersmaß überschreitenden degenerativen Veränderungen. Weiter liegt ein Bericht über die Kernspintomographie des Neurocraniums vom 30. September 2008 vor.

Auf weitere Berichte v.a. des Dr. H., Kliniken Dr. E., vom 9. Oktober 2008, der Klinik B. F. vom 7. Oktober 2008 über berufliche Rehabilitation seit 5. August 2008, des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. G. vom 3. November 2008, des Neurochirurgen Dr. C. vom 23. April 2008, den vorläufigen Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 19. Januar 2009 über stationäre Reha-Behandlung vom 5. August 2008 bis 20. Januar 2009 sowie den ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik B. vom 25. Februar 2009 (als Diagnosen werden neben den Reha-Diagnosen bzgl. der linken Schulter als weitere Diagnosen kleiner Bandscheibenprolaps C 3 /4 sowie Anpassungsstörung im Rahmen Persönlichkeitsstörung genannt) wird verwiesen.

Die Beklagte holte im Rahmen der ersten Rentengutachten ein neurologisches Zusatzgutachten zum Rentengutachten vom 27. März 2009 der Dipl.Med. B. R. ein. Als wesentliche Unfallfolgen bestünde ein Zustand nach Acromioclavikularruptur Tossy links mit ACG-Arthrose. Aus neurologischer Sicht bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

In dem von der Beklagten eingeholten Gutachten auf psychiatrischem Gebiet des Prof. Dr. P. vom 17. Juli 2009 werden als Diagnosen für die Zeit nach dem Arbeitsunfall bis zu einem zweiten Arbeitsunfall am 8. Dezember 2007, bei dem sich der Kläger den Kopf bei einem Sprung nach oben an einer Absaugung gestoßen hat, eine depressive Episode leichten Grades, für die Zeit danach eine depressive Episode mittleren bis schweren Grades beschrieben. Die MdE betrage hierfür 15 v. H. bzw. 60 v. H. Durch die Geburt der jüngsten Tochter (mit gesundheitlicher Einschränkung) im Juli 2007 sei es zu einer geringfügigen Befundverschlechterung gekommen. Die Befundverschlechterung stehe jedoch nicht in kausalem Zusammenhang mit den Arbeitsunfällen. Eine somatoforme Schmerzstörung sei nicht gegeben.

Im unfallchirurgischen Gutachten des Dr. S. vom 27. Juli 2009 wird eine seitengleich ausgebildete Muskulatur an Ober- und Unterarmen geschildert, auch die Handflächenbeschwielung sei seitengleich. Aus den aktuellen Röntgenaufnahmen der linken Schulter ergebe sich kein Hinweis auf ein auffälliges Impingement, die Knochenstruktur sei regelrecht. Der Gutachter nannte als Diagnosen eine AC-Gelenksverletzung Typ Rockwood I linke Schulter, AC-Gelenksarthrose posttraumatisch und unfallunabhängig eine SLAP 1-Läsion linke Schulter sowie eine Bandscheibenprotrusion HWK 3/4. Es lägen Unfallfolgen vor bzgl. Bewegungseinschränkung linke Schulter, Kraftverlust linker Arm, röntgenologische Veränderungen mit lateraler Clavikularesektion bei deutlichen Aggravationstendenzen. Die MdE wurde auf 10 v. H. eingeschätzt. Der Sachverständige wies auf eine deutliche Diskrepanz zwischen angegebenen Beschwerden und tatsächlich objektivierbaren Unfallverletzungsfolgen hin.

Mit beratungsärztlicher Stellungnahme des Prof. Dr. G. wurde eine erneute Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet empfohlen. Der Klägerbevollmächtigte teilte am 14. Oktober 2009 mit, es werde keine neue Begutachtung im Verwaltungsverfahren gewünscht.

Mit ergänzender Stellungnahme des Dr. P. vom 29. Dezember 2009 wies dieser auf das Fehlen psychiatrischer Vorerkrankungen vor dem ersten Arbeitsunfall hin. Beide Unfallgeschehen seien generell geeignet, psychiatrische Erkrankungen auszulösen. Das erste Unfallereignis sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursächlich und wesentlich für die depressive Episode leichten Grades. Der zweite Arbeitsunfall sei lediglich Gelegenheitsursache für die Verschlechterung. Zu diesem Zeitpunkt habe eine psychiatrische Vorerkrankung nach dem ersten Arbeitsunfall bestanden. Bislang bestehe keine ausreichende psychiatrische Behandlung. Es liege zum Nachuntersuchungszeitpunkt eine Besserung der MdE auf 50 v. H. vor, anzustreben sei ein rehabilitative Wiedereinstieg am Arbeitsplatz mit dem Ziel leichterer Tätigkeiten.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. K. vom 8. April 2010 wird ein im Vollbeweis vorliegender psychischer Primärschaden in Abrede gestellt. Eine messbare unfallbedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe bzgl. des Unfalls vom 20. Juli 2006 und auch bzgl. des Unfalls vom 8. Dezember 2007 nicht.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2010 erkannte die Beklagte den Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 an mit den Unfallfolgen: „Linke Schulter: Nach einer Verrenkung des Schultereckgelenkes mit Zerrung des Kapsel-/Bandapparates (Rockwood I) bestehen noch: Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes, röntgenologische Veränderungen des Schultereckgelenkes mit Teilentfernung des äußeren Anteils des Schlüsselbeins, Kraftverlust des Armes, belastungsabhängige Beschwerden.“ Nicht als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt die Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2007, eine depressive Episode mittleren bis schweren Grades, eine Verletzung der Knorpellippe am oberen Rand der Schulterpfanne (SLAP Läsion), Bandscheibenschädigungen zwischen dem 3. und 4. HWK. Eine Verletztenrente sei nicht zu gewähren.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2011 zurück. Zu den im Widerspruchsverfahren vorgelegten MRT-Bildern der linken und rechten Schulter hatte die Beklagte eine Stellungnahme des Prof. Dr. B. vom 18. Januar 2011 eingeholt. Anlässlich der MRT-Untersuchungen im September 2010 habe ein leichtgradiger Reizzustand des Schulterdachgleitbeutels (Bursitis subacromialis) und ein leichter Reizzustand des ehemaligen Schultereckgelenks vorgelegen.

Hinsichtlich des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2007 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Feststellung von Unfallfolgen ab. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht München (Az.: S 9 U 187/11) hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2013 zurückgenommen.

Hinsichtlich des Bescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011, der den Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 betraf, hat der Kläger ebenfalls Klage zum Sozialgericht München erhoben. Er hat zur Begründung eine Darstellung des Unfallhergangs (Schleudern mit Oberkörper, Kopf und Nackenbereich gegen Robotersockel, Bewusstlosigkeit nach dem Unfall) und der nachfolgenden Behandlungen vorgelegt.

Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte eingeholt und den Orthopäden Dr. K. sowie den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

Dr. K. hat in seinem Gutachten vom 5. November 2011 die Ansicht vertreten, dass die MdE weniger als 10 v. H. betrage. Allerdings sei bereits der Unfallhergang bzw. -zusammenhang fraglich, wegen der wohl großen Gewalteinwirkung sei jedoch der Unfall als wesentliche Teilursache der aufgetretenen Schultereckgelenksschädigung anzusehen.

Dr. D. hat in seinem Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vom

3. März 2012 dargelegt, dass bei dem Unfall Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht aufgetreten seien. Erstmals etwa zwei Jahre nach dem Unfall seien psychische Auffälligkeiten zu beobachten gewesen, zu werten als Zeichen einer beginnenden psychogenen Fehlverarbeitung tendenzieller Ausrichtung. Diese seien nicht als Unfallfolgen anzusehen, sondern als Folge von Persönlichkeitseigentümlichkeiten. Vorbestehende Leiden seien durch den Unfall auch nicht verschlimmert worden. Hinsichtlich der MdE hat der Sachverständige auf das Gutachten des Dr. K. verwiesen.

Mit Bericht vom 30. Juli 2012 der BG-Unfallklinik M. wird über Behandlung am gleichen Tag berichtet. Es wird angeführt, dass nach der letzten MRT-Untersuchung wesentliche Unfallfolgen nicht mehr nachzuweisen seien. Es liege eine erhebliche psychosomatische Überlagerung vor. Es erging Empfehlung einer psychosomatischen Behandlung, allerdings zulasten der Krankenkasse.

Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Prof. Dr. W. auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet vom 25. Januar 2013 eingeholt. Bei nach dem Unfall fortbestehenden Schmerzen sei eine Gelenksprengung Typ Rockwood I links diagnostiziert worden. Eine valide diagnostische Einordnung der neuropsychologischen Untersuchungsergebnisse sei nicht möglich. Aufgrund der Schmerzen habe sich eine somatoforme Schmerzstörung entwickelt. Die MdE sei deshalb mit 20 v. H. auf psychiatrischem Fachgebiet anzusetzen. Dabei sei berücksichtigt, dass auch Aggraviationstendenzen vorhanden seien - was jedoch nicht untypisch für somatoforme Schmerzstörungen sei. Im Gegensatz zur Begutachtung bei Herrn

Dr. B./Dr. P. fänden sich keine Hinweise auf Depression oder depressive Phasen. Auf neurologischem Fachgebiet sei keine Schädigung nachzuweisen. Das vom Kläger angeführte Schädelhirntrauma mit sechzehnminütiger Bewusstlosigkeit im Rahmen des Unfalls sei in den Unterlagen nicht dokumentiert.

Im weiterhin übersandten neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 14. September 2012 des Prof. Dr. Z. wird hervorgehoben, dass sich insgesamt in den Bereichen Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis, exekutive Funktionen durchwegs deutlich beeinträchtigte Leistungen ergeben hätten. Sprach- und Instruktionsverständnis wäre gut gegeben gewesen, die erhaltenen Ergebnisse seien nicht interpretierbar.

Die Kammer hat ferner das in dem Verfahren eingeholte Gutachten des Prof. Dr. W. vom 23. April 2013, das den Arbeitsunfall vom 8. Dezember 2007 betroffen hat, sowie das im Rentenverfahren (Az. S 25 R 174/13) eingeholte sozialgerichtliche Gutachten des Dr. M. vom 16. Juli 2013 beigezogen. Dr. M. hat neben einer leichtgradigen depressiven Episode eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2013 hat die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld für den Zeitraum vom 14. April 2008 bis 20. Januar 2009 anerkannt. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil abgewiesen. Unter Berücksichtigung des Erstschadensbildes, dem Gutachten des Dr. K. und der Fachliteratur werde aus orthopädischer Sicht keine rentenberechtigende MdE von wenigstens 20 v. H. erreicht. Auch weitere Unfallfolgen in Form der von Prof. Dr. W. befürworteten somatoformen Schmerzstörung seien zur Überzeugung des Gerichts nicht anzuerkennen. Diese Diagnose sei nicht gesichert.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und die Einholung eines „Obergutachtens“ auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet angeregt.

Der gemäß § 109 SGG gehörte Orthopäde Dr. C. hat als Unfallfolgen in seinem Gutachten vom 5. Mai 2014 lediglich eine Prellung des rechten Armes und der rechten Schulter sowie eine Prellung des linken Schulterblattes mit begleitender Schürfverletzung angenommen. Es gelinge nicht der Beweis einer stattgehabten Schultereckgelenksverletzung links. Der festgestellte Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS müsse als degenerativ bewertet werden. Sämtliche Unfallfolgen seien bis 12. Oktober 2006 folgenlos ausgeheilt. Eine MdE bestehe nicht.

Zu dem Gutachten des Prof. Dr. W. hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. D. vom Juli 2014 eingeholt. Dieser hat an seinem Gutachtensergebnis festgehalten. Weder eine undifferenzierte somatoforme Schmerzstörung noch eine somatoforme Schmerzstörung seien in der Diagnosestellung und erst recht nicht als Unfallfolge belegt. Eine psychische Störung sei erst ca. zwei Jahre nach dem Unfall dokumentiert. Daraus allein könne zwar nicht geschlossen werden, dass keine unfallbedingte psychische Störung vorliege und vorgelegen habe. Dies sei aber im Hinblick auf den fachärztlichen Vorbefund (kein auffälliger psychischer Befund bei der Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. am 4. Oktober 2007) spekulativ. Soweit Dr. M. neben einer leichtgradigen depressiven Episode eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert habe, sei aus den Befunden nur bedingt nachvollziehbar, wie er zu dieser Diagnose gekommen sei, zumal er in der Beurteilung immer wieder auf erhebliche Aggraviationstendenzen des Klägers hinweise.

Der Durchgangsarzt Dr. S. hat in seinem Befundbericht vom 17. Februar 2014 ein chronisches Schmerzsyndrom an der linken Schulter (ICD 10) diagnostiziert. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. W. hat am 5. März 2014 eine Anpassungsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Eine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sei nicht erfolgt. Hinsichtlich eines Zusammenhangs mit den Unfallereignissen hat die Ärztin auf die Diskussion in den Gutachten verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2014 hat der Kläger nochmals den Unfallhergang geschildert und auf seitdem bestehende gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen hingewiesen. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 20. Juli 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakte des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Nicht streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII), der in dem Ereignis vom 20. Juli 2006 zu sehen ist. Die Schilderung des Unfallereignisses durch den Kläger, vor allem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, deckt sich im Wesentlichen mit der Schilderung der Arbeitgeberin in der Unfallanzeige. Der Kläger wurde an Rücken und Schulter von dem schweren Maschinenteil getroffen und stürzte zu Boden, wobei er sich auch an der rechten Schulter stieß. Zu Recht weist z. B. auch der vom Kläger benannte Gutachter Prof. Dr. W. darauf hin, dass ein Schädelhirntrauma mit sechzehnminütiger Bewusstlosigkeit nach Aktenlage nicht dokumentiert ist. Es bestehen erhebliche Differenzen zwischen den vorliegenden Befunden - ausgehend von dem Durchgangsarztbericht des Dr. L. vom Unfalltag - und der späteren Darstellung der Schwere des Unfallereignisses durch den Kläger. Mehrere Gutachter verweisen auf die deutlichen Aggravationstendenzen des Klägers; auch objektiv ist festzuhalten, dass der Kläger weiterarbeiten konnte und vom Durchgangsarzt Arbeitsfähigkeit bescheinigt wurde.

Die Beklagte hat mit streitgegenständlichem Bescheid den Arbeitsunfall sowie als Unfallfolgen betreffend der linken Schulter festgestellt: „Nach einer Verrenkung des Schultereckgelenkes mit Zerrung des Kapsel-/Bandapparates (Rockwood I) bestehen noch: Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes, röntgenologische Veränderungen des Schultereckgelenkes mit Teilentfernung des äußeren Anteils des Schlüsselbeins, Kraftverlust des Armes, belastungsabhängige Beschwerden“. Von diesen Unfallfolgen ist zunächst auszugehen, auch wenn nach dem Gutachten des Dr. C. der Nachweis einer Schultereckgelenksverletzung links nicht als Unfallfolge gelingt.

Nach allen Gutachten ergibt sich darüber hinaus übereinstimmend, dass der festgestellte Bandscheibenvorfall BWK 3/4 keine Unfallfolge ist. Auch ergibt sich aus den orthopädischen Gutachten übereinstimmend, dass keine weiteren Unfallfolgen auf diesem Fachgebiet anzuerkennen sind.

Zu entscheiden ist über die Frage, ob sich hieraus ein Anspruch auf eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. ergibt. Das Vorliegen eines Stützrententatbestandes wird von den Beteiligten verneint. Darüber hinaus ist maßgebend, ob auch eine somatoforme Schmerzstörung besteht, die ebenfalls für die Bewertung der MdE zu berücksichtigen wäre.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 S. 2 SGB VII. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSGE 21, 63, 66; vom 26. November 1987, SozR 2200 § 581 Nr. 27; vom 30. Mai 1988, a. a. O., Nr. 28).

Dabei muss die Gesundheitsbeeinträchtigung in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z. B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.

Das Sozialgericht hat unter Berücksichtigung der Gutachten des Dr. K. dargelegt, dass auf orthopädischem Fachgebiet eine MdE von 20 v. H. nicht gegeben ist. Das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung hat das Sozialgericht unter Auswertung der Gutachten des Dr. D. und Prof. Dr. W. als nicht nachgewiesen beurteilt. Der Senat folgt dieser Einschätzung durch das Sozialgericht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dies bestätigte sich auch durch die Ermittlungen des Senats im Berufungsverfahren.

Auf orthopädischem Fachgebiet hat der Senat auf Antrag des Klägers das Gutachten des Dr. C. eingeholt, der nur als unfallbedingt eine Prellung des rechten Armes und der rechten Schulter sowie eine Prellung des linken Schulterblattes mit begleitender Schürfverletzung angenommen hat und deshalb im Ergebnis zu keiner MdE gelangt. Sämtliche Unfallfolgen sind nach Ansicht dieses Sachverständigen bis 12. Oktober 2006 folgenlos ausgeheilt. Eine stattgehabte Zerrverletzung des Schultereckgelenks vom Typ Rockwood I hat der Sachverständige als rein hypothetisch angesehen bzw. aufgrund der offensichtlich unfallzeitpunktnahen Beschwerdefreiheit am linken Schultereckgelenk ausgeschlossen. Diese stringente medizinische Bewertung steht, wie dargelegt, im Widerspruch zu den orthopädischen Vorgutachten des Dr. S., der als unfallbedingte Folge eine AC-Gelenksverletzung Typ Rockwood I linke Schulter sowie eine AC-Gelenksarthrose posttraumatisch ansah, und des Dr. K.. Letztere sah die im Unfall aufgetretene deutliche Gewalteinwirkung wenigstens als wesentliche Teilursache der aufgetretenen Schultereckgelenksschädigung an. Gemäß dem Gutachten des Dr. S. hat die Beklagte auch die orthopädischen Unfallfolgen anerkannt. Auch nach diesen beiden Gutachten ergibt sich jedoch keine MdE in Höhe von 20 v. H.

Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Fachliteratur. Während unkomplizierte Schultergelenksverrenkungen regelmäßig ohne nennenswerte Schäden ausheilen, ist bei den darüber hinausgehenden Beeinträchtigungen vor allem auf die Bewegungseinschränkungen abzustellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin (abgekürzt S/M/V), Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 520 und 523). Beim Kläger besteht ein Impingementsyndrom, d. h. ein Engpasssyndrom. Dr. K. konnte im Rahmen der Untersuchung keine reproduzierbare Bewegungseinschränkung insbesondere hinsichtlich der Überkopfbewegungen feststellen. Auch wenn der Kläger den linken Arm in Schonhaltung am Körper adduziert geführt hat, waren die gemessenen Bewegungsausmaße der Schultergelenke rechts und links identisch. Dr. C. stellte lediglich eine Abweichung bei Seithebung mit Schultergürtel fest (rechts 90 Grad, links 70 Grad); die aktive Schultervorhebung, nach S/M/V das Hauptkriterium (S/M/V, a. a. O; S. 523), war mit 90 Grad seitengleich. Die Entwicklung des Deltamuskels war seitengleich normal. Es zeigte sich links auch keine auffallende Atrophie oder Mindertonisierung. Eine MdE - zumindest in Höhe von 20 v. H. - lässt sich hieraus somit nicht ableiten.

Auf psychiatrischem Fachgebiet ist fraglich, ob eine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung nachgewiesen ist. Nach den im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Berichten wie des Dr. S. hat der Kläger Schmerzen im Bereich der linken Schulter; Dr. S. geht von einem chronischen Schmerzsyndrom an der linken Schulter aus. Die Beklagte hat auch belastungsabhängige Beschwerden - neben Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks - anerkannt.

Es finden sich auch einige ärztliche Dokumentationen wie das Gutachten des Prof. Dr. W., das Rentengutachten des Dr. M. oder der Arztbrief der Dr. W. vom 5. März 2014, die eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung beschreiben. Dabei ergibt sich aber andererseits auch aus diversen Ausführungen, dass eine deutliche Aggraviationstendenz des Klägers besteht. Ferner erfolgt nach Auskunft der behandelnden Neurologin Dr. W. entgegen der Empfehlungen der Gutachter bislang keine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung.

Dr. D. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass weder die Diagnose einer undifferenzierten somatoformen Schmerzstörung noch einer somatoformen Schmerzstörung belegt ist und erst recht nicht als Unfallfolge anzuerkennen ist. Eine psychische Störung ist erst ca. zwei Jahre nach dem Unfall dokumentiert. Die fachärztlichen Vorbefunde waren zwischen dem Unfallereignis und der ersten Befunderhebung unauffällig, so bei der Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. am 4. Oktober 2007. Auch aus dem Gutachten des Prof. Dr. W. ergeben sich hinsichtlich der Frage der Unfallkausalität - bei Annahme der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung - Anhaltspunkte für Zweifel auch des Sachverständigen, wenn er auf S. 84 seines Gutachtens ausführt: „Soweit der Kausalzusammenhang bejaht wird“. Darüber hinaus stellt der Sachverständige z. B. im Rahmen des strukturierten klinischen Interviews stark auf die Angaben des Klägers (z. B. auf S. 59: (...)“nach seinen Aussagen“) ab. Die Ursachen somatoformer Schmerzstörungen sind, wie Prof. Dr. W. auch ausführt, vielfältig. Es spielen die genetische Vulnerabilität sowie die Persönlichkeitseigenschaften eine wichtige Rolle. Der Unfall stellt somit auch nach Prof. Dr. W. nur eine Teilursache, wenn auch eine wesentliche, dar.

Die Neurologin und Psychiaterin Dr. R. diagnostizierte am 4. August 2008 erstmals eine somatoforme Schmerzstörung, es fiel aber bereits eine deutliche Somatisierungstendenz auf, die Beschwerdeschilderung war teils demonstrativ und kaum nachvollziehbar, Aggravationstendenzen waren nicht auszuschließen. Vor dem Hintergrund der erst spät dokumentierten psychischen Befunde und den Verdeutlichungstendenzen hält der Senat die Ausführung des Dr. D. für überzeugend, dass es sich insgesamt nicht um eine unfallbedingte Gesundheitsstörung, sondern um tendenzielle Verhaltensweisen im Sinne einer psychogenen Fehlverarbeitung tendenzieller Ausrichtung handelt. Der Sachverständige sieht hier die wesentliche Ursache nicht in dem Unfallereignis, sondern in den Persönlichkeitseigentümlichkeiten, so dass eine Berücksichtigung bei der MdE-Bewertung nicht erfolgen kann.

Auch die Unfallklinik M. ist bereits im Juli 2012 zu dem Ergebnis gelangt, nachdem die letzte MRT-Untersuchung ergeben hat, dass wesentliche Unfallfolgen nicht mehr nachgewiesen werden können, dass ein vernünftiger Behandlungsansatz fehlt. Es konnten weder Reizzustände noch andersartige Gewebeveränderungen festgestellt werden, die als Erklärung für die vorgetragene Schmerzhaftigkeit in der Schulter in Betracht kommen. Das Ausmaß der verbliebenen Unfallfolgen war objektiv aufgrund unverkennbarer Verdeutlichungstendenzen nur sehr schwer zu messen. Es wurde im Ergebnis eine erhebliche psychosomatische Überlagerung angenommen, so dass als der einzige denkbare Therapieansatz eine psychosomatische Behandlung vorgeschlagen wurde, allerdings zulasten der Krankenkasse.

Der Senat ist daher zu der Überzeugung gelangt, dass keine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung vorliegt, sondern eine Persönlichkeitseigentümlichkeit im Vordergrund steht. Aber auch bei Annahme einer Schmerzstörung ergäbe sich bei der Bewertung der MdE kein abweichendes Ergebnis, wie dies oben unter Bezugnahme auf die Fachliteratur bereits dargelegt wurde. Die beim Kläger festgestellten Bewegungsmaße lassen nur eine geringfügige Bewegungseinschränkung erkennen. Eine Muskeldifferenz im Bereich der Oberarme ist nicht gegeben. Dabei ist der Kläger von kräftiger Statur, der Muskelumfang 15 cm oberhalb des Gelenkspaltes wurde von Dr. C. mit jeweils 35 cm seitengleich gemessen. Dies spricht nicht für ein Ausmaß der Schmerzen, das zu einer MdE in Höhe von 20 v. H. führen würde.

Eine depressive Episode, wie von Dr. B./Dr. P. beschrieben, bestätigte sich in den letzten Gutachten nicht. Ausdrücklich weist hierauf auch Prof. Dr. W. hin.

Nicht ausreichend für die Gewährung einer Verletztenrente ist ein Vorbringen, vor dem Unfallereignis gesund gewesen zu sein und seitdem unter verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen einem Unfallereignis und Gesundheitsschäden ist nicht ausreichend.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 1960 geborene Klägerin, die am 30. April 1978 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zuzog, absolvierte keine Berufsausbildung. Vom 25. Mai 1987 bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 17. Januar 2011 war sie als Maschinenarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Beendigung der Lohnfortzahlung bezog sie vom 28. Februar 2011 bis 17. Juli 2012 Krankengeld und sodann bis 2. November 2013 Arbeitslosengeld.
Vom 27. Juli bis 17. August 2011 absolvierte die Klägerin eine ambulante medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Psychosomatisch-Psychotherapeutischen Rehabilitationszentrum (PPRZ) S.. Leitender Arzt Dr. H. diagnostizierte in seinem Entlassungsbericht vom 25. August 2011 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine schwere Innenohrschwerhörigkeit links stärker als rechts, einen hochgradigen Tinnitus beidseits und eine arterielle Hypertonie. Er führte aus, die therapeutische Zugänglichkeit der Klägerin in der Einzeltherapie sei auch aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse äußerst eingeschränkt gewesen. Die Klägerin sei sehr auf ein somatisches Krankheitskonzept fokussiert gewesen. Aufgrund ihrer Schwerhörigkeit habe sie keine Chance gehabt von der Atemtherapie zu profitieren. Die Klägerin wurde mit einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenarbeiterin und auch für leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne besondere Anforderungen an Gang- und Standsicherheit, Zwangshaltung und Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Hörfähigkeit sowie erhöhte Gefährdungs- und Belastungsfaktoren entlassen.
Am 25. November 2011 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung führte sie aus, sie halte sich wegen Depression, eines starken Tinnitus, seit fünf Jahren bestehenden Schlafstörungen, Schwindel, Vergesslichkeit, Schmerzen am Beckenboden und Senkwehen seit 17. Januar 2011 für erwerbsgemindert. Facharzt für Neurologie und Psychiatrie B. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 21. Februar 2012 u.a. unter Berücksichtigung der im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit der Klägerin auf Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft (L 6 SB 5571/10) angefallenen Unterlagen, insbesondere des auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten orthopädischen Gutachtens des Orthopäden Dr. Sc. vom 30. Oktober 2011 (Diagnosen u.a. Anpassungsstörung, Tinnitus mit Schwerhörigkeit links mehr als rechts mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit), sowie Arztbriefen und Bescheinigungen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. La. aus den Jahren 2005 bis 2011, eine nach heutiger Einschätzung depressive Entwicklung, leichtgradige depressive Symptomatik, überwiegend dysthyme Unterlagerung, eine Innenohrschwerhörigkeit linksbetont, einen Tinnitus aurium linksseitig und eine geringgradig ausgeprägte, undifferenzierte Somatisierungsstörung mit auch Angabe von somatoformen Beschwerden. Hinweise für eine höhergradige depressive Symptomatik hätten nicht erhoben werden können. Das Medikament Duloxetin, mit dem die psychische Symptomatik behandelt werde, sei im Blut nicht nachweisbar gewesen. Insgesamt sei die ambulante psychiatrische Behandlung mit nur sehr weitmaschigen Kontakten zum Nervenarzt, offensichtlich fehlender suffizienter psychopharmakologischer Behandlung und nicht durchgeführter Regelpsychotherapie als nicht intensiv zu bezeichnen. Insofern könne auf eine Intensivierung verwiesen werden. Die Klägerin könne ihre bisherige Tätigkeit als Arbeiterin mit Lärmbelästigung nur noch unter drei Stunden täglich verrichten. Mittelschwere Wechseltätigkeiten ohne Nachtschicht und Akkord sowie ohne Tätigkeiten mit vermehrter Lärmbelastung seien der Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich möglich. Mit Bescheid vom 2. März 2012 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.
Die Klägerin erhob am 26. März 2012 Widerspruch. Sie trug vor, der medizinische Sachverhalt spreche dafür, dass eine Erwerbsminderung vorliege. Dr. La. führte in seinem am 30. März 2012 bei der Beklagten eingegangenen „Widerspruch“ vom 8. März 2012 aus, dass die Einschätzung bzw. Beurteilung, wonach die Klägerin an einer leichtgradigen depressiven Symptomatik leide, absolut nicht der Realität entspreche. Die depressive Symptomatik sei ohne Zweifel mittelgradig bis schwer ausgeprägt. Die Klägerin sei auch nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bewältigen. Auch von Seiten des PPRZ sei ausgeführt worden, dass ihre Leistungsfähigkeit aufgehoben sei. Die Beklagte hörte hierzu Arzt B., der bei der Beurteilung des bisherigen Leistungsvermögens verblieb (Stellungnahme vom 21. Juni 2012). Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2012 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Nach Auffassung des Sozialmedizinischen Dienstes seien unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und den sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Ihr seien noch mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht, Akkord und Tätigkeiten mit vermehrter Lärmbelastung sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Er, der Widerspruchsausschuss, habe sich mit allen vorgetragenen medizinischen und rechtlichen Sachverhalten auseinandergesetzt und keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch weniger als sechs Stunden (somit keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) oder weniger als drei Stunden (somit keine Rente wegen voller Erwerbsminderung) täglich arbeiten könne. Da das sozialmedizinische Ergebnis schlüssig und nachvollziehbar sei, schließe er, der Widerspruchsausschuss, sich der Beurteilung des Sozialmedizinischen Dienstes an. Auch den rechtlichen Schlussfolgerungen, die sich daraus ergäben, stimme er zu.
Am 3. August 2012 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie trug vor, sie erfülle die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die maßgebliche Gesundheitsstörung liege bei ihr auf psychiatrischem Fachgebiet. Der sie behandelnde Arzt Dr. La. habe bei ihr eine mittelgradig ausgeprägte depressive Störung diagnostiziert. Dr. La. und Dr. H. hätten ihr Leistungsvermögen auf unter drei Stunden eingeschätzt. Die Feststellungen des Gutachters B. könnten vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. Durch ihre Schwerhörigkeit komme es darüber hinaus zu einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung. Vor dem Hintergrund, dass nach Aussage des Sachverständigen Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. He. (hierzu im Folgenden) sich die somatoforme Schmerzstörung in andauernden, schweren und quälenden Schmerzen äußere, sei dessen Einschätzung ihres Leistungsvermögens nicht nachvollziehbar. Sowohl eine im Grenzbereich zu einer mittelgradigen Depression liegende Erkrankung als auch die somatoforme Schmerzstörung führten zu einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie legte die ärztliche Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E.-D. vom 16. April 2013 vor, die die Auffassung vertrat, dass bei Würdigung aller Gutachten, sachverständigen Zeugenauskünfte und Befundberichte nichts gegen die von der Beklagten vertretene Leistungseinschätzung spreche.
Das SG hörte die die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Dr. La. teilte unter dem 17. Dezember 2012 mit, dass sich die Klägerin seit 2. Juli 2003 in seiner ambulanten Behandlung befinde. Die Termine seien in den ersten Jahren engmaschiger, in den letzten Jahren ein- bis zweimal pro Quartal erfolgt. Bei den Gesprächsterminen sei meist ein Familienmitglied als Dolmetscher mit dabei gewesen. Aktuell werde die Medikation mit Citalopram 20 mg fortgesetzt. Diagnostisch sei von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradig ausgeprägten depressiven Phasen auszugehen. In Übereinstimmung mit der Beurteilung des Dr. H. halte er die Klägerin für weniger als drei Stunden täglich für leichte Arbeiten belastbar. Orthopäde Dr. Gr. führte unter dem 22. Dezember 2012 aus, dass die Klägerin an einem chronisch rezidivierenden Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgie links bei Blockierung des Sacroiliakalgelenks (SIG) links stärker als rechts, einer Brust- und Halswirbelsäulenblockierung, einem Fersensporn und Haglund-Exostosen beidseits und einer Bursitis trochanterica links leide. Die übrigen Störungen wie somatoforme Schmerzstörung und Verdacht auf Polymyalgia rheumatica und auf Fibromyalgie seien eher dem neurologischem Fachgebiet zuzuordnen. Durch die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet sei eine Einschränkung insoweit zu sehen, als eine schwere körperliche Belastung mit Heben und Tragen von Lasten über zehn Kilogramm in Zwangshaltungen der Wirbelsäule nicht mehr durchgeführt werden sollte. Von der Beurteilung der Leistungseinschätzung im Gutachten des Arztes B. weiche er nicht ab. Arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. A. reichte am 4. März 2013 einen Befundschein zur Vorlage beim Versorgungsamt vom 27. Februar 2013 mit den Diagnosen idiopatischer Tinnitus auris beidseits, Taubheit links und mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts ein.
Sodann erstattete Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. He. das Gutachten vom 5. Juli 2013. Der Sachverständige, der die Klägerin unter Heranziehung einer Dolmetscherin befragte, führte aus, eine Verständigung sei mit der Klägerin, die sich mit dem rechten Ohr der Dolmetscherin zugewandt habe, ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Teilweise habe die Klägerin auch direkt auf die von ihm gestellten Fragen geantwortet. Die Klägerin habe ihm gegenüber angegeben, dass sie Citalopram 20, Amineurin 10 und Dominal einnehme, wobei sie letzteres weglassen solle, weil es ihr Magenprobleme bereite. Sie stehe zwischen 5.00 und 7.00 Uhr auf, frühstücke dann in der Regel und nehme im Anschluss daran zum Teil Arzttermine wahr oder erledige insbesondere die leichteren Sachen der Hausarbeit, sehe fern oder lese ein wenig. Wenn es ihr gut gehe, koche sie ein Mittagessen, wenn es ihr schlecht gehe, esse sie etwas Kaltes. Abends schaue sie mit dem Ehemann fern, zu Bett gehe sie zwischen 22.00 und 23.00 Uhr. Kontakt habe sie zu ihren Kindern und deren Familien, ab und zu kämen Freundinnen oder befreundete Ehepaare. Zum Nervenarzt gehe sie alle drei Monate. Dr. He. diagnostizierte eine depressive Erkrankung, derzeit leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode, und anhaltende somatoforme Störungen. Die vorherrschenden Beschwerden der somatoformen Störung seien andauernde, schwere und quälende Schmerzen, die durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden könnten. Die Erkrankungen würden gewisse qualitative Leistungseinschränkungen bedingen. Eine Überforderung durch Akkord-, Nachtarbeit oder durch Arbeiten unter besonderem Zeitdruck müsse vermieden werden. Dies gelte gleichermaßen für besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung. Bei Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen seien der Klägerin Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden täglich möglich.
10 
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Oktober 2013 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Dies stehe nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen, insbesondere auf Grund des von dem Gutachter B. erstatteten Gutachtens, der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. Gr. und den Ausführungen des Sachverständigen Dr. He. fest. Aus den von Dr. A. mitgeteilten Diagnosen lasse sich eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht ableiten. Nicht zu folgen vermöge die Kammer im Ergebnis der Einschätzung des Dr. La. und des Dr. H.. Aus der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. La. lasse sich nicht entnehmen, auf Grund welcher konkreter Krankheitssymptome er von einer eingeschränkten körperlichen und psychischen Belastbarkeit wie geminderten Leistungsfähigkeit ausgehe. Überdies habe die Klägerin die Arzttermine bei Dr. La. alleine oder in Begleitung von Familienangehörigen, die teilweise als Dolmetscher fungierten, wahrgenommen, während bei der Begutachtung bei Dr. He. eine allgemein beeidigte Dolmetscherin anwesend gewesen sei. Insofern vermöge auch die Stellungnahme des Dr. H. hinsichtlich der beschriebenen eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht zu überzeugen, zumal die dort behandelnden Ärzte eingeräumt hätten, dass auf Grund der Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten die therapeutische Zugänglichkeit der Klägerin äußerst eingeschränkt gewesen sei. Die Beschreibung, dass die Klägerin beispielsweise im Rahmen der Atemtherapie auf Grund ihrer Schwerhörigkeit keine Chancen gehabt habe, hiervon zu profitieren, stehe in diametralem Widerspruch zu der in der Begutachtungssituation beschriebenen problemlosen Verständigung unter Zuhilfenahme der Dolmetscherin und unter Nutzung der vorhandenen Hörgeräte. Die Kammer vermöge sich auch nicht der gutachterlichen Einschätzung des Orthopäden Dr. Sc. hinsichtlich der Schwere der psychischen Erkrankung anzuschließen. Auf seinem Fachgebiet habe Dr. Sc. maßgebende rentenrelevanten Leistungseinschränkungen nicht bestätigen können. Der von Dr. Sc. behauptete soziale Rückzug und ein geändertes Freizeitverhalten habe sich in der Untersuchungssituation bei Dr. He. gerade nicht verifizieren lassen. Auch die Inanspruchnahme nervenärztlicher Hilfe und die Einnahme von Psychopharmaka rechtfertige allein noch nicht die Annahme einer Erwerbsminderung, zumal die Klägerin nach den Aussagen von Dr. La. zwischenzeitlich nur noch einmal täglich Citalopram 20 mg zu sich nehme im Gegensatz zu der höheren Medikation im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. Sc.. Darüber hinaus liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und keine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der bei der Klägerin vorliegenden Ohrenerkrankung. Die Klägerin sei mit einem Hörgerät versorgt und habe bei der Begutachtung durch Dr. He. keine hörbedingten Verständigkeitsschwierigkeiten gezeigt. Die Klägerin habe darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Bei der zuletzt von ihr ausgeübten Tätigkeit als Maschinenarbeiterin handele es sich um eine ungelernte Tätigkeit, sodass die Klägerin auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.
11 
Dagegen hat die Klägerin am 7. November 2013 Berufung eingelegt. Sie ist weiter der Ansicht, dass das von Dr. He. erstellte Gutachten in sich widersprüchlich sei und sich mit den Befunden von Dr. La. inhaltlich nicht auseinandersetze. Vor dem Hintergrund der Medikation mit Citalopram, Amineurin und Dominal könne nicht nachvollzogen werden, warum bei ihr lediglich eine leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode vorliegen solle. Die Anamnese beruhe ausschließlich auf dem momentanen Eindruck. Darüber hinaus bejahe Dr. He. zwar das Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Störung. In der Anamnese fänden sich insoweit aber keine Ausführungen. Unterstellt, die Diagnose sei zutreffend, dann sei die Schlussfolgerung des Dr. He., dass keine wesentlichen quantitativen oder qualitativen Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit erkennbar seien, nicht nachvollziehbar. Der medizinische Sachverhalt sei weiter aufklärungsbedürftig. Die Klägerin hat ein weiteres Attest des Dr. La. vom 15. November 2013 beigefügt, in dem dieser bei seinen bisherigen Ausführungen verbleibt und einen eigenen unabhängigen Gutachter empfiehlt.
12 
Die Klägerin beantragt,
13 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 25. November 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen, weiter hilfsweise ein Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. Ab. einzuholen.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag und die Ausführungen im Gerichtsbescheid und hat ergänzend eine sozialmedizinische Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin Grimm vom 29. April 2014 vorgelegt, wonach die Tatsache, dass Dr. La. am 7. April 2014 für die Klägerin einen - beigefügten - Rehabilitationsantrag gestellt habe, in großem Widerspruch zu seinen bisher gemachten Aussagen stehe.
17 
Für einen Antrag nach § 109 SGG hat der Senat der Klägerin unter dem 19. Februar 2014 eine Frist gesetzt bis zum 28. März 2014, worauf die Klägerin am 28. März 2014 Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. benannt, innerhalb der vom Senat gesetzten weiteren Frist zur Zahlung eines Vorschusses bis 9. Mai 2014 den Vorschuss eingezahlt und die Kostenverpflichtungserklärung eingereicht hat. Den ihm am 14. Mai 2014 erteilten Gutachtensauftrag hat Dr. Sch. am 20. Mai 2014 zurückgesandt, weil er aus gesundheitlichen Gründen im nächsten halben Jahr keine Gutachten erstellen könne. Der Senat hat die Klägerin hierauf unter dem 21. Mai 2014 aufgefordert, bis spätestens 20. Juni 2014 mitzuteilen, wer anstelle von Dr. Sch. das Gutachten erstatten soll, worauf die Klägerin am 27. Mai 2014 Prof. Dr. E. benannt hat. Prof. Dr. E. hat den an ihn gerichteten Gutachtensauftrag vom 27. Mai 2014 am 16. Juni 2014 wegen Arbeitsüberlastung zurückgereicht. Auf die Aufforderung des Senats vom 23. Juni 2013 bis spätestens 14. Juli 2014 mitzuteilen, wer anstelle von Prof. Dr. E. das Gutachten erstatten soll und gleichzeitig eine Bestätigung des Arztes beizufügen, wonach er in der Lage und bereit sei, das Gutachten binnen drei Monaten zu erstatten, hat die Klägerin am 14. Juli 2014 Dr. Ra. benannt. Der Senat hat die Klägerin hierauf aufgefordert, bis spätestens 31. Juli 2014 eine Bestätigung von Dr. Ra. vorzulegen, wonach sie in der Lage und bereit sei, das Gutachten binnen drei Monaten zu erstatten. Darauf hat die Klägerin unter dem 18. Juli 2014 mitgeteilt, dass Dr. Ra. keine Gutachten mehr anfertige. Gleichzeitig hat sie darum gebeten, die Frist zur Benennung eines Gutachters um einen Monat zu verlängern. Der Senat hat hierauf unter dem 23. Juli 2014 die Frist zur Benennung eines weiteren Gutachters und Vorlage einer Bestätigung, dass er in der Lage sei, das Gutachten binnen drei Monaten zu erstatten, bis längstens 15. August 2014 verlängert und darauf hingewiesen, dass eine weitere Verlängerung nicht in Betracht komme. Am 8. August 2014 hat die Klägerin daraufhin den Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. Ab. benannt. Der Senat hat der Klägerin mit Fax vom 12. August 2014 mitgeteilt, dass ein Gutachtensauftrag an Dr. Ab. nur erteilt werde, wenn bis 15. August 2014 auch eine Bestätigung vorgelegt werde, dass er in der Lage sei, das Gutachten binnen drei Monaten zu erstatten. Am 13. August 2014 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sich Dr. Ab. bis 25. August 2014 im Urlaub befinde. Nachdem eine Bestätigung des Dr. Ab. bis 31. August 2014 nicht eingegangen ist, hat der Senat der Klägerin unter dem 1. September 2014 mitgeteilt, dass der Rechtsstreit nach derzeitiger Auffassung der Berichterstatterin entscheidungsreif sei und die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. Mit Schreiben vom 5. September 2014 hat die Klägerin mitgeteilt, dass die Bestätigung noch vorgelegt werde. Es werde um Nachsicht gebeten, ihr Klägerbevollmächtigter sei zum Ende des Monats August 2014 in neue Kanzleiräume umgezogen. Nachdem unter dem 25. September 2014 die Terminierung der Senatssitzung auf den 21. November 2014 mit dem Büro des Bevollmächtigten der Klägerin abgesprochen worden ist, hat der Senat den Rechtsstreit unter dem 1. Oktober 2014 auf den 21. November 2014 terminiert. Die Ladung ist dem Bevollmächtigen am 7. Oktober 2014 zugegangen. Am 20. Oktober 2014 hat die Klägerin ein an Dr. Ab. gerichtetes Schreiben vom 29. September 2014 vorgelegt, auf dem Dr. Ab. unter dem 30. September 2014 handschriftlich bestätigt hat, dass er ein Gutachten nach § 109 SGG erstatten werde.
18 
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
19 
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
1.
20 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis beider Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung. Denn die Klägerin begehrt Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2.
21 
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat ab 25. November 2011 keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
22 
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
23 
Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin seit 25. November 2011 weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Dies steht zur Überzeugung des Senats auf Grund der im Verwaltungs- und Klageverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest.
a)
24 
Als rentenrelevante Gesundheitsstörung besteht bei der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet eine depressive Erkrankung mit Schwankungen zwischen leichten und mittelgradigen depressiven Episoden und eine somatoforme Schmerzstörung. Dies stützt der Senat auf die Gutachten des Arztes B. vom 21. Februar 2012 und des Dr. He. vom 5. Juli 2013 und den Entlassungsbericht des Dr. H. vom 25. August 2011. Hieraus ergibt sich für den Senat überzeugend, dass die Klägerin nicht durchgängig unter einer mittelgradigen depressiven Störung leidet, die depressive Symptomatik bei der Klägerin vielmehr Schwankungen unterliegt. Bestätigt wird dies durch die sachverständige Zeugenauskunft des die Klägerin behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. La. vom 17. Dezember 2012, wonach von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradig ausgeprägten depressiven Phasen auszugehen sei. Auch hieraus ist zu folgern, dass die mittelgradig ausgeprägte depressive Störung nicht durchgängig vorhanden ist, sondern nur phasenweise auftritt. Dass die depressive Erkrankung nicht durchgängig mit mittelgradigen oder gar schweren Episoden verbunden ist, zeigt sich auch in der Tatsache, dass sich die Klägerin nur einmal im Quartal in nervenärztlicher Behandlung bei Dr. La. befindet und in der von der Klägerin zuletzt Dr. He. gegenüber angegebenen Medikation mit Citalopram AL 20 und Amineurin 10. Hierbei handelt es sich um eine Medikation allenfalls im mittleren Bereich, nachdem Citalopram in Wirkdosen von 10 mg, 20 mg, 30 mg und 40 mg und Amineurin in Wirkdosen von 10 mg, 25 mg, 50 mg und 100 mg auf dem Markt ist, wobei bei der Untersuchung durch den Arzt B. darüber hinaus auch festgestellt werden konnte, dass der Wirkstoff Duloxetin, mit dem die Klägerin damals behandelt wurde, im Blut nicht nachweisbar war. Auch die Notwendigkeit einer stationären, psychiatrischen Behandlung bestand bisher nicht. Eine psychotherapeutische Behandlung fand und findet ebenfalls nicht statt. Auch hat die Klägerin einen für nicht erwerbstätige Menschen weitgehend normalen Tagesablauf. Sie steht ausweislich ihrer Angaben gegenüber Dr. He. zwischen 5.00 Uhr und 7.00 Uhr auf, frühstückt, nimmt im Anschluss daran zum Teil Arzttermine war oder erledigt die leichteren Sachen der Hausarbeit, sieht fern oder liest ein wenig. Wenn es ihr gut geht, kocht sie ein Mittagsessen, wenn es ihr schlecht geht, isst sie etwas Kaltes. Abends schaut sie mit ihrem Ehemann fern und geht zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr ins Bett. Kontakt hat sie zu ihren Kindern und deren Familien und ab und zu zu Freundinnen oder befreundeten Ehepaaren. Wegen der somatoformen Schmerzstörung befindet sich die Klägerin nicht in schmerztherapeutischer Behandlung. Die von Arzt B., Dr. Sc., Dr. H. und Dr. Gr. beschriebenen Bewegungseinschränkungen sind allenfalls leichtgradig. Der Verrichtung leichterer Tätigkeiten im Haushalt stehen sie nicht entgegen.
25 
Bei der mit Hörgeräten versorgten Klägerin besteht ferner eine schwere Innenohrschwerhörigkeit links stärker als rechts und ein hochgradiger Tinnitus beidseits. Dies ergibt sich aus dem Entlassungsbericht des Dr. H. und den Gutachten des Arztes B. und Dr. He. sowie der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. A. vom 4. März 2013. Eine Verständigung mit der Klägerin war bei der Begutachtung durch Dr. He. jedoch mit Hilfe der Dolmetscherin ohne Schwierigkeiten möglich. Teilweise antwortete die Klägerin auch direkt auf die vom Gutachter gestellten Fragen.
26 
Außerdem leidet die Klägerin dem Entlassungsbericht des Dr. H. folgend unter einer arteriellen Hypertonie, die medikamentös behandelt wird. Anlässlich der Eingangsuntersuchung bei der Rehabilitationsmaßnahme wurde der Blutdruck mit 140/100 mmHg gemessen.
27 
Darüber hinaus besteht bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet ein chronisch rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgie, eine Brust- und Halswirbelsäulenblockierung, ein Fersensporn und Haglund-Exostosen beidseits sowie eine Bursitis troub Hubchanterica links. Dies stützt der Senat auf die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr. vom 22. Dezember 2012.
28 
Vom Vorliegen einer Polymyalgia rheumatica und eines Fibromyalgiesyndroms ist der Senat nicht überzeugt. Mit Ausnahme des Dr. Gr. wurden diese Diagnosen von den übrigen Ärzten nicht genannt und auch Dr. Gr. äußerte insoweit jeweils nur einen Verdacht. Ebenso verhält es sich mit Blick auf die von Dr. Sc. diagnostizierte Anpassungsstörung, die von ihm fachfremd diagnostiziert wurde.
b)
29 
Wegen dieser Erkrankungen kann die Klägerin noch leichte Tätigkeiten im Bewegungswechsel ohne Nachtschicht und Akkord, besondere Anforderungen an Gang- und Standsicherheit, Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über zehn kg und Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Hörfähigkeit oder mit vermehrter Lärmbelastung verrichten. Ausgeschlossen sind auch Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck und solche an die besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung zu stellen sind. Diese qualitativen Leistungseinschränkungen haben der Gutachter B. und der Sachverständige Dr. He. aber auch Dr. H. und Dr. Gr. genannt. Soweit der Gutachter B. noch mittelschwere Tätigkeit für möglich erachtet, schließt sich der Senat dem mit Blick auf die orthopädischen Erkrankungen der Klägerin und auch die somatoforme Schmerzstörung nicht an. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat auch der qualitativen Einschränkung, wonach die Klägerin Dr. H. folgend nur noch Tätigkeiten überwiegend im Sitzen verrichten kann, denn dies lässt sich auf die bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen nicht stützen.
c)
30 
Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen führen die rentenrelevanten Erkrankungen seit 25. November 2011 jedoch nicht zu einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf weniger als sechs Stunden täglich. Die Klägerin ist noch in der Lage, leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat stützt dies auf die übereinstimmende Beurteilung des Arztes B. und des Dr. He. und auch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr., der von der Beurteilung der Leistungseinschätzung im Gutachten des Arztes B. nicht abwich. Der Senat vermag demgegenüber nicht der Beurteilung des Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht durch Dr. H. und Dr. La., die davon ausgehen, dass die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich Tätigkeiten verrichten könne, zu folgen. Diese gegenteiligen Einschätzungen sieht der Senat durch die Gutachten und die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr. als widerlegt an. Die Einschätzung durch Dr. H. ist für den Senat wie für das SG insbesondere auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die die Klägerin anlässlich der Rehabilitationsmaßnahme behandelnden Ärzte eingeräumt haben, dass auf Grund der Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten die therapeutische Zugänglichkeit der Klägerin äußerst eingeschränkt gewesen sei. Demgegenüber hat Dr. He. die Klägerin mit Hilfe einer Dolmetscherin begutachtet. Abgesehen davon ist aber auch die von den Ärzten der Rehabilitationsmaßnahme geschilderte Sprach- und Verständigungsschwierigkeit nicht in diesem Maße nachvollziehbar, nachdem die Klägerin durchaus auch teilweise deutsch versteht, was daraus deutlich wird, dass sie auf Fragen des Dr. He. teilweise direkt antwortete und auch die sie behandelnden Ärzte zumindest ab und an auch alleine aufsucht, und somit durchaus in der Lage ist, sich zu verständigen. Gewisse Verständigungsmöglichkeiten der Klägerin lassen sich auch daraus ableiten, dass sie bereits 1978 als 18-jährige aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zuzog, in der Bundesrepublik Deutschland zwei Kinder aufzog und darüber hinaus zwischen 1987 und 2011 auch als Maschinenarbeiterin beschäftigt war. Im Übrigen sind die rezidivierende depressive Störung und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung, wie sich aus dem von Dr. He. erhobenen Tagesablauf ergibt, nicht mit gravierenden Einschränkungen im täglichen Leben verbunden. Auch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. La. vermag diese Leistungseinschätzung nicht zu begründen. Er teilte in seiner sachverständigen Zeugenauskunft zwar den von ihm bei den Gesprächsterminen erhobenen psychischen Befund mit, ging jedoch nicht weiter der Frage nach, ob daraus auch eine Einschränkung im Tagesablauf der Klägerin resultiert. Darüber hinaus sah er nicht die Notwendigkeit das Behandlungsintervall zu verkürzen. Er behandelt die Klägerin in der Regel nur einmal im Quartal. Gegen seine Einschätzung spricht auch der von ihm unter dem 7. April 2014 für die Klägerin gestellte neuerliche Rehabilitationsantrag. Dies belegt, dass er nicht (mehr) die Auffassung vertritt, dass die Klägerin auf Dauer erwerbsgemindert ist und ihr Gesundheitszustand nicht mehr gebessert werden kann.
d)
31 
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Dies ist nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar - wie dargelegt - einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände - beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R -, in juris m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.
e)
32 
Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist seit 25. November 2011 gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 m zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteile vom 17. Dezember 1991- 13/5 RJ 73/90 - sowie 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R und B 13 R 79/11 R -, alle in juris). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Gutachter und der Sachverständige haben keine Befunde erhoben, die für eine den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen. Auch der von Dr. Gr. mitgeteilte Fersensporn und die Haglund-Exostosen beidseits führen nicht zu einer derartigen Einschränkung der Gehfähigkeit.
3.
a)
33 
Eine Beweiserhebung durch weitere Sachverständigengutachten war nicht erforderlich. Der Senat sieht den Sachverhalt durch die eingeholten Gutachten als geklärt an. Eine Verschlechterung ist insbesondere auch nicht im Hinblick auf die nervenärztliche Problematik bei der Klägerin ersichtlich, nachdem die medikamentöse Behandlung gleichbleibend ist, die Behandlung bei Dr. La. weiterhin nur etwa alle drei Monate stattfindet und Dr. La. auch in seinem letzten Attest nicht über eine Verschlechterung berichtet hat, so dass die Gutachten des Arztes B. und des Dr. He. weiterhin den aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin abbilden.
b)
34 
Der Senat war an einer Entscheidung auch nicht durch den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG bei Dr. Ab. gehindert. Dieser Antrag ist nach § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen. Das Gericht kann nach § 109 Abs. 2 SGG einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreit verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Davon ist hier auszugehen.
35 
Das Einholen eines Gutachtens bei Dr. Ab. aufgrund des Antrags im am 8. August 2014 beim Senat eingegangenen Schriftsatzes vom 6. August 2014 verzögert die Erledigung des Rechtsstreits, denn der Senat könnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Berufung entscheiden. Dies beruht auf grober Nachlässigkeit der Klägerin. Eine solche grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Kellerer/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rdnr. 11). Bei einem Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG muss gewährleistet sein, dass der benannte Sachverständige innerhalb angemessener Zeit das Gutachten erstellen wird. Nur dann kann das Gericht seiner Verpflichtung nachkommen, innerhalb angemessener Frist eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention; § 198 Gerichtsverfassungsgesetz; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rdziff. 5b, 19). Insoweit haben die Gerichte auch bei einem Gutachten nach § 109 SGG die Pflicht, solche Gutachten zügig und effizient einzuholen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 25. März 2010 - 901/05 -, in juris). Die Klägerin hat diese für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen. Der Klägerin war seit der Verfügung der Berichterstatterin vom 23. Juni 2014 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG die Bestätigung des benannten Sachverständigen erforderlich ist, er werde das Gutachten binnen drei Monaten erstellen. Eine solche Bestätigung des nach § 109 SGG benannten Sachverständigen ist im Hinblick auf die zuvor genannte Pflicht der Gerichte erforderlich. Sie war im Falle der Klägerin zudem erforderlich, weil die beiden zuvor von der Klägerin benannten Ärzte den jeweils an sie gerichteten Gutachtensauftrag wegen Arbeitsüberlastung zurückgegeben hatten. Nur mit dieser geforderten Bestätigung war sicherzustellen, dass nicht erneut ein Gutachtensauftrag von dem von der Klägerin als Sachverständigen benannten Arzt zurückgegeben wird und damit weitere Verzögerungen des Rechtsstreits dadurch eintreten werden, weil der Klägerin erneut die Gelegenheit eingeräumt werden musste, einen Arzt als Sachverständigen zu benennen. Demgemäß war für die Klägerin erkennbar, dass sie vor Benennung des Dr. Ab. als Sachverständigen, die mit dem am 8. August 2014 beim Senat eingegangenem Schriftsatz vom 6. August 2014 erfolgte, mit diesem abklären musste, ob er das Gutachten innerhalb von drei Monaten erstellen wird. Auch wenn Dr. Ab. bis 25. August 2014 in Urlaub gewesen sein sollte, hätte die Klägerin unmittelbar nach Ende des Urlaubs die verlangte Bestätigung einholen und dem Senat vorgelegen müssen. Dies tat sie nicht. Erst nach Terminsabsprache des Senats mit ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. September 2014 wandte sich die Klägerin an Dr. Ab. mit der Bitte, die vom Senat verlangte Bestätigung zu erteilen (Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29. September 2014).
4.
36 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
37 
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
1.
20 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis beider Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung. Denn die Klägerin begehrt Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2.
21 
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat ab 25. November 2011 keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
22 
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
23 
Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin seit 25. November 2011 weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Dies steht zur Überzeugung des Senats auf Grund der im Verwaltungs- und Klageverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest.
a)
24 
Als rentenrelevante Gesundheitsstörung besteht bei der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet eine depressive Erkrankung mit Schwankungen zwischen leichten und mittelgradigen depressiven Episoden und eine somatoforme Schmerzstörung. Dies stützt der Senat auf die Gutachten des Arztes B. vom 21. Februar 2012 und des Dr. He. vom 5. Juli 2013 und den Entlassungsbericht des Dr. H. vom 25. August 2011. Hieraus ergibt sich für den Senat überzeugend, dass die Klägerin nicht durchgängig unter einer mittelgradigen depressiven Störung leidet, die depressive Symptomatik bei der Klägerin vielmehr Schwankungen unterliegt. Bestätigt wird dies durch die sachverständige Zeugenauskunft des die Klägerin behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. La. vom 17. Dezember 2012, wonach von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradig ausgeprägten depressiven Phasen auszugehen sei. Auch hieraus ist zu folgern, dass die mittelgradig ausgeprägte depressive Störung nicht durchgängig vorhanden ist, sondern nur phasenweise auftritt. Dass die depressive Erkrankung nicht durchgängig mit mittelgradigen oder gar schweren Episoden verbunden ist, zeigt sich auch in der Tatsache, dass sich die Klägerin nur einmal im Quartal in nervenärztlicher Behandlung bei Dr. La. befindet und in der von der Klägerin zuletzt Dr. He. gegenüber angegebenen Medikation mit Citalopram AL 20 und Amineurin 10. Hierbei handelt es sich um eine Medikation allenfalls im mittleren Bereich, nachdem Citalopram in Wirkdosen von 10 mg, 20 mg, 30 mg und 40 mg und Amineurin in Wirkdosen von 10 mg, 25 mg, 50 mg und 100 mg auf dem Markt ist, wobei bei der Untersuchung durch den Arzt B. darüber hinaus auch festgestellt werden konnte, dass der Wirkstoff Duloxetin, mit dem die Klägerin damals behandelt wurde, im Blut nicht nachweisbar war. Auch die Notwendigkeit einer stationären, psychiatrischen Behandlung bestand bisher nicht. Eine psychotherapeutische Behandlung fand und findet ebenfalls nicht statt. Auch hat die Klägerin einen für nicht erwerbstätige Menschen weitgehend normalen Tagesablauf. Sie steht ausweislich ihrer Angaben gegenüber Dr. He. zwischen 5.00 Uhr und 7.00 Uhr auf, frühstückt, nimmt im Anschluss daran zum Teil Arzttermine war oder erledigt die leichteren Sachen der Hausarbeit, sieht fern oder liest ein wenig. Wenn es ihr gut geht, kocht sie ein Mittagsessen, wenn es ihr schlecht geht, isst sie etwas Kaltes. Abends schaut sie mit ihrem Ehemann fern und geht zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr ins Bett. Kontakt hat sie zu ihren Kindern und deren Familien und ab und zu zu Freundinnen oder befreundeten Ehepaaren. Wegen der somatoformen Schmerzstörung befindet sich die Klägerin nicht in schmerztherapeutischer Behandlung. Die von Arzt B., Dr. Sc., Dr. H. und Dr. Gr. beschriebenen Bewegungseinschränkungen sind allenfalls leichtgradig. Der Verrichtung leichterer Tätigkeiten im Haushalt stehen sie nicht entgegen.
25 
Bei der mit Hörgeräten versorgten Klägerin besteht ferner eine schwere Innenohrschwerhörigkeit links stärker als rechts und ein hochgradiger Tinnitus beidseits. Dies ergibt sich aus dem Entlassungsbericht des Dr. H. und den Gutachten des Arztes B. und Dr. He. sowie der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. A. vom 4. März 2013. Eine Verständigung mit der Klägerin war bei der Begutachtung durch Dr. He. jedoch mit Hilfe der Dolmetscherin ohne Schwierigkeiten möglich. Teilweise antwortete die Klägerin auch direkt auf die vom Gutachter gestellten Fragen.
26 
Außerdem leidet die Klägerin dem Entlassungsbericht des Dr. H. folgend unter einer arteriellen Hypertonie, die medikamentös behandelt wird. Anlässlich der Eingangsuntersuchung bei der Rehabilitationsmaßnahme wurde der Blutdruck mit 140/100 mmHg gemessen.
27 
Darüber hinaus besteht bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet ein chronisch rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgie, eine Brust- und Halswirbelsäulenblockierung, ein Fersensporn und Haglund-Exostosen beidseits sowie eine Bursitis troub Hubchanterica links. Dies stützt der Senat auf die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr. vom 22. Dezember 2012.
28 
Vom Vorliegen einer Polymyalgia rheumatica und eines Fibromyalgiesyndroms ist der Senat nicht überzeugt. Mit Ausnahme des Dr. Gr. wurden diese Diagnosen von den übrigen Ärzten nicht genannt und auch Dr. Gr. äußerte insoweit jeweils nur einen Verdacht. Ebenso verhält es sich mit Blick auf die von Dr. Sc. diagnostizierte Anpassungsstörung, die von ihm fachfremd diagnostiziert wurde.
b)
29 
Wegen dieser Erkrankungen kann die Klägerin noch leichte Tätigkeiten im Bewegungswechsel ohne Nachtschicht und Akkord, besondere Anforderungen an Gang- und Standsicherheit, Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über zehn kg und Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Hörfähigkeit oder mit vermehrter Lärmbelastung verrichten. Ausgeschlossen sind auch Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck und solche an die besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung zu stellen sind. Diese qualitativen Leistungseinschränkungen haben der Gutachter B. und der Sachverständige Dr. He. aber auch Dr. H. und Dr. Gr. genannt. Soweit der Gutachter B. noch mittelschwere Tätigkeit für möglich erachtet, schließt sich der Senat dem mit Blick auf die orthopädischen Erkrankungen der Klägerin und auch die somatoforme Schmerzstörung nicht an. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat auch der qualitativen Einschränkung, wonach die Klägerin Dr. H. folgend nur noch Tätigkeiten überwiegend im Sitzen verrichten kann, denn dies lässt sich auf die bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen nicht stützen.
c)
30 
Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen führen die rentenrelevanten Erkrankungen seit 25. November 2011 jedoch nicht zu einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf weniger als sechs Stunden täglich. Die Klägerin ist noch in der Lage, leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat stützt dies auf die übereinstimmende Beurteilung des Arztes B. und des Dr. He. und auch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr., der von der Beurteilung der Leistungseinschätzung im Gutachten des Arztes B. nicht abwich. Der Senat vermag demgegenüber nicht der Beurteilung des Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht durch Dr. H. und Dr. La., die davon ausgehen, dass die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich Tätigkeiten verrichten könne, zu folgen. Diese gegenteiligen Einschätzungen sieht der Senat durch die Gutachten und die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr. als widerlegt an. Die Einschätzung durch Dr. H. ist für den Senat wie für das SG insbesondere auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die die Klägerin anlässlich der Rehabilitationsmaßnahme behandelnden Ärzte eingeräumt haben, dass auf Grund der Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten die therapeutische Zugänglichkeit der Klägerin äußerst eingeschränkt gewesen sei. Demgegenüber hat Dr. He. die Klägerin mit Hilfe einer Dolmetscherin begutachtet. Abgesehen davon ist aber auch die von den Ärzten der Rehabilitationsmaßnahme geschilderte Sprach- und Verständigungsschwierigkeit nicht in diesem Maße nachvollziehbar, nachdem die Klägerin durchaus auch teilweise deutsch versteht, was daraus deutlich wird, dass sie auf Fragen des Dr. He. teilweise direkt antwortete und auch die sie behandelnden Ärzte zumindest ab und an auch alleine aufsucht, und somit durchaus in der Lage ist, sich zu verständigen. Gewisse Verständigungsmöglichkeiten der Klägerin lassen sich auch daraus ableiten, dass sie bereits 1978 als 18-jährige aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zuzog, in der Bundesrepublik Deutschland zwei Kinder aufzog und darüber hinaus zwischen 1987 und 2011 auch als Maschinenarbeiterin beschäftigt war. Im Übrigen sind die rezidivierende depressive Störung und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung, wie sich aus dem von Dr. He. erhobenen Tagesablauf ergibt, nicht mit gravierenden Einschränkungen im täglichen Leben verbunden. Auch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. La. vermag diese Leistungseinschätzung nicht zu begründen. Er teilte in seiner sachverständigen Zeugenauskunft zwar den von ihm bei den Gesprächsterminen erhobenen psychischen Befund mit, ging jedoch nicht weiter der Frage nach, ob daraus auch eine Einschränkung im Tagesablauf der Klägerin resultiert. Darüber hinaus sah er nicht die Notwendigkeit das Behandlungsintervall zu verkürzen. Er behandelt die Klägerin in der Regel nur einmal im Quartal. Gegen seine Einschätzung spricht auch der von ihm unter dem 7. April 2014 für die Klägerin gestellte neuerliche Rehabilitationsantrag. Dies belegt, dass er nicht (mehr) die Auffassung vertritt, dass die Klägerin auf Dauer erwerbsgemindert ist und ihr Gesundheitszustand nicht mehr gebessert werden kann.
d)
31 
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Dies ist nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar - wie dargelegt - einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände - beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R -, in juris m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.
e)
32 
Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist seit 25. November 2011 gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 m zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteile vom 17. Dezember 1991- 13/5 RJ 73/90 - sowie 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R und B 13 R 79/11 R -, alle in juris). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Gutachter und der Sachverständige haben keine Befunde erhoben, die für eine den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen. Auch der von Dr. Gr. mitgeteilte Fersensporn und die Haglund-Exostosen beidseits führen nicht zu einer derartigen Einschränkung der Gehfähigkeit.
3.
a)
33 
Eine Beweiserhebung durch weitere Sachverständigengutachten war nicht erforderlich. Der Senat sieht den Sachverhalt durch die eingeholten Gutachten als geklärt an. Eine Verschlechterung ist insbesondere auch nicht im Hinblick auf die nervenärztliche Problematik bei der Klägerin ersichtlich, nachdem die medikamentöse Behandlung gleichbleibend ist, die Behandlung bei Dr. La. weiterhin nur etwa alle drei Monate stattfindet und Dr. La. auch in seinem letzten Attest nicht über eine Verschlechterung berichtet hat, so dass die Gutachten des Arztes B. und des Dr. He. weiterhin den aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin abbilden.
b)
34 
Der Senat war an einer Entscheidung auch nicht durch den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG bei Dr. Ab. gehindert. Dieser Antrag ist nach § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen. Das Gericht kann nach § 109 Abs. 2 SGG einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreit verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Davon ist hier auszugehen.
35 
Das Einholen eines Gutachtens bei Dr. Ab. aufgrund des Antrags im am 8. August 2014 beim Senat eingegangenen Schriftsatzes vom 6. August 2014 verzögert die Erledigung des Rechtsstreits, denn der Senat könnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Berufung entscheiden. Dies beruht auf grober Nachlässigkeit der Klägerin. Eine solche grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Kellerer/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rdnr. 11). Bei einem Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG muss gewährleistet sein, dass der benannte Sachverständige innerhalb angemessener Zeit das Gutachten erstellen wird. Nur dann kann das Gericht seiner Verpflichtung nachkommen, innerhalb angemessener Frist eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention; § 198 Gerichtsverfassungsgesetz; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rdziff. 5b, 19). Insoweit haben die Gerichte auch bei einem Gutachten nach § 109 SGG die Pflicht, solche Gutachten zügig und effizient einzuholen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 25. März 2010 - 901/05 -, in juris). Die Klägerin hat diese für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen. Der Klägerin war seit der Verfügung der Berichterstatterin vom 23. Juni 2014 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG die Bestätigung des benannten Sachverständigen erforderlich ist, er werde das Gutachten binnen drei Monaten erstellen. Eine solche Bestätigung des nach § 109 SGG benannten Sachverständigen ist im Hinblick auf die zuvor genannte Pflicht der Gerichte erforderlich. Sie war im Falle der Klägerin zudem erforderlich, weil die beiden zuvor von der Klägerin benannten Ärzte den jeweils an sie gerichteten Gutachtensauftrag wegen Arbeitsüberlastung zurückgegeben hatten. Nur mit dieser geforderten Bestätigung war sicherzustellen, dass nicht erneut ein Gutachtensauftrag von dem von der Klägerin als Sachverständigen benannten Arzt zurückgegeben wird und damit weitere Verzögerungen des Rechtsstreits dadurch eintreten werden, weil der Klägerin erneut die Gelegenheit eingeräumt werden musste, einen Arzt als Sachverständigen zu benennen. Demgemäß war für die Klägerin erkennbar, dass sie vor Benennung des Dr. Ab. als Sachverständigen, die mit dem am 8. August 2014 beim Senat eingegangenem Schriftsatz vom 6. August 2014 erfolgte, mit diesem abklären musste, ob er das Gutachten innerhalb von drei Monaten erstellen wird. Auch wenn Dr. Ab. bis 25. August 2014 in Urlaub gewesen sein sollte, hätte die Klägerin unmittelbar nach Ende des Urlaubs die verlangte Bestätigung einholen und dem Senat vorgelegen müssen. Dies tat sie nicht. Erst nach Terminsabsprache des Senats mit ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. September 2014 wandte sich die Klägerin an Dr. Ab. mit der Bitte, die vom Senat verlangte Bestätigung zu erteilen (Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29. September 2014).
4.
36 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
37 
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) im Sinne des Sozialgesetzbuchs - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wegen Eintritts von Heilungsbewährung einer Darmerkrankung zu Recht von bislang 80 auf 20 herabgesetzt hat.
Bei dem 1957 geborenen Kläger hatte das Landratsamt K. (LRA) ab dem 24.03.2010 einen GdB von 80 anerkannt unter Berücksichtigung von Dickdarmerkrankung (in Heilungsbewährung) als Funktionsbeeinträchtigung (Bescheid vom 09.06.2010). Zugrunde lag dem eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. C..
Ein Antrag des Klägers auf Höherbewertung des GdB vom August 2013 blieb nach weiterer medizinischer Sachaufklärung aufgrund einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S. erfolglos: Trotz Berücksichtigung von
- Refluxkrankheit der Speiseröhre
- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden
- chronische Bronchitis
als weitere Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von jeweils 10 sei im Gesundheitszustand keine wesentliche Änderung eingetreten (Bescheid vom 24.10.2013).
Im April 2015 leitete das LRA von Amts wegen eine Nachprüfung der Höhe des GdB ein. Hierzu holte es Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. G. und des Gastroenterologen Dr. B. ein, die jeweils u.a. angaben, sie hätten keine Hinweise auf Rezidive oder Metastasen der Darmerkrankung objektiviert. Die Versorgungsärztin Dr. P. empfahl daraufhin, den Teil-GdB für den Teilverlust des Dickdarms unter zusätzlicher Berücksichtigung von "Verdauungsstörungen" auf 20 herabzusetzen. Unter weiterer Berücksichtigung einer "depressiven Verstimmung" mit einem Teil-GdB von 10 sei kein höherer Gesamt-GdB als 20 zu begründen. Nach Anhörung des Klägers (Schreiben vom 04.08.2015), eines erneuten Befundberichts von Dr. B. und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Bü. hob das LRA den Bescheid vom 09.06.2010 auf und setzte den GdB ab dem 21.11.2015 auf - noch - 20 herab. Als Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte es nunmehr:
- Teilverlust des Dickdarms, Verdauungsstörungen
Teil-GdB 20
- Refluxkrankheit der Speiseröhre
Teil-GdB 10
- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden
Teil-GdB 10
- chronische Bronchitis
Teil-GdB 10
- depressive Verstimmung
Teil-GdB 10
10 
(Bescheid vom 18.11.2015).
11 
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, das LRA habe das Ausmaß seiner Gesundheitsstörungen nicht ausreichend gewürdigt. Infolge der Darmoperation leide er an ständigen und unvermittelt auftretenden Durchfallerscheinungen. Diese träten auch nachts auf. Außerdem bestünden Verwachsungsbeschwerden des Darms, was das LRA ebenfalls nicht berücksichtigt habe. Insgesamt sei für diesen Funktionenkomplex ein Teil-GdB von 30 angemessen. Die Refluxkrankheit der Speiseröhre rechtfertige bei anhaltenden Beschwerden trotz medikamentöser Therapie einen Teil-GdB von 20. Dieser Teil-GdB sei auch für seinen Wirbelsäulenschaden angesichts eines spondylogenen Schmerzsyndroms bei ausgeprägter Spondylose und Spondylarthrose und der Notwendigkeit der regelmäßigen Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika angemessen. Wegen seiner depressiven Erkrankung sei ebenfalls eine medikamentöse Behandlung erforderlich; zudem befinde er sich in regelmäßiger Verhaltenstherapie, weshalb der Teil-GdB für diese Funktionsstörung mit 20 zu bemessen sei. Der Beklagte wies den Widerspruch, gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. St., zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.06.2016, den Prozessbevollmächtigten am 07.07.2016 zugegangen.
12 
Deswegen hat der Kläger am 08.08.2016, einem Montag, Klage zum Sozialgericht K. erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Ergänzend zu seiner Widerspruchsbegründung trägt er vor, er befinde sich zwischenzeitlich auch wegen eines Schultergelenksleidens links in ärztlicher Behandlung. Er könne den Arm u.a. nicht bis zur Horizontale anheben.
13 
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Auskünfte des Dr. G. und des Orthopäden Dr. Bö. als sachverständige Zeugen:
14 
Dr. G. hat bekundet, der Kläger leide seit der Darmoperation an chronischen Durchfallerscheinungen. Bzgl. der Karzinomerkrankung sei bislang kein Rezidiv aufgetreten. Ein Malabsorptionssyndrom gegenüber Eisen, Kalzium und Vitamin D erfordere eine regelmäßige medikamentöse Substitution. Außerdem leide der Kläger an einem chronischen Schmerzsyndrom des Stütz- und Bewegungsapparats. Wegen eines depressiven Erschöpfungszustandes erfolgten in seiner Praxis regelmäßige gesprächstherapeutische Sitzungen. Seiner Auskunft hat Dr. G. weitere Arztunterlagen beigefügt, u.a. Arztbriefe des Dr. B., der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E. und des Dr. Bö..
15 
Dr. Bö. hat mitgeteilt, er habe den Kläger zwischen März und November 2016 dreimal wegen Schulterbeschwerden links behandelt. Zuletzt habe er im August 2016 einen painful arc mit deutlich reduziertem Schürzengriff objektiviert. Den Nackengriff habe der Kläger mit Ausweichbewegung noch ausführen können. Die Behandlung sei konservativ erfolgt. Das von ihm als Gesundheitsstörung diagnostizierte Impingement-Syndrom links verursache eine lediglich temporäre funktionelle Störung und rechtfertige keinen Teil-GdB.
16 
Mit Schriftsatz vom 14.12.2016 hat der Kläger beantragt, gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf eigenes Kostenrisiko ein medizinisches Sachverständigengutachten bei dem Orthopäden Dr. J. , K. , einzuholen. Die Kammer hat ihm daraufhin aufgegeben, bis zum 25.01.2017 einen Kostenvorschuss in Höhe von 1.500,-- EUR einzuzahlen, eine Kostenverpflichtungserklärung und einen Nachweis über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes vorzulegen, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Die Kammer hat den Kläger außerdem darauf hingewiesen, der Gutachtensauftrag werde nicht erteilt, sofern er die Auflagen nicht, nicht fristgerecht oder nur teilweise erfülle. Innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist hat der Kläger lediglich den Kostenvorschuss einbezahlt und eine von ihm unterzeichnete Kostenverpflichtungserklärung vorgelegt.
17 
Er beantragt,
18 
den Bescheid vom 18. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juni 2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, seinen Grad der Behinderung ab dem 21. November 2015 mit 50 festzusetzen,
19 
hilfsweise, gemäß § 109 SGG ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Dr. J. , K. , einzuholen.
20 
Der Beklagte beantragt,
21 
die Klage abzuweisen.
22 
Er erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
23 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt er vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den er Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG; vgl. insoweit BSG vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/14 R -, Rdnr. 7 und BSG vom 16.03.2016 - B 9 SB 1/15 R -, Rdnr. 9 ) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht ins einen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Recht hat der Beklagte den GdB wegen Eintritts von Heilungsbewährung in Bezug auf die Darmkrebserkrankung von bislang 80 auf nunmehr - noch - 20 herabgesetzt.
25 
1. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung - hier: derjenige vom 09.06.2010 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - die hier allein in Betracht kommende Alternative - liegt vor, wenn sich durch das Hinzutreten neuer Funktionsstörungen oder eine Verschlimmerung der anerkannten Funktionsstörungen der Gesundheitszustand des Behinderten verschlechtert oder er sich durch den Wegfall von Funktionsstörungen oder eine Besserung bereits anerkannter Funktionsstörungen gebessert hat. Ob dies der Fall ist, ist durch einen Vergleich der für die letzte, bindend gewordene Feststellung maßgebend gewesenen Befunde und Krankheitsäußerungen mit den jetzt vorliegenden Befunden zu ermitteln (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18 und SozR 3-3870 § 4 Nr. 13). Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse, wenn aus dieser eine Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 24; BSG vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - und vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - ), denn der GdB ist gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nach Zehnergraden abgestuft festzustellen.
26 
Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt darüber hinaus bei Gesundheitsstörungen, bei denen zunächst ein gewisser Zeitraum abgewartet werden muss, um feststellen zu können, ob sich der Gesundheitszustand zwischenzeitlich stabilisiert hat (sog. Heilungsbewährung) dann vor, wenn nach Ablauf dieser Zeitspanne die Stabilisierung tatsächlich eingetreten ist (ständige Rechtsprechung; vgl. u.a. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 60; BSG SozR 3-3870 § 3 Nrn. 5 und 7 sowie a.a.O., § 4 Nr. 21 und BSG SozR 3870 § 4 Nr. 3 m.w.N.; siehe auch Teil A Nr. 7 b) der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 ). Während der Dauer der Heilungsbewährung wird der GdB - unabhängig vom tatsächlichen Ausmaß der Gesundheitsstörung - regelmäßig höher bewertet als es dem reinen Organbefund entspricht (vgl. Teil A Nr. 2 h) der versorgungsmedizinischen Grundsätze ). Erst nach Ablauf der Heilungsbewährung wird der GdB entsprechend dem verbliebenen Ausmaß der Funktionseinschränkung festgesetzt. Dementsprechend sehen die seit dem 01.01.2009 maßgebenden (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 und § 70 Abs. 2 in der seit dem 30.12.2016 gültigen Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 § 69 abs. 1 satz 5 sgb ix a.f.), aufgrund der ermächtigung in § 30 abs. 16 des bundesversorgungsgesetzes (bvg) erlassenen bewertungsmaßstäbe der anlage 2 zur vmv in teil b nr. 10.2.2 nach entfernung bösartiger darmtumore (vgl. teil b nr. 1 c) vg) im stadium - wie hier - t 3 n0 l0 v0 eine heilungsbewährung von 5 jahren vor. während dieser zeitspanne ist der gdb mit wenigstens 80 festzusetzen.
27 
Der Begriff der Heilungsbewährung beschreibt nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Die Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der in den VG zusammengefassten sozial-medizinischen Erfahrung, bei Krebskrankheiten nicht nur den Organverlust zu bewerten, sondern unter Berücksichtigung der Krebserkrankung als solcher einen GdB von mindestens 80 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung nötigt andererseits dazu, den GdB herabzusetzen, wenn die Krebskrankheit nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren aufgrund medizinischer Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (vgl. BSG vom 09.08.1995 – 9 RVs 14/94).
28 
Für die Feststellung des GdB sind für die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gleichermaßen seit dem 01.01.2009 die Bewertungsmaßstäbe der Anlage zu § 2 der aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 16 (bis zum 30.06.2011: Abs. 17) des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VMV) vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) in der Fassung der Fünften Änderungs-Verordnung vom 11.10.2012 (BGBl. I Seite 2122), gültig ab dem 17.10.2012, maßgebend (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 und § 70 Abs. 2 in der seit dem 30.12.2016 gültigen Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 ; für die Zeit bis zum 14.01.2015 vgl. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX a.F.). Die versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) stellen ebenso wie die bis zum 31.12.2008 gültig gewesenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" antizipierte Sachverständigengutachten dar (vgl. BSG vom 16.03.2016 - B 9 SB 85/15 B -, Rn. 6, vom 29.02.2016 - B 9 SB 91/15 B -, Rn. 7 ; ferner BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 19, Rn. 12 und BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 18, Rn. 10; vgl. zur Rechtslage nach dem früheren Schwerbehindertengesetz: BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 19, Rn. 14 und BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6, Rn. 7), die den medizinischen Kenntnistand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R -, Rn. 20 ) und nicht nur die Regelungen der §§ 69 und 70 SGB IX konkretisieren, sondern auch den Behinderungsbegriff der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der Weltgesundheitsorganisation als ICF verabschiedet) als Grundlage des Bewertungssystems berücksichtigen. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 23.07.2010 - L 8 SB 1372/10 - ). Die VG bezwecken darüber hinaus eine möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet und dienen so auch dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung (vgl. Bay. LSG, Breithaupt 2011, 68 ff).
29 
2. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht zu beanstanden.
30 
a) In Bezug auf den Teilverlust des Dickdarms nach Entfernung eines Darmkarzinoms im März 2010 ist zwischenzeitlich Heilungsbewährung eingetreten. Dies steht zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) fest aufgrund der aktenkundigen Befundberichte der Dres. G. und B. und der Bekundungen von Dr. G. als sachverständiger Zeuge. Danach haben die von ihnen durchgeführten Untersuchungen des Klägers keinen Hinweis für ein Tumorrezidiv oder Metastasen an anderen Organen ergeben. Zwar leidet der Kläger als Folge der Darmerkrankung an Schmerzen infolge von Verwachsungsbeschwerden im Darm und einer erhöhten Stuhlfrequenz, wie die Dres. G. und B. ebenfalls glaubhaft bestätigt haben. Nach dem Befundbericht des Dr. B. vom 06.10.2015 ist indes der Allgemein- und Ernährungszustand des Klägers altersentsprechend normal ausgeprägt. Hiervon konnte sich die Kammer auch in der mündlichen Verhandlung am 23.03.2017 durch Augenscheinseinnahme des anwesenden Klägers überzeugen. Vor diesem Hintergrund ist die Zuerkennung des Teil-GdB von 80 nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit nicht mehr gerechtfertigt. Diesen hat der Beklagte vielmehr zu Recht auf 20 (vgl. Teil B Nr. 10.2.2 VG) herabgesetzt. Auch insoweit schließt sich die Kammer den - im Ergebnis - übereinstimmenden Beurteilungen der Versorgungsärzte Dres. P., Bü. und St. an. Soweit Dr. G. auf die Notwendigkeit einer regelmäßigen Substitution eines Malabsorptionssyndroms gegenüber Eisen, Kalzium und Vitamin D hinweist, führt dies zu keiner Erhöhung dieses Teil-GdB; denn hierdurch wird die Teilhabebeeinträchtigung des Klägers nicht messbar verändert.
31 
b) Die Refluxkrankheit der Speiseröhre rechtfertigt keinen höheren Teil-GdB als 10 (vgl. Teil B Nr. 10.1 VG). Denn diese Gesundheitsstörung ist nach dem Gastroskopie-Bericht des Dr. B. vom 25.08.2015 nur leichtgradig ausgeprägt mit geringer Entzündungsaktivität. Diese Gesundheitsstörung ist überdies mit einem Protonenpumpenblocker adäquat behandelbar, wie der Kammer aus vergleichbaren Rechtsstreitigkeiten hinreichend bekannt ist. Auf diese Behandlungsmöglichkeit hatte Dr. G. überdies bereits in seinem Befundbericht vom 22.08.2013 hingewiesen.
32 
c) In Bezug auf die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden im Bereich der Halswirbelsäule bestehen nur beginnende degenerative Veränderungen und gering ausgeprägte Bandscheibenprotrusionen und Unkarthrosen ohne eindeutige neuronale Kompromittierung, wie sich aus dem Arztbrief der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E. vom 06.02.2016 ergibt. Hieraus resultierende Funktionseinschränkung, sei es der Halswirbelsäule selbst, sei es in den übrigen Wirbelsäulenabschnitten, hat keiner der den Kläger behandelnden Ärzte mitgeteilt. Solche ergeben sich auch nicht aus den weiteren aktenkundigen medizinischen Unterlagen. Überdies findet in Bezug auf das Wirbelsäulenleiden offenbar aktuell keine fachärztliche orthopädische Behandlung statt. Denn letztmals hat sich der Kläger bei Dr. Bö. im August 2016 vorgestellt. Der Teil-GdB von 10 (vgl. Teil B Nr. 18.9 VG) berücksichtigt in hinreichendem Umfang auch die notwendige regelmäßige Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika. Entsprechende Befunde hatte Dr. G. im Übrigen schon im Arztbrief vom August 2013 mitgeteilt.
33 
d) Bei Nikotinabusus des Klägers treten nach dem Befundbericht von Dr. G. vom Juni 2015 zwei- bis dreimal jährlich Infekt-Exazerbationen einer chronischen Bronchitis auf, die der sachverständige Zeuge mit Antibiotika behandelt. Eine überdauernde Einschränkung der Lungenfunktion hat Dr. G. nicht mitgeteilt. Auch steht der Kläger aktuell nicht in fachärztlicher Behandlung bei einem Pneumologen. Daher ist der vom Beklagten zuerkannte Teil-GdB von 10 nicht zu beanstanden (vgl. Teil B Nr. 8.2 VG). Dies räumt der Kläger in seiner Widerspruchsbegründung selbst ein.
34 
e) Auch die depressive Verstimmung hat der Beklagte mit einem Teil-GdB von 10 zutreffend (vgl. Teil B Nr. 3.7) bewertet, nachdem neben regelmäßigen Gesprächen des Klägers mit seinem Hausarzt Dr. G. keine fachärztliche Behandlung durch einen Neurologen und/oder Psychiater stattfindet. Deshalb ist - entgegen der Einschätzung von Dr. G. - nicht davon auszugehen, dass das seelische Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht. Für eine stärker behindernde Störung mit entsprechendem Leidensdruck des Klägers, der dann zu erwarten ist (vgl. insoweit LSG Baden-Württemberg vom 17.12.2010 - L 8 SB 1549/10 -, Rn. 31 , vom 21.04.2016 - L 6 SB 461/15 - und vom 23.06.2016 - L 6 SB 5131/15 - ), findet sich aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein Anhalt. Soweit der Beklagte für diese Funktionseinschränkung deshalb einen Teil-GdB von 10 berücksichtigt, ist dies auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger weiter vollschichtig als Lagerarbeiter bei einem Automobilhersteller beschäftigt ist, nicht zu beanstanden.
35 
f) Eine wesentliche Funktionseinschränkung des linken Schultergelenkes, insbesondere eine Bewegungslimitierung unterhalb von 90°, hat Dr. Bö. als sachverständiger Zeuge nicht bestätigt. Im August 2016 hat er allein einen painful arc (= schmerzhafter Bogen) erhoben, wobei der Kläger den Nackengriff, wenn auch mit Ausweichbewegung, noch durchführen konnte. Der Nackengriff erfordert indes eine Bewegungsfähigkeit des Schultergelenks mindestens bis zur Horizontalen. Einen Teil-GdB von wenigstens 10 hat auch Dr. Bö. ausdrücklich verneint.
36 
g) Der von Dr. G. im Befundbericht vom Juni 2015 als Gesundheitsstörung diagnostizierte Diabetes mellitus ist diätetisch eingestellt ohne medikamentöse Behandlung. Hieraus resultiert daher kein messbarer GdB (vgl. Teil B Nr. 15.1 VG).
37 
3. Den Gesamt-GdB bewertet auch das erkennende Gericht, ausgehend von Teil-GdB-Werten von 20 und 4 x 10, ab dem 21.11.2015, dem Tag, an dem der Bescheid vom 18.11.2015 kraft Gesetzes (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB X) als bekanntgegeben gilt, mit - noch - 20. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei - wie hier - mehreren Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist (§ 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Teil-GdB-Werte weder addiert noch andere Rechenmethoden für die Bildung des Gesamt-GdB angewandt werden (vgl. Teil A Nr. 3 a) VG). Insbesondere ist zu beachten, dass von Ausnahmefällen abgesehen, z.B. bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die lediglich einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, und zwar auch dann nicht, wenn - wie hier - mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (vgl. Teil A Nr. 3 d) ee) VG). Vielmehr besteht insoweit ein absoluten Additionsverbot (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 24).
38 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
39 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei Dr. J. , K. , war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 16.12.2016 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 25.01.2017 nicht vollständig erfüllt.
40 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG K. vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.w.N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes " … insbesondere …" ergibt.
41 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Dr. J. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 16.12.2016 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung des benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck noch textlich hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
42 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

Gründe

24 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG; vgl. insoweit BSG vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/14 R -, Rdnr. 7 und BSG vom 16.03.2016 - B 9 SB 1/15 R -, Rdnr. 9 ) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht ins einen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Recht hat der Beklagte den GdB wegen Eintritts von Heilungsbewährung in Bezug auf die Darmkrebserkrankung von bislang 80 auf nunmehr - noch - 20 herabgesetzt.
25 
1. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung - hier: derjenige vom 09.06.2010 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - die hier allein in Betracht kommende Alternative - liegt vor, wenn sich durch das Hinzutreten neuer Funktionsstörungen oder eine Verschlimmerung der anerkannten Funktionsstörungen der Gesundheitszustand des Behinderten verschlechtert oder er sich durch den Wegfall von Funktionsstörungen oder eine Besserung bereits anerkannter Funktionsstörungen gebessert hat. Ob dies der Fall ist, ist durch einen Vergleich der für die letzte, bindend gewordene Feststellung maßgebend gewesenen Befunde und Krankheitsäußerungen mit den jetzt vorliegenden Befunden zu ermitteln (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18 und SozR 3-3870 § 4 Nr. 13). Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse, wenn aus dieser eine Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 24; BSG vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - und vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - ), denn der GdB ist gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nach Zehnergraden abgestuft festzustellen.
26 
Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt darüber hinaus bei Gesundheitsstörungen, bei denen zunächst ein gewisser Zeitraum abgewartet werden muss, um feststellen zu können, ob sich der Gesundheitszustand zwischenzeitlich stabilisiert hat (sog. Heilungsbewährung) dann vor, wenn nach Ablauf dieser Zeitspanne die Stabilisierung tatsächlich eingetreten ist (ständige Rechtsprechung; vgl. u.a. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 60; BSG SozR 3-3870 § 3 Nrn. 5 und 7 sowie a.a.O., § 4 Nr. 21 und BSG SozR 3870 § 4 Nr. 3 m.w.N.; siehe auch Teil A Nr. 7 b) der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 ). Während der Dauer der Heilungsbewährung wird der GdB - unabhängig vom tatsächlichen Ausmaß der Gesundheitsstörung - regelmäßig höher bewertet als es dem reinen Organbefund entspricht (vgl. Teil A Nr. 2 h) der versorgungsmedizinischen Grundsätze ). Erst nach Ablauf der Heilungsbewährung wird der GdB entsprechend dem verbliebenen Ausmaß der Funktionseinschränkung festgesetzt. Dementsprechend sehen die seit dem 01.01.2009 maßgebenden (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 und § 70 Abs. 2 in der seit dem 30.12.2016 gültigen Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 § 69 abs. 1 satz 5 sgb ix a.f.), aufgrund der ermächtigung in § 30 abs. 16 des bundesversorgungsgesetzes (bvg) erlassenen bewertungsmaßstäbe der anlage 2 zur vmv in teil b nr. 10.2.2 nach entfernung bösartiger darmtumore (vgl. teil b nr. 1 c) vg) im stadium - wie hier - t 3 n0 l0 v0 eine heilungsbewährung von 5 jahren vor. während dieser zeitspanne ist der gdb mit wenigstens 80 festzusetzen.
27 
Der Begriff der Heilungsbewährung beschreibt nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Die Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der in den VG zusammengefassten sozial-medizinischen Erfahrung, bei Krebskrankheiten nicht nur den Organverlust zu bewerten, sondern unter Berücksichtigung der Krebserkrankung als solcher einen GdB von mindestens 80 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung nötigt andererseits dazu, den GdB herabzusetzen, wenn die Krebskrankheit nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren aufgrund medizinischer Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (vgl. BSG vom 09.08.1995 – 9 RVs 14/94).
28 
Für die Feststellung des GdB sind für die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gleichermaßen seit dem 01.01.2009 die Bewertungsmaßstäbe der Anlage zu § 2 der aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 16 (bis zum 30.06.2011: Abs. 17) des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VMV) vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) in der Fassung der Fünften Änderungs-Verordnung vom 11.10.2012 (BGBl. I Seite 2122), gültig ab dem 17.10.2012, maßgebend (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 und § 70 Abs. 2 in der seit dem 30.12.2016 gültigen Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 ; für die Zeit bis zum 14.01.2015 vgl. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX a.F.). Die versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) stellen ebenso wie die bis zum 31.12.2008 gültig gewesenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" antizipierte Sachverständigengutachten dar (vgl. BSG vom 16.03.2016 - B 9 SB 85/15 B -, Rn. 6, vom 29.02.2016 - B 9 SB 91/15 B -, Rn. 7 ; ferner BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 19, Rn. 12 und BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 18, Rn. 10; vgl. zur Rechtslage nach dem früheren Schwerbehindertengesetz: BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 19, Rn. 14 und BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6, Rn. 7), die den medizinischen Kenntnistand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R -, Rn. 20 ) und nicht nur die Regelungen der §§ 69 und 70 SGB IX konkretisieren, sondern auch den Behinderungsbegriff der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der Weltgesundheitsorganisation als ICF verabschiedet) als Grundlage des Bewertungssystems berücksichtigen. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 23.07.2010 - L 8 SB 1372/10 - ). Die VG bezwecken darüber hinaus eine möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet und dienen so auch dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung (vgl. Bay. LSG, Breithaupt 2011, 68 ff).
29 
2. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht zu beanstanden.
30 
a) In Bezug auf den Teilverlust des Dickdarms nach Entfernung eines Darmkarzinoms im März 2010 ist zwischenzeitlich Heilungsbewährung eingetreten. Dies steht zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) fest aufgrund der aktenkundigen Befundberichte der Dres. G. und B. und der Bekundungen von Dr. G. als sachverständiger Zeuge. Danach haben die von ihnen durchgeführten Untersuchungen des Klägers keinen Hinweis für ein Tumorrezidiv oder Metastasen an anderen Organen ergeben. Zwar leidet der Kläger als Folge der Darmerkrankung an Schmerzen infolge von Verwachsungsbeschwerden im Darm und einer erhöhten Stuhlfrequenz, wie die Dres. G. und B. ebenfalls glaubhaft bestätigt haben. Nach dem Befundbericht des Dr. B. vom 06.10.2015 ist indes der Allgemein- und Ernährungszustand des Klägers altersentsprechend normal ausgeprägt. Hiervon konnte sich die Kammer auch in der mündlichen Verhandlung am 23.03.2017 durch Augenscheinseinnahme des anwesenden Klägers überzeugen. Vor diesem Hintergrund ist die Zuerkennung des Teil-GdB von 80 nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit nicht mehr gerechtfertigt. Diesen hat der Beklagte vielmehr zu Recht auf 20 (vgl. Teil B Nr. 10.2.2 VG) herabgesetzt. Auch insoweit schließt sich die Kammer den - im Ergebnis - übereinstimmenden Beurteilungen der Versorgungsärzte Dres. P., Bü. und St. an. Soweit Dr. G. auf die Notwendigkeit einer regelmäßigen Substitution eines Malabsorptionssyndroms gegenüber Eisen, Kalzium und Vitamin D hinweist, führt dies zu keiner Erhöhung dieses Teil-GdB; denn hierdurch wird die Teilhabebeeinträchtigung des Klägers nicht messbar verändert.
31 
b) Die Refluxkrankheit der Speiseröhre rechtfertigt keinen höheren Teil-GdB als 10 (vgl. Teil B Nr. 10.1 VG). Denn diese Gesundheitsstörung ist nach dem Gastroskopie-Bericht des Dr. B. vom 25.08.2015 nur leichtgradig ausgeprägt mit geringer Entzündungsaktivität. Diese Gesundheitsstörung ist überdies mit einem Protonenpumpenblocker adäquat behandelbar, wie der Kammer aus vergleichbaren Rechtsstreitigkeiten hinreichend bekannt ist. Auf diese Behandlungsmöglichkeit hatte Dr. G. überdies bereits in seinem Befundbericht vom 22.08.2013 hingewiesen.
32 
c) In Bezug auf die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden im Bereich der Halswirbelsäule bestehen nur beginnende degenerative Veränderungen und gering ausgeprägte Bandscheibenprotrusionen und Unkarthrosen ohne eindeutige neuronale Kompromittierung, wie sich aus dem Arztbrief der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E. vom 06.02.2016 ergibt. Hieraus resultierende Funktionseinschränkung, sei es der Halswirbelsäule selbst, sei es in den übrigen Wirbelsäulenabschnitten, hat keiner der den Kläger behandelnden Ärzte mitgeteilt. Solche ergeben sich auch nicht aus den weiteren aktenkundigen medizinischen Unterlagen. Überdies findet in Bezug auf das Wirbelsäulenleiden offenbar aktuell keine fachärztliche orthopädische Behandlung statt. Denn letztmals hat sich der Kläger bei Dr. Bö. im August 2016 vorgestellt. Der Teil-GdB von 10 (vgl. Teil B Nr. 18.9 VG) berücksichtigt in hinreichendem Umfang auch die notwendige regelmäßige Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika. Entsprechende Befunde hatte Dr. G. im Übrigen schon im Arztbrief vom August 2013 mitgeteilt.
33 
d) Bei Nikotinabusus des Klägers treten nach dem Befundbericht von Dr. G. vom Juni 2015 zwei- bis dreimal jährlich Infekt-Exazerbationen einer chronischen Bronchitis auf, die der sachverständige Zeuge mit Antibiotika behandelt. Eine überdauernde Einschränkung der Lungenfunktion hat Dr. G. nicht mitgeteilt. Auch steht der Kläger aktuell nicht in fachärztlicher Behandlung bei einem Pneumologen. Daher ist der vom Beklagten zuerkannte Teil-GdB von 10 nicht zu beanstanden (vgl. Teil B Nr. 8.2 VG). Dies räumt der Kläger in seiner Widerspruchsbegründung selbst ein.
34 
e) Auch die depressive Verstimmung hat der Beklagte mit einem Teil-GdB von 10 zutreffend (vgl. Teil B Nr. 3.7) bewertet, nachdem neben regelmäßigen Gesprächen des Klägers mit seinem Hausarzt Dr. G. keine fachärztliche Behandlung durch einen Neurologen und/oder Psychiater stattfindet. Deshalb ist - entgegen der Einschätzung von Dr. G. - nicht davon auszugehen, dass das seelische Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht. Für eine stärker behindernde Störung mit entsprechendem Leidensdruck des Klägers, der dann zu erwarten ist (vgl. insoweit LSG Baden-Württemberg vom 17.12.2010 - L 8 SB 1549/10 -, Rn. 31 , vom 21.04.2016 - L 6 SB 461/15 - und vom 23.06.2016 - L 6 SB 5131/15 - ), findet sich aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein Anhalt. Soweit der Beklagte für diese Funktionseinschränkung deshalb einen Teil-GdB von 10 berücksichtigt, ist dies auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger weiter vollschichtig als Lagerarbeiter bei einem Automobilhersteller beschäftigt ist, nicht zu beanstanden.
35 
f) Eine wesentliche Funktionseinschränkung des linken Schultergelenkes, insbesondere eine Bewegungslimitierung unterhalb von 90°, hat Dr. Bö. als sachverständiger Zeuge nicht bestätigt. Im August 2016 hat er allein einen painful arc (= schmerzhafter Bogen) erhoben, wobei der Kläger den Nackengriff, wenn auch mit Ausweichbewegung, noch durchführen konnte. Der Nackengriff erfordert indes eine Bewegungsfähigkeit des Schultergelenks mindestens bis zur Horizontalen. Einen Teil-GdB von wenigstens 10 hat auch Dr. Bö. ausdrücklich verneint.
36 
g) Der von Dr. G. im Befundbericht vom Juni 2015 als Gesundheitsstörung diagnostizierte Diabetes mellitus ist diätetisch eingestellt ohne medikamentöse Behandlung. Hieraus resultiert daher kein messbarer GdB (vgl. Teil B Nr. 15.1 VG).
37 
3. Den Gesamt-GdB bewertet auch das erkennende Gericht, ausgehend von Teil-GdB-Werten von 20 und 4 x 10, ab dem 21.11.2015, dem Tag, an dem der Bescheid vom 18.11.2015 kraft Gesetzes (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB X) als bekanntgegeben gilt, mit - noch - 20. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei - wie hier - mehreren Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist (§ 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Teil-GdB-Werte weder addiert noch andere Rechenmethoden für die Bildung des Gesamt-GdB angewandt werden (vgl. Teil A Nr. 3 a) VG). Insbesondere ist zu beachten, dass von Ausnahmefällen abgesehen, z.B. bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die lediglich einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, und zwar auch dann nicht, wenn - wie hier - mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (vgl. Teil A Nr. 3 d) ee) VG). Vielmehr besteht insoweit ein absoluten Additionsverbot (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 24).
38 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
39 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei Dr. J. , K. , war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 16.12.2016 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 25.01.2017 nicht vollständig erfüllt.
40 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG K. vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.w.N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes " … insbesondere …" ergibt.
41 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Dr. J. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 16.12.2016 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung des benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck noch textlich hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
42 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2015 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. April 2014 zurückgewiesen.

Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Die Klägerin ist beim Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz beschäftigt. Sie arbeitet aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber zur Regelung der Telearbeit auf einem in ihrer Wohnung eingerichteten Telearbeitsplatz. Die Arbeitsmittel werden danach vom Dienstherrn zur Verfügung gestellt und dürfen nicht für private Zwecke genutzt werden. Die häusliche Arbeitsstätte wird hingegen von der Klägerin kostenlos bereit gestellt. Der Arbeitsplatz ist im Dachgeschoss des Wohngebäudes gelegen, in dem sich außerdem ein kleines Bad, das Arbeitszimmer des Ehemanns der Klägerin sowie ein Schlafraum befinden. Diese Räume sind über eine Treppe zu erreichen. Im Erdgeschoss liegen Küche, Wohnzimmer und ein weiteres Bad.

3

Die Klägerin, die unter Asthma sowie COPD leidet und daher mehrmals am Tag viel trinken muss, arbeitete am 21.9.2012 an ihrem Telearbeitsplatz. Weil die mitgenommenen Wasserflaschen bereits leer waren, verließ sie ihren Arbeitsplatz, um in der Küche Wasser zu holen. Auf der Treppe rutschte sie ab, knickte mit dem linken Fuß um und erlitt dadurch eine Metatarsale V Schrägfraktur links.

4

Die beklagte Unfallkasse lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab (Bescheid vom 11.10.2012, Widerspruchsbescheid vom 5.11.2012). Das SG Mainz hat die Klage abgewiesen. Ein Weg zur Nahrungsaufnahme sei nur dann vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst, wenn er durch die Notwendigkeit geprägt sei, persönlich am Beschäftigungsort anwesend zu sein. Die Klägerin habe hingegen den von ihr beherrschten privaten Bereich nicht verlassen und sich nur Risiken ausgesetzt, die aus dem privaten Bereich stammten (Urteil vom 29.4.2014). Das LSG Rheinland-Pfalz hat das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Unfallkasse verurteilt, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls vom 21.9.2012 anzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Betriebsweg zurückgelegt. Insoweit komme es darauf an, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignet hat, wesentlich auch Betriebszwecken diene. Das sei der Fall, weil die Klägerin ihren Arbeitsplatz ausschließlich über die Treppe erreichen könne. Das Begehen der Treppe habe zum Unfallzeitpunkt auch im inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden. Zwar sei die Nahrungsaufnahme grundsätzlich dem unversicherten privaten Bereich zuzuordnen. Allerdings seien die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung des BSG Unfallversicherungsschutz auf Wegen zum Ort der Nahrungsaufnahme im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit grundsätzlich anerkenne, erfüllt. Das Handlungsziel der Klägerin sei auf die Aufrechterhaltung der Arbeitskraft gerichtet gewesen. Darüber hinaus habe die Notwendigkeit bestanden, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein. Dass sich die Klägerin die Arbeitszeit frei einteilen könne, stehe dem Unfallversicherungsschutz nicht entgegen. Die vom BSG in einer früheren Entscheidung angesprochene Gefahr des "Versicherungsschutzes rund um die Uhr" rechtfertige nicht dessen grundlegende Einschränkung (Urteil des LSG vom 27.1.2015).

5

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Das BSG fordere die ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung der Treppe zu betrieblichen Zwecken. Weil die Treppe aber nicht nur genutzt werde, um die Arbeitsstätte, sondern auch die anderen Räumlichkeiten im Dachgeschoss zu erreichen, habe das Begehen der Treppe nicht wesentlich dem Zweck des Unternehmens, hier der Telearbeit, gedient.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. April 2014 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Arbeitsstätte sei vom privaten Lebensbereich innerhalb der Wohnung abgegrenzt. Um ihrer Telearbeit nachgehen zu können, sei sie auf die Nutzung der Treppe angewiesen. Sie dürfe nicht gegenüber Beschäftigten benachteiligt werden, die ihrer Arbeit außerhalb der Wohnung nachgingen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht auf die Berufung der Klägerin entschieden, dass das Abrutschen von einer Treppenstufe auf dem Weg von ihrem Telearbeitsplatz zur Küche, um Wasser zu holen, als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Die Ablehnung eines Arbeitsunfalls im Bescheid der Beklagten vom 11.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Daher war das die Klage abweisende Urteil des SG wiederherzustellen.

10

Die Klägerin begehrt zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), die Ablehnungsentscheidung der Beklagten aufzuheben und die Unfallkasse zu verurteilen, einen am 21.9.2012 erlittenen Arbeitsunfall anzuerkennen. Zwar hat sie sowohl vor dem SG als auch dem LSG jeweils zuletzt neben der Aufhebung der angegriffenen Verwaltungsakte beantragt, die Beklagte zu verurteilen, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen. Gleichwohl hat sie damit nicht die Feststellung einer Unfallfolge iS des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(vgl hierzu BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1), sondern angesichts dieser zwischen den Beteiligten nicht streitigen Unfallerstverletzung vielmehr die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Arbeitsunfalls geltend gemacht. Davon sind auch die Vorinstanzen ausgegangen. Auch wenn das LSG die Beklagte verurteilt hat, die Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen, setzt es sich in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - ebenso wie das SG - lediglich mit den Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls auseinander. Allein in diesem Zusammenhang wird die Schrägfraktur als unzweifelhaft eingetretener Gesundheitserstschaden als Tatbestandsmerkmal eines (vermeintlichen) Arbeitsunfalls zugrunde gelegt.

11

Dass die Klägerin vor dem SG zunächst nur die Feststellung eines Arbeitsunfalls beantragt hatte (Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG), steht der Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats haben die Verletzten ein Wahlrecht zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen Verpflichtungsklage (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 13 mwN). Der Übergang von der einen zu der anderen Klage ist jedenfalls bei einem Streit um die Feststellung eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung eine nach § 99 Abs 3 SGG zulässige Antragsänderung(BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 9).

12

Die Klage ist indes unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte.

13

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 9; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 11; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 10 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 14; BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 26 f).

14

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin hat zwar einen Unfall und dadurch - wie bereits ausgeführt - einen Gesundheitserstschaden erlitten. Sie war auch als Beschäftigte kraft Gesetzes versichert. Ihre Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Hinabsteigen der Treppe - stand aber nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt übte sie weder ihre Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII aus(dazu 1.) noch legte sie im Zusammenhang mit dieser einen Betriebsweg zurück (dazu 2.). Die Klägerin befand sich auch nicht auf einem versicherten Weg zum Ort der Nahrungsaufnahme und wird deshalb nicht in höherrangigem Recht verletzt (dazu 3.). Schließlich war sie im Unfallzeitpunkt nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützt(dazu 4.).

15

1. Versicherter iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese innere Tatsache der subjektiven Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten wird als "Handlungstendenz" bezeichnet. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung reicht hingegen nicht (zur Handlungstendenz zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 14 mwN; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14 mwN; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18).

16

Das Hinabsteigen der Treppe zum Unfallzeitpunkt ist ein solches von außen beobachtbares Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Bei dieser Tätigkeit war die objektivierte Handlungstendenz der Klägerin aber nicht auf die Erfüllung des gesetzlichen Versicherungstatbestands als Beschäftigte iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gerichtet.

17

Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigte liegt vor, wenn die Verletzte zur Erfüllung eines von ihr begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen(vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihr selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (vgl § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder die Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern sie nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, sie treffe eine solche Pflicht, oder sie unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt(BSG vom 23.4.2015 -B 2 U 5/14 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 33 RdNr 14 mwN; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 12; BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 27 ff; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 23 f; BSG vom 14.11.2013 - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 13).

18

Das Holen des Wassers gehörte unzweifelhaft nicht zu der sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebenden Hauptpflicht der Klägerin. Sie hat dadurch auch keine aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierende Nebenpflicht erfüllt. Eine arbeitsrechtliche Verpflichtung zu gesundheitsfördernden, der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienenden Handlungen besteht grundsätzlich nicht (vgl Schäfer NZA 1992, 529, 530). Etwas anderes gilt bei einem bereits arbeitsunfähigen Arbeitnehmer. Ihm wird aufgrund seiner Treue- und Rücksichtnahmepflicht gegenüber seinem Arbeitgeber abverlangt, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird, und alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten liegt daher vor, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet (BAG vom 2.3.2006 - 2 AZR 53/05 - Juris RdNr 23 f). Zu diesem Personenkreis zählt die Klägerin aber nicht. Sie hat ferner keine objektiv nicht geschuldete Handlung vorgenommen in der vertretbaren, aber irrigen Annahme, damit eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Die Annahme dieser Pflicht ist nur vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) aufgrund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 72). Solche objektiven Anhaltspunkte sind jedoch weder festgestellt noch ersichtlich. Schließlich hat die Klägerin durch das beabsichtigte Holen von Wasser auch kein eigenes unternehmensbezogenes, innerbetrieblichen Belangen dienendes Recht wahrgenommen.

19

2. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg iS des § 8 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Ein im unmittelbaren Betriebsinteresse liegender Weg kommt grundsätzlich nur außerhalb des (privaten) Wohngebäudes in Betracht (dazu a). Befinden sich die Wohnung und die Arbeitsstätte im selben Gebäude, ist ein Betriebsweg ausnahmsweise auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn er in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird. Das war bei der Klägerin nicht der Fall (dazu b).

20

a) Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen (BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 35/08 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 36 RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 25/07 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 8 RdNr 24; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14 mwN; BSG vom 6.5.2003 - B 2 U 33/02 R - Juris RdNr 15 mwN; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 16 f). Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen, unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen(BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13). Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen (BSG vom 28.2.1990 - 2 RU 34/89 - SozR 3-2200 § 539 Nr 1 S 2).

21

Sowohl bei Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit als auch bei einem direkt von der Wohnung aus angetretenen Betriebsweg (Dienstweg oder Dienstreise) beginnt die versicherte Tätigkeit allerdings grundsätzlich erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes (Mehr- oder Einfamilienhaus), in dem sich die Wohnung des Versicherten befindet. Diese vom BSG stets beibehaltene Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem versicherten Zurücklegen eines (Betriebs-)Weges ist im Interesse der Rechtssicherheit bewusst starr gezogen, weil sie an objektive Merkmale anknüpft, die im allgemeinen leicht feststellbar sind. Damit wird zugleich der die gesetzliche Unfallversicherung kennzeichnenden Freistellung des Unternehmers von der Haftung für Betriebsgefahren Rechnung getragen. Das BSG hat im Interesse der Rechtssicherheit insbesondere auch deshalb keine Veranlassung gesehen, die bisherige Rechtsprechung zur Außentür als der Grenze zwischen häuslichem Bereich und versichertem Weg aufzugeben oder zu modifizieren, weil mit der verbreiteten Einführung von Telearbeit am PC eine Verlagerung vieler den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich einhergeht (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 17). Daran hält der Senat weiterhin fest. Da sich der Unfall der Klägerin nicht außerhalb des Wohngebäudes ereignet hat, ist nur Raum für einen Betriebsweg innerhalb des häuslichen Bereichs.

22

b) Den Weg zur Küche hat die Klägerin indes nicht in unmittelbarem betrieblichen, sondern in eigenwirtschaftlichem Interesse zurückgelegt. Unfallversicherungsschutz an der Unfallstelle könnte hier zwar unter dem Gesichtspunkt eines versicherten Betriebswegs ausnahmsweise dann bestehen, wenn der Weg bereits zwischen dem häuslichen Arbeitszimmer - und nicht erst nach Durchschreiten der Außentür - und der Küche als Weg in Ausführung der versicherten Tätigkeit anzusehen wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

23

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 15 und - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 RdNr 17), greift die unter a) aufgezeigte Grenzziehung durch die Außentür des Wohngebäudes nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden. In diesem Zusammenhang hat der Senat auf rechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Zurechnung von Wegen zur versicherten Tätigkeit vor allem in zwei Fallgestaltungen hingewiesen. Bei der ersten Fallgestaltung handelt es sich um Unfälle, die sich in Räumen oder auf Treppen ereignen, die weder eindeutig der Privatwohnung noch der Betriebsstätte zugeordnet werden können. Insoweit ist zur Entscheidung über den Versicherungsschutz darauf abgestellt worden, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignete, auch Betriebszwecken (wesentlich) dient, ob der rein persönliche Lebensbereich schon verlassen wurde oder wie sich der Nutzungszweck zum Unfallzeitpunkt darstelle. Als Kriterium für die Wesentlichkeit wurden eine ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung des Unfallorts für betriebliche Zwecke angeführt. Die zweite - hier aber nicht einschlägige - Fallgestaltung betraf Unfälle im rein persönlichen Wohnbereich, bei denen die Situation durch eine Art Rufbereitschaft und die Notwendigkeit, sofort zu handeln, geprägt war (BSG vom 12.12.2006, aaO, RdNr 15 ff und 18 ff, jeweils mit zahlreichen Nachweisen).

24

Der Senat hat Zweifel, ob an dieser Rechtsprechung, die bei der Feststellung eines Betriebswegs im häuslichen Bereich an die Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts anknüpft, festzuhalten ist (vgl hierzu auch LSG Baden-Württemberg vom 25.2.2016 L 10 U 1241/14 - Juris, Revision anhängig unter B 2 U 9/16 R). Ob das Ausmaß der Nutzung auch weiterhin ein sachgerechtes Beurteilungskriterium bildet, kann jedenfalls im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, denn die im Urteil des Senats vom 12.12.2006 (aaO) in Bezug genommenen Entscheidungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der jeweils zugrunde liegende Unfall auf einem Weg zur Ausübung der versicherten Tätigkeit ereignet hatte. Demgegenüber ist die Klägerin auf dem Weg von der Arbeitsstätte zur Küche und damit in den persönlichen Lebensbereich ausgerutscht.

25

Unabhängig von dem konkreten Umfang der betrieblichen oder privaten Nutzung der in das Dachgeschoss führenden Treppe vermag entgegen der Auffassung des LSG allein der Umstand, dass die Klägerin darauf angewiesen ist, die Treppe zu benutzen, um ihrer Beschäftigung überhaupt nachgehen zu können, das unmittelbare Betriebsinteresse nicht zu begründen. Entscheidend ist vielmehr, welche konkrete Verrichtung mit welchem Zweck sie in dem Moment des Unfalls ausübte. Da es außer in der Schifffahrt (vgl § 10 SGB VII) keinen Betriebsbann gibt, sind nicht alle Verrichtungen eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und auf der Arbeitsstätte versichert. Dementsprechend stehen auch nicht alle Wege eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäftigungsverhältnis eingegangen wurde, in einer mehr (zB Betriebswege) oder weniger engen Beziehung (zB Weg zur Arbeit) steht (BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 13). Ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich wiederum nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13 mwN). Diese für außerhalb des Wohngebäudes zurückgelegte Wege geltende ständige Rechtsprechung des Senats ist auch bei Wegen innerhalb der häuslichen Sphäre von der Arbeitsstätte in den persönlichen Lebensbereich heranzuziehen.

26

Nach Maßgabe dieser Grundsätze war die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls nicht im unmittelbaren Betriebsinteresse tätig. Sie ist die Treppe nicht hinabgestiegen, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um in der Küche Wasser zum Trinken zu holen und demnach einer typischen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Als sich der Unfall ereignete, hatte sie ihre Arbeitsstätte verlassen und bereits den persönlichen häuslichen Lebensbereich erreicht. Ihre als Beschäftigte des Landesbetriebs versicherte Tätigkeit war mangels entgegenstehender Feststellungen und Anhaltspunkte spätestens mit dem Verlassen des Arbeitszimmers beendet. Daher kann offenbleiben, inwieweit innerhalb eines zur Telearbeit eingerichteten Arbeitsraumes Unfallversicherungsschutz besteht. Dass gerade die versicherte Tätigkeit ein besonderes Durstgefühl verursacht hätte (vgl hierzu zusammenfassend BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 20/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 2 mwN) und die Klägerin unabhängig von ihrer Erkrankung betriebsbedingt veranlasst gewesen wäre, sich Wasser zu besorgen, ist vom LSG weder festgestellt noch ersichtlich.

27

Dass die Ausübung einer Beschäftigung in einem Home-Office zu einer Verlagerung von den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich führt (zum Unfallversicherungsschutz bei häuslicher Telearbeit vgl Spellbrink, NZS 2016, 527; Leube, SGb 2012, 380; Wolber, SozVers 1997, 239), rechtfertigt auch in diesem Zusammenhang keine andere Beurteilung. Die betrieblichen Interessen dienende Arbeit in der Wohnung eines Versicherten nimmt dieser außerhalb des konkreten Arbeitszimmers oder -raums nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 17). Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken hat nicht der Arbeitgeber zu verantworten und vermag der Versicherte selbst am besten zu beherrschen. Der Wohnbereich ist dem Versicherten im Regelfall besser bekannt als anderen. Für die mit ihm einhergehenden Gefahren ist der Versicherte selbst verantwortlich. Kraft seiner Verfügungsmacht über die Wohnung kann er die private Risikosphäre durch entsprechendes Verhalten weitgehend beseitigen oder zumindest reduzieren. In der häuslichen Lebenssphäre vermag sich mangels einer betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko nicht zu verwirklichen.

28

Auch ist es dem Arbeitgeber außerhalb des Betriebsgeländes regelmäßig verwehrt, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Unternehmer sind zwar für die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe verantwortlich (§ 21 Abs 1 SGB VII). Ungeachtet der Frage, inwieweit Arbeitgeber rechtlich durchsetzbar in die Lage versetzt sein müssen, diese Verantwortung in Bezug auf betriebliche Arbeitsplätze im häuslichen Bereich nachzukommen, beschränkt sich die Verpflichtung zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen aber auf die jeweilige Betriebsstätte, zu der jedenfalls häusliche Örtlichkeiten außerhalb eines räumlich abgegrenzten Home-Office nicht zählen. Zudem ist zu beachten, dass es den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung außerhalb der Betriebsstätten ihrer Mitglieder (der Arbeitgeber) nur bedingt möglich ist, präventiv zu handeln. Die Unfallversicherungsträger haben mit allen geeigneten Mitteln ebenfalls für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen; sie sollen dabei auch den Ursachen von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit nachgehen (§ 14 Abs 1 SGB VII). In diesem Zusammenhang obliegt ihnen die Überwachung des nach § 21 Abs 1 SGB VII den Unternehmern übertragenen Arbeitsschutzes durch fachkundige Aufsichtspersonen(§ 17 Abs 1, § 18 SGB VII). Im Rahmen der Überwachung sind die Aufsichtspersonen insbesondere befugt, zu den Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Betriebsstätten zu betreten, zu besichtigen und zu prüfen (§ 19 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VII idF des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes vom 30.10.2008, BGBl I 2130). Eine solche Maßnahme kann auch für Wohnräume zu jeder Tages- und Nachtzeit getroffen werden. Insoweit ist das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 GG) eingeschränkt. Allerdings muss die Überwachung von Wohnräumen zur Verhütung dringender Gefahren geboten sein (§ 19 Abs 2 Satz 3 und 4 SGB VII idF des UVMG, aaO; zur Prävention und Überwachung häuslicher Arbeitsplätze vgl auch Spellbrink, NZS 2016, 527, 530; Leube, SGb 2012, 380, 384). Sowohl Arbeitgeber als auch die Unfallversicherungsträger sind demnach nur eingeschränkt zu präventiven, der sicheren Gestaltung der Arbeitsplätze dienenden Maßnahmen in der Lage. Daher ist es sachgerecht und nicht unbillig, das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko den Versicherten und nicht der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der gerade die Unternehmerhaftung abgelöst werden soll, anzulasten (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 39/99 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 3 S 18 mwN).

29

3. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt auch nicht auf einem versicherten Weg zum Ort einer Nahrungsaufnahme. Insoweit liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dieser ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG vom 19.12.2012 - 1 BvL 18/11 - BVerfGE 133, 1 RdNr 44 mwN; BVerfG vom 30.3.2007 - 1 BvR 3144/06 - SozR 4-2700 § 9 Nr 10 RdNr 18 mwN). Solche rechtfertigenden Gründe sind hier gegeben.

30

Das Zurücklegen eines Weges durch einen Beschäftigten mit der Handlungstendenz, sich an einem vom Ort der Tätigkeit verschiedenen Ort Nahrungsmittel zu besorgen oder einzunehmen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich versichert (vgl BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 20; BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - UV-Recht Aktuell 2010, 897, Juris RdNr 15; BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 6/00 R - Juris RdNr 20 mwN; BSG vom 27.6.2000 - B 2 U 22/99 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 38 S 135 f mwN). Dieser Versicherungsschutz beruht darauf, dass der während einer Arbeitspause zurückgelegte Weg zur Nahrungsaufnahme oder zum Einkauf von Lebensmitteln für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz in zweierlei Hinsicht mit der Betriebstätigkeit verknüpft ist. Zum einen dient die beabsichtigte Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit im Gegensatz zur bloßen Vorbereitungshandlung vor der Arbeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Aufgrund des Zusammentreffens dieser beiden betriebsbezogenen Merkmale, des Handlungsziels und der Betriebsbedingtheit des Weges, ist der wesentliche innere Zusammenhang zwischen dem Betrieb und einem zur Nahrungsaufnahme zurückgelegten Weg angenommen worden (vgl BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 21 mwN; BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 RdNr 30 f; BSG vom 2.7.1996 - 2 RU 34/95 - SozR 3-2200 § 550 Nr 15 S 55 mwN).

31

Diese Betriebsbedingtheit des Weges liegt bei der Klägerin entgegen der Rechtsansicht des LSG gerade nicht vor. Sie ist jedenfalls nicht bereits darin zu sehen, dass die Klägerin den Weg zur Küche über die Treppe deshalb zurücklegen musste, weil sie sich zuvor in ihrem Arbeitszimmer aufgehalten hatte. Die Klägerin unterlag hinsichtlich der beabsichtigten Flüssigkeitszufuhr keinen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen. Es stand vielmehr in ihrem Belieben, ob und wann sie sich wegen des nicht betriebs-, sondern krankheitsbedingten Trinkbedürfnisses Wasser aus der Küche holt. Der Weg zur Küche war weder räumlich durch einen außerhalb der Wohnung gelegenen Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen und stand in keinem Zusammenhang mit bereits erbrachter Arbeit. Dieser vom LSG nicht gesehene, aber offenkundige grundlegende Unterschied steht der von der Klägerin geforderten gebotenen Gleichbehandlung mit Versicherten, die außerhalb der Wohnung einer Beschäftigung nachgehen, entgegen (vgl insoweit auch BSG vom 31.10.1968 - 2 RU 122/66 - Juris RdNr 18; BSG vom 29.6.1971 - 2 RU 117/69 - Juris RdNr 20 f; BSG vom 25.1.1977 - 2 RU 57/75 - SozR 2200 § 550 Nr 24 S 53; BSG vom 19.5.1983 - 2 RU 44/82 - BSGE 55, 139, 140 = SozR 2200 § 550 Nr 54 S 136; BSG vom 6.12.1989 - 2 RU 5/89 - SozR 2200 § 548 Nr 97 S 275; BSG vom 11.5.1995 - 2 RU 30/94 - Juris RdNr 16). Auch die weitere Überlegung des LSG, dass Unfallversicherungsschutz gleichheitswidrig nicht an der Möglichkeit einer freien Arbeitszeiteinteilung und einer schwierigen Beweislage scheitern dürfe, überzeugt nicht. Das Berufungsgericht übersieht insoweit, dass vorliegend nicht die Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Arbeitszeit oder Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung, sondern das Zurücklegen eines Wegs mit dem Ziel, eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit innerhalb des persönlichen Lebens- und Risikobereichs zu verrichten, den Versicherungsschutz ausschließt.

32

4. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt schließlich nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützt. Danach zählt zu den versicherten Tätigkeiten zwar auch das Zurücklegen des mit einer gemäß §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Allerdings beginnt und endet der Weg zur oder von der Arbeit nach ständiger Rechtsprechung des Senats erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses, in dem die Wohnung liegt (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 14; BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 39/06 R - Juris RdNr 10; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 RdNr 16 und - B 2 U 1/06 R - BSGE 98, 20 = SozR 4-2700 § 8 Nr 21, RdNr 14). Die Wegeunfallversicherung erstreckt sich damit nicht auf Unfälle innerhalb des Gebäudes, in dem sich die Wohnung des Verletzten befindet. Der Unfall der Klägerin hat sich indes innerhalb ihrer Wohnung ereignet.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

(1) Versicherte haben nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Sozialen Teilhabe, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget nach § 29 des Neunten Buches erbracht; dies gilt im Rahmen des Anspruchs auf Heilbehandlung nur für die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

(2) Der Unfallversicherungsträger hat mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig

1.
den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern,
2.
den Versicherten einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern,
3.
Hilfen zur Bewältigung der Anforderungen des täglichen Lebens und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sowie zur Führung eines möglichst selbständigen Lebens unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Gesundheitsschadens bereitzustellen,
4.
ergänzende Leistungen zur Heilbehandlung und zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Sozialen Teilhabe zu erbringen,
5.
Leistungen bei Pflegebedürftigkeit zu erbringen.

(3) Die Leistungen zur Heilbehandlung und zur Rehabilitation haben Vorrang vor Rentenleistungen.

(4) Qualität und Wirksamkeit der Leistungen zur Heilbehandlung und Teilhabe haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Sie werden als Dienst- und Sachleistungen zur Verfügung gestellt, soweit dieses oder das Neunte Buch keine Abweichungen vorsehen.

(5) Die Unfallversicherungsträger bestimmen im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und der Leistungen zur Teilhabe sowie die Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen, nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei prüfen sie auch, welche Leistungen geeignet und zumutbar sind, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlich Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt und ihr deswegen eine Verletztenrente zusteht.
Die 1947 geborene Klägerin war von Juli 1989 bis August 1998 bei der Firma M. & B. GmbH und Co. in M. als Stanzerin/Maschinenbedienerin tätig. Am 10.08.1998 erlitt sie einen Arbeitsunfall. Anschließend war sie arbeitsunfähig und bezieht nach ihren Angaben seit 2001 Rente wegen Erwerbsminderung.
Wegen des am 10.08.1998 erlittenen Arbeitsunfalls lehnte die S. Metall-Berufsgenossenschaft die Gewährung einer Rente ab. Die daraufhin von der Klägerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage (S 10 U 1483/99), mit der sie als Folgen des Arbeitsunfalles u.a. einen Tinnitus geltend machte, blieb nach Ermittlungen des SG (Einholung sachverständiger Zeugenaussagen behandelnder Ärzte und Gutachten von Dr. H. vom 16.09.2000) mit Urteil vom 28.03.2001 ohne Erfolg. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Klägerin wurde mit Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 13.09.2001 (L 10 U 2076/01) - wegen Fristversäumnis - als unzulässig verworfen.
Ein Antrag der Klägerin vom 23.03.2001 auf Anerkennung einer Berufskrankheit wurde nach Durchführung arbeitstechnischer und medizinischer Ermittlungen von der Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 10.10.2001 und Widerspruchsbescheid vom 30.01.2002). Am 06.10.2004 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 10.10.2001 und legte ein im Rentenrechtsstreit (S 10 RJ 2815/02) vom SG eingeholtes psychiatrisches Gutachten von Dr. V. vom 24.05.2004 vor. Dieser Überprüfungsantrag wurde vom Beklagten abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin (S 3 U 749/05) blieb nach Aufklärung des medizinischen Sachverhalts durch das SG (insbesondere ein auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholtes Gutachten des HNO-Arztes Dr. B. vom 05.09.2007) mit Urteil vom 25.04.2008 ohne Erfolg. Das SG führte in seinem Urteil aus, die Klage auf Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus als Berufskrankheit sei unzulässig, weil die Beklagte hierzu weder ein Feststellungsverfahren durchgeführt noch eine gerichtlich überprüfbare Entscheidung getroffen habe. Im Übrigen wurde die Klage der Klägerin als unbegründet abgewiesen. Die gegen das Urteil vom 25.04.2008 eingelegte Berufung der Klägerin (L 2 U 2551/08) ist beendet.
Am 10.06.2008 beantragte die Klägerin die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit und die Gewährung von Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. Die Beklagte leitete ein Feststellungsverfahren ein. Sie zog medizinische Befundunterlagen, das Vorerkrankungsverzeichnis, die Gutachten von Dr. V. vom 24.05.2004 und 04.01.2007, das in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren an das Arbeitsgericht R. (2 Ca 327/00) erstattete Gutachten von Prof. Dr. S., Universitätsklinikum T., vom 25.05.2001 sowie das Gutachten von Dr. B. vom 05.09.2007, der einen Tinnitus aurium ohne typische Lärmschädigung diagnostizierte und eine lärmbedingte Entstehung des Tinnitus nicht mit letzter Sicherheit ausschloss, da eine Lärmanalyse des Arbeitsplatzes nicht vorliege und die MdE mit 20 v.H. einschätzte, bei.
Mit Bescheid vom 27.06.2008 lehnte die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV ab und teilte außerdem mit, dass Ansprüche auf Leistungen nicht bestünden.
Hiergegen legte die Klägerin am 24.07.2008 Widerspruch ein. Sie berief sich auf das Gutachten des Dr. B. vom 05.09.2007. Die Ansicht, der Tinnitus sei alleine nicht als Folge einer beruflichen Lärmbelastung anzusehen, widerspreche der Mitteilung des Dr. B.. Eine Lärmanalyse sei erforderlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2008 wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 27.06.2008 zurückgewiesen. Das medizinische Bild der Berufskrankheit Nr. 2301 der BKV sei nicht bewiesen. Es liege eine Normalhörigkeit vor. Da keine Lärmschädigung vorliege, könne der Tinnitus keine Begleiterscheinung einer Innenohrschwerhörigkeit sein. Isolierte Ohrgeräusche ohne lärmbedingten Gehörschaden seien ausgeschlossen. Eine Lärmmessung sei somit entbehrlich. Maßnahmen und Leistungen im Rahmen des § 3 BKV seien nicht zu gewähren.
Hiergegen erhob die Klägerin am 12.12.2008 Klage beim SG. Sie machte zur Begründung geltend, die Beklagte setze sich in Widerspruch zu den Ausführungen des Dr. B.. Die Beklagte mache es sich leicht. Auf das Gutachten des Dr. B. sei nichts von einer Lärmanalyse des Arbeitsplatzes zu entnehmen. Die Beklagte habe auch nicht begründet, weshalb keine Lärmanalyse mit entsprechender Bewertung durchgeführt worden sei. Die Klägerin machte Angaben zur Lärmsituation an ihrem Arbeitsplatz. Es könne nicht sein, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung im kausalen Zusammenhang mit den am Arbeitsplatz herrschenden Lärm stehe und andererseits hieraus keine Entschädigungspflicht der Beklagten resultiere.
10 
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
11 
Das SG nahm Untersuchungsbögen „Lärm“ II vom 04.12.1989, 12.11.1990, 02.11.1992, 25.03.1996 und 26.02.1998 zu den Gerichtsakten.
12 
Mit Urteil vom 28.01.2010 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, ob und in welchem Umfang die Klägerin während ihrer Tätigkeit gehörschädigendem Lärm ausgesetzt gewesen sei, sei nicht vollständig aufgeklärt. Die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit scheitere jedoch daran, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsstörung nachgewiesen sei, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf berufliche Lärmeinwirkung beruhe. Bei der Klägerin bestehe keine versicherungsrechtlich erhebliche Schwerhörigkeit. Es bestehe zwar eine Senkung der Hörschwelle bei 4 kHz. Dieser Hörverlust sei jedoch als altersentsprechend zu werten. Damit liege keine Erkrankung vor, die als Lärmschwerhörigkeit anerkannt werden könne. Der Tinnitus sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen. Die Kriterien, die für die Anerkennung eines Tinnitus als Folge einer Lärmschwerhörigkeit erforderlich seien, seien nicht erfüllt. Hinzu komme, dass die Lokalisation des Tinnitus (bei 1 kHz) nicht zu einer Lärmschwerhörigkeit passe. Die abweichende Auffassung von Dr. B. in seinem Gutachten vom 05.09.2007 widerspreche den anerkannten Beurteilungskriterien und könne nicht Grundlage für die begehrte Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2301 sein. Auch die Bewertung der MdE durch Dr. B. dürfte einer Überprüfung nicht standhalten.
13 
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12.02.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.03.2010 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, sie sei nach wie vor der Meinung, dass der erhebliche Tinnitus aurium beidseits im kausalen Zusammenhang mit der berufsbedingten Tätigkeit stehe und damit die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit und die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 20 v.H. rechtfertige. Vom Betriebsarzt bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber erstellte Lärmanalysen, die bestätigten, dass der Tinnitus aurium beidseits im kausalen Zusammenhang mit ihrer berufsbedingten Tätigkeit stehe, sei nicht nachgegangen worden. Bei ihr liege eine für eine Lärmschwerhörigkeit typische Senkung der Hörschwelle bei 4 kHz vor. Eine berufsbedingte kausale Gesundheitsstörung sei gegeben. Bei einer am 26.02.1998 erfolgten Untersuchung habe das Audiogramm einen deutlichen Hörverlust, insbesondere des linken Ohres, bei den Diagnosen Trommelfellperforation sowie ein Cholesteatom erbracht. Damit sei der Tinnitus mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf berufliche Lärmeinwirkung zurückzuführen. Insoweit könne angenommen werden, dass der Tinnitus aurium ursächlich und im kausalen Zusammenhang mit ihrer berufsbedingten Tätigkeit stehe. Die Klägerin hat sich auf das Gutachten des Dr. B. berufen. Der Betriebsarzt Dr. L. sei als Zeuge zu vernehmen und entsprechende Lärmanalysen bezüglich ihres Arbeitsplatzes anzufordern. Die Klägerin hat Unterlagen vorgelegt.
14 
Die Klägerin beantragt,
15 
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Januar 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. November 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihr eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen und ihr eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu gewähren.
16 
Die Beklagte beantragt,
17 
die Berufung zurückzuweisen.
18 
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach dem von Dr. B. erstellten Gutachten vom 05.09.2009 besteht bei der Klägerin ein beidseitiger Hörverlust in Höhe von 0 % entsprechend einer Normalhörigkeit. Damit lägen die medizinischen Voraussetzungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV nicht vor. Unabhängig davon könne der bei der Klägerin bestehende Tinnitus nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit gesehen werden, da dieser bei 1 kHz - eher im Tieftonbereich - und nicht im Hochtonbereich lokalisiert sei. Der im Tonaudiogrammen vom 26.02.1989 ausgewiesene Hörverlust auf dem linken Ohr sei zwanglos durch die diagnostizierte Trommelfellperforation zu erklären. Auf dem rechten Ohr sei von einer Normalhörigkeit auszugehen.
19 
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die im vorliegenden Verfahren angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Akten des SG S 3 U 749/05 und des LSG L 10 U 2076/01 und L 2 U 2551/08 sowie ein Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2008 (Widerspruchsbescheid vom 19.11.2008), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin Leistungen zu gewähren, ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines Hörschädigung als Berufskrankheit und dementsprechend auch nicht auf Rente.
21 
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang zur BKV ist die Erkrankung an einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 enthalten.
22 
Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität folgt der Senat der überzeugenden neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 02.04.2009, a.a.O.), dass auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.
23 
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).
24 
Nach diesen Regeln und Maßstäben liegt die bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 BKV nicht vor.
25 
Nach dem vom SG im Klageverfahren der Klägerin S 3 U 749/05 eingeholten Gutachten von Dr. B. vom 05.09.2007, auf das sich die Klägerin beruft, betrug der nach der Tabelle von Bönnighaus und Röser am 19.07.2007 ermittelte prozentuale Hörverlust aus dem Sprachaudiogramm, auf das maßgeblich abzustellen ist, beiderseits 0 %. Ein typischer Lärmschaden bestand aufgrund der audiometrischen Untersuchung nicht. Auch Prof. Dr. S. ist in seinem vom Beklagten beigezogenen Gutachten an das Arbeitsgericht R. vom 25.05.2001 hinsichtlich der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen der Klägerin nach dem Grundsatz G 20 am 04.12.1989, 12.11.1990, 02.11.1992 und 25.03.1996 davon ausgegangen, dass bei der Klägerin keine Überschreitung des altersentsprechenden Hörverlustgrenzwertes vorliegt. Dies gilt auch für die Ergebnisse der am 26.02.1998 erfolgten Gehöruntersuchung. Eine Senke beidseits bei 4 kHz bewertet Prof. Dr. S. als altersentsprechend. Auch der von Prof. Dr. S. durchgeführte Hörtest ergab keine Überschreitung der altersentsprechenden Hörverlustgrenzwerte. Zudem lässt sich eine bei der Untersuchung am 26.02.1998 im Vergleich zu den Voruntersuchungen und zum rechten Ohr verminderte Hörfähigkeit des linken Ohres mit der Diagnose einer Trommelfellperforation erklären, worauf die Beklagte überzeugend hingewiesen hat. Damit steht fest, dass bei der Klägerin keine Schwerhörigkeit vorliegt, d.h. selbst dann, wenn die Klägerin - unterstellt - gehörschädigendem Lärm am Arbeitsplatz ausgesetzt war, hat dieser Lärm keine Gehörschädigung hervorgerufen. Das Vorliegen eines pathologisch herabgesetzten Hörvermögens hat die Klägerin im Übrigen auch nicht geltend gemacht.
26 
Die Anerkennung des von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens geltend gemachten Tinnitus aurium beidseits als Berufskrankheit scheidet aus. Als Berufskrankheiten kommen nur solche Krankheiten in Betracht, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind und die vom Verordnungsgeber als Berufskrankheiten bezeichnet sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII; § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sogenannten Listenkrankheiten, das sind die in der Anlage 1 zur Verordnung aufgeführten Tatbestände, vor (Enumerationsprinzip). Liegt eine Listenkrankheit nicht vor, scheidet die Anerkennung als Berufskrankheit aus. Auch die Anerkennung von Erkrankungen, die noch nicht in der Anlage 1 erfasst sind (Quasi-Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit), nach § 9 Abs. 2 SGB VII (früher § 551 Abs. 2 RVO) setzt voraus, dass die übrigen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Abs. 1 der Vorschrift vorliegen (Berufskrankheitenreife). Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, stets wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist (ständige Rspr. BSG, Urteile vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - und 04.06.2002 - B 2 U 16/01 R - , juris, SGb 2002, 496). Vielmehr sollen dadurch nur Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die im dargelegten Sinn nach dem aktuellen Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft jetzt „Berufskrankheitenreife“ erlangt haben und alsbald in die abschließende Liste aufgenommen werden (BSG Urteil vom 04.06.2002, a.a.O.). Entgegen der Ansicht der Klägerin besteht damit durchaus die Möglichkeit einer durch Einwirkungen am Arbeitsplatz entstandenen Erkrankung, die nicht als Berufskrankheit anerkannt werden kann, da sie nicht von der BKV als Listenkrankheit erfasst ist.
27 
Ein „isolierter“ Tinnitus (wegen Lärm) wird nicht von einer Listenkrankheit der BKV erfasst. „Isolierte“ Ohrgeräusche ohne lärmbedingten Hörverlust, wie dies bei der Klägerin zutrifft, erfüllen nicht den Tatbestand (Lärm-) Schwerhörigkeit der BK Nr. 2301. Ohrgeräusche (Tinnitus) kommen lediglich als Begleiterscheinung einer Lärmschwerhörigkeit Bedeutung zu. Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche sind zwei Symptome des lärmgeschädigten Innenohres. Ohrgeräusche sind deshalb bei der MdE-Einschätzung im Rahmen der Gesamt-MdE (Hörverlust und Ohrgeräusche) integrierend zu bewerten (vgl. zum Vorstehenden Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 351; Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2301 Nr. 6.4). Die Erkrankung „Tinnitus“ ist jedoch in der Anlage zur BKV nicht als Berufskrankheit erfasst, so dass sie keine eigenständige Berufskrankheit darstellt, sondern nur im Rahmen der „Lärmschwerhörigkeit“ geprüft werden kann (ebenso als obiter dictum: LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 28.01.2009 - L 2 U 876/08 und 27.04.2006 - L 10 U 5135/04 -), weshalb die Ohrgeräusche selbst dann, wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass sie an ihrem Arbeitsplatz gehörschädigendem Lärm ausgesetzt war, nicht als Berufskrankheit anerkannt werden können. Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Ansicht von Dr. B., auf die die Klägerin ihr Begehren maßgeblich stützt, nicht gerecht, weshalb seiner Ansicht nicht zu folgen ist. Zudem hat Dr. B. in seinem Gutachten vom 05.09.2007 einen lärmbedingten Zusammenhang lediglich nicht mit Sicherheit ausgeschlossen und außerdem, wie in seiner Stellungnahme an die Beklagte vom 03.05.2001, eine vaskuläre Enzephalopathie als Ursache des Tinnitus angesehen bzw. in Betracht gezogen, so dass seine Ansicht, bei Vorliegen einer entsprechenden Lärmanalyse könne der Tinnitus als lärmbedingt eingestuft werden, auch deshalb nicht überzeugt. Auch Dr. V. hat in seinem Gutachten vom 04.01.2007 an das SG im Verfahren S 3 U 749/05 durch langjährigen Bluthochdruck hervorgerufene Gefäßveränderungen und in der Folge Durchblutungsstörungen als mögliche Ursache des Tinnitus angesehen. Gegen einen lärmbedingten Tinnitus spricht auch die Lokalisierung des Tinnitus bei 1 kHz, wie das SG im angefochtenen Urteil (Seite 7 Abs. 2) zutreffend ausgeführt hat, dem sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt (vgl. auch Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 350).
28 
Das Vorliegen einer „Wie-Berufskrankheit“ (§ 9 Abs. 2 SGB VII) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, da die Beklagte hierüber keine Verwaltungsentscheidung getroffen hat. Im Übrigen erachtet der Senat das Vorliegen einer „Wie-Berufskrankheit“ (wegen des Tinnitus) auch als sehr unwahrscheinlich.
29 
Den (schriftsätzlichen) Beweisanträgen der Klägerin zur Klärung der Lärmbelastung am Arbeitsplatz war nicht nachzugehen, da nach dem oben Ausgeführten selbst dann, wenn die Klägerin einer zu einer Hörschädigung geeigneten Lärmbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen ist, die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV ausscheidet.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
31 
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Gründe

 
20 
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2008 (Widerspruchsbescheid vom 19.11.2008), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin Leistungen zu gewähren, ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines Hörschädigung als Berufskrankheit und dementsprechend auch nicht auf Rente.
21 
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang zur BKV ist die Erkrankung an einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 enthalten.
22 
Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität folgt der Senat der überzeugenden neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 02.04.2009, a.a.O.), dass auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.
23 
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).
24 
Nach diesen Regeln und Maßstäben liegt die bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 BKV nicht vor.
25 
Nach dem vom SG im Klageverfahren der Klägerin S 3 U 749/05 eingeholten Gutachten von Dr. B. vom 05.09.2007, auf das sich die Klägerin beruft, betrug der nach der Tabelle von Bönnighaus und Röser am 19.07.2007 ermittelte prozentuale Hörverlust aus dem Sprachaudiogramm, auf das maßgeblich abzustellen ist, beiderseits 0 %. Ein typischer Lärmschaden bestand aufgrund der audiometrischen Untersuchung nicht. Auch Prof. Dr. S. ist in seinem vom Beklagten beigezogenen Gutachten an das Arbeitsgericht R. vom 25.05.2001 hinsichtlich der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen der Klägerin nach dem Grundsatz G 20 am 04.12.1989, 12.11.1990, 02.11.1992 und 25.03.1996 davon ausgegangen, dass bei der Klägerin keine Überschreitung des altersentsprechenden Hörverlustgrenzwertes vorliegt. Dies gilt auch für die Ergebnisse der am 26.02.1998 erfolgten Gehöruntersuchung. Eine Senke beidseits bei 4 kHz bewertet Prof. Dr. S. als altersentsprechend. Auch der von Prof. Dr. S. durchgeführte Hörtest ergab keine Überschreitung der altersentsprechenden Hörverlustgrenzwerte. Zudem lässt sich eine bei der Untersuchung am 26.02.1998 im Vergleich zu den Voruntersuchungen und zum rechten Ohr verminderte Hörfähigkeit des linken Ohres mit der Diagnose einer Trommelfellperforation erklären, worauf die Beklagte überzeugend hingewiesen hat. Damit steht fest, dass bei der Klägerin keine Schwerhörigkeit vorliegt, d.h. selbst dann, wenn die Klägerin - unterstellt - gehörschädigendem Lärm am Arbeitsplatz ausgesetzt war, hat dieser Lärm keine Gehörschädigung hervorgerufen. Das Vorliegen eines pathologisch herabgesetzten Hörvermögens hat die Klägerin im Übrigen auch nicht geltend gemacht.
26 
Die Anerkennung des von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens geltend gemachten Tinnitus aurium beidseits als Berufskrankheit scheidet aus. Als Berufskrankheiten kommen nur solche Krankheiten in Betracht, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind und die vom Verordnungsgeber als Berufskrankheiten bezeichnet sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII; § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sogenannten Listenkrankheiten, das sind die in der Anlage 1 zur Verordnung aufgeführten Tatbestände, vor (Enumerationsprinzip). Liegt eine Listenkrankheit nicht vor, scheidet die Anerkennung als Berufskrankheit aus. Auch die Anerkennung von Erkrankungen, die noch nicht in der Anlage 1 erfasst sind (Quasi-Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit), nach § 9 Abs. 2 SGB VII (früher § 551 Abs. 2 RVO) setzt voraus, dass die übrigen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Abs. 1 der Vorschrift vorliegen (Berufskrankheitenreife). Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, stets wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist (ständige Rspr. BSG, Urteile vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - und 04.06.2002 - B 2 U 16/01 R - , juris, SGb 2002, 496). Vielmehr sollen dadurch nur Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die im dargelegten Sinn nach dem aktuellen Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft jetzt „Berufskrankheitenreife“ erlangt haben und alsbald in die abschließende Liste aufgenommen werden (BSG Urteil vom 04.06.2002, a.a.O.). Entgegen der Ansicht der Klägerin besteht damit durchaus die Möglichkeit einer durch Einwirkungen am Arbeitsplatz entstandenen Erkrankung, die nicht als Berufskrankheit anerkannt werden kann, da sie nicht von der BKV als Listenkrankheit erfasst ist.
27 
Ein „isolierter“ Tinnitus (wegen Lärm) wird nicht von einer Listenkrankheit der BKV erfasst. „Isolierte“ Ohrgeräusche ohne lärmbedingten Hörverlust, wie dies bei der Klägerin zutrifft, erfüllen nicht den Tatbestand (Lärm-) Schwerhörigkeit der BK Nr. 2301. Ohrgeräusche (Tinnitus) kommen lediglich als Begleiterscheinung einer Lärmschwerhörigkeit Bedeutung zu. Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche sind zwei Symptome des lärmgeschädigten Innenohres. Ohrgeräusche sind deshalb bei der MdE-Einschätzung im Rahmen der Gesamt-MdE (Hörverlust und Ohrgeräusche) integrierend zu bewerten (vgl. zum Vorstehenden Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 351; Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2301 Nr. 6.4). Die Erkrankung „Tinnitus“ ist jedoch in der Anlage zur BKV nicht als Berufskrankheit erfasst, so dass sie keine eigenständige Berufskrankheit darstellt, sondern nur im Rahmen der „Lärmschwerhörigkeit“ geprüft werden kann (ebenso als obiter dictum: LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 28.01.2009 - L 2 U 876/08 und 27.04.2006 - L 10 U 5135/04 -), weshalb die Ohrgeräusche selbst dann, wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass sie an ihrem Arbeitsplatz gehörschädigendem Lärm ausgesetzt war, nicht als Berufskrankheit anerkannt werden können. Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Ansicht von Dr. B., auf die die Klägerin ihr Begehren maßgeblich stützt, nicht gerecht, weshalb seiner Ansicht nicht zu folgen ist. Zudem hat Dr. B. in seinem Gutachten vom 05.09.2007 einen lärmbedingten Zusammenhang lediglich nicht mit Sicherheit ausgeschlossen und außerdem, wie in seiner Stellungnahme an die Beklagte vom 03.05.2001, eine vaskuläre Enzephalopathie als Ursache des Tinnitus angesehen bzw. in Betracht gezogen, so dass seine Ansicht, bei Vorliegen einer entsprechenden Lärmanalyse könne der Tinnitus als lärmbedingt eingestuft werden, auch deshalb nicht überzeugt. Auch Dr. V. hat in seinem Gutachten vom 04.01.2007 an das SG im Verfahren S 3 U 749/05 durch langjährigen Bluthochdruck hervorgerufene Gefäßveränderungen und in der Folge Durchblutungsstörungen als mögliche Ursache des Tinnitus angesehen. Gegen einen lärmbedingten Tinnitus spricht auch die Lokalisierung des Tinnitus bei 1 kHz, wie das SG im angefochtenen Urteil (Seite 7 Abs. 2) zutreffend ausgeführt hat, dem sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt (vgl. auch Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 350).
28 
Das Vorliegen einer „Wie-Berufskrankheit“ (§ 9 Abs. 2 SGB VII) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, da die Beklagte hierüber keine Verwaltungsentscheidung getroffen hat. Im Übrigen erachtet der Senat das Vorliegen einer „Wie-Berufskrankheit“ (wegen des Tinnitus) auch als sehr unwahrscheinlich.
29 
Den (schriftsätzlichen) Beweisanträgen der Klägerin zur Klärung der Lärmbelastung am Arbeitsplatz war nicht nachzugehen, da nach dem oben Ausgeführten selbst dann, wenn die Klägerin einer zu einer Hörschädigung geeigneten Lärmbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen ist, die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV ausscheidet.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
31 
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. November 2003 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Der am  1954 geborene Kläger ist gelernter Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfe, jedoch als Bankkaufmann tätig und bei der Beklagten versichert. Am 11. Mai 1999 erlitt er morgens auf dem Weg zu seinem Arbeitsort einen Verkehrsunfall. Hierzu äußerte er sich wie folgt: Er habe sich am Unfalltag gegen 7:38 Uhr stadteinwärts in Richtung Lübeck auf der stark befahrenen Ra Allee befunden. Es habe Stop-and-go-Verkehr geherrscht mit ampelbedingten Auflockerungen von bis zu 40 m zwischen den Fahrzeugen. Er habe nach ca. 50 m freier Fahrt verkehrsbedingt wieder stoppen müssen. Die Unfallgegnerin sei mit einer Annäherungsgeschwindigkeit, die er subjektiv auf 40-45 km/h schätze, auf sein Fahrzeug aufgefahren. Sie habe ihre Unachtsamkeit eingeräumt. Polizei sei nicht hinzugezogen worden.

3

Der Kläger begab sich am Unfalltag in die Behandlung der Fachärztin für Allgemeinmedizin M, G. In deren ärztlicher Unfallmeldung vom gleichen Tage sind als Befund angegeben beginnende Nackenmyogelosen und schmerzhafte Bewegungseinschränkung des Kopfes in alle Richtungen. Es wurde die Diagnose eines HWS-Schleudertraumas gestellt. Röntgenaufnahmen hielt sie nicht für erforderlich. Auf dem ebenfalls zur Akte gelangten grünen Durchschlag dieser Meldung findet sich außerdem die handschriftliche Eintragung "Tinnitus bds.". Nach der Vorstellung bei Frau M fuhr der Kläger mit dem beschädigten PKW und nachfolgend öffentlichen Verkehrsmitteln zu seiner Arbeitsstelle. Er ging auch in der Folgezeit ununterbrochen seiner Arbeitstätigkeit nach.

4

In einem weiteren ärztlichen Unfallbericht des Orthopäden Dr. v. T, L, vom 28. Juni 1999 wurden außer dem bereits festgestellten HWS-Syndrom mit Rotationsfehlstellung, Rotationseinschränkung, Kopfgelenksblockierung und Streckhaltung der Befund eines zeitweiligen Tinnitus bds. erhoben. Knöcherne Verletzungen der Halswirbelsäule ergaben sich anhand von Röntgenaufnahmen nicht. Dies wurde auch bestätigt durch Berichte des Radiologen Dr. Ma, L, vom 9. September 1999 und des Dr. v. T vom 7. September 1999, in dem allerdings von einer am 28. Juni 1999 "extrem schmerzhaften" HWS die Rede ist. Der Tinnitus sei nunmehr zeitweise aufgehoben. Der Kläger sei aber mit der Tinnitussituation, bei der er einen Unfallzusammenhang sehe, nicht zufrieden. Zum Tinnitus gab Dr. v. T in einem abschließenden Bericht an die Beklagte vom 23. November 1999 an, der Kläger habe noch wechselnde Ohrgeräusche.

5

Der Kläger selber hatte mit Schreiben vom 31. Juli 1999 gegenüber der Beklagten erklärt, der Tinnitus sei 1 bis 2 Tage nach dem Unfall erstmals aufgetreten.

6

In einem Attest des HNO-Arztes Dr. K, L, vom 9. Juli 1999 heißt es, das zwischen 4000 und 6000 Hz liegende Ohrgeräusch des Klägers sei möglicherweise Folge des Schleudertraumas. Der otoskopische Befund sei unauffällig.

7

Die Beklagte holte ein chirurgisches Fachgutachten des Dr. Ka, H, vom 6. Dezember 2000 ein, in welchem es hieß: es lägen dauerhafte unfallbedingte Schädigungsfolgen beim Kläger nicht vor. Insbesondere sei der wechselhaft aufgetretene Tinnitus nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallgeschehen zurückzuführen. Hierfür bedürfe es zumindest eines verletzungsspezifischen Erstbefundes im oberen Abschnitt der HWS im Bereich der Kopfgelenke. Dieser sei zu keinem Zeitpunkt erhoben worden. Auch die Kernspintomographie habe keine Anhaltspunkte für eine Verletzung ergeben. Bei dem Tinnitus handele es sich um ein unspezifisches Symptom, das differentialdiagnostisch zahlreichen Gesundheitsstörungen zuzuordnen sei. Insbesondere der wechselhafte Verlauf des Tinnitus lasse eine Verletzungsspezifität nicht erkennen. Eine Streckhaltung der Halswirbelsäule des Klägers sei im übrigen anhand eines Röntgenbefundes bereits im Jahr 1998 nachweisbar.

8

Mit Bescheid vom 17. Januar 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen des Unfalls vom 11. Mai 1999 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Als Unfallfolge sei eine folgenlos ausgeheilte Zerrung der Halswirbelsäule anzuerkennen. Die weiteren Beschwerden des Klägers (Streckhaltung der Halswirbelsäule, Tinnitus) mit über den 28. Juni 1999 hinausgehender Behandlungsbedürftigkeit seien unfallunabhängig.

9

Der Kläger erhob rechtzeitig Widerspruch. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Das Gutachten des Dr. Ka sei unrichtig. Der Unfall sei nicht, wie von Dr. Ka angenommen, im Stop-and-go-Verkehr erfolgt, sondern bei einer Aufprallgeschwindigkeit von geschätzt 40-45 km/h. Der Tinnitus sei, worauf er stets hingewiesen habe, in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall erstmals aufgetreten und auch nicht erst am 28. Juni 1999 beschrieben worden. Unmittelbar nach dem Unfall seien Kopfschmerzen und Kopfdruck, verbunden mit dem Gefühl einer brillenformartigen Schwellung um die Augen aufgetreten, außerdem Zittern, Schweißausbrüche und eine Spannung im Nacken. Der Tinnitus sei nicht zeitweilig vorhanden, sondern überwiegend und verschwinde immer nur kurzzeitig. Die medizinischen Bewertungen des Gutachters hinsichtlich des Tinnitus seien nicht belegt und unplausibel. So habe er den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Auffahrunfall und erstmaligem Auftreten des Tinnitus nicht beachtet und sich mit den Ausführungen des Dr. K und des Dr. v. T nicht auseinandergesetzt. Ein neues Gutachten sei erforderlich.

10

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2001 – ohne Zustellnachweis - zurück. Dem Gutachten des Dr. Ka sei zu folgen. Darin seien die Angaben des Klägers in tatsächlicher Hinsicht berücksichtigt worden. Gleichwohl bestehe nicht die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Unfallereignis den Tinnitus verursacht habe. Der zeitliche Zusammenhang reiche nicht aus. Ohrgeräusche träten nicht nur als Folge von Halswirbeltraumen, sondern auch im Rahmen allgemeiner Missempfindungen und des Unwohlseins auf sowie nach strenger Bettruhe und nach Verletzungen. Im Fall des Klägers sei angesichts der geringen Schwere der Unfallschäden schon fraglich, ob überhaupt Ohrgeräusche entstanden sein könnten. Eine wesentliche Schwerhörigkeit sei beim Kläger nicht festgestellt worden. Auch andere objektivierbare pathologische Befunde seien von Dr. K nicht erhoben worden.

11

Mit seiner am 4. Oktober 2001 bei dem Sozialgericht Lübeck erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat im Wesentlichen vorgetragen: Der Widerspruchsbescheid sei seinen Prozessbevollmächtigten am 4. September 2001 zugegangen. Das Gutachten des Dr. Ka sei aus den im Widerspruchsverfahren dargelegten Gründen unbrauchbar. Das Unfallgeschehen habe nicht nur, wie vom Gutachter angenommen, zu einer geringen Schädigung in Gestalt einer leichten Zerrung, sondern zu einer extrem schmerzhaften Situation im Bereich der HWS geführt. Ärztlicherseits sei eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestätigt worden; er habe sich dennoch nicht krankschreiben lassen. Der unfallbedingte Ursachenzusammenhang sei im Zivilgerichtsverfahren von der Gutachterin Dr. E bestätigt worden.

12

Zwischenzeitlich hatte der Kläger erfolgreich zivilrechtliche Ansprüche gegen die Unfallgegnerin und deren Versicherung geltend gemacht. Im Gegensatz zum Amtsgericht war das Landgericht Lübeck auf der Grundlage eines HNO-ärztlichen Gutachtens der Frau Dr. E, Lübeck, vom 28. Mai 2001 zu der Auffassung gelangt, in Anlehnung an die Grundsätze über den Anscheinsbeweis müsse bei Verkehrsunfällen, bei denen wie vorliegend die objektiv feststellbaren Gegebenheiten den Eintritt eines Tinnitus als Folge eines Zusammenstoßes naheliegend erscheinen ließen, die Beweislast dafür, dass dies nicht eingetreten sei, beim Unfallverursacher liegen, da anderenfalls ein – objektiv schwer feststellbarer – Tinnitus nie zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen könne (Urteil vom 27. Februar 2003 – 14 S 352/02 -).

13

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt,

14

den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente nach einer MdE von zumindest 20 v. H. wegen der Folgen des Wegeunfalles vom 11. Mai 1999 zu gewähren.

15

Die Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts das genannte Gutachten von Frau Dr. E sowie das im Verfahren des SG Lübeck S 2 U 8/98 erstattete Gutachten des HNO-Arztes Prof. Dr. R, K, beigezogen. Ferner hat es ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. F, L, vom 27. August 2003 eingeholt.

18

Mit Urteil vom 4. November 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Rentengewährung gem. § 56 SGB VII lägen nicht vor, weil eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 v. H. infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus beim Kläger nicht eingetreten sei. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Tinnitus sei nicht beweisbar. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen solchen Ursachenzusammenhang bestehe nicht. Diese Beweisanforderung seien im Unfallversicherungsrecht allgemein und auch im konkreten Fall maßgeblich; die Erwägungen des LG Lübeck seien daher jedenfalls nicht übertragbar. Nach wissenschaftlicher Lehrmeinung könnten Ohrgeräusche grundsätzlich als Folge von HWS-Schleudertraumen auftreten, wobei die Wahrscheinlichkeit mit der Schwere der primären Schädigung zunehme. Bei einer nur leichten HWS-Distorsion wie hier sei die Möglichkeit der Entstehung von Ohrgeräuschen umstritten. Jedenfalls müssten dann gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten sein, etwa eine messbare Hörstörung, objektivierbare Gleichgewichtsstörungen, neurologische Ausfälle oder eine Schädelbasisfraktur. Solche Befunde fehlten im Fall des Klägers vollständig, wie sich in HNO-ärztlicher Hinsicht den Stellungnahmen von Dr. K und Dr. E entnehmen lasse. Die Ursächlichkeit des Unfallereignisses für den vom Kläger nur subjektiv wahrgenommenen Tinnitus werde von Frau Dr. E nur behauptet, nicht aber belegt. Sie entspreche nicht der wissenschaftlichen Lehrmeinung. Das ergebe sich aus den Gutachten von Dr. F und Prof. Dr. R. Überdies fehlten auch chirurgisch- orthopädische Verletzungsfolgen. Die Kammer folge insoweit dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. Ka. Auch aus dem übrigen Akteninhalt ergäben sich keine Anhaltspunkte für Verletzungen im Bereich der HWS. Das werde auch durch den verhältnismäßig geringen Schaden und die Tatsache bestätigt, dass der Kläger seine Fahrt habe fortsetzen können. Schließlich stehe dem geltend gemachten Rentenanspruch entgegen, dass, wie dem Gutachten von Dr. F zu entnehmen sei, in keinem Fall eine MdE von 20 v. H. erreicht werde.

19

Gegen dieses am 20. November 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, die am Montag, den 22. Dezember 2003 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Er hält der Entscheidung unter Hinweis auf die Ansicht des LG Lübeck entgegen, die in ihr aufgestellten Kausalitätsanforderungen führten zur Entrechtung der unter einem – nicht objektivierbaren – Tinnitus leidenden Versicherten, da der Beweis so gut wie nie zu führen sein werde. Das Sozialgericht sei überdies dem unschlüssigen und auf unrichtigen Annahmen basierenden Gutachten von Dr. F zu Unrecht gefolgt und habe demjenigen von Dr. E, das in der fachärztlichen Literatur nicht allein stehe, keine ausreichende Bedeutung beigemessen.

20

Die Klägerin beantragt,

21

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente nach einer MdE von zumindest 20 v. H. wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11. Mai 1999 zu gewähren, hilfsweise, einen Tinnitus als Unfallfolge anzuerkennen.

22

Die Beklagte beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und auf ihre Bescheide.

25

Der Senat hat einen Befund- und Behandlungsbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. J vom 15. Juni 2004 sowie des HNO-Arztes Prof. Dr. S vom 24. Mai 2004 beigezogen. Auf Antrag des Klägers hat er gem. § 109 SGG das Gutachten der Frau Dr. E vom 12. August 2004 eingeholt.

26

Abschließend hat der Senat den HNO-Arzt Dr. La gehört, der sein Gutachten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. April 2005 näher erläutert hat. Das Ermittlungs- und Beweisergebnis ist den Beteiligten bekannt.

27

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte und die Gerichtsakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht seine Klage abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch weder auf Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung noch auf Feststellung des Tinnitus als Folge des Wegeunfalls vom 11. Mai 1999.

29

Der Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente setzt nach § 56 SGB VII voraus, dass infolge eines Versicherungsfalls eine Erwerbsminderung über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus in Höhe von wenigsten 20 v. H. eingetreten ist. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Eine versicherte Tätigkeit liegt - wie hier - auch beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit vor (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

30

Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen ist somit die Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne, d. h. der Unfall muss eine nicht hinweg zu denkende Bedingung für den Eintritt des Schadens gewesen sein. Bereits dieser Ursachenzusammenhang besteht hier nicht.

31

Der Senat geht allerdings aufgrund der insoweit übereinstimmenden Stellungnahmen der Hals-, Nasen- und Ohrenärzte Dr. v. T, Dr. K, Frau Dr. E und Dr. La davon aus, dass der Kläger tatsächlich unter Tinnitus leidet. Das von den Betroffenen wahrgenommene Ohrgeräusch ist zwar nicht objektivierbar. Dr. La hat jedoch überzeugend ausgeführt, dass durch das sog. Tinnitusmatching eine verlässliche Testmethode zur Verfügung steht, wobei das Ohrgeräusch vom Probanden selbst anhand von Verdeckungsgeräuschen bestimmten Frequenzen zugeordnet wird. Diese sind beim Kläger beidseitig annähernd gleich. Es hat danach keine Anhaltspunkte für Aggravation oder gar Simulation gegeben. Der Senat sieht keinen Anlass, diese Feststellungen, die bis auf eine nunmehr geringfügig erhöhte Frequenz des Ohrgeräuschs mit denjenigen von Frau Dr. E in ihrem für das Amtsgericht Lübeck erstellten Gutachten übereinstimmen, in Zweifel zu ziehen.

32

Wie für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen angeschuldigtem Ereignis und eingetretener Verletzungsfolge erforderlich ist (BSGE 58, 76), muss es mindestens hinreichend wahrscheinlich sein, dass das Unfallereignis vom 11. Mai 1999 ursächlich für den bei dem Kläger aufgetretenen Tinnitus geworden ist. Das wäre dann der Fall, wenn die Gründe für eine solche Kausalität die dagegen sprechenden deutlich überwögen (BSG, Urteil vom 2. Februar 1978, Az: 8 RU 66/77 – BSGE 45, 285 -). Nach Auswertung aller fachärztlicher Stellungnahmen und Unterlagen kommt der Senat jedoch zum gegenteiligen Ergebnis.

33

Bei der Anerkennung eines Tinnitus als Folge eines HWS-Traumas ist folgendes zu bedenken: HWS-Traumata können einen Tinnitus auslösen; ob auch in ihrer leichtesten Erscheinungsform, ist allerdings stark umstritten. Ein Ohrgeräusch als Folge einer Halswirbelsäulendistorsion ist um so wahrscheinlicher, je schwerer die Primärschädigung sei. Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang muss nicht bestehen. Im Vordergrund unfallbedingter Schädigungen des Hör- und Gleichgewichtsorgans stehen Gleichgewichtsstörungen. Sie gehen typischerweise einher mit einseitigen Schallempfindungsstörungen mit flachem Kurvenverlauf, also unter Beteiligung aller Frequenzen. Dementsprechend sollte das Ohrgeräusch nach Halswirbelsäulenschädigungen auch tief- bis mittelfrequent sein (Gutachten Prof. Dr. R vom 12. Februar 1999).

34

Feldmann, Gutachten des HNO-Arztes, 1997, zitiert im Gutachten von Prof. R, führt zusätzlich folgendes aus: Tinnitus als Folge eines Traumas könne nur dann ausreichend wahrscheinlich gemacht werden, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten seien, etwa eine messbare Hörstörung, objektivierbare Gleichgewichtsstörungen, neurologische Ausfälle oder eine Schädelbasisfraktur. Tinnitus als alleiniges Symptom lasse sich in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge darstellen.

35

Nach diesen ärztlichen Meinungen spricht für einen unfallbedingten Tinnitus nur der zeitliche Zusammenhang mit dem angeschuldigten Unfallgeschehen. Dagegen spricht die fehlende Schädigung des Hör- und Gleichgewichtsorgans. Das gilt angesichts der Ausführungen von Prof. Dr. R zur Bedeutung der Primärschädigung für die Eintrittswahrscheinlichkeit des Tinnitus erst recht deswegen, weil auch die unmittelbaren Unfallfolgen nicht sehr bedeutsam waren und folgenlos abgeheilt sind. Die nach dem Unfall erstatteten Befundberichte von Frau M und Dr. v. T wie auch das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. Ka ergeben, dass knöcherne Verletzungen der Halswirbelsäule sicher nicht vorlagen. Welches Ausmaß die unfallbedingte Streckung erreicht hat, ist dagegen nicht eindeutig. Dr. v. T hat erst nachträglich von einer "extrem schmerzhaften" Halswirbelsäule gesprochen; am Untersuchungstag selbst befundete er lediglich ein HWS-Syndrom mit Rotationsfehlstellung, Rotationseinschränkung, Kopfgelenksblockierung und Streckhaltung, ohne auf die Schmerzintensität einzugehen. Am 7. September 1999 soll nach mehrfacher manueller Deblockierung eine "deutlichste" Beschwerdelinderung im Bereich der HWS eingetreten sein. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach dem Unfall weiter gefahren und ununterbrochen seiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Aus diesen Umständen entnimmt der Senat, dass eine nur leichte HWS-Distorsion (Schweregrad I nach Erdmann) vorgelegen hat, bei der ein traumatisch bedingter Tinnitus gar nicht (Dr. Ka) oder nur im Zusammenhang mit hier nicht vorliegenden Schäden der Hör- und Gleichgewichtsorgane bzw. neurologischen Ausfällen (Dr. F, Prof. Dr. R, F, Dr. La) auftreten kann. Dafür spricht auch der nach den vorliegenden Unfallfotos nur sehr geringe Schaden am Fahrzeug des Klägers, der sich auf eine Deformierung des Stoßfängers und leichte Eindellungen an der Karosserie unterhalb der Heckklappe beschränkt.

36

Hinzu kommt, dass nach Prof. Dr. R typischerweise nur Ohrgeräusche mittel- und niederfrequenter Art unfallbedingt sein können. Auch diese liegt beim Kläger nicht vor.

37

Mit diesen Feststellungen folgt der Senat den Gutachten von Prof. Dr. R, Dr. F, Dr. Ka und Dr. Löffler, die ihn in vollem Umfang überzeugt haben. Dadurch ist die Auffassung von Dr. E widerlegt.

38

Frau Dr. E zitiert Claußen mit Beobachtungen an HWS-Patienten, wonach 14 % von ihnen über Tinnitus klagen, obwohl nur 5 % eine nachweisbare Hörminderung hätten. Sie ist der Auffassung, im Rahmen von HWS-Schleudertraumata könne eine Tinnitussymptomatik auch ohne begleitende Innenohrhörstörung auftreten.

39

Dem ist Dr. La in seinem Gutachten mit dem Hinweis entgegengetreten, die Studie von Oosterveld et al. 1992, auf die sich auch Claußen stütze, sei methodisch mangelhaft. Es habe sich um selektiertes Patientengut gehandelt. Zum Teil hätten sich die Patienten aufgrund von Begutachtungen in der Klinik eingefunden. Nach möglichen Vorschäden vor dem Unfall sei nicht gefragt worden. Im übrigen hat sich Dr. La der Meinung angeschlossen, für das Entstehen eines isolierten chronischen Tinnitus nach einem Unfallereignis mit Halswirbelsäulendistorsionstrauma gebe es keinen hinreichenden Beleg.

40

Nach alledem ist der beim Kläger aufgetretene Tinnitus nicht mit Wahrscheinlichkeit durch das Unfallereignis vom 11. Mai 1999 verursacht worden. Die mit dem Hauptantrag begehrte Gewährung einer Verletztenrente scheitert - von den obigen tragenden Gründen abgesehen - überdies, wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat und durch das Gutachten von Dr. La bestätigt wird, an der gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII erforderlichen Intensität der Erwerbsminderung von wenigstens 20 v. H.

41

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

42

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.


Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls streitig.

2

Der Kläger war an der Universität B. als Student eingeschrieben. Am 15.12.2008 fiel er auf einem Bahnsteig des Hauptbahnhofs B., an dem die zur Universität führende Bahn abfährt, um. Er prallte mit dem Kopf auf den Boden und blieb liegen. Durch den Aufprall erlitt er ein Schädel-Hirntrauma mit Blutungen im Gehirn. Die Beklagte lehnte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 29.4.2009) und wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 9.3.2010). Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Zwar habe eine innere Ursache für den Sturz nicht festgestellt werden können, dies lasse aber nicht den Schluss zu, dass eine versicherte Tätigkeit oder andere betrieblich bedingte Umstände für das Unfallereignis ursächlich gewesen seien.

3

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das Ereignis vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen (Urteil vom 30.7.2012). Neben der versicherten Tätigkeit des Zurücklegens des Weges zur Universität sei keine weitere Ursache feststellbar, sondern allenfalls denkbar, sodass mangels Konkurrenzursache keine Zweifel an der Unfallkausalität bestünden. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.5.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zwar einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII erlitten. Der Unfall sei jedoch nicht "infolge" einer versicherten Tätigkeit eingetreten. Die Einwirkung auf den Körper des Klägers sei zwar objektiv, dh im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn, nicht aber rechtlich wesentlich durch dessen zuvor verrichtete Tätigkeit (Zurücklegen des Weges von der Wohnung zur Universität) verursacht worden. Weshalb der Kläger umgefallen sei, sei nicht aufklärbar. Das BSG fordere im Kontext der Wegeunfallversicherung bei der Wesentlichkeitsprüfung, dass sich bei dem Geschehen eine dem Schutzzweck der Wegeversicherung entsprechende, spezifische Gefahr realisiere. Die Wesentlichkeit der Wirkursache sei eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen. Wie und warum der Kläger umgefallen sei, sei nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht mehr feststellbar. Damit könne auch die Verwirklichung einer spezifischen Verkehrsgefahr nicht festgestellt werden. Allein im Umfallen und Aufschlagen auf dem Boden habe sich kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht.

4

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Die Unfallkausalität sei immer gegeben, wenn neben der versicherten Tätigkeit keine weiteren konkurrierenden Ursachen festgestellt werden könnten. Die Prüfung, ob die versicherte Tätigkeit rechtlich wesentlich gewesen sei, habe nur zu erfolgen, wenn noch weitere Ursachen festgestellt würden. Dies folge aus dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung, weil bei vielen Unfällen der genaue Hergang nicht geklärt werden könne. Das Vorliegen einer inneren Ursache oder anderer konkurrierender Ursachen habe das LSG gerade nicht festgestellt.

5

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30. Juli 2012 zurückzuweisen.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Ablehnung der Feststellung des Ereignisses vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Arbeitsunfall iS des § 8 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 SGB VII erlitten.

9

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 18/13 R - SozR 4-2700 § 101 Nr 2 RdNr 16 ff mwN, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; vgl auch BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20).

10

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar erlitt der Kläger einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII(dazu unter 1.). Den Feststellungen des LSG ist jedoch bereits nicht zu entnehmen, welche konkrete Verrichtung mit welcher Handlungstendenz der Kläger in dem Moment des Unfalls ausübte, sodass schon fraglich ist, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall als Studierender iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII in der Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auf einem Weg nach dem Ort seiner Studientätigkeit versichert war(dazu 2.). Dies kann aber letztlich offen bleiben, denn der Unfall stellt jedenfalls schon deshalb keinen Arbeitsunfall iS des § 8 SGB VII dar, weil das Unfallereignis dem allein hier als versicherte Tätigkeit in Betracht kommenden Zurücklegen eines solchen Weges rechtlich nicht zugerechnet werden kann(dazu 3.).

11

1. Der Kläger erlitt am 15.12.2008 auf dem Bahnsteig eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII. Er schlug mit dem Kopf auf den Boden auf, wodurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkte (vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 14). Dies führte zu einem seine körperliche Unversehrtheit verletzenden Schädel-Hirntrauma mit Blutungen im Bereich des Gehirns.

12

2. Offen bleiben kann, ob der Kläger unmittelbar vor dem Unfall einer versicherten Verrichtung iS des § 8 Abs 2 Nr 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII nachgegangen ist. Als eingeschriebener Student einer Universität war der Kläger am 15.12.2008 Studierender iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB VII(vgl zu diesem Begriff BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 24/11 R - SozR 4-2200 § 539 Nr 2 RdNr 13 ff) und damit während seiner Ausbildung an der Hochschule in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (vgl zur versicherten Tätigkeit zuletzt BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 14/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 30 RdNr 13 ff und - B 2 U 10/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 32 RdNr 15 ff, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, sowie - B 2 U 13/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 RdNr 15 f; vgl auch BSG vom 26.9.1996 - 2 RU 12/96 - SozR 3-2200 § 539 Nr 36 und vom 4.7.1995 - 2 RU 45/94 - HVBG-INFO 1995, 2377 jeweils mit weiteren Nachweisen). Damit stand er grundsätzlich gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auf einem mit dieser versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach und von dem Ort dieser Tätigkeit unter Versicherungsschutz. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) befand sich der Kläger auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zum Ort seiner versicherten Tätigkeit, der Universität. Der Unfall ereignete sich auf dem Bahnsteig, von dem eine zur Universität führende Bahn abfuhr.

13

Dass der Versicherte sich auf dem unmittelbaren Weg zwischen dem Ort seiner versicherten Tätigkeit und seiner Wohnung befindet, reicht jedoch für den Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nicht aus. Vielmehr muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses in einem sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Ein solcher sachlicher Zusammenhang besteht, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört (BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Andernfalls wäre jede Handlung auf einem Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII vom Versicherungsschutz umfasst. Einen solchen "Wegebann" kennt die gesetzliche Unfallversicherung hingegen nicht.

14

Wie das BSG seit seiner Entscheidung vom 9.12.2003 (B 2 U 23/03 R - BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3) in ständiger Rechtsprechung betont hat (vgl nur Urteile vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25, vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 und - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 22 f sowie vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32), ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, die Handlungstendenz des Versicherten (zuletzt Urteile vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18). Das Handeln muss subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen Tätigkeit ausgerichtet sein (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 31 und vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14). Darüber hinaus muss sich die subjektive Handlungstendenz als von den Instanzgerichten festzustellende Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln (vgl BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Eine Verrichtung in diesem Sinne ist jedes konkrete, räumlich und zeitlich bestimmte Verhalten eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar ist. Für die Prüfung ist dabei regelmäßig die kleinste beobachtbare Handlungssequenz maßgebend (vgl Spellbrink, WzS 2011, 351, 354).

15

Das LSG hat offen gelassen, ob der Kläger unmittelbar vor dem Sturz gestanden hat oder gegangen ist. Auch eine andere Verrichtung ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Selbst wenn der Aufenthalt des Klägers auf dem Bahnsteig an sich - allerdings als dann nicht mehr kleinste beobachtbare Handlungssequenz - ausnahmsweise als die maßgebliche Verrichtung angesehen würde, bleibt dennoch die objektivierte Handlungstendenz im Zeitpunkt des Unfallereignisses, zu dem Ort der Tätigkeit - hier der Universität - zu gelangen, mangels entsprechender Feststellungen durch das LSG offen. Daher kann schon nicht beurteilt werden, ob ein sachlicher Zusammenhang der zur Zeit des Unfallereignisses ausgeübten Verrichtung mit dem grundsätzlich versicherten Zurücklegen des Weges bestand.

16

Ungeachtet dessen, ob sich die Verrichtung und Handlungstendenz überhaupt noch aufklären lassen, kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob der soeben dargestellte sachliche Zusammenhang mit der Verrichtung im Zeitpunkt des Unfallereignisses gegeben war. Denn selbst wenn ein solcher sachlicher Zusammenhang angenommen würde, scheitert der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Arbeitsunfalls jedenfalls daran, dass der Unfall nicht "infolge" des Zurücklegens dieses Weges eingetreten und ihm deshalb rechtlich nicht zuzurechnen ist.

17

3. Der Unfall ist nicht einer versicherten Tätigkeit iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII zuzurechnen, weil sich nicht feststellen lässt, dass sich mit dem Aufprall auf dem Bahnsteig eine Gefahr verwirklicht hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt.

18

a) Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben Schutz gegen Gefahren zu gewähren, die sich durch die ihre Verbandszuständigkeit, den Versicherungsschutz und das Versichertsein des Verletzten begründende Verrichtung von im jeweiligen Versicherungstatbestand konkret umschriebenen Tätigkeiten realisieren können. Ihre Einstandspflicht besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert daher zweistufig die Erfüllung erstens tatsächlicher und zweitens darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 32 ff mwN).

19

Auf der ersten Stufe setzt die Zurechnung mithin voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit-)verursacht wurde. Für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine Wirkursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und hat der Unfallversicherungsträger nicht einzustehen. Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der "conditio-Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Wie bereits ausgeführt, ist die Verrichtung des Klägers vor dem Unfallereignis vom LSG nicht festgestellt worden, sodass die Annahme eines Ursachenzusammenhangs bereits an der ersten Stufe scheitert. Dies kann - wie bereits angedeutet - aber letztlich dahinstehen, weil sich jedenfalls bei dem Unfall des Klägers kein spezifisches Wegerisiko verwirklicht hat.

20

Selbst wenn eine versicherte Tätigkeit als Wirkursache feststeht, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass eine versicherte Verrichtung - wie hier ggf das Stehen auf dem Bahnsteig - wegen ihrer objektiven (Mit-)Verursachung der Einwirkung - die hier gerade nicht festgestellt ist - auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R, aaO, RdNr 33 ff).

21

Ob eine Ursache rechtlich wesentlich ist, ist auch dann zu prüfen, wenn sie als alleinige Ursache festgestellt ist, weil andere (Mit-)Ursachen nicht erwiesen oder nicht in Betracht zu ziehen sind. Denn auch in diesem Fall wird die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers nur begründet, wenn sich durch den Unfall, der durch die versicherte Verrichtung objektiv verursacht wurde, eine Gefahr verwirklicht hat, gegen die die Versicherung schützen soll. Diese Voraussetzung wird zumeist erfüllt sein, bedarf aber stets der Entscheidung (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R, aaO, RdNr 42). Dem stehen die vom Kläger benannten Urteile des Senats vom 30.1.2007 (B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr 22) und vom 17.2.2009 (B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31) nicht entgegen. Nach den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten waren die dort vom LSG festgestellten Verrichtungen unmittelbar vor dem Unfall der jeweiligen versicherten Tätigkeit zuzurechnen und die nichtversicherten Ursachen waren lediglich mögliche Wirkursachen. Entscheidend war aber auch dort, dass sich durch den Unfall jeweils eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der der jeweilige Versicherungstatbestand gerade schützen sollte, nämlich die Gefahr eines Sturzes während des der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Laufens bzw eines Verkehrsunfalls während des dem Zurücklegen des Weges zuzurechnenden Steuerns eines Kraftfahrzeugs. Somit war dort die im vorliegenden Fall zu verneinende Frage, ob sich jeweils im Hinblick auf diese Verrichtung durch das Unfallereignis eine Gefahr verwirklicht hatte, vor der die gesetzliche Unfallversicherung schützen soll, unproblematisch zu bejahen.

22

b) Das Umfallen und der Aufprall des Klägers auf den Bahnsteig war danach jedenfalls nicht rechtlich wesentlich durch eine zuvor versicherte Tätigkeit verursacht worden. Wie ausgeführt, ist den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG lediglich zu entnehmen, dass sich der Kläger auf dem Bahnsteig befand. Das LSG konnte jedoch nicht feststellen, von welchen konkreten Umständen das Unfallereignis begleitet war. Insbesondere steht nicht fest und ist nach den insoweit unangegriffenen Beweiswürdigungen des LSG auch nicht mehr feststellbar, ob der Kläger unmittelbar vor dem Ereignis sich bewegt hat, sodass er dabei möglicherweise stolperte oder ausrutschte, oder ob er aus dem Stand umfiel, ob er angerempelt wurde, gegen eine Vitrine stieß, ob die Bodenverhältnisse auf dem Bahnsteig den Sturz bewirkten oder ob ggf eine (innere) Erkrankung bestand. Mithin ist nicht feststellbar, welche Faktoren im Zeitpunkt des Sturzes und Aufpralls auf den Kläger eingewirkt haben. Damit kann auch nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich durch das Unfallereignis ein Risiko verwirklicht hat, vor dem gerade die Wegeunfallversicherung Schutz gewähren soll.

23

Die Wegeunfallversicherung schützt, wie der Senat zuletzt entschieden hat, vor Gefahren für Gesundheit und Leben, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremdem Verkehrsverhalten oder äußeren Einflüssen während der Zurücklegung des Weges hervorgehen (BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 20 und vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 45). Zwar könnte das Risiko, beim Gehen durch Stolpern oder Ausrutschen, durch einen Zusammenstoß mit einer Vitrine oder durch den Anstoß anderer Personen zu stürzen, jeweils von dem Schutzzweck der Wegeunfallversicherung umfasst sein. Solche äußeren Einwirkungen auf den Körper des Klägers müssten als solche aber zunächst konkret festgestellt sein, was hier gerade nicht der Fall ist. Ihre Nichterweislichkeit geht zu Lasten des Klägers.

24

c) Die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, müssen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 mwN). In der Wegeunfallversicherung wie auch sonst bei anderen Versicherungstatbeständen der gesetzlichen Unfallversicherung besteht keine Vermutungsregel, dass bei Verrichtung einer versicherten Tätigkeit unmittelbar vor dem Unfallereignis der Unfall objektiv und rechtlich wesentlich durch diese versicherte Tätigkeit verursacht wurde. Sind - wie hier - die Umstände, die vor dem Unfallereignis unmittelbar auf den Kläger eingewirkt haben, unbekannt, kann nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Sturz durch ein Risiko verursacht wurde, gegen das die gesetzliche Unfallversicherung beim Zurücklegen des Weges nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII Schutz gewähren soll.

25

Den Nachteil aus der tatsächlichen Unaufklärbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen hat nach den Regeln der objektiven Beweislast der Kläger zu tragen. Für die erforderlichen Feststellungen der Tatsachen können ua die Angaben des Versicherten, Bekundungen von Zeugen und Sachverständigen sowie sonstige Umstände herangezogen werden. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben - soweit ersichtlich - alle denkbaren Beweismittel ausgeschöpft. Insofern werden auch von der Revision keine Rügen erhoben. Ist danach dennoch das zum Unfallereignis führende Geschehen und insbesondere - wie hier - die zum Unfallereignis führende Kausalkette nicht aufklärbar, geht dies zu Lasten des Versicherten (vgl hierzu BSG vom 27.3.1990 - 2 RU 45/89 - HV-INFO 1990, 1181 mwN; vgl auch BSG vom 28.6.1984 - 2 RU 54/83 - HV-INFO 1984, Nr 15, 40 bis 44). Wie bereits oben ausgeführt, kann ohne Feststellung der konkreten Kausalkette nicht aus der bloßen Tatsache des "auf dem Wege seins" abgeleitet werden, dass sich auch eine Gefahr realisiert hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt. Ein solcher "Wegebann" entspricht nicht dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. Entgegen der Auffassung der Revision führt auch der allgemeine Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung nicht dazu, dass die Nichterweislichkeit der Ursache bei ungeklärtem Unfallhergang jeweils zu Lasten des Unfallversicherungsträgers geht. Denn die Einstandspflicht und damit der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht auch in der Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand dieser versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Verrichtung erfüllte Versicherungstatbestand der Wegeunfallversicherung schützen soll. Ein solches spezifisches Wegerisiko als Unfallursache ist hier aber nicht feststellbar, was zu Lasten des Klägers geht.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sein Bandscheibenvorfall im Bereich C 6/7 seiner Halswirbelsäule (HWS) ein weiterer Gesundheitserstschaden seines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 3.7.2005 ist.

2

Der Kläger absolvierte an diesem Tag als Arbeitnehmer eines Automobilherstellers aufgabengemäß eine Testfahrt auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Italien. Dabei platzte bei einer Geschwindigkeit von 295 km/h ein Hinterreifen seines Fahrzeugs. Es kam von der Fahrbahn ab, durchbrach die Leitplanke und kam in einem Wäldchen zum Stehen.

3

Bei der Erstuntersuchung des Klägers erbrachten die Röntgenaufnahmen keinen Anhalt für Frakturen. Am 6.7.2005 diagnostizierte ein Facharzt für Chirurgie ua eine Halswirbelsäulen-Distorsion (Verstauchung, Zerrung). In der Kernspintomographie der HWS vom 4.8.2005 wurden erhebliche degenerative Veränderungen bei multisegmentaler Osteochondrose sowie für den Bereich von C 6/7 eine fast normal hohe Bandscheibe mit normal weiten Neuroforamina (Wurzelkanälen) beschrieben. Eine weitere Kernspintomographie der HWS vom 30.8.2005 ergab zwischen den Halswirbelkörpern C 6/7 einen links gelegenen Bandscheibenvorfall mit intraforaminaler Vorfallskomponente. Eine Begleitverletzung wurde nicht benannt.

4

Im Bescheid vom 18.10.2007 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 3.7.2005 als Arbeitsunfall. Als "Unfallfolgen" wurden "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers" anerkannt.

5

Ferner wurde festgestellt, der Bandscheibenvorfall zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper sei keine "Folge des Arbeitsunfalls", weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung. Ein traumatischer Bandscheibenvorfall sei angesichts des MRT-Befundes vom 4.8.2005, in dem eine Traumatisierung des Segments C 6/7 nicht beschrieben sei, zu verneinen. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.2.2008).

6

Das SG Karlsruhe hat mit Urteil vom 14.7.2010 festgestellt, dass "die Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei.

7

Die Beklagte hat mit ihrer Berufung geltend gemacht, das Urteil sei in seiner Kausalitätsbeurteilung mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht vereinbar. Im Standardwerk der gesetzlichen Unfallversicherung von Schönberger/Mehrtens/Valentin, das den anerkannten neuesten medizinischen Kenntnisstand dokumentiere, werde seit der 7. Auflage ausgeführt, dass die traumatische Verursachung eines isolierten Bandscheibenschadens ohne Begleitverletzung nicht möglich sei. Dazu sei Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

8

Das LSG hat die Berufung durch Beschluss vom 22.12.2010 zurückgewiesen. Es sei vorliegend zumindest wahrscheinlich, dass der Unfall vom 3.7.2005 naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7 gewesen sei. Hierfür sprächen vor allem jene Indizien, die auf eine akute Schädigung im Bereich des Bewegungssegments C 6/7 und damit eine Substanzschädigung der betreffenden Bandscheibe in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis hinwiesen. Vor dem Unfall sei der Kläger trotz bestehender degenerativer Veränderungen gerade auch im Bereich der HWS beschwerdefrei gewesen. Der Unfall habe zu einer Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule geführt. Umstände, die üblicherweise gegen einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang sprächen, hätten im vorliegenden Fall keine durchgreifende Bedeutung.

9

Zu Unrecht berufe sich die Beklagte auf das Werk von Schönberger/Mehrtens/Valentin und meine, es sei dort dokumentierter neuester medizinischer Kenntnisstand, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall immer mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen einhergehe. Diesen Ausführungen könne aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Denn dieses Standardwerk der unfallmedizinischen Literatur vermenge die Prüfung der naturwissenschaftlichen Kausalität auf der ersten Stufe mit der wertenden Entscheidung der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung (Wesentlichkeit). Bei der Prüfung der Wesentlichkeit handele es sich um eine wertende Entscheidung, die dem juristischen Betrachter vorbehalten sei.

10

Der Antrag der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens werde abgelehnt. Selbst wenn die von Schönberger/Mehrtens/Valentin vertretene Auffassung den herrschenden medizinischen Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung wiedergeben sollte, ändere dies nichts daran, dass dieser Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung nicht zugrunde gelegt werden dürfe, weil er die maßgebenden rechtlichen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG vernachlässige.

11

Lägen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall "örtlich-zeitlich in Rede" stehe, sei ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

12

Sei der naturwissenschaftliche Zusammenhang zu bejahen, stelle sich die Frage (zweite Stufe der Kausalitätsprüfung), ob das Unfallereignis auch wesentlich gewesen sei. Hierbei sei vor dem Hintergrund der Schwere des Unfalltraumas mit einer plötzlichen unphysiologischen Belastung der HWS den bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen im Hinblick auf den aufgetretenen Bandscheibenvorfall keine überragende Bedeutung beizumessen gewesen. Demnach sei das Unfallereignis wesentliche Mitursache des erlittenen Bandscheibenvorfalls und die beim Kläger in der Folge erforderlich gewordene Versteifung im Bewegungssegment einschließlich der fortbestehenden Schmerzsymptomatik als Unfallfolge festzustellen.

13

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII und einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Bandscheibenvorfall liege nicht vor. Das LSG habe nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ermittelt.

14

Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juli 2010 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

15

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

17

1. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann das BSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, die die Verbandszuständigkeit der Beklagten begründet und eine Einwirkung auf die HWS des Klägers wesentlich mitverursacht hat (dazu unter 3.), dadurch auch eine objektive und zudem rechtlich wesentliche Mitursache des Bandscheibenvorfalls auf der Höhe des 6./7. Halswirbelkörpers geworden ist. Nur dann wäre dieser ein Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls.

18

Das LSG hat nicht festgestellt, ob dieser Schaden nach Maßgabe des derzeit anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft durch die verrichtungsbedingte und deshalb versicherte Einwirkung unmittelbar objektiv mitverursacht wurde (dazu unter 4.). Seine Ansicht, dies könne durch "eine wertende Entscheidung …, die … dem juristischen Betrachter vorbehalten" sei, im Rahmen der rechtlichen "Wesentlichkeitsbeurteilung" ersetzt werden, verfehlt den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache für eine bestimmte Wirkung (dazu unter 3. und 5.).

19

2. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen die Zurückweisung ihrer zulässigen Berufung durch das LSG. Mit ihr wandte sie sich erstens gegen die Aufhebung ihres Verwaltungsakts durch das SG, der Kläger habe gegen sie keinen Anspruch auf Feststellung seines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als "Folge des Arbeitsunfalls". Zweitens begehrte sie die Aufhebung des Feststellungsurteils des SG, dass die "Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei. Der Erfolg ihrer Rechtsmittel hängt davon ab, ob die zulässige Kombination der zulässigen Anfechtungs- mit der zulässigen Feststellungsklage des Klägers begründet ist. Das wäre dann der Fall, wenn sie durch ihren negativ feststellenden Verwaltungsakt einen Anspruch des Klägers auf die Feststellung eines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als Gesundheitserstschaden zu Unrecht abgelehnt hätte. Dann wäre dieser (insoweit unter klarstellender Änderung des bisherigen Ausspruchs des SG) durch Feststellungsurteil als weiterer Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls festzustellen. Andernfalls hätte ihre Revision durchgreifenden Erfolg.

20

Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG zwischen den Beteiligten klargestellt werden konnte, richtete sich das Begehren des Klägers von Anfang an nicht auf die Feststellung seines Bandscheibenvorfalls als eine (unmittelbare) Unfallfolge. Ihm kam es vielmehr stets auf die Feststellung dieses Gesundheitsschadens als weiteren Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls an. Eine unmittelbare Unfallfolge kann sich hingegen nur infolge eines Gesundheitserstschadens einstellen, der selbst als Tatbestandsvoraussetzung des Unfallbegriffs iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII dem Begriff des Arbeitsunfalls unterfällt. Der Bandscheibenvorfall war zudem ersichtlich keine Wirkung eines bereits anerkannten Erstschadens. Bei sachgerechter Auslegung war auch die angefochtene negative Feststellung der Beklagten auf die Ablehnung der Anerkennung eines Erstschadens gerichtet.

21

3. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist nicht abschließend beurteilbar, aber möglich, dass dem Kläger der erhobene Feststellungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Jeder Versicherte hat nämlich das Recht, vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung aller Erstschäden (Gesundheitserstschäden oder Tod) eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII zu verlangen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 8 Nr 43 vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

22

a) Der Anspruch scheitert nicht schon daran, dass die Beklagte eine insoweit unanfechtbar gewordene Feststellung getroffen hat, der Kläger habe infolge seiner versicherten Testfahrt einen Arbeitsunfall mit folgenden Gesundheitserstschäden erlitten: "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers".

23

Die rechtliche Bindungswirkung dieses Verwaltungsakts erstreckt sich nicht auf die hier umstrittene Frage, ob die infolge der Testfahrt eingetretene Einwirkung auf den Körper des Klägers weitere Gesundheitserstschäden (objektiv und unfallversicherungsrechtlich wesentlich) mitverursacht hat. Werden die Erstschäden anfangs nur unvollständig anerkannt, hat der Versicherte Anspruch auf eine vollständige Feststellung aller objektiv vom Arbeitsunfall umfassten Gesundheitserstschäden. Entscheidet der Versicherungsträgerbei seiner Feststellung eines Arbeitsunfalls, wie hier, dass der Versicherte keinen Anspruch auf Feststellung bestimmter weiterer Erstschäden habe, oder stellt er die Gesundheitserstschäden ausdrücklich abschließend (positiv oder negativ) fest, ist dagegen der Widerspruch gegeben (nach Fristablauf allein §§ 44 f SGB X). Da hier erstmals um einen weiteren, von der Beklagten abgelehnten Gesundheitserstschaden gestritten wird, erfasst die rechtliche Bindungswirkung des den Arbeitsunfall feststellenden Verwaltungsakts den hier rechtshängigen Streitgegenstand nicht.

24

b) Die Feststellungen des LSG lassen erkennen, dass der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Feststellung der umstrittenen Gesundheitserstschäden hat. Denn danach hat er eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter verrichtet und infolge dessen ein Unfallereignis erlitten (dazu sogleich).

25

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 (oder 8 Abs 2) SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 Satz 2).

26

Daher muss eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das "infolge" also ua nach dieser Verrichtung eingetreten sein muss, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet seine Versichertenstellung in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung.

27

Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).

28

Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein.

29

aa) § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII setzt voraus, dass der Verletzte eine "den Versicherungsschutz" begründende "Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" verrichtet hat und dass der Unfall (iS von Satz 2 aaO) "infolge" dieser versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

30

Diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen umschreiben den Rechtsgrund, aufgrund dessen der wegen einer Verrichtung einer versicherten Tätigkeit durch den Verletzten verbandszuständige Unfallversicherungsträger überhaupt versicherungsrechtlich für die Schäden, Nachteile und Bedarfe des verunfallten Verletzten einstehen soll. Er soll nur verpflichtet sein, soweit der Versicherungsschutz durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit in der jeweiligen Versicherung begründet ist. Er soll deshalb (grundsätzlich) nur einstehen müssen für Gesundheitsschäden (oder Tod und ggf wirtschaftliche Folgen etc), die "infolge" der versicherten Verrichtung eingetreten sind und ein Risiko realisieren, gegen das die jeweils begründete Versicherung schützen soll. Zurechnungsvoraussetzungen sind somit auf der ersten Stufe die (faktisch-objektive) Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung des Verletzten für den Schaden und auf der darauf aufbauenden zweiten Stufe dessen rechtliche Erfassung vom jeweiligen Schutzzweck der begründeten Versicherung.

31

bb) Die Zurechnung setzt somit erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) objektiv mitverursacht hat. Denn für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Verrichtung keine Wirkursache war, ist schlechthin kein Versicherungsschutz begründet, hat also der Versicherungsträger nicht einzustehen. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (innere Tatsache). Als (objektives) Handeln des Verletzten kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden oder Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder iS von § 11 SGB VII, der für die zweite Stufe andere Zurechnungsgründe als die "Wesentlichkeit" regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie ua zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zu den Bedarfen reichen, derentwegen das SGB VII Leistungsrechte vorsieht.

32

Erst dann, wenn die "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" festgestellt sind, kann und darf (auf der ersten Stufe der Zurechnung) über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung (objektive Verursachung) zwischen der Verrichtung und der Einwirkung (mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der Wahrscheinlichkeit) entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und ggf mit welchem Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) eine Wirkursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper des Versicherten war.

33

cc) Zweitens muss der (letztlich) durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll.

34

Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so schon BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung (etc) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden.

35

Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden. Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl hierzu BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 2 Nr 21 vorgesehen - RdNr 21 ff - Lebendnierenspende).

36

Bei der folgenden Subsumtion muss vorab entschieden werden, ob die versicherte Verrichtung durch ihren auf der ersten Stufe festgestellten Verursachungsbeitrag überhaupt ein Risiko verwirklicht hat, das in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Nur wenn dies, wie zumeist, zu bejahen ist, kommt es darauf an, ob ggf konkret festgestellte unversicherte Mitursachen, die selbst die Zurechnung zum Unfallversicherungsträger nie begründen können, gleichwohl die Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das gesamte Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass die Wirkung insgesamt trotz des Mitwirkungsanteils der versicherten Verrichtung nicht mehr unter den Schutzbereich der jeweiligen Versicherung fällt. Bei dieser Subsumtion sind alle auf der ersten Stufe im Einzelfall konkret festgestellten versicherten und unversicherten Wirkursachen mit ihren ggf festgestellten Mitwirkungsanteilen in einer rechtlichen Gesamtabwägung nach Maßgabe des jeweilig festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten.

37

Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als "wesentliche Ursache" (vgl schon RVA vom 24.5.1912, AN 1912, 930 = Breithaupt 1912, 212; GS RVA vom 26.2.1914, AN 1914, 411 <2690>; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 17).

38

dd) In gleicher Weise muss zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls ggf die versicherte Einwirkung den Erstschaden (ggf den Tod) a) objektiv und b) rechtlich wesentlich verursacht haben. Dabei kommt es schon wegen der Einheit des jeweiligen Versicherungsfalls stets auch darauf an, dass die Zurechnungskette auf ein- und dieselbe versicherte und den Versicherungsschutz bei dem Unfallversicherungsträger begründende Verrichtung zurückzuführen ist.

39

ee) Diese Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Gesundheitserstschaden erfüllt sein. "Gesundheitserstschaden" ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde, die durch ein- und dieselbe versicherte Verrichtung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden (oder den Tod), die "infolge" ein- und derselben versicherten Verrichtung eintreten.

40

c) Nach den Feststellungen des LSG liegt eine versicherte Verrichtung des Klägers vor, die eine Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat.

41

aa) Der Kläger hat durch seine Testfahrt den Tatbestand der versicherten Tätigkeit als "Beschäftigter" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt(zu den Voraussetzungen dieses Tatbestandes näher BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 2 Nr 20 vorgesehen). Denn er hat dadurch zur Erfüllung einer Hauptpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis mit dem Automobilhersteller zumindest angesetzt, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG auch in tatsächlicher Hinsicht abschließend außer Streit gestellt werden konnte. Er war daher in der Beschäftigtenversicherung grundsätzlich gegen alle Gefahren unfallversichert, die sich "infolge" der versicherten Testfahrt verwirklichten.

42

bb) Das LSG hat ferner bindend festgestellt, dass es infolge der Testfahrt zu einer "Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule" gekommen ist. Unter "Einwirkung" (als Kurzbezeichnung für das von außen kommende, zeitlich begrenzt einwirkende Unfallereignis) ist die durch einen solchen Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem (möglicherweise zeitnah danach eintretenden) Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Das LSG hat zur Natur der körperlichen Veränderung festgestellt, dass ein Chirurg am 6.7.2005 beim Kläger eine "HWS-Distorsion" diagnostiziert habe. Nach dem Gesamtzusammenhang des Beschlusses des LSG hat es sich diese Diagnose zu eigen gemacht. Eine solche HWS-Verstauchung genügt jedenfalls dem (weiten) Einwirkungsbegriff.

43

cc) Das LSG hat auch noch festgestellt, dass die versicherte Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit, das Platzen des Autoreifens, das Abkommen von der Testbahn, das Durchbrechen der Leitplanke und das Abstoppen im Wäldchen diese Einwirkung auf die HWS objektiv mitverursacht haben. Auch wenn das LSG keine näheren Feststellungen zur Ursache des Platzens des Reifens (ua Materialfehler, äußere Ursache) und auch nicht dazu getroffen hat, ob es bei der Testfahrt gerade um die Prüfung der Belastbarkeit der Reifen ging, ist seine Feststellung rechtlich nicht zu beanstanden, dass die versicherte Testfahrt als Grundvoraussetzung des Unfallhergangs eine mitwirkende Ursache für die Einwirkung war. Wie zudem vor dem BSG zur Gehörsgewährung eingeführt und von den Beteiligten bestätigt wurde, entspricht es dem heutigen allgemeinkundigen Stand der Erfahrung, dass ein solcher Ablauf einer Autofahrt Ursache eines starken Aufpralls mit der Wirkung ua einer Verstauchung der HWS sein kann und nach den konkreten Umständen des Falles hier auch war. Weitere Mitursachen wurden vom LSG nicht festgestellt und von der Beklagten nicht behauptet.

44

dd) Das LSG hat sinngemäß auch die rechtliche Beurteilung geäußert, dass das versicherte Handeln des Klägers eine mit der Erfüllung dieser Pflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis verbundene Gefahr für seine Gesundheit verwirklicht hat. Das trifft bundesrechtlich zu. Denn die Beschäftigtenversicherung soll grundsätzlich in allen Lebens- und Gesundheitsgefahren schützen, die sich aus dem Handeln zur Erfüllung von Pflichten oder zur Wahrnehmung unternehmensbezogener Rechte aus dem Beschäftigungsverhältnis unter Eingliederung in einen vom Unternehmer bestimmten Gefahrenbereich ergeben. Der Kläger hat infolge der ihm aufgetragenen Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit Gesundheitsgefahren eingehen müssen, die sich in der Einwirkung realisiert haben. Damit fällt die durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Einwirkung auf die HWS unter den Schutzbereich der hier begründeten Beschäftigtenversicherung. Die konkret festgestellten Mitursachen der Einwirkung, das Platzen des Reifens, der Widerstand der durchbrochenen Leitplanke schließen in der gebotenen rechtlichen Gesamtabwägung die Zuordnung der HWS-Verstauchung zum Schutzbereich der Beschäftigtenversicherung nicht aus. Denn in ihnen hat sich gerade die besondere Gefahr verwirklicht, die mit der vom Kläger zu erfüllenden Pflicht verbunden war.

45

ee) Das LSG hat schließlich bindend festgestellt, dass der vom Kläger als Gesundheitserstschaden geltend gemachte Bandscheibenvorfall C 6/7 vorliegt.

46

d) Damit sind die Voraussetzungen für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung dieses Vorfalls C 6/7 als weiteren Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls mit der Ausnahme erfüllt, dass das BSG noch nicht entscheiden kann, ob die Testfahrt mit der durch sie rechtlich wesentlich mitverursachten Einwirkung auf die HWS des Klägers auch rechtserhebliche (Mit-)Wirkursache dieses Bandscheibenvorfalls war.

47

4. Das LSG hat zwar ausgeführt, die versicherte Einwirkung und letztlich die versicherte Testfahrt hätten auch den Bandscheibenvorfall objektiv und wesentlich verursacht. Dies ist jedoch für das BSG nicht bindend. Es darf dies seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.

48

a) Dies folgt für die Rechtsfrage der unfallversicherungsrechtlichen Wesentlichkeit schon daraus, dass es hier allein um Rechtsanwendung, also um die rechtliche Subsumtion der auf der ersten Stufe der Zurechnung festgestellten Tatsachen unter den Schutzbereich der für die konkrete Beschäftigung begründeten Beschäftigtenversicherung geht. Hier muss das Revisionsgericht in vollem Umfang die Beachtung des Bundesrechts überprüfen. Das LSG hat hierbei den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache unzutreffend angewandt (dazu unter 5.).

49

b) Auf der ersten Stufe der Zurechnung hat das LSG keine das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen zur objektiven Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Einwirkung/versicherte Verrichtung getroffen.

50

Allerdings hat das LSG ausdrücklich festgestellt, dass die (versicherte) Einwirkung auf die HWS des Klägers "naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7" gewesen ist.

51

aa) Grundsätzlich ist das Revisionsgericht an eine solche Tatsachenfeststellung, zu der auch der konkrete objektive Kausalzusammenhang im Einzelfall gehört, gebunden (§ 163 SGG). Hier tritt diese Bindung jedoch nicht ein, weil das LSG zum einen von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven ("wissenschaftlich-philosophischen") Kausalität ausgegangen ist. Zum anderen hat es, wie die Beklagte zulässig und begründet rügt, die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Es hat seinem Beschluss einen nicht existierenden Erfahrungssatz zugrunde gelegt und deshalb davon abgesehen aufzuklären, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle durch Unfalleinwirkungen nur verursacht werden können, wenn ein unfallbedingter Begleitschaden vorliegt.

52

bb) Das LSG hat seine Kausalitätsbeurteilung auch auf folgenden nicht existierenden Erfahrungssatz gestützt: Liegen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall örtlich-zeitlich in Rede steht, ist ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

53

Daran ist das BSG nicht gebunden. Ein solcher Erfahrungssatz ist nicht allgemeinkundig oder dem BSG gerichtsbekannt. Die Revisionsführerin bestreitet seine Existenz. Das LSG hat nicht mitgeteilt, woher es diese Erkenntnis gewonnen hat. Soweit die Formulierung auch als generelle weitere "Beweiserleichterung" bei der richterlichen Überzeugungsbildung zum Grad der (juristischen) Wahrscheinlichkeit gemeint sein könnte, wäre sie bundesrechtswidrig. Denn der juristische Überzeugungsgrad der Wahrscheinlichkeit knüpft an die Würdigung der Einzelfallumstände nach Maßgabe der im jeweiligen Lebensbereich vorhandenen aktuell anerkannten wissenschaftlichen Erfahrung, hilfsweise der sonstigen einschlägigen Fachkunde, und deren ggf vorhandene Unsicherheiten an. Er erlaubt es aber nicht, an dem vorhandenen Erfahrungswissen durch "juristische Betrachtungen" vorbeizugehen.

54

c) Das LSG hat auch im Übrigen einen unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven Verursachung (der "philosophisch-wissenschaftlichen Kausalität") zugrunde gelegt.

55

Objektive Verursachung bedeutet einen nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand der einschlägigen Erfahrung (insbesondere der Wissenschaft, hilfsweise der sonstigen Fachkunde) geprüften und festgestellten Wirkungszusammenhang zwischen einer bestimmten Wirkursache und ihrer Wirkung. Dabei gibt es keine Ursache ohne Wirkung und keine Wirkung ohne Ursache.

56

Die versicherte Verrichtung muss also eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) der Einwirkung, die Einwirkung eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) des Gesundheitserstschadens sein. Ob die Verrichtung Wirkursache der Einwirkung (etc) war, ist eine Frage, die nur auf der Grundlage von Erfahrung über Kausalbeziehungen beantwortet werden kann.

57

Auch der Satz der Bedingungstheorie, ein tatsächlicher Umstand sei "notwendige Bedingung" (nicht: Ursache) eines anderen Umstandes, wenn der erste nicht "hinweggedacht" werden könne, ohne dass der zweite (der "Erfolg") entfiele ("conditio sine qua non"), ist kein logischer Schluss. Er verlangt eine hypothetische, dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich fremde, alternative Zusammenhangserwägung ohne Berücksichtigung eines in Wirklichkeit vorhandenen Umstandes und mit Unterstellung eines in Wirklichkeit nicht erfolgten Geschehensablaufs. Darüber hinaus verweist er auf Erfahrungswissen über den Zusammenhang von Bedingungen.

58

Die Erwägung nach dieser Formel führt zur Unbeachtlichkeit von Bedingungen, die nach Erfahrung die Wirkung nicht mitverursacht haben können. Insoweit kann sie zur ersten negativen Vorklärung, dem Ausscheiden von als Ursachen von vornherein nicht in Betracht kommender Bedingungen, beitragen. Sie erfasst aber alle Bedingungen, die nach Erfahrung möglicherweise die fragliche Wirkung (den "Erfolg") verursacht haben könnten. Aus sich heraus gibt sie aber keinen Maßstab dafür, ob ein solcher als für das Geschehen erforderliche (und nur in diesem Sinne "notwendige") Bedingung erkannter Umstand den "Erfolg" wirklich bewirkt, also die Wirkung mitverursacht hat, worauf schon der große Senat des RVA (aaO) hingewiesen hat. Eine solche Bedingung kann Wirkursache sein, muss es aber nicht. Sie kann auch bloße Randbedingung sein. Die Formel schließt nur "Bedingungen" aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.

59

Entscheidend ist aber, ob die versicherte Verrichtung die Einwirkung und ob diese den Erstschaden bewirkt hat. Wenn die festgestellte versicherte Verrichtung nach Erfahrung eine "Bedingung eines Erfolgs", also einer Einwirkung und des Gesundheitserstschadens (etc) ist, wären diese (hypothetisch) ohne sie nicht eingetreten. Gleiches gilt für eine kaum abzählbare Menge anderer Bedingungen für den konkreten Unfall. Die Verrichtung war aber nur dann eine Wirkursache der Einwirkung/des Gesundheitserstschadens, wenn sie das Unfallereignis hervorgerufen oder in Gang gehalten und dadurch die Einwirkung herbeigeführt hat, welche den Körper des Verletzten, seinen physiologischen Zustand verändert und dadurch den Gesundheitsschaden mitbewirkt hat. Ob dies der Fall war, ist nach dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Fachwissens zu beurteilen.

60

aa) Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Bandscheibenvorfall des Klägers Wirkung der festgestellten versicherten Einwirkung/versicherten Testfahrt als Ursache war. Dafür kommt es, weil es sich um eine in den Fachbereich der medizinischen Wissenschaft fallende Frage handelt, allein darauf an, ob ein Wirkungszusammenhang zwischen dieser Testfahrt und dieser Einwirkung auf die HWS des Klägers und diesem Bandscheibenvorfall nach dem aktuellen Stand des anerkannten medizinischen Erfahrungswissens vorliegt. Dafür reicht ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang nicht aus.

61

Vielmehr ist der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrunde zu legen. Dies wird in der Regel die Auffassung der Mehrheit der im jeweiligen Fragenbereich veröffentlichenden Wissenschaftler/Fachkundigen eines Fachgebiets sein. Lässt sich eine solche "herrschende Meinung" nicht feststellen, so darf der Richter nicht gleichsam als Schiedsrichter im Streit einer Wissenschaft fungieren und selbst eine (von ihm anerkannte) Ansicht zur maßgeblichen des jeweiligen für ihn fachfremden Wissenschaftsgebietes erklären. Vielmehr kommt, falls auch durch staatliche Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände etc kein von den Fachkreisen mehrheitlich anerkannter neuester Erfahrungsstand festgestellt werden kann, eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen in Betracht (anders offenbar noch BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).

62

Dazu muss dieser Erfahrungsstand inhaltlich festgestellt und so rechtzeitig mit seiner Erkenntnisquelle (zB medizinisches Fachbuch) in das Gerichtsverfahren eingeführt werden, dass die Beteiligten sich darüber fachkundig machen und ggf konkrete Beweiserhebungen beantragen können. Das gilt auch dann, wenn das Gericht meint, der Stand des einschlägigen Erfahrungswissens sei gerichtsbekannt, allgemeinkundig oder könne vom Gericht aus eigener, stets rechtzeitig offenzulegender Fachkompetenz beurteilt werden.

63

bb) Soweit ein nicht allgemeinkundiges oder gerichtsbekanntes Erfahrungswissen Gegenstand einer staatlich anerkannten Wissenschaft, hilfsweise einer sonstigen fachkundigen Profession, ist, muss das Gericht, sofern es keine nachweisbare eigene Fachkompetenz oder Gerichtskenntnis auf diesem Gebiet hat, aufgrund der Ermessensreduktion im Rahmen seiner Sachaufklärung nach § 103 SGG sich die erforderliche Kenntnis durch Sachverständige verschaffen. Es ist gerade Aufgabe der Sachverständigen, dem Richter den aktuellen anerkannten Stand des Wissens darüber zu vermitteln, ob es Erfahrungssätze über Ursache-Wirkung-Beziehungen der fraglichen Art gibt und ggf welche Anwendungsbedingungen für die Anwendung dieser Sätze im Einzelfall erfüllt sein müssen. Soweit auch die Anwendung der Erfahrungssätze im Einzelfall, wie häufig, ebenfalls besondere Sachkunde erfordert, kann der Sachverständige auch damit beauftragt werden.

64

Gegenstand solcher Erfahrungssätze und ihrer generellen Anwendungsbedingungen ist, ob Vorgänge der Art des vorderen Kausalgliedes - hier: die Einwirkung auf den HWS-Bereich durch den Aufprall unter Absehung von bloßen Randbedingungen des konkreten Falles - allein oder im Zusammenwirken mit anderen nach dieser Erfahrung ursächlichen Bedingungen Vorgänge der Art des zweiten Kausalgliedes - hier: Bandscheibenvorfall C 6/7 als Gesundheitserstschaden - bewirken. Sofern diese Kausalbeziehung zwischen den beiden Arten der Kausalglieder besteht, ist das vordere eine hinreichende Ursache des folgenden Kausalgliedes. Tritt das zweite Kausalglied (hier: der Gesundheitserstschaden) immer und nur dann auf, wenn das vordere Kausalglied vorliegt, handelt es sich bei diesem um eine notwendige Ursache, bei dem zweiten um eine notwendige Wirkung. Bedingungen im Sinne der Bedingungstheorie, die erfahrungsgemäß keine solchen hinreichenden oder sogar notwendigen Wirkursachen sind, bleiben schon deshalb bei der Zurechnung außer Betracht.

65

cc) Allerdings darf das Gericht die jeweils einschlägige Wissenschaft (oder Fachkunde) auch nicht mit gebietsfremden Anforderungen überfordern, welchen dieser Erfahrungsbereich nicht genügen kann. Das Rechtssystem knüpft in den Grenzen der Rechtslogik an den jeweiligen aktuell anerkannten Stand der einschlägigen empirischen Wissenschaft (oder Fachkunde) an.

66

Es sind - gerade auch im Bereich der Medizin - nicht immer deterministische Erfahrungssätze vorhanden oder anerkannt. Sehr häufig werden nur wissenschaftlich begründete Wahrscheinlichkeitssätze (die nichts mit dem juristischen Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit zu tun haben) festgestellt werden können. Dabei gibt es in den verschiedenen Wissenschaften unterschiedliche Begriffe von empirischer Wahrscheinlichkeit bis hin zu probabilistischen Erfahrungssätzen. Sie werden nach entsprechenden Untersuchungen gelegentlich mathematisch formuliert, häufig aber allein durch tradierte Erfahrung im jeweiligen Fachkreis mit geringer Überprüfungsdichte gelehrt und/oder bloß unausgesprochen in der Praxis vorausgesetzt (begründete Vermutungen). Hier sind Unterschiede ferner zwischen Fachbereichen zu beachten, in denen es wissenschaftliche Fachdisziplinen gibt, und solchen, in denen es überwiegend nur die tradierte Erfahrung des Kreises der professionell im jeweiligen Gebiet Tätigen gibt.

67

dd) Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist also der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl hierzu zuletzt auch BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Als Maßstäbe sind jeweils, soweit vorhanden, die aktuell anerkannten Erfahrungssätze festzustellen und anzuwenden. Dies ist eine reine Tatsachenfeststellung bei der der Richter der Hilfe des Sachverständigen bedarf. Hinsichtlich der richterlichen Feststellung des Inhalts der Erfahrungssätze genügt der richterliche Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit. Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung also gerade verdeutlichen, welche Erfahrungssätze er seiner Begutachtung zugrunde legt und dass dieses Erfahrungswissen in der einschlägigen Wissenschaft (oder Fachkunde) aktuell als neuester Stand anerkannt ist.

68

ee) Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 24 ff). Ausgangsbasis der richterlichen Erkenntnisbildung über wissenschaftliche Erfahrungssätze sind auch bei Fragen der objektiven Verursachung die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich. Außerdem sind die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen. Hinzu kommen andere aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese Quellen hat der Richter jeweils kritisch zu würdigen.

69

Eine bloße Literaturauswertung durch auf dem einschlägigen Gebiet nicht fachgerecht ausgebildete Richter genügt zur Feststellung des (nicht allgemeinkundigen oder gerichtsbekannten) aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über Kausalbeziehungen in der Regel nicht. Vielmehr wird dessen Klärung im Rahmen des ohnehin benötigten Gutachtens erfolgen. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung durch den Sachverständigen, die er stets zugrunde legen muss und von der er nur durch zusätzliche Ausführungen, weshalb er ihr nicht folgt, mit wissenschaftlicher Begründung abweichen darf.

70

Bestreitet nach rechtzeitiger Einführung eines solchen Erfahrungssatzes in den Prozess einer der Beteiligten dessen Vorliegen oder Tragweite mit nicht offenkundig fernliegenden Sachargumenten, so wird das Gericht im Regelfall diesem Vorbingen durch (zumindest schriftliche) Befragung eines Sachverständigen nachzugehen haben (vgl BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

71

d) Das LSG hat hinsichtlich der strittigen Verursachung des Bandscheibenvorfalls schon keinen neuesten anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft festgestellt, sondern einen anderen Verursachungsbegriff zugrunde gelegt.

72

aa) Die Beklagte hatte unter Zitierung des Werks von Schönberger/Mehrtens/Valentin dargelegt, dass es dem dort dokumentierten Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall nur mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen vorkommen könne. Das LSG hätte hierauf selbst die Existenz oder Nichtexistenz dieses oder eines anderen anerkannten Erfahrungssatzes in der medizinischen Wissenschaft feststellen müssen.

73

bb) Dies war nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil das LSG davon ausgegangen ist, dass sich eine Feststellung des einschlägigen medizinischen Erfahrungssatzes erübrige, weil die Autoren Schönberger/Mehrtens/Valentin von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab bei der Kausalitätsbetrachtung ausgegangen seien. Sie hätten Aspekte der rechtlichen Wesentlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG mit naturwissenschaftlichen Aussagen verquickt.

74

Es ist hier nicht darauf einzugehen, ob diese Behauptungen zutreffen. Beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Gebrauch des Wortes "wesentlich" zugleich eine Äußerung zur "Theorie der wesentlichen Bedingung" sein muss. Soweit Nichtjuristen sich zu solchen juristischen Problemen äußern, liegen keine Stellungnahmen eines Sachverständigen, möglicherweise aber dennoch bedenkenswerte oder richtige Argumente vor. In keinem Fall durfte das LSG davon absehen, den aktuellen Stand der anerkannten medizinischen Erfahrung über durch Unfälle verursachte Bandscheibenvorfälle festzustellen.

75

e) Es ist nicht tunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), dass das BSG das Bestehen und den Inhalt des von der Beklagten behaupteten oder eines sonstigen aktuell anerkannten medizinischen Erfahrungssatzes über die Verursachung von Bandscheibenvorfällen durch Unfalleinwirkungen und dessen generelle Anwendungsbedingungen selbst feststellt. Zwar gehören solche generellen Erfahrungssätze dem revisiblen Bundesrecht (§ 162 SGG) an. Jedoch bedürfte es zu einer Entscheidung darüber, ob im Fall des Klägers die Vorgaben eines solchen Erfahrungssatzes erfüllt sind, der Feststellung von Einzelfalltatsachen und deren fachgerechte Zuordnung zum generellen medizinischen Erfahrungssatz. Das BSG müsste daher voraussichtlich nach Klärung des generellen Standes der anerkannten Erfahrung die Sache dennoch an das LSG zurückverweisen, dem die Feststellung von Tatsachen des Einzelfalles grundsätzlich vorbehalten ist.

76

Das LSG wird folglich nach der Zurückverweisung durch Einholung von Sachverständigengutachten und die anderen aufgezeigten Ermittlungsmöglichkeiten festzustellen haben, ob der von der Beklagten behauptete wissenschaftliche Erfahrungssatz oder ein anderer von der Mehrheit der Wissenschaftler des einschlägigen medizinischen Wissenschaftszweiges vertreten wird.

77

Lässt sich dies zur vollen richterlichen Überzeugung bejahen, so ist er nebst seinen in gleicher Weise wissenschaftlich anerkannten generellen Anwendungsbedingungen der (mindestens im richterlichen Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit zu treffenden) Feststellung zwingend zugrunde zu legen, ob im vorliegenden Fall die versicherte Einwirkung faktische Mitursache des Bandscheibenvorfalls C 6/7 war. Stellt das LSG hingegen fest, dass nicht dieser Erfahrungssatz, sondern ein anderer entsprechend anerkannt ist, ist dieser zwingend maßgeblich. In jedem Fall ist dann über die Mitursächlichkeit der Testfahrt und der durch sie verursachten Einwirkung für den Vorfall C 6/7 und dabei auch der Mitverursachungsanteil anderer Wirkursachen zu entscheiden.

78

5. Von diesen Feststellungen darf das LSG nicht wegen der zweiten Zurechnungsstufe, der rechtlichen "Wesentlichkeit" der Wirkursache für den Schaden, absehen. Das LSG hat nämlich in seinem Beschluss den dargelegten bundesrechtlichen Begriff der Wesentlichkeit unzutreffend auf den Bereich der objektiven Verursachung angewandt. Er betrifft aber allein die zweite Stufe der Zurechnung. Auf ihr geht es ausschließlich um die Rechtsfrage, ob die auf der ersten Stufe abschließend festzustellende faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der Beschäftigtenversicherung verwirklicht hat. Ggf hängt - wie oben gezeigt - diese Rechtserheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt.

79

Hierbei geht es ausschließlich um rechtliche Bewertungen (Auslegung und Subsumtion). Die Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile (Tatsachenfrage) sind bereits auf der ersten Stufe der objektiven Verursachung abschließend festzustellen. Insbesondere kann die ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung auf der ersten Stufe nicht durch Wertungen auf der zweiten ersetzt werden.

80

Das LSG wird daher, falls es auf der ersten Stufe die objektive Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Verrichtung/Einwirkung nach neuer Prüfung bejahen wird, auf der zweiten Stufe erstmals die vorgenannte Rechtsfrage beantworten müssen.

81

6. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2013 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 20. Juli 2006 eine Verletztenrente zu gewähren ist.

Der 1971 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt bei der A. AG bei der Karosserie-Aufbaulinie A3 beschäftigt. Er verletzte sich am 20. Juli 2006 am Handgelenk und an der Schulter, als sich ein verklemmter Kappenfräser löste. Er wurde von dem schweren Maschinenteil an der linken Schulter und am Rücken getroffen und zu Boden geworfen. Nach dem Bericht des Durchgangsarztes Dr. L. vom 20. Juli 2006 bestanden eine Prellung des rechten Unterarms, eine Prellung des linken Schulterblattes sowie eine Schürfwunde. Eine Fraktur wurde nicht diagnostiziert. Es bestand weiter Arbeitsfähigkeit. Im Nachschaubericht vom 12. Oktober 2006 gab Dr. L. als Befund eine Prellung rechter Unterarm, linkes Schulterblatt, eine Schürfwunde sowie eine Myogelose Schulter und Rücken an. Seit zwei Wochen übe der Kläger eine neue Tätigkeit mit regelmäßigem Heben von 5 kg aus; es seien jetzt Schmerzen und eine Verspannung im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule (BWS) und Reibegeräusche in der rechten Schulter mit gelegentlichen ziehenden Schmerzen aufgetreten. Im Bericht vom 6. Januar 2007 werden nach Angabe des Klägers immer wieder Schmerzen und Verspannungen der BWS und des rechten Schultergelenks, die sich mit wechselnder Arbeitstätigkeit Anfang Oktober 2006 verstärkt hätten, berichtet.

Eine Kernspintomographie der HWS vom 2. Oktober 2007 zeigte einen kleinen rechtsparamedianen Bandscheibenvorfall im Segment HWK 3/4 ohne Nachweis einer Myelpathie oder einer Einengung des Spinalkanals. Dr. D. diagnostizierte am 4. Oktober 2007 ein leichtgradiges Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts/links eher als Radikulopathie C 8. Mit Nachschaubericht des Dr. L. vom 10. Januar 2008 wird von der Angabe des Klägers über Schmerzen seit dem Unfall in beiden Schulterblättern berichtet, beide Schultern waren im Befund mit normaler Funktion, die Halswirbelsäule (HWS) frei, leichte Verspannung paravertebral. Mit Krankheitsbericht des Dr. L. vom 28. Januar 2008 wird auf ein Begehren des Klägers, eine neu entdeckte BWS-Verletzung von der Beklagten anerkannt zu bekommen, hingewiesen.

Eine Kernspintomographie der HWS vom 30. Januar 2008 ergab einen im Vergleich zur Voruntersuchung vom 2. Juli 2007 unveränderten Befund mit unverändert kleinem rechtsparamedian betontem Bandscheibenprolaps im Segment HWK 3/4 mit initialen ossären Abstützreaktionen.

In dem Bericht über die Kernspintomographie des linken Schultergelenks vom 13. März 2008 wird über aktivierte AC-Gelenksarthrose, deutliche Auftreibung des AC-Gelenks berichtet. Hierbei könne es sich auch um eine posttraumatische Veränderung handeln. Laut Unfallklinik M. vom 14. April 2008 bestand eine Gelenksprengung Typ Rockwood I rechts, eine Ruptur des Diskus articularis, aufgrund derer sich im Laufe der Zeit eine AC-Gelenksarthrose ausbilden würde. Ferner bestünden eine Bandscheibenprotrusion BWK 7/8 und ein Bandscheibenprolaps HWK 3/4. Im Abschlussbericht vom 28. April 2008 der Unfallklinik M. wird über eine arthroskopische AC-Gelenksresektion linke Schulter vom 21.04.2008 berichtet. Intraartikulär habe sich eine Auffaserung des superioren Labrumkomplexes im Sinne einer SLAP 1-Läsion gezeigt, die wahrscheinlich nicht unfallbedingt sei. Des Weiteren sei eine arthroskopische AC-Gelenksresektion erfolgt. Der Kläger habe während des gesamten Aufenthalts fortwährend Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich mit Kribbelparästhesien des rechten Unterarms und der Hand geklagt.

Es folgten weitere ärztliche Behandlungen, insbesondere auch der Schulter, u. a. bei Dr. H., in der Unfallklinik M., bei Herrn Dr. S. und in den Kliniken Dr. E. in den Jahren 2008 und 2009. Im Bericht über ein MRT linkes Schultergelenk vom 3. September 2008 des Dr. P. wird der postoperative Zustand mit Veränderungen im AC-Gelenk beschrieben. Bzgl. MRT der HWS vom 3. September 2008 wird von Dr. P. über einen Diskusprolaps HWK 3 /4 berichtet, Streckhaltung der oberen und mittleren HWS im Liegen, keine das Altersmaß überschreitenden degenerativen Veränderungen. Weiter liegt ein Bericht über die Kernspintomographie des Neurocraniums vom 30. September 2008 vor.

Auf weitere Berichte v.a. des Dr. H., Kliniken Dr. E., vom 9. Oktober 2008, der Klinik B. F. vom 7. Oktober 2008 über berufliche Rehabilitation seit 5. August 2008, des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. G. vom 3. November 2008, des Neurochirurgen Dr. C. vom 23. April 2008, den vorläufigen Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 19. Januar 2009 über stationäre Reha-Behandlung vom 5. August 2008 bis 20. Januar 2009 sowie den ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik B. vom 25. Februar 2009 (als Diagnosen werden neben den Reha-Diagnosen bzgl. der linken Schulter als weitere Diagnosen kleiner Bandscheibenprolaps C 3 /4 sowie Anpassungsstörung im Rahmen Persönlichkeitsstörung genannt) wird verwiesen.

Die Beklagte holte im Rahmen der ersten Rentengutachten ein neurologisches Zusatzgutachten zum Rentengutachten vom 27. März 2009 der Dipl.Med. B. R. ein. Als wesentliche Unfallfolgen bestünde ein Zustand nach Acromioclavikularruptur Tossy links mit ACG-Arthrose. Aus neurologischer Sicht bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

In dem von der Beklagten eingeholten Gutachten auf psychiatrischem Gebiet des Prof. Dr. P. vom 17. Juli 2009 werden als Diagnosen für die Zeit nach dem Arbeitsunfall bis zu einem zweiten Arbeitsunfall am 8. Dezember 2007, bei dem sich der Kläger den Kopf bei einem Sprung nach oben an einer Absaugung gestoßen hat, eine depressive Episode leichten Grades, für die Zeit danach eine depressive Episode mittleren bis schweren Grades beschrieben. Die MdE betrage hierfür 15 v. H. bzw. 60 v. H. Durch die Geburt der jüngsten Tochter (mit gesundheitlicher Einschränkung) im Juli 2007 sei es zu einer geringfügigen Befundverschlechterung gekommen. Die Befundverschlechterung stehe jedoch nicht in kausalem Zusammenhang mit den Arbeitsunfällen. Eine somatoforme Schmerzstörung sei nicht gegeben.

Im unfallchirurgischen Gutachten des Dr. S. vom 27. Juli 2009 wird eine seitengleich ausgebildete Muskulatur an Ober- und Unterarmen geschildert, auch die Handflächenbeschwielung sei seitengleich. Aus den aktuellen Röntgenaufnahmen der linken Schulter ergebe sich kein Hinweis auf ein auffälliges Impingement, die Knochenstruktur sei regelrecht. Der Gutachter nannte als Diagnosen eine AC-Gelenksverletzung Typ Rockwood I linke Schulter, AC-Gelenksarthrose posttraumatisch und unfallunabhängig eine SLAP 1-Läsion linke Schulter sowie eine Bandscheibenprotrusion HWK 3/4. Es lägen Unfallfolgen vor bzgl. Bewegungseinschränkung linke Schulter, Kraftverlust linker Arm, röntgenologische Veränderungen mit lateraler Clavikularesektion bei deutlichen Aggravationstendenzen. Die MdE wurde auf 10 v. H. eingeschätzt. Der Sachverständige wies auf eine deutliche Diskrepanz zwischen angegebenen Beschwerden und tatsächlich objektivierbaren Unfallverletzungsfolgen hin.

Mit beratungsärztlicher Stellungnahme des Prof. Dr. G. wurde eine erneute Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet empfohlen. Der Klägerbevollmächtigte teilte am 14. Oktober 2009 mit, es werde keine neue Begutachtung im Verwaltungsverfahren gewünscht.

Mit ergänzender Stellungnahme des Dr. P. vom 29. Dezember 2009 wies dieser auf das Fehlen psychiatrischer Vorerkrankungen vor dem ersten Arbeitsunfall hin. Beide Unfallgeschehen seien generell geeignet, psychiatrische Erkrankungen auszulösen. Das erste Unfallereignis sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursächlich und wesentlich für die depressive Episode leichten Grades. Der zweite Arbeitsunfall sei lediglich Gelegenheitsursache für die Verschlechterung. Zu diesem Zeitpunkt habe eine psychiatrische Vorerkrankung nach dem ersten Arbeitsunfall bestanden. Bislang bestehe keine ausreichende psychiatrische Behandlung. Es liege zum Nachuntersuchungszeitpunkt eine Besserung der MdE auf 50 v. H. vor, anzustreben sei ein rehabilitative Wiedereinstieg am Arbeitsplatz mit dem Ziel leichterer Tätigkeiten.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. K. vom 8. April 2010 wird ein im Vollbeweis vorliegender psychischer Primärschaden in Abrede gestellt. Eine messbare unfallbedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe bzgl. des Unfalls vom 20. Juli 2006 und auch bzgl. des Unfalls vom 8. Dezember 2007 nicht.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2010 erkannte die Beklagte den Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 an mit den Unfallfolgen: „Linke Schulter: Nach einer Verrenkung des Schultereckgelenkes mit Zerrung des Kapsel-/Bandapparates (Rockwood I) bestehen noch: Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes, röntgenologische Veränderungen des Schultereckgelenkes mit Teilentfernung des äußeren Anteils des Schlüsselbeins, Kraftverlust des Armes, belastungsabhängige Beschwerden.“ Nicht als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt die Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2007, eine depressive Episode mittleren bis schweren Grades, eine Verletzung der Knorpellippe am oberen Rand der Schulterpfanne (SLAP Läsion), Bandscheibenschädigungen zwischen dem 3. und 4. HWK. Eine Verletztenrente sei nicht zu gewähren.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2011 zurück. Zu den im Widerspruchsverfahren vorgelegten MRT-Bildern der linken und rechten Schulter hatte die Beklagte eine Stellungnahme des Prof. Dr. B. vom 18. Januar 2011 eingeholt. Anlässlich der MRT-Untersuchungen im September 2010 habe ein leichtgradiger Reizzustand des Schulterdachgleitbeutels (Bursitis subacromialis) und ein leichter Reizzustand des ehemaligen Schultereckgelenks vorgelegen.

Hinsichtlich des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2007 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Feststellung von Unfallfolgen ab. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht München (Az.: S 9 U 187/11) hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2013 zurückgenommen.

Hinsichtlich des Bescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011, der den Arbeitsunfall vom 20. Juli 2006 betraf, hat der Kläger ebenfalls Klage zum Sozialgericht München erhoben. Er hat zur Begründung eine Darstellung des Unfallhergangs (Schleudern mit Oberkörper, Kopf und Nackenbereich gegen Robotersockel, Bewusstlosigkeit nach dem Unfall) und der nachfolgenden Behandlungen vorgelegt.

Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte eingeholt und den Orthopäden Dr. K. sowie den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

Dr. K. hat in seinem Gutachten vom 5. November 2011 die Ansicht vertreten, dass die MdE weniger als 10 v. H. betrage. Allerdings sei bereits der Unfallhergang bzw. -zusammenhang fraglich, wegen der wohl großen Gewalteinwirkung sei jedoch der Unfall als wesentliche Teilursache der aufgetretenen Schultereckgelenksschädigung anzusehen.

Dr. D. hat in seinem Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vom

3. März 2012 dargelegt, dass bei dem Unfall Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht aufgetreten seien. Erstmals etwa zwei Jahre nach dem Unfall seien psychische Auffälligkeiten zu beobachten gewesen, zu werten als Zeichen einer beginnenden psychogenen Fehlverarbeitung tendenzieller Ausrichtung. Diese seien nicht als Unfallfolgen anzusehen, sondern als Folge von Persönlichkeitseigentümlichkeiten. Vorbestehende Leiden seien durch den Unfall auch nicht verschlimmert worden. Hinsichtlich der MdE hat der Sachverständige auf das Gutachten des Dr. K. verwiesen.

Mit Bericht vom 30. Juli 2012 der BG-Unfallklinik M. wird über Behandlung am gleichen Tag berichtet. Es wird angeführt, dass nach der letzten MRT-Untersuchung wesentliche Unfallfolgen nicht mehr nachzuweisen seien. Es liege eine erhebliche psychosomatische Überlagerung vor. Es erging Empfehlung einer psychosomatischen Behandlung, allerdings zulasten der Krankenkasse.

Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Prof. Dr. W. auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet vom 25. Januar 2013 eingeholt. Bei nach dem Unfall fortbestehenden Schmerzen sei eine Gelenksprengung Typ Rockwood I links diagnostiziert worden. Eine valide diagnostische Einordnung der neuropsychologischen Untersuchungsergebnisse sei nicht möglich. Aufgrund der Schmerzen habe sich eine somatoforme Schmerzstörung entwickelt. Die MdE sei deshalb mit 20 v. H. auf psychiatrischem Fachgebiet anzusetzen. Dabei sei berücksichtigt, dass auch Aggraviationstendenzen vorhanden seien - was jedoch nicht untypisch für somatoforme Schmerzstörungen sei. Im Gegensatz zur Begutachtung bei Herrn

Dr. B./Dr. P. fänden sich keine Hinweise auf Depression oder depressive Phasen. Auf neurologischem Fachgebiet sei keine Schädigung nachzuweisen. Das vom Kläger angeführte Schädelhirntrauma mit sechzehnminütiger Bewusstlosigkeit im Rahmen des Unfalls sei in den Unterlagen nicht dokumentiert.

Im weiterhin übersandten neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 14. September 2012 des Prof. Dr. Z. wird hervorgehoben, dass sich insgesamt in den Bereichen Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis, exekutive Funktionen durchwegs deutlich beeinträchtigte Leistungen ergeben hätten. Sprach- und Instruktionsverständnis wäre gut gegeben gewesen, die erhaltenen Ergebnisse seien nicht interpretierbar.

Die Kammer hat ferner das in dem Verfahren eingeholte Gutachten des Prof. Dr. W. vom 23. April 2013, das den Arbeitsunfall vom 8. Dezember 2007 betroffen hat, sowie das im Rentenverfahren (Az. S 25 R 174/13) eingeholte sozialgerichtliche Gutachten des Dr. M. vom 16. Juli 2013 beigezogen. Dr. M. hat neben einer leichtgradigen depressiven Episode eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2013 hat die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld für den Zeitraum vom 14. April 2008 bis 20. Januar 2009 anerkannt. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil abgewiesen. Unter Berücksichtigung des Erstschadensbildes, dem Gutachten des Dr. K. und der Fachliteratur werde aus orthopädischer Sicht keine rentenberechtigende MdE von wenigstens 20 v. H. erreicht. Auch weitere Unfallfolgen in Form der von Prof. Dr. W. befürworteten somatoformen Schmerzstörung seien zur Überzeugung des Gerichts nicht anzuerkennen. Diese Diagnose sei nicht gesichert.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und die Einholung eines „Obergutachtens“ auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet angeregt.

Der gemäß § 109 SGG gehörte Orthopäde Dr. C. hat als Unfallfolgen in seinem Gutachten vom 5. Mai 2014 lediglich eine Prellung des rechten Armes und der rechten Schulter sowie eine Prellung des linken Schulterblattes mit begleitender Schürfverletzung angenommen. Es gelinge nicht der Beweis einer stattgehabten Schultereckgelenksverletzung links. Der festgestellte Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS müsse als degenerativ bewertet werden. Sämtliche Unfallfolgen seien bis 12. Oktober 2006 folgenlos ausgeheilt. Eine MdE bestehe nicht.

Zu dem Gutachten des Prof. Dr. W. hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. D. vom Juli 2014 eingeholt. Dieser hat an seinem Gutachtensergebnis festgehalten. Weder eine undifferenzierte somatoforme Schmerzstörung noch eine somatoforme Schmerzstörung seien in der Diagnosestellung und erst recht nicht als Unfallfolge belegt. Eine psychische Störung sei erst ca. zwei Jahre nach dem Unfall dokumentiert. Daraus allein könne zwar nicht geschlossen werden, dass keine unfallbedingte psychische Störung vorliege und vorgelegen habe. Dies sei aber im Hinblick auf den fachärztlichen Vorbefund (kein auffälliger psychischer Befund bei der Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. am 4. Oktober 2007) spekulativ. Soweit Dr. M. neben einer leichtgradigen depressiven Episode eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert habe, sei aus den Befunden nur bedingt nachvollziehbar, wie er zu dieser Diagnose gekommen sei, zumal er in der Beurteilung immer wieder auf erhebliche Aggraviationstendenzen des Klägers hinweise.

Der Durchgangsarzt Dr. S. hat in seinem Befundbericht vom 17. Februar 2014 ein chronisches Schmerzsyndrom an der linken Schulter (ICD 10) diagnostiziert. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. W. hat am 5. März 2014 eine Anpassungsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Eine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sei nicht erfolgt. Hinsichtlich eines Zusammenhangs mit den Unfallereignissen hat die Ärztin auf die Diskussion in den Gutachten verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2014 hat der Kläger nochmals den Unfallhergang geschildert und auf seitdem bestehende gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen hingewiesen. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 20. Juli 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakte des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Nicht streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII), der in dem Ereignis vom 20. Juli 2006 zu sehen ist. Die Schilderung des Unfallereignisses durch den Kläger, vor allem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, deckt sich im Wesentlichen mit der Schilderung der Arbeitgeberin in der Unfallanzeige. Der Kläger wurde an Rücken und Schulter von dem schweren Maschinenteil getroffen und stürzte zu Boden, wobei er sich auch an der rechten Schulter stieß. Zu Recht weist z. B. auch der vom Kläger benannte Gutachter Prof. Dr. W. darauf hin, dass ein Schädelhirntrauma mit sechzehnminütiger Bewusstlosigkeit nach Aktenlage nicht dokumentiert ist. Es bestehen erhebliche Differenzen zwischen den vorliegenden Befunden - ausgehend von dem Durchgangsarztbericht des Dr. L. vom Unfalltag - und der späteren Darstellung der Schwere des Unfallereignisses durch den Kläger. Mehrere Gutachter verweisen auf die deutlichen Aggravationstendenzen des Klägers; auch objektiv ist festzuhalten, dass der Kläger weiterarbeiten konnte und vom Durchgangsarzt Arbeitsfähigkeit bescheinigt wurde.

Die Beklagte hat mit streitgegenständlichem Bescheid den Arbeitsunfall sowie als Unfallfolgen betreffend der linken Schulter festgestellt: „Nach einer Verrenkung des Schultereckgelenkes mit Zerrung des Kapsel-/Bandapparates (Rockwood I) bestehen noch: Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes, röntgenologische Veränderungen des Schultereckgelenkes mit Teilentfernung des äußeren Anteils des Schlüsselbeins, Kraftverlust des Armes, belastungsabhängige Beschwerden“. Von diesen Unfallfolgen ist zunächst auszugehen, auch wenn nach dem Gutachten des Dr. C. der Nachweis einer Schultereckgelenksverletzung links nicht als Unfallfolge gelingt.

Nach allen Gutachten ergibt sich darüber hinaus übereinstimmend, dass der festgestellte Bandscheibenvorfall BWK 3/4 keine Unfallfolge ist. Auch ergibt sich aus den orthopädischen Gutachten übereinstimmend, dass keine weiteren Unfallfolgen auf diesem Fachgebiet anzuerkennen sind.

Zu entscheiden ist über die Frage, ob sich hieraus ein Anspruch auf eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. ergibt. Das Vorliegen eines Stützrententatbestandes wird von den Beteiligten verneint. Darüber hinaus ist maßgebend, ob auch eine somatoforme Schmerzstörung besteht, die ebenfalls für die Bewertung der MdE zu berücksichtigen wäre.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 S. 2 SGB VII. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSGE 21, 63, 66; vom 26. November 1987, SozR 2200 § 581 Nr. 27; vom 30. Mai 1988, a. a. O., Nr. 28).

Dabei muss die Gesundheitsbeeinträchtigung in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z. B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.

Das Sozialgericht hat unter Berücksichtigung der Gutachten des Dr. K. dargelegt, dass auf orthopädischem Fachgebiet eine MdE von 20 v. H. nicht gegeben ist. Das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung hat das Sozialgericht unter Auswertung der Gutachten des Dr. D. und Prof. Dr. W. als nicht nachgewiesen beurteilt. Der Senat folgt dieser Einschätzung durch das Sozialgericht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dies bestätigte sich auch durch die Ermittlungen des Senats im Berufungsverfahren.

Auf orthopädischem Fachgebiet hat der Senat auf Antrag des Klägers das Gutachten des Dr. C. eingeholt, der nur als unfallbedingt eine Prellung des rechten Armes und der rechten Schulter sowie eine Prellung des linken Schulterblattes mit begleitender Schürfverletzung angenommen hat und deshalb im Ergebnis zu keiner MdE gelangt. Sämtliche Unfallfolgen sind nach Ansicht dieses Sachverständigen bis 12. Oktober 2006 folgenlos ausgeheilt. Eine stattgehabte Zerrverletzung des Schultereckgelenks vom Typ Rockwood I hat der Sachverständige als rein hypothetisch angesehen bzw. aufgrund der offensichtlich unfallzeitpunktnahen Beschwerdefreiheit am linken Schultereckgelenk ausgeschlossen. Diese stringente medizinische Bewertung steht, wie dargelegt, im Widerspruch zu den orthopädischen Vorgutachten des Dr. S., der als unfallbedingte Folge eine AC-Gelenksverletzung Typ Rockwood I linke Schulter sowie eine AC-Gelenksarthrose posttraumatisch ansah, und des Dr. K.. Letztere sah die im Unfall aufgetretene deutliche Gewalteinwirkung wenigstens als wesentliche Teilursache der aufgetretenen Schultereckgelenksschädigung an. Gemäß dem Gutachten des Dr. S. hat die Beklagte auch die orthopädischen Unfallfolgen anerkannt. Auch nach diesen beiden Gutachten ergibt sich jedoch keine MdE in Höhe von 20 v. H.

Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Fachliteratur. Während unkomplizierte Schultergelenksverrenkungen regelmäßig ohne nennenswerte Schäden ausheilen, ist bei den darüber hinausgehenden Beeinträchtigungen vor allem auf die Bewegungseinschränkungen abzustellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin (abgekürzt S/M/V), Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 520 und 523). Beim Kläger besteht ein Impingementsyndrom, d. h. ein Engpasssyndrom. Dr. K. konnte im Rahmen der Untersuchung keine reproduzierbare Bewegungseinschränkung insbesondere hinsichtlich der Überkopfbewegungen feststellen. Auch wenn der Kläger den linken Arm in Schonhaltung am Körper adduziert geführt hat, waren die gemessenen Bewegungsausmaße der Schultergelenke rechts und links identisch. Dr. C. stellte lediglich eine Abweichung bei Seithebung mit Schultergürtel fest (rechts 90 Grad, links 70 Grad); die aktive Schultervorhebung, nach S/M/V das Hauptkriterium (S/M/V, a. a. O; S. 523), war mit 90 Grad seitengleich. Die Entwicklung des Deltamuskels war seitengleich normal. Es zeigte sich links auch keine auffallende Atrophie oder Mindertonisierung. Eine MdE - zumindest in Höhe von 20 v. H. - lässt sich hieraus somit nicht ableiten.

Auf psychiatrischem Fachgebiet ist fraglich, ob eine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung nachgewiesen ist. Nach den im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Berichten wie des Dr. S. hat der Kläger Schmerzen im Bereich der linken Schulter; Dr. S. geht von einem chronischen Schmerzsyndrom an der linken Schulter aus. Die Beklagte hat auch belastungsabhängige Beschwerden - neben Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks - anerkannt.

Es finden sich auch einige ärztliche Dokumentationen wie das Gutachten des Prof. Dr. W., das Rentengutachten des Dr. M. oder der Arztbrief der Dr. W. vom 5. März 2014, die eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung beschreiben. Dabei ergibt sich aber andererseits auch aus diversen Ausführungen, dass eine deutliche Aggraviationstendenz des Klägers besteht. Ferner erfolgt nach Auskunft der behandelnden Neurologin Dr. W. entgegen der Empfehlungen der Gutachter bislang keine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung.

Dr. D. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass weder die Diagnose einer undifferenzierten somatoformen Schmerzstörung noch einer somatoformen Schmerzstörung belegt ist und erst recht nicht als Unfallfolge anzuerkennen ist. Eine psychische Störung ist erst ca. zwei Jahre nach dem Unfall dokumentiert. Die fachärztlichen Vorbefunde waren zwischen dem Unfallereignis und der ersten Befunderhebung unauffällig, so bei der Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. am 4. Oktober 2007. Auch aus dem Gutachten des Prof. Dr. W. ergeben sich hinsichtlich der Frage der Unfallkausalität - bei Annahme der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung - Anhaltspunkte für Zweifel auch des Sachverständigen, wenn er auf S. 84 seines Gutachtens ausführt: „Soweit der Kausalzusammenhang bejaht wird“. Darüber hinaus stellt der Sachverständige z. B. im Rahmen des strukturierten klinischen Interviews stark auf die Angaben des Klägers (z. B. auf S. 59: (...)“nach seinen Aussagen“) ab. Die Ursachen somatoformer Schmerzstörungen sind, wie Prof. Dr. W. auch ausführt, vielfältig. Es spielen die genetische Vulnerabilität sowie die Persönlichkeitseigenschaften eine wichtige Rolle. Der Unfall stellt somit auch nach Prof. Dr. W. nur eine Teilursache, wenn auch eine wesentliche, dar.

Die Neurologin und Psychiaterin Dr. R. diagnostizierte am 4. August 2008 erstmals eine somatoforme Schmerzstörung, es fiel aber bereits eine deutliche Somatisierungstendenz auf, die Beschwerdeschilderung war teils demonstrativ und kaum nachvollziehbar, Aggravationstendenzen waren nicht auszuschließen. Vor dem Hintergrund der erst spät dokumentierten psychischen Befunde und den Verdeutlichungstendenzen hält der Senat die Ausführung des Dr. D. für überzeugend, dass es sich insgesamt nicht um eine unfallbedingte Gesundheitsstörung, sondern um tendenzielle Verhaltensweisen im Sinne einer psychogenen Fehlverarbeitung tendenzieller Ausrichtung handelt. Der Sachverständige sieht hier die wesentliche Ursache nicht in dem Unfallereignis, sondern in den Persönlichkeitseigentümlichkeiten, so dass eine Berücksichtigung bei der MdE-Bewertung nicht erfolgen kann.

Auch die Unfallklinik M. ist bereits im Juli 2012 zu dem Ergebnis gelangt, nachdem die letzte MRT-Untersuchung ergeben hat, dass wesentliche Unfallfolgen nicht mehr nachgewiesen werden können, dass ein vernünftiger Behandlungsansatz fehlt. Es konnten weder Reizzustände noch andersartige Gewebeveränderungen festgestellt werden, die als Erklärung für die vorgetragene Schmerzhaftigkeit in der Schulter in Betracht kommen. Das Ausmaß der verbliebenen Unfallfolgen war objektiv aufgrund unverkennbarer Verdeutlichungstendenzen nur sehr schwer zu messen. Es wurde im Ergebnis eine erhebliche psychosomatische Überlagerung angenommen, so dass als der einzige denkbare Therapieansatz eine psychosomatische Behandlung vorgeschlagen wurde, allerdings zulasten der Krankenkasse.

Der Senat ist daher zu der Überzeugung gelangt, dass keine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung vorliegt, sondern eine Persönlichkeitseigentümlichkeit im Vordergrund steht. Aber auch bei Annahme einer Schmerzstörung ergäbe sich bei der Bewertung der MdE kein abweichendes Ergebnis, wie dies oben unter Bezugnahme auf die Fachliteratur bereits dargelegt wurde. Die beim Kläger festgestellten Bewegungsmaße lassen nur eine geringfügige Bewegungseinschränkung erkennen. Eine Muskeldifferenz im Bereich der Oberarme ist nicht gegeben. Dabei ist der Kläger von kräftiger Statur, der Muskelumfang 15 cm oberhalb des Gelenkspaltes wurde von Dr. C. mit jeweils 35 cm seitengleich gemessen. Dies spricht nicht für ein Ausmaß der Schmerzen, das zu einer MdE in Höhe von 20 v. H. führen würde.

Eine depressive Episode, wie von Dr. B./Dr. P. beschrieben, bestätigte sich in den letzten Gutachten nicht. Ausdrücklich weist hierauf auch Prof. Dr. W. hin.

Nicht ausreichend für die Gewährung einer Verletztenrente ist ein Vorbringen, vor dem Unfallereignis gesund gewesen zu sein und seitdem unter verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen einem Unfallereignis und Gesundheitsschäden ist nicht ausreichend.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 1960 geborene Klägerin, die am 30. April 1978 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zuzog, absolvierte keine Berufsausbildung. Vom 25. Mai 1987 bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 17. Januar 2011 war sie als Maschinenarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Beendigung der Lohnfortzahlung bezog sie vom 28. Februar 2011 bis 17. Juli 2012 Krankengeld und sodann bis 2. November 2013 Arbeitslosengeld.
Vom 27. Juli bis 17. August 2011 absolvierte die Klägerin eine ambulante medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Psychosomatisch-Psychotherapeutischen Rehabilitationszentrum (PPRZ) S.. Leitender Arzt Dr. H. diagnostizierte in seinem Entlassungsbericht vom 25. August 2011 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine schwere Innenohrschwerhörigkeit links stärker als rechts, einen hochgradigen Tinnitus beidseits und eine arterielle Hypertonie. Er führte aus, die therapeutische Zugänglichkeit der Klägerin in der Einzeltherapie sei auch aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse äußerst eingeschränkt gewesen. Die Klägerin sei sehr auf ein somatisches Krankheitskonzept fokussiert gewesen. Aufgrund ihrer Schwerhörigkeit habe sie keine Chance gehabt von der Atemtherapie zu profitieren. Die Klägerin wurde mit einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenarbeiterin und auch für leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne besondere Anforderungen an Gang- und Standsicherheit, Zwangshaltung und Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Hörfähigkeit sowie erhöhte Gefährdungs- und Belastungsfaktoren entlassen.
Am 25. November 2011 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung führte sie aus, sie halte sich wegen Depression, eines starken Tinnitus, seit fünf Jahren bestehenden Schlafstörungen, Schwindel, Vergesslichkeit, Schmerzen am Beckenboden und Senkwehen seit 17. Januar 2011 für erwerbsgemindert. Facharzt für Neurologie und Psychiatrie B. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 21. Februar 2012 u.a. unter Berücksichtigung der im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit der Klägerin auf Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft (L 6 SB 5571/10) angefallenen Unterlagen, insbesondere des auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten orthopädischen Gutachtens des Orthopäden Dr. Sc. vom 30. Oktober 2011 (Diagnosen u.a. Anpassungsstörung, Tinnitus mit Schwerhörigkeit links mehr als rechts mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit), sowie Arztbriefen und Bescheinigungen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. La. aus den Jahren 2005 bis 2011, eine nach heutiger Einschätzung depressive Entwicklung, leichtgradige depressive Symptomatik, überwiegend dysthyme Unterlagerung, eine Innenohrschwerhörigkeit linksbetont, einen Tinnitus aurium linksseitig und eine geringgradig ausgeprägte, undifferenzierte Somatisierungsstörung mit auch Angabe von somatoformen Beschwerden. Hinweise für eine höhergradige depressive Symptomatik hätten nicht erhoben werden können. Das Medikament Duloxetin, mit dem die psychische Symptomatik behandelt werde, sei im Blut nicht nachweisbar gewesen. Insgesamt sei die ambulante psychiatrische Behandlung mit nur sehr weitmaschigen Kontakten zum Nervenarzt, offensichtlich fehlender suffizienter psychopharmakologischer Behandlung und nicht durchgeführter Regelpsychotherapie als nicht intensiv zu bezeichnen. Insofern könne auf eine Intensivierung verwiesen werden. Die Klägerin könne ihre bisherige Tätigkeit als Arbeiterin mit Lärmbelästigung nur noch unter drei Stunden täglich verrichten. Mittelschwere Wechseltätigkeiten ohne Nachtschicht und Akkord sowie ohne Tätigkeiten mit vermehrter Lärmbelastung seien der Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich möglich. Mit Bescheid vom 2. März 2012 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.
Die Klägerin erhob am 26. März 2012 Widerspruch. Sie trug vor, der medizinische Sachverhalt spreche dafür, dass eine Erwerbsminderung vorliege. Dr. La. führte in seinem am 30. März 2012 bei der Beklagten eingegangenen „Widerspruch“ vom 8. März 2012 aus, dass die Einschätzung bzw. Beurteilung, wonach die Klägerin an einer leichtgradigen depressiven Symptomatik leide, absolut nicht der Realität entspreche. Die depressive Symptomatik sei ohne Zweifel mittelgradig bis schwer ausgeprägt. Die Klägerin sei auch nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bewältigen. Auch von Seiten des PPRZ sei ausgeführt worden, dass ihre Leistungsfähigkeit aufgehoben sei. Die Beklagte hörte hierzu Arzt B., der bei der Beurteilung des bisherigen Leistungsvermögens verblieb (Stellungnahme vom 21. Juni 2012). Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2012 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Nach Auffassung des Sozialmedizinischen Dienstes seien unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und den sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Ihr seien noch mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht, Akkord und Tätigkeiten mit vermehrter Lärmbelastung sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Er, der Widerspruchsausschuss, habe sich mit allen vorgetragenen medizinischen und rechtlichen Sachverhalten auseinandergesetzt und keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch weniger als sechs Stunden (somit keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) oder weniger als drei Stunden (somit keine Rente wegen voller Erwerbsminderung) täglich arbeiten könne. Da das sozialmedizinische Ergebnis schlüssig und nachvollziehbar sei, schließe er, der Widerspruchsausschuss, sich der Beurteilung des Sozialmedizinischen Dienstes an. Auch den rechtlichen Schlussfolgerungen, die sich daraus ergäben, stimme er zu.
Am 3. August 2012 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie trug vor, sie erfülle die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die maßgebliche Gesundheitsstörung liege bei ihr auf psychiatrischem Fachgebiet. Der sie behandelnde Arzt Dr. La. habe bei ihr eine mittelgradig ausgeprägte depressive Störung diagnostiziert. Dr. La. und Dr. H. hätten ihr Leistungsvermögen auf unter drei Stunden eingeschätzt. Die Feststellungen des Gutachters B. könnten vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. Durch ihre Schwerhörigkeit komme es darüber hinaus zu einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung. Vor dem Hintergrund, dass nach Aussage des Sachverständigen Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. He. (hierzu im Folgenden) sich die somatoforme Schmerzstörung in andauernden, schweren und quälenden Schmerzen äußere, sei dessen Einschätzung ihres Leistungsvermögens nicht nachvollziehbar. Sowohl eine im Grenzbereich zu einer mittelgradigen Depression liegende Erkrankung als auch die somatoforme Schmerzstörung führten zu einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie legte die ärztliche Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E.-D. vom 16. April 2013 vor, die die Auffassung vertrat, dass bei Würdigung aller Gutachten, sachverständigen Zeugenauskünfte und Befundberichte nichts gegen die von der Beklagten vertretene Leistungseinschätzung spreche.
Das SG hörte die die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Dr. La. teilte unter dem 17. Dezember 2012 mit, dass sich die Klägerin seit 2. Juli 2003 in seiner ambulanten Behandlung befinde. Die Termine seien in den ersten Jahren engmaschiger, in den letzten Jahren ein- bis zweimal pro Quartal erfolgt. Bei den Gesprächsterminen sei meist ein Familienmitglied als Dolmetscher mit dabei gewesen. Aktuell werde die Medikation mit Citalopram 20 mg fortgesetzt. Diagnostisch sei von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradig ausgeprägten depressiven Phasen auszugehen. In Übereinstimmung mit der Beurteilung des Dr. H. halte er die Klägerin für weniger als drei Stunden täglich für leichte Arbeiten belastbar. Orthopäde Dr. Gr. führte unter dem 22. Dezember 2012 aus, dass die Klägerin an einem chronisch rezidivierenden Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgie links bei Blockierung des Sacroiliakalgelenks (SIG) links stärker als rechts, einer Brust- und Halswirbelsäulenblockierung, einem Fersensporn und Haglund-Exostosen beidseits und einer Bursitis trochanterica links leide. Die übrigen Störungen wie somatoforme Schmerzstörung und Verdacht auf Polymyalgia rheumatica und auf Fibromyalgie seien eher dem neurologischem Fachgebiet zuzuordnen. Durch die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet sei eine Einschränkung insoweit zu sehen, als eine schwere körperliche Belastung mit Heben und Tragen von Lasten über zehn Kilogramm in Zwangshaltungen der Wirbelsäule nicht mehr durchgeführt werden sollte. Von der Beurteilung der Leistungseinschätzung im Gutachten des Arztes B. weiche er nicht ab. Arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. A. reichte am 4. März 2013 einen Befundschein zur Vorlage beim Versorgungsamt vom 27. Februar 2013 mit den Diagnosen idiopatischer Tinnitus auris beidseits, Taubheit links und mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts ein.
Sodann erstattete Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. He. das Gutachten vom 5. Juli 2013. Der Sachverständige, der die Klägerin unter Heranziehung einer Dolmetscherin befragte, führte aus, eine Verständigung sei mit der Klägerin, die sich mit dem rechten Ohr der Dolmetscherin zugewandt habe, ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Teilweise habe die Klägerin auch direkt auf die von ihm gestellten Fragen geantwortet. Die Klägerin habe ihm gegenüber angegeben, dass sie Citalopram 20, Amineurin 10 und Dominal einnehme, wobei sie letzteres weglassen solle, weil es ihr Magenprobleme bereite. Sie stehe zwischen 5.00 und 7.00 Uhr auf, frühstücke dann in der Regel und nehme im Anschluss daran zum Teil Arzttermine wahr oder erledige insbesondere die leichteren Sachen der Hausarbeit, sehe fern oder lese ein wenig. Wenn es ihr gut gehe, koche sie ein Mittagessen, wenn es ihr schlecht gehe, esse sie etwas Kaltes. Abends schaue sie mit dem Ehemann fern, zu Bett gehe sie zwischen 22.00 und 23.00 Uhr. Kontakt habe sie zu ihren Kindern und deren Familien, ab und zu kämen Freundinnen oder befreundete Ehepaare. Zum Nervenarzt gehe sie alle drei Monate. Dr. He. diagnostizierte eine depressive Erkrankung, derzeit leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode, und anhaltende somatoforme Störungen. Die vorherrschenden Beschwerden der somatoformen Störung seien andauernde, schwere und quälende Schmerzen, die durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden könnten. Die Erkrankungen würden gewisse qualitative Leistungseinschränkungen bedingen. Eine Überforderung durch Akkord-, Nachtarbeit oder durch Arbeiten unter besonderem Zeitdruck müsse vermieden werden. Dies gelte gleichermaßen für besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung. Bei Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen seien der Klägerin Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden täglich möglich.
10 
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Oktober 2013 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Dies stehe nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen, insbesondere auf Grund des von dem Gutachter B. erstatteten Gutachtens, der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. Gr. und den Ausführungen des Sachverständigen Dr. He. fest. Aus den von Dr. A. mitgeteilten Diagnosen lasse sich eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht ableiten. Nicht zu folgen vermöge die Kammer im Ergebnis der Einschätzung des Dr. La. und des Dr. H.. Aus der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. La. lasse sich nicht entnehmen, auf Grund welcher konkreter Krankheitssymptome er von einer eingeschränkten körperlichen und psychischen Belastbarkeit wie geminderten Leistungsfähigkeit ausgehe. Überdies habe die Klägerin die Arzttermine bei Dr. La. alleine oder in Begleitung von Familienangehörigen, die teilweise als Dolmetscher fungierten, wahrgenommen, während bei der Begutachtung bei Dr. He. eine allgemein beeidigte Dolmetscherin anwesend gewesen sei. Insofern vermöge auch die Stellungnahme des Dr. H. hinsichtlich der beschriebenen eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht zu überzeugen, zumal die dort behandelnden Ärzte eingeräumt hätten, dass auf Grund der Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten die therapeutische Zugänglichkeit der Klägerin äußerst eingeschränkt gewesen sei. Die Beschreibung, dass die Klägerin beispielsweise im Rahmen der Atemtherapie auf Grund ihrer Schwerhörigkeit keine Chancen gehabt habe, hiervon zu profitieren, stehe in diametralem Widerspruch zu der in der Begutachtungssituation beschriebenen problemlosen Verständigung unter Zuhilfenahme der Dolmetscherin und unter Nutzung der vorhandenen Hörgeräte. Die Kammer vermöge sich auch nicht der gutachterlichen Einschätzung des Orthopäden Dr. Sc. hinsichtlich der Schwere der psychischen Erkrankung anzuschließen. Auf seinem Fachgebiet habe Dr. Sc. maßgebende rentenrelevanten Leistungseinschränkungen nicht bestätigen können. Der von Dr. Sc. behauptete soziale Rückzug und ein geändertes Freizeitverhalten habe sich in der Untersuchungssituation bei Dr. He. gerade nicht verifizieren lassen. Auch die Inanspruchnahme nervenärztlicher Hilfe und die Einnahme von Psychopharmaka rechtfertige allein noch nicht die Annahme einer Erwerbsminderung, zumal die Klägerin nach den Aussagen von Dr. La. zwischenzeitlich nur noch einmal täglich Citalopram 20 mg zu sich nehme im Gegensatz zu der höheren Medikation im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. Sc.. Darüber hinaus liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und keine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der bei der Klägerin vorliegenden Ohrenerkrankung. Die Klägerin sei mit einem Hörgerät versorgt und habe bei der Begutachtung durch Dr. He. keine hörbedingten Verständigkeitsschwierigkeiten gezeigt. Die Klägerin habe darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Bei der zuletzt von ihr ausgeübten Tätigkeit als Maschinenarbeiterin handele es sich um eine ungelernte Tätigkeit, sodass die Klägerin auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.
11 
Dagegen hat die Klägerin am 7. November 2013 Berufung eingelegt. Sie ist weiter der Ansicht, dass das von Dr. He. erstellte Gutachten in sich widersprüchlich sei und sich mit den Befunden von Dr. La. inhaltlich nicht auseinandersetze. Vor dem Hintergrund der Medikation mit Citalopram, Amineurin und Dominal könne nicht nachvollzogen werden, warum bei ihr lediglich eine leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode vorliegen solle. Die Anamnese beruhe ausschließlich auf dem momentanen Eindruck. Darüber hinaus bejahe Dr. He. zwar das Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Störung. In der Anamnese fänden sich insoweit aber keine Ausführungen. Unterstellt, die Diagnose sei zutreffend, dann sei die Schlussfolgerung des Dr. He., dass keine wesentlichen quantitativen oder qualitativen Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit erkennbar seien, nicht nachvollziehbar. Der medizinische Sachverhalt sei weiter aufklärungsbedürftig. Die Klägerin hat ein weiteres Attest des Dr. La. vom 15. November 2013 beigefügt, in dem dieser bei seinen bisherigen Ausführungen verbleibt und einen eigenen unabhängigen Gutachter empfiehlt.
12 
Die Klägerin beantragt,
13 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 25. November 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen, weiter hilfsweise ein Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. Ab. einzuholen.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag und die Ausführungen im Gerichtsbescheid und hat ergänzend eine sozialmedizinische Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin Grimm vom 29. April 2014 vorgelegt, wonach die Tatsache, dass Dr. La. am 7. April 2014 für die Klägerin einen - beigefügten - Rehabilitationsantrag gestellt habe, in großem Widerspruch zu seinen bisher gemachten Aussagen stehe.
17 
Für einen Antrag nach § 109 SGG hat der Senat der Klägerin unter dem 19. Februar 2014 eine Frist gesetzt bis zum 28. März 2014, worauf die Klägerin am 28. März 2014 Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. benannt, innerhalb der vom Senat gesetzten weiteren Frist zur Zahlung eines Vorschusses bis 9. Mai 2014 den Vorschuss eingezahlt und die Kostenverpflichtungserklärung eingereicht hat. Den ihm am 14. Mai 2014 erteilten Gutachtensauftrag hat Dr. Sch. am 20. Mai 2014 zurückgesandt, weil er aus gesundheitlichen Gründen im nächsten halben Jahr keine Gutachten erstellen könne. Der Senat hat die Klägerin hierauf unter dem 21. Mai 2014 aufgefordert, bis spätestens 20. Juni 2014 mitzuteilen, wer anstelle von Dr. Sch. das Gutachten erstatten soll, worauf die Klägerin am 27. Mai 2014 Prof. Dr. E. benannt hat. Prof. Dr. E. hat den an ihn gerichteten Gutachtensauftrag vom 27. Mai 2014 am 16. Juni 2014 wegen Arbeitsüberlastung zurückgereicht. Auf die Aufforderung des Senats vom 23. Juni 2013 bis spätestens 14. Juli 2014 mitzuteilen, wer anstelle von Prof. Dr. E. das Gutachten erstatten soll und gleichzeitig eine Bestätigung des Arztes beizufügen, wonach er in der Lage und bereit sei, das Gutachten binnen drei Monaten zu erstatten, hat die Klägerin am 14. Juli 2014 Dr. Ra. benannt. Der Senat hat die Klägerin hierauf aufgefordert, bis spätestens 31. Juli 2014 eine Bestätigung von Dr. Ra. vorzulegen, wonach sie in der Lage und bereit sei, das Gutachten binnen drei Monaten zu erstatten. Darauf hat die Klägerin unter dem 18. Juli 2014 mitgeteilt, dass Dr. Ra. keine Gutachten mehr anfertige. Gleichzeitig hat sie darum gebeten, die Frist zur Benennung eines Gutachters um einen Monat zu verlängern. Der Senat hat hierauf unter dem 23. Juli 2014 die Frist zur Benennung eines weiteren Gutachters und Vorlage einer Bestätigung, dass er in der Lage sei, das Gutachten binnen drei Monaten zu erstatten, bis längstens 15. August 2014 verlängert und darauf hingewiesen, dass eine weitere Verlängerung nicht in Betracht komme. Am 8. August 2014 hat die Klägerin daraufhin den Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. Ab. benannt. Der Senat hat der Klägerin mit Fax vom 12. August 2014 mitgeteilt, dass ein Gutachtensauftrag an Dr. Ab. nur erteilt werde, wenn bis 15. August 2014 auch eine Bestätigung vorgelegt werde, dass er in der Lage sei, das Gutachten binnen drei Monaten zu erstatten. Am 13. August 2014 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sich Dr. Ab. bis 25. August 2014 im Urlaub befinde. Nachdem eine Bestätigung des Dr. Ab. bis 31. August 2014 nicht eingegangen ist, hat der Senat der Klägerin unter dem 1. September 2014 mitgeteilt, dass der Rechtsstreit nach derzeitiger Auffassung der Berichterstatterin entscheidungsreif sei und die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. Mit Schreiben vom 5. September 2014 hat die Klägerin mitgeteilt, dass die Bestätigung noch vorgelegt werde. Es werde um Nachsicht gebeten, ihr Klägerbevollmächtigter sei zum Ende des Monats August 2014 in neue Kanzleiräume umgezogen. Nachdem unter dem 25. September 2014 die Terminierung der Senatssitzung auf den 21. November 2014 mit dem Büro des Bevollmächtigten der Klägerin abgesprochen worden ist, hat der Senat den Rechtsstreit unter dem 1. Oktober 2014 auf den 21. November 2014 terminiert. Die Ladung ist dem Bevollmächtigen am 7. Oktober 2014 zugegangen. Am 20. Oktober 2014 hat die Klägerin ein an Dr. Ab. gerichtetes Schreiben vom 29. September 2014 vorgelegt, auf dem Dr. Ab. unter dem 30. September 2014 handschriftlich bestätigt hat, dass er ein Gutachten nach § 109 SGG erstatten werde.
18 
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
19 
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
1.
20 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis beider Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung. Denn die Klägerin begehrt Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2.
21 
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat ab 25. November 2011 keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
22 
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
23 
Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin seit 25. November 2011 weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Dies steht zur Überzeugung des Senats auf Grund der im Verwaltungs- und Klageverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest.
a)
24 
Als rentenrelevante Gesundheitsstörung besteht bei der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet eine depressive Erkrankung mit Schwankungen zwischen leichten und mittelgradigen depressiven Episoden und eine somatoforme Schmerzstörung. Dies stützt der Senat auf die Gutachten des Arztes B. vom 21. Februar 2012 und des Dr. He. vom 5. Juli 2013 und den Entlassungsbericht des Dr. H. vom 25. August 2011. Hieraus ergibt sich für den Senat überzeugend, dass die Klägerin nicht durchgängig unter einer mittelgradigen depressiven Störung leidet, die depressive Symptomatik bei der Klägerin vielmehr Schwankungen unterliegt. Bestätigt wird dies durch die sachverständige Zeugenauskunft des die Klägerin behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. La. vom 17. Dezember 2012, wonach von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradig ausgeprägten depressiven Phasen auszugehen sei. Auch hieraus ist zu folgern, dass die mittelgradig ausgeprägte depressive Störung nicht durchgängig vorhanden ist, sondern nur phasenweise auftritt. Dass die depressive Erkrankung nicht durchgängig mit mittelgradigen oder gar schweren Episoden verbunden ist, zeigt sich auch in der Tatsache, dass sich die Klägerin nur einmal im Quartal in nervenärztlicher Behandlung bei Dr. La. befindet und in der von der Klägerin zuletzt Dr. He. gegenüber angegebenen Medikation mit Citalopram AL 20 und Amineurin 10. Hierbei handelt es sich um eine Medikation allenfalls im mittleren Bereich, nachdem Citalopram in Wirkdosen von 10 mg, 20 mg, 30 mg und 40 mg und Amineurin in Wirkdosen von 10 mg, 25 mg, 50 mg und 100 mg auf dem Markt ist, wobei bei der Untersuchung durch den Arzt B. darüber hinaus auch festgestellt werden konnte, dass der Wirkstoff Duloxetin, mit dem die Klägerin damals behandelt wurde, im Blut nicht nachweisbar war. Auch die Notwendigkeit einer stationären, psychiatrischen Behandlung bestand bisher nicht. Eine psychotherapeutische Behandlung fand und findet ebenfalls nicht statt. Auch hat die Klägerin einen für nicht erwerbstätige Menschen weitgehend normalen Tagesablauf. Sie steht ausweislich ihrer Angaben gegenüber Dr. He. zwischen 5.00 Uhr und 7.00 Uhr auf, frühstückt, nimmt im Anschluss daran zum Teil Arzttermine war oder erledigt die leichteren Sachen der Hausarbeit, sieht fern oder liest ein wenig. Wenn es ihr gut geht, kocht sie ein Mittagsessen, wenn es ihr schlecht geht, isst sie etwas Kaltes. Abends schaut sie mit ihrem Ehemann fern und geht zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr ins Bett. Kontakt hat sie zu ihren Kindern und deren Familien und ab und zu zu Freundinnen oder befreundeten Ehepaaren. Wegen der somatoformen Schmerzstörung befindet sich die Klägerin nicht in schmerztherapeutischer Behandlung. Die von Arzt B., Dr. Sc., Dr. H. und Dr. Gr. beschriebenen Bewegungseinschränkungen sind allenfalls leichtgradig. Der Verrichtung leichterer Tätigkeiten im Haushalt stehen sie nicht entgegen.
25 
Bei der mit Hörgeräten versorgten Klägerin besteht ferner eine schwere Innenohrschwerhörigkeit links stärker als rechts und ein hochgradiger Tinnitus beidseits. Dies ergibt sich aus dem Entlassungsbericht des Dr. H. und den Gutachten des Arztes B. und Dr. He. sowie der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. A. vom 4. März 2013. Eine Verständigung mit der Klägerin war bei der Begutachtung durch Dr. He. jedoch mit Hilfe der Dolmetscherin ohne Schwierigkeiten möglich. Teilweise antwortete die Klägerin auch direkt auf die vom Gutachter gestellten Fragen.
26 
Außerdem leidet die Klägerin dem Entlassungsbericht des Dr. H. folgend unter einer arteriellen Hypertonie, die medikamentös behandelt wird. Anlässlich der Eingangsuntersuchung bei der Rehabilitationsmaßnahme wurde der Blutdruck mit 140/100 mmHg gemessen.
27 
Darüber hinaus besteht bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet ein chronisch rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgie, eine Brust- und Halswirbelsäulenblockierung, ein Fersensporn und Haglund-Exostosen beidseits sowie eine Bursitis troub Hubchanterica links. Dies stützt der Senat auf die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr. vom 22. Dezember 2012.
28 
Vom Vorliegen einer Polymyalgia rheumatica und eines Fibromyalgiesyndroms ist der Senat nicht überzeugt. Mit Ausnahme des Dr. Gr. wurden diese Diagnosen von den übrigen Ärzten nicht genannt und auch Dr. Gr. äußerte insoweit jeweils nur einen Verdacht. Ebenso verhält es sich mit Blick auf die von Dr. Sc. diagnostizierte Anpassungsstörung, die von ihm fachfremd diagnostiziert wurde.
b)
29 
Wegen dieser Erkrankungen kann die Klägerin noch leichte Tätigkeiten im Bewegungswechsel ohne Nachtschicht und Akkord, besondere Anforderungen an Gang- und Standsicherheit, Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über zehn kg und Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Hörfähigkeit oder mit vermehrter Lärmbelastung verrichten. Ausgeschlossen sind auch Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck und solche an die besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung zu stellen sind. Diese qualitativen Leistungseinschränkungen haben der Gutachter B. und der Sachverständige Dr. He. aber auch Dr. H. und Dr. Gr. genannt. Soweit der Gutachter B. noch mittelschwere Tätigkeit für möglich erachtet, schließt sich der Senat dem mit Blick auf die orthopädischen Erkrankungen der Klägerin und auch die somatoforme Schmerzstörung nicht an. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat auch der qualitativen Einschränkung, wonach die Klägerin Dr. H. folgend nur noch Tätigkeiten überwiegend im Sitzen verrichten kann, denn dies lässt sich auf die bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen nicht stützen.
c)
30 
Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen führen die rentenrelevanten Erkrankungen seit 25. November 2011 jedoch nicht zu einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf weniger als sechs Stunden täglich. Die Klägerin ist noch in der Lage, leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat stützt dies auf die übereinstimmende Beurteilung des Arztes B. und des Dr. He. und auch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr., der von der Beurteilung der Leistungseinschätzung im Gutachten des Arztes B. nicht abwich. Der Senat vermag demgegenüber nicht der Beurteilung des Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht durch Dr. H. und Dr. La., die davon ausgehen, dass die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich Tätigkeiten verrichten könne, zu folgen. Diese gegenteiligen Einschätzungen sieht der Senat durch die Gutachten und die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr. als widerlegt an. Die Einschätzung durch Dr. H. ist für den Senat wie für das SG insbesondere auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die die Klägerin anlässlich der Rehabilitationsmaßnahme behandelnden Ärzte eingeräumt haben, dass auf Grund der Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten die therapeutische Zugänglichkeit der Klägerin äußerst eingeschränkt gewesen sei. Demgegenüber hat Dr. He. die Klägerin mit Hilfe einer Dolmetscherin begutachtet. Abgesehen davon ist aber auch die von den Ärzten der Rehabilitationsmaßnahme geschilderte Sprach- und Verständigungsschwierigkeit nicht in diesem Maße nachvollziehbar, nachdem die Klägerin durchaus auch teilweise deutsch versteht, was daraus deutlich wird, dass sie auf Fragen des Dr. He. teilweise direkt antwortete und auch die sie behandelnden Ärzte zumindest ab und an auch alleine aufsucht, und somit durchaus in der Lage ist, sich zu verständigen. Gewisse Verständigungsmöglichkeiten der Klägerin lassen sich auch daraus ableiten, dass sie bereits 1978 als 18-jährige aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zuzog, in der Bundesrepublik Deutschland zwei Kinder aufzog und darüber hinaus zwischen 1987 und 2011 auch als Maschinenarbeiterin beschäftigt war. Im Übrigen sind die rezidivierende depressive Störung und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung, wie sich aus dem von Dr. He. erhobenen Tagesablauf ergibt, nicht mit gravierenden Einschränkungen im täglichen Leben verbunden. Auch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. La. vermag diese Leistungseinschätzung nicht zu begründen. Er teilte in seiner sachverständigen Zeugenauskunft zwar den von ihm bei den Gesprächsterminen erhobenen psychischen Befund mit, ging jedoch nicht weiter der Frage nach, ob daraus auch eine Einschränkung im Tagesablauf der Klägerin resultiert. Darüber hinaus sah er nicht die Notwendigkeit das Behandlungsintervall zu verkürzen. Er behandelt die Klägerin in der Regel nur einmal im Quartal. Gegen seine Einschätzung spricht auch der von ihm unter dem 7. April 2014 für die Klägerin gestellte neuerliche Rehabilitationsantrag. Dies belegt, dass er nicht (mehr) die Auffassung vertritt, dass die Klägerin auf Dauer erwerbsgemindert ist und ihr Gesundheitszustand nicht mehr gebessert werden kann.
d)
31 
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Dies ist nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar - wie dargelegt - einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände - beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R -, in juris m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.
e)
32 
Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist seit 25. November 2011 gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 m zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteile vom 17. Dezember 1991- 13/5 RJ 73/90 - sowie 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R und B 13 R 79/11 R -, alle in juris). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Gutachter und der Sachverständige haben keine Befunde erhoben, die für eine den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen. Auch der von Dr. Gr. mitgeteilte Fersensporn und die Haglund-Exostosen beidseits führen nicht zu einer derartigen Einschränkung der Gehfähigkeit.
3.
a)
33 
Eine Beweiserhebung durch weitere Sachverständigengutachten war nicht erforderlich. Der Senat sieht den Sachverhalt durch die eingeholten Gutachten als geklärt an. Eine Verschlechterung ist insbesondere auch nicht im Hinblick auf die nervenärztliche Problematik bei der Klägerin ersichtlich, nachdem die medikamentöse Behandlung gleichbleibend ist, die Behandlung bei Dr. La. weiterhin nur etwa alle drei Monate stattfindet und Dr. La. auch in seinem letzten Attest nicht über eine Verschlechterung berichtet hat, so dass die Gutachten des Arztes B. und des Dr. He. weiterhin den aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin abbilden.
b)
34 
Der Senat war an einer Entscheidung auch nicht durch den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG bei Dr. Ab. gehindert. Dieser Antrag ist nach § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen. Das Gericht kann nach § 109 Abs. 2 SGG einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreit verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Davon ist hier auszugehen.
35 
Das Einholen eines Gutachtens bei Dr. Ab. aufgrund des Antrags im am 8. August 2014 beim Senat eingegangenen Schriftsatzes vom 6. August 2014 verzögert die Erledigung des Rechtsstreits, denn der Senat könnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Berufung entscheiden. Dies beruht auf grober Nachlässigkeit der Klägerin. Eine solche grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Kellerer/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rdnr. 11). Bei einem Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG muss gewährleistet sein, dass der benannte Sachverständige innerhalb angemessener Zeit das Gutachten erstellen wird. Nur dann kann das Gericht seiner Verpflichtung nachkommen, innerhalb angemessener Frist eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention; § 198 Gerichtsverfassungsgesetz; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rdziff. 5b, 19). Insoweit haben die Gerichte auch bei einem Gutachten nach § 109 SGG die Pflicht, solche Gutachten zügig und effizient einzuholen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 25. März 2010 - 901/05 -, in juris). Die Klägerin hat diese für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen. Der Klägerin war seit der Verfügung der Berichterstatterin vom 23. Juni 2014 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG die Bestätigung des benannten Sachverständigen erforderlich ist, er werde das Gutachten binnen drei Monaten erstellen. Eine solche Bestätigung des nach § 109 SGG benannten Sachverständigen ist im Hinblick auf die zuvor genannte Pflicht der Gerichte erforderlich. Sie war im Falle der Klägerin zudem erforderlich, weil die beiden zuvor von der Klägerin benannten Ärzte den jeweils an sie gerichteten Gutachtensauftrag wegen Arbeitsüberlastung zurückgegeben hatten. Nur mit dieser geforderten Bestätigung war sicherzustellen, dass nicht erneut ein Gutachtensauftrag von dem von der Klägerin als Sachverständigen benannten Arzt zurückgegeben wird und damit weitere Verzögerungen des Rechtsstreits dadurch eintreten werden, weil der Klägerin erneut die Gelegenheit eingeräumt werden musste, einen Arzt als Sachverständigen zu benennen. Demgemäß war für die Klägerin erkennbar, dass sie vor Benennung des Dr. Ab. als Sachverständigen, die mit dem am 8. August 2014 beim Senat eingegangenem Schriftsatz vom 6. August 2014 erfolgte, mit diesem abklären musste, ob er das Gutachten innerhalb von drei Monaten erstellen wird. Auch wenn Dr. Ab. bis 25. August 2014 in Urlaub gewesen sein sollte, hätte die Klägerin unmittelbar nach Ende des Urlaubs die verlangte Bestätigung einholen und dem Senat vorgelegen müssen. Dies tat sie nicht. Erst nach Terminsabsprache des Senats mit ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. September 2014 wandte sich die Klägerin an Dr. Ab. mit der Bitte, die vom Senat verlangte Bestätigung zu erteilen (Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29. September 2014).
4.
36 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
37 
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
1.
20 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis beider Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung. Denn die Klägerin begehrt Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2.
21 
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat ab 25. November 2011 keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
22 
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
23 
Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin seit 25. November 2011 weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Dies steht zur Überzeugung des Senats auf Grund der im Verwaltungs- und Klageverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest.
a)
24 
Als rentenrelevante Gesundheitsstörung besteht bei der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet eine depressive Erkrankung mit Schwankungen zwischen leichten und mittelgradigen depressiven Episoden und eine somatoforme Schmerzstörung. Dies stützt der Senat auf die Gutachten des Arztes B. vom 21. Februar 2012 und des Dr. He. vom 5. Juli 2013 und den Entlassungsbericht des Dr. H. vom 25. August 2011. Hieraus ergibt sich für den Senat überzeugend, dass die Klägerin nicht durchgängig unter einer mittelgradigen depressiven Störung leidet, die depressive Symptomatik bei der Klägerin vielmehr Schwankungen unterliegt. Bestätigt wird dies durch die sachverständige Zeugenauskunft des die Klägerin behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. La. vom 17. Dezember 2012, wonach von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradig ausgeprägten depressiven Phasen auszugehen sei. Auch hieraus ist zu folgern, dass die mittelgradig ausgeprägte depressive Störung nicht durchgängig vorhanden ist, sondern nur phasenweise auftritt. Dass die depressive Erkrankung nicht durchgängig mit mittelgradigen oder gar schweren Episoden verbunden ist, zeigt sich auch in der Tatsache, dass sich die Klägerin nur einmal im Quartal in nervenärztlicher Behandlung bei Dr. La. befindet und in der von der Klägerin zuletzt Dr. He. gegenüber angegebenen Medikation mit Citalopram AL 20 und Amineurin 10. Hierbei handelt es sich um eine Medikation allenfalls im mittleren Bereich, nachdem Citalopram in Wirkdosen von 10 mg, 20 mg, 30 mg und 40 mg und Amineurin in Wirkdosen von 10 mg, 25 mg, 50 mg und 100 mg auf dem Markt ist, wobei bei der Untersuchung durch den Arzt B. darüber hinaus auch festgestellt werden konnte, dass der Wirkstoff Duloxetin, mit dem die Klägerin damals behandelt wurde, im Blut nicht nachweisbar war. Auch die Notwendigkeit einer stationären, psychiatrischen Behandlung bestand bisher nicht. Eine psychotherapeutische Behandlung fand und findet ebenfalls nicht statt. Auch hat die Klägerin einen für nicht erwerbstätige Menschen weitgehend normalen Tagesablauf. Sie steht ausweislich ihrer Angaben gegenüber Dr. He. zwischen 5.00 Uhr und 7.00 Uhr auf, frühstückt, nimmt im Anschluss daran zum Teil Arzttermine war oder erledigt die leichteren Sachen der Hausarbeit, sieht fern oder liest ein wenig. Wenn es ihr gut geht, kocht sie ein Mittagsessen, wenn es ihr schlecht geht, isst sie etwas Kaltes. Abends schaut sie mit ihrem Ehemann fern und geht zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr ins Bett. Kontakt hat sie zu ihren Kindern und deren Familien und ab und zu zu Freundinnen oder befreundeten Ehepaaren. Wegen der somatoformen Schmerzstörung befindet sich die Klägerin nicht in schmerztherapeutischer Behandlung. Die von Arzt B., Dr. Sc., Dr. H. und Dr. Gr. beschriebenen Bewegungseinschränkungen sind allenfalls leichtgradig. Der Verrichtung leichterer Tätigkeiten im Haushalt stehen sie nicht entgegen.
25 
Bei der mit Hörgeräten versorgten Klägerin besteht ferner eine schwere Innenohrschwerhörigkeit links stärker als rechts und ein hochgradiger Tinnitus beidseits. Dies ergibt sich aus dem Entlassungsbericht des Dr. H. und den Gutachten des Arztes B. und Dr. He. sowie der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. A. vom 4. März 2013. Eine Verständigung mit der Klägerin war bei der Begutachtung durch Dr. He. jedoch mit Hilfe der Dolmetscherin ohne Schwierigkeiten möglich. Teilweise antwortete die Klägerin auch direkt auf die vom Gutachter gestellten Fragen.
26 
Außerdem leidet die Klägerin dem Entlassungsbericht des Dr. H. folgend unter einer arteriellen Hypertonie, die medikamentös behandelt wird. Anlässlich der Eingangsuntersuchung bei der Rehabilitationsmaßnahme wurde der Blutdruck mit 140/100 mmHg gemessen.
27 
Darüber hinaus besteht bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet ein chronisch rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgie, eine Brust- und Halswirbelsäulenblockierung, ein Fersensporn und Haglund-Exostosen beidseits sowie eine Bursitis troub Hubchanterica links. Dies stützt der Senat auf die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr. vom 22. Dezember 2012.
28 
Vom Vorliegen einer Polymyalgia rheumatica und eines Fibromyalgiesyndroms ist der Senat nicht überzeugt. Mit Ausnahme des Dr. Gr. wurden diese Diagnosen von den übrigen Ärzten nicht genannt und auch Dr. Gr. äußerte insoweit jeweils nur einen Verdacht. Ebenso verhält es sich mit Blick auf die von Dr. Sc. diagnostizierte Anpassungsstörung, die von ihm fachfremd diagnostiziert wurde.
b)
29 
Wegen dieser Erkrankungen kann die Klägerin noch leichte Tätigkeiten im Bewegungswechsel ohne Nachtschicht und Akkord, besondere Anforderungen an Gang- und Standsicherheit, Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über zehn kg und Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Hörfähigkeit oder mit vermehrter Lärmbelastung verrichten. Ausgeschlossen sind auch Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck und solche an die besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung zu stellen sind. Diese qualitativen Leistungseinschränkungen haben der Gutachter B. und der Sachverständige Dr. He. aber auch Dr. H. und Dr. Gr. genannt. Soweit der Gutachter B. noch mittelschwere Tätigkeit für möglich erachtet, schließt sich der Senat dem mit Blick auf die orthopädischen Erkrankungen der Klägerin und auch die somatoforme Schmerzstörung nicht an. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat auch der qualitativen Einschränkung, wonach die Klägerin Dr. H. folgend nur noch Tätigkeiten überwiegend im Sitzen verrichten kann, denn dies lässt sich auf die bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen nicht stützen.
c)
30 
Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen führen die rentenrelevanten Erkrankungen seit 25. November 2011 jedoch nicht zu einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf weniger als sechs Stunden täglich. Die Klägerin ist noch in der Lage, leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat stützt dies auf die übereinstimmende Beurteilung des Arztes B. und des Dr. He. und auch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr., der von der Beurteilung der Leistungseinschätzung im Gutachten des Arztes B. nicht abwich. Der Senat vermag demgegenüber nicht der Beurteilung des Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht durch Dr. H. und Dr. La., die davon ausgehen, dass die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich Tätigkeiten verrichten könne, zu folgen. Diese gegenteiligen Einschätzungen sieht der Senat durch die Gutachten und die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. Gr. als widerlegt an. Die Einschätzung durch Dr. H. ist für den Senat wie für das SG insbesondere auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die die Klägerin anlässlich der Rehabilitationsmaßnahme behandelnden Ärzte eingeräumt haben, dass auf Grund der Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten die therapeutische Zugänglichkeit der Klägerin äußerst eingeschränkt gewesen sei. Demgegenüber hat Dr. He. die Klägerin mit Hilfe einer Dolmetscherin begutachtet. Abgesehen davon ist aber auch die von den Ärzten der Rehabilitationsmaßnahme geschilderte Sprach- und Verständigungsschwierigkeit nicht in diesem Maße nachvollziehbar, nachdem die Klägerin durchaus auch teilweise deutsch versteht, was daraus deutlich wird, dass sie auf Fragen des Dr. He. teilweise direkt antwortete und auch die sie behandelnden Ärzte zumindest ab und an auch alleine aufsucht, und somit durchaus in der Lage ist, sich zu verständigen. Gewisse Verständigungsmöglichkeiten der Klägerin lassen sich auch daraus ableiten, dass sie bereits 1978 als 18-jährige aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zuzog, in der Bundesrepublik Deutschland zwei Kinder aufzog und darüber hinaus zwischen 1987 und 2011 auch als Maschinenarbeiterin beschäftigt war. Im Übrigen sind die rezidivierende depressive Störung und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung, wie sich aus dem von Dr. He. erhobenen Tagesablauf ergibt, nicht mit gravierenden Einschränkungen im täglichen Leben verbunden. Auch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. La. vermag diese Leistungseinschätzung nicht zu begründen. Er teilte in seiner sachverständigen Zeugenauskunft zwar den von ihm bei den Gesprächsterminen erhobenen psychischen Befund mit, ging jedoch nicht weiter der Frage nach, ob daraus auch eine Einschränkung im Tagesablauf der Klägerin resultiert. Darüber hinaus sah er nicht die Notwendigkeit das Behandlungsintervall zu verkürzen. Er behandelt die Klägerin in der Regel nur einmal im Quartal. Gegen seine Einschätzung spricht auch der von ihm unter dem 7. April 2014 für die Klägerin gestellte neuerliche Rehabilitationsantrag. Dies belegt, dass er nicht (mehr) die Auffassung vertritt, dass die Klägerin auf Dauer erwerbsgemindert ist und ihr Gesundheitszustand nicht mehr gebessert werden kann.
d)
31 
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Dies ist nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar - wie dargelegt - einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände - beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R -, in juris m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.
e)
32 
Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist seit 25. November 2011 gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 m zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteile vom 17. Dezember 1991- 13/5 RJ 73/90 - sowie 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R und B 13 R 79/11 R -, alle in juris). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Gutachter und der Sachverständige haben keine Befunde erhoben, die für eine den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen. Auch der von Dr. Gr. mitgeteilte Fersensporn und die Haglund-Exostosen beidseits führen nicht zu einer derartigen Einschränkung der Gehfähigkeit.
3.
a)
33 
Eine Beweiserhebung durch weitere Sachverständigengutachten war nicht erforderlich. Der Senat sieht den Sachverhalt durch die eingeholten Gutachten als geklärt an. Eine Verschlechterung ist insbesondere auch nicht im Hinblick auf die nervenärztliche Problematik bei der Klägerin ersichtlich, nachdem die medikamentöse Behandlung gleichbleibend ist, die Behandlung bei Dr. La. weiterhin nur etwa alle drei Monate stattfindet und Dr. La. auch in seinem letzten Attest nicht über eine Verschlechterung berichtet hat, so dass die Gutachten des Arztes B. und des Dr. He. weiterhin den aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin abbilden.
b)
34 
Der Senat war an einer Entscheidung auch nicht durch den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG bei Dr. Ab. gehindert. Dieser Antrag ist nach § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen. Das Gericht kann nach § 109 Abs. 2 SGG einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreit verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Davon ist hier auszugehen.
35 
Das Einholen eines Gutachtens bei Dr. Ab. aufgrund des Antrags im am 8. August 2014 beim Senat eingegangenen Schriftsatzes vom 6. August 2014 verzögert die Erledigung des Rechtsstreits, denn der Senat könnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Berufung entscheiden. Dies beruht auf grober Nachlässigkeit der Klägerin. Eine solche grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Kellerer/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rdnr. 11). Bei einem Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG muss gewährleistet sein, dass der benannte Sachverständige innerhalb angemessener Zeit das Gutachten erstellen wird. Nur dann kann das Gericht seiner Verpflichtung nachkommen, innerhalb angemessener Frist eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention; § 198 Gerichtsverfassungsgesetz; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rdziff. 5b, 19). Insoweit haben die Gerichte auch bei einem Gutachten nach § 109 SGG die Pflicht, solche Gutachten zügig und effizient einzuholen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 25. März 2010 - 901/05 -, in juris). Die Klägerin hat diese für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen. Der Klägerin war seit der Verfügung der Berichterstatterin vom 23. Juni 2014 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG die Bestätigung des benannten Sachverständigen erforderlich ist, er werde das Gutachten binnen drei Monaten erstellen. Eine solche Bestätigung des nach § 109 SGG benannten Sachverständigen ist im Hinblick auf die zuvor genannte Pflicht der Gerichte erforderlich. Sie war im Falle der Klägerin zudem erforderlich, weil die beiden zuvor von der Klägerin benannten Ärzte den jeweils an sie gerichteten Gutachtensauftrag wegen Arbeitsüberlastung zurückgegeben hatten. Nur mit dieser geforderten Bestätigung war sicherzustellen, dass nicht erneut ein Gutachtensauftrag von dem von der Klägerin als Sachverständigen benannten Arzt zurückgegeben wird und damit weitere Verzögerungen des Rechtsstreits dadurch eintreten werden, weil der Klägerin erneut die Gelegenheit eingeräumt werden musste, einen Arzt als Sachverständigen zu benennen. Demgemäß war für die Klägerin erkennbar, dass sie vor Benennung des Dr. Ab. als Sachverständigen, die mit dem am 8. August 2014 beim Senat eingegangenem Schriftsatz vom 6. August 2014 erfolgte, mit diesem abklären musste, ob er das Gutachten innerhalb von drei Monaten erstellen wird. Auch wenn Dr. Ab. bis 25. August 2014 in Urlaub gewesen sein sollte, hätte die Klägerin unmittelbar nach Ende des Urlaubs die verlangte Bestätigung einholen und dem Senat vorgelegen müssen. Dies tat sie nicht. Erst nach Terminsabsprache des Senats mit ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. September 2014 wandte sich die Klägerin an Dr. Ab. mit der Bitte, die vom Senat verlangte Bestätigung zu erteilen (Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29. September 2014).
4.
36 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
37 
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) im Sinne des Sozialgesetzbuchs - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wegen Eintritts von Heilungsbewährung einer Darmerkrankung zu Recht von bislang 80 auf 20 herabgesetzt hat.
Bei dem 1957 geborenen Kläger hatte das Landratsamt K. (LRA) ab dem 24.03.2010 einen GdB von 80 anerkannt unter Berücksichtigung von Dickdarmerkrankung (in Heilungsbewährung) als Funktionsbeeinträchtigung (Bescheid vom 09.06.2010). Zugrunde lag dem eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. C..
Ein Antrag des Klägers auf Höherbewertung des GdB vom August 2013 blieb nach weiterer medizinischer Sachaufklärung aufgrund einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S. erfolglos: Trotz Berücksichtigung von
- Refluxkrankheit der Speiseröhre
- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden
- chronische Bronchitis
als weitere Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von jeweils 10 sei im Gesundheitszustand keine wesentliche Änderung eingetreten (Bescheid vom 24.10.2013).
Im April 2015 leitete das LRA von Amts wegen eine Nachprüfung der Höhe des GdB ein. Hierzu holte es Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. G. und des Gastroenterologen Dr. B. ein, die jeweils u.a. angaben, sie hätten keine Hinweise auf Rezidive oder Metastasen der Darmerkrankung objektiviert. Die Versorgungsärztin Dr. P. empfahl daraufhin, den Teil-GdB für den Teilverlust des Dickdarms unter zusätzlicher Berücksichtigung von "Verdauungsstörungen" auf 20 herabzusetzen. Unter weiterer Berücksichtigung einer "depressiven Verstimmung" mit einem Teil-GdB von 10 sei kein höherer Gesamt-GdB als 20 zu begründen. Nach Anhörung des Klägers (Schreiben vom 04.08.2015), eines erneuten Befundberichts von Dr. B. und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Bü. hob das LRA den Bescheid vom 09.06.2010 auf und setzte den GdB ab dem 21.11.2015 auf - noch - 20 herab. Als Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte es nunmehr:
- Teilverlust des Dickdarms, Verdauungsstörungen
Teil-GdB 20
- Refluxkrankheit der Speiseröhre
Teil-GdB 10
- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden
Teil-GdB 10
- chronische Bronchitis
Teil-GdB 10
- depressive Verstimmung
Teil-GdB 10
10 
(Bescheid vom 18.11.2015).
11 
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, das LRA habe das Ausmaß seiner Gesundheitsstörungen nicht ausreichend gewürdigt. Infolge der Darmoperation leide er an ständigen und unvermittelt auftretenden Durchfallerscheinungen. Diese träten auch nachts auf. Außerdem bestünden Verwachsungsbeschwerden des Darms, was das LRA ebenfalls nicht berücksichtigt habe. Insgesamt sei für diesen Funktionenkomplex ein Teil-GdB von 30 angemessen. Die Refluxkrankheit der Speiseröhre rechtfertige bei anhaltenden Beschwerden trotz medikamentöser Therapie einen Teil-GdB von 20. Dieser Teil-GdB sei auch für seinen Wirbelsäulenschaden angesichts eines spondylogenen Schmerzsyndroms bei ausgeprägter Spondylose und Spondylarthrose und der Notwendigkeit der regelmäßigen Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika angemessen. Wegen seiner depressiven Erkrankung sei ebenfalls eine medikamentöse Behandlung erforderlich; zudem befinde er sich in regelmäßiger Verhaltenstherapie, weshalb der Teil-GdB für diese Funktionsstörung mit 20 zu bemessen sei. Der Beklagte wies den Widerspruch, gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. St., zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.06.2016, den Prozessbevollmächtigten am 07.07.2016 zugegangen.
12 
Deswegen hat der Kläger am 08.08.2016, einem Montag, Klage zum Sozialgericht K. erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Ergänzend zu seiner Widerspruchsbegründung trägt er vor, er befinde sich zwischenzeitlich auch wegen eines Schultergelenksleidens links in ärztlicher Behandlung. Er könne den Arm u.a. nicht bis zur Horizontale anheben.
13 
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Auskünfte des Dr. G. und des Orthopäden Dr. Bö. als sachverständige Zeugen:
14 
Dr. G. hat bekundet, der Kläger leide seit der Darmoperation an chronischen Durchfallerscheinungen. Bzgl. der Karzinomerkrankung sei bislang kein Rezidiv aufgetreten. Ein Malabsorptionssyndrom gegenüber Eisen, Kalzium und Vitamin D erfordere eine regelmäßige medikamentöse Substitution. Außerdem leide der Kläger an einem chronischen Schmerzsyndrom des Stütz- und Bewegungsapparats. Wegen eines depressiven Erschöpfungszustandes erfolgten in seiner Praxis regelmäßige gesprächstherapeutische Sitzungen. Seiner Auskunft hat Dr. G. weitere Arztunterlagen beigefügt, u.a. Arztbriefe des Dr. B., der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E. und des Dr. Bö..
15 
Dr. Bö. hat mitgeteilt, er habe den Kläger zwischen März und November 2016 dreimal wegen Schulterbeschwerden links behandelt. Zuletzt habe er im August 2016 einen painful arc mit deutlich reduziertem Schürzengriff objektiviert. Den Nackengriff habe der Kläger mit Ausweichbewegung noch ausführen können. Die Behandlung sei konservativ erfolgt. Das von ihm als Gesundheitsstörung diagnostizierte Impingement-Syndrom links verursache eine lediglich temporäre funktionelle Störung und rechtfertige keinen Teil-GdB.
16 
Mit Schriftsatz vom 14.12.2016 hat der Kläger beantragt, gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf eigenes Kostenrisiko ein medizinisches Sachverständigengutachten bei dem Orthopäden Dr. J. , K. , einzuholen. Die Kammer hat ihm daraufhin aufgegeben, bis zum 25.01.2017 einen Kostenvorschuss in Höhe von 1.500,-- EUR einzuzahlen, eine Kostenverpflichtungserklärung und einen Nachweis über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes vorzulegen, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Die Kammer hat den Kläger außerdem darauf hingewiesen, der Gutachtensauftrag werde nicht erteilt, sofern er die Auflagen nicht, nicht fristgerecht oder nur teilweise erfülle. Innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist hat der Kläger lediglich den Kostenvorschuss einbezahlt und eine von ihm unterzeichnete Kostenverpflichtungserklärung vorgelegt.
17 
Er beantragt,
18 
den Bescheid vom 18. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juni 2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, seinen Grad der Behinderung ab dem 21. November 2015 mit 50 festzusetzen,
19 
hilfsweise, gemäß § 109 SGG ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Dr. J. , K. , einzuholen.
20 
Der Beklagte beantragt,
21 
die Klage abzuweisen.
22 
Er erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
23 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt er vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den er Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG; vgl. insoweit BSG vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/14 R -, Rdnr. 7 und BSG vom 16.03.2016 - B 9 SB 1/15 R -, Rdnr. 9 ) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht ins einen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Recht hat der Beklagte den GdB wegen Eintritts von Heilungsbewährung in Bezug auf die Darmkrebserkrankung von bislang 80 auf nunmehr - noch - 20 herabgesetzt.
25 
1. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung - hier: derjenige vom 09.06.2010 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - die hier allein in Betracht kommende Alternative - liegt vor, wenn sich durch das Hinzutreten neuer Funktionsstörungen oder eine Verschlimmerung der anerkannten Funktionsstörungen der Gesundheitszustand des Behinderten verschlechtert oder er sich durch den Wegfall von Funktionsstörungen oder eine Besserung bereits anerkannter Funktionsstörungen gebessert hat. Ob dies der Fall ist, ist durch einen Vergleich der für die letzte, bindend gewordene Feststellung maßgebend gewesenen Befunde und Krankheitsäußerungen mit den jetzt vorliegenden Befunden zu ermitteln (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18 und SozR 3-3870 § 4 Nr. 13). Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse, wenn aus dieser eine Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 24; BSG vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - und vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - ), denn der GdB ist gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nach Zehnergraden abgestuft festzustellen.
26 
Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt darüber hinaus bei Gesundheitsstörungen, bei denen zunächst ein gewisser Zeitraum abgewartet werden muss, um feststellen zu können, ob sich der Gesundheitszustand zwischenzeitlich stabilisiert hat (sog. Heilungsbewährung) dann vor, wenn nach Ablauf dieser Zeitspanne die Stabilisierung tatsächlich eingetreten ist (ständige Rechtsprechung; vgl. u.a. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 60; BSG SozR 3-3870 § 3 Nrn. 5 und 7 sowie a.a.O., § 4 Nr. 21 und BSG SozR 3870 § 4 Nr. 3 m.w.N.; siehe auch Teil A Nr. 7 b) der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 ). Während der Dauer der Heilungsbewährung wird der GdB - unabhängig vom tatsächlichen Ausmaß der Gesundheitsstörung - regelmäßig höher bewertet als es dem reinen Organbefund entspricht (vgl. Teil A Nr. 2 h) der versorgungsmedizinischen Grundsätze ). Erst nach Ablauf der Heilungsbewährung wird der GdB entsprechend dem verbliebenen Ausmaß der Funktionseinschränkung festgesetzt. Dementsprechend sehen die seit dem 01.01.2009 maßgebenden (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 und § 70 Abs. 2 in der seit dem 30.12.2016 gültigen Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 § 69 abs. 1 satz 5 sgb ix a.f.), aufgrund der ermächtigung in § 30 abs. 16 des bundesversorgungsgesetzes (bvg) erlassenen bewertungsmaßstäbe der anlage 2 zur vmv in teil b nr. 10.2.2 nach entfernung bösartiger darmtumore (vgl. teil b nr. 1 c) vg) im stadium - wie hier - t 3 n0 l0 v0 eine heilungsbewährung von 5 jahren vor. während dieser zeitspanne ist der gdb mit wenigstens 80 festzusetzen.
27 
Der Begriff der Heilungsbewährung beschreibt nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Die Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der in den VG zusammengefassten sozial-medizinischen Erfahrung, bei Krebskrankheiten nicht nur den Organverlust zu bewerten, sondern unter Berücksichtigung der Krebserkrankung als solcher einen GdB von mindestens 80 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung nötigt andererseits dazu, den GdB herabzusetzen, wenn die Krebskrankheit nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren aufgrund medizinischer Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (vgl. BSG vom 09.08.1995 – 9 RVs 14/94).
28 
Für die Feststellung des GdB sind für die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gleichermaßen seit dem 01.01.2009 die Bewertungsmaßstäbe der Anlage zu § 2 der aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 16 (bis zum 30.06.2011: Abs. 17) des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VMV) vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) in der Fassung der Fünften Änderungs-Verordnung vom 11.10.2012 (BGBl. I Seite 2122), gültig ab dem 17.10.2012, maßgebend (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 und § 70 Abs. 2 in der seit dem 30.12.2016 gültigen Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 ; für die Zeit bis zum 14.01.2015 vgl. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX a.F.). Die versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) stellen ebenso wie die bis zum 31.12.2008 gültig gewesenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" antizipierte Sachverständigengutachten dar (vgl. BSG vom 16.03.2016 - B 9 SB 85/15 B -, Rn. 6, vom 29.02.2016 - B 9 SB 91/15 B -, Rn. 7 ; ferner BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 19, Rn. 12 und BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 18, Rn. 10; vgl. zur Rechtslage nach dem früheren Schwerbehindertengesetz: BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 19, Rn. 14 und BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6, Rn. 7), die den medizinischen Kenntnistand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R -, Rn. 20 ) und nicht nur die Regelungen der §§ 69 und 70 SGB IX konkretisieren, sondern auch den Behinderungsbegriff der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der Weltgesundheitsorganisation als ICF verabschiedet) als Grundlage des Bewertungssystems berücksichtigen. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 23.07.2010 - L 8 SB 1372/10 - ). Die VG bezwecken darüber hinaus eine möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet und dienen so auch dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung (vgl. Bay. LSG, Breithaupt 2011, 68 ff).
29 
2. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht zu beanstanden.
30 
a) In Bezug auf den Teilverlust des Dickdarms nach Entfernung eines Darmkarzinoms im März 2010 ist zwischenzeitlich Heilungsbewährung eingetreten. Dies steht zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) fest aufgrund der aktenkundigen Befundberichte der Dres. G. und B. und der Bekundungen von Dr. G. als sachverständiger Zeuge. Danach haben die von ihnen durchgeführten Untersuchungen des Klägers keinen Hinweis für ein Tumorrezidiv oder Metastasen an anderen Organen ergeben. Zwar leidet der Kläger als Folge der Darmerkrankung an Schmerzen infolge von Verwachsungsbeschwerden im Darm und einer erhöhten Stuhlfrequenz, wie die Dres. G. und B. ebenfalls glaubhaft bestätigt haben. Nach dem Befundbericht des Dr. B. vom 06.10.2015 ist indes der Allgemein- und Ernährungszustand des Klägers altersentsprechend normal ausgeprägt. Hiervon konnte sich die Kammer auch in der mündlichen Verhandlung am 23.03.2017 durch Augenscheinseinnahme des anwesenden Klägers überzeugen. Vor diesem Hintergrund ist die Zuerkennung des Teil-GdB von 80 nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit nicht mehr gerechtfertigt. Diesen hat der Beklagte vielmehr zu Recht auf 20 (vgl. Teil B Nr. 10.2.2 VG) herabgesetzt. Auch insoweit schließt sich die Kammer den - im Ergebnis - übereinstimmenden Beurteilungen der Versorgungsärzte Dres. P., Bü. und St. an. Soweit Dr. G. auf die Notwendigkeit einer regelmäßigen Substitution eines Malabsorptionssyndroms gegenüber Eisen, Kalzium und Vitamin D hinweist, führt dies zu keiner Erhöhung dieses Teil-GdB; denn hierdurch wird die Teilhabebeeinträchtigung des Klägers nicht messbar verändert.
31 
b) Die Refluxkrankheit der Speiseröhre rechtfertigt keinen höheren Teil-GdB als 10 (vgl. Teil B Nr. 10.1 VG). Denn diese Gesundheitsstörung ist nach dem Gastroskopie-Bericht des Dr. B. vom 25.08.2015 nur leichtgradig ausgeprägt mit geringer Entzündungsaktivität. Diese Gesundheitsstörung ist überdies mit einem Protonenpumpenblocker adäquat behandelbar, wie der Kammer aus vergleichbaren Rechtsstreitigkeiten hinreichend bekannt ist. Auf diese Behandlungsmöglichkeit hatte Dr. G. überdies bereits in seinem Befundbericht vom 22.08.2013 hingewiesen.
32 
c) In Bezug auf die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden im Bereich der Halswirbelsäule bestehen nur beginnende degenerative Veränderungen und gering ausgeprägte Bandscheibenprotrusionen und Unkarthrosen ohne eindeutige neuronale Kompromittierung, wie sich aus dem Arztbrief der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E. vom 06.02.2016 ergibt. Hieraus resultierende Funktionseinschränkung, sei es der Halswirbelsäule selbst, sei es in den übrigen Wirbelsäulenabschnitten, hat keiner der den Kläger behandelnden Ärzte mitgeteilt. Solche ergeben sich auch nicht aus den weiteren aktenkundigen medizinischen Unterlagen. Überdies findet in Bezug auf das Wirbelsäulenleiden offenbar aktuell keine fachärztliche orthopädische Behandlung statt. Denn letztmals hat sich der Kläger bei Dr. Bö. im August 2016 vorgestellt. Der Teil-GdB von 10 (vgl. Teil B Nr. 18.9 VG) berücksichtigt in hinreichendem Umfang auch die notwendige regelmäßige Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika. Entsprechende Befunde hatte Dr. G. im Übrigen schon im Arztbrief vom August 2013 mitgeteilt.
33 
d) Bei Nikotinabusus des Klägers treten nach dem Befundbericht von Dr. G. vom Juni 2015 zwei- bis dreimal jährlich Infekt-Exazerbationen einer chronischen Bronchitis auf, die der sachverständige Zeuge mit Antibiotika behandelt. Eine überdauernde Einschränkung der Lungenfunktion hat Dr. G. nicht mitgeteilt. Auch steht der Kläger aktuell nicht in fachärztlicher Behandlung bei einem Pneumologen. Daher ist der vom Beklagten zuerkannte Teil-GdB von 10 nicht zu beanstanden (vgl. Teil B Nr. 8.2 VG). Dies räumt der Kläger in seiner Widerspruchsbegründung selbst ein.
34 
e) Auch die depressive Verstimmung hat der Beklagte mit einem Teil-GdB von 10 zutreffend (vgl. Teil B Nr. 3.7) bewertet, nachdem neben regelmäßigen Gesprächen des Klägers mit seinem Hausarzt Dr. G. keine fachärztliche Behandlung durch einen Neurologen und/oder Psychiater stattfindet. Deshalb ist - entgegen der Einschätzung von Dr. G. - nicht davon auszugehen, dass das seelische Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht. Für eine stärker behindernde Störung mit entsprechendem Leidensdruck des Klägers, der dann zu erwarten ist (vgl. insoweit LSG Baden-Württemberg vom 17.12.2010 - L 8 SB 1549/10 -, Rn. 31 , vom 21.04.2016 - L 6 SB 461/15 - und vom 23.06.2016 - L 6 SB 5131/15 - ), findet sich aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein Anhalt. Soweit der Beklagte für diese Funktionseinschränkung deshalb einen Teil-GdB von 10 berücksichtigt, ist dies auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger weiter vollschichtig als Lagerarbeiter bei einem Automobilhersteller beschäftigt ist, nicht zu beanstanden.
35 
f) Eine wesentliche Funktionseinschränkung des linken Schultergelenkes, insbesondere eine Bewegungslimitierung unterhalb von 90°, hat Dr. Bö. als sachverständiger Zeuge nicht bestätigt. Im August 2016 hat er allein einen painful arc (= schmerzhafter Bogen) erhoben, wobei der Kläger den Nackengriff, wenn auch mit Ausweichbewegung, noch durchführen konnte. Der Nackengriff erfordert indes eine Bewegungsfähigkeit des Schultergelenks mindestens bis zur Horizontalen. Einen Teil-GdB von wenigstens 10 hat auch Dr. Bö. ausdrücklich verneint.
36 
g) Der von Dr. G. im Befundbericht vom Juni 2015 als Gesundheitsstörung diagnostizierte Diabetes mellitus ist diätetisch eingestellt ohne medikamentöse Behandlung. Hieraus resultiert daher kein messbarer GdB (vgl. Teil B Nr. 15.1 VG).
37 
3. Den Gesamt-GdB bewertet auch das erkennende Gericht, ausgehend von Teil-GdB-Werten von 20 und 4 x 10, ab dem 21.11.2015, dem Tag, an dem der Bescheid vom 18.11.2015 kraft Gesetzes (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB X) als bekanntgegeben gilt, mit - noch - 20. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei - wie hier - mehreren Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist (§ 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Teil-GdB-Werte weder addiert noch andere Rechenmethoden für die Bildung des Gesamt-GdB angewandt werden (vgl. Teil A Nr. 3 a) VG). Insbesondere ist zu beachten, dass von Ausnahmefällen abgesehen, z.B. bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die lediglich einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, und zwar auch dann nicht, wenn - wie hier - mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (vgl. Teil A Nr. 3 d) ee) VG). Vielmehr besteht insoweit ein absoluten Additionsverbot (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 24).
38 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
39 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei Dr. J. , K. , war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 16.12.2016 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 25.01.2017 nicht vollständig erfüllt.
40 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG K. vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.w.N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes " … insbesondere …" ergibt.
41 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Dr. J. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 16.12.2016 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung des benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck noch textlich hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
42 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

Gründe

24 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG; vgl. insoweit BSG vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/14 R -, Rdnr. 7 und BSG vom 16.03.2016 - B 9 SB 1/15 R -, Rdnr. 9 ) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht ins einen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Recht hat der Beklagte den GdB wegen Eintritts von Heilungsbewährung in Bezug auf die Darmkrebserkrankung von bislang 80 auf nunmehr - noch - 20 herabgesetzt.
25 
1. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung - hier: derjenige vom 09.06.2010 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - die hier allein in Betracht kommende Alternative - liegt vor, wenn sich durch das Hinzutreten neuer Funktionsstörungen oder eine Verschlimmerung der anerkannten Funktionsstörungen der Gesundheitszustand des Behinderten verschlechtert oder er sich durch den Wegfall von Funktionsstörungen oder eine Besserung bereits anerkannter Funktionsstörungen gebessert hat. Ob dies der Fall ist, ist durch einen Vergleich der für die letzte, bindend gewordene Feststellung maßgebend gewesenen Befunde und Krankheitsäußerungen mit den jetzt vorliegenden Befunden zu ermitteln (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18 und SozR 3-3870 § 4 Nr. 13). Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse, wenn aus dieser eine Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 24; BSG vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - und vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - ), denn der GdB ist gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nach Zehnergraden abgestuft festzustellen.
26 
Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt darüber hinaus bei Gesundheitsstörungen, bei denen zunächst ein gewisser Zeitraum abgewartet werden muss, um feststellen zu können, ob sich der Gesundheitszustand zwischenzeitlich stabilisiert hat (sog. Heilungsbewährung) dann vor, wenn nach Ablauf dieser Zeitspanne die Stabilisierung tatsächlich eingetreten ist (ständige Rechtsprechung; vgl. u.a. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 60; BSG SozR 3-3870 § 3 Nrn. 5 und 7 sowie a.a.O., § 4 Nr. 21 und BSG SozR 3870 § 4 Nr. 3 m.w.N.; siehe auch Teil A Nr. 7 b) der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 ). Während der Dauer der Heilungsbewährung wird der GdB - unabhängig vom tatsächlichen Ausmaß der Gesundheitsstörung - regelmäßig höher bewertet als es dem reinen Organbefund entspricht (vgl. Teil A Nr. 2 h) der versorgungsmedizinischen Grundsätze ). Erst nach Ablauf der Heilungsbewährung wird der GdB entsprechend dem verbliebenen Ausmaß der Funktionseinschränkung festgesetzt. Dementsprechend sehen die seit dem 01.01.2009 maßgebenden (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 und § 70 Abs. 2 in der seit dem 30.12.2016 gültigen Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 § 69 abs. 1 satz 5 sgb ix a.f.), aufgrund der ermächtigung in § 30 abs. 16 des bundesversorgungsgesetzes (bvg) erlassenen bewertungsmaßstäbe der anlage 2 zur vmv in teil b nr. 10.2.2 nach entfernung bösartiger darmtumore (vgl. teil b nr. 1 c) vg) im stadium - wie hier - t 3 n0 l0 v0 eine heilungsbewährung von 5 jahren vor. während dieser zeitspanne ist der gdb mit wenigstens 80 festzusetzen.
27 
Der Begriff der Heilungsbewährung beschreibt nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Die Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der in den VG zusammengefassten sozial-medizinischen Erfahrung, bei Krebskrankheiten nicht nur den Organverlust zu bewerten, sondern unter Berücksichtigung der Krebserkrankung als solcher einen GdB von mindestens 80 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung nötigt andererseits dazu, den GdB herabzusetzen, wenn die Krebskrankheit nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren aufgrund medizinischer Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (vgl. BSG vom 09.08.1995 – 9 RVs 14/94).
28 
Für die Feststellung des GdB sind für die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gleichermaßen seit dem 01.01.2009 die Bewertungsmaßstäbe der Anlage zu § 2 der aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 16 (bis zum 30.06.2011: Abs. 17) des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VMV) vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) in der Fassung der Fünften Änderungs-Verordnung vom 11.10.2012 (BGBl. I Seite 2122), gültig ab dem 17.10.2012, maßgebend (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 und § 70 Abs. 2 in der seit dem 30.12.2016 gültigen Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 ; für die Zeit bis zum 14.01.2015 vgl. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX a.F.). Die versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) stellen ebenso wie die bis zum 31.12.2008 gültig gewesenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" antizipierte Sachverständigengutachten dar (vgl. BSG vom 16.03.2016 - B 9 SB 85/15 B -, Rn. 6, vom 29.02.2016 - B 9 SB 91/15 B -, Rn. 7 ; ferner BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 19, Rn. 12 und BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 18, Rn. 10; vgl. zur Rechtslage nach dem früheren Schwerbehindertengesetz: BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 19, Rn. 14 und BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6, Rn. 7), die den medizinischen Kenntnistand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R -, Rn. 20 ) und nicht nur die Regelungen der §§ 69 und 70 SGB IX konkretisieren, sondern auch den Behinderungsbegriff der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der Weltgesundheitsorganisation als ICF verabschiedet) als Grundlage des Bewertungssystems berücksichtigen. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 23.07.2010 - L 8 SB 1372/10 - ). Die VG bezwecken darüber hinaus eine möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet und dienen so auch dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung (vgl. Bay. LSG, Breithaupt 2011, 68 ff).
29 
2. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht zu beanstanden.
30 
a) In Bezug auf den Teilverlust des Dickdarms nach Entfernung eines Darmkarzinoms im März 2010 ist zwischenzeitlich Heilungsbewährung eingetreten. Dies steht zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) fest aufgrund der aktenkundigen Befundberichte der Dres. G. und B. und der Bekundungen von Dr. G. als sachverständiger Zeuge. Danach haben die von ihnen durchgeführten Untersuchungen des Klägers keinen Hinweis für ein Tumorrezidiv oder Metastasen an anderen Organen ergeben. Zwar leidet der Kläger als Folge der Darmerkrankung an Schmerzen infolge von Verwachsungsbeschwerden im Darm und einer erhöhten Stuhlfrequenz, wie die Dres. G. und B. ebenfalls glaubhaft bestätigt haben. Nach dem Befundbericht des Dr. B. vom 06.10.2015 ist indes der Allgemein- und Ernährungszustand des Klägers altersentsprechend normal ausgeprägt. Hiervon konnte sich die Kammer auch in der mündlichen Verhandlung am 23.03.2017 durch Augenscheinseinnahme des anwesenden Klägers überzeugen. Vor diesem Hintergrund ist die Zuerkennung des Teil-GdB von 80 nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit nicht mehr gerechtfertigt. Diesen hat der Beklagte vielmehr zu Recht auf 20 (vgl. Teil B Nr. 10.2.2 VG) herabgesetzt. Auch insoweit schließt sich die Kammer den - im Ergebnis - übereinstimmenden Beurteilungen der Versorgungsärzte Dres. P., Bü. und St. an. Soweit Dr. G. auf die Notwendigkeit einer regelmäßigen Substitution eines Malabsorptionssyndroms gegenüber Eisen, Kalzium und Vitamin D hinweist, führt dies zu keiner Erhöhung dieses Teil-GdB; denn hierdurch wird die Teilhabebeeinträchtigung des Klägers nicht messbar verändert.
31 
b) Die Refluxkrankheit der Speiseröhre rechtfertigt keinen höheren Teil-GdB als 10 (vgl. Teil B Nr. 10.1 VG). Denn diese Gesundheitsstörung ist nach dem Gastroskopie-Bericht des Dr. B. vom 25.08.2015 nur leichtgradig ausgeprägt mit geringer Entzündungsaktivität. Diese Gesundheitsstörung ist überdies mit einem Protonenpumpenblocker adäquat behandelbar, wie der Kammer aus vergleichbaren Rechtsstreitigkeiten hinreichend bekannt ist. Auf diese Behandlungsmöglichkeit hatte Dr. G. überdies bereits in seinem Befundbericht vom 22.08.2013 hingewiesen.
32 
c) In Bezug auf die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden im Bereich der Halswirbelsäule bestehen nur beginnende degenerative Veränderungen und gering ausgeprägte Bandscheibenprotrusionen und Unkarthrosen ohne eindeutige neuronale Kompromittierung, wie sich aus dem Arztbrief der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E. vom 06.02.2016 ergibt. Hieraus resultierende Funktionseinschränkung, sei es der Halswirbelsäule selbst, sei es in den übrigen Wirbelsäulenabschnitten, hat keiner der den Kläger behandelnden Ärzte mitgeteilt. Solche ergeben sich auch nicht aus den weiteren aktenkundigen medizinischen Unterlagen. Überdies findet in Bezug auf das Wirbelsäulenleiden offenbar aktuell keine fachärztliche orthopädische Behandlung statt. Denn letztmals hat sich der Kläger bei Dr. Bö. im August 2016 vorgestellt. Der Teil-GdB von 10 (vgl. Teil B Nr. 18.9 VG) berücksichtigt in hinreichendem Umfang auch die notwendige regelmäßige Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika. Entsprechende Befunde hatte Dr. G. im Übrigen schon im Arztbrief vom August 2013 mitgeteilt.
33 
d) Bei Nikotinabusus des Klägers treten nach dem Befundbericht von Dr. G. vom Juni 2015 zwei- bis dreimal jährlich Infekt-Exazerbationen einer chronischen Bronchitis auf, die der sachverständige Zeuge mit Antibiotika behandelt. Eine überdauernde Einschränkung der Lungenfunktion hat Dr. G. nicht mitgeteilt. Auch steht der Kläger aktuell nicht in fachärztlicher Behandlung bei einem Pneumologen. Daher ist der vom Beklagten zuerkannte Teil-GdB von 10 nicht zu beanstanden (vgl. Teil B Nr. 8.2 VG). Dies räumt der Kläger in seiner Widerspruchsbegründung selbst ein.
34 
e) Auch die depressive Verstimmung hat der Beklagte mit einem Teil-GdB von 10 zutreffend (vgl. Teil B Nr. 3.7) bewertet, nachdem neben regelmäßigen Gesprächen des Klägers mit seinem Hausarzt Dr. G. keine fachärztliche Behandlung durch einen Neurologen und/oder Psychiater stattfindet. Deshalb ist - entgegen der Einschätzung von Dr. G. - nicht davon auszugehen, dass das seelische Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht. Für eine stärker behindernde Störung mit entsprechendem Leidensdruck des Klägers, der dann zu erwarten ist (vgl. insoweit LSG Baden-Württemberg vom 17.12.2010 - L 8 SB 1549/10 -, Rn. 31 , vom 21.04.2016 - L 6 SB 461/15 - und vom 23.06.2016 - L 6 SB 5131/15 - ), findet sich aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein Anhalt. Soweit der Beklagte für diese Funktionseinschränkung deshalb einen Teil-GdB von 10 berücksichtigt, ist dies auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger weiter vollschichtig als Lagerarbeiter bei einem Automobilhersteller beschäftigt ist, nicht zu beanstanden.
35 
f) Eine wesentliche Funktionseinschränkung des linken Schultergelenkes, insbesondere eine Bewegungslimitierung unterhalb von 90°, hat Dr. Bö. als sachverständiger Zeuge nicht bestätigt. Im August 2016 hat er allein einen painful arc (= schmerzhafter Bogen) erhoben, wobei der Kläger den Nackengriff, wenn auch mit Ausweichbewegung, noch durchführen konnte. Der Nackengriff erfordert indes eine Bewegungsfähigkeit des Schultergelenks mindestens bis zur Horizontalen. Einen Teil-GdB von wenigstens 10 hat auch Dr. Bö. ausdrücklich verneint.
36 
g) Der von Dr. G. im Befundbericht vom Juni 2015 als Gesundheitsstörung diagnostizierte Diabetes mellitus ist diätetisch eingestellt ohne medikamentöse Behandlung. Hieraus resultiert daher kein messbarer GdB (vgl. Teil B Nr. 15.1 VG).
37 
3. Den Gesamt-GdB bewertet auch das erkennende Gericht, ausgehend von Teil-GdB-Werten von 20 und 4 x 10, ab dem 21.11.2015, dem Tag, an dem der Bescheid vom 18.11.2015 kraft Gesetzes (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB X) als bekanntgegeben gilt, mit - noch - 20. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei - wie hier - mehreren Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist (§ 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Teil-GdB-Werte weder addiert noch andere Rechenmethoden für die Bildung des Gesamt-GdB angewandt werden (vgl. Teil A Nr. 3 a) VG). Insbesondere ist zu beachten, dass von Ausnahmefällen abgesehen, z.B. bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die lediglich einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, und zwar auch dann nicht, wenn - wie hier - mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (vgl. Teil A Nr. 3 d) ee) VG). Vielmehr besteht insoweit ein absoluten Additionsverbot (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 24).
38 
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
39 
5. Dem Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG bei Dr. J. , K. , war nicht stattzugeben. Denn der Kläger hat die ihm mit Verfügung des Gerichts vom 16.12.2016 erteilten Auflagen innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist bis zum 25.01.2017 nicht vollständig erfüllt.
40 
Ungeschriebene Voraussetzung jeder Bestellung zum gerichtlichen Sachverständigen ist dessen Eignung für die Erstattung des Gutachtens. Diese Eignung fehlt, wenn der als Sachverständige benannte Arzt - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit und/oder nicht in der Lage ist, das Gutachten innerhalb einer angemessenen Frist, die die Kammer mit drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags für ausreichend erachtet, zu erstatten und dem Gericht vorzulegen. Dies vor Benennung eines Arztes als gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG zu klären, ist Aufgabe des Antragstellers - hier: des Klägers (so im Ergebnis SG K. vom 20.05.2014 - S 1 SB 2343/14 -, Rn. 33 und vom 12.01.2015 - S 4 U 1362/14 -, Rn. 40 f. ). Zu beachten ist weiter die Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsstreit zügig zur Entscheidungsreife zu führen und eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es hat deshalb u. a. vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Überdies hat das Gericht auch bei Gutachten nach § 109 SGG auf eine zügige Gutachtenserstattung hinzuwirken (vgl. EuGH vom 25.03.2010 - 901/05 - und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109, Rn. 19 m.w.N.). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für erforderlich, im Fall eines Antrags gemäß § 109 Abs. 1 SGG vor Erteilung des Gutachtensauftrags dem Antragsteller die Beibringung eines Nachweises über die Bereitschaft des als Sachverständigen benannten Arztes aufzugeben, das Gutachten innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht vorzulegen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2014 - L 4 R 4797/13 -, Rn. 35 ), und zwar unabhängig davon, ob der als Sachverständige benannte Arzt in der Vergangenheit ihm zur Gutachtenserstellung gesetzte Fristen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 der Zivilprozessordnung) eingehalten oder überschritten hat. Die Befugnis hierzu entnimmt das Gericht auch § 106 Abs. 3 SGG, dessen Regelungsinhalt nicht abschließend ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes " … insbesondere …" ergibt.
41 
Vorliegend hat der sachkundig vertretene Kläger innerhalb der ihm hierzu eingeräumten Frist keinen Nachweis vorgelegt, dass Dr. J. bereit und in der Lage ist, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrags zu erstellen und dem Gericht zu übermitteln. Er hat damit die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit dem Antrag nach § 109 SGG außer Acht gelassen, was eine grobe Nachlässigkeit darstellt und zur Ablehnung des hilfsweise aufrecht erhaltenen Beweisantrags führt (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn ihm war seit der Verfügung vom 16.12.2016 bekannt, dass für das beantragte Gutachten nach § 109 SGG - auch - die Bestätigung des benannten Sachverständigen erforderlich war, das Gutachten binnen einer Frist von drei Monaten nach Zugang des Gutachtensauftrags zu erstellen und vorzulegen. Außerdem hatte ihn das Gericht - zudem durch Fettdruck noch textlich hervorgehoben - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es das Gutachten nicht in Auftrag gebe, wenn der Kläger die Auflagen nicht, nur teilweise oder nicht fristgerecht erfüllt. Wollte die Kammer dem Hilfsantrag gleichwohl stattgeben, hätte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2017 nicht in der Sache entscheiden können, vielmehr den Rechtsstreit vertagen und zunächst das Gutachten einholen müssen. Dadurch hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits deutlich verzögert.
42 
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.