Sozialgericht Freiburg Urteil, 17. Apr. 2015 - S 15 AS 3600/13 ZVW

17.04.2015

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Leistungszeitraum 01.10.2010 bis 31.03.2011.
Die 1998 geborene Klägerin lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter in einer Bedarfsgemeinschaft. Im streitgegenständlichen Zeitraum bezog die Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten laufende Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin leidet an Laktoseintoleranz.
Am 27.12.2010 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines ärztlichen Attests beim Beklagten die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.
Mit Bescheid vom 07.01.2011 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 01.10.2010 bis 31.03.2011, ohne jedoch den begehrten Mehrbedarf zu berücksichtigen. Gegen den Bewilligungsbescheid erhoben die Klägerin und ihre Mutter am 10.01.2011 Widerspruch mit dem Begehren, einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung anzuerkennen. Sie dürfe aufgrund ihrer Erkrankung Milch und Milchprodukte nicht bzw. nur in sehr kleinen Mengen zu sich nehmen und sei daher auf laktosefreie Nahrung angewiesen, die teurer sei als normale Milchprodukte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2011 wies der Beklagte den Widerspruch vom 10.01.2011 als unbegründet zurück. Die angegebene Krankheit stelle keinen nach § 21 Abs. 5 SGB II unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts dar und sei nicht im Katalog der Mehrbedarfe für eine kostenaufwändige Ernährung enthalten. Bei einer Laktoseintoleranz seien laktosehaltige Nahrungsmittel zu meiden oder zu reduzieren, wodurch keine gravierend höheren Kosten entstünden.
Mit Änderungsbescheiden vom 25.03.2011, 24.05.2011, 28.02.2012, 16.05.2012 sowie 16.04.2013 erfolgte jeweils eine Neuberechnung des Leistungsanspruchs der Bedarfsgemeinschaft der Höhe nach. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung wurde nach wie vor nicht berücksichtigt.
Mit Schriftsatz vom 25.03.2011, eingegangen beim Gericht am selben Tag, hat die Klägerin zusammen mit ihrer Mutter Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben.
Mit Urteil vom 13.01.2012 hat das Sozialgericht Freiburg die Klage abgewiesen (S 20 AS 1559/11). Die Krankheit, an der die Klägerin leide, sei nicht mit höheren Kosten für Ernährung verbunden. Der Milchzuckerunverträglichkeit könne durch die Vermeidung von laktosehaltiger Kost begegnet werden. Alle anderen Grundnahrungsmittel könnten konsumiert werden. Die Krankheit sei nicht mit denen vergleichbar, für die nach den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge eine Krankenkostzulage vorgesehen sei. Vielmehr handele es sich um eine in der Bevölkerung weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit. Deswegen gebe es inzwischen ein breites Angebot preisgünstiger laktosefreier Milchprodukte. Vor diesem Hintergrund seien weitere Ermittlungen entbehrlich.
Auf die vom Sozialgericht zugelassene Sprungrevision hat das Bundessozialgericht die Sache mit Urteil vom 14.02.2013 an das Sozialgericht zurückverwiesen (B 14 AS 48/12 R). Zur Begründung hat das Bundessozialgericht ausgeführt, das Sozialgericht Freiburg habe die Maßstäbe des § 21 Abs. 5 SGB II verkannt, indem es die zur Klärung des Vorliegens eines krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarfs erforderlichen Prüfungsschritte vermengt habe. Der Mehrbedarf sei entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Einzelfall aufzuklären.
10 
Die Klägerin ist der Auffassung, es bestehe ein Anspruch auf höhere Leistungen zur Grundsicherung des Lebensunterhalts, weil aufgrund ihrer Erkrankung ein Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwändiger Ernährung in den Bedarf einzustellen sei.
11 
Die Klägerin beantragt,
12 
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 07.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2011 sowie des Änderungsbescheides vom 16.04.2013 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines angemessenen Mehrbedarfszuschlags wegen Laktoseintoleranz zu bewilligen.
13 
Der Beklagte beantragt,
14 
die Klage abzuweisen.
15 
Zur Begründung verweist er auf den Inhalt des angegriffenen Widerspruchsbescheides. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung sei nicht nachgewiesen. Für den streitgegenständlichen Zeitraum sei nicht geklärt, ob und in welchem Umfang Mehrkosten notwendigerweise durch eine laktosefreie Ernährung entstanden sind.
16 
Das Gericht hat wie folgt Beweis erhoben:
17 
1. Einholung einer schriftlichen Auskunft der behandelnden Ärztin der Klägerin, Dr. med. R., vom 10.01.2014. Diesbezüglich wird auf Bl. 40 f. der Gerichtsakte verwiesen.
18 
2. Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens bei Dr. med. H..
19 
Dr. H. stellt in seinem Gutachten vom 23.08.2014 die eindeutige Diagnose einer Laktoseintoleranz und führt aus, wegen der durch die Erkrankung hervorgerufenen Symptome sei der Verzehr von laktosehaltigen Nahrungsmitteln zu vermeiden bzw. auf eine Quantität zu reduzieren, die eine hinreichende Beschwerdefreiheit erziele. Während auf andere laktosehaltige Nahrungsmittel ohne Nachteil verzichtet werden könne, seien Milch und Milchprodukte wegen ihres Kalziumgehalts unentbehrlich. Laktosefreie Produkte seien nach einer österreichischen Studie durchschnittlich 30 % teurer als die vergleichbaren, laktosehaltigen Lebensmittel. Diese Erhebung decke sich mit den von ihm selbst durchgeführten Recherchen bei verschiedenen Discountern. Unter Zugrundelegung der durchschnittlichen wöchentlichen Ernährung der Klägerin sei von monatlichen Mehrkosten in Höhe von 30 Euro auszugehen. Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Gutachtens wird auf Bl. 56 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
20 
3. Desweiteren hat das Gericht nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ein ernährungswissenschaftliches Gutachten der Ernährungsberaterin Eva M., das diese im - zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen und dem Beklagten geführten - Verfahren S 17 AS 1451/13 erstattet hat, in anonymisierter Form als Urkundenbeweis in das Verfahren eingeführt.
21 
Die Gutachterin teilt mit, alle Milchprodukte könnten grundsätzlich durch Milch ersetzt werden. Der von der Verbraucherzentrale Hamburg durchgeführte „Marktcheck 2012“ habe ergeben, dass von Laktoseintoleranz betroffene Menschen durchschnittlich 2,4mal so viel für Lebensmittel zahlen müssen, die als laktosefrei deklariert sind. Hinsichtlich dieses Gutachtens wird auf Bl. 68 f. der Gerichtsakte Bezug genommen.
22 
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren und auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
23 
Die zulässige Klage ist unbegründet.
24 
Der Bescheid vom 07.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2011 sowie der Änderungsbescheid vom 16.04.2013 sind rechtlich nicht beanstanden. Der Beklagte hat im streitgegenständlichen Leistungszeitraum zurecht keinen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bei der Klägerin anerkannt.
25 
Nach § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Ein gesonderter Antrag nach § 37 Abs. 1 S. 1 SGB II ist dabei nicht erforderlich (BSG, Urt. v. 06.05.2010 - B 14 AS 3/09 R).
26 
Die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R; zu diesem Urteil u.a. Harich, in: jurisPR-SozR 25/2013, Anm. 2; vgl. auch BSG, Urt. v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R) Folgendes voraus:
27 
- Der Leistungsberechtigte muss an einer Krankheit im Sinne der üblichen krankenversicherungsrechtlichen Begriffsdefinition (vgl. nur BSG, Urt. v. 11.09.2012 - B 1 KR 9/12 R, Rn. 10 bei juris) leiden. Die Rechtsprechung hält insoweit bereits eine „drohende Erkrankung“ für ausreichend (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 12 bei juris; vgl. auch BSG, Urt. v. 22.04.2009 - B 3 KR 11/07 R sowie die Mehrbedarfsregelung in § 30 Abs. 5 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -) (hierzu unter 1.).
28 
- Der Leistungsberechtigte muss sich im Sinne einer Krankenkost „besonders“ ernähren und diese besondere Ernährung muss aufgrund der Krankheit medizinisch notwendig sein (Ursächlichkeitszusammenhang) (hierzu unter 2.).
29 
- Die im Einzelfall erforderliche Krankenkost muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung, kostenaufwändiger sein (hierzu unter 3.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem im § 21 Abs. 5 SGB II genannten Begriff der „kostenaufwändigen Ernährung“ offenbar um einen redaktionellen Fehler im Gesetzestext handelt, weil die Bedeutung des Komparativs nach Sinn und Zweck der Norm übersehen wurde. Es genügt gerade nicht, dass die Ernährung lediglich „kostenaufwändig“ ist, denn dies ist jede Ernährung, die Geld kostet. Die Ernährung muss tatsächlich „kostenaufwändiger“ sein als die eines Gesunden.
30 
Im Gegensatz zu den Fallgruppen, die nach § 21 Abs. 1 bis 4 SGB II einen Mehrbedarf begründen können (z.B. für Schwangere und Alleinerziehende), sieht die Mehrbedarfsregelung für kostenaufwändige Ernährung keine pauschale Erhöhung des Regelbedarfs vor, sondern richtet sich auch in dieser Hinsicht nach den Umständen des Einzelfalls. Das Bundessozialgericht verlangt daher eine am konkreten Einzelfall orientierte tatsächliche und rechtliche Würdigung (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 15 bei juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.03.2013 - L 6 AS 291/10, Rn. 56 bei juris; vgl. auch Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 21 Rn. 57; Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II K § 21 Rn. 58; Düring, in: Gagel, SGB II, 49. Erg.-Lief. 2013, § 21 Rn. 33; Breitkreuz, in: BeckOK-SGB II, § 21 Rn. 15).
1.
31 
Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen leidet die Klägerin nachweislich an Laktoseintoleranz. Dies stellt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine gesundheitliche Beeinträchtigung dar, die grundsätzlich einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II auslösen kann (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 13 bei juris). Es handelt sich um eine Krankheit auch im Sinne der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10-GM E73).
32 
Der Qualifizierung der Laktoseintoleranz als mehrbedarfsbegründende Krankheit im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II steht dabei nicht die weltweit hohe Verbreitung dieser Stoffwechselkrankheit - in asiatischen Ländern und in weiten Teilen Afrikas liegt die Prävalenz zwischen 70 bis 100 Prozent der Bevölkerung (vgl. Vogelreuter, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, S. 17) - entgegen. Denn die Häufigkeit, mit der ein regelwidriger Körperzustand innerhalb der Bevölkerung auftritt, ist kein Merkmal des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs (vgl. BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 13 bei juris; Urt. v. 30.09.1999 - B 8 KN 9/98 KR; BVerwG, Urt. v. 16.08.2005 - 2 B 28/05). Allein die weite Verbreitung einer Erkrankung (hier der Laktoseintoleranz) entbindet nicht von der Feststellung eines besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnisses im Einzelfall. Danach stellt die Laktoseintoleranz jedenfalls dann eine dem Grunde nach mehrbedarfsfähige Krankheit im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II dar, wenn sie bei einem von dieser Stoffwechselstörung betroffenen Menschen bei Verzehr laktosehaltiger Lebensmittel nicht nur geringfügige klinische Symptome verursacht. Dies ist bei der Klägerin ausweislich des Ergebnisses der medizinischen Sachverhaltsermittlungen - Dr. H. nennt als Symptome unter anderem Bauchschmerzen und Durchfall - der Fall.
2.
33 
Die Klägerin muss sich nach dem Ergebnis der Sachverhaltsermittlungen aufgrund dieser Krankheit zur Überzeugung der Kammer auch besonders ernähren. Der Gutachter Dr. H. führt nachvollziehbar aus, dass wegen der durch die Erkrankung hervorgerufenen Symptome der Verzehr von laktosehaltigen Nahrungsmitteln zu vermeiden bzw. zu reduzieren ist.
34 
Soweit der Beklagte vorträgt, die Klägerin habe überhaupt nicht nachgewiesen, ob und in welchem Umfang im streitgegenständlichen Zeitraum Mehrkosten durch die laktosefreie Ernährung entstanden sind, kommt es hierauf nicht an. Die tatsächliche Einhaltung einer kostenaufwändigen Ernährung oder ggf. der Nachweis tatsächlicher Mehraufwendungen ist keine Anspruchsvoraussetzung für die Anerkennung eines Mehrbedarfs (BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12; Behrend, in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 60). Ein Erfordernis eines zweckentsprechenden Einsatzes der Leistungen für den Mehrbedarf ist in § 21 Abs. 5 SGB II nicht normiert.
35 
Auch die Argumentation, ein Mehrbedarf sei generell zu verneinen, weil die Therapie vorrangig im „Weglassen“ unverträglicher Lebensmittel liege, wodurch kein erhöhter Aufwand entstehe, kann nicht zur Ablehnung des Anspruchs führen. Für einen ernährungsbedingten Mehrbedarf ist nach der Rechtsprechung nicht entscheidend, ob ein bestimmtes Nahrungsmittel bei der Ernährung weggelassen werden kann. Entscheidend ist vielmehr, ob und durch welche Nahrungsmittel es ersetzt werden muss und ob hierdurch Mehrkosten entstehen (BSG, Urt. v. 09.06.2011 - B 8 SO 11/10 R).
3.
36 
Nach Auffassung der Kammer führt die notwendige besondere Ernährung im vorliegend zu beurteilenden konkreten Einzelfall jedoch nicht zu einem höheren, einen Mehrbedarf auslösenden Kostenaufwand.
37 
Die Kammer stützt ihre Entscheidung dabei zunächst grundlegend auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe in der vierten, neu erarbeiteten Auflage vom 10.12.2014 (abrufbar unter http://www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/empfehlungen_archiv/2014/DV-28-14-Krankenkostzulagen; zuletzt abgerufen am 30.04.2015), die nach Ziffer III.2. nunmehr ausdrücklich auch für Kinder und Jugendliche wie die Klägerin gelten. Die Empfehlungen lauten auszugsweise:
38 
„III.3.2.1 Laktoseintoleranz
39 
Die Verträglichkeit von Laktose unterliegt keinen eindeutigen systematischen Regeln, sondern ist individuell unterschiedlich. In der Regel werden jedoch 12 g bis 15 g, teilweise bis zu 24 g Laktose pro Tag toleriert, so dass eine Substitution mit speziellen Nahrungsmitteln nicht erforderlich ist. Therapeutisch gibt es bei Laktoseintoleranz keine spezielle Diät. Es wird eine Vollkost mit einer auf das Beschwerdebild angepassten Ernährung empfohlen. Die ernährungsmedizinische Behandlung besteht im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen werden (z.B. Kuhmilch). Die Deckung des Kalziumbedarfs ist insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthalten (z.B. reifer Käse). Eine kostenaufwändigere Ernährung ist damit in der Regel nicht erforderlich.“
40 
Die in einer interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppe, der Sozialrechtler, Ärzte, Verwaltungsfachkräfte und Ernährungswissenschaftler angehörten (vgl. Fn. 1 auf S. 3 der Empfehlungen), erstellten und somit im Rahmen wissenschaftlicher Erhebungen zustande gekommenen Empfehlungen erweisen sich nach Auffassung der Kammer als überzeugend und nachvollziehbar. Dabei wird nicht verkannt, dass die Rechtsprechung bislang ganz überwiegend davon ausgeht, dass den Mehrbedarfsempfehlungen nach ihrer Konzeption und Entstehungsgeschichte weder die Rolle antizipierter Sachverständigengutachten zukommt und sie erst recht nicht normähnlich angewendet werden können (vgl. nur BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R). Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass den - zum Zeitpunkt der auf sie Bezug nehmenden Entscheidungen teilweise mehrere Jahre alten - Empfehlungen die Einstufung als antizipiertes Sachverständigengutachten unter anderem mit der Begründung abgesprochen wurde, diese stellten nicht mehr den aktuellsten Stand der medizinischen Erkenntnisse dar (so auch die Einschränkung des BSG, Urt. v. 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R, Rn. 29 bei juris: „… derzeit … nicht als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen“). Im Falle der Laktoseintoleranz wurde zudem bemängelt, dass diese Erkrankung in den Empfehlungen - bislang - nicht genannt war (so ausdrücklich BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 16 bei juris). Aufgrund der Aktualisierung von 2014 geben die Empfehlungen indes nunmehr den neuesten Stand der ernährungswissenschaftlichen Erkenntnis wieder. Außerdem verhalten sie sich in der aktuellen Auflage - anders als in den vorgehenden Auflagen, die der genannten Rechtsprechung zugrunde lagen - ausführlich zur Frage einer kostenaufwändigen Ernährung bei Laktoseintoleranz.
41 
Auch der Gesetzgeber bezieht sich im Zusammenhang der Feststellung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung auf die Mehrbedarfsempfehlungen und führt in der Gesetzesbegründung ausdrücklich aus, dass bei der Bestimmung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs „die […] vom Deutschen Verein […] entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden“ können (BT-Drs. 15/1516, S. 57 zu § 21 Abs. 5 SGB II). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Abweichen von den Empfehlungen sogar begründungsbedürftig (BVerfG, Beschl. v. 20.06.2006 - 1 BvR 2673/05, Rn. 19 bei juris). Im Einklang hiermit qualifiziert das Bundessozialgericht die Empfehlungen zumindest als „eine Orientierungshilfe, die den Umfang der Ermittlungen im Einzelfall steuert“ (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 16 bei juris) und auch als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden kann (BSG, Urt. v. 27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R, Rn. 39 bei juris). Nach Auffassung der Kammer darf in diesem Zusammenhang die Aussage des Bundessozialgerichts, es seien im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 5 SGB II kaum Fälle denkbar, in denen sich für eine bestimmte Erkrankung, die - wie die Laktoseintoleranz - Einfluss auf die Ernährung habe, ein besonderer Kostenaufwand abschließend als generelle Tatsache (Rechtstatsache) mit Gültigkeit für jeden Einzelfall verneinen lasse (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 17 bei juris), nicht im Sinne einer Vorfestlegung auf die grundsätzliche Gewährung eines Mehrbedarfs bei Vorliegen einer entsprechenden Erkrankung missverstanden werden. Vielmehr muss unter Heranziehung der Mehrbedarfsempfehlungen und Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden, ob die gesundheitlichen Einschränkungen einen tatsächlichen Mehrbedarf auslösen.
42 
Die hiernach anzustellende Prüfung führt jedoch unter Berücksichtigung der im vorliegenden Fall eingeholten Gutachten nicht zur Annahme eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändigerer Ernährung.
43 
Nach den überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen des Gutachters Dr. H. kann ohne Nachteil auf alle laktosehaltigen Nahrungsmittel außer Milch und Milchprodukte verzichtet werden. Unter Hinzuziehung des Gutachtens der Ernährungsberaterin Frau M., die ausführt, dass sämtliche Milchprodukte durch Milch ersetzt werden können, geht die Kammer davon aus, dass rein unter gesundheitlichen Aspekten eine laktosefreie Ernährung durch ausschließlichen Verzehr laktosefreier Milch möglich ist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) empfiehlt für 13- bis 18-jährige Jugendliche aufgrund des starken Wachstums eine Kalziumzufuhr von etwa 1200 mg pro Tag (im Gegensatz zu 1000 mg pro Tag für Erwachsene) sowie eine tägliche Zufuhr von 200-250 mg Milch/Milchprodukten und 50-60g fettarmer Käse (vgl. http://www.dge.de/rd/ca-ref; zuletzt abgerufen am 30.04.2015). Der sich aus den nachvollziehbaren Ermittlungen des Gutachters Dr. H. ergebende Durchschnittspreis für einen Liter normale (laktosehaltige) Vollmilch beträgt etwa 0,69 Euro, derjenige für einen Liter laktosefreie Vollmilch etwa 0,95 Euro. Dies ergibt eine Differenz von 0,26 Euro und deckt sich mit der Einschätzung von Dr. H., dass die Mehrkosten in etwa 30 Prozent betragen. Dass der Gutachter dabei als Internist über keine besonderen Kenntnisse auf ernährungswissenschaftlichem bzw. marktanalytischem Gebiet verfügt (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R), ist nach Auffassung der Kammer irrelevant, da die Ermittlung der Durchschnittspreise - wie Dr. H. durch seine in allen Belangen nachvollziehbare Recherche bewiesen hat - solche vertieften Kenntnisse überhaupt nicht erfordert. Das Ergebnis ist auch unter Heranziehung der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus plausibel. Ein Liter Milch reicht nach den Empfehlungen der DGE für drei bis vier Tage. Im Monat werden somit rund siebeneinhalb bis zehn Liter Milch benötigt. Dies ergibt monatliche Mehrkosten in Höhe von rund 2,00 bis 2,60 Euro, was rund ein Prozent des im Leistungszeitraum relevanten Regelbedarfs der Klägerin entspricht.
44 
Zwar gibt es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende keine allgemein anerkannte Bagatellgrenze, da ansonsten dem Betroffenen Leistungen vorenthalten würden, obwohl er einen Anspruch hat (BSG, Urt. v. 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R zu § 21 Abs. 6 SGB II). Jedoch halten sich die ermittelten Mehrkosten zur Überzeugung der Kammer in einem Rahmen, der ohne Weiteres durch den Regelsatz gedeckt werden kann. Die Mehrkosten, die die regelmäßige Kalziumzufuhr durch laktosefreie Produkte verursacht, lassen sich beim Einkauf auch durch Einsparungen bei anderen Lebensmitteln ausgleichen (zur vom Gesetzgeber als grundsätzlich zumutbar erachteten Einsparmöglichkeit durch „Umschichtung“ vgl. auch BT-Drs. 17/1465, S. 6 und 8). Eine entsprechende preisbewusste Einkaufsweise erachtet die Kammer insoweit als durchaus zumutbar. Der im Regelsatz berücksichtigte Ansatz für Nahrungsmittel und Getränke, der einen pauschalen Anteil für eine ausreichende und ausgewogene Ernährung enthält, lässt insoweit Spielraum für individuelle Bedürfnisse wie sie bei Erkrankungen wie bei der Klägerin bestehen. Ist ein bestimmter körperlicher Zustand bei einer großen Zahl von Menschen anzutreffen, kann dies im Rahmen der Prüfung, ob dieser Körperzustand einen Mehrbedarf erfordert, von Bedeutung sein, und zwar dann, wenn es deshalb eine Vielzahl von laktosefreien Lebensmitteln zu Discounterpreisen gibt, die eine ausreichende, Mangelerscheinungen ausschließende Ernährung zu Preisen ermöglichen, mit denen auch die Regelbedarfsernährung beschafft werden kann. Nach Auffassung der Kammer hat sich auf dem Gebiet der laktosefreien Nahrungsmittel bereits ein derart umfangreiches Angebot entwickelt, welches es der Klägerin ermöglicht, mit den aus der Regelleistung für Ernährung zur Verfügung stehenden Mitteln, deren Höhe keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 23.07.2014 - 1 BvL 10/12), eine ausgewogene Ernährung auch unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen sicherzustellen. So führt auch Dr. H. aus, dass der Markt laktosefreien Käse anbiete, der keine Mehrkosten verursache. Auch Naturjoghurt werde trotz Laktosegehalts häufig problemlos vertragen. Nach Auskunft von Frau M. kann Schnittkäse sogar ganz ohne Einschränkungen verzehrt werden. Dr. H. regt vor diesem Hintergrund auch nachvollziehbar die Inanspruchnahme einer qualifizierten Ernährungsberatung an.
45 
Soweit Dr. H. in seinem Gutachten von monatlichen Mehrkosten in Höhe von 30 Euro ausgeht, ist zu berücksichtigen, dass dieser Berechnung seiner Auskunft zufolge die Ernährungsangaben der Klägerin (Bl. 58 und 59 der Gerichtsakte) zugrunde liegen. Nach Auffassung der Kammer ist unter Heranziehung der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Mehrbedarfsempfehlungen indes ein wöchentlicher Verzehr von fünf (!) Litern Milch, acht Stück Joghurt/Fruchtquark und zwei Portionen Milchreis/Grießpudding - gerade beim Vorliegen einer Laktoseunverträglichkeit - keineswegs erforderlich. Auch die von Frau M. unter Bezugnahme auf den sog. „Marktcheck 2012“ der Verbraucherzentrale Hamburg (http://www.vzhh.de/ernaehrung/257312/Laktosefreie%20Lebensmittel_Produkt%c3%bcbersicht.pdf; zuletzt abgerufen am 30.04.2015) getroffene Feststellung, von Laktoseintoleranz betroffene Menschen müssten durchschnittlich 2,4-mal so viel für Lebensmittel zahlen als Gesunde, führt im vorliegenden Fall nicht zum Klageerfolg. Die erhebliche Abweichung basiert unter anderem auf der Heranziehung von laktosefreien Nahrungsmitteln wie Schinken, Wurst, Schnittkäse oder Mehrkornbrot. Mit dem Marktcheck soll offenkundig auf die „Marketingtricks“ der Nahrungsmittelindustrie aufmerksam gemacht werden. Zur Ermittlung der Höhe eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs bei Laktoseintoleranz ist er nach Auffassung der Kammer indes völlig untauglich.
46 
Soweit sich die Klägerin dagegen verwehrt, hierdurch verursacht „ernährungswissenschaftlichen Minimalismus“ betreiben zu müssen, führt dies nicht zu einer abweichenden Entscheidung. Ob die Klägerin aus persönlichen Gründen auf bestimmte Produkte, wie im Gutachten von Dr. H. aufgezählt, zurückgreifen möchte, insbesondere um in ihrer Ernährung mehr Abwechslung zu haben und hierdurch eine besondere soziale Teilhabe verwirklichen zu können, ist im Rahmen des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern ist es der Klägerin - wie jedem anderen Hilfebedürftigen auch, der eine besondere Ernährung wünscht - zuzumuten, sich durch Umschichtungen innerhalb der in der Regelleistung enthaltenen Beträge eine den persönlichen Vorlieben genügende abwechslungsreichere, aber teurere Ernährung zu verschaffen (so auch LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.03.2013 - L 6 AS 291/10, Rn. 57 bei juris).
47 
Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren im Hinblick auf die nachvollziehbaren Mehrbedarfsempfehlungen und die eingeholten ausführlichen und überzeugenden Stellungnahmen und Gutachten nicht erforderlich. Besondere Umstände, die ein Abweichen von den Empfehlungen sowie die Durchführung weiterer Ermittlungen begründen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch für die Kammer erkennbar.
48 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
49 
Vor dem Hintergrund einer kaum erkennbar einheitlichen Linie der Rechtsprechung in der Beurteilung einer kostenaufwändigeren Ernährung bei Laktoseintoleranz (vgl. u.a. LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.03.2013 - L 6 AS 291/10; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 04.04.2011 - L 6 AS 2205/10 B ER sowie v. 10.03.2011 - L 6 AS 1659/10 B; LSG Thüringen, Urt. v. 22.02.2012 - L 4 AS 1685/10; SG Berlin, Urt. v. 05.04.2013 - S 37 AS 13126/12; SG Dresden, Urt. v. 18.09.2012 - S 38 AS 5649/09; SG Freiburg, Urt. v. 13.01.2012 - S 20 AS 1559/11; SG Karlsruhe, Urt. v. 31.03.2011 - S 4 AS 2626/09; SG Berlin, Urt. v. 09.10.2006 - S 101 AS 862/06) lässt die Kammer die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Gründe

 
23 
Die zulässige Klage ist unbegründet.
24 
Der Bescheid vom 07.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2011 sowie der Änderungsbescheid vom 16.04.2013 sind rechtlich nicht beanstanden. Der Beklagte hat im streitgegenständlichen Leistungszeitraum zurecht keinen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bei der Klägerin anerkannt.
25 
Nach § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Ein gesonderter Antrag nach § 37 Abs. 1 S. 1 SGB II ist dabei nicht erforderlich (BSG, Urt. v. 06.05.2010 - B 14 AS 3/09 R).
26 
Die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R; zu diesem Urteil u.a. Harich, in: jurisPR-SozR 25/2013, Anm. 2; vgl. auch BSG, Urt. v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R) Folgendes voraus:
27 
- Der Leistungsberechtigte muss an einer Krankheit im Sinne der üblichen krankenversicherungsrechtlichen Begriffsdefinition (vgl. nur BSG, Urt. v. 11.09.2012 - B 1 KR 9/12 R, Rn. 10 bei juris) leiden. Die Rechtsprechung hält insoweit bereits eine „drohende Erkrankung“ für ausreichend (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 12 bei juris; vgl. auch BSG, Urt. v. 22.04.2009 - B 3 KR 11/07 R sowie die Mehrbedarfsregelung in § 30 Abs. 5 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -) (hierzu unter 1.).
28 
- Der Leistungsberechtigte muss sich im Sinne einer Krankenkost „besonders“ ernähren und diese besondere Ernährung muss aufgrund der Krankheit medizinisch notwendig sein (Ursächlichkeitszusammenhang) (hierzu unter 2.).
29 
- Die im Einzelfall erforderliche Krankenkost muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung, kostenaufwändiger sein (hierzu unter 3.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem im § 21 Abs. 5 SGB II genannten Begriff der „kostenaufwändigen Ernährung“ offenbar um einen redaktionellen Fehler im Gesetzestext handelt, weil die Bedeutung des Komparativs nach Sinn und Zweck der Norm übersehen wurde. Es genügt gerade nicht, dass die Ernährung lediglich „kostenaufwändig“ ist, denn dies ist jede Ernährung, die Geld kostet. Die Ernährung muss tatsächlich „kostenaufwändiger“ sein als die eines Gesunden.
30 
Im Gegensatz zu den Fallgruppen, die nach § 21 Abs. 1 bis 4 SGB II einen Mehrbedarf begründen können (z.B. für Schwangere und Alleinerziehende), sieht die Mehrbedarfsregelung für kostenaufwändige Ernährung keine pauschale Erhöhung des Regelbedarfs vor, sondern richtet sich auch in dieser Hinsicht nach den Umständen des Einzelfalls. Das Bundessozialgericht verlangt daher eine am konkreten Einzelfall orientierte tatsächliche und rechtliche Würdigung (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 15 bei juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.03.2013 - L 6 AS 291/10, Rn. 56 bei juris; vgl. auch Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 21 Rn. 57; Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II K § 21 Rn. 58; Düring, in: Gagel, SGB II, 49. Erg.-Lief. 2013, § 21 Rn. 33; Breitkreuz, in: BeckOK-SGB II, § 21 Rn. 15).
1.
31 
Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen leidet die Klägerin nachweislich an Laktoseintoleranz. Dies stellt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine gesundheitliche Beeinträchtigung dar, die grundsätzlich einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II auslösen kann (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 13 bei juris). Es handelt sich um eine Krankheit auch im Sinne der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10-GM E73).
32 
Der Qualifizierung der Laktoseintoleranz als mehrbedarfsbegründende Krankheit im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II steht dabei nicht die weltweit hohe Verbreitung dieser Stoffwechselkrankheit - in asiatischen Ländern und in weiten Teilen Afrikas liegt die Prävalenz zwischen 70 bis 100 Prozent der Bevölkerung (vgl. Vogelreuter, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, S. 17) - entgegen. Denn die Häufigkeit, mit der ein regelwidriger Körperzustand innerhalb der Bevölkerung auftritt, ist kein Merkmal des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs (vgl. BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 13 bei juris; Urt. v. 30.09.1999 - B 8 KN 9/98 KR; BVerwG, Urt. v. 16.08.2005 - 2 B 28/05). Allein die weite Verbreitung einer Erkrankung (hier der Laktoseintoleranz) entbindet nicht von der Feststellung eines besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnisses im Einzelfall. Danach stellt die Laktoseintoleranz jedenfalls dann eine dem Grunde nach mehrbedarfsfähige Krankheit im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II dar, wenn sie bei einem von dieser Stoffwechselstörung betroffenen Menschen bei Verzehr laktosehaltiger Lebensmittel nicht nur geringfügige klinische Symptome verursacht. Dies ist bei der Klägerin ausweislich des Ergebnisses der medizinischen Sachverhaltsermittlungen - Dr. H. nennt als Symptome unter anderem Bauchschmerzen und Durchfall - der Fall.
2.
33 
Die Klägerin muss sich nach dem Ergebnis der Sachverhaltsermittlungen aufgrund dieser Krankheit zur Überzeugung der Kammer auch besonders ernähren. Der Gutachter Dr. H. führt nachvollziehbar aus, dass wegen der durch die Erkrankung hervorgerufenen Symptome der Verzehr von laktosehaltigen Nahrungsmitteln zu vermeiden bzw. zu reduzieren ist.
34 
Soweit der Beklagte vorträgt, die Klägerin habe überhaupt nicht nachgewiesen, ob und in welchem Umfang im streitgegenständlichen Zeitraum Mehrkosten durch die laktosefreie Ernährung entstanden sind, kommt es hierauf nicht an. Die tatsächliche Einhaltung einer kostenaufwändigen Ernährung oder ggf. der Nachweis tatsächlicher Mehraufwendungen ist keine Anspruchsvoraussetzung für die Anerkennung eines Mehrbedarfs (BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12; Behrend, in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 60). Ein Erfordernis eines zweckentsprechenden Einsatzes der Leistungen für den Mehrbedarf ist in § 21 Abs. 5 SGB II nicht normiert.
35 
Auch die Argumentation, ein Mehrbedarf sei generell zu verneinen, weil die Therapie vorrangig im „Weglassen“ unverträglicher Lebensmittel liege, wodurch kein erhöhter Aufwand entstehe, kann nicht zur Ablehnung des Anspruchs führen. Für einen ernährungsbedingten Mehrbedarf ist nach der Rechtsprechung nicht entscheidend, ob ein bestimmtes Nahrungsmittel bei der Ernährung weggelassen werden kann. Entscheidend ist vielmehr, ob und durch welche Nahrungsmittel es ersetzt werden muss und ob hierdurch Mehrkosten entstehen (BSG, Urt. v. 09.06.2011 - B 8 SO 11/10 R).
3.
36 
Nach Auffassung der Kammer führt die notwendige besondere Ernährung im vorliegend zu beurteilenden konkreten Einzelfall jedoch nicht zu einem höheren, einen Mehrbedarf auslösenden Kostenaufwand.
37 
Die Kammer stützt ihre Entscheidung dabei zunächst grundlegend auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe in der vierten, neu erarbeiteten Auflage vom 10.12.2014 (abrufbar unter http://www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/empfehlungen_archiv/2014/DV-28-14-Krankenkostzulagen; zuletzt abgerufen am 30.04.2015), die nach Ziffer III.2. nunmehr ausdrücklich auch für Kinder und Jugendliche wie die Klägerin gelten. Die Empfehlungen lauten auszugsweise:
38 
„III.3.2.1 Laktoseintoleranz
39 
Die Verträglichkeit von Laktose unterliegt keinen eindeutigen systematischen Regeln, sondern ist individuell unterschiedlich. In der Regel werden jedoch 12 g bis 15 g, teilweise bis zu 24 g Laktose pro Tag toleriert, so dass eine Substitution mit speziellen Nahrungsmitteln nicht erforderlich ist. Therapeutisch gibt es bei Laktoseintoleranz keine spezielle Diät. Es wird eine Vollkost mit einer auf das Beschwerdebild angepassten Ernährung empfohlen. Die ernährungsmedizinische Behandlung besteht im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen werden (z.B. Kuhmilch). Die Deckung des Kalziumbedarfs ist insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthalten (z.B. reifer Käse). Eine kostenaufwändigere Ernährung ist damit in der Regel nicht erforderlich.“
40 
Die in einer interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppe, der Sozialrechtler, Ärzte, Verwaltungsfachkräfte und Ernährungswissenschaftler angehörten (vgl. Fn. 1 auf S. 3 der Empfehlungen), erstellten und somit im Rahmen wissenschaftlicher Erhebungen zustande gekommenen Empfehlungen erweisen sich nach Auffassung der Kammer als überzeugend und nachvollziehbar. Dabei wird nicht verkannt, dass die Rechtsprechung bislang ganz überwiegend davon ausgeht, dass den Mehrbedarfsempfehlungen nach ihrer Konzeption und Entstehungsgeschichte weder die Rolle antizipierter Sachverständigengutachten zukommt und sie erst recht nicht normähnlich angewendet werden können (vgl. nur BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R). Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass den - zum Zeitpunkt der auf sie Bezug nehmenden Entscheidungen teilweise mehrere Jahre alten - Empfehlungen die Einstufung als antizipiertes Sachverständigengutachten unter anderem mit der Begründung abgesprochen wurde, diese stellten nicht mehr den aktuellsten Stand der medizinischen Erkenntnisse dar (so auch die Einschränkung des BSG, Urt. v. 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R, Rn. 29 bei juris: „… derzeit … nicht als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen“). Im Falle der Laktoseintoleranz wurde zudem bemängelt, dass diese Erkrankung in den Empfehlungen - bislang - nicht genannt war (so ausdrücklich BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 16 bei juris). Aufgrund der Aktualisierung von 2014 geben die Empfehlungen indes nunmehr den neuesten Stand der ernährungswissenschaftlichen Erkenntnis wieder. Außerdem verhalten sie sich in der aktuellen Auflage - anders als in den vorgehenden Auflagen, die der genannten Rechtsprechung zugrunde lagen - ausführlich zur Frage einer kostenaufwändigen Ernährung bei Laktoseintoleranz.
41 
Auch der Gesetzgeber bezieht sich im Zusammenhang der Feststellung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung auf die Mehrbedarfsempfehlungen und führt in der Gesetzesbegründung ausdrücklich aus, dass bei der Bestimmung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs „die […] vom Deutschen Verein […] entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden“ können (BT-Drs. 15/1516, S. 57 zu § 21 Abs. 5 SGB II). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Abweichen von den Empfehlungen sogar begründungsbedürftig (BVerfG, Beschl. v. 20.06.2006 - 1 BvR 2673/05, Rn. 19 bei juris). Im Einklang hiermit qualifiziert das Bundessozialgericht die Empfehlungen zumindest als „eine Orientierungshilfe, die den Umfang der Ermittlungen im Einzelfall steuert“ (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 16 bei juris) und auch als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden kann (BSG, Urt. v. 27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R, Rn. 39 bei juris). Nach Auffassung der Kammer darf in diesem Zusammenhang die Aussage des Bundessozialgerichts, es seien im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 5 SGB II kaum Fälle denkbar, in denen sich für eine bestimmte Erkrankung, die - wie die Laktoseintoleranz - Einfluss auf die Ernährung habe, ein besonderer Kostenaufwand abschließend als generelle Tatsache (Rechtstatsache) mit Gültigkeit für jeden Einzelfall verneinen lasse (BSG, Urt. v. 14.02.2013 - a.a.O., Rn. 17 bei juris), nicht im Sinne einer Vorfestlegung auf die grundsätzliche Gewährung eines Mehrbedarfs bei Vorliegen einer entsprechenden Erkrankung missverstanden werden. Vielmehr muss unter Heranziehung der Mehrbedarfsempfehlungen und Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden, ob die gesundheitlichen Einschränkungen einen tatsächlichen Mehrbedarf auslösen.
42 
Die hiernach anzustellende Prüfung führt jedoch unter Berücksichtigung der im vorliegenden Fall eingeholten Gutachten nicht zur Annahme eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändigerer Ernährung.
43 
Nach den überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen des Gutachters Dr. H. kann ohne Nachteil auf alle laktosehaltigen Nahrungsmittel außer Milch und Milchprodukte verzichtet werden. Unter Hinzuziehung des Gutachtens der Ernährungsberaterin Frau M., die ausführt, dass sämtliche Milchprodukte durch Milch ersetzt werden können, geht die Kammer davon aus, dass rein unter gesundheitlichen Aspekten eine laktosefreie Ernährung durch ausschließlichen Verzehr laktosefreier Milch möglich ist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) empfiehlt für 13- bis 18-jährige Jugendliche aufgrund des starken Wachstums eine Kalziumzufuhr von etwa 1200 mg pro Tag (im Gegensatz zu 1000 mg pro Tag für Erwachsene) sowie eine tägliche Zufuhr von 200-250 mg Milch/Milchprodukten und 50-60g fettarmer Käse (vgl. http://www.dge.de/rd/ca-ref; zuletzt abgerufen am 30.04.2015). Der sich aus den nachvollziehbaren Ermittlungen des Gutachters Dr. H. ergebende Durchschnittspreis für einen Liter normale (laktosehaltige) Vollmilch beträgt etwa 0,69 Euro, derjenige für einen Liter laktosefreie Vollmilch etwa 0,95 Euro. Dies ergibt eine Differenz von 0,26 Euro und deckt sich mit der Einschätzung von Dr. H., dass die Mehrkosten in etwa 30 Prozent betragen. Dass der Gutachter dabei als Internist über keine besonderen Kenntnisse auf ernährungswissenschaftlichem bzw. marktanalytischem Gebiet verfügt (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R), ist nach Auffassung der Kammer irrelevant, da die Ermittlung der Durchschnittspreise - wie Dr. H. durch seine in allen Belangen nachvollziehbare Recherche bewiesen hat - solche vertieften Kenntnisse überhaupt nicht erfordert. Das Ergebnis ist auch unter Heranziehung der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus plausibel. Ein Liter Milch reicht nach den Empfehlungen der DGE für drei bis vier Tage. Im Monat werden somit rund siebeneinhalb bis zehn Liter Milch benötigt. Dies ergibt monatliche Mehrkosten in Höhe von rund 2,00 bis 2,60 Euro, was rund ein Prozent des im Leistungszeitraum relevanten Regelbedarfs der Klägerin entspricht.
44 
Zwar gibt es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende keine allgemein anerkannte Bagatellgrenze, da ansonsten dem Betroffenen Leistungen vorenthalten würden, obwohl er einen Anspruch hat (BSG, Urt. v. 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R zu § 21 Abs. 6 SGB II). Jedoch halten sich die ermittelten Mehrkosten zur Überzeugung der Kammer in einem Rahmen, der ohne Weiteres durch den Regelsatz gedeckt werden kann. Die Mehrkosten, die die regelmäßige Kalziumzufuhr durch laktosefreie Produkte verursacht, lassen sich beim Einkauf auch durch Einsparungen bei anderen Lebensmitteln ausgleichen (zur vom Gesetzgeber als grundsätzlich zumutbar erachteten Einsparmöglichkeit durch „Umschichtung“ vgl. auch BT-Drs. 17/1465, S. 6 und 8). Eine entsprechende preisbewusste Einkaufsweise erachtet die Kammer insoweit als durchaus zumutbar. Der im Regelsatz berücksichtigte Ansatz für Nahrungsmittel und Getränke, der einen pauschalen Anteil für eine ausreichende und ausgewogene Ernährung enthält, lässt insoweit Spielraum für individuelle Bedürfnisse wie sie bei Erkrankungen wie bei der Klägerin bestehen. Ist ein bestimmter körperlicher Zustand bei einer großen Zahl von Menschen anzutreffen, kann dies im Rahmen der Prüfung, ob dieser Körperzustand einen Mehrbedarf erfordert, von Bedeutung sein, und zwar dann, wenn es deshalb eine Vielzahl von laktosefreien Lebensmitteln zu Discounterpreisen gibt, die eine ausreichende, Mangelerscheinungen ausschließende Ernährung zu Preisen ermöglichen, mit denen auch die Regelbedarfsernährung beschafft werden kann. Nach Auffassung der Kammer hat sich auf dem Gebiet der laktosefreien Nahrungsmittel bereits ein derart umfangreiches Angebot entwickelt, welches es der Klägerin ermöglicht, mit den aus der Regelleistung für Ernährung zur Verfügung stehenden Mitteln, deren Höhe keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 23.07.2014 - 1 BvL 10/12), eine ausgewogene Ernährung auch unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen sicherzustellen. So führt auch Dr. H. aus, dass der Markt laktosefreien Käse anbiete, der keine Mehrkosten verursache. Auch Naturjoghurt werde trotz Laktosegehalts häufig problemlos vertragen. Nach Auskunft von Frau M. kann Schnittkäse sogar ganz ohne Einschränkungen verzehrt werden. Dr. H. regt vor diesem Hintergrund auch nachvollziehbar die Inanspruchnahme einer qualifizierten Ernährungsberatung an.
45 
Soweit Dr. H. in seinem Gutachten von monatlichen Mehrkosten in Höhe von 30 Euro ausgeht, ist zu berücksichtigen, dass dieser Berechnung seiner Auskunft zufolge die Ernährungsangaben der Klägerin (Bl. 58 und 59 der Gerichtsakte) zugrunde liegen. Nach Auffassung der Kammer ist unter Heranziehung der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Mehrbedarfsempfehlungen indes ein wöchentlicher Verzehr von fünf (!) Litern Milch, acht Stück Joghurt/Fruchtquark und zwei Portionen Milchreis/Grießpudding - gerade beim Vorliegen einer Laktoseunverträglichkeit - keineswegs erforderlich. Auch die von Frau M. unter Bezugnahme auf den sog. „Marktcheck 2012“ der Verbraucherzentrale Hamburg (http://www.vzhh.de/ernaehrung/257312/Laktosefreie%20Lebensmittel_Produkt%c3%bcbersicht.pdf; zuletzt abgerufen am 30.04.2015) getroffene Feststellung, von Laktoseintoleranz betroffene Menschen müssten durchschnittlich 2,4-mal so viel für Lebensmittel zahlen als Gesunde, führt im vorliegenden Fall nicht zum Klageerfolg. Die erhebliche Abweichung basiert unter anderem auf der Heranziehung von laktosefreien Nahrungsmitteln wie Schinken, Wurst, Schnittkäse oder Mehrkornbrot. Mit dem Marktcheck soll offenkundig auf die „Marketingtricks“ der Nahrungsmittelindustrie aufmerksam gemacht werden. Zur Ermittlung der Höhe eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs bei Laktoseintoleranz ist er nach Auffassung der Kammer indes völlig untauglich.
46 
Soweit sich die Klägerin dagegen verwehrt, hierdurch verursacht „ernährungswissenschaftlichen Minimalismus“ betreiben zu müssen, führt dies nicht zu einer abweichenden Entscheidung. Ob die Klägerin aus persönlichen Gründen auf bestimmte Produkte, wie im Gutachten von Dr. H. aufgezählt, zurückgreifen möchte, insbesondere um in ihrer Ernährung mehr Abwechslung zu haben und hierdurch eine besondere soziale Teilhabe verwirklichen zu können, ist im Rahmen des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern ist es der Klägerin - wie jedem anderen Hilfebedürftigen auch, der eine besondere Ernährung wünscht - zuzumuten, sich durch Umschichtungen innerhalb der in der Regelleistung enthaltenen Beträge eine den persönlichen Vorlieben genügende abwechslungsreichere, aber teurere Ernährung zu verschaffen (so auch LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.03.2013 - L 6 AS 291/10, Rn. 57 bei juris).
47 
Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren im Hinblick auf die nachvollziehbaren Mehrbedarfsempfehlungen und die eingeholten ausführlichen und überzeugenden Stellungnahmen und Gutachten nicht erforderlich. Besondere Umstände, die ein Abweichen von den Empfehlungen sowie die Durchführung weiterer Ermittlungen begründen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch für die Kammer erkennbar.
48 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
49 
Vor dem Hintergrund einer kaum erkennbar einheitlichen Linie der Rechtsprechung in der Beurteilung einer kostenaufwändigeren Ernährung bei Laktoseintoleranz (vgl. u.a. LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.03.2013 - L 6 AS 291/10; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 04.04.2011 - L 6 AS 2205/10 B ER sowie v. 10.03.2011 - L 6 AS 1659/10 B; LSG Thüringen, Urt. v. 22.02.2012 - L 4 AS 1685/10; SG Berlin, Urt. v. 05.04.2013 - S 37 AS 13126/12; SG Dresden, Urt. v. 18.09.2012 - S 38 AS 5649/09; SG Freiburg, Urt. v. 13.01.2012 - S 20 AS 1559/11; SG Karlsruhe, Urt. v. 31.03.2011 - S 4 AS 2626/09; SG Berlin, Urt. v. 09.10.2006 - S 101 AS 862/06) lässt die Kammer die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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Sozialgericht Freiburg Urteil, 17. Apr. 2015 - S 15 AS 3600/13 ZVW zitiert 10 §§.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

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(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind. (2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrb

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 37 Antragserfordernis


(1) Leistungen nach diesem Buch werden auf Antrag erbracht. Leistungen nach § 24 Absatz 1 und 3 und Leistungen für die Bedarfe nach § 28 Absatz 5 sind gesondert zu beantragen. (2) Leistungen nach diesem Buch werden nicht für Zeiten vor der Antrag

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 30 Mehrbedarf


(1) Für Personen, die1.die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder2.die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sindund durch einen Bescheid der nach § 152 Absatz 4 des Neunte

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Sozialgericht Freiburg Urteil, 17. Apr. 2015 - S 15 AS 3600/13 ZVW zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

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Bundessozialgericht Urteil, 06. Mai 2010 - B 14 AS 3/09 R

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Tatbestand 1 Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 29.3. bis 30.1
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Tenor Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Mai 2015 wird zurückgewiesen.Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Tatbestand  1 Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung

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(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Januar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Freiburg zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung wegen einer Laktoseintoleranz.

2

Bei der 1998 geborenen Klägerin, die mit ihrer 1970 geborenen Mutter in einer Wohnung lebt und wie diese Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht, besteht eine Laktoseintoleranz. Am 27.12.2010 beantragte sie unter Vorlage eines ärztlichen Attests beim beklagten Jobcenter die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Sie dürfe wegen der Laktoseintoleranz Milch und Milchprodukte nicht bzw nur in sehr kleinen Mengen zu sich nehmen und sei auf laktosefreie Diätnahrung angewiesen, die teurer sei als normale Milchprodukte. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die angegebene Krankheit keinen nach § 21 Abs 5 SGB II unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts darstelle und nicht im Katalog der Mehrbedarfe für eine kostenaufwändige Ernährung enthalten sei. Bei einer Laktoseintoleranz seien laktosehaltige Nahrungsmittel zu meiden oder zu reduzieren, wodurch keine gravierend höheren Kosten entstünden (Bescheid vom 7.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 2.3.2011).

3

Hiergegen haben die Klägerin und ihre Mutter Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben und geltend gemacht, die Laktoseintoleranz führe zu höheren Kosten für Ernährung und damit zu einem Anspruch auf die Gewährung ernährungsbedingten Mehrbedarfs; das SG Bremen beziffere diesen Bedarf auf 53 Euro. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.1.2012). Die Klage der Mutter sei unzulässig, weil diese durch die Ablehnung nicht beschwert sei. Die Klage der Klägerin sei unbegründet. Sie leide zwar nachgewiesenermaßen an einer Laktoseintoleranz, diese Krankheit bringe jedoch keinen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung mit sich. Der Milchzuckerunverträglichkeit könne durch die Vermeidung von laktosehaltiger Kost begegnet werden. Alle anderen Grundnahrungsmittel könnten konsumiert werden. Als Orientierungshilfe für einen etwaigen Mehrbedarf seien die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 heranzuziehen. Dort werde ein Mehrbedarf für Erkrankungen, die keiner spezifischen Diät, sondern sogenannter Vollkost bedürften, verneint. Etwas anderes gelte nur für die aufgeführten verzehrenden Erkrankungen. Damit sei die Laktoseunverträglichkeit nicht vergleichbar, es handele sich um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit, bei der lediglich auf ausreichende Zufuhr von Kalzium durch andere Lebensmittel geachtet werden müsse. Im Übrigen böten wegen der weiten Verbreitung der Erkrankung auch viele Discounter zu günstigen Preisen laktosefreie Milchprodukte an. Die Klägerin habe keine Besonderheiten, insbesondere auch keine von den Empfehlungen abweichende Bedarfe substanziiert geltend gemacht, weshalb von weiteren Ermittlungen vorliegend abgesehen werden könne. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin minderjährig sei, denn die Regelsätze für Kinder und Jugendliche seien bei der Neuberechnung der Regelsätze auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 neu ermittelt und kinderspezifische Bedarfe berücksichtigt worden. Damit sei für den vorliegend einschlägigen Zeitraum auch für Kinder und Jugendliche eine verlässliche Bezugsgröße vorhanden.

4

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision macht nur noch die Klägerin eine Verletzung von § 21 Abs 5 SGB II geltend. Das SG habe die Klage aufgrund unzutreffender tatsächlicher Annahmen abgewiesen. Es handele sich hier ausnahmsweise um Tatsachen, die der Beurteilung des Revisionsgerichts unterlägen. Die unzutreffenden tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts hinsichtlich der Frage, ob die Ernährung mit laktosefreier Kost kostenaufwändiger sei als laktosehaltige Nahrung, beruhe zwar auf verfahrensfehlerhafter Ermittlung, die vorliegend nicht gerügt werden könne. Allerdings seien die Mehrkosten am Nahrungsmittelmarkt keine individuelle Tatsache, sondern eine Rechtstatsache, die für die Auslegung, dh die Bestimmung des Inhalts des § 21 Abs 5 SGB II benötigt werde, weshalb die unzutreffenden Feststellungen des SG in Bezug auf die Kosten laktosefreier Ernährung der revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht entzogen seien.

5

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Januar 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 31. März 2011 höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen medizinisch erforderlicher kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Sprungrevision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des SG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz > ) begründet. Soweit die Klägerin die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 geltend macht, kann auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht abschließend entschieden werden, ob ihr ein weitergehender Anspruch zusteht.

9

1. Streitgegenstand im Revisionsverfahren ist noch das Begehren der Klägerin, für die Zeit vom 1.10.2010 bis zum 31.3.2011 höheres Sozialgeld zu erhalten. Ihre Mutter hat die von ihr ursprünglich eingelegte Revision zurückgenommen. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung, auf den sie ihr Begehren in der Sache stützt, kann entgegen der Auffassung des SG nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens bestimmt werden. Zudem kann eine ablehnende Entscheidung hinsichtlich eines bestimmten Bedarfs wegen der in § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II vorgeschriebenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für zukünftige Bewilligungsabschnitte entfalten(vgl nur BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14 f mwN). Dem hat die Klägerin Rechnung getragen und im Revisionsverfahren höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen besonders kostenaufwändiger Ernährung allein noch für den Zeitraum vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 beantragt. Offen bleiben kann, ob auch unter Neufassung der §§ 19 bis 22 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz) vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zum 1.1.2011 die Höhe von Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung weiterhin in prozessual zulässiger Weise getrennt von der Höhe der Leistungen für Regelbedarfe und Mehrbedarfe geltend gemacht werden kann; für eine solche Einschränkung gibt der Vortrag der Klägerin keinen Anhalt.

10

Gegenstand des Verfahrens sind neben dem Bescheid vom 7.1.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.3.2011 auch die Bewilligungsbescheide, die für die Klägerin die Höhe des Sozialgelds im streitigen Bewilligungszeitraum regeln. Neben dem Bescheid, der zum 1.10.2010 ergangen ist, ist auch ein ggf mit Inkrafttreten des RBEG zum 1.1.2011 ergangener Änderungsbescheid für die Zeit vom 1.1.2011 bis zum 31.3.2011 Gegenstand des Verfahrens geworden. Das SG wird diese Bescheide, die bislang nicht aktenkundig sind, in seine Prüfung einzubeziehen haben. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin den Mehrbedarf zwar erst am 27.12.2010 beim Beklagten geltend gemacht hat, sich aus ihrem weitergehenden Vortrag aber ergibt, dass dieser aus ihrer Sicht seit Oktober 2010 bestanden hat. Da ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nicht nur auf gesonderten Antrag hin gewährt wird (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN),ist vom SG zu überprüfen, ob im Zeitpunkt der Geltendmachung des Bedarfs bereits bestandskräftig gewordene Bescheide unter dem Blickwinkel der §§ 44, 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch zu ändern sind.

11

2. Die Revision ist auch im Übrigen zulässig. Mit ihrer Rüge, das SG sei fehlerhaft zu dem Schluss gekommen, bei einer Laktoseintoleranz handele es sich nicht um eine Erkrankung, die einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung auslösen könne, macht die Klägerin nicht nur einen Verfahrensmangel geltend. Sie behauptet damit zwar auch, das SG habe den Sachverhalt im Einzelfall, nämlich bezogen auf die Auswirkungen der Erkrankung bei ihr, nicht zutreffend ermittelt (§ 103 SGG; zur Verpflichtung zur Amtsermittlung im Hinblick auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs 5 SGB II vgl BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 17). Mit einer solchen Rüge ist sie im Fall der Sprungrevision ausgeschlossen (vgl § 161 Abs 4 SGG). Sie hat aber ausreichend iS des § 164 Abs 2 SGG dargelegt, dass sich die Feststellungen des SG zu den ernährungsbedingten Einschränkungen wegen einer Laktoseintoleranz nicht auf den Einzelfall beschränkten, sondern vom Gericht (unzutreffend) als generelle Tatsachen (Rechtstatsachen) aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bei der Anwendung von § 21 Abs 5 SGB II unterstellt worden seien. Verstöße gegen das Prozessrecht (hier die unzureichende Aufklärung des Sachverhalts nach § 103 SGG), die sich nur als prozessuale Konsequenz aus der fehlerhaften Anwendung des materiellen Rechts ergeben, bleiben auch mit der Sprungrevision rügbar(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 161 RdNr 10b; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 344). Ob die dabei von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zum ernährungsbedingten Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz angesichts der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu anderen Erkrankungen (dazu sogleich) noch grundsätzliche Bedeutung haben, kann dahin stehen, denn der Senat ist an die Zulassung der Sprungrevision durch das SG gebunden.

12

3. Nach § 21 Abs 5 SGB II erhalten Leistungsberechtigte, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 21; BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 16; BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 15, jeweils mwN). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere "Krankenkost" muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein.

13

a) Die bei der Klägerin festgestellte Laktoseintoleranz (vgl ICD-10-GM E73) stellt eine gesundheitliche Beeinträchtigung iS des § 21 Abs 5 SGB II, nämlich eine Krankheit im Sinne eines regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustands dar. Unerheblich für den Begriff der gesundheitlichen Störung ist die Frage, wie verbreitet dieser krankhafte Zustand in der Bevölkerung ist, solange es sich um einen für sich genommen regelwidrigen Zustand handelt. Die von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG angesprochene weite Verbreitung der Laktoseintoleranz (insbesondere in asiatischen Ländern) kann allenfalls Anlass für die Prüfung geben, ob und in welchen Fällen durch die gesundheitliche Beeinträchtigung und das damit medizinisch begründete besondere Ernährungsbedürfnis auch höhere Kosten anfallen.

14

b) Ob die bei der Klägerin bestehende Laktoseintoleranz ein besonderes, medizinisch begründetes Ernährungsbedürfnis mit sich bringt, lässt sich auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht beurteilen. Die Annahme des SG, eine Laktoseintoleranz begründe von vornherein keinen Mehrbedarf, weil lediglich bestimmte Nahrungsmittel vermieden und durch andere, vom Regelbedarf abgedeckte Grundnahrungsmittel ersetzt werden müssten, vermengt die bereits dargestellten Prüfungsschritte in unzutreffender Weise mit einander; insoweit hat das SG die Maßstäbe des § 21 Abs 5 SGB II verkannt.

15

Wie die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate bereits entschieden haben, haben die Gerichte einen streitig gebliebenen krankheitsbedingten Mehrbedarf im Einzelfall aufzuklären (so bereits BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R; vgl zur Laktoseintoleranz auch BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - Juris RdNr 24). Dazu ist zunächst zu überprüfen, welches besondere Ernährungsbedürfnis medizinisch, dh durch die Erkrankung, begründet ist. Insbesondere wenn ein besonderes Ernährungsbedürfnis abhängig von der Schwere der Erkrankung ausgelöst wird, sind die Erfordernisse an die besondere Ernährung im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen. Erst wenn feststeht, welches medizinisch begründete Ernährungsbedürfnis im Einzelfall besteht, kommt es darauf an, ob hierdurch auch höhere Kosten entstehen (dazu unter c). Die erforderlichen Prüfungsschritte wird das SG nach Zurückverweisung ausgehend von dem vorgelegten Attest nachzuholen haben.

16

Bei der Prüfung eines besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnisses lässt nicht schon die fehlende Auflistung der entsprechenden Erkrankung in den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 ( Mehrbedarfsempfehlungen 2008) den Schluss zu, dass es sich nicht um eine Erkrankung handelt, die einen Mehrbedarf auslösen kann. Der Senat schließt sich der Auffassung des 4. Senats an, wonach die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 weder nach ihrer Konzeption noch nach ihrer Entstehungsgeschichte die Anforderungen an antizipierte Sachverständigengutachten erfüllen, die von den Gerichten in normähnlicher Weise angewandt werden könnten (vgl BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14). Wenn weit verbreitete Erkrankungen wie die Laktoseintoleranz in den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 nicht genannt sind, kann dieser Umstand damit nur eine Orientierungshilfe sein, die den Umfang der Ermittlungen im Einzelfall steuert.

17

c) Auch wegen der Kosten, die aus einem besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnis entstehen, stellt § 21 Abs 5 SGB II erkennbar auf die Umstände des Einzelfalles ab. Dies lässt sich schon daraus ersehen, dass - abweichend von den in § 21 Abs 1 bis 4 SGB II genannten Fallgruppen eines Mehrbedarfs - keine Pauschalen für die entstehenden Bedarfe normiert sind. Im Anwendungsbereich des § 21 Abs 5 SGB II sind deshalb Fälle kaum denkbar, in denen sich für eine bestimmte Erkrankung, die - wie die Laktoseintoleranz - Einfluss auf die Ernährung haben, ein besonderer Kostenaufwand abschließend als generelle Tatsache (Rechtstatsache) mit Gültigkeit für jeden Einzelfall verneinen lässt(vgl bereits BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10). Ohnehin lassen die Ausführungen des SG, eine Laktoseintoleranz sei in allen denkbaren Fällen ohne höheren Kostenaufwand zu kompensieren, in keiner Weise erkennen, worauf es diese Schlussfolgerung stützt. Für das von ihm genannte Gutachten eines "Prof. Dr. H." lässt sich eine Quelle nicht finden; auch im Übrigen lassen sich die von dem SG getroffenen Schlüsse nicht auf allgemeinkundige Tatsachen zurückführen. Zwar ist denkbar, dass mit zunehmendem Alter eines Kindes sich Nahrungsmittel, die Milchzucker enthalten, besser vermeiden lassen. Je weiter außerdem eine Erkrankung, die eine besondere Ernährung erfordert, verbreitet ist, umso mehr wird dies das Ernährungsverhalten der gesamten Bevölkerung beeinflussen. Dies mag zu günstigeren Preisen für Ersatz- oder Ergänzungsnahrungsmittel (wie etwa die vom SG genannten laktosefreien Milchprodukte) führen und - sofern ein bestimmtes Ernährungsverhalten allgemein üblich wird - ggf auch die Höhe des Regelbedarfs mitbestimmen. Ob der Klägerin im Einzelfall nicht gleichwohl ein Mehrbedarf zusteht, lässt sich aber allein mit solchen Annahmen nicht ausschließen.

18

Das SG wird außerdem über die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu entscheiden haben.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

(1) Leistungen nach diesem Buch werden auf Antrag erbracht. Leistungen nach § 24 Absatz 1 und 3 und Leistungen für die Bedarfe nach § 28 Absatz 5 sind gesondert zu beantragen.

(2) Leistungen nach diesem Buch werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück. Wird ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen einzelnen Monat gestellt, in dem aus Jahresabrechnungen von Heizenergiekosten oder aus der angemessenen Bevorratung mit Heizmitteln resultierende Aufwendungen für die Heizung fällig sind, wirkt dieser Antrag, wenn er bis zum Ablauf des dritten Monats nach dem Fälligkeitsmonat gestellt wird, auf den Ersten des Fälligkeitsmonats zurück. Satz 3 gilt nur für Anträge, die bis zum 31. Dezember 2023 gestellt werden.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 29.3. bis 30.11.2007. Streitig ist dabei, ob dem im streitigen Zeitraum drei bzw vier Jahre alten Kläger zu 4 ein Mehrbedarf gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II nach Anerkennung des Merkzeichens "G" zusteht.

2

Die Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern des 1998 geborenen Klägers zu 3 und des am 21.5.2003 geborenen Klägers zu 4. Die Kläger standen im streitgegenständlichen Zeitraum im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei dem Beklagten. Der Kläger zu 4 leidet an einer allgemeinen Entwicklungsstörung mit motorischer Unruhe, Aufmerksamkeitsdefizit, Verdauungsstörungen, Zöliakie, Wachstumsstörung und infektabhängigem Asthma bronchiale. Durch Bescheid des Versorgungsamtes G vom 11.5.2007 ist er ab dem 29.3.2007 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 und den Merkzeichen "G" und "B" anerkannt. Der Kläger zu 1 ging im streitigen Zeitraum einer Erwerbstätigkeit nach, aus der er monatlich wechselndes Nettoarbeitseinkommen bei einem gleichbleibenden Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1340 Euro erzielte.

3

Der Beklagte bewilligte zunächst durch Bescheid vom 30.10.2006 den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit von Dezember 2006 bis zum 31.5.2007. In der Folgezeit bis zum 13.4.2007 erließ der Beklagte insgesamt fünf Änderungsbescheide, in denen er jeweils nach Vorlage von Lohnabrechnungen durch den Kläger zu 1 eine Neuberechnung unter Berücksichtigung des wechselnden Einkommens vornahm. Der Beklagte erließ sodann am 7.5.2007 einen weiteren Änderungsbescheid, in dem er die Leistungen für sämtliche Monate von Dezember 2006 bis Mai 2007 neu berechnete. Der Beklagte ging dabei von einem monatlichen Bedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1673,66 Euro aus. Dabei legte er für die Kläger zu 1 und 2 jeweils eine Regelleistung von 311 Euro gemäß § 20 Abs 3 SGB II und für die Kläger zu 3 und 4 eine Regelleistung gemäß § 28 Abs 1 Nr 1 SGB II in Höhe von jeweils 207 Euro zu Grunde. Außerdem berücksichtigte er bei dem Kläger zu 4 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich 66,74 Euro. Die angemessenen Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 SGB II wurden in Höhe von monatlich 571,19 Euro festgesetzt. Als Einkommen wurde neben dem Kindergeld für die Kläger zu 3 und 4 in Höhe von insgesamt 308 Euro das vom Kläger zu 1 erzielte Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 1115 Euro (März 2007), 1075,27 Euro (April 2007) und 1200 Euro (Mai 2007) jeweils abzüglich eines Freibetrags in Höhe von 294 Euro berücksichtigt. Außerdem berücksichtigte der Beklagte in den Monaten März und April 2007 aus einer im Dezember 2006 erfolgten Überzahlung 127,86 Euro bzw 127,88 Euro als Einkommen. Am 18.6.2007 erließ der Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid, in dem er eine Neuberechnung für den Monat Mai 2007 vornahm, bei der er nunmehr ein Nettoarbeitsentgelt von 1207,76 Euro bei dem Kläger zu 1 zu Grunde legte.

4

Der Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 17.4.2007 den Klägern Leistungen für den Zeitraum vom 1.6. bis 30.11.2007. Dabei legte er für den Monat Juni 2007 für die Bedarfsgemeinschaft einen Gesamtbedarf von 1673,66 Euro zu Grunde. Für die Zeit ab dem 1.7. bis zum 30.11.2007 ging er von einem Gesamtbedarf in Höhe von 1680,12 Euro monatlich aus. Der um 6,46 Euro erhöhte Bedarf ergab sich aus der ab dem 1.7.2007 um jeweils 1 Euro erhöhten Regelleistung sowie dem um 2,46 Euro höheren Bedarf für Unterkunft und Heizung. Der Beklagte ging dabei von einem erzielten Nettoarbeitseinkommen des Klägers zu 1 in Höhe von 1200 Euro abzüglich eines Freibetrags in Höhe von 294 Euro aus. In der Folgezeit erließ der Beklagte für den Leistungszeitraum vom 1.6. bis 30.11.2007 insgesamt acht Änderungsbescheide, in denen er eine Neuberechnung unter Berücksichtigung des vom Kläger zu 1 monatlich in wechselnder Höhe erzielten Einkommens vornahm (Juni: 1141,59 Euro, Juli: 1054,82 Euro, August: 1078,72 Euro, September: 1183,22 Euro, Oktober: 923,63 Euro, November: 1148,55 Euro).

5

Am 18.5.2007 legten die Kläger bei dem Beklagten den Bescheid des Versorgungsamts Gelsenkirchen vom 11.5.2007 vor, mit dem dieses bei dem Kläger zu 4 einen GdB von 70 sowie die Erfüllung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" rückwirkend zum 29.3.2007 festgestellt hatte. Die Kläger beantragten deshalb die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Kläger zu 4. Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 14.8.2007 den Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen mit dem Merkzeichen "G" ab. Der Kläger zu 4 werde gerade erst fünf Jahre alt. Der Mehrbedarf sei für Kinder unter 15 Jahren nicht vorgesehen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.8.2007).

6

Hiergegen haben die Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben, das diese durch Urteil vom 19.2.2008 abgewiesen hat. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klage sei bezüglich der Zeiträume ab dem 1.6.2007 bereits unzulässig. Der Regelungsgegenstand eines Bescheides über Mehrbedarf beschränke sich jeweils auf den bei der Antragstellung geltenden Bewilligungsbescheid über die laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bei Beantragung des Mehrbedarfs am 18.5.2007 sei maßgebend der Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 1.12.2006 bis 31.5.2007 gewesen. Die Kläger müssten sich bezüglich eines Mehrbedarfs für die Zeit ab dem 1.6.2007 gegen die für diesen Zeitraum ergangenen weiteren Bescheide über die laufenden Leistungen wenden. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II in der Person des Klägers zu 4 nicht vor. Bei dem Kläger zu 4 handele es sich von vornherein um eine nicht erwerbsfähige Person iS des SGB II, für die § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II nicht einschlägig sei.

7

Die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 11.12.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es zunächst ausgeführt, streitiger Zeitraum sei hier der Zeitraum vom 29.3. bis zum 30.11.2007. Der Beklagte habe mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.8.2007 eine Regelung hinsichtlich des gesamten streitigen Zeitraums getroffen. Es bestehe jedoch kein Anspruch der Kläger auf höhere Leistungen. Der monatliche Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, die angemessenen Kosten der Unterkunft und die Nebeneinkommen des Klägers zu 1 seien für den gesamten Zeitraum zutreffend berücksichtigt und berechnet worden. Darüber hinaus bestehe kein weiterer Bedarf. Der im Jahre 2003 geborene Kläger zu 4 habe insbesondere keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II. Der Kläger zu 4 sei keine "nicht erwerbsfähige Person" im Sinne dieser Vorschrift. Der Begriff der Erwerbsfähigkeit sei in § 8 Abs 1 SGB II definiert. Hiernach sei erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hieraus ergebe sich im Umkehrschluss auch eine Definition der Nichterwerbsfähigkeit, die im Wesentlichen dem Begriff der vollen Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) entspreche, auf den die Parallelvorschrift für die Sozialhilfe (§ 30 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abstelle. Das Vorliegen von Nichterwerbsfähigkeit iS von § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II setze mithin voraus, dass es an der Fähigkeit zur Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes gerade auf Grund von Krankheit oder Behinderung mangele. So verhalte es sich bei dem im streitigen Zeitpunkt vierjährigen Kläger zu 4 gerade nicht, denn dieser sei von vornherein außer Stande, erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich jedoch nicht daraus, dass er krank oder behindert sei. Vielmehr sei jedes, auch ein völlig gesundes vierjähriges Kind, nicht erwerbsfähig.

8

Schon aus Gleichheitsgründen sei es geboten, den Mehrbedarf in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II unter denselben Voraussetzungen zu gewähren wie denjenigen im Sozialhilferecht nach § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII. Für den Bereich des SGB XII sei aber unstreitig, dass nur Personen, die im Sinne des Rentenversicherungsrechts voll erwerbsgemindert seien, den Mehrbedarf erhalten können. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Mehrbedarfs für Nichterwerbsfähige mit dem Merkzeichen "G" im SGB II komme ein anderes Ergebnis nicht in Betracht.

9

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Sie rügen eine Verletzung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II. Zur Begründung führen sie aus, die Beschränkung der Gewährung des Mehrbedarfszuschlags auf Personen, die älter als 15 Jahre sind, überzeuge nicht. Unter den Begriff des nicht erwerbsfähigen Angehörigen iS des § 28 Abs 1 Satz 1 SGB II fielen auch Minderjährige, sodass es keinen Grund gebe, den in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II enthaltenen Begriff der "nicht erwerbsfähigen Person" anders auszulegen. Insbesondere könne keine Altersgrenze in die Vorschrift hineingelesen werden. Dies ergebe sich auch aus einem Vergleich der in Nr 2 und Nr 4 des § 28 SGB II geregelten Mehrbedarfe. Während in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II ausdrücklich geregelt sei, dass der darin enthaltene Mehrbedarf nur Personen zustehe, die das 15. Lebensjahr vollendet hätten, fehle eine entsprechende Regelung in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies ein gesetzgeberisches Versehen sei. In der Gesetzesbegründung zu § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Mehrbedarf erst nach Vollendung des 15. Lebensjahres zustehen solle (BT-Drucks 16/1410, S 25 zu Buchst a). Wenn der Gesetzgeber eine überschaubare Vorschrift abändere und in einer Ziffer gezielt eine Altersgrenze einfüge, so sei davon auszugehen, dass er die identische bzw die vom LSG hineininterpretierte Altersgrenze in die übernächste Ziffer ebenfalls eingefügt hätte, wenn eine solche Altersgrenze beabsichtigt gewesen wäre. Im Übrigen gehe die Gewährung der Mehrbedarfe im SGB II so weit, dass sogar solche Personen, die prinzipiell vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien, durch den Mehrbedarf wieder in das SGB II-Leistungssystem insgesamt einbezogen werden können. Dies gelte insbesondere für den Mehrbedarf für Alleinerziehende, der auch die Situation des Kindes berühre, sodass der Leistungsausschluss des § 7 Abs 5 SGB II nicht greife mit der Konsequenz, dass das minderjährige Kind aus dem Leistungssystem des SGB XII in dasjenige des SGB II gelangen könne. Der Mehrbedarf könne demnach einen eigenen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Alg II) begründen. Von daher überzeuge der Hinweis des LSG auf die strukturellen Unterschiede zwischen SGB II und SGB XII nicht. Der Begriff "nicht erwerbsfähige Person" beziehe sich im SGB II allgemein auf Bezieher von Sozialgeld, worunter gerade nicht zwingend erwerbsunfähige Menschen im medizinischen Sinne fallen würden. Alle Menschen, also auch Kinder bis zum 15. Geburtstag, hätten einen Anspruch auf Zuschlag nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II, wenn sie schwerbehindert mit Merkzeichen "G" oder "aG" seien. Nur durch die Gewährung solcher Mehrbedarfe für schwerbehinderte Kinder könne das Existenzminimum und der gesteigerte Bedarf von schwerbehinderten Kindern und damit ein Leben im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums (Art 1 Grundgesetz) sichergestellt werden. Im Übrigen müsse die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) geschaffene Härtefallregelung auf ihn Anwendung finden.

10

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2008 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. Februar 2008 aufzuheben. Den Bescheid des Beklagten vom 14. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Änderung aller Bewilligungs- und Änderungsbescheide für den Zeitraum vom 29. März bis zum 30. November 2007 den Klägern zusätzlich Leistungen in Höhe von 17 % der für den Kläger zu 4 maßgeblichen Regelleistung wegen eines Mehrbedarfs nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II zu bewilligen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Revision der Kläger zurückzuweisen.

12

Er beruft sich auf das angefochtene Urteil des LSG.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Kläger ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass den Klägern keine höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Kläger zu 4 gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II(idF, die die Norm des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706 erhalten hat) zustehen (vgl unter 2.). Zu Recht hat das LSG entschieden, dass der im Jahre 2003 geborene Kläger zu 4 keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II (alter Fassung) hat, weil er keine "nicht erwerbsfähige Person" im Sinne dieser Vorschrift ist (vgl unter 3.). Dem Kläger zu 4 steht auch der vom BVerfG am 9.2.2010 (aaO) geschaffene Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs nicht zu (hierzu unter 4.).

14

1. Streitiger Zeitraum ist der Zeitraum vom 29.3. bis zum 30.11.2007. Das Versorgungsamt hat durch Bescheid vom 11.5.2007 rückwirkend ab dem 29.3.2007 das Vorliegen des Merkzeichens "G" beim Kläger zu 4 festgestellt. Die Kläger haben zwar umgehend (am 18.5.2007) unter Vorlage dieses Bescheids einen "Antrag" bei dem Beklagten gestellt. Eines solchen Antrags hätte es jedoch im Lichte des § 37 SGB II nicht bedurft. Wie der Senat zuletzt entschieden hat (Urteil vom 23.3.2010 - B 14 AS 6/09 R) ist der Antrag im SGB II jeweils so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (Grundsatz der Meistbegünstigung, vgl Urteil des Senats vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R und Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217, 230 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 11). Als beantragt sind dementsprechend alle Leistungen anzusehen, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen. Das sind bei einem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig alle im ersten und zweiten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels SGB II genannten Leistungen. Mit dem Antrag wird mithin ein Hilfebedarf geltend gemacht, der alle Leistungen umfasst, die der Sicherung des Lebensunterhalts in Form des Alg II dienen. Auch bei dem Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II handelt es sich um eine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Diese Leistung muss von daher nicht gesondert beantragt werden. Ein solches Erfordernis lässt sich jedenfalls § 37 SGB II nicht entnehmen.

15

Das LSG hat auch zu Recht die Kläger zu 1 bis 4 als Kläger geführt. Im Rahmen des Leistungssystems des SGB II gemäß § 7 iVm §§ 9 ff SGB II kann eine Leistungserhöhung auf Seiten des Klägers zu 4 in Form eines zusätzlichen Mehrbedarfs die Rechtsansprüche sämtlicher Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf Leistungen nach dem SGB II ggf erhöhen. Insofern wäre es nicht zweckdienlich gewesen, lediglich den Kläger zu 4 als Kläger zu führen.

16

2. Sämtliche streitgegenständliche Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und waren nicht gemäß §§ 44 ff SGB X (iVm § 40 Abs 1 SGB II) aufzuheben. Das LSG hat dabei zunächst zu Recht festgestellt, dass den Klägern zu 1 bis 4 für den streitigen Zeitraum vom 29.3. bis zum 1.11.2007 Leistungen nach den §§ 19 ff SGB II in richtiger Höhe bewilligt worden sind. Insofern bestehen gegen die in den einzelnen Bescheiden und für die einzelnen Zeiträume aufgeführten Berechnungen des LSG keine rechtlichen Bedenken. Im Übrigen liegen auch keine Angriffe der Revision gegen die Bedarfsermittlung und die Berücksichtigung des Einkommens des Klägers zu 1 seitens des Beklagten vor. Hinsichtlich der Höhe der Regelleistung der Kläger zu 3 und 4 (207 Euro gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II) folgt aus der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (aaO), dass diese von der Höhe her - für den streitigen Zeitraum - nicht zu beanstanden sind.

17

Entgegen der Rechtsansicht der Revision sind durch die Bewilligung des Merkzeichens "G" für den im streitigen Zeitraum drei- bzw vierjährigen Kläger zu 4 die Bewilligungsbescheide auch nicht durch eine nachträglich eintretende wesentliche Änderung der Verhältnisse rechtswidrig geworden (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Ebenso sind die nach diesem Zeitpunkt erlassenen Bescheide nicht ursprünglich rechtswidrig (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X). Zu Recht hat das LSG nämlich entschieden, dass die Ablehnung eines Mehrbedarfs gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II aF rechtmäßig war, sodass auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt an der Rechtmäßigkeit der Bewilligungs- bzw Änderungsbescheide nicht zu zweifeln ist.

18

3. Den Klägern stehen im streitigen Zeitraum keine höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Kläger zu 4 gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II aF zu.

19

a) Nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II aF erhalten nicht erwerbsfähige Personen einen Mehrbedarf von 17 vH der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung, wenn sie Inhaber eines Ausweises nach § 69 Abs 5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) mit dem Merkzeichen "G" sind. Der Kläger zu 4 war keine "nicht erwerbsfähige Person" im Sinne dieser Vorschrift, weil aus der Gesetzgebungsgeschichte und der systematischen Stellung der Norm folgt, dass Kinder unter 15 Jahren grundsätzlich nicht begünstigt werden sollten. Die Norm wurde gemeinsam mit § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II durch das sogenannte Fortentwicklungsgesetz vom 20.7.2006 zum 1.8.2006 neu gefasst (BGBl I 1706). Der Gesetzgeber wollte damit dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechen und die Leistungen für behinderte Menschen im SGB II an die Leistungen für behinderte Menschen im SGB XII anpassen (BT-Drucks 16/1410, S 25). Vor dem 1. 8. 2006 gab es für Sozialgeldbezieher im SGB II keinen Mehrbedarf bei Nichterwerbsfähigkeit und gleichzeitiger Innehabung eines Nachteilsausgleichs "G". Aus der Übernahme der im Wesentlichen identischen Regelung aus § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII folgt, dass die Gewährung des Mehrbedarfs grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie im SGB XII erfolgen sollte. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist für den Bereich des SGB XII aber unstreitig gewesen, dass nur Personen, die im Sinne des Rentenversicherungsrechts voll erwerbsgemindert sind, den Mehrbedarf erhalten können (vgl nur Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 30 RdNr 13 ff; Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 30 RdNr 10, 13. Lieferung, Stand 6/08).

20

§ 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII entspricht im wesentlichen der Vorgängervorschrift in § 23 Abs 1 Nr 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Auch zu dieser Norm war bereits unstreitig, dass der Bezug des Mehrbedarfs das Vorliegen von voller Erwerbsminderung bzw Erwerbsunfähigkeit nach dem SGB VI voraussetzte (vgl Hofmann in LPK BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 16). Mit dem Mehrbedarf für Erwerbsunfähige im BSHG sollte damals ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass der Erwerbsunfähige im Gegensatz zum arbeitsfähigen Hilfeempfänger auch unter Einsatz besonderer Tatkraft nicht in der Lage ist, durch eigene Arbeit etwas hinzuzuverdienen und sich dadurch ein über den notwendigen Bedarf hinausgehendes und zum Teil anrechnungsfreies Einkommen verschaffen kann (Dauber in Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl, 36. Lieferung, Stand März 2004, § 23 RdNr 19). Die Regelung des § 23 Abs 1 Nr 2 BSHG wurde in § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII ohne weitere Begründung fortgeführt. An diese Vorgaben wollte der Gesetzgeber des SGB II anknüpfen (BT-Drucks 16/1410, S 25). Vor dem Hintergrund dieser Gesetzgebungsgeschichte kommt ein Mehrbedarf für ein vierjähriges Kind nicht in Betracht, weil es auch im gesunden Zustand rechtlich und tatsächlich nicht in der Lage ist, sich etwas hinzuzuverdienen.

21

Entgegen der Revision folgt auch aus der ebenfalls durch das Fortentwicklungsgesetz vom 20.7.2006 mit Wirkung zum 1.8.2006 vorgenommenen Änderung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II kein anderes Ergebnis. § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II wurde durch dieses Gesetz dahingehend geändert, dass Leistungen für Mehrbedarfe nach § 21 Abs 4 SGB II nur an behinderte Menschen gezahlt werden können, die das 15. Lebensjahr vollendet haben. Vor der Änderung zum 1.8.2006 enthielt die Vorschrift keinerlei Altersbeschränkungen. Soweit die Revision aus der gleichzeitigen Einführung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 und des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II den Schluss zieht, aus einer fehlenden Altersbegrenzung in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II müsse gefolgert werden, dass der Mehrbedarf nach Nr 4 allen Personen ohne jede Altersbeschränkung gewährt werden müsse, überzeugt dies nicht. Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II anders als der Mehrbedarf nach Nr 4 gerade nicht auf das Tatbestandsmerkmal der Nichterwerbsfähigkeit abstelle, sondern die Norm lediglich von "behinderten Menschen" spreche. Damit folgt er der Regelung in § 30 Abs 4 SGB XII. Auch diese Regelung enthält eine Beschränkung auf Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben. Bei der Ergänzung des § 28 SGB II hat der Gesetzgeber ausdrücklich betont(BT-Drucks 16/1410, S 25), dass er im Bereich des SGB II keine weitergehende Leistungsgewährung beabsichtige als im Bereich des SGB XII. Die Einfügung einer entsprechenden Einschränkung hinsichtlich des Alters in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II war mithin entbehrlich, weil bei diesem Mehrbedarf auch nach dem SGB XII der entsprechende Mehrbedarf nur bei Überschreitung der Altersgrenze nach § 41 Abs 2 SGB VI bzw beim Vorliegen voller Erwerbsminderung nach dem SGB VI gewährt wurde.

22

b) Der Senat sieht sich in seiner Auslegung des Begriffs "nicht erwerbsfähige Person" iS des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II (idF des Fortentwicklungsgesetzes, aaO) durch die weitere Rechtsentwicklung bestätigt. Durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) wurde mit Wirkung vom 1.1.2009 § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II nochmals geändert. Die Norm enthält nunmehr eine Klarstellung im Sinne der hier vorgenommenen Auslegung. § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II lautet nunmehr: "Nicht erwerbsfähige Personen, die voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind, erhalten einen Mehrbedarf von 17 vom Hundert der nach § 20 maßgebenden Regelleistung, …." Zur Begründung dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber ausgeführt (BT-Drucks 16/10810, S 49 zu Nr 11 Buchst bb), mit der Ergänzung in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 werde die mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende verfolgte Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen im SGB II und SGB XII sichergestellt. Der dort geregelte Mehrbedarf werde - wie im SGB XII - nur bei nicht erwerbsfähigen Personen berücksichtigt, die voll erwerbsgemindert nach dem SGB VI sind. Eine Berücksichtigung des Mehrbedarfs bei Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft, die auf Grund ihres Alters zwar nicht erwerbsfähig iS des SGB II, aber nicht voll erwerbsgemindert nach dem SGB VI sind, sei ausgeschlossen (BT-Drucks 16/10810, aaO). Der Gesetzgeber hat diese Ergänzung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II ausdrücklich nicht als Neuregelung im Sinne einer konstitutiven Änderung definiert. Vielmehr hat er in seiner Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht, dass es sich insofern um eine Klarstellung handelt, die den - bereits oben herausgestellten - Grundsatz der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen im SGB II und SGB XII, der durch das Fortentwicklungsgesetz eingeleitet wurde, sicherstellen soll. § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II im Sinne des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente hat damit lediglich klarstellende Funktion.

23

4. Dem Kläger zu 4 steht auch der vom BVerfG (Urteil vom 9.2.2010, aaO) geschaffene Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs nicht zu. Der Senat kann dabei ausdrücklich offen lassen, ob dieser Anspruch für Zeiträume, die vor dem der Entscheidung des BVerfG liegen, überhaupt gegeben ist. Dies hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 18.2.2010 (B 4 AS 29/09 R, RdNr 34 ff) ausdrücklich bejaht (anders offenbar BVerfG Urteil vom 24.3.2010 - 1 BvR 395/09) und mithin auch eine rückwirkende Anwendung des neuen verfassungsrechtlichen Härteanspruchs im SGB II für möglich gehalten. Die Feststellungen der Vorinstanzen lassen jedenfalls nicht erkennen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen Härtefallanspruchs in der streitigen Zeit vorgelegen haben. Ermittlungen "ins Blaue hinein" sind insoweit auch nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (aaO, RdNr 32) nicht geboten, sodass eine Rückverweisung an das LSG zu weiteren Tatsachenfeststellungen nicht in Betracht kam.

24

Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des BVerfG der neue Anspruch erst dann entsteht, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistung - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet (BVerfG Urteil vom 9.2.2010, Umdruck S 74; RdNr 208). Das BVerfG geht davon aus, dass dieser zusätzliche Anspruch angesichts seiner engen Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen entstehen dürfte (BVerfG, aaO). Der Kläger zu 4 war im streitigen Zeitraum drei bzw vier Jahre alt. Ihm war bereits ein monatlicher Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung gemäß § 21 Abs 4 SGB II zuerkannt worden. Mit Anerkennung des Merkzeichens "G" stand ihm als Empfänger von Leistungen nach dem SGB II die Möglichkeit offen, ohne jede Eigenbeteiligung am öffentlichen Personennahverkehr teilzunehmen (§ 145 Abs 1 SGB IX; der Erwerb einer Wertmarke war gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX nicht erforderlich; vgl auch Bieritz-Harder in HK-SGB IX, 3. Aufl, § 145 RdNr 16). Weitere Gesichtspunkte, die einen besonderen Härtefall im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG begründen könnten, sind nicht ersichtlich oder vorgetragen.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Januar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Freiburg zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung wegen einer Laktoseintoleranz.

2

Bei der 1998 geborenen Klägerin, die mit ihrer 1970 geborenen Mutter in einer Wohnung lebt und wie diese Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht, besteht eine Laktoseintoleranz. Am 27.12.2010 beantragte sie unter Vorlage eines ärztlichen Attests beim beklagten Jobcenter die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Sie dürfe wegen der Laktoseintoleranz Milch und Milchprodukte nicht bzw nur in sehr kleinen Mengen zu sich nehmen und sei auf laktosefreie Diätnahrung angewiesen, die teurer sei als normale Milchprodukte. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die angegebene Krankheit keinen nach § 21 Abs 5 SGB II unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts darstelle und nicht im Katalog der Mehrbedarfe für eine kostenaufwändige Ernährung enthalten sei. Bei einer Laktoseintoleranz seien laktosehaltige Nahrungsmittel zu meiden oder zu reduzieren, wodurch keine gravierend höheren Kosten entstünden (Bescheid vom 7.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 2.3.2011).

3

Hiergegen haben die Klägerin und ihre Mutter Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben und geltend gemacht, die Laktoseintoleranz führe zu höheren Kosten für Ernährung und damit zu einem Anspruch auf die Gewährung ernährungsbedingten Mehrbedarfs; das SG Bremen beziffere diesen Bedarf auf 53 Euro. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.1.2012). Die Klage der Mutter sei unzulässig, weil diese durch die Ablehnung nicht beschwert sei. Die Klage der Klägerin sei unbegründet. Sie leide zwar nachgewiesenermaßen an einer Laktoseintoleranz, diese Krankheit bringe jedoch keinen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung mit sich. Der Milchzuckerunverträglichkeit könne durch die Vermeidung von laktosehaltiger Kost begegnet werden. Alle anderen Grundnahrungsmittel könnten konsumiert werden. Als Orientierungshilfe für einen etwaigen Mehrbedarf seien die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 heranzuziehen. Dort werde ein Mehrbedarf für Erkrankungen, die keiner spezifischen Diät, sondern sogenannter Vollkost bedürften, verneint. Etwas anderes gelte nur für die aufgeführten verzehrenden Erkrankungen. Damit sei die Laktoseunverträglichkeit nicht vergleichbar, es handele sich um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit, bei der lediglich auf ausreichende Zufuhr von Kalzium durch andere Lebensmittel geachtet werden müsse. Im Übrigen böten wegen der weiten Verbreitung der Erkrankung auch viele Discounter zu günstigen Preisen laktosefreie Milchprodukte an. Die Klägerin habe keine Besonderheiten, insbesondere auch keine von den Empfehlungen abweichende Bedarfe substanziiert geltend gemacht, weshalb von weiteren Ermittlungen vorliegend abgesehen werden könne. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin minderjährig sei, denn die Regelsätze für Kinder und Jugendliche seien bei der Neuberechnung der Regelsätze auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 neu ermittelt und kinderspezifische Bedarfe berücksichtigt worden. Damit sei für den vorliegend einschlägigen Zeitraum auch für Kinder und Jugendliche eine verlässliche Bezugsgröße vorhanden.

4

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision macht nur noch die Klägerin eine Verletzung von § 21 Abs 5 SGB II geltend. Das SG habe die Klage aufgrund unzutreffender tatsächlicher Annahmen abgewiesen. Es handele sich hier ausnahmsweise um Tatsachen, die der Beurteilung des Revisionsgerichts unterlägen. Die unzutreffenden tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts hinsichtlich der Frage, ob die Ernährung mit laktosefreier Kost kostenaufwändiger sei als laktosehaltige Nahrung, beruhe zwar auf verfahrensfehlerhafter Ermittlung, die vorliegend nicht gerügt werden könne. Allerdings seien die Mehrkosten am Nahrungsmittelmarkt keine individuelle Tatsache, sondern eine Rechtstatsache, die für die Auslegung, dh die Bestimmung des Inhalts des § 21 Abs 5 SGB II benötigt werde, weshalb die unzutreffenden Feststellungen des SG in Bezug auf die Kosten laktosefreier Ernährung der revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht entzogen seien.

5

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Januar 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 31. März 2011 höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen medizinisch erforderlicher kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Sprungrevision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des SG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz > ) begründet. Soweit die Klägerin die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 geltend macht, kann auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht abschließend entschieden werden, ob ihr ein weitergehender Anspruch zusteht.

9

1. Streitgegenstand im Revisionsverfahren ist noch das Begehren der Klägerin, für die Zeit vom 1.10.2010 bis zum 31.3.2011 höheres Sozialgeld zu erhalten. Ihre Mutter hat die von ihr ursprünglich eingelegte Revision zurückgenommen. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung, auf den sie ihr Begehren in der Sache stützt, kann entgegen der Auffassung des SG nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens bestimmt werden. Zudem kann eine ablehnende Entscheidung hinsichtlich eines bestimmten Bedarfs wegen der in § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II vorgeschriebenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für zukünftige Bewilligungsabschnitte entfalten(vgl nur BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14 f mwN). Dem hat die Klägerin Rechnung getragen und im Revisionsverfahren höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen besonders kostenaufwändiger Ernährung allein noch für den Zeitraum vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 beantragt. Offen bleiben kann, ob auch unter Neufassung der §§ 19 bis 22 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz) vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zum 1.1.2011 die Höhe von Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung weiterhin in prozessual zulässiger Weise getrennt von der Höhe der Leistungen für Regelbedarfe und Mehrbedarfe geltend gemacht werden kann; für eine solche Einschränkung gibt der Vortrag der Klägerin keinen Anhalt.

10

Gegenstand des Verfahrens sind neben dem Bescheid vom 7.1.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.3.2011 auch die Bewilligungsbescheide, die für die Klägerin die Höhe des Sozialgelds im streitigen Bewilligungszeitraum regeln. Neben dem Bescheid, der zum 1.10.2010 ergangen ist, ist auch ein ggf mit Inkrafttreten des RBEG zum 1.1.2011 ergangener Änderungsbescheid für die Zeit vom 1.1.2011 bis zum 31.3.2011 Gegenstand des Verfahrens geworden. Das SG wird diese Bescheide, die bislang nicht aktenkundig sind, in seine Prüfung einzubeziehen haben. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin den Mehrbedarf zwar erst am 27.12.2010 beim Beklagten geltend gemacht hat, sich aus ihrem weitergehenden Vortrag aber ergibt, dass dieser aus ihrer Sicht seit Oktober 2010 bestanden hat. Da ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nicht nur auf gesonderten Antrag hin gewährt wird (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN),ist vom SG zu überprüfen, ob im Zeitpunkt der Geltendmachung des Bedarfs bereits bestandskräftig gewordene Bescheide unter dem Blickwinkel der §§ 44, 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch zu ändern sind.

11

2. Die Revision ist auch im Übrigen zulässig. Mit ihrer Rüge, das SG sei fehlerhaft zu dem Schluss gekommen, bei einer Laktoseintoleranz handele es sich nicht um eine Erkrankung, die einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung auslösen könne, macht die Klägerin nicht nur einen Verfahrensmangel geltend. Sie behauptet damit zwar auch, das SG habe den Sachverhalt im Einzelfall, nämlich bezogen auf die Auswirkungen der Erkrankung bei ihr, nicht zutreffend ermittelt (§ 103 SGG; zur Verpflichtung zur Amtsermittlung im Hinblick auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs 5 SGB II vgl BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 17). Mit einer solchen Rüge ist sie im Fall der Sprungrevision ausgeschlossen (vgl § 161 Abs 4 SGG). Sie hat aber ausreichend iS des § 164 Abs 2 SGG dargelegt, dass sich die Feststellungen des SG zu den ernährungsbedingten Einschränkungen wegen einer Laktoseintoleranz nicht auf den Einzelfall beschränkten, sondern vom Gericht (unzutreffend) als generelle Tatsachen (Rechtstatsachen) aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bei der Anwendung von § 21 Abs 5 SGB II unterstellt worden seien. Verstöße gegen das Prozessrecht (hier die unzureichende Aufklärung des Sachverhalts nach § 103 SGG), die sich nur als prozessuale Konsequenz aus der fehlerhaften Anwendung des materiellen Rechts ergeben, bleiben auch mit der Sprungrevision rügbar(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 161 RdNr 10b; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 344). Ob die dabei von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zum ernährungsbedingten Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz angesichts der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu anderen Erkrankungen (dazu sogleich) noch grundsätzliche Bedeutung haben, kann dahin stehen, denn der Senat ist an die Zulassung der Sprungrevision durch das SG gebunden.

12

3. Nach § 21 Abs 5 SGB II erhalten Leistungsberechtigte, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 21; BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 16; BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 15, jeweils mwN). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere "Krankenkost" muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein.

13

a) Die bei der Klägerin festgestellte Laktoseintoleranz (vgl ICD-10-GM E73) stellt eine gesundheitliche Beeinträchtigung iS des § 21 Abs 5 SGB II, nämlich eine Krankheit im Sinne eines regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustands dar. Unerheblich für den Begriff der gesundheitlichen Störung ist die Frage, wie verbreitet dieser krankhafte Zustand in der Bevölkerung ist, solange es sich um einen für sich genommen regelwidrigen Zustand handelt. Die von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG angesprochene weite Verbreitung der Laktoseintoleranz (insbesondere in asiatischen Ländern) kann allenfalls Anlass für die Prüfung geben, ob und in welchen Fällen durch die gesundheitliche Beeinträchtigung und das damit medizinisch begründete besondere Ernährungsbedürfnis auch höhere Kosten anfallen.

14

b) Ob die bei der Klägerin bestehende Laktoseintoleranz ein besonderes, medizinisch begründetes Ernährungsbedürfnis mit sich bringt, lässt sich auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht beurteilen. Die Annahme des SG, eine Laktoseintoleranz begründe von vornherein keinen Mehrbedarf, weil lediglich bestimmte Nahrungsmittel vermieden und durch andere, vom Regelbedarf abgedeckte Grundnahrungsmittel ersetzt werden müssten, vermengt die bereits dargestellten Prüfungsschritte in unzutreffender Weise mit einander; insoweit hat das SG die Maßstäbe des § 21 Abs 5 SGB II verkannt.

15

Wie die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate bereits entschieden haben, haben die Gerichte einen streitig gebliebenen krankheitsbedingten Mehrbedarf im Einzelfall aufzuklären (so bereits BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R; vgl zur Laktoseintoleranz auch BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - Juris RdNr 24). Dazu ist zunächst zu überprüfen, welches besondere Ernährungsbedürfnis medizinisch, dh durch die Erkrankung, begründet ist. Insbesondere wenn ein besonderes Ernährungsbedürfnis abhängig von der Schwere der Erkrankung ausgelöst wird, sind die Erfordernisse an die besondere Ernährung im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen. Erst wenn feststeht, welches medizinisch begründete Ernährungsbedürfnis im Einzelfall besteht, kommt es darauf an, ob hierdurch auch höhere Kosten entstehen (dazu unter c). Die erforderlichen Prüfungsschritte wird das SG nach Zurückverweisung ausgehend von dem vorgelegten Attest nachzuholen haben.

16

Bei der Prüfung eines besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnisses lässt nicht schon die fehlende Auflistung der entsprechenden Erkrankung in den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 ( Mehrbedarfsempfehlungen 2008) den Schluss zu, dass es sich nicht um eine Erkrankung handelt, die einen Mehrbedarf auslösen kann. Der Senat schließt sich der Auffassung des 4. Senats an, wonach die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 weder nach ihrer Konzeption noch nach ihrer Entstehungsgeschichte die Anforderungen an antizipierte Sachverständigengutachten erfüllen, die von den Gerichten in normähnlicher Weise angewandt werden könnten (vgl BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14). Wenn weit verbreitete Erkrankungen wie die Laktoseintoleranz in den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 nicht genannt sind, kann dieser Umstand damit nur eine Orientierungshilfe sein, die den Umfang der Ermittlungen im Einzelfall steuert.

17

c) Auch wegen der Kosten, die aus einem besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnis entstehen, stellt § 21 Abs 5 SGB II erkennbar auf die Umstände des Einzelfalles ab. Dies lässt sich schon daraus ersehen, dass - abweichend von den in § 21 Abs 1 bis 4 SGB II genannten Fallgruppen eines Mehrbedarfs - keine Pauschalen für die entstehenden Bedarfe normiert sind. Im Anwendungsbereich des § 21 Abs 5 SGB II sind deshalb Fälle kaum denkbar, in denen sich für eine bestimmte Erkrankung, die - wie die Laktoseintoleranz - Einfluss auf die Ernährung haben, ein besonderer Kostenaufwand abschließend als generelle Tatsache (Rechtstatsache) mit Gültigkeit für jeden Einzelfall verneinen lässt(vgl bereits BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10). Ohnehin lassen die Ausführungen des SG, eine Laktoseintoleranz sei in allen denkbaren Fällen ohne höheren Kostenaufwand zu kompensieren, in keiner Weise erkennen, worauf es diese Schlussfolgerung stützt. Für das von ihm genannte Gutachten eines "Prof. Dr. H." lässt sich eine Quelle nicht finden; auch im Übrigen lassen sich die von dem SG getroffenen Schlüsse nicht auf allgemeinkundige Tatsachen zurückführen. Zwar ist denkbar, dass mit zunehmendem Alter eines Kindes sich Nahrungsmittel, die Milchzucker enthalten, besser vermeiden lassen. Je weiter außerdem eine Erkrankung, die eine besondere Ernährung erfordert, verbreitet ist, umso mehr wird dies das Ernährungsverhalten der gesamten Bevölkerung beeinflussen. Dies mag zu günstigeren Preisen für Ersatz- oder Ergänzungsnahrungsmittel (wie etwa die vom SG genannten laktosefreien Milchprodukte) führen und - sofern ein bestimmtes Ernährungsverhalten allgemein üblich wird - ggf auch die Höhe des Regelbedarfs mitbestimmen. Ob der Klägerin im Einzelfall nicht gleichwohl ein Mehrbedarf zusteht, lässt sich aber allein mit solchen Annahmen nicht ausschließen.

18

Das SG wird außerdem über die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005.

2

Die 1959 geborene Klägerin ist alleinstehend und bewohnt eine Ein-Zimmer-Wohnung, die durch zwei Gas-Einzelöfen und einen Heizlüfter im Bad beheizt wird. Im Oktober 2004 beantragte sie bei dem Beklagten die Gewährung von Alg II und legte dabei eine Bescheinigung ihrer Hausärztin vor, wonach bei ihr aufgrund eines Diabetes mellitus Typ I Krankenkost (Diabeteskost) erforderlich sei.

3

Mit Bescheid vom 13.11.2004 bewilligte der Beklagte Alg II von Januar bis Mai 2005 in Höhe von 794,56 Euro und für Juni 2005 in Höhe von 777,16 Euro, wobei er neben einem befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 134 Euro einen monatlichen Mehrbedarf von 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung wegen Diabetes mellitus Typ I berücksichtigte. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu gering sei und ihr einschließlich Praxisgebühr und Zuzahlung monatliche Kosten in Höhe von mindestens 50 Euro entstünden. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.2.2005 bewilligte der Beklagte daraufhin für die Zeit von Januar bis Mai 2005 monatlich 795,23 Euro und für Juni 2005 775,18 Euro. Den darüber hinausgehenden Widerspruch wies er als unbegründet zurück.

4

Am 1.3.2005 erhob die Klägerin Klage zum SG und begründete ihre Klage insbesondere damit, dass eine Anpassung des seit 1997 nicht erhöhten Mehrbedarfsbetrages zu erfolgen habe, die Regelleistung in Höhe von 345 Euro zu gering sei und zusätzliche Stromkosten von monatlich 11 Euro zu berücksichtigen seien, weil sie ihr Bad mit einem Heizlüfter beheize. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 4.3.2005, 7.9.2005 und 15.11.2005 zuletzt Leistungen für Januar und Februar in Höhe von monatlich 806,33 Euro, für März 689,26 Euro, für April 810,33 Euro, für Mai 802,82 Euro und für Juni 2005 782,72 Euro bewilligt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Beklagte am 29.6.2006 ein Teilanerkenntnis abgegeben und sich bereit erklärt, der Klägerin über die mit Bescheid vom 15.11.2005 zuerkannten Leistungen hinaus für März 2005 Leistungen in Höhe von 795,23 Euro (gemäß dem Widerspruchsbescheid), für Mai 2005 in Höhe von 807,56 Euro und für Juni 2005 in Höhe von 784,46 Euro (gemäß dem Bescheid vom 4.3.2005) zu bewilligen. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen. Mit Urteil vom 29.6.2006 hat das SG die darüber hinausgehende Klage abgewiesen.

5

Mit Urteil vom 15.12.2006 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie einen Bedarf habe, der in der Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Insofern werde auf die Entscheidungsgründe des SG verwiesen, wonach ein Mehrbetrag für kostenaufwändige Ernährung nach dem Krankheitsbild der Klägerin nicht gerechtfertigt sei und die Kosten für Arztbesuche und Zuzahlungen im Regelbetrag enthalten seien.

6

Auf die Revision der Klägerin hat das BSG mit Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R - das Urteil des LSG vom 15.12.2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, da es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehle, insbesondere für die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für eine kostenaufwändige Krankenernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II.

7

Das LSG hat hierauf die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Außerdem hat das LSG ein gerichtliches Sachverständigengutachten bei dem Internisten Dr. S. eingeholt. Mit Urteil vom 23.10.2009 hat das LSG der Klägerin einen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung zugesprochen. Insoweit sei bei den Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) ein Anteil an den Stromkosten, der für eine angemessene Beheizung des Bades mittels des vorhandenen Heizlüfters erforderlich sei, ergänzend zu berücksichtigen. Der konkrete Stromverbrauch des Heizlüfters zur Beheizung des Bades - etwa über einen getrennten Zähler - werde nicht erfasst. Die vom SG berücksichtigte Betriebsdauer des Heizlüfters von einer halben Stunde täglich sei sehr knapp bemessen, weshalb zu Gunsten der Klägerin im Rahmen der Schätzung eine volle Stunde zugrunde gelegt werde. Insgesamt belaufe sich die der Klägerin zustehende Nachzahlung für Kosten der Unterkunft und Heizung für den streitgegenständlichen Zeitraum auf 60,69 Euro. Im Übrigen hat das LSG die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Es bestehe unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Wegen des Verbots der reformatio in peius verbleibe es jedoch bei dem von der Beklagten zuerkannten Mehrbedarf in Höhe von 25,56 Euro monatlich. Eine Verrechnung mit dem Nachzahlungsanspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung komme nicht in Betracht.

8

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 21 Abs 5 SGB II. Das Tatbestandsmerkmal "medizinische Gründe" in § 21 Abs 5 SGB II umfasse auch nicht krankheitsbedingte und in der körperlichen Verfassung eines Menschen liegende Umstände, die ärztlich festgestellt werden könnten. Vorliegend bestehe ein erhöhter Grundumsatz bzw ein erhöhter Kalorienverbrauch, der zu einer finanziellen Mehrbelastung führe, welche die bereits monatlich gewährten 25,56 Euro deutlich übersteige. Weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzesbegründung würden die Beschränkung auf Gesundheitsschäden hergeben. Ausgehend von ihren Angaben, wonach sie bereits seit ihrer Kindheit habe sehr viel essen müssen, hätte das LSG eine individuelle Kaloriemetrie zur Ermittlung ihres erhöhten Grundbedarfs durchführen müssen. Der Hinweis des LSG auf die Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gehe fehl, da ein pauschaler Regelleistungsbetrag nur den durchschnittlichen Bedarf decke. Die vorliegend erforderliche Vollkost lasse sich nicht aus dem Regelsatz finanzieren. Auch hierzu fehle es an Feststellungen des LSG. Es liege eine Verletzung des § 170 Abs 5 SGG vor, da das LSG insoweit entgegen der Rechtsprechung des BSG die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 herangezogen und hieraus abgeleitet habe, dass Vollkost aus dem Regelsatz finanzierbar sei. Hilfsweise bestehe ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarfs, der nicht von den Leistungen nach § 20 SGB II erfasst werde, jedoch zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zwingend zu decken sei. Schließlich sei der vom LSG errechnete Betrag für die Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen fehlerhafter Anwendung der Rundungsregel des § 41 Abs 2 SGB II um 1 Euro zu niedrig.

9

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 abzuändern und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seiner Bescheide vom 13. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2005, dieser in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 4. März 2005, 7. September 2005 und 15. November 2005 zu verurteilen, ihr höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 zu gewähren.

10

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen im streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005.

12

1. Die Klägerin ist im streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005 nach den Feststellungen des LSG leistungsberechtigt als erwerbsfähige Hilfebedürftige iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Damit hat sie Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 SGB II, idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954).

13

2. Die Klägerin hat weder wegen eines erhöhten Kalorienbedarfs noch aufgrund einer etwaigen Ernährung mit sog "Vollkost" einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

14

a) Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten nach § 21 Abs 5 SGB II einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Dieser ergänzt die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 21 SGB II idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Er umfasst Bedarfe, die nicht durch die Regelleistung abgedeckt sind (§ 21 Abs 1 SGB II).

15

Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Gewährung des Mehrbedarfs allein kann damit nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

16

b) Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist (BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 19). Es muss also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor.

17

aa) Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 21 Abs 5 SGB II bewusst an den Rechtszustand des § 23 Abs 4 BSHG angeknüpft. Danach war für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen. Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur war ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs (Hofmann in: LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 28; vgl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 21 RdNr 43). Unter der Geltung des BSHG wurde die kostenaufwändige Ernährung gemäß § 23 Abs 4 BSHG deshalb auch als "Krankenkostzulage" bezeichnet(vgl Knopp/Fichtner, BSHG, 5. Aufl 1983, § 23 RdNr 22; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl 1997, § 23 RdNr 30; Schoch, Sozialhilfe, 3. Aufl 2001, S 167; Hofmann in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 28; Linhart, BSHG § 23 RdNr 14 - Stand 39. EL, Juli 2004).

18

Wie in der früheren Sozialhilfe, dem Referenzsystem für das SGB II (BT-Drucks 15/1514 S 1), wollte der Gesetzgeber auch im Rahmen des Alg II einen Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung vorsehen. In der Gesetzesbegründung ist unter Bezugnahme auf den Rechtszustand des BSHG zum Tatbestandsmerkmal "aus medizinischen Gründen" ausgeführt worden: "Wie in der Sozialhilfe ist auch im Rahmen des Arbeitslosengeldes II ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung vorgesehen. Hierbei ist eine Präzisierung dahin gehend vorgenommen worden, dass der Mehrbedarf nur bei Nachweis des Bedarfs aus medizinischen Gründen anzuerkennen ist. Zur Angemessenheit des Mehrbedarfs können die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden." (BT-Drucks 15/1516, S 57).

19

Auch die vergleichende Betrachtung der Vorschriften des § 21 Abs 5 SGB II und des § 30 Abs 5 des SGB XII bestätigt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung erforderlich ist. Die Definition des Kreises der Anspruchsberechtigten ist in § 21 Abs 5 SGB II zwar anders formuliert als in § 30 Abs 5 SGB XII, der dem früheren § 23 Abs 4 BSHG nachgebildet ist. Gemäß § 30 Abs 5 SGB XII in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Hingegen sind auch anspruchsberechtigt erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer aufwendigen Ernährung bedürfen. Wie aufgezeigt, sollte nach der Gesetzesbegründung zu § 21 Abs 5 SGB II(BT-Drucks 15/1516, S 57) mit der Formulierung klargestellt werden, dass der Mehrbedarf nur bei Nachweis des Bedarfs aus medizinischen Gründen anzuerkennen sei.

20

Folglich hat der Gesetzgeber inhaltliche Unterschiede zwischen § 21 Abs 5 SGB II und § 30 Abs 5 SGB XII nicht beabsichtigt. Sinn und Zweck der Leistungen ist es in beiden Fällen, durch die krankheitsbedingte besondere Ernährung drohende oder bestehende Gesundheitsschäden abzuwenden oder zu verhindern (Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 49 f; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 31; O. Loose in GK-SGB II § 21 RdNr 32, 34; Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 25; Simon in: jurisPK-SGB XII, § 30 RdNr 92; vgl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 21 RdNr 43). Anspruchsvoraussetzung bei § 21 Abs 5 SGB II ist daher immer das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung. Dementsprechend hat auch das BSG bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 Abs 5 SGB II bislang stets von "Krankenernährung" oder "krankheitsbedingtem Mehrbedarf" gesprochen(BSG vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R) und ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nur vorliegen, wenn eine oder mehrere Erkrankungen eine kostenaufwändige Ernährung bedingen (BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5; vgl auch BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

21

bb) Der von der Klägerin behauptete erhöhte Kalorienbedarf ist nach den Feststellungen des LSG nicht auf eine Krankheit, also auf einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, zurückzuführen. Nach diesen Feststellungen liegen bei der Klägerin zwar verschiedene Krankheiten, insbesondere ein Diabetes mellitus Typ I vor; diese verursachen jedoch weder einen erhöhten Kalorienbedarf noch einen anderen Ernährungsmehrbedarf iS des § 21 Abs 5 SGB II. Das LSG hat den Sachverhalt vollständig und ausreichend ermittelt, indem es sachverständige Zeugenauskünfte sowie ein internistisches ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt hat, um sich die erforderliche Sachkunde zu verschaffen. Damit hat das LSG von den Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung gestanden haben, Gebrauch gemacht (vgl BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B; BSG vom 11.12.1969 - GS 2/68 - BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO). Ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) liegt nicht vor.

22

Nach den Feststellungen, die das LSG nach ausreichenden Ermittlungen des Sachverhalts getroffen hat, liegen keine begründeten Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Krankenkost vor. Das LSG konnte nach der vorgenommenen eigenständigen Aufklärung des Sachverhalts und der Prüfung der Umstände des Einzelfalles dahinstehen lassen, ob die überarbeiteten, aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind (zum Meinungsstand siehe Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 40). Auch durch die aktuellen Empfehlungen wird die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären ( § 20 SGB X bzw § 103 SGG ), nicht aufgehoben. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (abgedruckt in NDV 2008, 503 ff) ersetzen nicht eine ggf erforderliche Begutachtung im Einzelfall.

23

Unabhängig von der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob die Empfehlungen 2008 als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind (bejahend zB Sächsisches LSG vom 27.8.2009 - L 3 AS 245/08 - und vom 22.6.2009 - L 7 AS 250/08; Bayerisches LSG vom 23.4.2009 - L 11 AS 124/08; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08; offen gelassen: LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2010 - L 19 <20> AS 50/09 - und vom 4.10.2010 - L 19 AS 1140/10), können die Empfehlungen 2008 jedenfalls als Orientierungshilfe dienen und es sind weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Empfehlungen abweichende Bedarfe, substantiiert geltend gemacht werden (so bereits zu den Empfehlungen 1997: BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 7 f). Da die Empfehlungen des Deutschen Vereins keine Rechtsnormqualität aufweisen (BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 89 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 44 und - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 6 f), gibt es auch keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse auch mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen bzw in diese einfließen zu lassen, wenn diese Zeiträume betreffen, die vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen am 1.10.2008 lagen (so bereits Sächsisches LSG vom 26.2.2009 - L 2 AS 152/07; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08). Wenn dann - wie vorliegend - nach dem Ergebnis der im Einzelfall durchgeführten Amtsermittlung eine Abweichung von den Empfehlungen nicht festzustellen ist (vgl zu diesem Gesichtspunkt auch BVerfG vom 20.6.2006 - 1 BvR 2673/05 - juris RdNr 19), ist eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich.

24

cc) Da nur für eine krankheitsbedingt erforderliche kostenaufwändige Ernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II ein Mehrbedarf zu gewähren ist, hat das LSG zu Recht davon abgesehen, den individuell angemessenen Ernährungsbedarf bzw den tatsächlichen individuellen Grundumsatz und Kalorienbedarf der Klägerin zu ermitteln. Auf die Gewährung eines individuell angemessenen Bedarfs für Ernährung besteht kein Anspruch. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlich zulässigen System der Gewährung einer statistisch ermittelten Regelleistung als Festbetrag. Maßgeblich für die Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II sind in diesem System stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, ist § 21 Abs 5 SGB II jedoch kein Auffangtatbestand(Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 24).

25

dd) Die Ernährung mit einer sog "Vollkost" bei Diabetes mellitus I/II unterfällt nicht § 21 Abs 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt.

26

Die Vollkost ist jedoch aus der Regelleistung zu bestreiten. Auch insoweit gilt, dass für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, § 21 Abs 5 SGB II kein Auffangtatbestand ist.

27

3. Der Sache nach ist das Begehren der Klägerin demnach darauf gerichtet, für ihren geltend gemachten individuellen Ernährungsbedarf eine höhere Regelleistung zu erstreiten. Dieses Begehren hat gleichfalls keinen Erfolg.

28

a) Im streitgegenständlichen Zeitraum besteht lediglich ein Anspruch auf eine monatliche Regelleistung in Höhe von 345 Euro. Zwar hat das BVerfG die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung, ua die des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II, mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Daraus folgt aber nicht, dass einem Hilfebedürftigen ein höherer Anspruch auf Leistungen zusteht. Vielmehr gilt die Vorschrift des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der jeweils anzuwendenden Fassung bis zum 31.12.2010 fort. Der Gesetzgeber wurde lediglich verpflichtet, die Regelleistung für die Zukunft neu festzusetzen (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 ff - juris RdNr 210 ff; BVerfG vom 18.2.2010 - 1 BvR 1523/08; BVerfG vom 24.3.2010 - 1 BvR 395/09; BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 17/10 R). Folglich ist im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass die der Klägerin im Jahre 2005 bewilligte Regelleistung in Höhe von 345 Euro für den hier streitigen Zeitraum hinzunehmen ist (vgl BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 17/10 R - juris RdNr 16).

29

b) Zudem hat das BVerfG ausgeführt, die Regelleistung reiche zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums aus: "Für den Betrag der Regelleistung von 345 Euro nach § 20 Abs 2 1. Halbsatz SGB II aF kann eine evidente Unterschreitung nicht festgestellt werden, weil die Regelleistung zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums zumindest ausreicht und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der sozialen Seite des Existenzminimums weiter ist. So kommt beispielsweise eine Untersuchung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu dem Ergebnis, dass die Beträge des § 2 Abs 2 Regelsatzverordnung für 'Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren' sowie für 'Beherbergungsdienstleistungen, Gaststättenbesuche' die Ernährung eines Alleinstehenden mit Vollkost decken können (vgl seine Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 3. Aufl., sub III 2 )" (RdNr 152 des Urteils vom 9.2.2010).

30

c) Eine abweichende Bedarfsermittlung kommt nicht in Betracht. Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung nicht vorgesehen (vgl dazu BSG 18.6.2008 - B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 76 f = SozR 4-4200 § 11 Nr 11 S 65 f). Dies gilt sowohl zu Gunsten wie auch zu Lasten des Grundsicherungsempfängers. Bei der Ernährung handelt es sich um einen Grundbedarf, der von der Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gedeckt werden soll. Es ist konstitutiver Bestandteil des Systems des SGB II, eine abweichende Festsetzung der Bedarfe, wie sie § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII zulässt, gerade nicht vorzusehen. Folglich gestattet es das SGB II nicht, außerhalb von § 21 Abs 5 SGB II einen individuellen Ernährungsbedarf bedarfserhöhend geltend zu machen.

31

Der Verzicht auf eine individuelle Bedarfsbestimmung entspricht im Übrigen auch dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit einer Pauschalierung der Regelleistung im SGB II verband. Die pauschalierte Regelleistung sollte gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 11 RdNr 24). Diese sind darauf angewiesen, mit dem in der Regelleistung pauschaliert enthaltenen Betrag ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken. Außerhalb der gemäß § 21 SGB II gewährten Mehrbedarfe und der gemäß § 23 Abs 3 SGB II aF - in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung - gewährten einmaligen Leistungen sind monetäre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Das System des SGB II ist insofern abschließend (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 91 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 45).

32

In diesem vom Gesetzgeber in zulässiger Weise gewählten System der pauschalierten Regelleistung ist weder - wie von der Klägerin begehrt - eine individuelle Kaloriemetrie vorzunehmen, noch durch eine isolierte Herausnahme und Überprüfung einzelner Bedarfspositionen zu prüfen, ob eine bestimmte individuell gewünschte Ernährungsweise von einer bestimmten Bedarfsposition der Regelleistung direkt erfasst und abgebildet wird. Das BVerfG hat hierzu im Urteil vom 9.2.2010, aaO, RdNr 205 ausgeführt: "Die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag ist grundsätzlich zulässig. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber typisierende und pauschalierende Regelungen treffen (vgl BVerfGE 87, 234 <255 f>; 100, 59 <90>; 195 <205>). Dies gilt auch für Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Allerdings verlangt Art 1 Abs 1 GG , der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schützt, dass das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt wird. Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, kann über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen. Dies ist ihm auch zumutbar. Dass sich der Gesamtbetrag aus statistisch erfassten Ausgaben in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zusammensetzt, bedeutet nicht, dass jedem Hilfebedürftigen die einzelnen Ausgabenpositionen und -beträge stets uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssen. Es ist vielmehr dem Statistikmodell eigen, dass der individuelle Bedarf eines Hilfebedürftigen vom statistischen Durchschnittsfall abweichen kann. Die regelleistungsrelevanten Ausgabepositionen und -beträge sind von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert, die nicht bei jedem Hilfebedürftigen exakt zutreffen müssen, sondern erst in ihrer Summe ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Wenn das Statistikmodell entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angewandt und der Pauschalbetrag insbesondere so bestimmt worden ist, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen möglich ist […], kann der Hilfebedürftige in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskommt; vor allem hat er bei besonderem Bedarf zuerst auf das Ansparpotenzial zurückzugreifen, das in der Regelleistung enthalten ist.“

33

Folglich ist nicht individuell zu ermitteln, ob eine bestimmte Ernährungsweise, die nicht von § 21 Abs 5 SGB II umfasst wird, sondern aus der Regelleistung zu bestreiten ist, im Einzelnen von der entsprechenden Bedarfsposition gedeckt wird. Denn es ist Sache des Hilfebedürftigen selbst, über die Verwendung des bewilligten Festbetrages im Einzelnen zu bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen.

34

4. Ansprüche auf Gewährung einer von der Regelleistung abweichenden Leistung auf der Grundlage sonstiger Anspruchsgrundlagen bestehen gleichfalls nicht.

35

a) Die Klägerin kann keinen Anspruch aus einer entsprechenden Anwendung des § 73 SGB XII herleiten. Nach Satz 1 dieser Vorschrift können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Voraussetzung eines Anspruchs nach § 73 SGB XII ist nach der Rechtsprechung des 7b. Senats, der sich auch der 14. Senat des BSG angeschlossen hat, eine besondere Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Zugleich muss auch der Bereich der Grundrechtsausübung tangiert sein (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 250 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 22 f; BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 13/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 19 f). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil es sich bei der Ernährung mit ausgewogener Mischkost bzw sog "Vollkost" um einen typischen, innerhalb des SGB II zu befriedigenden Bedarf handelt.

36

b) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht im Hinblick auf die durch eine Anordnung des BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (aaO) geschaffene Härtefallregelung, die der Gesetzgeber mittlerweile mWv 3.6.2010 in § 21 Abs 6 SGB II geregelt hat(Gesetz vom 27.5.2010, BGBl I 671). Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 9.2.2010 (insbesondere RdNr 207) klargestellt, dass der von ihm verfassungsrechtlich abgeleitete, zusätzliche Anspruch immer dann notwendig werde, wenn ein bestimmter fortlaufender atypischer Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II nicht gedeckt werden könne. Nach den Feststellungen des LSG kann die Klägerin keinen derartigen besonderen Bedarf geltend machen.

37

5. Schließlich hat die Klägerin keinen Anspruch auf einen höheren Leistungsbetrag mit Rücksicht auf die fehlerhafte Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II durch das LSG. Hierbei geht der Senat davon aus, dass der Ansatz des LSG hinsichtlich der hier ausnahmsweise als KdU anteilig zu berücksichtigenden Stromkosten nicht zu beanstanden ist. Das LSG hat jedoch nicht beachtet, dass lediglich Endzahlbeträge der monatlichen Leistung nach § 41 Abs 2 SGB II zu runden sind, Zwischenberechnungsschritte aber von der Rundung ausgenommen sind(vgl BSG SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25).

38

Aus einer fehlerhaften Anwendung der Rundungsregelung folgt hier schon deshalb kein höherer Zahlbetrag, weil der Beklagte - wie bereits ausgeführt worden ist - bei der Leistungsbewilligung einen Betrag von monatlich 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung in Ansatz gebracht hatte, auf den die Klägerin keinen Anspruch hatte. Zwar folgt hieraus nicht, dass die Bescheide durch den erkennenden Senat zu Lasten der Klägerin zu ändern waren, denn einer solchen Änderung steht das Verbot der reformatio in peius entgegen (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 8; BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 48/08 R - BSGE 102, 274, 281 = SozR 4-4200 § 22 Nr 18 S 130). Da jedoch im Verfahren der Anspruch auf Alg II einschließlich der angemessenen KdU insgesamt streitig ist, kann die Klägerin einen höheren Zahlbetrag nur beanspruchen, wenn der Verfügungssatz der Bewilligung von Alg II sich insoweit der Höhe nach als unrichtig erweist. Insoweit ist die Höhe der Leistung unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen.

39

Dem steht nicht entgegen, dass das BSG eine Beschränkung des Klagebegehrens auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw die Kosten für Unterkunft für zulässig erachtet hat (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 18), denn die Klägerin hat eine Beschränkung ihres Klagebegehrens nicht vorgenommen. Eine (Teil-)Bestandskraft ist hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des zuerkannten Mehrbedarfs folglich nicht eingetreten.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).

3

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.

4

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.

8

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).

9

1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).

10

a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.

11

Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen ). F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".

12

Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz ) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).

13

b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).

14

Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.

15

Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).

16

Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.

17

Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).

18

Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).

19

c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).

20

2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).

21

a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.

22

Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

23

Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.

24

In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.

25

Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).

26

b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.

27

3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.

28

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

29

Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).

30

Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.

31

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Für Personen, die

1.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder
2.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind
und durch einen Bescheid der nach § 152 Absatz 4 des Neunten Buches zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 152 Absatz 5 des Neunten Buches die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

(2) Für werdende Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

(3) Für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist, soweit kein abweichender Bedarf besteht, ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für ein Kind unter sieben Jahren oder für zwei oder drei Kinder unter sechzehn Jahren, oder
2.
in Höhe von 12 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für jedes Kind, wenn die Voraussetzungen nach Nummer 1 nicht vorliegen, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28.

(4) § 42b Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden auf Leistungsberechtigte, die das 15. Lebensjahr vollendet haben.

(5) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, wenn deren Ernährungsbedarf aus medizinischen Gründen von allgemeinen Ernährungsempfehlungen abweicht und die Aufwendungen für die Ernährung deshalb unausweichlich und in mehr als geringem Umfang oberhalb eines durchschnittlichen Bedarfs für Ernährung liegen (ernährungsbedingter Mehrbedarf). Dies gilt entsprechend für aus medizinischen Gründen erforderliche Aufwendungen für Produkte zur erhöhten Versorgung des Stoffwechsels mit bestimmten Nähr- oder Wirkstoffen, soweit hierfür keine vorrangigen Ansprüche bestehen. Die medizinischen Gründe nach den Sätzen 1 und 2 sind auf der Grundlage aktueller medizinischer und ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse zu bestimmen. Dabei sind auch die durchschnittlichen Mehraufwendungen zu ermitteln, die für die Höhe des anzuerkennenden ernährungsbedingten Mehrbedarfs zugrunde zu legen sind, soweit im Einzelfall kein abweichender Bedarf besteht.

(6) Die Summe des nach den Absätzen 1 bis 5 insgesamt anzuerkennenden Mehrbedarfs darf die Höhe der maßgebenden Regelbedarfsstufe nicht übersteigen.

(7) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Wohnung, in der besonderen Wohnform oder der sonstigen Unterkunft nach § 42a Absatz 2 installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und denen deshalb kein Bedarf für Warmwasser nach § 35 Absatz 5 anerkannt wird. Der Mehrbedarf beträgt für jede leistungsberechtigte Person entsprechend der für sie geltenden Regelbedarfsstufe nach der Anlage zu § 28 jeweils

1.
2,3 Prozent der Regelbedarfsstufen 1 und 2,
2.
1,4 Prozent der Regelbedarfsstufe 4,
3.
1,2 Prozent der Regelbedarfsstufe 5 oder
4.
0,8 Prozent der Regelbedarfsstufe 6.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) § 42b Absatz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(9) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(10) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein einmaliger, unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht, der auf keine andere Weise gedeckt werden kann und ein Darlehen nach § 37 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2006 in Gestalt der Bescheide vom 01.06.2006, vom 19.07.2006 und vom 15.05.2007 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate August, September und Oktober 2006 weitere Leistungen in Höhe von monatlich 3,27 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger - teilweise im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 hat. Streitig ist insbesondere, ob der Kläger Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung hat.

2

Der am ...1956 geborene Kläger bewohnte bis zum 31.07.2006 eine 44,97 m² große Wohnung in der B in S . Die Kaltmiete belief sich bis zum 30.09.2005 auf 196,58 €. Daneben war ein Nebenkostenabschlag in Höhe von 50,13 Euro monatlich (insgesamt 247,71 €) zu zahlen. Zum 01.10.2005 erhöhte sich die Kaltmiete aufgrund einer Staffelmietvereinbarung auf 202,33 €. Die Beheizung und die Erwärmung des Warmwassers in der Wohnung erfolgten über Gas. Der Gasabschlag belief sich bis zum 31.07.2005 auf 60,00 € monatlich, vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 auf 63,00 € monatlich und ab dem 01.02.2006 auf 66,00 € monatlich.

3

Zum 01.08.2006 verzog der Kläger in eine 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 41,69 m² in der B in B . Die Kaltmiete belief sich auf 173,00 € monatlich. Daneben war für Nebenkosten und Heizung ein einheitlicher Abschlag in Höhe von 103,00 € monatlich zu zahlen. Ab dem 01.11.2006 nahm der Kläger wegen Mängeln der Mietsache eine Mietminderung in Höhe von 60,55 € monatlich und ab dem 01.02.2007 in Höhe von 43,25 € monatlich vor.

4

Seit dem 15.12.2007 wohnt der Kläger in N .

5

Bis zum 31.12.2004 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von zuletzt wöchentlich 123,83 €. Arbeitslosengeld (Alg) bezog der Kläger zuletzt im Jahr 1993.

6

Auf seinen Antrag vom 30.09.2004 bewilligte die Agentur für Arbeit Mayen dem Kläger mit Bescheid vom 02.11.2004 in der Gestalt des Änderungsbescheides der Rechtsvorgängerin des Beklagten, der Arbeitsgemeinschaft Landkreis Mayen-Koblenz (im Folgenden: ARGE), vom 26.04.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 652,71 € monatlich.

7

Dem Bescheid vom 02.11.2004 war ein Hinweisschreiben beigefügt, dass der tatsächliche Mietzins des Klägers den angemessenen Betrag um 5,33 € überschreite. Für einen 1-Personen-Haushalt werde eine Gesamtwohnfläche von 45 m² als angemessen angesehen. Im hiesigen Raum werde ein Mietzins von 4,25 € je m² als angemessen anerkennt. Der Kläger werde aufgefordert, seine Kosten der Unterkunft bis zum 30.06.2005 durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise zu reduzieren. Danach würden nur noch die angemessenen Kosten der Unterkunft anerkannt.

8

Mit Bescheid vom 26.04.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 30.06.2005 monatliche Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €), für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.07.2005 Leistungen in Höhe von 647,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 302,38 €) und für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 650,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 305,38 €).

9

Mit Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 650,38 € monatlich. Eine mit Bescheid vom 06.02.2006 erfolgte Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 01.02.2006 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit wurde mit Änderungsbescheid vom 07.02.2006 wieder zurückgenommen; mit diesem Bescheid wurden dem Kläger erneut Leistungen in Höhe von 650,38 € monatlich für die Zeit vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 bewilligt. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 20.04.2006 wurden die Leistungen aufgrund der Erhöhung des Gasabschlages für die Zeit vom 01.02.2006 bis zum 30.04.2006 auf 653,38 € monatlich erhöht. Der auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2006 zurückgewiesen.

10

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 19.05.2006 wurde auch der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 07.02.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, der sich ebenfalls gegen die Höhe der belegten Leistungen wandte, als unbegründet zurückgewiesen.

11

Betreffend die Höhe der Kosten der Unterkunft vom 01.05.2005 bis zum 30.06.2006 erhob der Kläger Klagen zum Sozialgericht (SG) Koblenz (S 13 AS 280/06 und 281/06), die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 13 AS 281/06 verbunden wurden.

12

Mit Bescheid vom 20.04.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 653,38 € monatlich. Hiergegen legte der Kläger am 03.05.2006 Widerspruch ein.

13

Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er zum 01.08.2006 nach B verziehe, beschränkte die ARGE mit Bescheid vom 14.07.2006 die zuvor bis zum 31.10.2006 bewilligten Leistungen in Höhe von 653,38 € monatlich auf den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006. Mit Bescheid vom 19.07.2006 bewilligte sie dem Kläger im Übrigen für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 611,73 € ausgehend von Kosten für die neue Wohnung in Höhe von 266,73 € monatlich.

14

Auch für den Bewilligungsabschnitt vom 01.02.2007 bis zum 30.04.2007 bewilligte die ARGE dem Kläger mit Bescheid vom 10.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 611,73 € monatlich. Mit Bescheid vom 21.03.2017 wurden für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.10.2007 Leistungen in Höhe von 568,48 € und mit Bescheid vom 19.10.2007 für die Zeit vom 01.11.2007 bis zum 31.12. 2007 Leistungen in Höhe von 570,48 € (Regelleistungen in Höhe von 347,00 € und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 223,48 €) bewilligt. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

15

Eine am 19.03.2007 vom Kläger vorgelegte Nebenkostennachforderung in Höhe von 44,04 € aus dem Mietverhältnis B in S übernahm die ARGE mit Bescheid vom 23.03.2007.

16

In dem Klageverfahren vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06 gab die ARGE am 04.03.2008 ein Anerkenntnis dahingehend ab, dass für den Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 Arbeitslosengeld II unter Ansatz der tatsächlichen Kaltmiete gewährt werde. Das Anerkenntnis wurde von dem Kläger angenommen. Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE daraufhin dem Kläger für Juli 2005 Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €). Mit weiterem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte sie für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 655,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 310,71 €) monatlich, mit drittem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.01.2006 ebenfalls Leistungen in Höhe von 655,71 € sowie mit viertem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 313,71 €) monatlich. Mit einem fünften Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE im Übrigen über das abgegebene Anerkenntnis hinausgehend auch für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € monatlich.

17

Gegen die Änderungsbescheide vom 25.09.2008 legte der Kläger Widerspruch ein, da sich seine Kaltmiete aufgrund der Staffelmietvereinbarung mit Wirkung zum 01.10.2005 auf 202,33 € monatlich belaufe. Mit Bescheid vom 06.02.2009 erklärte die ARGE daraufhin, dass sie die Bescheide vom 25.09.2008 aufhebe und in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.07.2006 eine Kaltmiete in Höhe von monatlich 202,33 € berücksichtige. Dies wurde schließlich mit vier Änderungsbescheiden vom 05.03.2009 umgesetzt. Als Kosten der Unterkunft wurden nunmehr in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.01.2006 316,46 € und in der Zeit vom 01.02.2006 bis zum 31.07.2006 319,46 € berücksichtigt.

18

Am 11.08.2005 beantragte der Kläger, der Vegetarier ist und kein Fleisch, Fisch oder Produkte, die Gelatine enthalten, verzehrt, unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin Dr. S vom 15.07.2004 (hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler, es muss 2005 heißen) einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen Laktoseintoleranz. Der Bescheinigung beigefügt war ein Attest des Dermatologen Dr. N vom 04.08.2005, der eine abortive atypische Dermatitis mit Juckreiz sowie eine Typ I Allergie auf Hausstaubmilben diagnostizierte und als Therapie die Anwendung von Antihistaminika nach Bedarf (z.B. Telfast 180), das Meiden von Nahrungsmitteln mit hohem Tyramingehalt und ggf. eine schwache Steroidsalbe für die Beine empfahl. Die ARGE holte eine Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 19.05.2006 ein und lehnte mit Bescheid vom 01.06.2006 den Antrag auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab. Grundlage für die Bewertung des Mehraufwandes für Krankenkost bildeten zum einen die Empfehlungen für die Krankenkostzulage der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge in der Auflage von 1997 und zum anderen der Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, Stand 1/2002. Aus diesen Empfehlungen sei zu ersehen, dass für die Ernährung von Menschen mit Laktoseintoleranz eine ausreichend große Anzahl an laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Ein Widerspruch gegen den Bescheid befindet sich nicht in den Akten.

19

Am 08.11.2006 ging bei der ARGE eine Widerspruchsbegründung des derzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf einen Widerspruch vom 21.06.2006 ein. Die Beteiligten einigten sich darauf, die Widerspruchsbegründung als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.

20

Mit Bescheid vom 15.05.2007 lehnte die ARGE eine Änderung ihres Bescheides vom 01.06.2006 ab. Sie wiederholte dabei im Wesentlichen ihre Begründung aus dem genannten Bescheid. Den Widerspruch des Klägers vom 20.06.2007 wies die ARGE mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 als unbegründet zurück.

21

Am 30.01.2008 hat der Kläger Klage zum SG Koblenz erhoben und u.a. mehrere Quittungen über den Einkauf von Lebensmitteln vorgelegt.

22

Das SG hat ein internistisches Gutachten des Dr. A vom 30.05.2008 aus dem Klageverfahren vor dem SG mit dem Az.: S 10 R 778/07 beigezogen, eine Stellungnahme der Frau Dr. S vom 20.07.2009 eingeholt und die Klage mit Urteil vom 28.10.2009 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs wegen seiner Laktoseintoleranz. Mittlerweile liege eine im Jahr 2008 völlig neu bearbeitete Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vor. Auch wenn diesen Empfehlungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Feststellung des angemessenen Mehrbedarfs im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II lediglich der Charakter einer Orientierungshilfe zukäme (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R), könnten sie zur Sachverhaltsbeurteilung im Hinblick auf die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe der Mehrbedarf anzuerkennen sei, herangezogen werden. Ihnen sei im Regelfall zu folgen (Hinweis auf Sächsisches LSG, Urteil vom 22.06.2009 - L 7 AS 250/08). Nach den Empfehlungen vom 01.10.2008 sei nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin ein krankheitsbedingter Mehrbedarf bei verzehrenden Erkrankungen bzw. gestörter Nahrungsaufnahme bzw. Nährstoffverwertung in der Regel daher nur bei schweren Verläufen zu bejahen oder wenn besondere Umstände vorlägen. Hierfür lägen im Fall des Klägers keinerlei Anzeichen vor. Das beigezogene internistische Gutachten des Dr. A belege, dass bezüglich der Laktoseintoleranz gerade nicht von einem schweren Verlauf ausgegangen werden könne. Da im Übrigen aus der festgestellten Körperlänge von 1,80 m und dem Körpergewicht von 95 kg auch nicht auf besondere Umstände hinsichtlich einer gestörten Nährstoffaufnahme geschlossen werden könne, sei hier von einem Regelfall auszugehen. Das Urteil war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, dass dieses Urteil nicht mit der Berufung angefochten werden könne, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden sei. Die Nichtzulassung der Berufung könne mit der Beschwerde angefochten werden. Das Urteil ist dem Kläger am 06.11.2009 zugestellt worden.

23

Am 07.12.2009 (einem Montag) hat der Kläger Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 eingelegt (Az.: L 3 AS 576/09 NZB). Nach einem Hinweis des 3. Senats, dass die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig sei, hat der Kläger am 11.06.2010 die Beschwerde zurückgenommen.

24

Am 17.06.2010 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Koblenz eingelegt.

25

Der Kläger trägt vor, es treffe nicht zu, dass eine ausreichend große Anzahl von laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Laktosefreie Lebensmittel seien in etwa doppelt so teuer wie laktosehaltige Lebensmittel. Auch könne das Sachverständigengutachten des Dr. A nicht Entscheidungsgrundlage sein, ob ihm ein Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz zu gewähren sei. Das Gutachten sei erstattet worden zur Beurteilung des ihm verbliebenen Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Ihm sei von Frau Dr. S , nachdem diese seine Laktoseintoleranz festgestellt habe, lediglich empfohlen worden, sich laktosefrei zu ernähren, was er in der Folgezeit getan habe. Die Ärztin habe ihm nicht mitgeteilt, dass evtl. eine spätere Überprüfung seiner Laktoseintoleranz erforderlich sei. Vor der Feststellung einer Laktoseintoleranz habe er an krampfhaften Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten gelitten. Nach der Umstellung der Ernährung auf laktosefreie Milch und Milchprodukte seien die Beschwerden verschwunden. Er ernähre sich von Obst, rohem und gekochtem Gemüse, Vollkornprodukten, selbst zusammengestelltem Müsli und Hülsenfrüchten sowie laktosefreien Milchprodukten, vor allem Joghurt und Schnittkäse. Seit März 1988 sei er Vegetarier. Lebensmittel, die Fleisch oder Fisch oder Gelatine enthielten, verzehre er nicht. Sein Bedarf an laktosefreien Milchprodukten sei deutlich höher als bei Nichtvegetariern, u.a. deshalb, weil er laktosefreie Sahne zum Kochen von Suppen und Soßen verwende.

26

Der Beklagte hat auf Hinweis des Senats mit Schreiben vom 04.03.2013 ein Teilanerkenntnis dahin gehend abgegeben, dass für die Monate August und September 2005 ein (aufgerundeter) Leistungsanspruch in Höhe von 656,00 € monatlich gewährt werde. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.03.2013 dieses Teilanerkenntnis angenommen.

27

Der Kläger beantragt,

28

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 01.06.2006, des Bescheides vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2005 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009, und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006 und vom 19.07.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009 sowie unter Abänderung der weiteren Bescheide zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

29

Der Beklagte beantragt,

30

die Berufung zurückzuweisen.

31

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Eine Deckung des Eiweißbedarfes des Klägers durch tierische und pflanzliche Eiweiße stelle bei Laktoseintoleranz kein Problem dar. Eine Deckung des Eiweißbedarfes durch Milcheiweiß sei nicht zwingend. Nach seiner Auffassung bestehe ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II daher nur dann, wenn die Deckung des Eiweißbedarfs durch Vollkost entsprechend der Empfehlung des Deutschen Vereins bedingt durch einen schweren Verlauf der Laktoseintoleranz nicht mehr möglich sei und daher eine erhöhte Substitution durch Sojaprodukte notwendig werde. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.

32

Der Senat hat schriftliche Stellungnahmen der Frau Dr. S vom 15.08.2011 und vom 02.03.2012 sowie ein Sachverständigengutachten des Ernährungsberaters C M betreffend die Mehrkosten laktosefreier und tyraminarmer Lebensmittel vom 05.11.2012 eingeholt.

33

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des SG Koblenz - S 13 ER 392/07 AS -, der Leistungsakten des Beklagten (drei Bände) sowie der Leistungsakten des Jobcenters N (zwei Bände) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

34

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger höhere Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

35

Streitgegenstand (vgl. § 95 SGG) des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 11.08.2005 (Eingang der Bescheinigung der Frau Dr. S bei dem Beklagten) bis zum 31.10.2006. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Die Regelungen des Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lassen sich (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft, soweit dies ausdrücklich beantragt ist) in rechtlich zulässiger Weise nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 10 Rn. 13 mit weiteren Nachweisen).

36

Vorliegend hat der Beklagte mit Bescheid vom 01.06.2006 zwar gesondert, d.h. getrennt von seinen Entscheidungen über die "übrigen" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte entschieden. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass damit der gesamte Zeitraum bis zum 14.12.2007, in dem der Kläger im Zuständigkeitsbereich des Rechtsvorgängers des Beklagten wohnte, umfasst ist. Da Leistungen hier nicht komplett versagt worden sind und lediglich die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitig ist, kann einer Entscheidung des Grundsicherungsträgers wegen der in § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte zukommen. Zwar enthält der Bescheid vom 01.06.2006 keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt. Dies allein lässt jedoch nicht den Schluss zu, der Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Vielmehr ist der Bescheid dahingehend auszulegen, dass hier die allein rechtlich zulässige Regelung, nämlich eine ablehnende Regelung über eine höhere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw. der Gegenwart lagen, getroffen werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, a.a.O. Rn. 14; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 16).

37

Vorliegend hat der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung am 11.08.2005 und damit während des laufenden Bewilligungsabschnittes vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2005 (Bescheid vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) gestellt. Die Entscheidung des Rechtsvorgängers des Beklagten erging erst im Juni 2006 und damit nachdem ein weiterer Bewilligungsabschnitt vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 (Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) abgelaufen und ein neuer Bewilligungsabschnitt vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 (Bescheid vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006, vom 19.07.2006 , vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 sowie vom 05.03.2009) begonnen hatte. Damit umfasste das Klageverfahren aber von Anfang an mindestens den Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 31.10.2006 und damit einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

38

Da das Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, war die am 17.06.2010 und damit innerhalb eines Jahres ab Zustellung des Urteils eingelegte Berufung des Klägers auch noch rechtzeitig (vgl. § 66 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG).

39

Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist das Jobcenter (§§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen ARGE getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war daher durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr. 4 Rn. 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21; vgl. auch zuletzt BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R).

40

Die Berufung ist nur zum Teil begründet.

41

Soweit der Kläger mit seiner Klage höhere Leistungen auch für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis zum 14.12.2007, d.h. bis zu seinem Fortzug aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten begehrt, ist die Klage unzulässig. Dieser Zeitraum war, wie oben bereits ausgeführt wurde, nicht Gegenstand des Bescheides vom 01.06.2006 sowie des Bescheides vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008. Es ist auch nicht ersichtlich, dass bezüglich dieses Zeitraumes ein Widerspruchsverfahren betreffend die Höhe der Leistungen durchgeführt worden ist, so dass die konkludente Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs bestandskräftig geworden ist.

42

Dagegen ist die Klage betreffend die Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 30.04.2006 nicht bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig (vgl. § 202 SGG iVm. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG). Diese waren zwar als abtrennbarer Streitgegenstand für den oben genannten Zeitraum bereits Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06. Mit der Beendigung des Verfahrens durch das angenommene Anerkenntnis der ARGE vom 04.03.2008 endete jedoch die Sperrwirkung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 94 Rn. 4; vgl. auch BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 22/10 R, juris Rn. 13).

43

Allerdings hat das SG im Ergebnis zu Recht die Klage betreffend den Zeitraum bis zum 31.07.2006 abgewiesen. Dem Kläger stehen höhere Leistungsansprüche als von der Rechtsvorgängerin des Beklagten bewilligt nicht zu. Lediglich betreffend den Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat der Kläger einen höheren Leistungsanspruch, da die ARGE für die neue Wohnung zu niedrige Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt hat.

44

Soweit der Zeitraum bis zum 30.04.2006 betroffen ist, waren die Bewilligungsbescheide mit Ausnahme des Verfügungssatzes über die Leistungen für Unterkunft und Heizung, die Gegenstand des Klageverfahrens S 13 AS 281/06 waren, bei Erlass des Bescheides vom 01.06.2006 bestandskräftig geworden, so dass es sich hier um einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X handelt.

45

Nach dieser Vorschrift ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind, ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Vorliegend ist jedoch im besagten Zeitraum weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Der angegriffene Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008, mit dem sie es abgelehnt hat, den Bescheid vom 01.06.2006 sowie die die jeweiligen Bewilligungsabschnitte betreffenden Leistungsbescheide aufzuheben, erweist sich für diesen Zeitraum als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

46

Den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 betreffend lagen dagegen aufgrund des Widerspruchs des Klägers, über den noch nicht per Widerspruchsbescheid entschieden war, keine bestandskräftigen Bescheide vor. Erst durch den Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 ist letztlich hinsichtlich diesen Abschnitts durch die Behörde abschließend entschieden worden, dass dem Kläger keine höheren Leistungen zustehen bzw. dass die Absenkung der Leistungen aufgrund des Wohnungswechsels zutreffend erfolgt sei.

47

Der demnach für diesen Zeitraum als Anfechtungs- und Leistungsklage auszulegende Antrag des Klägers hat insofern Erfolg, als er Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat. Die ARGE hätte mit Bescheid vom 19.07.2006 die dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bewilligten monatlichen Leistungen nicht auf 611,73 € absenken dürfen.

48

Grundsätzlich war die Rechtsvorgängerin des Beklagten berechtigt, aufgrund des Wohnungswechsels des Klägers und den hieraus resultierenden niedrigeren Mietkosten die Leistungen nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X abzusenken. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dies war hier der Fall. Jedoch hätte die Absenkung nicht in diesem Umfang erfolgen dürfen.

49

Der Kläger war zunächst im streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt. Er erfüllte die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (hier: in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003, BGBl. I S. 2954): Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, er war erwerbsfähig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und war auch hilfebedürftig. Anhaltspunkte für einen Ausschluss von Leistungen sind nicht gegeben. Nach § 19 Abs. 1 SGB II (ebenfalls in der Fassung des oben genannten Gesetzes) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte wie der Kläger als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (Satz 1 Nr. 1). Ein Anspruch auf einen befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld nach § 24 SGB II (hier in der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung; vgl. § 19 Satz 1 Nr. 2 SGB II) kam hier nicht in Betracht, da der Kläger zuletzt 1993 Arbeitslosengeld bezogen hat.

50

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003 (a.a.O.) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass die von dem Kläger zu erbringende Kaltmiete oder die Vorauszahlungen für Nebenkosten und Heizung unangemessen wären. Die ARGE als Rechtsvorgängerin des Beklagten hat selbst in dem dem Bescheid vom 02.11.2004 beigefügten Hinweisschreiben erläutert, sie gehe in ihrem Zuständigkeitsbereich von einer angemessenen Kaltmiete von 4,25 € pro m² aus. Multipliziert mit der für angemessenen gehaltenen 45 m² Wohnfläche ergibt dies einen Betrag in Höhe von 191,25 €. Die Kaltmiete des Klägers belief sich jedoch lediglich auf 173,00 €. Von der Vorauszahlung für Heiz- und Nebenkosten in Höhe von 103,00 € monatlich war für die über die Heizung erfolgte und nicht von einem gesonderten Zähler erfasste Erwärmung des Warmwassers ein Abzug vorzunehmen. Dieser darf jedoch nicht über die Kosten für Warmwasserbereitung, wie sie in der Regelleistung enthalten sind, hinausgehen, so dass im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 lediglich ein Betrag in Höhe von 6,22 € abzuziehen war (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R, BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 Rn. 25). Der Leistungsanspruch des Klägers errechnete sich daher für die Monate August bis Oktober 2006 wie folgt: Regelleistung in Höhe von 345,00 €, Kosten für Unterkunft in Höhe von 269,78 € (276,00 € - 6,22 € Warmwasserpauschale) = 614,78 € monatlich, gerundet (vgl. § 41 Abs. 2 SGB II in der bis 31.03.2011 geltenden Fassung) somit 615,00 € monatlich. Bewilligt wurden mit dem Änderungsbescheid vom 19.07.2006 jedoch lediglich 611,73 €, so dass er im Umfang von 3,27 € monatlich für die drei betreffenden Monate aufzuheben war.

51

Über diesen Betrag hinaus hat der Kläger, nachdem der Beklagte auch hinsichtlich der Rundung des Leistungsanspruchs für die Monate August und September 2005 ein (Teil-)Anerkenntnis abgegeben und der Kläger dieses angenommen hat, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf höhere Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf aufgrund seiner Laktoseintoleranz.

52

Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 Rn. 15; Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12 Rn. 16 ff.).

53

Bei dem Kläger liegt zwar insoweit eine Krankheit vor, als aufgrund eines oralen Laktosetoleranztests am 16.07.2005 bei der Fachärztin für Innere Medizin/Diabetologin Dr. S die Diagnose einer Laktoseintoleranz gestellt wurde. Jedoch ergibt sich aufgrund dieser Laktoseintoleranz im konkreten Fall des Klägers kein gegenüber einem Hilfebedürftigen ohne Milchzuckerunverträglichkeit erhöhter ernährungsbedingter Mehrbedarf.

54

Dabei kann offen bleiben, wie der Umstand zu bewerten ist, dass der Kläger nach der Feststellung seiner Laktoseintoleranz und nach der Teilnahme an einer Ernährungsberatung wegen dieser Krankheit keine weitere ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Nach den Ausführungen sowohl der behandelnden Ärztin Dr. S in ihrer Stellungnahme vom 02.03.2012 als auch des Sachverständigen M in seinem Gutachten vom 05.11.2012 handelt es sich bei einer Laktoseintoleranz nicht um eine statische Erkrankung. Erfahrungsgemäß ist grundsätzlich eine Verlaufskontrolle erforderlich. Auch ist die Toleranz von gewissen laktosearmen Lebensmitteln individuell sehr unterschiedlich und kann nicht allein anhand des bei dem Kläger durchgeführten oralen Laktosetests ermittelt werden. Vielmehr ist, so der Sachverständige M , eine individuelle auf die persönliche Bekömmlichkeit der Lebensmittel angepasste Kost erforderlich. Hierzu wird in der Regel eine Kosteinschulung durchgeführt, in der nach Einführung einer laktosearmen Basiskost und der Überprüfung deren Verträglichkeit ein Kostaufbau durchgeführt wird, mit dem die individuelle Laktosetoleranzschwelle herausgefunden werden soll. Einen solchen Kostaufbau hat der Kläger nicht durchgeführt, er hat vielmehr, seitdem ihm seine Laktoseintoleranz aufgrund des Oraltests bekannt war, auf sämtliche laktosehaltigen Lebensmittel verzichtet. Letztlich kann damit nicht abschließend gesagt werden, ob die vollkommen laktosefreie Diät, die der Kläger im hier streitgegenständlichen Zeitraum durchgeführt hat, tatsächlich medizinisch notwendig gewesen ist. Möglicherweise hätte der Kläger aufgrund seiner individuellen Gegebenheiten durchaus geringe Mengen laktosehaltiger Lebensmittel zu sich nehmen können, wobei der Sachverständige M auch darauf hinweist, dass laktosehaltige Mahlzeiten regelmäßig besser toleriert werden, wenn sie zusammen mit anderen Lebensmitteln konsumiert werden (vgl. Seite 6 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang kann auch dahinstehen, welche Empfehlung Frau Dr. S tatsächlich gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat, da eine evtl. Fehlberatung durch die behandelnde Ärztin hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren Behandlung nicht dem Beklagten zuzurechnen wäre und daher auch nicht zu seinen Lasten gehen könnte. Der Kläger ist selbst dafür verantwortlich, herauszufinden, welche Diät tatsächlich aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung erforderlich ist und sich entsprechend bei Ärzten oder im Internet zu informieren.

55

Für den Ausschluss eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung kann - anders als das SG meint - vorliegend allerdings nicht auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (hier: Stand 01.10.2008) zurückgegriffen werden. Eine Aussage zu einem krankheitsbedingtem Mehrbedarf bei Laktoseintoleranz lässt sich den Empfehlungen nicht entnehmen. Vielmehr weist der Deutsche Verein unter II.2 Nr. 2 ("Ziel der Empfehlungen") ausdrücklich darauf hin, dass ein eventuell abweichender Bedarf bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht geprüft worden sei. An gleicher Stelle wird betont, dass die Gewährung von Zulagen bei in den Empfehlungen nicht berücksichtigten Erkrankungen nicht ausgeschlossen werde.

56

Letztlich muss damit eine individuelle Prüfung erfolgen, in welchem Umfang dem Kläger aufgrund seiner Laktoseintoleranz Mehrkosten entstehen (vgl. auch SG Hildesheim, Gerichtsbescheid vom 31.05.2010 - S 54 AS 1649/09). Solche Mehrkosten konnten jedoch durch das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen M vom 05.11.2012 für den sich vegetarisch ernährenden Kläger nicht belegt werden.

57

Nach den Feststellungen des Sachverständigen M besteht bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte meiden muss, sogar eine Ersparnis gegenüber den normalen Ausgaben, unter der Voraussetzung dass nur die preiswertesten Lebensmittel genommen werden. Diese Ersparnis beziffert er mit 2,42 € im Monat bzw. 0,56 € pro Woche. Lediglich bei der Berücksichtigung von Durchschnittspreisen einer größeren Lebensmittelvariationsbreite seien Mehrkosten in Höhe von durchschnittlich 3,41 € pro Monat bzw. 0,79 € pro Woche zu erwarten. Selbst bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte und tyraminhaltige Lebensmittel meiden müsse, wäre noch eine Ersparnis von 1,64 € pro Monat bzw. 0,38 € pro Woche auf der Basis des jeweils billigsten verfügbaren Lebensmittels zu erwarten. Nur wenn eine abwechslungsreichere Kost erfolge, die nicht immer auf die wenigen preiswertesten Lebensmittel zurückgreife, sei von einem Mehrbedarf von durchschnittlich 20,04 € pro Monat bzw. 6,47 € pro Woche auszugehen. Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass gerade gereifte Käsesorten, die bei einer Tyraminunverträglichkeit zu meiden sind, laktosearm sind. Auch Bohnenprodukte, welche für die Eiweißversorgung bei einem Laktoseintoleranten günstig sind, sind nach den Aussagen des Sachverständigen bei einer konsequenten tyraminarmen Kost grundsätzlich zu meiden. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Kläger nach eigenen Angaben durchaus Hülsenfrüchte verzehrt und auch verträgt, da unter dieser Diät die vorher beklagten Beschwerden (insbesondere krampfhafte Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten) verschwunden sind. Dem Kläger steht damit auch unter Beachtung einer tyraminarmen Kost eine ausreichende Bandbreite an Produkten zur Verfügung, um seinen Nährstoffbedarf, insbesondere an Eiweiß und Kalzium, ohne laktosehaltige Milchprodukte zu decken. Da das Gesetz auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf abstellt, kann in diesem Zusammenhang allein darauf abgestellt werden, ob die mögliche Ernährung, den Nährstoffbedarf des Klägers ausreichend abdeckt. Ob der Kläger aus persönlichen Gründen auf bestimmte Produkte, wie z.B. laktosefreie Sahne oder laktosefreien Käse zurückgreifen möchte, insbesondere um in seiner Ernährung mehr Abwechslung zu haben, ist dagegen im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern ist es dem Kläger - wie jedem anderen Hilfebedürftigen auch, der eine besondere Ernährung wünscht - zuzumuten, sich durch Umschichtungen innerhalb der in der Regelleistung enthaltenen Beträge eine abwechslungsreichere, aber teurere Ernährung zu verschaffen.

58

Im Hinblick auf die Tyraminproblematik des Klägers hat der Sachverständige Meinhold im Übrigen ausgeführt, dass das Meiden von Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt des biogenen Amins Tyramin bei abortiver atypischer Dermatitis mit Juckreiz keine allgemeinwissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode sei. Hier sei eher der Einsatz von Antihistaminika sinnvoll und zielführend. Letztendlich entspricht dies auch der Empfehlung des Dermatologen Dr. Nolte. Hieraus folgt, dass dem Kläger bereits ohne Antihistaminika eine Diät zur Verfügung steht, welche ausreichend erscheint und keine Mehrkosten verursacht, wenn man berücksichtigt, dass er offensichtlich Hülsenfrüchte toleriert. Unter dem Einsatz der Antihistaminika wäre es sogar möglich, gereifte und damit laktosearme Käsesorten zu konsumieren und so ein breiteres Lebensmittelangebot zur Verfügung zu haben. Eventuelle Kosten für derartige Medikamente können dabei im Rahmen des Ernährungsmehrbedarfs nicht berücksichtigt werden, da es sich bei dem von Dr. Nolte erwähnten Antihistaminikum Telfast 180 um ein verschreibungspflichtiges Medikament und nicht um ein Lebensmittel handelt (zur Nichtberücksichtigung von Medikamenten im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235- = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 20; vgl. auch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rn. 31). Grundsätzlich wird die notwendige Krankenbehandlung des Klägers, der im streitigen Zeitraum als Leistungsempfänger nach dem SGB II in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert war, durch seine Krankenkasse sichergestellt. Soweit bestimmte Präparate zwar medizinisch notwendig, aber unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der GKV-Versicherten nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckt sind, sind diese aus der Regelleistung zu zahlen (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, a.a.O. Rn. 25, welches auch darauf hinweist, dass in der Regelleistung im streitigen Zeitraum für die Abteilung 06 auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 ein Gesamtbetrag in Höhe von 13,19 € berücksichtigt worden ist). Raum, z.B. für einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ist damit ebenfalls nicht (vgl. BSG, a.a.O.). Damit kann hier offen bleiben, in welchem Umfang dem Kläger möglicherweise durch die Einnahme von Antihistaminika Mehrkosten entstanden sind.

59

Im Ergebnis ist damit ein krankheitsbedingter Mehraufwand nicht nachgewiesen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass ein sich mit Fleisch und Fisch ernährender Hilfebedürftiger Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung hätte. Im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II können nur die dem Kläger tatsächlich entstehenden Mehrkosten berücksichtigt werden und nicht etwa Mehrkosten, die bei einer (fiktiv zugrunde gelegten) nicht vegetarischen Ernährung entstünden.

60

Auch im Übrigen sind die Leistungen des Klägers nicht zu niedrig bemessen worden. Die Kosten der Unterkunft sind im Zeitraum bis zum 31.07.2005 in Ausführung des vor dem SG Koblenz (S 13 AS 281/06) abgegebenen Anerkenntnisses vollständig übernommen worden, obwohl auch hier wohl ein Abzug für die Warmwasserbereitung vorzunehmen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die der Höhe der Regelleistungen ergibt sich kein höherer Leistungsanspruch. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 09.02.2010 die Regelleistungen mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, den Gesetzgeber jedoch lediglich verpflichtet, diese für die Zukunft neu festzusetzen und ihm eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2010 gesetzt (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 12 Rn. 16 f.). Im Übrigen hat das BVerfG mit Beschluss vom 24.3.2010 auch klargestellt, dass die in diesem Urteil geschaffene Härtefallregelung nicht rückwirkend für Zeiträume, die vor der Verkündung dieses Urteils liegen, gilt (1 BvR 395/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1).

61

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

62

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Die Ablehnung eines Mehrbedarfs beruht hier auf der individuellen Konstellation des Klägers, dass dieser als Vegetarier nicht nur Mehrkosten für laktosearme Lebensmittel sondern auch Einsparpotential durch den Verzicht auf Fisch und Fleisch hat.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005.

2

Der 1982 geborene Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung von 100 sowie die Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H"). Bis einschließlich Januar 2005 zahlte sein Vater Unterhalt. Der Kläger erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III und bewohnt mit seiner Mutter eine gemeinsame Wohnung. Bis 31.12.2004 bezog er Leistungen der Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) und ab 1.1.2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff SGB XII(Bescheid vom 28.4.2005 für Januar 2005, vom 4.4.2005 für Februar bis Juni 2005, vom 23.6.2005 für Juli 2005 und vom 12.7.2005 für August 2005 bis Juni 2006, alle Bescheide erlassen von der Stadt Bad Schwartau im Namen und im Auftrag des Beklagten; Widerspruchsbescheid des Beklagten nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 5.10.2005).

3

Die Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, "dem Kläger seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch, insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten, des Regelsatzes eines Haushaltsvorstands und der korrespondierenden Mehrbedarfe sowie unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von jedenfalls 100 Euro im Monat zu gewähren", hatte teilweise Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Schleswig hat den Beklagten verurteilt, "dem Kläger für den Zeitraum seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft zu gewähren" und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 21.1.2008). Die Berufung mit dem Antrag, "den Beklagten zu verurteilen, ihm - dem Kläger - seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes/Alleinstehenden sowie unter Berücksichtigung des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von mindestens 100 Euro im Monat und unter Berücksichtigung der Beiträge für Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Kfz-Haftpflichtversicherung zu gewähren" hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 9.12.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Berufung sei hinsichtlich der geltend gemachten Versicherungsbeiträge schon unzulässig, weil der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren den Streitgegenstand auf die Kosten der Unterkunft, die Höhe des Regelsatzes und die Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung beschränkt habe. Die Berufung im Übrigen sei unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf den Eckregelsatz eines Haushaltsvorstandes, weil er weder dem zusammen mit seiner Mutter bestehenden Haushalt vorstehe noch neben seiner Mutter einen eigenen Haushalt in der gemeinsam mit ihr bewohnten Wohnung führe. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei insoweit nicht zu folgen. Dem Kläger stehe auch kein über den bereits bewilligten Betrag von 27,50 Euro (wegen Psoriasis) hinausgehender Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung wegen der geltend gemachten Allergien zu. Den Empfehlungen des Deutschen Vereins sei ein Mehrbedarf nicht zu entnehmen, sodass sein tatsächlicher Mehrbedarf konkret festzustellen sei. Ein Mehrbedarf wegen der Kuhmilch- sowie der Hühnereiweißallergie sei im Alter des Klägers unwahrscheinlich; letztere könne auch durch Weglassen des Nahrungsmittels therapiert werden. Die pauschale Bescheinigung des Hausarztes sei zum Nachweis des Mehrbedarfs ungeeignet. Der Kläger selbst habe nicht dargelegt, auf welche Lebensmittel er verzichten und welche er an deren Stelle erwerben müsse und dass damit Mehrkosten verbunden seien.

4

Mit seiner Revision macht der Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats eine Verletzung der §§ 42 Satz 1, 28 SGB XII iVm der Regelsatzverordnung (RSV) sowie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) geltend. Wegen der nach Art 3 GG gebotenen Gleichbehandlung könne eine den reduzierten Eckregelsatz begründende Haushaltsersparnis nur dann angenommen werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) oder eine Einsatzgemeinschaft nach § 19 SGB XII bildeten. Daneben rügt der Kläger Verfahrensfehler sowie einen Verstoß gegen § 33 SGB XII. Zu Unrecht habe das LSG hinsichtlich der Versicherungsbeiträge die Berufung als unzulässig angesehen. Mangels Beschränkung des Streitgegenstandes hätte das LSG über die geltend gemachten Versicherungsbeiträge materiell entscheiden müssen. Übernahmefähig seien jedenfalls die Beiträge für die Sterbegeldversicherung nach § 33 SGB XII. Soweit es den ernährungsbedingten Mehrbedarf betreffe, rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 42 Satz 1 Nr 3, 30 Abs 5 SGB XII. Der ernährungsbedingte Mehraufwand lasse sich betragsmäßig nicht verallgemeinern. Zu diesem Schluss komme zwar auch das LSG; es habe dann aber die ihm obliegende Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, weil es kein Sachverständigengutachten zu der von ihm angezweifelten Kuhmilchallergie des damals anwaltlich nicht vertretenen Klägers eingeholt habe, das einen Mehrbedarf von zumindest 100 Euro bestätigt hätte.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben, das Urteil des SG abzuändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und die Bescheide vom 4.4.2005, 28.4.2005 und 23.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.10.2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.7.2005 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Entgegen der Auffassung des LSG war die Berufung insgesamt zulässig. Ob der Kläger in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen hat, kann aber mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen durch das LSG zu Grund und Höhe der Leistungen - auch des ernährungsbedingten Mehraufwands - sowie zur Zuständigkeit des Beklagten nicht abschließend entschieden werden, auch wenn ihm entgegen den Ausführungen des LSG im streitbefangenen Zeitraum der Regelsatz für einen Haushaltsvorstand und für Alleinstehende in Höhe von 100 vH (Eckregelsatz) an Stelle des Regelsatzes für Haushaltsangehörige in Höhe von 80 vH des Eckregelsatzes zusteht.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind (nur noch) die Bescheide vom 4.4.2005, vom 28.4.2005 und vom 23.6.2005, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2005 (§ 95 SGG), soweit (höhere) Leistungen für die Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 abgelehnt worden sind. Der Bescheid vom 28.4.2005 betrifft die Grundsicherungsleistung für den Monat Januar 2005, der Bescheid vom 4.4.2005 die Grundsicherungsleistung für die Zeit vom Februar 2005 bis 30.6.2005. Insoweit ersetzen diese Bescheide durch jeweils höhere Leistungsbewilligungen als zuvor den Bescheid vom 23.12.2004, mit dem ursprünglich die Leistung für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 30.6.2005 bewilligt worden war, aber auch die Bescheide vom 10.2.2005 (Grundsicherungsleistung für Januar 2005) und vom 3.2.2005 (Grundsicherungsleistung für Februar 2005), die sich damit erledigt haben (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -). So wird in den Bescheiden vom 4.4.2005 und vom 28.4.2005 auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Bescheide "alle vorhergehenden Bescheide über die Höhe der Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII" aufheben, "soweit sie sich auf gleiche Zeiträume beziehen". Der Bescheid vom 4.4.2005 nennt zwar nur die Leistung für den Monat Februar 2005 in Höhe von 602,92 Euro; Maßstab für die Inhaltsbestimmung der getroffenen Regelung ist aber der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). Danach regelt der Bescheid die Leistung nicht nur für den Monat Februar 2005, sondern für die Zeit bis zum Ende des ursprünglich durch den Bescheid vom 23.12.2004 vorgesehenen Bewilligungszeitraums bis 30.6.2005. Dies zeigt schon die Bezeichnung als "Bescheid über die Änderung von laufenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung", die, ginge es nur um den vergangenen Monat Februar 2005, nicht nachvollziehbar wäre. Auch der Änderungsgrund, nämlich "Anerkennung des Mehrbedarfs für kostenaufwändigere Ernährung ab dem 1.2.2005" zeigt, dass nicht nur der Monat Februar 2005, sondern die gesamte Zeit ab 1.2.2005 bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts gemeint ist. Gleiches gilt auch für die Anlage zum Bescheid, die die Bedarfsberechnung "ab dem Monat 02/05" mitteilt.

10

Gegenstand des Verfahrens ist auch der Bescheid vom 23.6.2005, der Leistungen für den Monat Juli 2005 regelt. Dieser ist nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden(vgl dazu Urteil des Senats vom 14.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - RdNr 10). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist hingegen nicht der Bescheid vom 12.7.2005, der die Leistungen für den Zeitraum vom 1.8.2005 bis 30.6.2006 regelt. Zwar war auch dieser Bescheid nach der Rechtsprechung des Senats (aaO) Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 SGG und nicht - wie das LSG meint - mangels Widerspruch bestandskräftig geworden. Mit seiner Revision hat der Kläger aber den Streitgegenstand ausdrücklich auf die Zeit vom 1.1.2005 bis zum 31.7.2005 begrenzt.

11

Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger den Streitgegenstand nicht auf Kosten der Unterkunft, die Höhe des Regelsatzes und die Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung beschränkt. Wenn er in der ersten Instanz beantragt hat, den Beklagten zu höheren Leistungen zu verurteilen, "insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten, des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes und der korrespondierenden Mehrbedarfe sowie unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von jedenfalls 100 Euro", so ist hierin nicht eine Beschränkung des Streitgegenstandes zu sehen, sondern nur eine - entbehrliche - Beschreibung des von ihm für einschlägig erachteten Leistungsgrundes (vgl dazu BSG, Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 19/09 R). Erst recht wird dies vorliegend durch das Wort "insbesondere" deutlich, das der Annahme einer abschließenden Aufzählung (oder Begrenzung) des Begehrens entgegensteht. Auch haben die Beteiligten einzelne Teile des Anspruchs gerade nicht durch Teilvergleich oder -anerkenntnis geregelt (vgl dazu: BSGE 97, 217 ff RdNr 18 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 1 RdNr 14). Mangels entsprechender Beschränkung des Streitgegenstandes ist damit die vom LSG gezogene Schlussfolgerung, die Berufung sei hinsichtlich der Versicherungsbeiträge unzulässig, falsch.

12

Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG). Richtiger Beklagter ist der Landrat des Kreises Ostholstein als beteiligtenfähige Behörde iS von § 70 Nr 3 SGG. Danach sind Behörden beteiligtenfähig, sofern das Landesrecht dies bestimmt (Behördenprinzip). Eine entsprechende Bestimmung enthält § 5 des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 2.11.1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt 144, in der Bekanntmachung vom 4.8.1965, GVBl 53, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 14.3.2011 - GVBl 72). Behörde in diesem Sinne ist der Landrat (vgl: BSGE 99, 137 ff RdNr 11 f = SozR 4-1300 § 44 Nr 11; BSGE 100, 131 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3). Hieran ändert auch nichts, dass die Leistungsbescheide von der Stadt Bad Schwartau erlassen wurden, die nach der Satzung des Kreises Ostholstein über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten, Gemeinden und Ämtern zu Aufgaben der Sozialhilfe vom 15.1.2003 tätig geworden ist; denn die Heranziehung durch die genannte Satzung erfolgt nicht in einem auftragsähnlichen Verhältnis zum Handeln in eigenem Namen (zu dieser Voraussetzung: BSGE 99, 137 ff RdNr 11 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11; BSG SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 13 f), sondern nach § 1 der Heranziehungssatzung wurde diese vielmehr "beauftragt" und wurde erkennbar "im Namen des Kreises Ostholstein" und damit für dessen beteiligtenfähige Behörde, den Landrat, tätig.

13

Bei der Entscheidung, ob dem Kläger höhere Leistungen zustehen, sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen über Grund und Höhe der Leistungen (vgl dazu BSGE 99, 262 ff RdNr 12 mwN = SozR 4-3500 § 82 Nr 3) gemäß § 19 Abs 2 SGB XII iVm § 41 Abs 1 SGB XII(beide idF, die die Normen durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten haben) in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 zu prüfen. Danach können Personen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 65. Lebensjahr vollendet haben (Nr 1) oder das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann(Nr 2), auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhalten. Der Anspruch besteht nur, sofern der Leistungsberechtigte seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann (§ 19 Abs 2 Satz 1 SGB XII).

14

Der Senat vermag schon nicht zu beurteilen, ob der Kreis Ostholstein der hier örtlich und sachlich zuständige Träger der Sozialhilfe ist (§ 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Nach § 2 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XII) vom 15.12.2005 (GVBl 568) iVm § 97 SGB XII ist der örtliche Träger der Sozialhilfe sachlich für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zuständig; örtliche Träger der Sozialhilfe sind nach § 1 AG-SGB XII die Kreise und kreisfreien Städte. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich dabei gemäß § 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten, zu dem jegliche Feststellungen des LSG fehlen. Diese wird es ggf nachzuholen haben, zumal - wie sich aus dem Akteninhalt ergibt - der Kläger Mitte 2004 seinen Hauptwohnsitz in Hamburg genommen hat und seine Mutter angibt, man halte sich (nur) "in den Ferien und am Wochenende in Bad Schwartau auf".

15

Unberücksichtigt bleiben kann allerdings, wenn der Beklagte der zuständige Leistungsträger ist, dass die Heranziehungssatzung vom 15.1.2003 naturgemäß keine Regelungen über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten und Gemeinden zu den Aufgaben nach dem noch nicht existierenden SGB XII treffen konnte. Nach dem Willen des Landesgesetzgebers sollte die Rechtsgrundlage für den Erlass der Satzung (§ 4 Abs 3 Nr 1 GSiG iVm § 2 des Gesetzes zur Ausführung des GSiG vom 30.11.2002 - GVBl 239) nämlich zunächst nicht entfallen. Dies zeigt schon Art 15 Haushaltsstrukturgesetz (vom 15.12.2005 - GVBl 568), mit dem das AG-GSiG aufgehoben wurde. Die Aufhebung erfolgte nach Art 17 Haushaltsstrukturgesetz nicht rückwirkend zum 1.1.2005 oder zumindest mit dem Tag nach der Veröffentlichung, sondern erst zum 1.1.2007. Dementsprechend ist die abweichend (vgl § 37 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -) von § 88 Abs 1 Satz 2 SGB X auf der gesetzlichen Ermächtigung des § 99 Abs 1 SGB XII iVm § 4 AG-SGB XII vom 15.12.2005 (GVBl 568) zulässigerweise ergangene Satzung des Kreises Ostholstein über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten, Gemeinden und Ämtern zu Aufgaben der Sozialhilfe nach dem SGB XII vom 13.12.2006 erst am 1.1.2007 in Kraft getreten ist (§ 6 der Heranziehungssatzung vom 13.12.2006) und die alte Satzung behielt bis zu diesem Zeitpunkt ihre gesetzliche Grundlage. Die Satzung vom 15.1.2003 erfasst nach ihrem Sinn und Zweck dann unabhängig von der Bezeichnung des Gesetzes alle Aufgaben im Zusammenhang mit Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - also auch die nach §§ 41 ff SGB XII für die Zeit ab dem 1.1.2005. Welche rechtlichen Konsequenzen eine Beauftragung ohne gesetzliche Ermächtigung hätte, kann deshalb dahinstehen. Der Senat ist nicht gehindert, die dem Grunde nach nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Vorschriften anzuwenden und auszulegen, weil das LSG diese Vorschriften bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen hat (vgl nur BSGE 102, 10 ff RdNr 28 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2).

16

Das LSG hat auch zu den materiellrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs keine Feststellungen getroffen; diese wird es nachholen müssen. In der Sache geht es dem Kläger um insgesamt höhere Leistungen (siehe oben). Insoweit hat das LSG jedenfalls zu Unrecht den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen bei der Bemessung der Leistung zugrunde gelegt. Der Umfang der Leistungen bestimmt sich nach dem maßgeblichen Regelsatz (§ 42 Satz 1 Nr 1 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch iVm § 28 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 9.12.2004 - BGBl I 3305) und ggf dem auf diesen Bedarf anzurechnenden Einkommen (§§ 82 ff SGB XII idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch), hier den an den Kläger erbrachten tatsächlichen Unterhaltsleistungen (vgl dazu BSGE 99, 137 ff RdNr 23 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11).

17

Der maßgebliche Regelsatz beträgt 345 Euro, nicht aber - wovon der Beklagte zu Unrecht ausgeht - 276 Euro. Nach § 28 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm §§ 2, 3 Abs 1 Satz 2 der auf der Grundlage des § 40 SGB XII erlassenen RSV(idF vom 3.6.2004 - BGBl I 1067) hat ein Haushaltsvorstand Anspruch auf 100 % des Regelsatzes; dieser betrug nach § 1 der Schleswig-Holsteinischen Regelsatzverordnung nach § 28 Abs 2 SGB XII vom 15.12.2004 (GVBl 505) bzw (für Juli 2005) nach § 1 der Landesverordnung über die Festsetzung der Regelsätze nach § 28 Abs 2 SGB XII vom 15.8.2005 (GVBl 331) 345 Euro; der Regelsatz für den Haushaltsvorstand gilt auch für Alleinstehende (§ 3 Abs 1 Satz 3 RSV). Die Regelsätze für sonstige Haushaltsangehörige betragen nach § 3 Abs 2 RSV bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 vH (Nr 1) und nach Vollendung des 14. Lebensjahres 80 vH des Eckregelsatzes (Nr 2).

18

Der Kläger ist kein Haushaltsangehöriger im Sinne der RSV. Die abgestufte Regelsatzhöhe beruht auf der Erwägung, dass bei einer gemeinsamen Haushaltsführung Ersparnisse die Annahme eines geringeren Bedarfs rechtfertigen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hielt vor dem 1.1.2005 die Zuordnung als Haushaltsvorstand oder Haushaltsangehöriger in allen Konstellationen des Zusammenlebens für möglich und machte dies allein von einer gemeinsamen Wirtschaftsführung im Sinne einer "Wirtschaftsgemeinschaft" abhängig, deren Vorliegen allerdings bei nicht miteinander verwandten oder verschwägerten Personen besonders sorgfältig zu prüfen war (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1965 - V B 152.65 -, FEVS 14, 241, 242). Bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen in der RSV muss ab 1.1.2005 aber berücksichtigt werden, dass die Annahme einer Haushaltsersparnis nach den Regelungen des SGB II einer gegenüber den bisherigen Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bzw GSiG abweichenden gesetzgeberischen Konzeption folgt. Der Gesetzgeber des SGB II hat die Annahme einer Haushaltsersparnis und Kürzung der Regelleistung nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden, sondern in § 20 SGB II typisierend prozentuale Abschläge von der Regelleistung wegen Haushaltsersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft vorgenommen und insofern bewusst auf die Normierung der Rechtsfigur eines "Haushaltsvorstandes" verzichtet(BSGE 97, 211 ff RdNr 19 = SozR 4-4200 § 20 Nr 2). Da aber bezogen auf die Minderung des Regelsatzes bzw der Regelleistung wegen Annahme einer Haushaltsersparnis für eine unterschiedliche Behandlung zwischen der Personengruppe der SGB-XII- und SGB-II-Leistungsempfänger im Hinblick auf die identische sozialrechtliche Funktion beider Leistungen (Sicherstellung des Existenzminimums) keine sachlichen Gründe erkennbar sind, hat der Senat bereits früher entschieden (BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2; BSGE 106, 62 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6; Gutzler in juris Praxiskommentar SGB XII , § 28 SGB XII RdNr 42), dass seit dem 1.1.2005 mit dem Systemwechsel durch das Inkrafttreten des SGB XII (Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) und des SGB II (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 - BGBl I 2954) nach Maßgabe des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII Einsparungen bei gemeinsamer Haushaltsführung nur dann anzunehmen sind, wenn die zusammenlebenden Personen bei Bedürftigkeit eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft iS des § 19 SGB XII bilden bzw bilden würden(anders für das bis zum 31.12.2004 geltende Recht des BSHG BSGE 104, 207 ff RdNr 18 f = SozR 4-3530 § 6 Nr 1).

19

Der Kläger war im streitigen Zeitraum bereits volljährig. Er lebte deshalb nicht in einer eine Bedarfs- oder Einsatzgemeinschaft rechtfertigenden Beziehung zu seiner Mutter. Nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II(in der hier maßgebenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) gehören nur die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder (der in § 7 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGB II genannten Personen) zur Bedarfsgemeinschaft. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II in der ab dem 1.7.2006 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006 (BGBl I 558) auch volljährige bedürftige Kinder bis zum 25. Lebensjahr - wie der Kläger im streitigen Zeitraum - in Bedarfsgemeinschaften einbezogen wurden (vgl BT-Drucks 16/688 S 13). Betroffen ist hier ein Zeitraum vor der Änderung des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II. Die Regelung gilt nicht rückwirkend, was nicht zuletzt § 68 Abs 1 SGB II belegt, wonach § 7 SGB II in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung sogar weiterhin für Bewilligungszeiträume anzuwenden ist, die vor dem 1.7.2006 beginnen (Senatsurteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 15/08 R - RdNr 15).

20

Ebenso wenig lebt der Kläger mit seiner Mutter in einer Einsatzgemeinschaft iS des SGB XII. Nach § 19 SGB XII bilden Kinder, die dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils angehören, mit diesen nur dann eine Einsatzgemeinschaft, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, sodass dem Kläger - unterstellt, er hat dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.7.2005 durchgängig statt 276 Euro (80 % des Eckregelsatzes für Haushaltsangehörige vom Beginn des 15. Lebensjahres an) nominal 345 Euro zustehen (vgl auch BSGE 106, 62 ff RdNr 17 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 6).

21

Die vom LSG hiergegen erhobene Kritik, die sich insbesondere auf die Regelungen der RSV stützt, verkennt die Tragweite von Art 3 GG. Es kann insbesondere nicht eingewandt werden, der Gesetzgeber habe auch die Möglichkeit, die Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 SGB II auf erwerbsfähige Hilfebedürftige ab dem 25. Lebensjahr zu erweitern. Bis zu einer etwaigen Änderung ist eine verfassungsrechtlich gebotene Harmonisierung nur möglich, indem der Kläger als Alleinstehender im Sinne der RSV zu behandeln ist, nicht aber, indem die RSV die Auslegung des SGB II diktiert. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010, wonach der Regelbedarf durch den Gesetzgeber selbst zu verankern ist (BVerfGE 125, 175 ff, 223 und 256; vgl auch Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 40 SGB XII RdNr 18). Ob für die Zeit ab 1.1.2011 im Hinblick auf die Regelungen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes vom 24.3.2011 (BGBl I 453) eine andere Wertung vorzunehmen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.

22

Entgegen der Auffassung des LSG ist auch nicht erkennbar, dass sich aus der Gewährung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Klägers im Sinne einer Besserstellung gegenüber Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II ergäbe. Wenn in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird, dass eine Mutter und ihr in Haushaltsgemeinschaft lebendes erwachsenes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, insgesamt nur 180 % des Regelsatzes bzw der Regelleistung erhielten, so bezieht sich das nur auf die seit dem 1.7.2006 geltende Rechtslage (Gesetz vom 24.3.2006 - BGBl I 558), die ab diesem Zeitpunkt ggf auf das SGB XII zu übertragen wäre. Ebenso falsch ist die Auffassung des LSG, dass die Mutter, wenn sie Leistungsbezieherin nach dem SGB II wäre, nur 80 % des Eckregelsatzes beanspruchen könnte. Die Auffassung des LSG schließlich, es gebe keinen sachlichen Grund für einen höheren Leistungsanspruch des Klägers im Verhältnis zu einem in Bedarfsgemeinschaft oder in gemischter Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehepaares, weil hier wie da von einer Haushaltsersparnis auszugehen sei, verkennt die gesetzgeberische Entscheidung zu den Personenbeziehungen, bei denen im Falle eines Zusammenlebens von Einsparungen auszugehen ist. Der Senat hat nicht die sozialpolitische Sinnhaftigkeit der gesetzgeberischen Entscheidung zu bewerten und ggf eine Korrektur vorzunehmen.

23

Soweit es die Versicherungsbeiträge betrifft, wird das LSG jedenfalls für den Monat Januar, in dem der Kläger Unterhaltsleistungen bezogen hat, zu prüfen haben, inwieweit die Beiträge als mögliche Abzüge vom Einkommen gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind (vgl § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII; dazu BSGE 104, 207 ff RdNr 20 ff = SozR 4-3530 § 6 Nr 1). Für die Zeit ab Februar 2005 ist - sieht man von der Sterbegeldversicherung ab - mangels Einkommens des Klägers eine "Berücksichtigung" der Versicherungsbeiträge im Sinne einer Übernahme durch den Beklagten nicht möglich. Soweit Versicherungsbeiträge Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts und die Beiträge angemessen sind, werden sie im Übrigen in der Regel pauschal durch den Regelsatz abgegolten. Etwas anderes gilt nach § 33 Abs 2 SGB XII allerdings für ein angemessenes Sterbegeld. Nach § 33 SGB XII(idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) können die erforderlichen Kosten übernommen werden, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld zu erfüllen. Zwar umfasste die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 42 SGB XII(in den hier maßgebenden Fassungen des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch bzw ab 30.3.2005 des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005) bis 31.12.2008 nicht Leistungen nach § 33 SGB XII(erst mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21.12.2008 - BGBl I 2008, 2933 - wurden mit Wirkung vom 1.1.2009 die Vorsorgebeiträge entsprechend § 33 SGB XII in den Katalog des § 42 Satz 1 SGB XII aufgenommen). Die Übernahme der Kosten für ein angemessenes Sterbegeld scheidet deswegen aber nicht aus. Soweit § 19 Abs 2 Satz 3 SGB XII einen Vorrang der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung regelt, gilt dies nur, soweit §§ 41 ff SGB XII Leistungen auch tatsächlich vorsehen; einen Ausschluss von Leistungen des Dritten Kapitels regelt § 19 Abs 2 Satz 3 SGB XII nicht(Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 43 ff). Ob die Voraussetzungen des § 33 SGB XII vorliegen, wird das LSG deshalb ggf prüfen müssen.

24

Das LSG wird auch prüfen müssen, ob dem Kläger (höhere) Leistungen wegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs zustehen. Dabei wird es - ohne dass es wegen der ohnehin erforderlichen Zurückverweisung der Sache darauf ankommt, ob ein Verfahrensmangel ordnungsgemäß gerügt wurde - weitere Ermittlungen anzustellen haben. Nach § 42 Nr 3 iVm § 30 Abs 5 SGB XII wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Liegen bei einem Leistungsempfänger mehrere Erkrankungen vor, für die jeweils ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen geltend gemacht wird, so ist der Ernährungsaufwand aufgrund des gesamten Krankheitsbildes konkret zu ermitteln (BSGE 100, 83 ff RdNr 39 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 6). Maßgeblich ist stets der Betrag, mit dem der medizinisch begründete, tatsächliche Kostenaufwand für eine Ernährung ausgeglichen werden kann, der von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Er ist im Einzelfall im Wege der Amtsermittlung durch Einholung medizinischer und/oder ernährungswissenschaftlicher Stellungnahmen oder Gutachten zu klären (BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 28). Das LSG hat zu der behaupteten Kuhmilch- sowie der Hühnereiweißallergie lediglich ausgeführt, diese seien im Alter des Klägers unwahrscheinlich, Letztere könne auch durch Weglassen des Nahrungsmittels therapiert werden. Abgesehen davon, dass nicht deutlich wird, woher das LSG ausreichende Sachkunde über Therapiemöglichkeiten von Allergien besitzt, ist es für einen ernährungsbedingten Mehraufwand nicht entscheidend, ob ein bestimmtes Nahrungsmittel bei der Ernährung weggelassen werden kann; dies ist bei einer Allergie gegen ein bestimmtes Nahrungsmittel selbstverständlich. Entscheidend ist vielmehr, ob und durch welche Nahrungsmittel es ersetzt werden muss und ob hierdurch Mehrkosten entstehen. Wenn - wovon das LSG zu Recht ausgeht - insoweit eine pauschale Bescheinigung des Hausarztes zum Nachweis des Mehrbedarfs ungeeignet ist, hätte es sich aufgedrängt, weitere Ermittlungen zu einem etwaigen Mehrbedarf anzustellen und dabei nicht die einzelne Allergie isoliert betrachten. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Ernährungsaufwands das gesamte Krankheitsbild unter Berücksichtigung wechselseitiger Auswirkungen der Erkrankungen (Allergien) auf die Ernährung einzubeziehen. Im Hinblick auf die Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) durfte das LSG die erforderlichen Ermittlungen auch nicht ohne weiteres mit der Begründung unterlassen, der Kläger selbst habe nicht dargelegt, auf welche Lebensmittel er verzichten und welche er an deren Stelle erwerben müsse und dass damit Mehrkosten verbunden seien. Hier hätte es nahegelegen, ggf ein ernährungswissenschaftliches Sachverständigengutachten einzuholen.

25

Das LSG wird schließlich auch prüfen müssen, ob - unterstellt, der Kläger hat einen Anspruch auf Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII - aus anderen Gründen eine höhere Leistung zu erbringen ist und ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Juli 2009 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung höherer Leistungen nach dem SGB II infolge eines vom Kläger geltend gemachten krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarfs in den Zeiträumen vom 1.12.2005 bis 30.6.2006 und 1.1.2007 bis 31.12.2007.

2

Die Agentur für Arbeit bewilligte dem Kläger im Dezember 2004 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 30.4.2005. Ab dem 1.1.2005 war der Kreis K als zugelassener kommunaler Träger nach § 6a SGB II zuständiger Träger. Die Beklagte ist vom Kreis K durch Satzung gemäß § 6 Abs 2 S 1 SGB II iVm § 5 Abs 2 des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004 (AG SGB II NRW) zur Aufgabenerfüllung in eigenem Namen herangezogen. Sie lehnte den Fortzahlungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 20.4.2005 zunächst ganz ab und bewilligte auf den Widerspruch des Klägers mit Änderungsbescheid vom 5.7.2005 die Regelleistung nach dem SGB II zunächst für die Monate Mai bis Juli 2005 und mit Bescheid vom 22.7.2005 vom 1.8.2005 bis 31.12.2005. Mit Bescheid der Beklagten vom 20.12.2005 wurden dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelleistung) für den Zeitraum 1.1.2006 bis 30.6.2006 bewilligt.

3

Am 23.12.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II. Er legte eine ärztliche Bescheinigung auf dem hierfür von der Verwaltung vorgesehenen Formular vor, wonach er an Hyperlipidämie, Hyperuricämie/Gicht sowie Hypertonie (kardiale/renale Ödeme) leide und auf lipidsenkende, purinreduzierte und natriumdefinierte Kost angewiesen sei. Der Kläger übergab der Beklagten in der Folge in einem versiegelten Umschlag ärztliche Unterlagen, welche diese verschlossen an den Amtsarzt Sch beim Kreis K weiterleitete. Nachdem der Amtsarzt der Beklagten mitgeteilt hatte, aus den ihm vorliegenden Unterlagen würden sich unter Berücksichtigung des üblicherweise zugrunde gelegten Begutachtungsleitfadens kein Mehrbedarf ergeben, lehnte diese den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 28.2.2006 ab. Der Kreis K wies den hiergegen gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.5.2006 zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum SG "wegen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II § 21, ab Dezember 2005". Er benötige wegen der vorliegenden Erkrankungen kostenaufwändige Ernährung, was eine finanzielle Mehrbelastung darstelle. Er nahm zur Begründung außerdem Bezug auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Stand 1997).

4

Mit Bescheid der Beklagten vom 3.1.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Kreises K vom 16.4.2007 wurde ein erneuter Antrag des Klägers auf Berücksichtigung eines krankheitsbedingten Ernährungsaufwandes vom 28.12.2006 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum SG. Mit Bescheid der Beklagten vom 15.12.2006 in der Gestalt eines weiteren Widerspruchsbescheids des Kreises K vom 16.4.2007 wurden dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (nur Regelleistung, ohne KdU) für den Zeitraum 1.1.2007 bis 31.12.2007 bewilligt. Hiergegen erhob der Kläger ebenfalls Klage zum SG mit dem Begehren, "Leistungen in gesetzlicher Höhe nach § 22 SGB II zu erbringen".

5

Das SG hat mit Urteilen vom 11.3.2008 die Klagen abgewiesen, da im Zeitraum 1.5.2005 bis 31.12.2007 kein Anspruch auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf bestehe. Die hiergegen am 26.6.2008 und 30.6.2008 eingelegten Berufungen hat das LSG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Beschluss vom 22.7.2009 hat das LSG die Berufungen des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur höheren Leistungsgewährung sei für die Zeiträume vom 1.5.2005 bis 30.11.2005 und 1.6.2006 bis 31.12.2006 unzulässig. Soweit der Kläger für die Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 sowie ab dem 1.1.2007 höhere Leistungen begehre, seien die zulässigen Klagen unbegründet. Nach den Mehrbedarfsempfehlungen des Deutschen Vereins 2008 erforderten die beim Kläger bestehenden Erkrankungen - Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie - sämtlich lediglich eine Vollkost, deren Beschaffung keine erhöhten Kosten verursache. Zu diesem Ergebnis sei auch der von der Beklagten gehörte Arzt Sch gelangt, dessen Darlegungen der Senat urkundsbeweislich würdige.

6

Mit der hiergegen vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, durch die Mehrbedarfsempfehlungen des Deutschen Vereins werde die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, nicht aufgehoben. Außerdem hätten die Mehrbedarfsempfehlungen des Deutschen Vereins (Stand 1997) Berücksichtigung finden müssen, da die überarbeiteten Empfehlungen erst nach dem vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum veröffentlicht worden seien. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins 1997 sei für die beim Kläger bestehenden Erkrankungen Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie ein krankheitsbedingter Mehrbedarf anzuerkennen. Aufgrund der divergierenden Ergebnisse der Mehrbedarfsempfehlungen 1997 und 2008 sei in jedem Fall eine Sachaufklärung im Einzelfall geboten, die auch die unterschiedlichen Auffassungen der Mehrbedarfsempfehlungen 1997 und 2008 miteinbeziehen und würdigen müsse. Nachdem das LSG offen gelassen habe, ob die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen seien und diese lediglich als Orientierungshilfe angesehen habe, habe das Gericht die in Anspruch genommene Sachkunde nachvollziehbar darlegen müssen.

7

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Juli 2009 und die Urteile des Sozialgerichts Duisburg vom 11. März 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 22. Juli 2005, 20. Dezember 2005 und 8. Februar 2006, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2006 und vom 15. Dezember 2006 und 3. Januar 2007, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. April 2007 zu verurteilen, ihm für die Zeiträume vom 1. Dezember 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2007 höhere Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren, unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet(§ 170 Abs 2 SGG). Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in den Zeiträumen 1.12.2005 bis 30.6.2006 und 1.1.2007 bis 31.12.2007.

10

1. Die beklagte Stadt G ist im vorliegenden Fall passiv legitimiert. Die Stadt G ist gegenüber den Hilfebedürftigen im Außenverhältnis materiell zur Erbringung der Leistungen nach dem SGB II verpflichtet (§ 5 Abs 2 AG-SGB II NRW idF vom 16.12.2004, GVBl NRW 2004, 821 iVm § 6 Abs 2 S 1 SGB II, § 6a Abs 2 SGB II iVm § 1 Abs 1 Kommunalträger-Zulassungsverordnung idF vom 24.9.2004, BGBl I 2349; vgl auch BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 56/06 R - RdNr 15 f). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist derjenige Rechtsträger passiv legitimiert, der auch materiell verpflichtet ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 69 RdNr 4),ohne dass an dieser Stelle erörtert werden muss, in welchem Umfang eine Heranziehung zur "Durchführung" der Aufgaben nach dem SGB II möglich ist (vgl Luthe in: Hauck/Noftz, SGB II, § 6 RdNr 16 Stand 37. Ergänzungslieferung VI/11; Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 6 RdNr 11).

11

2. Die Beteiligten haben den Streitgegenstand bereits im Verwaltungsverfahren in rechtlich zulässiger Weise getrennt, als die KdU gesondert behandelt wurden und daher in anderen Verfahren zu prüfen sind. Nachdem die Beklagte dem Kläger mit den Bewilligungsbescheiden vom 22.7.2005 und 20.12.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1.8.2005 bzw ab 1.1.2006 sowie mit Bewilligungsbescheid vom 15.12.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1.1.2007 jeweils nur in Form der Regelleistung bewilligt hatte und der Kläger in den laufenden Widerspruchsverfahren weiterhin einen krankheitsbedingten Mehrbedarf geltend machte, war es insoweit zulässig, dass der Kreis K in den laufenden Widerspruchsverfahren zunächst entschied, dass keine höhere Regelleistung zu gewähren war (Widerspruchsbescheide vom 19.5.2006 und 16.4.2007). Insbesondere ist der Antrag des Klägers vom 23.12.2005 auf Gewährung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs auch als Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.12.2005 auszulegen, gerichtet auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im dortigen Bewilligungszeitraum 1.1.2006 bis 30.6.2006.

12

Die Entscheidungen der Verwaltung zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts können allerdings jeweils nicht in weitere unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (vgl BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 9 mwN). Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II und kann damit nicht allein Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (Senatsurteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R, s auch BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R, jeweils zur Veröffentlichung vorgesehen). Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass das Begehren des Klägers im Rahmen der jeweiligen Widerspruchsverfahren auf Gewährung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs gemeinsam mit der Regelleistung zu behandeln und insoweit auf die jeweiligen Bewilligungszeiträume (§ 41 Abs 1 S 4 SGB II) abzustellen und zu prüfen ist, ob in den hier streitigen Zeiträumen insgesamt Anspruch auf Gewährung einer höheren Leistung besteht (vgl BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - RdNr 14 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

13

3. a) Die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 9 mwN). Ob dem Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen höhere Leistungen zum Lebensunterhalt zustehen, kann der Senat wegen fehlender Feststellungen des LSG nicht beurteilen. Es fehlen insoweit bereits Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II(idF des Gesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014) in den jeweiligen streitgegenständlichen Zeiträumen.

14

b) Auch zur Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Mehrbedarf wegen Krankenkost hat, fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Die von dem Kläger erhobene Verfahrensrüge ist zulässig und begründet (§ 103 SGG).

15

Nach § 21 Abs 5 SGB II(idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954) erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (s dazu das Urteil des Senats vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl auch Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 19). Ob diese Voraussetzungen bei dem Kläger vorliegen, kann anhand der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden.

16

Es liegt insoweit ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) vor. Das LSG hat von den Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung gestanden haben (vgl zu diesem Maßstab BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B; BSG Beschluss des Großen Senats vom 11.12.1969 - GS 2/68 - BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO), keinen ausreichenden Gebrauch gemacht, indem zB sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte des Klägers oder medizinische Sachverständigengutachten eingeholt wurden (vgl BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

17

Die Vorinstanzen sind vorliegend davon ausgegangen, dass zwar beim Kläger verschiedene Krankheiten vorliegen, diese jedoch keinen Mehrbedarf bedingen, ohne dass ausreichend deutlich ist, worauf diese Feststellungen bzw die Sachkunde beruht. Der Kläger hat angegeben, er leide an Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie und vorgetragen, ihm sei vom behandelnden Arzt lipidsenkende, purinreduzierte und natriumdefinierte Kost verordnet worden, was eine finanzielle Mehrbelastung darstelle. Er hat außerdem hausärztliche Bescheinigungen vorgelegt, wonach er Krankenkost benötige. Dieses Vorbringen ist ausreichend substantiiert, um die Verpflichtung zur Amtsermittlung auszulösen. Weder das SG noch das LSG haben den Kläger befragt, welche Krankheiten vorliegen und bei welchen Ärzten er in Behandlung ist. Der Kläger wurde auch nicht aufgefordert, seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, damit die Gerichte sachverständige Zeugenauskünfte einholen können, nach denen dann zu entscheiden gewesen wäre, ob ggf medizinische oder ernährungswissenschaftliche Sachverständigengutachten einzuholen sind. Während des Verwaltungsverfahrens ist zwar eine amtsärztliche Stellungnahme eingeholt worden. Das vom LSG herangezogene Schreiben des Amtsarztes Sch vom 25.1.2006 ist nicht allein zur Überzeugungsbildung geeignet, weil es dort lediglich heißt, dass aufgrund vorliegender hausärztlicher Angaben die Gewährung eines Mehrbedarfs nach dem üblicherweise zugrunde gelegten Begutachtungsleitfaden nicht in Betracht komme. Mangels Mitteilung der Tatsachengrundlage ist die vom Amtsarzt Sch mitgeteilte Würdigung nicht nachvollziehbar.

18

Auch mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 (<vgl NDV 2008, 503 ff> Mehrbedarfsempfehlungen 2008) allein konnte das LSG die Frage nicht beantworten. Die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 sind keine antizipierten Sachverständigengutachten, weshalb die Gerichte sie nicht in normähnlicher Weise anwenden können. Antizipierte Sachverständigengutachten geben über den konkreten Einzelfall hinaus die Erfahrungen und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine bestimmte Frage wieder. Voraussetzung für eine gerichtliche Verwertung ist, dass das antizipierte Sachverständigengutachten auf wissenschaftlicher Grundlage von Fachgremien ausschließlich aufgrund der zusammengefassten Sachkunde und Erfahrung ihrer sachverständigen Mitglieder erstellt worden ist, dass es immer wiederkehrend angewendet und von Gutachtern, Verwaltungsbehörden, Versicherungsträgern, Gerichten sowie Betroffenen anerkannt und akzeptiert wird (BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R = SozR 3-2200 § 581 Nr 8 mwN; vgl auch Gusy, NuR 1987, 156 ff; Keller, SGb 2003, 254 ff; Siefert, ASR 2011, 45 ff).

19

Ob die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind, wird nicht einheitlich beantwortet (zum Meinungsstand siehe Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 40). Teilweise wird die Annahme eines antizipierten Sachverständigengutachtens befürwortet (vgl etwa LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 3.2.2009 - L 9 B 339/08 AS; LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 19.12.2008 - L 8 B 386/08), teilweise wird dies verneint (Krauß in Hauck/Noftz, § 21 RdNr 64, 36. Ergänzungslieferung V/11; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 40, 40. Ergänzungslieferung November 2010; Siefert, ASR 2011, 45 <49>; Kohte in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 21 RdNr 17).

20

Die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 sind schon ihrer Konzeption nach keine antizipierten Sachverständigengutachten. Sie erheben selbst nicht diesen Anspruch, indem sie zu Recht betonen, dass es auf den jeweiligen Einzelfall ankomme (zu diesem Aspekt vgl Krauß in Hauck/Noftz, § 21 RdNr 64, 36. Ergänzungslieferung V/1), dass insoweit die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung bestehe, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 20 SGB X), dass der Katalog der Krankheiten in den Empfehlungen nicht abschließend sei, dass es bei der Bestimmung und Anerkennung eines Mehrbedarfs naturgemäß Beurteilungs- und Bewertungsdifferenzen in Wissenschaft und Praxis der Medizin gebe und dass sich ernährungswissenschaftliche und diätetische Anschauungen und Erkenntnisse wandeln könnten (vgl die Erläuterungen Löher, NDV 2008, 503 <504, 506, 509>). Die Verwaltung und die Gerichte dürfen daher die Aussagen in den Empfehlungen weder normähnlich anwenden noch als allgemeingültige Tatsachen heranziehen. Allgemeinkundige Tatsachen sind nur solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne Weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unschwer überzeugen können oder auch solche, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (vgl BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R unter Hinweis auf BSG Urteil vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - ZfS 2002, 237).

21

Es fehlt außerdem an der immer wiederkehrenden Anwendung und langfristigen allgemeinen Akzeptanz der Empfehlungen. Dies ergibt sich schon aus der wechselvollen Entstehungsgeschichte der Mehrbedarfsempfehlungen, die binnen eines Jahrzehnts in der überarbeiteten Fassung zu deutlich geänderten Ergebnissen kommen und die erforderliche allgemeine Akzeptanz (noch) gar nicht entwickeln konnten. Bei der Erstellung der Mehrbedarfsempfehlungen, die schon im früheren Recht der Sozialhilfe nach § 23 Abs 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Anwendung fanden(vgl BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 25), haben Wissenschaftler aus medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Fachbereichen zusammengearbeitet. Die Mehrbedarfsempfehlungen wurden 1997 in überarbeiteter Form ausgegeben und sahen seinerzeit - unter Berufung auf eine einheitliche Auffassung der medizinischen Wissenschaft und auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse - medizinische Krankenkost für eine Reihe von Erkrankungen vor. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten zur Konkretisierung der Angemessenheit des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II die Mehrbedarfsempfehlungen 1997 herangezogen werden(BT-Drucks 15/1516, S 57). Hierauf wurde den Mehrbedarfsempfehlungen 1997 zunächst der auch von der Beklagten angewandte "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung (Krankenkostzulagen) gem. § 23 Abs 4 BSHG"(Verlag Landschaftsverband Westfalen-Lippe 2002 ), entwickelt von Ärzten der kommunalen Gesundheitsämter, gegenübergestellt, der für deutlich weniger Erkrankungen Krankenkost anerkannte, und auf den das SG seine Entscheidung wesentlich stützte. Jedoch hat das BVerfG eine Abweichung von den Mehrbedarfsempfehlungen 1997 zu Lasten der Rechtsuchenden als begründungspflichtig angesehen und überdies ausgeführt, dass der auch von der Beklagten verwendete Begutachtungsleitfaden 2002 hierfür nicht ausreichend sei (BVerfG Beschluss vom 20.6.2006 - 1 BvR 2673/05 - RdNr 8 f; zur Kritik am Begutachtungsleitfaden s auch OVG Niedersachen Beschluss vom 13.10.2003 - 12 LA 385/03 = NDV-RD 2003, 130 m Anm Höft-Dzemski). Die überarbeiteten Mehrbedarfsempfehlungen 2008 sahen dann - wiederum unter Berufung auf eine einheitliche Auffassung der medizinischen Wissenschaft und auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse - für deutlich weniger Erkrankungen Krankenkost vor, als die Mehrbedarfsempfehlungen 1997.

22

Auch durch die überarbeiteten, aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 wird deshalb die Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären (§ 20 SGB X bzw § 103 SGG), nicht aufgehoben. Mithin haben die Instanzgerichte jeweils den genauen krankheitsbedingten Mehrbedarf der Kläger im Einzelnen aufzuklären (so bereits BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R). Dies haben die Vorinstanzen nicht in ausreichendem Maße getan.

23

Die Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 ersetzen daher nicht allein eine ggf erforderliche Begutachtung im Einzelfall, sondern dienen nur als Orientierungshilfe, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen; Behrend in jursPK-SGB II, 3. Aufl 2011, § 21 RdNr 64). Sie stehen nicht am Anfang, sondern erst am Ende der von Amts wegen durchzuführenden Einzelfallermittlungen und können insbesondere zu einem Abgleich mit den Ergebnissen der Amtsermittlung führen. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind dann ggf weitere Ermittlungen medizinischer und ggf ernährungswissenschaftlicher Art (vgl dazu BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen) entbehrlich, wenn die Ergebnisse der individuellen behördlichen und gerichtlichen Amtsermittlungen keine Abweichungen von den Empfehlungen des Deutschen Vereins erkennen lassen. Da die Empfehlungen des Deutschen Vereins keine Rechtsnormqualität aufweisen (Senatsurteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen, so auch bereits BSG Urteile vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 89 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 44 und - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 6 f), gibt es keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen bzw in diese einfließen zu lassen, wenn der streitgegenständliche Zeitraum vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen am 1.10.2008 lag. Auch dies hat der Senat bereits entschieden (Urteil vom 10.5.2011, aaO).

24

4. Das LSG wird auch den Kreis K am Verfahren zu beteiligen haben. Soweit ein Vorverfahren stattfindet, ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 95 SGG). Entgegen den Ausführungen des LSG hat nicht die Beklagte, sondern jeweils der Kreis K die Widerspruchsbescheide erlassen (§ 6 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II idF des Gesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014). Eine Entscheidung kann nur einheitlich gegenüber der Beklagten und dem Leistungsträger, dem Kreis K, ergehen.

25

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Mai 2008 aufgehoben, der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung an das Landessozialgericht zurückverwiesen, soweit der Rechtsstreit den Zeitraum vom 1. Juni 2006 bis 31. Mai 2007 umfasst.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

2

Die 1958 geborene, alleinstehende Klägerin bezog von der Beklagten als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) laufend eine Regelleistung in Höhe von 345 Euro ua für die Zeit vom 1.6.2006 bis zum 30.11.2006 (Bescheid vom 3.5.2006), vom 1.12.2006 bis zum 31.5.2007 (Bescheid vom 28.11.2006) und vom 1.6.2007 bis zum 30.11.2007 (Bescheid vom 25.4.2007), daneben bezog sie von dem Rhein-Neckar-Kreis Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II. Vom 13.9.2007 bis zum 16.12.2007 befand sie sich in Haft, woraufhin die Beklagte die Bewilligung von Leistungen mit Wirkung vom 13.9.2007 aufhob (Bescheid vom 28.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.1.2008; hiergegen ist eine Klage vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim anhängig ). Außerdem hob die Beklagte die Entscheidung vom 25.4.2007 über die Bewilligung von Leistungen im September 2007 wegen der Inhaftierung gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch in Höhe von 208,20 Euro auf und forderte diesen Betrag von der Klägerin zurück(Bescheid vom 11.1.2008). Mit Bescheid vom 20.12.2007 bewilligte die Beklagte erneut Leistungen in Höhe von 347 Euro monatlich vom 17.12.2007 bis zum 31.5.2008 (für Dezember 2007 anteilig für die Zeit ab 17.12.2007).

3

Am 30.5.2006 legte die Klägerin bei der Beklagten eine ärztliche Bescheinigung zur Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung von Dr. W/Dr. B vor, wonach sie wegen einer Allergie gegen Konservierungsstoffe ausschließlich biologische Kost von Biobauern benötige. Nach Einholung einer Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 13.11.2006, wonach ein Mehrbedarf für Ernährung wegen der vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht erforderlich sei, lehnte die Beklagte die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ab (Bescheid vom 21.12.2006; Widerspruchsbescheid vom 8.1.2007). Die Klage zum SG Mannheim, mit der die Klägerin einen ernährungsbedingten Mehrbedarf von mindestens 200 Euro monatlich geltend gemacht hatte, blieb ohne Erfolg (Urteil vom 28.11.2007). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei aufgrund ihrer durch zwei Allergiepässe nachgewiesenen Allergie zwar in ihrer Lebensführung eingeschränkt und müsse ihre Ernährungsgewohnheiten entsprechend anpassen. Für die Stoffe, auf die die Klägerin allergisch reagiere, bestehe aber eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht, sodass sie sich ohne Zusatzkosten geeignete Lebensmittel aus dem Warenangebot heraussuchen könne. Dass die Klägerin bei unbehandelten Produkten, die überhaupt nicht durch Zusatzstoffe verändert seien, auf besondere Kost angewiesen sei, habe sie weder dargetan noch sei dies ersichtlich. Mangelerscheinungen seien offenbar nicht aufgetreten, wie sich aus den beigezogenen medizinischen Unterlagen ergebe. Das vorgelegte Attest, wonach "biologische Kost vom Biobauern ausschließlich" angezeigt sei, sei nicht nachvollziehbar, denn nicht konservierte Lebensmittel könnten nicht nur beim Biobauern, sondern in jedem Supermarkt erworben werden.

4

Mit ihrer Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg trug die Klägerin unter Wiederholung ihres Vorbringens vor, die bisherigen ärztlichen Gutachten seien unzureichend, da sie alle keine Angaben über ihr Untergewicht enthielten. Es bedeute einen erhöhten Kostenaufwand, wenn sie auf nicht konservierte Lebensmittel zurückgreifen müsse. Hierzu sei ein Gutachten einzuholen, wenn nötig mithilfe eines Ernährungsberaters.

5

Mit Urteil vom 9.5.2008 änderte das LSG das Urteil des SG und verurteilte die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25.4.2007 für die Zeit vom 1.7.2007 bis zum 31.8.2007 zur Zahlung von weiteren 2 Euro monatlich und für die Zeit vom 1.9.2007 bis zum 12.9.2007 zur Zahlung von 1 Euro. Den Bescheid vom 28.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.1.2008 und des Bescheides vom 11.1.2008 hob es auf, soweit der Erstattungsbetrag auf mehr als 207 Euro festgesetzt worden sei. Die weitergehende Berufung und die Klage der Klägerin blieben ohne Erfolg. Streitgegenstand sei der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf höhere Leistungen für die Zeit vom 30.5.2006 bis zum 31.5.2008. Die Beklagte habe über den geltend gemachten Mehrbedarf nicht isoliert mit Bescheid vom 21.12.2006 entscheiden dürfen, da eine Beschränkung des Streitgegenstands auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung nicht zulässig sei. Gegenstand des Verfahrens seien vielmehr sämtliche Bescheide, die die dem Antrag folgenden Bewilligungszeiträume beträfen (Bescheide vom 3.5.2006, vom 28.11.2006, vom 25.4.2007 und vom 20.12.2007). Gegenstand nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien ebenfalls die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 28.9.2007 und vom 11.1.2008, mit denen die Beklagte in Änderung des Bescheides vom 25.4.2007 im Hinblick auf die Inhaftierung der Klägerin vom 13.9.2007 bis zum 16.12.2007 die ihr gewährten Leistungen mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft aufgehoben habe. Ein Anspruch auf höhere Leistungen ergebe sich nur in geringfügiger Höhe, weil der Klägerin für die Zeit vom 1.7.2007 bis zum 13.9.2007 eine Regelleistung in Höhe von 347 Euro statt lediglich 345 Euro zustehe. Ein Anspruch auf den begehrten Mehrbedarf ergebe sich aus den vom SG ausgeführten Gründen nicht. Im Übrigen werde die Auffassung des SG durch eine von ihm eingeholte telefonische Auskunft des Dr. T bestätigt, über die der Senat die Klägerin zuvor schriftlich in Kenntnis gesetzt hatte. Vor dem Hintergrund dieser Auskunft halte der Senat den maßgeblichen Sachverhalt für geklärt, weshalb kein Anlass zu weiteren Ermittlungen insbesondere durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bestehe. Die Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei unbegründet, da die Voraussetzungen für die Aufhebung der Leistungen mit Wirkung für die Vergangenheit vorlägen, was das LSG unter Bezugnahme auf den Inhalt beigezogener Akten im Einzelnen ausgeführt hat.

6

Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das LSG habe in unzulässiger Weise unter dem Gesichtspunkt des "Heraufholens von Prozessresten" den Streitstoff erweitert. Ihr sei so eine Tatsacheninstanz abgeschnitten worden. Es habe ferner mit der Bezugnahme auf eine vom SG eingeholte telefonische Auskunft des Dr. T gegen das Verbot der antizipierten Beweiswürdigung verstoßen. Die Verwertung einer telefonischen Auskunft verstoße gegen das Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Indem das LSG unter Hinweis auf diese, vom SG eingeholte Auskunft den Beweisantrag der Klägerin abgelehnt habe, habe es gegen § 103 SGG verstoßen. Sie habe wegen der verspäteten Zusendung einer Fahrkarte an dem Termin vor dem Berufungsgericht nicht teilnehmen können. Insoweit habe das Berufungsgericht auch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Mai 2008 und das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. November 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2007 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 3. Mai 2006 und vom 28. November 2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Juni 2006 bis zum 31. Mai 2007 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich 200 Euro zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bestehe nur, wenn wegen einer Erkrankung aus medizinischen Gründen zwingend eine besondere Ernährung einzuhalten sei und diese teurer sei als eine sogenannte Vollkost. Bei einer Allergie gegen Stoffe aus der Gruppe der "paraben mix" würden keine besonderen Lebensmittel erforderlich, sondern lediglich eine Vollkost. Das Allergen könne durch gezielten Einkauf gut vermieden werden. Dies habe auch die Untersuchung durch ihren ärztlichen Dienst ergeben.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, soweit er den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 31.5.2007 betrifft, Erfolg. Bei Auslegung des klägerischen Vorbringens vor dem SG richtet sich das im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgte Begehren allein auf höhere laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in diesem Zeitraum. Soweit das LSG dennoch über Ansprüche für folgende Bewilligungsabschnitte entschieden hat, hat es den Streitgegenstand verkannt und damit § 123 SGG verletzt. Sein Urteil war schon deshalb insoweit aufzuheben (vgl § 170 Abs 2 Satz 1 SGG; hierzu unter 1). Die Feststellungen des LSG lassen im Übrigen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch besteht und ihr im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 31.5.2007 über die Regelleistung in Höhe von 345 Euro hinaus ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs 5 SGB II zusteht(vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG; hierzu unter 2).

11

1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens waren bei zutreffender Auslegung des klägerischen Vortrags von Klageerhebung an ausschließlich Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 30.5.2006 (Einreichung des Attests bei der Beklagten) bis zum 31.5.2007, soweit sie von der Beklagten erbracht werden (vgl § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II), wobei die Klägerin Ansprüche für den 30. und 31.5.2006 im Revisionsverfahren zuletzt nicht mehr geltend gemacht hat.

12

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG). Im Übrigen muss dann, wenn der Wortlaut eines Antrags nicht eindeutig ist, im Wege der Auslegung festgestellt werden, welches das erklärte Prozessziel ist. In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften; die Auslegung von Anträgen richtet sich vielmehr danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (stRspr, zuletzt etwa BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 3).

13

a) Auf dieser Grundlage ist das LSG im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin mit ihrem Klageantrag höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung begehrt. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Die Regelungen der Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft, über die vorliegend vom zuständigen Landkreis in getrennter Trägerschaft entschieden worden ist) lassen sich in rechtlich zulässiger Weise nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (vgl etwa BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2, jeweils RdNr 11; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 11).

14

b) Unzutreffend ist allerdings die weitergehende Auslegung durch das LSG, damit habe die Klägerin (in zulässiger Weise) einerseits den gesamten Zeitraum vom 30.5.2006 bis zur Entscheidung des SG am 28.11.2007 und andererseits auch den anschließenden Zeitraum bis zum 31.5.2008, über den das LSG kraft Klage zu entscheiden gehabt habe, zur gerichtlichen Überprüfung gestellt. Lediglich sofern der Träger der Grundsicherung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gänzlich ablehnt, kann zulässiger Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens - je nach Klageantrag - die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit sein (stRspr seit BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 30). Ist dagegen - wie hier - lediglich die Höhe der laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitig, kann einer Entscheidung des Trägers der Grundsicherung wegen der in § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte zukommen(so ausdrücklich zum Mehrbedarf BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 16). Der Bescheid der Beklagten vom 21.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.1.2007 lässt zwar eine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt nicht erkennen. Dies allein lässt aber - aus der insoweit für die Auslegung maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann (BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11) -nicht den Schluss zu, die Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Vernünftigerweise ergibt sich für den Bescheidempfänger in diesem Fall vielmehr die Auslegung, die rechtlich die einzig zulässige ist, mithin eine (ablehnende) Regelung der Beklagten über eine höhere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw der Gegenwart lagen. Nur auf diesen Zeitraum bezieht sich damit der im Wege der Auslegung gewonnene Klageantrag.

15

c) Gegenstand des Verfahrens sind damit neben dem ausdrücklich angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 21.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.1.2007 der Bescheid vom 3.5.2006 betreffend den Bewilligungsabschnitt vom 1.6.2006 bis zum 30.11.2006 und der Bescheid vom 28.11.2006 betreffend den Bewilligungsabschnitt vom 1.12.2006 bis zum 31.5.2007. Diese Bescheide regeln für den jeweiligen Bewilligungsabschnitt die laufenden, von der Beklagten zu erbringenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und bilden deshalb mit dem ausdrücklich angefochtenen Bescheid eine Einheit.

16

Die übrigen Bescheide, die die anschließenden Bewilligungszeiträume ab dem 1.6.2007 regeln, sind entgegen der Annahme des LSG aus den dargestellten Gründen nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl bereits BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 30). Dem Vorbringen der Klägerin in den Instanzen lässt sich auch nicht entnehmen, sie hätte wegen der Zeiträume ab dem 1.6.2007 im Wege der Klageerweiterung eine Klage gegen Folgebescheide erheben wollen unabhängig davon, ob insoweit die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Klageänderung und die dann geänderte Klage vorgelegen hätten (dazu BSG aaO). Sie hat insbesondere den Bescheid vom 28.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.1.2008 gesondert mit einer Klage zum SG Mannheim (Az S 8 AS 90/08) angefochten. Im Revisionsverfahren hat sie schließlich - nunmehr rechtskundig vertreten - den Leistungsantrag ausdrücklich begrenzt und wegen der Zeiträume ab dem 1.6.2007 lediglich die Aufhebung des Urteils des LSG beantragt, soweit ihr nicht weitergehende Leistungen zugesprochen worden sind.

17

Da bei verständiger Würdigung des klägerischen Vortrags Ansprüche für Zeiträume nach dem 31.5.2007 nicht Streitgegenstand des Verfahrens vor dem SG waren und das SG zutreffend nur für Zeiträume davor eine Entscheidung getroffen hat, ist unerheblich, in welchem Umfang ein so genanntes "Heraufholen von Prozessresten" zulässig sein kann. Das Berufungsurteil war für Zeiträume nach dem 31.5.2007 schon deshalb aufzuheben, weil das LSG unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu einer Entscheidung über Folgebescheide befugt war (vgl etwa BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 13).

18

2. Die Revision im Übrigen ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die Feststellungen des LSG lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Klägerin im streitigen Zeitraum über die Regelleistung in Höhe von 345 Euro hinaus ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs 5 SGB II zusteht.

19

a) Die Beklagte ist nach den zum 1.1.2011 in Kraft getretenen Änderungen des SGB II durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) weiterhin passiv legitimiert. Im Rhein-Neckar-Kreis, in dem die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, werden die Aufgaben nach dem SGB II nach wie vor in getrennter Trägerschaft wahrgenommen; eine gemeinsame Einrichtung zur Aufgabenwahrnehmung (vgl § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II in der seither geltenden Fassung) ist bislang noch nicht gebildet. Dies ist übergangsweise noch bis Ende des Jahres 2011 zulässig (vgl § 76 Abs 1 SGB II).

20

b) Ein Anspruch insbesondere für den zweiten streitigen Bewilligungsabschnitt scheitert nicht daran, dass die Klägerin lediglich am 30.5.2006 gegenüber der Beklagten ausdrücklich auf den geltend gemachten Mehrbedarf hingewiesen hat. Ausreichend ist, dass sie wegen der Folgezeiträume, für die ein Fortzahlungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist (dazu BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 99/10 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), angegeben hat, maßgebliche Änderungen in ihren persönlichen Verhältnissen hätten sich nicht ergeben. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung, bei dem es sich um eine laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, muss nicht gesondert beantragt werden (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN).

21

c) Nach § 21 Abs 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Das Gesetz begründet damit beim medizinischen Erfordernis kostenaufwändiger Ernährung einen Rechtsanspruch des Hilfebedürftigen. Voraussetzung ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl Düring in Gagel, SGB II/SGB III, Stand November 2010, § 21 SGB II RdNr 31; O. Loose in GK-SGB II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 34 f; Münder in ders, SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 25). Ein solches besonderes, medizinisch begründetes Ernährungsbedürfnis führt zu einem Anspruch auf einen Mehrbedarf in angemessener Höhe (zum Ganzen bereits BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6, jeweils RdNr 39 und BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 24).

22

Das LSG hat sich zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung im Hinblick auf den begehrten Mehrbedarf unter Hinweis auf § 153 Abs 2 SGG "voll umfänglich" den Entscheidungsgründen des SG im angefochtenen Urteil angeschlossen. Damit ist dem Erfordernis an eine Begründung des Urteils aus § 136 Abs 1 Nr 6 SGG(dazu zuletzt Urteil des Senats vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07AS 3/07 R - Juris RdNr 13) noch Genüge getan. Ein Berufungsgericht kann dann pauschal auf die Begründung des angefochtenen Urteils nach § 153 Abs 2 SGG verweisen, wenn es dem Urteil des SG nichts hinzuzufügen hat und es keinen neuen Vortrag tatsächlicher oder rechtlicher Art gibt(BSGE 87, 95, 99 f = SozR 3-2500 § 35 Nr 1 mwN). So liegt der Fall hier. Der klägerische Vortrag im Berufungsverfahren ist gegenüber dem Vortrag im Klageverfahren unverändert. Dies schließt insbesondere die Beweisanträge ein, die die Klägerin bereits in der ersten Instanz hinreichend zum Ausdruck gebracht hat.

23

Die damit in Bezug genommenen Feststellungen des SG genügen jedoch zur abschließenden Entscheidung über den geltend gemachten Mehrbedarf nicht. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das SG davon aus, dass bei der Klägerin als gesundheitliche Beeinträchtigung, die Auswirkungen auf ihre Ernährungsweise hat, eine Allergie gegen Paraben besteht. Es handelt sich nach den Feststellungen des SG insoweit um eine Allergie gegen para-Hydroxybenzoesäure (kurz PHB-Ester; auch Parahydroxybenzoat), die insbesondere in Kosmetika und bestimmten Lebensmitteln häufig als Konservierungsmittel eingesetzt werden. Zutreffend hat das SG schließlich unter Bezugnahme auf die Verordnung über Anforderungen an Zusatzstoffe und das Inverkehrbringen von Zusatzstoffen für technologische Zwecke (vom 29.1.1998 , zuletzt geändert mit Verordnung vom 11.6.2009 ) dargelegt, dass die entsprechenden Konservierungsstoffe (also die Verbindungen, die Parahydroxybenzoat enthalten) bei ihrer Verwendung in der Lebensmittelverarbeitung eine Kennzeichnungspflicht auslösen.

24

Die dargestellten Ausgangsannahmen konnte das SG allesamt als allgemeinkundige Tatsachen bei seiner Entscheidung zugrunde legen. Allgemeinkundige Tatsachen sind solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unschwer überzeugen können oder auch solche, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (vgl BSG Urteil vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - ZfS 2002, 237). Die Klassifizierung von Parahydroxybenzoat als Konservierungsmittel, das in den Zusatzstoffen E 214 bis E 219 nach der Anlage Liste B Teil I zur Verordnung über Anforderungen an Zusatzstoffe und das Inverkehrbringen von Zusatzstoffen für technologische Zwecke enthalten ist, ist eine solche allgemeinkundige Tatsache. Entsprechende Informationen sind etwa über die Internetpräsenz des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz allgemein verfügbar (http://www.aktionsplan-allergien.de; Suchbegriff "Parabene"). Über besondere Sachkunde musste das Gericht insoweit nicht verfügen.

25

Die auf Grundlage dieser Ausgangsannahmen getroffene abschließende Würdigung des SG, die Klägerin könne durch aufmerksames und lediglich zeitaufwändiges, aber nicht kostenintensives Verbraucherverhalten das Allergen gut vermeiden, sodass die erforderliche Ernährungsweise sich nicht als kostenaufwändig darstelle, ist dagegen weder eine allgemeinkundige Tatsache im dargestellte Sinne noch wird aus dem Urteil sonst erkennbar, worauf das SG diese Schlussfolgerung stützt. Die Annahme, auch bei strikter Vermeidung von Lebensmitteln, die Parahydroxybenzoat enthielten, würden keine weitergehenden Kosten im Hinblick auf eine ausgewogene Ernährung entstehen, kann nicht als allgemeines Erfahrungswissen des Gerichts unterstellt werden. Es ist durchaus denkbar, dass eine so große Anzahl von Lebensmitteln vermieden bzw ersetzt werden muss, dass dies nicht kostenneutral erfolgen kann. Auch aus der ärztlichen Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Beklagten wird nicht erkennbar, auf welchen ernährungswissenschaftlichen Erfahrungen und Grundannahmen sie beruht. Dies gilt schließlich auch für die vom LSG ergänzend in Bezug genommene telefonische Auskunft eines Dr. T Ohnehin kann nach der älteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine sachkundige Einschätzung zum streitigen Sachverhalt im sozialgerichtlichen Verfahren regelmäßig nur durch Begutachtung durch einen Sachverständigen (§ 106 Abs 3 Nr 5 SGG) oder seine Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung bzw - in eng begrenzten, geeigneten Fällen - im Wege der Vernehmung durch den Kammervorsitzenden erfolgen (vgl § 106 Abs 3 Nr 4 SGG; dazu bereits BSGE 2, 197, 199). Ob daneben die Verwertung einer telefonisch von einem Arzt eingeholten Auskunft iS des § 106 Abs 3 Nr 3 SGG in jedem Fall ausscheidet(so ausdrücklich BSG, aaO und im Anschluss Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 106 RdNr 11), kann offen bleiben. Entscheidend ist vorliegend auch insoweit, dass unklar geblieben ist, über welche Sachkunde Dr. T verfügte und auf welche medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Grundlagen er seine Aussagen stützt.

26

Das LSG wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits eine gutachterliche Stellungnahme (ggf nach Aktenlage) einholen müssen, wobei der Sachverständige in erster Linie über besondere Kenntnisse auf ernährungswissenschaftlichem Gebiet verfügen sollte. Erst wenn geklärt ist, wie konsequent die Klägerin die fraglichen Konservierungsstoffe vermeiden muss, um gesundheitliche Beeinträchtigungen auszuschließen, wie häufig die fraglichen, von der Klägerin ggf strikt zu vermeidenden Konservierungsmittel eingesetzt werden, welche Möglichkeiten bestehen, auf andere Lebensmittel auszuweichen bzw auf welche Lebensmittel bei einer ausgewogenen Ernährung verzichtet werden kann, kann entschieden werden, ob und ggf welche Mehrkosten für eine solche Ernährungsweise entstehen.

27

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts mit seiner am 2006 geborenen Tochter für den hier streitigen Zeitraum vom 1.7. bis zum 30.11.2010.

2

Das beklagte Jobcenter bewilligte dem alleinstehenden Kläger mit Bescheid vom 27.4.2010 für die Zeit vom 1.7.2010 bis zum 30.11.2010 Leistungen in Höhe von monatlich 696 Euro (359 Euro Regelleistung - jetzt Regelbedarf - plus tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 337 Euro). In der Zeit vom 20.7. bis Ende September 2010 übte der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aus, der Aushilfslohn betrug nach den Abrechnungen von August und September 2010 jeweils 31,50 Euro, nach der Abrechnung von Oktober 2010 112,10 Euro.

3

Nachdem das Sozialamt der Stadt Bielefeld zum 30.6.2010 die bisher dem Kläger erbrachten Zahlungen zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter eingestellt hatte, beantragte der Kläger am 8.7.2010 bei dem Beklagten einen "laufenden, nicht vermeidbaren, besonderen Bedarf zur Ausübung des Umgangsrechts". Das Umgangsrecht stand ihm ua auch in der streitgegenständlichen Zeit regelmäßig alle zwei Wochen samstags von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu. Er holte seine Tochter um 12.00 Uhr bei der Mutter ab und brachte sie um 17.00 Uhr wieder dorthin zurück. Für die Wegstrecke nutzte er seinen eigenen Pkw, die einfache Fahrtstrecke betrug ca 17 km.

4

Mit Bescheid ebenfalls vom 8.7.2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil die begehrte monatliche Zahlung unter 10 % der Regelleistung liege. Die Entfernung zum Wohnort der Tochter betrage 17 km und bei zweimaliger Hin- und Rückfahrt pro Umgangstag ergäben sich, ausgehend von einer Pauschale von 0,20 Euro je Entfernungskilometer, nur 13,60 Euro im Monat. Der Kläger sei vorrangig darauf zu verweisen, seinen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Im Übrigen sei ihm die Bestreitung der nicht übernommenen Kosten aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen zumutbar. Der dagegen gerichtete Widerspruch ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 25.11.2010).

5

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Änderung der genannten Bescheide verurteilt, dem Kläger zur Ausübung des Umgangsrechts weitere 27,20 Euro monatlich zu gewähren und eine Wegstreckenentschädigung von 0,20 Euro je Kilometer nach dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) zugrunde gelegt (Urteil vom 23.2.2012). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach deren Zulassung die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 21.3.2013). Aus der Regelung über die Rückzahlung von Darlehen sei keine allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ableitbar. Der Kläger könne auch weder auf seinen im streitigen Zeitraum erzielten Nebenverdienst verwiesen werden, noch sei ihm wegen der Zeitdauer seines Umgangsrechts die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

6

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt die fehlerhafte Auslegung von § 21 Abs 6 SGB II durch das LSG. Der Bedarf des Klägers für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter sei nicht unabweisbar, denn bei diesem Tatbestandsmerkmal sei eine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der maßgeblichen Regelleistung zu berücksichtigen. Diese Grenze von 10 % ergebe sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010, in der davon ausgegangen werde, dass von Hilfebedürftigen erwartet werden könne, dass sie diese Teile des Regelbedarfs ansparen. Auch der Gesetzgeber gehe davon aus, dass eine 10 %ige Reduzierung der Regelleistung möglich sei, was das BVerfG nicht beanstandet habe. Dem stehe auch nicht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entgegen, denn dieses habe speziell zu der Regelung von § 21 Abs 6 SGB II noch nicht Stellung genommen, sondern habe im Rahmen einer Entscheidung über einen Hygienemehrbedarf noch auf § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abgestellt.

7

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 und des Sozialgerichts Detmold vom 23. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Ausführungen des SG und des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Beklagten (§ 160 Abs 1, § 164 Sozialgerichtsgesetz) ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, denn die Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II war rechtswidrig.

11

1. Gegenstand des Verfahrens sind neben den Urteilen des LSG und des SG der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010, mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 27.4.2010 den zusätzlich zur Regelleistung (jetzt Regelbedarf) geltend gemachten Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts zu gewähren. Der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010 lässt zwar keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt erkennen, die Auslegung des Bescheids aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten lässt aber allein den Schluss zu, dass der Beklagte die rechtlich einzig zulässige Regelung treffen wollte, über höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte zu entscheiden, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw der Gegenwart lagen und keine abschließende Entscheidung für die Zukunft treffen wollte (so bereits BSG Urteile vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 14; vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 15).

12

2. Die Vorinstanzen sind insofern zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts begehrt, denn die Gewährung eines Mehrbedarfs kann nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (stRspr, siehe nur BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 13; Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14). Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Die Berufung gegen das Urteil des SG ist zulässig, ohne dass es auf die Beschwerdesumme ankommt (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 SGG), denn das LSG hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hin die Berufung mit Beschluss vom 26.9.2012 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

13

3. Ebenfalls zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 27.4.2010 unter dem Blickwinkel des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu ändern ist(vgl dazu BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 10). § 44 Abs 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist vorliegend einschlägig. Es liegt kein Fall des § 48 SGB X wegen des Wegfalls der Zahlungen des Sozialamts und der Antragstellung des Klägers beim Beklagten am 8.7.2010 vor, denn insofern handelt es sich nicht um eine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen während des Bewilligungsabschnitts, vielmehr ist der Bescheid vom 27.4.2010 in der Sache von Anfang an rechtswidrig gewesen. Da es sich bei dem Mehrbedarf um eine laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, musste dieser grundsätzlich nicht besonders beantragt werden (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN).

14

a) Der Kläger hatte bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten am 27.4.2010 für den hier streitbefangenen Leistungszeitraum einen Anspruch gegen das beklagte Jobcenter auf den geltend gemachten Mehrbedarf dem Grunde nach, nachdem das BVerfG es mit Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen hat, dass für einen atypischen Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II und bestimmter zusätzlicher Hilfen das SGB II keinen Anspruch des Hilfebedürftigen auf einen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf vorsieht, der zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist. Da Urteile des BVerfG gemäß § 31 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) iVm § 13 Nr 8a BVerfGG bindend sind und in Gesetzeskraft erwachsen(s dazu Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 93 RdNr 65), hatte der Kläger bereits am 27.4.2010 dem Grunde nach einen Anspruch auf Mehrbedarf gegen den Beklagten. Dem stand nicht entgegen, dass der Bedarf bis dahin von einem zu diesem Zeitpunkt unzuständigen Träger, nämlich der Stadt Bielefeld als Sozialhilfeträger, gedeckt worden ist. Ebenso ohne Bedeutung ist, dass der Beklagte von dem Bedarf keine Kenntnis hatte, weil es für den Beurteilungszeitpunkt bezüglich der Frage, ob ein Verwaltungsakt wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit zurückzunehmen ist, nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (vgl nur Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 10 mwN).

15

b) Die weitere Voraussetzung, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist ebenfalls gegeben. Der Kläger erfüllte nach den Feststellungen des LSG in dem streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II hinsichtlich des Alters, der Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts. Im Übrigen ist er hilfebedürftig gewesen und hatte in der Zeit vom 1.7. bis zum 30.11.2010 einen Anspruch auf die Regelleistung in Höhe von damals 359 Euro gemäß § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der seinerzeit gültigen Fassung sowie auf Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 337 Euro gemäß § 22 Abs 1 SGB II.

16

Daneben stand ihm ein Anspruch auf Leistungen für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts zu. Dass Eltern im Rahmen des Arbeitslosengelds II (Alg II) grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit von ihnen getrennt lebenden Kindern haben, ergibt sich aus dem Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und dem daraufhin durch Gesetz vom 27.5.2010 (BGBl I 671) geschaffenen § 21 Abs 6 SGB II, bei dem der Gesetzgeber ua auch speziell die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern als Anwendungsfall der Härtefallklausel des § 21 Abs 6 SGB II vor Augen hatte(BT-Drucks 17/1465, S 9).

17

4. Nach § 21 Abs 6 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 27.5.2010 erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige (jetzt: Leistungsberechtigte) einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (dazu a.). Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen (Leistungsberechtigten) gedeckt ist (dazu b.) und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (dazu c.).

18

Die genannten Tatbestandsmerkmale sind hinsichtlich der Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts erfüllt. Dem Kläger stehen zumindest Fahrtkosten in Höhe von 27,20 Euro pro Monat als Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II zu.

19

a) Es handelt sich zunächst um einen laufenden Mehrbedarf im Einzelfall, weil die Bedarfslage eine andere ist, als sie bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen vorliegt. Es ist insofern ein Mehrbedarf im Verhältnis zum "normalen" Regelbedarf gegeben, anders als der Einzelfall in § 23 Abs 1 SGB II alte Fassung (aF) bzw in § 24 Abs 1 SGB II in der seit 1.1.2011 gültigen Fassung, der für alle SGB II-Empfänger gleichermaßen gilt, die einen zum Regelbedarf gehörenden Bedarf ausnahmsweise nicht decken können.

20

Bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts handelt es sich ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist, um einen besonderen Bedarf, weil er nicht nur die üblichen Fahrten im Alltag betrifft, sondern eine spezielle Situation darstellt, weil die Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander liegen (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 22).

21

Es handelt sich vorliegend auch um einen regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen Bedarf (dazu eingehend S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 67 und 68; zur Frage, ob der Mehrbedarf regelmäßig und in kürzeren Abständen auftreten muss, siehe auch von Boetticher/Münder in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 21 RdNr 42). Durch die regelmäßige Ausübung des Umgangsrechts - hier alle zwei Wochen an einem Samstag - entsteht der besondere Bedarf laufend, wobei die Einzelfallbetrachtung mit dem Ziel abzuwägen, ob die Fahrtkosten zur Abholung des Kindes erforderlich sind oder ob sie im Hinblick auf das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes nicht (mehr) in Frage kommen (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 73) ergibt, dass der besondere Bedarf zunächst auf unabsehbare Zeit entstehen wird, weil bei einem im streitigen Zeitraum vierjährigen Kind nicht vorhergesagt werden kann, wann es in der Lage sein wird, die Wegstrecke eigenständig zu bewältigen.

22

b) Der Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts ist vorliegend auch unabweisbar. Das Merkmal der Unabweisbarkeit wird auch in anderen Zusammenhängen verwendet (§ 23 Abs 1 Satz 1 SGB II aF, jetzt § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II; und § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII aF, jetzt § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII), ohne dass in den genannten Vorschriften das Merkmal näher definiert wäre. In § 21 Abs 6 SGB II findet sich jedoch eine nicht abschließende Aufzählung ("insbesondere") von Voraussetzungen (Deckung des Mehrbedarfs durch Zuwendungen Dritter oder Einsparmöglichkeiten), bei deren Vorliegen die Unabweisbarkeit zu verneinen bzw zu bejahen ist.

23

aa) Die Möglichkeit der Bedarfsdeckung durch Zuwendungen Dritter scheidet nach den Feststellungen des LSG vorliegend aus.

24

bb) Ebenso wenig liegen nach den Feststellungen des LSG Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger Einsparmöglichkeiten hatte. Dies gilt zunächst für Einsparmöglichkeiten im engeren Sinne des Wortes, also für den Fall, dass der Kläger an den Bedarfen selbst sparen konnte. Solche Einsparmöglichkeiten müssten ausdrücklich festgestellt werden, ein Leistungsberechtigter muss die Möglichkeiten tatsächlich haben, also zB im Besitz einer Monatskarte sein. Hypothetische Einsparmöglichkeiten reichen insoweit nicht aus. Zu Recht hat das LSG in diesem Zusammenhang auch dem Ansinnen, der Kläger könne öffentliche Verkehrsmittel nutzen, eine Absage erteilt, denn allein durch die zusätzliche Fahrzeit würde sein ohnehin nur fünf Stunden dauerndes Umgangsrecht um eine weitere Stunde verkürzt, was angesichts der verfassungsrechtlichen Absicherung dieses Rechts unzumutbar ist.

25

cc) Die im Grundsatz gegebene Einsparmöglichkeit durch "Umschichtung", also einer Präferenzentscheidung dahingehend, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen (BT-Drucks 17/1465, S 6 und 8) scheidet vorliegend aus, denn dieser Gedanke kommt nur zum Tragen bei Bedarfen, die dem Grunde nach vom Regelbedarf umfasst sind, was aber gerade hinsichtlich des hier im Streit stehenden Mehrbedarfs nicht der Fall ist.

26

dd) Ein Verweis auf den Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen (§ 12 Abs 2 Nr 4 SGB II) kann nicht herangezogen werden, denn dieser dient nur dazu, einmalige Bedarfe abzufangen. Müsste dieser Ansparbetrag für laufende Aufwendungen abgezweigt werden, stünde er gerade als Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen nicht mehr zur Verfügung. Ebenso ist auch das Bestreiten des Bedarfs durch ein Darlehen (§ 24 Abs 1 SGB II) ausgeschlossen, denn insofern ist aufgrund der Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175, 255 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 208) davon auszugehen, dass nur einmalig auftretende "Bedarfsspitzen" über die Darlehensregelung erfasst werden können, sodass dies kein denkbarer Weg ist, um die laufend auftretenden Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts abzufangen.

27

ee) Der Kläger kann auch nicht zur Deckung seiner Kosten auf sein (geringfügiges) Einkommen verwiesen werden. Ohnehin führen die einen Freibetrag übersteigenden Einkommensanteile durch Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung zu verminderten Leistungen. Die Freibeträge selbst müssen nicht für die Wahrnehmung des Umgangsrechts eingesetzt werden, weil die vollständige Anrechnung von Erwerbseinkommen auf das Alg II zur Folge hätte, dass Arbeitslosen kein finanzieller Anreiz zur Arbeitsaufnahme verbliebe, was der gesetzlichen Funktion der Freibeträge bei Einkommen aus Erwerbstätigkeit zuwiderlaufen würde (vgl nur Behrend, in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 21 RdNr 89; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 72). Dies findet seinen Niederschlag auch in den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Anwendung des SGB II, in denen zu § 21 unter Ziff 6.2 Abs 5 vermerkt ist, dass für den Fall, dass Erwerbseinkommen erzielt wird, dieses auch bei der Berechnung von Leistungen für besondere laufende Bedarfe in Höhe des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs 3 SGB II außer Betracht zu bleiben hat.

28

c) Das Merkmal der Erheblichkeit gemäß § 21 Abs 6 SGB II ist vorliegend ebenfalls erfüllt. Der Bedarf des Klägers zur Aufwendung der Fahrtkosten für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter weicht seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab und unterfällt insofern nicht der speziellen Bagatellgrenze, die in § 21 Abs 6 SGB II selbst durch das Tatbestandsmerkmal "erheblich" festgelegt worden ist. Es handelt sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang überprüfbar ist. Erheblich ist nach der Systematik der Norm ein atypischer Bedarf dann, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (vgl BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R - BSGE 99, 252 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3, RdNr 28). Anknüpfungspunkt ist letztlich die genannte Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und damit die Frage, ob das menschenwürdige Existenzminimum durch die Mehraufwendungen nicht mehr gewährleistet ist (vgl BT-Drucks 17/1465, S 8). Eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf ist vorliegend sowohl hinsichtlich der Regelleistung von damals 359 Euro insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 Euro zu bejahen, zumal in der letztgenannten Position die Ausgaben für Pkw nicht berücksichtigt wurden. Der Kläger musste zur Ausübung seines Umgangsrechts alle zwei Wochen je 17 km für zweimal eine Hin- und Rückfahrt zurücklegen, sodass sich eine Gesamtkilometerzahl von 136 km ergibt. Selbst wenn nur eine Kilometerpauschale von 20 Cent zugrunde gelegt wird, wie sie in § 5 Abs 1 BRKG ausgewiesen ist, ergibt sich ein Betrag von zumindest 27,20 Euro pro Monat. Da auch die 20 Cent nach dem BRKG eine gegriffene Größe sind, die nicht die tatsächlichen Kosten in vollem Umfang widerspiegeln, sind die zugesprochenen 27,20 Euro pro Monat unter dem Blickwinkel der Sicherung des Existenzminimums jedenfalls nicht zu hoch gegriffen.

29

Eine Anknüpfung an § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst b Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V), wonach nur die Entfernungskilometer, also die einfache Strecke, maßgeblich sind, verbietet sich in Fällen wie dem vorliegenden. Die Alg II-V hat schon vom Ansatz her eine andere Zielrichtung, sie ist nicht maßgebend für den Bedarf, sondern regelt als Anreiz für die Aufnahme einer Beschäftigung lediglich, welche Beträge bei dem Leistungsberechtigten belassen und nicht bei der Leistungsberechnung berücksichtigt werden. Dass bei einem tatsächlich zu deckenden Bedarf neben der Alg II-V auch das BRKG herangezogen werden kann, hat das BSG bereits in anderem Zusammenhang entschieden (BSG Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 27/12 R - SozR 4-4225 § 6 Nr 2 - "Spesen").

30

5. Der Anspruch des Klägers scheitert auch nicht an einer - unabhängig von der Regelung des § 21 Abs 6 SGB II bestehenden - allgemein gültigen Bagatellgrenze. Eine Rechtsgrundlage für die vom Beklagten vertretene allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ist nicht zu erkennen.

31

a) Zwar hat der erkennende Senat im Anschluss an eine Entscheidung des 7b-Senats (Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 25)mit Urteil vom 19.8.2010 (B 14 AS 13/10 R - SozR 4-3500 § 73 Nr 3 RdNr 20) bekräftigt, dass unter dem Prüfungsgesichtspunkt der Rechtfertigung des Einsatzes öffentlicher Mittel im Rahmen der Ermessenserwägungen sowohl Kosten (für das Umgangsrecht) beschränkt werden können, als auch daraus gefolgert, dass zu geringe Kosten ggf einen Einsatz öffentlicher Mittel nicht mehr rechtfertigen. In dem damals zu entscheidenden Fall, in dem der Kläger zusätzliche Hygienekosten auf 20,45 Euro monatlich beziffert hatte, hat der Senat jedenfalls ein Scheitern des Klagebegehrens bereits unter dem Gesichtspunkt einer in der Rechtfertigung des Mitteleinsatzes enthaltenen "Bagatellgrenze" nicht gesehen.

32

Anerkannt worden ist auch in der Rechtsprechung des BSG das gesetzgeberische Ziel, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden (BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 35/12 R - BSGE 111, 234 = SozR 4-1500 § 54 Nr 28; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35). Dabei ist Ausgangspunkt allerdings, dass auch geringfügige Eingriffe in die Rechtsposition eines Leistungsberechtigten nicht grundsätzlich allein mit dem gesetzgeberischen Ziel der Verwaltungsvereinfachung abgewiesen werden können. Es verbleibt danach aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung (in dem entsprechenden Fall ging es um die Regelungen zur "Rundung") entsprechende Regelungen erlässt. Dieser Entscheidung kann als Grenze aber lediglich entnommen werden, dass jedenfalls Leistungen im Centbereich unter eine Bagatellgrenze fallen würden.

33

b) Mit einer Rundungsregelung, die maximal 49 Cent abrundet, ist aber eine Bagatellgrenze, die nach den Vorstellungen des Beklagten bei 10 % des Regelbedarfs liegen soll (vgl Durchführungshinweise der BA zu § 21 SGB II unter 6.2 Abs 3), also derzeit bei 39 Euro pro Monat, nicht vergleichbar. Eine solche Bagatellgrenze kann insbesondere nicht über die Regelung des im streitigen Zeitraum maßgeblichen § 23 Abs 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung bzw nach § 42a SGB II neue Fassung (nF) begründet werden, wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs getilgt werden können. Die genannten Regelungen passen schon im Ansatz nicht auf die Fälle, in denen es um nicht erfüllten Mehrbedarf geht, denn bei einer Darlehensgewährung haben die Betroffenen zur Deckung von Bedarfen das Geld tatsächlich erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen müssen, und nur im Rahmen der Tilgung wird davon ausgegangen, dass in Anbetracht der Ansparkonzeption des Gesetzgebers eine vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung (des Regelbedarfs) in Höhe von 10 % im Grundsatz nicht zu beanstanden ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 150). Bei Annahme einer allgemeinen Bagatellgrenze würden dagegen Betroffenen Leistungen vorenthalten, obwohl sie einen Anspruch darauf haben. Im Übrigen sind die Grundsätze zur Rückzahlung von Darlehen auch deshalb nicht auf Fälle übertragbar, bei denen es um laufende, nicht nur einmalige Bedarfe geht, weil wiederkehrende Bedarfe einer darlehensweisen Gewährung grundsätzlich nicht zugänglich sind (BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 20; vgl § 24 SGB II nF; Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 24 RdNr 16). § 21 Abs 6 SGB II geht - wie aufgezeigt - bei seinen Tatbestandsmerkmalen (Einzelfall) davon aus, dass der Mehrbedarf abseits vom Regelbedarf des typischen SGB II-Empfängers entsteht, während die Darlehensregelungen Einzelfälle von Bedarfen umfassen, die im Regelbedarf enthalten sind und nur vorübergehend nicht gedeckt werden können.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2006 in Gestalt der Bescheide vom 01.06.2006, vom 19.07.2006 und vom 15.05.2007 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate August, September und Oktober 2006 weitere Leistungen in Höhe von monatlich 3,27 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger - teilweise im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 hat. Streitig ist insbesondere, ob der Kläger Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung hat.

2

Der am ...1956 geborene Kläger bewohnte bis zum 31.07.2006 eine 44,97 m² große Wohnung in der B in S . Die Kaltmiete belief sich bis zum 30.09.2005 auf 196,58 €. Daneben war ein Nebenkostenabschlag in Höhe von 50,13 Euro monatlich (insgesamt 247,71 €) zu zahlen. Zum 01.10.2005 erhöhte sich die Kaltmiete aufgrund einer Staffelmietvereinbarung auf 202,33 €. Die Beheizung und die Erwärmung des Warmwassers in der Wohnung erfolgten über Gas. Der Gasabschlag belief sich bis zum 31.07.2005 auf 60,00 € monatlich, vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 auf 63,00 € monatlich und ab dem 01.02.2006 auf 66,00 € monatlich.

3

Zum 01.08.2006 verzog der Kläger in eine 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 41,69 m² in der B in B . Die Kaltmiete belief sich auf 173,00 € monatlich. Daneben war für Nebenkosten und Heizung ein einheitlicher Abschlag in Höhe von 103,00 € monatlich zu zahlen. Ab dem 01.11.2006 nahm der Kläger wegen Mängeln der Mietsache eine Mietminderung in Höhe von 60,55 € monatlich und ab dem 01.02.2007 in Höhe von 43,25 € monatlich vor.

4

Seit dem 15.12.2007 wohnt der Kläger in N .

5

Bis zum 31.12.2004 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von zuletzt wöchentlich 123,83 €. Arbeitslosengeld (Alg) bezog der Kläger zuletzt im Jahr 1993.

6

Auf seinen Antrag vom 30.09.2004 bewilligte die Agentur für Arbeit Mayen dem Kläger mit Bescheid vom 02.11.2004 in der Gestalt des Änderungsbescheides der Rechtsvorgängerin des Beklagten, der Arbeitsgemeinschaft Landkreis Mayen-Koblenz (im Folgenden: ARGE), vom 26.04.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 652,71 € monatlich.

7

Dem Bescheid vom 02.11.2004 war ein Hinweisschreiben beigefügt, dass der tatsächliche Mietzins des Klägers den angemessenen Betrag um 5,33 € überschreite. Für einen 1-Personen-Haushalt werde eine Gesamtwohnfläche von 45 m² als angemessen angesehen. Im hiesigen Raum werde ein Mietzins von 4,25 € je m² als angemessen anerkennt. Der Kläger werde aufgefordert, seine Kosten der Unterkunft bis zum 30.06.2005 durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise zu reduzieren. Danach würden nur noch die angemessenen Kosten der Unterkunft anerkannt.

8

Mit Bescheid vom 26.04.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 30.06.2005 monatliche Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €), für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.07.2005 Leistungen in Höhe von 647,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 302,38 €) und für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 650,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 305,38 €).

9

Mit Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 650,38 € monatlich. Eine mit Bescheid vom 06.02.2006 erfolgte Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 01.02.2006 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit wurde mit Änderungsbescheid vom 07.02.2006 wieder zurückgenommen; mit diesem Bescheid wurden dem Kläger erneut Leistungen in Höhe von 650,38 € monatlich für die Zeit vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 bewilligt. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 20.04.2006 wurden die Leistungen aufgrund der Erhöhung des Gasabschlages für die Zeit vom 01.02.2006 bis zum 30.04.2006 auf 653,38 € monatlich erhöht. Der auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2006 zurückgewiesen.

10

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 19.05.2006 wurde auch der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 07.02.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, der sich ebenfalls gegen die Höhe der belegten Leistungen wandte, als unbegründet zurückgewiesen.

11

Betreffend die Höhe der Kosten der Unterkunft vom 01.05.2005 bis zum 30.06.2006 erhob der Kläger Klagen zum Sozialgericht (SG) Koblenz (S 13 AS 280/06 und 281/06), die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 13 AS 281/06 verbunden wurden.

12

Mit Bescheid vom 20.04.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 653,38 € monatlich. Hiergegen legte der Kläger am 03.05.2006 Widerspruch ein.

13

Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er zum 01.08.2006 nach B verziehe, beschränkte die ARGE mit Bescheid vom 14.07.2006 die zuvor bis zum 31.10.2006 bewilligten Leistungen in Höhe von 653,38 € monatlich auf den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006. Mit Bescheid vom 19.07.2006 bewilligte sie dem Kläger im Übrigen für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 611,73 € ausgehend von Kosten für die neue Wohnung in Höhe von 266,73 € monatlich.

14

Auch für den Bewilligungsabschnitt vom 01.02.2007 bis zum 30.04.2007 bewilligte die ARGE dem Kläger mit Bescheid vom 10.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 611,73 € monatlich. Mit Bescheid vom 21.03.2017 wurden für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.10.2007 Leistungen in Höhe von 568,48 € und mit Bescheid vom 19.10.2007 für die Zeit vom 01.11.2007 bis zum 31.12. 2007 Leistungen in Höhe von 570,48 € (Regelleistungen in Höhe von 347,00 € und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 223,48 €) bewilligt. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

15

Eine am 19.03.2007 vom Kläger vorgelegte Nebenkostennachforderung in Höhe von 44,04 € aus dem Mietverhältnis B in S übernahm die ARGE mit Bescheid vom 23.03.2007.

16

In dem Klageverfahren vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06 gab die ARGE am 04.03.2008 ein Anerkenntnis dahingehend ab, dass für den Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 Arbeitslosengeld II unter Ansatz der tatsächlichen Kaltmiete gewährt werde. Das Anerkenntnis wurde von dem Kläger angenommen. Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE daraufhin dem Kläger für Juli 2005 Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €). Mit weiterem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte sie für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 655,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 310,71 €) monatlich, mit drittem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.01.2006 ebenfalls Leistungen in Höhe von 655,71 € sowie mit viertem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 313,71 €) monatlich. Mit einem fünften Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE im Übrigen über das abgegebene Anerkenntnis hinausgehend auch für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € monatlich.

17

Gegen die Änderungsbescheide vom 25.09.2008 legte der Kläger Widerspruch ein, da sich seine Kaltmiete aufgrund der Staffelmietvereinbarung mit Wirkung zum 01.10.2005 auf 202,33 € monatlich belaufe. Mit Bescheid vom 06.02.2009 erklärte die ARGE daraufhin, dass sie die Bescheide vom 25.09.2008 aufhebe und in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.07.2006 eine Kaltmiete in Höhe von monatlich 202,33 € berücksichtige. Dies wurde schließlich mit vier Änderungsbescheiden vom 05.03.2009 umgesetzt. Als Kosten der Unterkunft wurden nunmehr in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.01.2006 316,46 € und in der Zeit vom 01.02.2006 bis zum 31.07.2006 319,46 € berücksichtigt.

18

Am 11.08.2005 beantragte der Kläger, der Vegetarier ist und kein Fleisch, Fisch oder Produkte, die Gelatine enthalten, verzehrt, unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin Dr. S vom 15.07.2004 (hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler, es muss 2005 heißen) einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen Laktoseintoleranz. Der Bescheinigung beigefügt war ein Attest des Dermatologen Dr. N vom 04.08.2005, der eine abortive atypische Dermatitis mit Juckreiz sowie eine Typ I Allergie auf Hausstaubmilben diagnostizierte und als Therapie die Anwendung von Antihistaminika nach Bedarf (z.B. Telfast 180), das Meiden von Nahrungsmitteln mit hohem Tyramingehalt und ggf. eine schwache Steroidsalbe für die Beine empfahl. Die ARGE holte eine Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 19.05.2006 ein und lehnte mit Bescheid vom 01.06.2006 den Antrag auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab. Grundlage für die Bewertung des Mehraufwandes für Krankenkost bildeten zum einen die Empfehlungen für die Krankenkostzulage der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge in der Auflage von 1997 und zum anderen der Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, Stand 1/2002. Aus diesen Empfehlungen sei zu ersehen, dass für die Ernährung von Menschen mit Laktoseintoleranz eine ausreichend große Anzahl an laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Ein Widerspruch gegen den Bescheid befindet sich nicht in den Akten.

19

Am 08.11.2006 ging bei der ARGE eine Widerspruchsbegründung des derzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf einen Widerspruch vom 21.06.2006 ein. Die Beteiligten einigten sich darauf, die Widerspruchsbegründung als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.

20

Mit Bescheid vom 15.05.2007 lehnte die ARGE eine Änderung ihres Bescheides vom 01.06.2006 ab. Sie wiederholte dabei im Wesentlichen ihre Begründung aus dem genannten Bescheid. Den Widerspruch des Klägers vom 20.06.2007 wies die ARGE mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 als unbegründet zurück.

21

Am 30.01.2008 hat der Kläger Klage zum SG Koblenz erhoben und u.a. mehrere Quittungen über den Einkauf von Lebensmitteln vorgelegt.

22

Das SG hat ein internistisches Gutachten des Dr. A vom 30.05.2008 aus dem Klageverfahren vor dem SG mit dem Az.: S 10 R 778/07 beigezogen, eine Stellungnahme der Frau Dr. S vom 20.07.2009 eingeholt und die Klage mit Urteil vom 28.10.2009 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs wegen seiner Laktoseintoleranz. Mittlerweile liege eine im Jahr 2008 völlig neu bearbeitete Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vor. Auch wenn diesen Empfehlungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Feststellung des angemessenen Mehrbedarfs im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II lediglich der Charakter einer Orientierungshilfe zukäme (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R), könnten sie zur Sachverhaltsbeurteilung im Hinblick auf die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe der Mehrbedarf anzuerkennen sei, herangezogen werden. Ihnen sei im Regelfall zu folgen (Hinweis auf Sächsisches LSG, Urteil vom 22.06.2009 - L 7 AS 250/08). Nach den Empfehlungen vom 01.10.2008 sei nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin ein krankheitsbedingter Mehrbedarf bei verzehrenden Erkrankungen bzw. gestörter Nahrungsaufnahme bzw. Nährstoffverwertung in der Regel daher nur bei schweren Verläufen zu bejahen oder wenn besondere Umstände vorlägen. Hierfür lägen im Fall des Klägers keinerlei Anzeichen vor. Das beigezogene internistische Gutachten des Dr. A belege, dass bezüglich der Laktoseintoleranz gerade nicht von einem schweren Verlauf ausgegangen werden könne. Da im Übrigen aus der festgestellten Körperlänge von 1,80 m und dem Körpergewicht von 95 kg auch nicht auf besondere Umstände hinsichtlich einer gestörten Nährstoffaufnahme geschlossen werden könne, sei hier von einem Regelfall auszugehen. Das Urteil war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, dass dieses Urteil nicht mit der Berufung angefochten werden könne, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden sei. Die Nichtzulassung der Berufung könne mit der Beschwerde angefochten werden. Das Urteil ist dem Kläger am 06.11.2009 zugestellt worden.

23

Am 07.12.2009 (einem Montag) hat der Kläger Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 eingelegt (Az.: L 3 AS 576/09 NZB). Nach einem Hinweis des 3. Senats, dass die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig sei, hat der Kläger am 11.06.2010 die Beschwerde zurückgenommen.

24

Am 17.06.2010 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Koblenz eingelegt.

25

Der Kläger trägt vor, es treffe nicht zu, dass eine ausreichend große Anzahl von laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Laktosefreie Lebensmittel seien in etwa doppelt so teuer wie laktosehaltige Lebensmittel. Auch könne das Sachverständigengutachten des Dr. A nicht Entscheidungsgrundlage sein, ob ihm ein Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz zu gewähren sei. Das Gutachten sei erstattet worden zur Beurteilung des ihm verbliebenen Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Ihm sei von Frau Dr. S , nachdem diese seine Laktoseintoleranz festgestellt habe, lediglich empfohlen worden, sich laktosefrei zu ernähren, was er in der Folgezeit getan habe. Die Ärztin habe ihm nicht mitgeteilt, dass evtl. eine spätere Überprüfung seiner Laktoseintoleranz erforderlich sei. Vor der Feststellung einer Laktoseintoleranz habe er an krampfhaften Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten gelitten. Nach der Umstellung der Ernährung auf laktosefreie Milch und Milchprodukte seien die Beschwerden verschwunden. Er ernähre sich von Obst, rohem und gekochtem Gemüse, Vollkornprodukten, selbst zusammengestelltem Müsli und Hülsenfrüchten sowie laktosefreien Milchprodukten, vor allem Joghurt und Schnittkäse. Seit März 1988 sei er Vegetarier. Lebensmittel, die Fleisch oder Fisch oder Gelatine enthielten, verzehre er nicht. Sein Bedarf an laktosefreien Milchprodukten sei deutlich höher als bei Nichtvegetariern, u.a. deshalb, weil er laktosefreie Sahne zum Kochen von Suppen und Soßen verwende.

26

Der Beklagte hat auf Hinweis des Senats mit Schreiben vom 04.03.2013 ein Teilanerkenntnis dahin gehend abgegeben, dass für die Monate August und September 2005 ein (aufgerundeter) Leistungsanspruch in Höhe von 656,00 € monatlich gewährt werde. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.03.2013 dieses Teilanerkenntnis angenommen.

27

Der Kläger beantragt,

28

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 01.06.2006, des Bescheides vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2005 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009, und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006 und vom 19.07.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009 sowie unter Abänderung der weiteren Bescheide zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

29

Der Beklagte beantragt,

30

die Berufung zurückzuweisen.

31

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Eine Deckung des Eiweißbedarfes des Klägers durch tierische und pflanzliche Eiweiße stelle bei Laktoseintoleranz kein Problem dar. Eine Deckung des Eiweißbedarfes durch Milcheiweiß sei nicht zwingend. Nach seiner Auffassung bestehe ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II daher nur dann, wenn die Deckung des Eiweißbedarfs durch Vollkost entsprechend der Empfehlung des Deutschen Vereins bedingt durch einen schweren Verlauf der Laktoseintoleranz nicht mehr möglich sei und daher eine erhöhte Substitution durch Sojaprodukte notwendig werde. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.

32

Der Senat hat schriftliche Stellungnahmen der Frau Dr. S vom 15.08.2011 und vom 02.03.2012 sowie ein Sachverständigengutachten des Ernährungsberaters C M betreffend die Mehrkosten laktosefreier und tyraminarmer Lebensmittel vom 05.11.2012 eingeholt.

33

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des SG Koblenz - S 13 ER 392/07 AS -, der Leistungsakten des Beklagten (drei Bände) sowie der Leistungsakten des Jobcenters N (zwei Bände) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

34

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger höhere Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

35

Streitgegenstand (vgl. § 95 SGG) des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 11.08.2005 (Eingang der Bescheinigung der Frau Dr. S bei dem Beklagten) bis zum 31.10.2006. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Die Regelungen des Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lassen sich (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft, soweit dies ausdrücklich beantragt ist) in rechtlich zulässiger Weise nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 10 Rn. 13 mit weiteren Nachweisen).

36

Vorliegend hat der Beklagte mit Bescheid vom 01.06.2006 zwar gesondert, d.h. getrennt von seinen Entscheidungen über die "übrigen" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte entschieden. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass damit der gesamte Zeitraum bis zum 14.12.2007, in dem der Kläger im Zuständigkeitsbereich des Rechtsvorgängers des Beklagten wohnte, umfasst ist. Da Leistungen hier nicht komplett versagt worden sind und lediglich die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitig ist, kann einer Entscheidung des Grundsicherungsträgers wegen der in § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte zukommen. Zwar enthält der Bescheid vom 01.06.2006 keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt. Dies allein lässt jedoch nicht den Schluss zu, der Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Vielmehr ist der Bescheid dahingehend auszulegen, dass hier die allein rechtlich zulässige Regelung, nämlich eine ablehnende Regelung über eine höhere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw. der Gegenwart lagen, getroffen werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, a.a.O. Rn. 14; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 16).

37

Vorliegend hat der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung am 11.08.2005 und damit während des laufenden Bewilligungsabschnittes vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2005 (Bescheid vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) gestellt. Die Entscheidung des Rechtsvorgängers des Beklagten erging erst im Juni 2006 und damit nachdem ein weiterer Bewilligungsabschnitt vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 (Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) abgelaufen und ein neuer Bewilligungsabschnitt vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 (Bescheid vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006, vom 19.07.2006 , vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 sowie vom 05.03.2009) begonnen hatte. Damit umfasste das Klageverfahren aber von Anfang an mindestens den Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 31.10.2006 und damit einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

38

Da das Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, war die am 17.06.2010 und damit innerhalb eines Jahres ab Zustellung des Urteils eingelegte Berufung des Klägers auch noch rechtzeitig (vgl. § 66 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG).

39

Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist das Jobcenter (§§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen ARGE getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war daher durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr. 4 Rn. 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21; vgl. auch zuletzt BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R).

40

Die Berufung ist nur zum Teil begründet.

41

Soweit der Kläger mit seiner Klage höhere Leistungen auch für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis zum 14.12.2007, d.h. bis zu seinem Fortzug aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten begehrt, ist die Klage unzulässig. Dieser Zeitraum war, wie oben bereits ausgeführt wurde, nicht Gegenstand des Bescheides vom 01.06.2006 sowie des Bescheides vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008. Es ist auch nicht ersichtlich, dass bezüglich dieses Zeitraumes ein Widerspruchsverfahren betreffend die Höhe der Leistungen durchgeführt worden ist, so dass die konkludente Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs bestandskräftig geworden ist.

42

Dagegen ist die Klage betreffend die Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 30.04.2006 nicht bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig (vgl. § 202 SGG iVm. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG). Diese waren zwar als abtrennbarer Streitgegenstand für den oben genannten Zeitraum bereits Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06. Mit der Beendigung des Verfahrens durch das angenommene Anerkenntnis der ARGE vom 04.03.2008 endete jedoch die Sperrwirkung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 94 Rn. 4; vgl. auch BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 22/10 R, juris Rn. 13).

43

Allerdings hat das SG im Ergebnis zu Recht die Klage betreffend den Zeitraum bis zum 31.07.2006 abgewiesen. Dem Kläger stehen höhere Leistungsansprüche als von der Rechtsvorgängerin des Beklagten bewilligt nicht zu. Lediglich betreffend den Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat der Kläger einen höheren Leistungsanspruch, da die ARGE für die neue Wohnung zu niedrige Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt hat.

44

Soweit der Zeitraum bis zum 30.04.2006 betroffen ist, waren die Bewilligungsbescheide mit Ausnahme des Verfügungssatzes über die Leistungen für Unterkunft und Heizung, die Gegenstand des Klageverfahrens S 13 AS 281/06 waren, bei Erlass des Bescheides vom 01.06.2006 bestandskräftig geworden, so dass es sich hier um einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X handelt.

45

Nach dieser Vorschrift ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind, ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Vorliegend ist jedoch im besagten Zeitraum weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Der angegriffene Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008, mit dem sie es abgelehnt hat, den Bescheid vom 01.06.2006 sowie die die jeweiligen Bewilligungsabschnitte betreffenden Leistungsbescheide aufzuheben, erweist sich für diesen Zeitraum als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

46

Den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 betreffend lagen dagegen aufgrund des Widerspruchs des Klägers, über den noch nicht per Widerspruchsbescheid entschieden war, keine bestandskräftigen Bescheide vor. Erst durch den Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 ist letztlich hinsichtlich diesen Abschnitts durch die Behörde abschließend entschieden worden, dass dem Kläger keine höheren Leistungen zustehen bzw. dass die Absenkung der Leistungen aufgrund des Wohnungswechsels zutreffend erfolgt sei.

47

Der demnach für diesen Zeitraum als Anfechtungs- und Leistungsklage auszulegende Antrag des Klägers hat insofern Erfolg, als er Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat. Die ARGE hätte mit Bescheid vom 19.07.2006 die dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bewilligten monatlichen Leistungen nicht auf 611,73 € absenken dürfen.

48

Grundsätzlich war die Rechtsvorgängerin des Beklagten berechtigt, aufgrund des Wohnungswechsels des Klägers und den hieraus resultierenden niedrigeren Mietkosten die Leistungen nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X abzusenken. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dies war hier der Fall. Jedoch hätte die Absenkung nicht in diesem Umfang erfolgen dürfen.

49

Der Kläger war zunächst im streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt. Er erfüllte die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (hier: in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003, BGBl. I S. 2954): Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, er war erwerbsfähig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und war auch hilfebedürftig. Anhaltspunkte für einen Ausschluss von Leistungen sind nicht gegeben. Nach § 19 Abs. 1 SGB II (ebenfalls in der Fassung des oben genannten Gesetzes) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte wie der Kläger als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (Satz 1 Nr. 1). Ein Anspruch auf einen befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld nach § 24 SGB II (hier in der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung; vgl. § 19 Satz 1 Nr. 2 SGB II) kam hier nicht in Betracht, da der Kläger zuletzt 1993 Arbeitslosengeld bezogen hat.

50

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003 (a.a.O.) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass die von dem Kläger zu erbringende Kaltmiete oder die Vorauszahlungen für Nebenkosten und Heizung unangemessen wären. Die ARGE als Rechtsvorgängerin des Beklagten hat selbst in dem dem Bescheid vom 02.11.2004 beigefügten Hinweisschreiben erläutert, sie gehe in ihrem Zuständigkeitsbereich von einer angemessenen Kaltmiete von 4,25 € pro m² aus. Multipliziert mit der für angemessenen gehaltenen 45 m² Wohnfläche ergibt dies einen Betrag in Höhe von 191,25 €. Die Kaltmiete des Klägers belief sich jedoch lediglich auf 173,00 €. Von der Vorauszahlung für Heiz- und Nebenkosten in Höhe von 103,00 € monatlich war für die über die Heizung erfolgte und nicht von einem gesonderten Zähler erfasste Erwärmung des Warmwassers ein Abzug vorzunehmen. Dieser darf jedoch nicht über die Kosten für Warmwasserbereitung, wie sie in der Regelleistung enthalten sind, hinausgehen, so dass im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 lediglich ein Betrag in Höhe von 6,22 € abzuziehen war (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R, BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 Rn. 25). Der Leistungsanspruch des Klägers errechnete sich daher für die Monate August bis Oktober 2006 wie folgt: Regelleistung in Höhe von 345,00 €, Kosten für Unterkunft in Höhe von 269,78 € (276,00 € - 6,22 € Warmwasserpauschale) = 614,78 € monatlich, gerundet (vgl. § 41 Abs. 2 SGB II in der bis 31.03.2011 geltenden Fassung) somit 615,00 € monatlich. Bewilligt wurden mit dem Änderungsbescheid vom 19.07.2006 jedoch lediglich 611,73 €, so dass er im Umfang von 3,27 € monatlich für die drei betreffenden Monate aufzuheben war.

51

Über diesen Betrag hinaus hat der Kläger, nachdem der Beklagte auch hinsichtlich der Rundung des Leistungsanspruchs für die Monate August und September 2005 ein (Teil-)Anerkenntnis abgegeben und der Kläger dieses angenommen hat, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf höhere Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf aufgrund seiner Laktoseintoleranz.

52

Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 Rn. 15; Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12 Rn. 16 ff.).

53

Bei dem Kläger liegt zwar insoweit eine Krankheit vor, als aufgrund eines oralen Laktosetoleranztests am 16.07.2005 bei der Fachärztin für Innere Medizin/Diabetologin Dr. S die Diagnose einer Laktoseintoleranz gestellt wurde. Jedoch ergibt sich aufgrund dieser Laktoseintoleranz im konkreten Fall des Klägers kein gegenüber einem Hilfebedürftigen ohne Milchzuckerunverträglichkeit erhöhter ernährungsbedingter Mehrbedarf.

54

Dabei kann offen bleiben, wie der Umstand zu bewerten ist, dass der Kläger nach der Feststellung seiner Laktoseintoleranz und nach der Teilnahme an einer Ernährungsberatung wegen dieser Krankheit keine weitere ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Nach den Ausführungen sowohl der behandelnden Ärztin Dr. S in ihrer Stellungnahme vom 02.03.2012 als auch des Sachverständigen M in seinem Gutachten vom 05.11.2012 handelt es sich bei einer Laktoseintoleranz nicht um eine statische Erkrankung. Erfahrungsgemäß ist grundsätzlich eine Verlaufskontrolle erforderlich. Auch ist die Toleranz von gewissen laktosearmen Lebensmitteln individuell sehr unterschiedlich und kann nicht allein anhand des bei dem Kläger durchgeführten oralen Laktosetests ermittelt werden. Vielmehr ist, so der Sachverständige M , eine individuelle auf die persönliche Bekömmlichkeit der Lebensmittel angepasste Kost erforderlich. Hierzu wird in der Regel eine Kosteinschulung durchgeführt, in der nach Einführung einer laktosearmen Basiskost und der Überprüfung deren Verträglichkeit ein Kostaufbau durchgeführt wird, mit dem die individuelle Laktosetoleranzschwelle herausgefunden werden soll. Einen solchen Kostaufbau hat der Kläger nicht durchgeführt, er hat vielmehr, seitdem ihm seine Laktoseintoleranz aufgrund des Oraltests bekannt war, auf sämtliche laktosehaltigen Lebensmittel verzichtet. Letztlich kann damit nicht abschließend gesagt werden, ob die vollkommen laktosefreie Diät, die der Kläger im hier streitgegenständlichen Zeitraum durchgeführt hat, tatsächlich medizinisch notwendig gewesen ist. Möglicherweise hätte der Kläger aufgrund seiner individuellen Gegebenheiten durchaus geringe Mengen laktosehaltiger Lebensmittel zu sich nehmen können, wobei der Sachverständige M auch darauf hinweist, dass laktosehaltige Mahlzeiten regelmäßig besser toleriert werden, wenn sie zusammen mit anderen Lebensmitteln konsumiert werden (vgl. Seite 6 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang kann auch dahinstehen, welche Empfehlung Frau Dr. S tatsächlich gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat, da eine evtl. Fehlberatung durch die behandelnde Ärztin hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren Behandlung nicht dem Beklagten zuzurechnen wäre und daher auch nicht zu seinen Lasten gehen könnte. Der Kläger ist selbst dafür verantwortlich, herauszufinden, welche Diät tatsächlich aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung erforderlich ist und sich entsprechend bei Ärzten oder im Internet zu informieren.

55

Für den Ausschluss eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung kann - anders als das SG meint - vorliegend allerdings nicht auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (hier: Stand 01.10.2008) zurückgegriffen werden. Eine Aussage zu einem krankheitsbedingtem Mehrbedarf bei Laktoseintoleranz lässt sich den Empfehlungen nicht entnehmen. Vielmehr weist der Deutsche Verein unter II.2 Nr. 2 ("Ziel der Empfehlungen") ausdrücklich darauf hin, dass ein eventuell abweichender Bedarf bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht geprüft worden sei. An gleicher Stelle wird betont, dass die Gewährung von Zulagen bei in den Empfehlungen nicht berücksichtigten Erkrankungen nicht ausgeschlossen werde.

56

Letztlich muss damit eine individuelle Prüfung erfolgen, in welchem Umfang dem Kläger aufgrund seiner Laktoseintoleranz Mehrkosten entstehen (vgl. auch SG Hildesheim, Gerichtsbescheid vom 31.05.2010 - S 54 AS 1649/09). Solche Mehrkosten konnten jedoch durch das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen M vom 05.11.2012 für den sich vegetarisch ernährenden Kläger nicht belegt werden.

57

Nach den Feststellungen des Sachverständigen M besteht bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte meiden muss, sogar eine Ersparnis gegenüber den normalen Ausgaben, unter der Voraussetzung dass nur die preiswertesten Lebensmittel genommen werden. Diese Ersparnis beziffert er mit 2,42 € im Monat bzw. 0,56 € pro Woche. Lediglich bei der Berücksichtigung von Durchschnittspreisen einer größeren Lebensmittelvariationsbreite seien Mehrkosten in Höhe von durchschnittlich 3,41 € pro Monat bzw. 0,79 € pro Woche zu erwarten. Selbst bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte und tyraminhaltige Lebensmittel meiden müsse, wäre noch eine Ersparnis von 1,64 € pro Monat bzw. 0,38 € pro Woche auf der Basis des jeweils billigsten verfügbaren Lebensmittels zu erwarten. Nur wenn eine abwechslungsreichere Kost erfolge, die nicht immer auf die wenigen preiswertesten Lebensmittel zurückgreife, sei von einem Mehrbedarf von durchschnittlich 20,04 € pro Monat bzw. 6,47 € pro Woche auszugehen. Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass gerade gereifte Käsesorten, die bei einer Tyraminunverträglichkeit zu meiden sind, laktosearm sind. Auch Bohnenprodukte, welche für die Eiweißversorgung bei einem Laktoseintoleranten günstig sind, sind nach den Aussagen des Sachverständigen bei einer konsequenten tyraminarmen Kost grundsätzlich zu meiden. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Kläger nach eigenen Angaben durchaus Hülsenfrüchte verzehrt und auch verträgt, da unter dieser Diät die vorher beklagten Beschwerden (insbesondere krampfhafte Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten) verschwunden sind. Dem Kläger steht damit auch unter Beachtung einer tyraminarmen Kost eine ausreichende Bandbreite an Produkten zur Verfügung, um seinen Nährstoffbedarf, insbesondere an Eiweiß und Kalzium, ohne laktosehaltige Milchprodukte zu decken. Da das Gesetz auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf abstellt, kann in diesem Zusammenhang allein darauf abgestellt werden, ob die mögliche Ernährung, den Nährstoffbedarf des Klägers ausreichend abdeckt. Ob der Kläger aus persönlichen Gründen auf bestimmte Produkte, wie z.B. laktosefreie Sahne oder laktosefreien Käse zurückgreifen möchte, insbesondere um in seiner Ernährung mehr Abwechslung zu haben, ist dagegen im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern ist es dem Kläger - wie jedem anderen Hilfebedürftigen auch, der eine besondere Ernährung wünscht - zuzumuten, sich durch Umschichtungen innerhalb der in der Regelleistung enthaltenen Beträge eine abwechslungsreichere, aber teurere Ernährung zu verschaffen.

58

Im Hinblick auf die Tyraminproblematik des Klägers hat der Sachverständige Meinhold im Übrigen ausgeführt, dass das Meiden von Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt des biogenen Amins Tyramin bei abortiver atypischer Dermatitis mit Juckreiz keine allgemeinwissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode sei. Hier sei eher der Einsatz von Antihistaminika sinnvoll und zielführend. Letztendlich entspricht dies auch der Empfehlung des Dermatologen Dr. Nolte. Hieraus folgt, dass dem Kläger bereits ohne Antihistaminika eine Diät zur Verfügung steht, welche ausreichend erscheint und keine Mehrkosten verursacht, wenn man berücksichtigt, dass er offensichtlich Hülsenfrüchte toleriert. Unter dem Einsatz der Antihistaminika wäre es sogar möglich, gereifte und damit laktosearme Käsesorten zu konsumieren und so ein breiteres Lebensmittelangebot zur Verfügung zu haben. Eventuelle Kosten für derartige Medikamente können dabei im Rahmen des Ernährungsmehrbedarfs nicht berücksichtigt werden, da es sich bei dem von Dr. Nolte erwähnten Antihistaminikum Telfast 180 um ein verschreibungspflichtiges Medikament und nicht um ein Lebensmittel handelt (zur Nichtberücksichtigung von Medikamenten im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235- = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 20; vgl. auch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rn. 31). Grundsätzlich wird die notwendige Krankenbehandlung des Klägers, der im streitigen Zeitraum als Leistungsempfänger nach dem SGB II in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert war, durch seine Krankenkasse sichergestellt. Soweit bestimmte Präparate zwar medizinisch notwendig, aber unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der GKV-Versicherten nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckt sind, sind diese aus der Regelleistung zu zahlen (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, a.a.O. Rn. 25, welches auch darauf hinweist, dass in der Regelleistung im streitigen Zeitraum für die Abteilung 06 auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 ein Gesamtbetrag in Höhe von 13,19 € berücksichtigt worden ist). Raum, z.B. für einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ist damit ebenfalls nicht (vgl. BSG, a.a.O.). Damit kann hier offen bleiben, in welchem Umfang dem Kläger möglicherweise durch die Einnahme von Antihistaminika Mehrkosten entstanden sind.

59

Im Ergebnis ist damit ein krankheitsbedingter Mehraufwand nicht nachgewiesen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass ein sich mit Fleisch und Fisch ernährender Hilfebedürftiger Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung hätte. Im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II können nur die dem Kläger tatsächlich entstehenden Mehrkosten berücksichtigt werden und nicht etwa Mehrkosten, die bei einer (fiktiv zugrunde gelegten) nicht vegetarischen Ernährung entstünden.

60

Auch im Übrigen sind die Leistungen des Klägers nicht zu niedrig bemessen worden. Die Kosten der Unterkunft sind im Zeitraum bis zum 31.07.2005 in Ausführung des vor dem SG Koblenz (S 13 AS 281/06) abgegebenen Anerkenntnisses vollständig übernommen worden, obwohl auch hier wohl ein Abzug für die Warmwasserbereitung vorzunehmen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die der Höhe der Regelleistungen ergibt sich kein höherer Leistungsanspruch. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 09.02.2010 die Regelleistungen mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, den Gesetzgeber jedoch lediglich verpflichtet, diese für die Zukunft neu festzusetzen und ihm eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2010 gesetzt (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 12 Rn. 16 f.). Im Übrigen hat das BVerfG mit Beschluss vom 24.3.2010 auch klargestellt, dass die in diesem Urteil geschaffene Härtefallregelung nicht rückwirkend für Zeiträume, die vor der Verkündung dieses Urteils liegen, gilt (1 BvR 395/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1).

61

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

62

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Die Ablehnung eines Mehrbedarfs beruht hier auf der individuellen Konstellation des Klägers, dass dieser als Vegetarier nicht nur Mehrkosten für laktosearme Lebensmittel sondern auch Einsparpotential durch den Verzicht auf Fisch und Fleisch hat.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2006 in Gestalt der Bescheide vom 01.06.2006, vom 19.07.2006 und vom 15.05.2007 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate August, September und Oktober 2006 weitere Leistungen in Höhe von monatlich 3,27 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger - teilweise im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 hat. Streitig ist insbesondere, ob der Kläger Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung hat.

2

Der am ...1956 geborene Kläger bewohnte bis zum 31.07.2006 eine 44,97 m² große Wohnung in der B in S . Die Kaltmiete belief sich bis zum 30.09.2005 auf 196,58 €. Daneben war ein Nebenkostenabschlag in Höhe von 50,13 Euro monatlich (insgesamt 247,71 €) zu zahlen. Zum 01.10.2005 erhöhte sich die Kaltmiete aufgrund einer Staffelmietvereinbarung auf 202,33 €. Die Beheizung und die Erwärmung des Warmwassers in der Wohnung erfolgten über Gas. Der Gasabschlag belief sich bis zum 31.07.2005 auf 60,00 € monatlich, vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 auf 63,00 € monatlich und ab dem 01.02.2006 auf 66,00 € monatlich.

3

Zum 01.08.2006 verzog der Kläger in eine 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 41,69 m² in der B in B . Die Kaltmiete belief sich auf 173,00 € monatlich. Daneben war für Nebenkosten und Heizung ein einheitlicher Abschlag in Höhe von 103,00 € monatlich zu zahlen. Ab dem 01.11.2006 nahm der Kläger wegen Mängeln der Mietsache eine Mietminderung in Höhe von 60,55 € monatlich und ab dem 01.02.2007 in Höhe von 43,25 € monatlich vor.

4

Seit dem 15.12.2007 wohnt der Kläger in N .

5

Bis zum 31.12.2004 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von zuletzt wöchentlich 123,83 €. Arbeitslosengeld (Alg) bezog der Kläger zuletzt im Jahr 1993.

6

Auf seinen Antrag vom 30.09.2004 bewilligte die Agentur für Arbeit Mayen dem Kläger mit Bescheid vom 02.11.2004 in der Gestalt des Änderungsbescheides der Rechtsvorgängerin des Beklagten, der Arbeitsgemeinschaft Landkreis Mayen-Koblenz (im Folgenden: ARGE), vom 26.04.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 652,71 € monatlich.

7

Dem Bescheid vom 02.11.2004 war ein Hinweisschreiben beigefügt, dass der tatsächliche Mietzins des Klägers den angemessenen Betrag um 5,33 € überschreite. Für einen 1-Personen-Haushalt werde eine Gesamtwohnfläche von 45 m² als angemessen angesehen. Im hiesigen Raum werde ein Mietzins von 4,25 € je m² als angemessen anerkennt. Der Kläger werde aufgefordert, seine Kosten der Unterkunft bis zum 30.06.2005 durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise zu reduzieren. Danach würden nur noch die angemessenen Kosten der Unterkunft anerkannt.

8

Mit Bescheid vom 26.04.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 30.06.2005 monatliche Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €), für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.07.2005 Leistungen in Höhe von 647,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 302,38 €) und für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 650,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 305,38 €).

9

Mit Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 650,38 € monatlich. Eine mit Bescheid vom 06.02.2006 erfolgte Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 01.02.2006 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit wurde mit Änderungsbescheid vom 07.02.2006 wieder zurückgenommen; mit diesem Bescheid wurden dem Kläger erneut Leistungen in Höhe von 650,38 € monatlich für die Zeit vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 bewilligt. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 20.04.2006 wurden die Leistungen aufgrund der Erhöhung des Gasabschlages für die Zeit vom 01.02.2006 bis zum 30.04.2006 auf 653,38 € monatlich erhöht. Der auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2006 zurückgewiesen.

10

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 19.05.2006 wurde auch der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 07.02.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, der sich ebenfalls gegen die Höhe der belegten Leistungen wandte, als unbegründet zurückgewiesen.

11

Betreffend die Höhe der Kosten der Unterkunft vom 01.05.2005 bis zum 30.06.2006 erhob der Kläger Klagen zum Sozialgericht (SG) Koblenz (S 13 AS 280/06 und 281/06), die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 13 AS 281/06 verbunden wurden.

12

Mit Bescheid vom 20.04.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 653,38 € monatlich. Hiergegen legte der Kläger am 03.05.2006 Widerspruch ein.

13

Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er zum 01.08.2006 nach B verziehe, beschränkte die ARGE mit Bescheid vom 14.07.2006 die zuvor bis zum 31.10.2006 bewilligten Leistungen in Höhe von 653,38 € monatlich auf den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006. Mit Bescheid vom 19.07.2006 bewilligte sie dem Kläger im Übrigen für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 611,73 € ausgehend von Kosten für die neue Wohnung in Höhe von 266,73 € monatlich.

14

Auch für den Bewilligungsabschnitt vom 01.02.2007 bis zum 30.04.2007 bewilligte die ARGE dem Kläger mit Bescheid vom 10.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 611,73 € monatlich. Mit Bescheid vom 21.03.2017 wurden für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.10.2007 Leistungen in Höhe von 568,48 € und mit Bescheid vom 19.10.2007 für die Zeit vom 01.11.2007 bis zum 31.12. 2007 Leistungen in Höhe von 570,48 € (Regelleistungen in Höhe von 347,00 € und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 223,48 €) bewilligt. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

15

Eine am 19.03.2007 vom Kläger vorgelegte Nebenkostennachforderung in Höhe von 44,04 € aus dem Mietverhältnis B in S übernahm die ARGE mit Bescheid vom 23.03.2007.

16

In dem Klageverfahren vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06 gab die ARGE am 04.03.2008 ein Anerkenntnis dahingehend ab, dass für den Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 Arbeitslosengeld II unter Ansatz der tatsächlichen Kaltmiete gewährt werde. Das Anerkenntnis wurde von dem Kläger angenommen. Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE daraufhin dem Kläger für Juli 2005 Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €). Mit weiterem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte sie für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 655,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 310,71 €) monatlich, mit drittem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.01.2006 ebenfalls Leistungen in Höhe von 655,71 € sowie mit viertem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 313,71 €) monatlich. Mit einem fünften Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE im Übrigen über das abgegebene Anerkenntnis hinausgehend auch für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € monatlich.

17

Gegen die Änderungsbescheide vom 25.09.2008 legte der Kläger Widerspruch ein, da sich seine Kaltmiete aufgrund der Staffelmietvereinbarung mit Wirkung zum 01.10.2005 auf 202,33 € monatlich belaufe. Mit Bescheid vom 06.02.2009 erklärte die ARGE daraufhin, dass sie die Bescheide vom 25.09.2008 aufhebe und in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.07.2006 eine Kaltmiete in Höhe von monatlich 202,33 € berücksichtige. Dies wurde schließlich mit vier Änderungsbescheiden vom 05.03.2009 umgesetzt. Als Kosten der Unterkunft wurden nunmehr in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.01.2006 316,46 € und in der Zeit vom 01.02.2006 bis zum 31.07.2006 319,46 € berücksichtigt.

18

Am 11.08.2005 beantragte der Kläger, der Vegetarier ist und kein Fleisch, Fisch oder Produkte, die Gelatine enthalten, verzehrt, unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin Dr. S vom 15.07.2004 (hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler, es muss 2005 heißen) einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen Laktoseintoleranz. Der Bescheinigung beigefügt war ein Attest des Dermatologen Dr. N vom 04.08.2005, der eine abortive atypische Dermatitis mit Juckreiz sowie eine Typ I Allergie auf Hausstaubmilben diagnostizierte und als Therapie die Anwendung von Antihistaminika nach Bedarf (z.B. Telfast 180), das Meiden von Nahrungsmitteln mit hohem Tyramingehalt und ggf. eine schwache Steroidsalbe für die Beine empfahl. Die ARGE holte eine Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 19.05.2006 ein und lehnte mit Bescheid vom 01.06.2006 den Antrag auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab. Grundlage für die Bewertung des Mehraufwandes für Krankenkost bildeten zum einen die Empfehlungen für die Krankenkostzulage der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge in der Auflage von 1997 und zum anderen der Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, Stand 1/2002. Aus diesen Empfehlungen sei zu ersehen, dass für die Ernährung von Menschen mit Laktoseintoleranz eine ausreichend große Anzahl an laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Ein Widerspruch gegen den Bescheid befindet sich nicht in den Akten.

19

Am 08.11.2006 ging bei der ARGE eine Widerspruchsbegründung des derzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf einen Widerspruch vom 21.06.2006 ein. Die Beteiligten einigten sich darauf, die Widerspruchsbegründung als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.

20

Mit Bescheid vom 15.05.2007 lehnte die ARGE eine Änderung ihres Bescheides vom 01.06.2006 ab. Sie wiederholte dabei im Wesentlichen ihre Begründung aus dem genannten Bescheid. Den Widerspruch des Klägers vom 20.06.2007 wies die ARGE mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 als unbegründet zurück.

21

Am 30.01.2008 hat der Kläger Klage zum SG Koblenz erhoben und u.a. mehrere Quittungen über den Einkauf von Lebensmitteln vorgelegt.

22

Das SG hat ein internistisches Gutachten des Dr. A vom 30.05.2008 aus dem Klageverfahren vor dem SG mit dem Az.: S 10 R 778/07 beigezogen, eine Stellungnahme der Frau Dr. S vom 20.07.2009 eingeholt und die Klage mit Urteil vom 28.10.2009 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs wegen seiner Laktoseintoleranz. Mittlerweile liege eine im Jahr 2008 völlig neu bearbeitete Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vor. Auch wenn diesen Empfehlungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Feststellung des angemessenen Mehrbedarfs im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II lediglich der Charakter einer Orientierungshilfe zukäme (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R), könnten sie zur Sachverhaltsbeurteilung im Hinblick auf die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe der Mehrbedarf anzuerkennen sei, herangezogen werden. Ihnen sei im Regelfall zu folgen (Hinweis auf Sächsisches LSG, Urteil vom 22.06.2009 - L 7 AS 250/08). Nach den Empfehlungen vom 01.10.2008 sei nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin ein krankheitsbedingter Mehrbedarf bei verzehrenden Erkrankungen bzw. gestörter Nahrungsaufnahme bzw. Nährstoffverwertung in der Regel daher nur bei schweren Verläufen zu bejahen oder wenn besondere Umstände vorlägen. Hierfür lägen im Fall des Klägers keinerlei Anzeichen vor. Das beigezogene internistische Gutachten des Dr. A belege, dass bezüglich der Laktoseintoleranz gerade nicht von einem schweren Verlauf ausgegangen werden könne. Da im Übrigen aus der festgestellten Körperlänge von 1,80 m und dem Körpergewicht von 95 kg auch nicht auf besondere Umstände hinsichtlich einer gestörten Nährstoffaufnahme geschlossen werden könne, sei hier von einem Regelfall auszugehen. Das Urteil war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, dass dieses Urteil nicht mit der Berufung angefochten werden könne, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden sei. Die Nichtzulassung der Berufung könne mit der Beschwerde angefochten werden. Das Urteil ist dem Kläger am 06.11.2009 zugestellt worden.

23

Am 07.12.2009 (einem Montag) hat der Kläger Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 eingelegt (Az.: L 3 AS 576/09 NZB). Nach einem Hinweis des 3. Senats, dass die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig sei, hat der Kläger am 11.06.2010 die Beschwerde zurückgenommen.

24

Am 17.06.2010 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Koblenz eingelegt.

25

Der Kläger trägt vor, es treffe nicht zu, dass eine ausreichend große Anzahl von laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Laktosefreie Lebensmittel seien in etwa doppelt so teuer wie laktosehaltige Lebensmittel. Auch könne das Sachverständigengutachten des Dr. A nicht Entscheidungsgrundlage sein, ob ihm ein Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz zu gewähren sei. Das Gutachten sei erstattet worden zur Beurteilung des ihm verbliebenen Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Ihm sei von Frau Dr. S , nachdem diese seine Laktoseintoleranz festgestellt habe, lediglich empfohlen worden, sich laktosefrei zu ernähren, was er in der Folgezeit getan habe. Die Ärztin habe ihm nicht mitgeteilt, dass evtl. eine spätere Überprüfung seiner Laktoseintoleranz erforderlich sei. Vor der Feststellung einer Laktoseintoleranz habe er an krampfhaften Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten gelitten. Nach der Umstellung der Ernährung auf laktosefreie Milch und Milchprodukte seien die Beschwerden verschwunden. Er ernähre sich von Obst, rohem und gekochtem Gemüse, Vollkornprodukten, selbst zusammengestelltem Müsli und Hülsenfrüchten sowie laktosefreien Milchprodukten, vor allem Joghurt und Schnittkäse. Seit März 1988 sei er Vegetarier. Lebensmittel, die Fleisch oder Fisch oder Gelatine enthielten, verzehre er nicht. Sein Bedarf an laktosefreien Milchprodukten sei deutlich höher als bei Nichtvegetariern, u.a. deshalb, weil er laktosefreie Sahne zum Kochen von Suppen und Soßen verwende.

26

Der Beklagte hat auf Hinweis des Senats mit Schreiben vom 04.03.2013 ein Teilanerkenntnis dahin gehend abgegeben, dass für die Monate August und September 2005 ein (aufgerundeter) Leistungsanspruch in Höhe von 656,00 € monatlich gewährt werde. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.03.2013 dieses Teilanerkenntnis angenommen.

27

Der Kläger beantragt,

28

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 01.06.2006, des Bescheides vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2005 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009, und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006 und vom 19.07.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009 sowie unter Abänderung der weiteren Bescheide zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

29

Der Beklagte beantragt,

30

die Berufung zurückzuweisen.

31

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Eine Deckung des Eiweißbedarfes des Klägers durch tierische und pflanzliche Eiweiße stelle bei Laktoseintoleranz kein Problem dar. Eine Deckung des Eiweißbedarfes durch Milcheiweiß sei nicht zwingend. Nach seiner Auffassung bestehe ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II daher nur dann, wenn die Deckung des Eiweißbedarfs durch Vollkost entsprechend der Empfehlung des Deutschen Vereins bedingt durch einen schweren Verlauf der Laktoseintoleranz nicht mehr möglich sei und daher eine erhöhte Substitution durch Sojaprodukte notwendig werde. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.

32

Der Senat hat schriftliche Stellungnahmen der Frau Dr. S vom 15.08.2011 und vom 02.03.2012 sowie ein Sachverständigengutachten des Ernährungsberaters C M betreffend die Mehrkosten laktosefreier und tyraminarmer Lebensmittel vom 05.11.2012 eingeholt.

33

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des SG Koblenz - S 13 ER 392/07 AS -, der Leistungsakten des Beklagten (drei Bände) sowie der Leistungsakten des Jobcenters N (zwei Bände) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

34

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger höhere Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

35

Streitgegenstand (vgl. § 95 SGG) des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 11.08.2005 (Eingang der Bescheinigung der Frau Dr. S bei dem Beklagten) bis zum 31.10.2006. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Die Regelungen des Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lassen sich (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft, soweit dies ausdrücklich beantragt ist) in rechtlich zulässiger Weise nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 10 Rn. 13 mit weiteren Nachweisen).

36

Vorliegend hat der Beklagte mit Bescheid vom 01.06.2006 zwar gesondert, d.h. getrennt von seinen Entscheidungen über die "übrigen" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte entschieden. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass damit der gesamte Zeitraum bis zum 14.12.2007, in dem der Kläger im Zuständigkeitsbereich des Rechtsvorgängers des Beklagten wohnte, umfasst ist. Da Leistungen hier nicht komplett versagt worden sind und lediglich die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitig ist, kann einer Entscheidung des Grundsicherungsträgers wegen der in § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte zukommen. Zwar enthält der Bescheid vom 01.06.2006 keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt. Dies allein lässt jedoch nicht den Schluss zu, der Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Vielmehr ist der Bescheid dahingehend auszulegen, dass hier die allein rechtlich zulässige Regelung, nämlich eine ablehnende Regelung über eine höhere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw. der Gegenwart lagen, getroffen werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, a.a.O. Rn. 14; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 16).

37

Vorliegend hat der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung am 11.08.2005 und damit während des laufenden Bewilligungsabschnittes vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2005 (Bescheid vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) gestellt. Die Entscheidung des Rechtsvorgängers des Beklagten erging erst im Juni 2006 und damit nachdem ein weiterer Bewilligungsabschnitt vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 (Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) abgelaufen und ein neuer Bewilligungsabschnitt vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 (Bescheid vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006, vom 19.07.2006 , vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 sowie vom 05.03.2009) begonnen hatte. Damit umfasste das Klageverfahren aber von Anfang an mindestens den Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 31.10.2006 und damit einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

38

Da das Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, war die am 17.06.2010 und damit innerhalb eines Jahres ab Zustellung des Urteils eingelegte Berufung des Klägers auch noch rechtzeitig (vgl. § 66 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG).

39

Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist das Jobcenter (§§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen ARGE getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war daher durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr. 4 Rn. 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21; vgl. auch zuletzt BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R).

40

Die Berufung ist nur zum Teil begründet.

41

Soweit der Kläger mit seiner Klage höhere Leistungen auch für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis zum 14.12.2007, d.h. bis zu seinem Fortzug aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten begehrt, ist die Klage unzulässig. Dieser Zeitraum war, wie oben bereits ausgeführt wurde, nicht Gegenstand des Bescheides vom 01.06.2006 sowie des Bescheides vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008. Es ist auch nicht ersichtlich, dass bezüglich dieses Zeitraumes ein Widerspruchsverfahren betreffend die Höhe der Leistungen durchgeführt worden ist, so dass die konkludente Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs bestandskräftig geworden ist.

42

Dagegen ist die Klage betreffend die Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 30.04.2006 nicht bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig (vgl. § 202 SGG iVm. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG). Diese waren zwar als abtrennbarer Streitgegenstand für den oben genannten Zeitraum bereits Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06. Mit der Beendigung des Verfahrens durch das angenommene Anerkenntnis der ARGE vom 04.03.2008 endete jedoch die Sperrwirkung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 94 Rn. 4; vgl. auch BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 22/10 R, juris Rn. 13).

43

Allerdings hat das SG im Ergebnis zu Recht die Klage betreffend den Zeitraum bis zum 31.07.2006 abgewiesen. Dem Kläger stehen höhere Leistungsansprüche als von der Rechtsvorgängerin des Beklagten bewilligt nicht zu. Lediglich betreffend den Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat der Kläger einen höheren Leistungsanspruch, da die ARGE für die neue Wohnung zu niedrige Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt hat.

44

Soweit der Zeitraum bis zum 30.04.2006 betroffen ist, waren die Bewilligungsbescheide mit Ausnahme des Verfügungssatzes über die Leistungen für Unterkunft und Heizung, die Gegenstand des Klageverfahrens S 13 AS 281/06 waren, bei Erlass des Bescheides vom 01.06.2006 bestandskräftig geworden, so dass es sich hier um einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X handelt.

45

Nach dieser Vorschrift ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind, ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Vorliegend ist jedoch im besagten Zeitraum weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Der angegriffene Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008, mit dem sie es abgelehnt hat, den Bescheid vom 01.06.2006 sowie die die jeweiligen Bewilligungsabschnitte betreffenden Leistungsbescheide aufzuheben, erweist sich für diesen Zeitraum als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

46

Den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 betreffend lagen dagegen aufgrund des Widerspruchs des Klägers, über den noch nicht per Widerspruchsbescheid entschieden war, keine bestandskräftigen Bescheide vor. Erst durch den Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 ist letztlich hinsichtlich diesen Abschnitts durch die Behörde abschließend entschieden worden, dass dem Kläger keine höheren Leistungen zustehen bzw. dass die Absenkung der Leistungen aufgrund des Wohnungswechsels zutreffend erfolgt sei.

47

Der demnach für diesen Zeitraum als Anfechtungs- und Leistungsklage auszulegende Antrag des Klägers hat insofern Erfolg, als er Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat. Die ARGE hätte mit Bescheid vom 19.07.2006 die dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bewilligten monatlichen Leistungen nicht auf 611,73 € absenken dürfen.

48

Grundsätzlich war die Rechtsvorgängerin des Beklagten berechtigt, aufgrund des Wohnungswechsels des Klägers und den hieraus resultierenden niedrigeren Mietkosten die Leistungen nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X abzusenken. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dies war hier der Fall. Jedoch hätte die Absenkung nicht in diesem Umfang erfolgen dürfen.

49

Der Kläger war zunächst im streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt. Er erfüllte die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (hier: in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003, BGBl. I S. 2954): Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, er war erwerbsfähig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und war auch hilfebedürftig. Anhaltspunkte für einen Ausschluss von Leistungen sind nicht gegeben. Nach § 19 Abs. 1 SGB II (ebenfalls in der Fassung des oben genannten Gesetzes) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte wie der Kläger als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (Satz 1 Nr. 1). Ein Anspruch auf einen befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld nach § 24 SGB II (hier in der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung; vgl. § 19 Satz 1 Nr. 2 SGB II) kam hier nicht in Betracht, da der Kläger zuletzt 1993 Arbeitslosengeld bezogen hat.

50

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003 (a.a.O.) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass die von dem Kläger zu erbringende Kaltmiete oder die Vorauszahlungen für Nebenkosten und Heizung unangemessen wären. Die ARGE als Rechtsvorgängerin des Beklagten hat selbst in dem dem Bescheid vom 02.11.2004 beigefügten Hinweisschreiben erläutert, sie gehe in ihrem Zuständigkeitsbereich von einer angemessenen Kaltmiete von 4,25 € pro m² aus. Multipliziert mit der für angemessenen gehaltenen 45 m² Wohnfläche ergibt dies einen Betrag in Höhe von 191,25 €. Die Kaltmiete des Klägers belief sich jedoch lediglich auf 173,00 €. Von der Vorauszahlung für Heiz- und Nebenkosten in Höhe von 103,00 € monatlich war für die über die Heizung erfolgte und nicht von einem gesonderten Zähler erfasste Erwärmung des Warmwassers ein Abzug vorzunehmen. Dieser darf jedoch nicht über die Kosten für Warmwasserbereitung, wie sie in der Regelleistung enthalten sind, hinausgehen, so dass im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 lediglich ein Betrag in Höhe von 6,22 € abzuziehen war (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R, BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 Rn. 25). Der Leistungsanspruch des Klägers errechnete sich daher für die Monate August bis Oktober 2006 wie folgt: Regelleistung in Höhe von 345,00 €, Kosten für Unterkunft in Höhe von 269,78 € (276,00 € - 6,22 € Warmwasserpauschale) = 614,78 € monatlich, gerundet (vgl. § 41 Abs. 2 SGB II in der bis 31.03.2011 geltenden Fassung) somit 615,00 € monatlich. Bewilligt wurden mit dem Änderungsbescheid vom 19.07.2006 jedoch lediglich 611,73 €, so dass er im Umfang von 3,27 € monatlich für die drei betreffenden Monate aufzuheben war.

51

Über diesen Betrag hinaus hat der Kläger, nachdem der Beklagte auch hinsichtlich der Rundung des Leistungsanspruchs für die Monate August und September 2005 ein (Teil-)Anerkenntnis abgegeben und der Kläger dieses angenommen hat, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf höhere Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf aufgrund seiner Laktoseintoleranz.

52

Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 Rn. 15; Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12 Rn. 16 ff.).

53

Bei dem Kläger liegt zwar insoweit eine Krankheit vor, als aufgrund eines oralen Laktosetoleranztests am 16.07.2005 bei der Fachärztin für Innere Medizin/Diabetologin Dr. S die Diagnose einer Laktoseintoleranz gestellt wurde. Jedoch ergibt sich aufgrund dieser Laktoseintoleranz im konkreten Fall des Klägers kein gegenüber einem Hilfebedürftigen ohne Milchzuckerunverträglichkeit erhöhter ernährungsbedingter Mehrbedarf.

54

Dabei kann offen bleiben, wie der Umstand zu bewerten ist, dass der Kläger nach der Feststellung seiner Laktoseintoleranz und nach der Teilnahme an einer Ernährungsberatung wegen dieser Krankheit keine weitere ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Nach den Ausführungen sowohl der behandelnden Ärztin Dr. S in ihrer Stellungnahme vom 02.03.2012 als auch des Sachverständigen M in seinem Gutachten vom 05.11.2012 handelt es sich bei einer Laktoseintoleranz nicht um eine statische Erkrankung. Erfahrungsgemäß ist grundsätzlich eine Verlaufskontrolle erforderlich. Auch ist die Toleranz von gewissen laktosearmen Lebensmitteln individuell sehr unterschiedlich und kann nicht allein anhand des bei dem Kläger durchgeführten oralen Laktosetests ermittelt werden. Vielmehr ist, so der Sachverständige M , eine individuelle auf die persönliche Bekömmlichkeit der Lebensmittel angepasste Kost erforderlich. Hierzu wird in der Regel eine Kosteinschulung durchgeführt, in der nach Einführung einer laktosearmen Basiskost und der Überprüfung deren Verträglichkeit ein Kostaufbau durchgeführt wird, mit dem die individuelle Laktosetoleranzschwelle herausgefunden werden soll. Einen solchen Kostaufbau hat der Kläger nicht durchgeführt, er hat vielmehr, seitdem ihm seine Laktoseintoleranz aufgrund des Oraltests bekannt war, auf sämtliche laktosehaltigen Lebensmittel verzichtet. Letztlich kann damit nicht abschließend gesagt werden, ob die vollkommen laktosefreie Diät, die der Kläger im hier streitgegenständlichen Zeitraum durchgeführt hat, tatsächlich medizinisch notwendig gewesen ist. Möglicherweise hätte der Kläger aufgrund seiner individuellen Gegebenheiten durchaus geringe Mengen laktosehaltiger Lebensmittel zu sich nehmen können, wobei der Sachverständige M auch darauf hinweist, dass laktosehaltige Mahlzeiten regelmäßig besser toleriert werden, wenn sie zusammen mit anderen Lebensmitteln konsumiert werden (vgl. Seite 6 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang kann auch dahinstehen, welche Empfehlung Frau Dr. S tatsächlich gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat, da eine evtl. Fehlberatung durch die behandelnde Ärztin hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren Behandlung nicht dem Beklagten zuzurechnen wäre und daher auch nicht zu seinen Lasten gehen könnte. Der Kläger ist selbst dafür verantwortlich, herauszufinden, welche Diät tatsächlich aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung erforderlich ist und sich entsprechend bei Ärzten oder im Internet zu informieren.

55

Für den Ausschluss eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung kann - anders als das SG meint - vorliegend allerdings nicht auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (hier: Stand 01.10.2008) zurückgegriffen werden. Eine Aussage zu einem krankheitsbedingtem Mehrbedarf bei Laktoseintoleranz lässt sich den Empfehlungen nicht entnehmen. Vielmehr weist der Deutsche Verein unter II.2 Nr. 2 ("Ziel der Empfehlungen") ausdrücklich darauf hin, dass ein eventuell abweichender Bedarf bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht geprüft worden sei. An gleicher Stelle wird betont, dass die Gewährung von Zulagen bei in den Empfehlungen nicht berücksichtigten Erkrankungen nicht ausgeschlossen werde.

56

Letztlich muss damit eine individuelle Prüfung erfolgen, in welchem Umfang dem Kläger aufgrund seiner Laktoseintoleranz Mehrkosten entstehen (vgl. auch SG Hildesheim, Gerichtsbescheid vom 31.05.2010 - S 54 AS 1649/09). Solche Mehrkosten konnten jedoch durch das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen M vom 05.11.2012 für den sich vegetarisch ernährenden Kläger nicht belegt werden.

57

Nach den Feststellungen des Sachverständigen M besteht bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte meiden muss, sogar eine Ersparnis gegenüber den normalen Ausgaben, unter der Voraussetzung dass nur die preiswertesten Lebensmittel genommen werden. Diese Ersparnis beziffert er mit 2,42 € im Monat bzw. 0,56 € pro Woche. Lediglich bei der Berücksichtigung von Durchschnittspreisen einer größeren Lebensmittelvariationsbreite seien Mehrkosten in Höhe von durchschnittlich 3,41 € pro Monat bzw. 0,79 € pro Woche zu erwarten. Selbst bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte und tyraminhaltige Lebensmittel meiden müsse, wäre noch eine Ersparnis von 1,64 € pro Monat bzw. 0,38 € pro Woche auf der Basis des jeweils billigsten verfügbaren Lebensmittels zu erwarten. Nur wenn eine abwechslungsreichere Kost erfolge, die nicht immer auf die wenigen preiswertesten Lebensmittel zurückgreife, sei von einem Mehrbedarf von durchschnittlich 20,04 € pro Monat bzw. 6,47 € pro Woche auszugehen. Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass gerade gereifte Käsesorten, die bei einer Tyraminunverträglichkeit zu meiden sind, laktosearm sind. Auch Bohnenprodukte, welche für die Eiweißversorgung bei einem Laktoseintoleranten günstig sind, sind nach den Aussagen des Sachverständigen bei einer konsequenten tyraminarmen Kost grundsätzlich zu meiden. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Kläger nach eigenen Angaben durchaus Hülsenfrüchte verzehrt und auch verträgt, da unter dieser Diät die vorher beklagten Beschwerden (insbesondere krampfhafte Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten) verschwunden sind. Dem Kläger steht damit auch unter Beachtung einer tyraminarmen Kost eine ausreichende Bandbreite an Produkten zur Verfügung, um seinen Nährstoffbedarf, insbesondere an Eiweiß und Kalzium, ohne laktosehaltige Milchprodukte zu decken. Da das Gesetz auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf abstellt, kann in diesem Zusammenhang allein darauf abgestellt werden, ob die mögliche Ernährung, den Nährstoffbedarf des Klägers ausreichend abdeckt. Ob der Kläger aus persönlichen Gründen auf bestimmte Produkte, wie z.B. laktosefreie Sahne oder laktosefreien Käse zurückgreifen möchte, insbesondere um in seiner Ernährung mehr Abwechslung zu haben, ist dagegen im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern ist es dem Kläger - wie jedem anderen Hilfebedürftigen auch, der eine besondere Ernährung wünscht - zuzumuten, sich durch Umschichtungen innerhalb der in der Regelleistung enthaltenen Beträge eine abwechslungsreichere, aber teurere Ernährung zu verschaffen.

58

Im Hinblick auf die Tyraminproblematik des Klägers hat der Sachverständige Meinhold im Übrigen ausgeführt, dass das Meiden von Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt des biogenen Amins Tyramin bei abortiver atypischer Dermatitis mit Juckreiz keine allgemeinwissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode sei. Hier sei eher der Einsatz von Antihistaminika sinnvoll und zielführend. Letztendlich entspricht dies auch der Empfehlung des Dermatologen Dr. Nolte. Hieraus folgt, dass dem Kläger bereits ohne Antihistaminika eine Diät zur Verfügung steht, welche ausreichend erscheint und keine Mehrkosten verursacht, wenn man berücksichtigt, dass er offensichtlich Hülsenfrüchte toleriert. Unter dem Einsatz der Antihistaminika wäre es sogar möglich, gereifte und damit laktosearme Käsesorten zu konsumieren und so ein breiteres Lebensmittelangebot zur Verfügung zu haben. Eventuelle Kosten für derartige Medikamente können dabei im Rahmen des Ernährungsmehrbedarfs nicht berücksichtigt werden, da es sich bei dem von Dr. Nolte erwähnten Antihistaminikum Telfast 180 um ein verschreibungspflichtiges Medikament und nicht um ein Lebensmittel handelt (zur Nichtberücksichtigung von Medikamenten im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235- = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 20; vgl. auch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rn. 31). Grundsätzlich wird die notwendige Krankenbehandlung des Klägers, der im streitigen Zeitraum als Leistungsempfänger nach dem SGB II in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert war, durch seine Krankenkasse sichergestellt. Soweit bestimmte Präparate zwar medizinisch notwendig, aber unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der GKV-Versicherten nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckt sind, sind diese aus der Regelleistung zu zahlen (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, a.a.O. Rn. 25, welches auch darauf hinweist, dass in der Regelleistung im streitigen Zeitraum für die Abteilung 06 auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 ein Gesamtbetrag in Höhe von 13,19 € berücksichtigt worden ist). Raum, z.B. für einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ist damit ebenfalls nicht (vgl. BSG, a.a.O.). Damit kann hier offen bleiben, in welchem Umfang dem Kläger möglicherweise durch die Einnahme von Antihistaminika Mehrkosten entstanden sind.

59

Im Ergebnis ist damit ein krankheitsbedingter Mehraufwand nicht nachgewiesen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass ein sich mit Fleisch und Fisch ernährender Hilfebedürftiger Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung hätte. Im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II können nur die dem Kläger tatsächlich entstehenden Mehrkosten berücksichtigt werden und nicht etwa Mehrkosten, die bei einer (fiktiv zugrunde gelegten) nicht vegetarischen Ernährung entstünden.

60

Auch im Übrigen sind die Leistungen des Klägers nicht zu niedrig bemessen worden. Die Kosten der Unterkunft sind im Zeitraum bis zum 31.07.2005 in Ausführung des vor dem SG Koblenz (S 13 AS 281/06) abgegebenen Anerkenntnisses vollständig übernommen worden, obwohl auch hier wohl ein Abzug für die Warmwasserbereitung vorzunehmen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die der Höhe der Regelleistungen ergibt sich kein höherer Leistungsanspruch. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 09.02.2010 die Regelleistungen mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, den Gesetzgeber jedoch lediglich verpflichtet, diese für die Zukunft neu festzusetzen und ihm eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2010 gesetzt (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 12 Rn. 16 f.). Im Übrigen hat das BVerfG mit Beschluss vom 24.3.2010 auch klargestellt, dass die in diesem Urteil geschaffene Härtefallregelung nicht rückwirkend für Zeiträume, die vor der Verkündung dieses Urteils liegen, gilt (1 BvR 395/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1).

61

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

62

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Die Ablehnung eines Mehrbedarfs beruht hier auf der individuellen Konstellation des Klägers, dass dieser als Vegetarier nicht nur Mehrkosten für laktosearme Lebensmittel sondern auch Einsparpotential durch den Verzicht auf Fisch und Fleisch hat.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung für die Zeit ab dem 1. März 2009.
Die 1962 geborene Klägerin stand im Bezug laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - bei der Beklagten. Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 11. Februar 2009 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 6. März 2009 für den Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in monatlicher Höhe von 643,50 EUR (351,-- EUR Regelleistung und 292,50 EUR Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung). Zur näheren Erläuterung hieß es im Bescheid weiter: Nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen habe aufgrund der Erkrankung der Klägerin erhöhter Ernährungsbedarf bestanden, so dass ein pauschaler Mehrbedarf bewilligt worden sei. Nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen sei indes nicht mehr von einem erhöhten Ernährungsbedarf auszugehen. Diese Erkenntnisse seien in die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1. Oktober 2008 eingeflossen. Bei der Zahlung des Mehrbedarfs orientiere sich die Beklagte an den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Diese seien im Internet einsehbar, ebenso aber auch bei der Beklagten.
Darauf erwiderte die Klägerin unter dem 17. März 2009 schriftlich, ihr Mehrbedarf für Ernährung sei anerkannt; ein entsprechendes ärztliches Attest liege der Beklagten vor. Daher beantrage sie weiter den Ernährungsmehrbedarf zu bewilligen. Mit Schreiben vom 20. März 2009 erwiderte die Beklagte wegen des abermals geltend gemachten Mehrbedarfs werde auf das Schreiben vom 5. März 2009 (gemeint 6. März 2009) Bezug genommen.
Den daraufhin von der Klägerin am 2. April 2009 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es, aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung der Klägerin sei zu ersehen, dass diese an Hyperlipidämie erkrankt sei. Angezeigt sei deshalb eine cholesterinarme Kost. Ein krankheitsbedingter erhöhter Ernährungsaufwand sei durch eine cholesterinarme Ernährung aber nicht gegeben. Vielmehr reiche das Weglassen cholesterinreicher Nahrungsmittel aus. Ein krankheitsbedingter erhöhter Ernährungsaufwand lasse sich auf der Grundlage der maßgeblichen Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1. Oktober 2008 nicht begründen. Der Widerspruchsbescheid wurde am 19.05.2009 an die Klägerin abgesandt.
Am 16. Juni 2009 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erheben lassen.
Die Klägerin ist weiter der Auffassung, die bei ihr vorliegende Hyperlipidämie, die die Beklagte ja anerkenne, löse einen krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf aus. Dies ergebe sich aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung von Dr. L.. Sie leide zudem an einer Lactoseintoleranz. Ca. 30 Minuten nach Zufuhr von Lactose komme es bei ihr zu einem spürbaren Anstieg der Wasserstoffatemgaskonzentration. Dies spreche für das Vorliegen einer Milchzuckerunverträglichkeit. Außerdem bedürfe sie kostenaufwendiger probiotischer Nahrungsergänzungsmittel. Weitere Beweiserhebung durch die Einholung ärztlicher Auskünfte sei angezeigt.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 6. März 2009 und 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf für den Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 gemäß § 21 Abs. 5 SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Sie bezieht sich auf die den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegenden Ausführungen.
12 
Das Gericht hat die von der Klägerin als behandelnde Ärzte benannten Mediziner im Wege schriftlicher sachverständiger Zeugenaussagen vernommen.
13 
Der Allgemeinmediziner Dr. Z. hat dem Gericht unter dem 18. Dezember 2009 berichtet, die Klägerin im Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2008 ambulant behandelt zu haben. Bezüglich der bei ihr vorliegenden Refluxkrankheit sei Schonkost im Sinne einer Minderung der Säurebelastung sinnvoll. Bei fortgesetztem Nikotinabusus, wie er bei der Klägerin vorliege, sei jedoch die Wirksamkeit einer solchen Magenschonkost nur bedingt effektiv.
14 
Der Allgemeinmediziner und Anästhesiologe Dr. L. hat dem Gericht unter dem 17. März 2010 mitgeteilt, die Klägerin erstmalig am 6. Dezember 2008 und letztmalig am 30. November 2009 behandelt zu haben. Er habe bei ihr ein Reizdarmsyndrom bei Dysbiose (Gleichgewichtsstörung der Darmflora), eine Hypercholesterinämie, Nikotinabusus, ein Brust- und Halswirbelsäulen-Syndrom, Brustschmerzen links, Verdacht auf Endometriose, Gastroenteritis und Lactoseintoleranz diagnostiziert. Eine Besserung der Beschwerden durch die Dysbiose sei bei Einhaltung einer besonderen Kostform oder das Weglassen bestimmter Nahrungsmittel oder eine Nikotinkarenz nicht wahrscheinlich. Lediglich bezüglich der durch die Lactoseintoleranz verursachten Beschwerden sei eine Besserung durch Weglassen von lactosehaltigen Nahrungsmitteln zu erwarten. Eine Ernährungstherapie bezüglich der Hypercholesterinämie sei bei der Klägerin durch das Weglassen cholesterinhaltiger Lebensmittel möglich. Aus medizinischen Gründen halte er bei der Klägerin aber die Einnahme von probiotischen Nahrungsergänzungsmitteln für erforderlich.
15 
In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende zwei Studien zur Milchzucker-unverträglichkeit (Prof. Dr. H., Juli 2004 und Dr. L.2009) auszugsweise verlesen und den Beteiligten ausgehändigt.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakten und den Inhalt der Prozessakte (S 4 AS 2626/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
18 
Die Bescheide der Beklagten vom 6. März 2009 und 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2009 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann von der Beklagten für den vorliegenden streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 keinen krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf verlangen. Krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf gemäß § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Der Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II, der zum notwendigen Existenzminimum gehört, setzt voraus, dass die hilfebedürftige Personwegen einer Krankheit oder Behinderung eine besondere Ernährung benötigt und dass diese Ernährung tatsächlich kostenaufwändiger als die eines Gesunden oder Nichtbehinderten ist. Der Kostenvergleich bezieht sich auf den in der Pflegeleistung anerkannten Betrag für Ernährung und Getränke. Die Anerkennung eines Mehrbedarfs ist begrifflich immer nur in Bezug auf diesen Regelbedarfsbetrag möglich.
19 
Wie sich der Mehrbedarf konkret zusammensetzt und welche Mehrkosten er verursacht, ist eine Tatsachenfrage (vgl. Landessozialgericht Sachsen, Beschluss vom 13. Februar 2009, L 3 B 428/08 AS - NZW), die im Schwerpunkt von der Ernährungswissenschaft unter Zugrundelegung ernährungsmedizinischer Erkenntnisse sowie unter Berücksichtigung der Preisentwicklung für die benötigen Nahrungsmittel zu beantworten ist.
20 
Den Gesetzesmaterialien zur analogen Regelung in § 30 Abs. 5 SGB XII (Bundestagsdrucksache 15/1516, Seite 57) können bei der Bestimmung der Angemessenheit des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung dazu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge an typisierten Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen für die dort gelisteten Gesundheitsstörungen zumindest als Orientierungs- und Auslegungshilfe herangezogen werden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juli 2009, L 12 AS 3241/08, JURIS Rn. 26 und Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2007, L 7 SO 2196/07, JURIS). Auf die aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Auflage, 1. Oktober 2008) wird Bezug genommen. Aus Gründen der Gleichbehandlung - Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - aller Hilfebedürftigen mit Anspruch auf krankheitsbedingtem Ernährungsmehrbedarf legt das erkennende Gericht die Empfehlungen des Deutschen Vereins für Krankenkostzulagen seiner Entscheidung zugrunde.
21 
Auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins greift sowohl die Gesetzgebung (vgl. Bundestagsdrucksache, a. a. O.) als auch nach wie vor ganz überwiegend die Literatur zurück (vgl. nur Grube, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2010, § 30 Rn. 44 ff m. w. N.). Ein Abweichen von diesen Empfehlungen ist unabhängig von ihrer Rechtsnatur begründungsbedürftig und setzt entsprechende Fachkompetenz voraus, die im sozialgerichtlichen Verfahren entweder einzuholen oder im Falle eigener Sachkunde des Gerichts darzulegen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 20. Juni 2006, 1 BvR 2673/05, JURIS, Rn. 19).
22 
An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, kann ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf der Klägerin gemäß § 21 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab dem 1. März 2009 nicht anerkannt werden. Hinsichtlich der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung an Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie ergibt sich dies bereits aus Nummer 4.1 der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen vom 1. Oktober 2008, wonach bei diesen Erkrankungen ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand grundsätzlich zu verneinen ist. Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie erfordern keinen höheren Aufwand für eine Vollkost, als durch den auf der Grundlage der EVS 2003 dafür bemessenen Regelsatzanteil im Rahmen der Grundsicherungsleistungen.
23 
Hinsichtlich der Refluxkrankheit der Klägerin empfiehlt der die Klägerin bis Juni 2008 behandelnde Allgemeinmediziner Dr. Z.zwar eine Schonkost zur Minderung der Säurebelastung, fügt aber gleichzeitig einschränkend hinzu, dass auch eine solche Schonkost wegen des Nikotinabusus der Klägerin nur bedingt effektiv ist. Schon deshalb hat das erkennende Gericht Zweifel an der konkreten Geeignetheit der Erforderlichkeit einer Schonkost. Diese Zweifel verdichten sich unter Berücksichtigung der weiteren Tatsache, dass sich die Klägerin bereits seit Juli 2008 nicht mehr in Behandlung von Dr. Z. befindet, zur Gewissheit. Streitgegenständlich ist vorliegend für die Gewährung von krankheitsbedingtem Ernährungsmehrbedarf erst der Zeitraum ab dem 1. März 2009. Für diesen Zeitraum aber ist eine Refluxstörung der Klägerin durch die sie behandelnden Ärzte nicht mehr gerichtsfest dokumentiert (vgl. insbesondere sachverständige Zeugenaussage von Dr. L. vom 17. März 2010).
24 
Auch die erstmals von Dr. L. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 17. März 2010 dokumentierte Lactoseintoleranz rechtfertigt vorliegend nicht die Gewährung eines krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II. In den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1. Oktober 2008 finden sich zwar keine Ausführungen über einen Mehrbedarf bei Lactoseunverträglichkeit. Unter Nummer 5 der Ausführungen des Deutschen Vereins wird aber für Erkrankungen, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Humanmedizin keiner spezifischen Diät, sondern einer sogenannten „Vollkost“ bedürfen, ein Mehrbedarf regelmäßig verneint. Ausgenommen hiervon sind nach Nummer 4.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins verzehrende Erkrankungen, die mit gestörter Nährstoffaufnahme oder Nährstoffernährung einhergehen. Beispielsweise aufgezählt werden in diesem Zusammenhang fortschreitende oder fortgeschrittene Krebsleiden, HIV- und Aids-Erkrankungen, Erkrankungen an Multipler Sklerose sowie schwere Verläufe entzündlicher Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
25 
Mit solchen regelmäßig schweren Krankheitsbildern ist eine bloße Lactoseintoleranz in keiner Weise vergleichbar. Bei der Lactoseunverträglichkeit handelt es um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit (vgl. ebenso Sozialgericht Berlin, Urteil vom 9. Oktober 2006, S 101 AS 862/06, JURIS, Rn. 16). In Deutschland leiden schätzungsweise 15 v.H. der Bevölkerung an einer Laktoseintoleranz (Dr. L., www.netdoktor.de unter Hinweis auf Hutyra et al: Lactose intolerance: pathophysiology, clinical symptoms, diagnosis and treatment, 2009, S. 148-152). Der Milchzuckerunverträglichkeit kann durch die Vermeidung von lactosehaltiger Kost begegnet werden. Lactosefreie Kost für Erwachsene ist tatsächlich auch keineswegs kostenaufwändiger als lactosehaltige Nahrung. Der Klägerin ist deshalb ein Ausweichen auf die in vielen Discountern inzwischen angebotene kostengünstige lactosefreie Kost und insbesondere auch auf sojabasierte Produkte zuzumuten. Lactosefrei sind neben Sojaprodukten insbesondere folgende Nahrungsmittel: lactosefreie Milch, Fleisch und Fisch, roher und gekochter Schinken, Braten, Rauchfleisch, alle Pflanzenöle, Pflanzenmargarine, alle Getreide- und Mehlsorten, Reis, Mais, Haferflocken, Brot- und Gebäcksorten (soweit ohne Kuhmilch gebacken), Kartoffeln, alle Gemüse und Hülsenfruchtsorten, alle Obstsorten, Nüsse sowie Fruchtbonbons, Gummibärchen und Marmelade (vgl. Prof. Dr. H., Essen und Trinken bei Laktoseintoleranz, Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin, TU München, 2004). Damit steht der Klägerin ein weites Feld an zum Teil sehr kostengünstigen Nahrungsmitteln für eine in jeder Hinsicht ausgewogene Ernährung offen, so dass sich ein krankheitsbedingter Mehrbedarf nicht begründen lässt. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass auch Dr. L. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 17. März 2010 körperliche Folgen der Lactoseintoleranz der Klägerin, etwa durch vermehrte Diarrhoen oder Ostipationen, nicht mitteilt.
26 
Schließlich ist auch ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf im Hinblick auf die von Dr. L. (sachverständige Zeugenaussage vom 17. März 2010) für erforderlich gehaltene „Therapie der Einnahme von probiotischen Nahrungsergänzungsmitteln“ abzulehnen. § 21 Abs. 5 SGB II ist schon dem Grunde nach auf den Ausgleich der Kosten für Ernährung beschränkt (vgl. Breitkreuz, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, SGB II, 01.03.2011, § 21 Rn. 16; Düring, in Gagel, SGB II, Kommentar, 2010, § 21 Rn. 32; Lang/Kniekrehm, in Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2008, § 21 Rn. 51); einer Erweiterung des Anspruchs im Wege der Auslegung auf andere medizinisch bedingte Bedarfe in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, Appetitzüglern oder Abführmitteln steht die Subsidiaritätsklausel des § 3 Abs. 3 SGB II entgegen (wie hier: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. April 2007, L 19 B 400/07 B, JURIS).
27 
Danach hat die Klage keinen Erfolg haben können.
28 
Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin beruht auf § 193 SGG.
29 
Im Hinblick auf den monatlich geltend gemachten Mehraufwand für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 33,06 EUR wird gerechnet auf den maßgeblichen streitgegenständlichen Zeitraum von sechs Monaten (1. März 2009 bis 31. August 2009) der Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,-- EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) nicht erreicht. Demzufolge bedürfte die Berufung der Zulassung. Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG vermag das Gericht aber nicht zu erkennen. Dementsprechend ist die Zulassung der Berufung zu versagen gewesen.

Gründe

 
17 
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
18 
Die Bescheide der Beklagten vom 6. März 2009 und 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2009 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann von der Beklagten für den vorliegenden streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 keinen krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf verlangen. Krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf gemäß § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Der Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II, der zum notwendigen Existenzminimum gehört, setzt voraus, dass die hilfebedürftige Personwegen einer Krankheit oder Behinderung eine besondere Ernährung benötigt und dass diese Ernährung tatsächlich kostenaufwändiger als die eines Gesunden oder Nichtbehinderten ist. Der Kostenvergleich bezieht sich auf den in der Pflegeleistung anerkannten Betrag für Ernährung und Getränke. Die Anerkennung eines Mehrbedarfs ist begrifflich immer nur in Bezug auf diesen Regelbedarfsbetrag möglich.
19 
Wie sich der Mehrbedarf konkret zusammensetzt und welche Mehrkosten er verursacht, ist eine Tatsachenfrage (vgl. Landessozialgericht Sachsen, Beschluss vom 13. Februar 2009, L 3 B 428/08 AS - NZW), die im Schwerpunkt von der Ernährungswissenschaft unter Zugrundelegung ernährungsmedizinischer Erkenntnisse sowie unter Berücksichtigung der Preisentwicklung für die benötigen Nahrungsmittel zu beantworten ist.
20 
Den Gesetzesmaterialien zur analogen Regelung in § 30 Abs. 5 SGB XII (Bundestagsdrucksache 15/1516, Seite 57) können bei der Bestimmung der Angemessenheit des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung dazu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge an typisierten Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen für die dort gelisteten Gesundheitsstörungen zumindest als Orientierungs- und Auslegungshilfe herangezogen werden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juli 2009, L 12 AS 3241/08, JURIS Rn. 26 und Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2007, L 7 SO 2196/07, JURIS). Auf die aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Auflage, 1. Oktober 2008) wird Bezug genommen. Aus Gründen der Gleichbehandlung - Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - aller Hilfebedürftigen mit Anspruch auf krankheitsbedingtem Ernährungsmehrbedarf legt das erkennende Gericht die Empfehlungen des Deutschen Vereins für Krankenkostzulagen seiner Entscheidung zugrunde.
21 
Auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins greift sowohl die Gesetzgebung (vgl. Bundestagsdrucksache, a. a. O.) als auch nach wie vor ganz überwiegend die Literatur zurück (vgl. nur Grube, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2010, § 30 Rn. 44 ff m. w. N.). Ein Abweichen von diesen Empfehlungen ist unabhängig von ihrer Rechtsnatur begründungsbedürftig und setzt entsprechende Fachkompetenz voraus, die im sozialgerichtlichen Verfahren entweder einzuholen oder im Falle eigener Sachkunde des Gerichts darzulegen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 20. Juni 2006, 1 BvR 2673/05, JURIS, Rn. 19).
22 
An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, kann ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf der Klägerin gemäß § 21 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab dem 1. März 2009 nicht anerkannt werden. Hinsichtlich der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung an Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie ergibt sich dies bereits aus Nummer 4.1 der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen vom 1. Oktober 2008, wonach bei diesen Erkrankungen ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand grundsätzlich zu verneinen ist. Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie erfordern keinen höheren Aufwand für eine Vollkost, als durch den auf der Grundlage der EVS 2003 dafür bemessenen Regelsatzanteil im Rahmen der Grundsicherungsleistungen.
23 
Hinsichtlich der Refluxkrankheit der Klägerin empfiehlt der die Klägerin bis Juni 2008 behandelnde Allgemeinmediziner Dr. Z.zwar eine Schonkost zur Minderung der Säurebelastung, fügt aber gleichzeitig einschränkend hinzu, dass auch eine solche Schonkost wegen des Nikotinabusus der Klägerin nur bedingt effektiv ist. Schon deshalb hat das erkennende Gericht Zweifel an der konkreten Geeignetheit der Erforderlichkeit einer Schonkost. Diese Zweifel verdichten sich unter Berücksichtigung der weiteren Tatsache, dass sich die Klägerin bereits seit Juli 2008 nicht mehr in Behandlung von Dr. Z. befindet, zur Gewissheit. Streitgegenständlich ist vorliegend für die Gewährung von krankheitsbedingtem Ernährungsmehrbedarf erst der Zeitraum ab dem 1. März 2009. Für diesen Zeitraum aber ist eine Refluxstörung der Klägerin durch die sie behandelnden Ärzte nicht mehr gerichtsfest dokumentiert (vgl. insbesondere sachverständige Zeugenaussage von Dr. L. vom 17. März 2010).
24 
Auch die erstmals von Dr. L. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 17. März 2010 dokumentierte Lactoseintoleranz rechtfertigt vorliegend nicht die Gewährung eines krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II. In den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1. Oktober 2008 finden sich zwar keine Ausführungen über einen Mehrbedarf bei Lactoseunverträglichkeit. Unter Nummer 5 der Ausführungen des Deutschen Vereins wird aber für Erkrankungen, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Humanmedizin keiner spezifischen Diät, sondern einer sogenannten „Vollkost“ bedürfen, ein Mehrbedarf regelmäßig verneint. Ausgenommen hiervon sind nach Nummer 4.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins verzehrende Erkrankungen, die mit gestörter Nährstoffaufnahme oder Nährstoffernährung einhergehen. Beispielsweise aufgezählt werden in diesem Zusammenhang fortschreitende oder fortgeschrittene Krebsleiden, HIV- und Aids-Erkrankungen, Erkrankungen an Multipler Sklerose sowie schwere Verläufe entzündlicher Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
25 
Mit solchen regelmäßig schweren Krankheitsbildern ist eine bloße Lactoseintoleranz in keiner Weise vergleichbar. Bei der Lactoseunverträglichkeit handelt es um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit (vgl. ebenso Sozialgericht Berlin, Urteil vom 9. Oktober 2006, S 101 AS 862/06, JURIS, Rn. 16). In Deutschland leiden schätzungsweise 15 v.H. der Bevölkerung an einer Laktoseintoleranz (Dr. L., www.netdoktor.de unter Hinweis auf Hutyra et al: Lactose intolerance: pathophysiology, clinical symptoms, diagnosis and treatment, 2009, S. 148-152). Der Milchzuckerunverträglichkeit kann durch die Vermeidung von lactosehaltiger Kost begegnet werden. Lactosefreie Kost für Erwachsene ist tatsächlich auch keineswegs kostenaufwändiger als lactosehaltige Nahrung. Der Klägerin ist deshalb ein Ausweichen auf die in vielen Discountern inzwischen angebotene kostengünstige lactosefreie Kost und insbesondere auch auf sojabasierte Produkte zuzumuten. Lactosefrei sind neben Sojaprodukten insbesondere folgende Nahrungsmittel: lactosefreie Milch, Fleisch und Fisch, roher und gekochter Schinken, Braten, Rauchfleisch, alle Pflanzenöle, Pflanzenmargarine, alle Getreide- und Mehlsorten, Reis, Mais, Haferflocken, Brot- und Gebäcksorten (soweit ohne Kuhmilch gebacken), Kartoffeln, alle Gemüse und Hülsenfruchtsorten, alle Obstsorten, Nüsse sowie Fruchtbonbons, Gummibärchen und Marmelade (vgl. Prof. Dr. H., Essen und Trinken bei Laktoseintoleranz, Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin, TU München, 2004). Damit steht der Klägerin ein weites Feld an zum Teil sehr kostengünstigen Nahrungsmitteln für eine in jeder Hinsicht ausgewogene Ernährung offen, so dass sich ein krankheitsbedingter Mehrbedarf nicht begründen lässt. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass auch Dr. L. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 17. März 2010 körperliche Folgen der Lactoseintoleranz der Klägerin, etwa durch vermehrte Diarrhoen oder Ostipationen, nicht mitteilt.
26 
Schließlich ist auch ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf im Hinblick auf die von Dr. L. (sachverständige Zeugenaussage vom 17. März 2010) für erforderlich gehaltene „Therapie der Einnahme von probiotischen Nahrungsergänzungsmitteln“ abzulehnen. § 21 Abs. 5 SGB II ist schon dem Grunde nach auf den Ausgleich der Kosten für Ernährung beschränkt (vgl. Breitkreuz, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, SGB II, 01.03.2011, § 21 Rn. 16; Düring, in Gagel, SGB II, Kommentar, 2010, § 21 Rn. 32; Lang/Kniekrehm, in Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2008, § 21 Rn. 51); einer Erweiterung des Anspruchs im Wege der Auslegung auf andere medizinisch bedingte Bedarfe in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, Appetitzüglern oder Abführmitteln steht die Subsidiaritätsklausel des § 3 Abs. 3 SGB II entgegen (wie hier: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. April 2007, L 19 B 400/07 B, JURIS).
27 
Danach hat die Klage keinen Erfolg haben können.
28 
Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin beruht auf § 193 SGG.
29 
Im Hinblick auf den monatlich geltend gemachten Mehraufwand für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 33,06 EUR wird gerechnet auf den maßgeblichen streitgegenständlichen Zeitraum von sechs Monaten (1. März 2009 bis 31. August 2009) der Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,-- EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) nicht erreicht. Demzufolge bedürfte die Berufung der Zulassung. Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG vermag das Gericht aber nicht zu erkennen. Dementsprechend ist die Zulassung der Berufung zu versagen gewesen.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

(1) Leistungen nach diesem Buch werden auf Antrag erbracht. Leistungen nach § 24 Absatz 1 und 3 und Leistungen für die Bedarfe nach § 28 Absatz 5 sind gesondert zu beantragen.

(2) Leistungen nach diesem Buch werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück. Wird ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen einzelnen Monat gestellt, in dem aus Jahresabrechnungen von Heizenergiekosten oder aus der angemessenen Bevorratung mit Heizmitteln resultierende Aufwendungen für die Heizung fällig sind, wirkt dieser Antrag, wenn er bis zum Ablauf des dritten Monats nach dem Fälligkeitsmonat gestellt wird, auf den Ersten des Fälligkeitsmonats zurück. Satz 3 gilt nur für Anträge, die bis zum 31. Dezember 2023 gestellt werden.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 29.3. bis 30.11.2007. Streitig ist dabei, ob dem im streitigen Zeitraum drei bzw vier Jahre alten Kläger zu 4 ein Mehrbedarf gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II nach Anerkennung des Merkzeichens "G" zusteht.

2

Die Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern des 1998 geborenen Klägers zu 3 und des am 21.5.2003 geborenen Klägers zu 4. Die Kläger standen im streitgegenständlichen Zeitraum im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei dem Beklagten. Der Kläger zu 4 leidet an einer allgemeinen Entwicklungsstörung mit motorischer Unruhe, Aufmerksamkeitsdefizit, Verdauungsstörungen, Zöliakie, Wachstumsstörung und infektabhängigem Asthma bronchiale. Durch Bescheid des Versorgungsamtes G vom 11.5.2007 ist er ab dem 29.3.2007 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 und den Merkzeichen "G" und "B" anerkannt. Der Kläger zu 1 ging im streitigen Zeitraum einer Erwerbstätigkeit nach, aus der er monatlich wechselndes Nettoarbeitseinkommen bei einem gleichbleibenden Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1340 Euro erzielte.

3

Der Beklagte bewilligte zunächst durch Bescheid vom 30.10.2006 den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit von Dezember 2006 bis zum 31.5.2007. In der Folgezeit bis zum 13.4.2007 erließ der Beklagte insgesamt fünf Änderungsbescheide, in denen er jeweils nach Vorlage von Lohnabrechnungen durch den Kläger zu 1 eine Neuberechnung unter Berücksichtigung des wechselnden Einkommens vornahm. Der Beklagte erließ sodann am 7.5.2007 einen weiteren Änderungsbescheid, in dem er die Leistungen für sämtliche Monate von Dezember 2006 bis Mai 2007 neu berechnete. Der Beklagte ging dabei von einem monatlichen Bedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1673,66 Euro aus. Dabei legte er für die Kläger zu 1 und 2 jeweils eine Regelleistung von 311 Euro gemäß § 20 Abs 3 SGB II und für die Kläger zu 3 und 4 eine Regelleistung gemäß § 28 Abs 1 Nr 1 SGB II in Höhe von jeweils 207 Euro zu Grunde. Außerdem berücksichtigte er bei dem Kläger zu 4 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich 66,74 Euro. Die angemessenen Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 SGB II wurden in Höhe von monatlich 571,19 Euro festgesetzt. Als Einkommen wurde neben dem Kindergeld für die Kläger zu 3 und 4 in Höhe von insgesamt 308 Euro das vom Kläger zu 1 erzielte Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 1115 Euro (März 2007), 1075,27 Euro (April 2007) und 1200 Euro (Mai 2007) jeweils abzüglich eines Freibetrags in Höhe von 294 Euro berücksichtigt. Außerdem berücksichtigte der Beklagte in den Monaten März und April 2007 aus einer im Dezember 2006 erfolgten Überzahlung 127,86 Euro bzw 127,88 Euro als Einkommen. Am 18.6.2007 erließ der Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid, in dem er eine Neuberechnung für den Monat Mai 2007 vornahm, bei der er nunmehr ein Nettoarbeitsentgelt von 1207,76 Euro bei dem Kläger zu 1 zu Grunde legte.

4

Der Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 17.4.2007 den Klägern Leistungen für den Zeitraum vom 1.6. bis 30.11.2007. Dabei legte er für den Monat Juni 2007 für die Bedarfsgemeinschaft einen Gesamtbedarf von 1673,66 Euro zu Grunde. Für die Zeit ab dem 1.7. bis zum 30.11.2007 ging er von einem Gesamtbedarf in Höhe von 1680,12 Euro monatlich aus. Der um 6,46 Euro erhöhte Bedarf ergab sich aus der ab dem 1.7.2007 um jeweils 1 Euro erhöhten Regelleistung sowie dem um 2,46 Euro höheren Bedarf für Unterkunft und Heizung. Der Beklagte ging dabei von einem erzielten Nettoarbeitseinkommen des Klägers zu 1 in Höhe von 1200 Euro abzüglich eines Freibetrags in Höhe von 294 Euro aus. In der Folgezeit erließ der Beklagte für den Leistungszeitraum vom 1.6. bis 30.11.2007 insgesamt acht Änderungsbescheide, in denen er eine Neuberechnung unter Berücksichtigung des vom Kläger zu 1 monatlich in wechselnder Höhe erzielten Einkommens vornahm (Juni: 1141,59 Euro, Juli: 1054,82 Euro, August: 1078,72 Euro, September: 1183,22 Euro, Oktober: 923,63 Euro, November: 1148,55 Euro).

5

Am 18.5.2007 legten die Kläger bei dem Beklagten den Bescheid des Versorgungsamts Gelsenkirchen vom 11.5.2007 vor, mit dem dieses bei dem Kläger zu 4 einen GdB von 70 sowie die Erfüllung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" rückwirkend zum 29.3.2007 festgestellt hatte. Die Kläger beantragten deshalb die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Kläger zu 4. Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 14.8.2007 den Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen mit dem Merkzeichen "G" ab. Der Kläger zu 4 werde gerade erst fünf Jahre alt. Der Mehrbedarf sei für Kinder unter 15 Jahren nicht vorgesehen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.8.2007).

6

Hiergegen haben die Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben, das diese durch Urteil vom 19.2.2008 abgewiesen hat. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klage sei bezüglich der Zeiträume ab dem 1.6.2007 bereits unzulässig. Der Regelungsgegenstand eines Bescheides über Mehrbedarf beschränke sich jeweils auf den bei der Antragstellung geltenden Bewilligungsbescheid über die laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bei Beantragung des Mehrbedarfs am 18.5.2007 sei maßgebend der Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 1.12.2006 bis 31.5.2007 gewesen. Die Kläger müssten sich bezüglich eines Mehrbedarfs für die Zeit ab dem 1.6.2007 gegen die für diesen Zeitraum ergangenen weiteren Bescheide über die laufenden Leistungen wenden. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II in der Person des Klägers zu 4 nicht vor. Bei dem Kläger zu 4 handele es sich von vornherein um eine nicht erwerbsfähige Person iS des SGB II, für die § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II nicht einschlägig sei.

7

Die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 11.12.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es zunächst ausgeführt, streitiger Zeitraum sei hier der Zeitraum vom 29.3. bis zum 30.11.2007. Der Beklagte habe mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.8.2007 eine Regelung hinsichtlich des gesamten streitigen Zeitraums getroffen. Es bestehe jedoch kein Anspruch der Kläger auf höhere Leistungen. Der monatliche Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, die angemessenen Kosten der Unterkunft und die Nebeneinkommen des Klägers zu 1 seien für den gesamten Zeitraum zutreffend berücksichtigt und berechnet worden. Darüber hinaus bestehe kein weiterer Bedarf. Der im Jahre 2003 geborene Kläger zu 4 habe insbesondere keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II. Der Kläger zu 4 sei keine "nicht erwerbsfähige Person" im Sinne dieser Vorschrift. Der Begriff der Erwerbsfähigkeit sei in § 8 Abs 1 SGB II definiert. Hiernach sei erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hieraus ergebe sich im Umkehrschluss auch eine Definition der Nichterwerbsfähigkeit, die im Wesentlichen dem Begriff der vollen Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) entspreche, auf den die Parallelvorschrift für die Sozialhilfe (§ 30 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abstelle. Das Vorliegen von Nichterwerbsfähigkeit iS von § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II setze mithin voraus, dass es an der Fähigkeit zur Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes gerade auf Grund von Krankheit oder Behinderung mangele. So verhalte es sich bei dem im streitigen Zeitpunkt vierjährigen Kläger zu 4 gerade nicht, denn dieser sei von vornherein außer Stande, erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich jedoch nicht daraus, dass er krank oder behindert sei. Vielmehr sei jedes, auch ein völlig gesundes vierjähriges Kind, nicht erwerbsfähig.

8

Schon aus Gleichheitsgründen sei es geboten, den Mehrbedarf in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II unter denselben Voraussetzungen zu gewähren wie denjenigen im Sozialhilferecht nach § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII. Für den Bereich des SGB XII sei aber unstreitig, dass nur Personen, die im Sinne des Rentenversicherungsrechts voll erwerbsgemindert seien, den Mehrbedarf erhalten können. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Mehrbedarfs für Nichterwerbsfähige mit dem Merkzeichen "G" im SGB II komme ein anderes Ergebnis nicht in Betracht.

9

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Sie rügen eine Verletzung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II. Zur Begründung führen sie aus, die Beschränkung der Gewährung des Mehrbedarfszuschlags auf Personen, die älter als 15 Jahre sind, überzeuge nicht. Unter den Begriff des nicht erwerbsfähigen Angehörigen iS des § 28 Abs 1 Satz 1 SGB II fielen auch Minderjährige, sodass es keinen Grund gebe, den in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II enthaltenen Begriff der "nicht erwerbsfähigen Person" anders auszulegen. Insbesondere könne keine Altersgrenze in die Vorschrift hineingelesen werden. Dies ergebe sich auch aus einem Vergleich der in Nr 2 und Nr 4 des § 28 SGB II geregelten Mehrbedarfe. Während in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II ausdrücklich geregelt sei, dass der darin enthaltene Mehrbedarf nur Personen zustehe, die das 15. Lebensjahr vollendet hätten, fehle eine entsprechende Regelung in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies ein gesetzgeberisches Versehen sei. In der Gesetzesbegründung zu § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Mehrbedarf erst nach Vollendung des 15. Lebensjahres zustehen solle (BT-Drucks 16/1410, S 25 zu Buchst a). Wenn der Gesetzgeber eine überschaubare Vorschrift abändere und in einer Ziffer gezielt eine Altersgrenze einfüge, so sei davon auszugehen, dass er die identische bzw die vom LSG hineininterpretierte Altersgrenze in die übernächste Ziffer ebenfalls eingefügt hätte, wenn eine solche Altersgrenze beabsichtigt gewesen wäre. Im Übrigen gehe die Gewährung der Mehrbedarfe im SGB II so weit, dass sogar solche Personen, die prinzipiell vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien, durch den Mehrbedarf wieder in das SGB II-Leistungssystem insgesamt einbezogen werden können. Dies gelte insbesondere für den Mehrbedarf für Alleinerziehende, der auch die Situation des Kindes berühre, sodass der Leistungsausschluss des § 7 Abs 5 SGB II nicht greife mit der Konsequenz, dass das minderjährige Kind aus dem Leistungssystem des SGB XII in dasjenige des SGB II gelangen könne. Der Mehrbedarf könne demnach einen eigenen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Alg II) begründen. Von daher überzeuge der Hinweis des LSG auf die strukturellen Unterschiede zwischen SGB II und SGB XII nicht. Der Begriff "nicht erwerbsfähige Person" beziehe sich im SGB II allgemein auf Bezieher von Sozialgeld, worunter gerade nicht zwingend erwerbsunfähige Menschen im medizinischen Sinne fallen würden. Alle Menschen, also auch Kinder bis zum 15. Geburtstag, hätten einen Anspruch auf Zuschlag nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II, wenn sie schwerbehindert mit Merkzeichen "G" oder "aG" seien. Nur durch die Gewährung solcher Mehrbedarfe für schwerbehinderte Kinder könne das Existenzminimum und der gesteigerte Bedarf von schwerbehinderten Kindern und damit ein Leben im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums (Art 1 Grundgesetz) sichergestellt werden. Im Übrigen müsse die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) geschaffene Härtefallregelung auf ihn Anwendung finden.

10

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2008 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. Februar 2008 aufzuheben. Den Bescheid des Beklagten vom 14. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Änderung aller Bewilligungs- und Änderungsbescheide für den Zeitraum vom 29. März bis zum 30. November 2007 den Klägern zusätzlich Leistungen in Höhe von 17 % der für den Kläger zu 4 maßgeblichen Regelleistung wegen eines Mehrbedarfs nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II zu bewilligen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Revision der Kläger zurückzuweisen.

12

Er beruft sich auf das angefochtene Urteil des LSG.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Kläger ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass den Klägern keine höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Kläger zu 4 gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II(idF, die die Norm des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706 erhalten hat) zustehen (vgl unter 2.). Zu Recht hat das LSG entschieden, dass der im Jahre 2003 geborene Kläger zu 4 keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II (alter Fassung) hat, weil er keine "nicht erwerbsfähige Person" im Sinne dieser Vorschrift ist (vgl unter 3.). Dem Kläger zu 4 steht auch der vom BVerfG am 9.2.2010 (aaO) geschaffene Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs nicht zu (hierzu unter 4.).

14

1. Streitiger Zeitraum ist der Zeitraum vom 29.3. bis zum 30.11.2007. Das Versorgungsamt hat durch Bescheid vom 11.5.2007 rückwirkend ab dem 29.3.2007 das Vorliegen des Merkzeichens "G" beim Kläger zu 4 festgestellt. Die Kläger haben zwar umgehend (am 18.5.2007) unter Vorlage dieses Bescheids einen "Antrag" bei dem Beklagten gestellt. Eines solchen Antrags hätte es jedoch im Lichte des § 37 SGB II nicht bedurft. Wie der Senat zuletzt entschieden hat (Urteil vom 23.3.2010 - B 14 AS 6/09 R) ist der Antrag im SGB II jeweils so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (Grundsatz der Meistbegünstigung, vgl Urteil des Senats vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R und Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217, 230 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 11). Als beantragt sind dementsprechend alle Leistungen anzusehen, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen. Das sind bei einem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig alle im ersten und zweiten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels SGB II genannten Leistungen. Mit dem Antrag wird mithin ein Hilfebedarf geltend gemacht, der alle Leistungen umfasst, die der Sicherung des Lebensunterhalts in Form des Alg II dienen. Auch bei dem Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II handelt es sich um eine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Diese Leistung muss von daher nicht gesondert beantragt werden. Ein solches Erfordernis lässt sich jedenfalls § 37 SGB II nicht entnehmen.

15

Das LSG hat auch zu Recht die Kläger zu 1 bis 4 als Kläger geführt. Im Rahmen des Leistungssystems des SGB II gemäß § 7 iVm §§ 9 ff SGB II kann eine Leistungserhöhung auf Seiten des Klägers zu 4 in Form eines zusätzlichen Mehrbedarfs die Rechtsansprüche sämtlicher Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf Leistungen nach dem SGB II ggf erhöhen. Insofern wäre es nicht zweckdienlich gewesen, lediglich den Kläger zu 4 als Kläger zu führen.

16

2. Sämtliche streitgegenständliche Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und waren nicht gemäß §§ 44 ff SGB X (iVm § 40 Abs 1 SGB II) aufzuheben. Das LSG hat dabei zunächst zu Recht festgestellt, dass den Klägern zu 1 bis 4 für den streitigen Zeitraum vom 29.3. bis zum 1.11.2007 Leistungen nach den §§ 19 ff SGB II in richtiger Höhe bewilligt worden sind. Insofern bestehen gegen die in den einzelnen Bescheiden und für die einzelnen Zeiträume aufgeführten Berechnungen des LSG keine rechtlichen Bedenken. Im Übrigen liegen auch keine Angriffe der Revision gegen die Bedarfsermittlung und die Berücksichtigung des Einkommens des Klägers zu 1 seitens des Beklagten vor. Hinsichtlich der Höhe der Regelleistung der Kläger zu 3 und 4 (207 Euro gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II) folgt aus der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (aaO), dass diese von der Höhe her - für den streitigen Zeitraum - nicht zu beanstanden sind.

17

Entgegen der Rechtsansicht der Revision sind durch die Bewilligung des Merkzeichens "G" für den im streitigen Zeitraum drei- bzw vierjährigen Kläger zu 4 die Bewilligungsbescheide auch nicht durch eine nachträglich eintretende wesentliche Änderung der Verhältnisse rechtswidrig geworden (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Ebenso sind die nach diesem Zeitpunkt erlassenen Bescheide nicht ursprünglich rechtswidrig (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X). Zu Recht hat das LSG nämlich entschieden, dass die Ablehnung eines Mehrbedarfs gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II aF rechtmäßig war, sodass auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt an der Rechtmäßigkeit der Bewilligungs- bzw Änderungsbescheide nicht zu zweifeln ist.

18

3. Den Klägern stehen im streitigen Zeitraum keine höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Kläger zu 4 gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II aF zu.

19

a) Nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II aF erhalten nicht erwerbsfähige Personen einen Mehrbedarf von 17 vH der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung, wenn sie Inhaber eines Ausweises nach § 69 Abs 5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) mit dem Merkzeichen "G" sind. Der Kläger zu 4 war keine "nicht erwerbsfähige Person" im Sinne dieser Vorschrift, weil aus der Gesetzgebungsgeschichte und der systematischen Stellung der Norm folgt, dass Kinder unter 15 Jahren grundsätzlich nicht begünstigt werden sollten. Die Norm wurde gemeinsam mit § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II durch das sogenannte Fortentwicklungsgesetz vom 20.7.2006 zum 1.8.2006 neu gefasst (BGBl I 1706). Der Gesetzgeber wollte damit dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechen und die Leistungen für behinderte Menschen im SGB II an die Leistungen für behinderte Menschen im SGB XII anpassen (BT-Drucks 16/1410, S 25). Vor dem 1. 8. 2006 gab es für Sozialgeldbezieher im SGB II keinen Mehrbedarf bei Nichterwerbsfähigkeit und gleichzeitiger Innehabung eines Nachteilsausgleichs "G". Aus der Übernahme der im Wesentlichen identischen Regelung aus § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII folgt, dass die Gewährung des Mehrbedarfs grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie im SGB XII erfolgen sollte. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist für den Bereich des SGB XII aber unstreitig gewesen, dass nur Personen, die im Sinne des Rentenversicherungsrechts voll erwerbsgemindert sind, den Mehrbedarf erhalten können (vgl nur Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 30 RdNr 13 ff; Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 30 RdNr 10, 13. Lieferung, Stand 6/08).

20

§ 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII entspricht im wesentlichen der Vorgängervorschrift in § 23 Abs 1 Nr 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Auch zu dieser Norm war bereits unstreitig, dass der Bezug des Mehrbedarfs das Vorliegen von voller Erwerbsminderung bzw Erwerbsunfähigkeit nach dem SGB VI voraussetzte (vgl Hofmann in LPK BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 16). Mit dem Mehrbedarf für Erwerbsunfähige im BSHG sollte damals ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass der Erwerbsunfähige im Gegensatz zum arbeitsfähigen Hilfeempfänger auch unter Einsatz besonderer Tatkraft nicht in der Lage ist, durch eigene Arbeit etwas hinzuzuverdienen und sich dadurch ein über den notwendigen Bedarf hinausgehendes und zum Teil anrechnungsfreies Einkommen verschaffen kann (Dauber in Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl, 36. Lieferung, Stand März 2004, § 23 RdNr 19). Die Regelung des § 23 Abs 1 Nr 2 BSHG wurde in § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII ohne weitere Begründung fortgeführt. An diese Vorgaben wollte der Gesetzgeber des SGB II anknüpfen (BT-Drucks 16/1410, S 25). Vor dem Hintergrund dieser Gesetzgebungsgeschichte kommt ein Mehrbedarf für ein vierjähriges Kind nicht in Betracht, weil es auch im gesunden Zustand rechtlich und tatsächlich nicht in der Lage ist, sich etwas hinzuzuverdienen.

21

Entgegen der Revision folgt auch aus der ebenfalls durch das Fortentwicklungsgesetz vom 20.7.2006 mit Wirkung zum 1.8.2006 vorgenommenen Änderung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II kein anderes Ergebnis. § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II wurde durch dieses Gesetz dahingehend geändert, dass Leistungen für Mehrbedarfe nach § 21 Abs 4 SGB II nur an behinderte Menschen gezahlt werden können, die das 15. Lebensjahr vollendet haben. Vor der Änderung zum 1.8.2006 enthielt die Vorschrift keinerlei Altersbeschränkungen. Soweit die Revision aus der gleichzeitigen Einführung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 und des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II den Schluss zieht, aus einer fehlenden Altersbegrenzung in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II müsse gefolgert werden, dass der Mehrbedarf nach Nr 4 allen Personen ohne jede Altersbeschränkung gewährt werden müsse, überzeugt dies nicht. Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB II anders als der Mehrbedarf nach Nr 4 gerade nicht auf das Tatbestandsmerkmal der Nichterwerbsfähigkeit abstelle, sondern die Norm lediglich von "behinderten Menschen" spreche. Damit folgt er der Regelung in § 30 Abs 4 SGB XII. Auch diese Regelung enthält eine Beschränkung auf Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben. Bei der Ergänzung des § 28 SGB II hat der Gesetzgeber ausdrücklich betont(BT-Drucks 16/1410, S 25), dass er im Bereich des SGB II keine weitergehende Leistungsgewährung beabsichtige als im Bereich des SGB XII. Die Einfügung einer entsprechenden Einschränkung hinsichtlich des Alters in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II war mithin entbehrlich, weil bei diesem Mehrbedarf auch nach dem SGB XII der entsprechende Mehrbedarf nur bei Überschreitung der Altersgrenze nach § 41 Abs 2 SGB VI bzw beim Vorliegen voller Erwerbsminderung nach dem SGB VI gewährt wurde.

22

b) Der Senat sieht sich in seiner Auslegung des Begriffs "nicht erwerbsfähige Person" iS des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II (idF des Fortentwicklungsgesetzes, aaO) durch die weitere Rechtsentwicklung bestätigt. Durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) wurde mit Wirkung vom 1.1.2009 § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II nochmals geändert. Die Norm enthält nunmehr eine Klarstellung im Sinne der hier vorgenommenen Auslegung. § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II lautet nunmehr: "Nicht erwerbsfähige Personen, die voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind, erhalten einen Mehrbedarf von 17 vom Hundert der nach § 20 maßgebenden Regelleistung, …." Zur Begründung dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber ausgeführt (BT-Drucks 16/10810, S 49 zu Nr 11 Buchst bb), mit der Ergänzung in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 werde die mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende verfolgte Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen im SGB II und SGB XII sichergestellt. Der dort geregelte Mehrbedarf werde - wie im SGB XII - nur bei nicht erwerbsfähigen Personen berücksichtigt, die voll erwerbsgemindert nach dem SGB VI sind. Eine Berücksichtigung des Mehrbedarfs bei Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft, die auf Grund ihres Alters zwar nicht erwerbsfähig iS des SGB II, aber nicht voll erwerbsgemindert nach dem SGB VI sind, sei ausgeschlossen (BT-Drucks 16/10810, aaO). Der Gesetzgeber hat diese Ergänzung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II ausdrücklich nicht als Neuregelung im Sinne einer konstitutiven Änderung definiert. Vielmehr hat er in seiner Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht, dass es sich insofern um eine Klarstellung handelt, die den - bereits oben herausgestellten - Grundsatz der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen im SGB II und SGB XII, der durch das Fortentwicklungsgesetz eingeleitet wurde, sicherstellen soll. § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II im Sinne des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente hat damit lediglich klarstellende Funktion.

23

4. Dem Kläger zu 4 steht auch der vom BVerfG (Urteil vom 9.2.2010, aaO) geschaffene Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs nicht zu. Der Senat kann dabei ausdrücklich offen lassen, ob dieser Anspruch für Zeiträume, die vor dem der Entscheidung des BVerfG liegen, überhaupt gegeben ist. Dies hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 18.2.2010 (B 4 AS 29/09 R, RdNr 34 ff) ausdrücklich bejaht (anders offenbar BVerfG Urteil vom 24.3.2010 - 1 BvR 395/09) und mithin auch eine rückwirkende Anwendung des neuen verfassungsrechtlichen Härteanspruchs im SGB II für möglich gehalten. Die Feststellungen der Vorinstanzen lassen jedenfalls nicht erkennen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen Härtefallanspruchs in der streitigen Zeit vorgelegen haben. Ermittlungen "ins Blaue hinein" sind insoweit auch nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (aaO, RdNr 32) nicht geboten, sodass eine Rückverweisung an das LSG zu weiteren Tatsachenfeststellungen nicht in Betracht kam.

24

Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des BVerfG der neue Anspruch erst dann entsteht, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistung - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet (BVerfG Urteil vom 9.2.2010, Umdruck S 74; RdNr 208). Das BVerfG geht davon aus, dass dieser zusätzliche Anspruch angesichts seiner engen Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen entstehen dürfte (BVerfG, aaO). Der Kläger zu 4 war im streitigen Zeitraum drei bzw vier Jahre alt. Ihm war bereits ein monatlicher Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung gemäß § 21 Abs 4 SGB II zuerkannt worden. Mit Anerkennung des Merkzeichens "G" stand ihm als Empfänger von Leistungen nach dem SGB II die Möglichkeit offen, ohne jede Eigenbeteiligung am öffentlichen Personennahverkehr teilzunehmen (§ 145 Abs 1 SGB IX; der Erwerb einer Wertmarke war gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX nicht erforderlich; vgl auch Bieritz-Harder in HK-SGB IX, 3. Aufl, § 145 RdNr 16). Weitere Gesichtspunkte, die einen besonderen Härtefall im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG begründen könnten, sind nicht ersichtlich oder vorgetragen.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Januar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Freiburg zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung wegen einer Laktoseintoleranz.

2

Bei der 1998 geborenen Klägerin, die mit ihrer 1970 geborenen Mutter in einer Wohnung lebt und wie diese Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht, besteht eine Laktoseintoleranz. Am 27.12.2010 beantragte sie unter Vorlage eines ärztlichen Attests beim beklagten Jobcenter die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Sie dürfe wegen der Laktoseintoleranz Milch und Milchprodukte nicht bzw nur in sehr kleinen Mengen zu sich nehmen und sei auf laktosefreie Diätnahrung angewiesen, die teurer sei als normale Milchprodukte. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die angegebene Krankheit keinen nach § 21 Abs 5 SGB II unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts darstelle und nicht im Katalog der Mehrbedarfe für eine kostenaufwändige Ernährung enthalten sei. Bei einer Laktoseintoleranz seien laktosehaltige Nahrungsmittel zu meiden oder zu reduzieren, wodurch keine gravierend höheren Kosten entstünden (Bescheid vom 7.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 2.3.2011).

3

Hiergegen haben die Klägerin und ihre Mutter Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben und geltend gemacht, die Laktoseintoleranz führe zu höheren Kosten für Ernährung und damit zu einem Anspruch auf die Gewährung ernährungsbedingten Mehrbedarfs; das SG Bremen beziffere diesen Bedarf auf 53 Euro. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.1.2012). Die Klage der Mutter sei unzulässig, weil diese durch die Ablehnung nicht beschwert sei. Die Klage der Klägerin sei unbegründet. Sie leide zwar nachgewiesenermaßen an einer Laktoseintoleranz, diese Krankheit bringe jedoch keinen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung mit sich. Der Milchzuckerunverträglichkeit könne durch die Vermeidung von laktosehaltiger Kost begegnet werden. Alle anderen Grundnahrungsmittel könnten konsumiert werden. Als Orientierungshilfe für einen etwaigen Mehrbedarf seien die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 heranzuziehen. Dort werde ein Mehrbedarf für Erkrankungen, die keiner spezifischen Diät, sondern sogenannter Vollkost bedürften, verneint. Etwas anderes gelte nur für die aufgeführten verzehrenden Erkrankungen. Damit sei die Laktoseunverträglichkeit nicht vergleichbar, es handele sich um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit, bei der lediglich auf ausreichende Zufuhr von Kalzium durch andere Lebensmittel geachtet werden müsse. Im Übrigen böten wegen der weiten Verbreitung der Erkrankung auch viele Discounter zu günstigen Preisen laktosefreie Milchprodukte an. Die Klägerin habe keine Besonderheiten, insbesondere auch keine von den Empfehlungen abweichende Bedarfe substanziiert geltend gemacht, weshalb von weiteren Ermittlungen vorliegend abgesehen werden könne. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin minderjährig sei, denn die Regelsätze für Kinder und Jugendliche seien bei der Neuberechnung der Regelsätze auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 neu ermittelt und kinderspezifische Bedarfe berücksichtigt worden. Damit sei für den vorliegend einschlägigen Zeitraum auch für Kinder und Jugendliche eine verlässliche Bezugsgröße vorhanden.

4

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision macht nur noch die Klägerin eine Verletzung von § 21 Abs 5 SGB II geltend. Das SG habe die Klage aufgrund unzutreffender tatsächlicher Annahmen abgewiesen. Es handele sich hier ausnahmsweise um Tatsachen, die der Beurteilung des Revisionsgerichts unterlägen. Die unzutreffenden tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts hinsichtlich der Frage, ob die Ernährung mit laktosefreier Kost kostenaufwändiger sei als laktosehaltige Nahrung, beruhe zwar auf verfahrensfehlerhafter Ermittlung, die vorliegend nicht gerügt werden könne. Allerdings seien die Mehrkosten am Nahrungsmittelmarkt keine individuelle Tatsache, sondern eine Rechtstatsache, die für die Auslegung, dh die Bestimmung des Inhalts des § 21 Abs 5 SGB II benötigt werde, weshalb die unzutreffenden Feststellungen des SG in Bezug auf die Kosten laktosefreier Ernährung der revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht entzogen seien.

5

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Januar 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 31. März 2011 höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen medizinisch erforderlicher kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Sprungrevision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des SG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz > ) begründet. Soweit die Klägerin die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 geltend macht, kann auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht abschließend entschieden werden, ob ihr ein weitergehender Anspruch zusteht.

9

1. Streitgegenstand im Revisionsverfahren ist noch das Begehren der Klägerin, für die Zeit vom 1.10.2010 bis zum 31.3.2011 höheres Sozialgeld zu erhalten. Ihre Mutter hat die von ihr ursprünglich eingelegte Revision zurückgenommen. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung, auf den sie ihr Begehren in der Sache stützt, kann entgegen der Auffassung des SG nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens bestimmt werden. Zudem kann eine ablehnende Entscheidung hinsichtlich eines bestimmten Bedarfs wegen der in § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II vorgeschriebenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für zukünftige Bewilligungsabschnitte entfalten(vgl nur BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14 f mwN). Dem hat die Klägerin Rechnung getragen und im Revisionsverfahren höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen besonders kostenaufwändiger Ernährung allein noch für den Zeitraum vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 beantragt. Offen bleiben kann, ob auch unter Neufassung der §§ 19 bis 22 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz) vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zum 1.1.2011 die Höhe von Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung weiterhin in prozessual zulässiger Weise getrennt von der Höhe der Leistungen für Regelbedarfe und Mehrbedarfe geltend gemacht werden kann; für eine solche Einschränkung gibt der Vortrag der Klägerin keinen Anhalt.

10

Gegenstand des Verfahrens sind neben dem Bescheid vom 7.1.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.3.2011 auch die Bewilligungsbescheide, die für die Klägerin die Höhe des Sozialgelds im streitigen Bewilligungszeitraum regeln. Neben dem Bescheid, der zum 1.10.2010 ergangen ist, ist auch ein ggf mit Inkrafttreten des RBEG zum 1.1.2011 ergangener Änderungsbescheid für die Zeit vom 1.1.2011 bis zum 31.3.2011 Gegenstand des Verfahrens geworden. Das SG wird diese Bescheide, die bislang nicht aktenkundig sind, in seine Prüfung einzubeziehen haben. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin den Mehrbedarf zwar erst am 27.12.2010 beim Beklagten geltend gemacht hat, sich aus ihrem weitergehenden Vortrag aber ergibt, dass dieser aus ihrer Sicht seit Oktober 2010 bestanden hat. Da ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nicht nur auf gesonderten Antrag hin gewährt wird (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN),ist vom SG zu überprüfen, ob im Zeitpunkt der Geltendmachung des Bedarfs bereits bestandskräftig gewordene Bescheide unter dem Blickwinkel der §§ 44, 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch zu ändern sind.

11

2. Die Revision ist auch im Übrigen zulässig. Mit ihrer Rüge, das SG sei fehlerhaft zu dem Schluss gekommen, bei einer Laktoseintoleranz handele es sich nicht um eine Erkrankung, die einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung auslösen könne, macht die Klägerin nicht nur einen Verfahrensmangel geltend. Sie behauptet damit zwar auch, das SG habe den Sachverhalt im Einzelfall, nämlich bezogen auf die Auswirkungen der Erkrankung bei ihr, nicht zutreffend ermittelt (§ 103 SGG; zur Verpflichtung zur Amtsermittlung im Hinblick auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs 5 SGB II vgl BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 17). Mit einer solchen Rüge ist sie im Fall der Sprungrevision ausgeschlossen (vgl § 161 Abs 4 SGG). Sie hat aber ausreichend iS des § 164 Abs 2 SGG dargelegt, dass sich die Feststellungen des SG zu den ernährungsbedingten Einschränkungen wegen einer Laktoseintoleranz nicht auf den Einzelfall beschränkten, sondern vom Gericht (unzutreffend) als generelle Tatsachen (Rechtstatsachen) aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bei der Anwendung von § 21 Abs 5 SGB II unterstellt worden seien. Verstöße gegen das Prozessrecht (hier die unzureichende Aufklärung des Sachverhalts nach § 103 SGG), die sich nur als prozessuale Konsequenz aus der fehlerhaften Anwendung des materiellen Rechts ergeben, bleiben auch mit der Sprungrevision rügbar(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 161 RdNr 10b; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 344). Ob die dabei von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zum ernährungsbedingten Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz angesichts der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu anderen Erkrankungen (dazu sogleich) noch grundsätzliche Bedeutung haben, kann dahin stehen, denn der Senat ist an die Zulassung der Sprungrevision durch das SG gebunden.

12

3. Nach § 21 Abs 5 SGB II erhalten Leistungsberechtigte, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 21; BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 16; BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 15, jeweils mwN). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere "Krankenkost" muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein.

13

a) Die bei der Klägerin festgestellte Laktoseintoleranz (vgl ICD-10-GM E73) stellt eine gesundheitliche Beeinträchtigung iS des § 21 Abs 5 SGB II, nämlich eine Krankheit im Sinne eines regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustands dar. Unerheblich für den Begriff der gesundheitlichen Störung ist die Frage, wie verbreitet dieser krankhafte Zustand in der Bevölkerung ist, solange es sich um einen für sich genommen regelwidrigen Zustand handelt. Die von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG angesprochene weite Verbreitung der Laktoseintoleranz (insbesondere in asiatischen Ländern) kann allenfalls Anlass für die Prüfung geben, ob und in welchen Fällen durch die gesundheitliche Beeinträchtigung und das damit medizinisch begründete besondere Ernährungsbedürfnis auch höhere Kosten anfallen.

14

b) Ob die bei der Klägerin bestehende Laktoseintoleranz ein besonderes, medizinisch begründetes Ernährungsbedürfnis mit sich bringt, lässt sich auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht beurteilen. Die Annahme des SG, eine Laktoseintoleranz begründe von vornherein keinen Mehrbedarf, weil lediglich bestimmte Nahrungsmittel vermieden und durch andere, vom Regelbedarf abgedeckte Grundnahrungsmittel ersetzt werden müssten, vermengt die bereits dargestellten Prüfungsschritte in unzutreffender Weise mit einander; insoweit hat das SG die Maßstäbe des § 21 Abs 5 SGB II verkannt.

15

Wie die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate bereits entschieden haben, haben die Gerichte einen streitig gebliebenen krankheitsbedingten Mehrbedarf im Einzelfall aufzuklären (so bereits BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R; vgl zur Laktoseintoleranz auch BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - Juris RdNr 24). Dazu ist zunächst zu überprüfen, welches besondere Ernährungsbedürfnis medizinisch, dh durch die Erkrankung, begründet ist. Insbesondere wenn ein besonderes Ernährungsbedürfnis abhängig von der Schwere der Erkrankung ausgelöst wird, sind die Erfordernisse an die besondere Ernährung im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen. Erst wenn feststeht, welches medizinisch begründete Ernährungsbedürfnis im Einzelfall besteht, kommt es darauf an, ob hierdurch auch höhere Kosten entstehen (dazu unter c). Die erforderlichen Prüfungsschritte wird das SG nach Zurückverweisung ausgehend von dem vorgelegten Attest nachzuholen haben.

16

Bei der Prüfung eines besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnisses lässt nicht schon die fehlende Auflistung der entsprechenden Erkrankung in den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 ( Mehrbedarfsempfehlungen 2008) den Schluss zu, dass es sich nicht um eine Erkrankung handelt, die einen Mehrbedarf auslösen kann. Der Senat schließt sich der Auffassung des 4. Senats an, wonach die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 weder nach ihrer Konzeption noch nach ihrer Entstehungsgeschichte die Anforderungen an antizipierte Sachverständigengutachten erfüllen, die von den Gerichten in normähnlicher Weise angewandt werden könnten (vgl BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14). Wenn weit verbreitete Erkrankungen wie die Laktoseintoleranz in den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 nicht genannt sind, kann dieser Umstand damit nur eine Orientierungshilfe sein, die den Umfang der Ermittlungen im Einzelfall steuert.

17

c) Auch wegen der Kosten, die aus einem besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnis entstehen, stellt § 21 Abs 5 SGB II erkennbar auf die Umstände des Einzelfalles ab. Dies lässt sich schon daraus ersehen, dass - abweichend von den in § 21 Abs 1 bis 4 SGB II genannten Fallgruppen eines Mehrbedarfs - keine Pauschalen für die entstehenden Bedarfe normiert sind. Im Anwendungsbereich des § 21 Abs 5 SGB II sind deshalb Fälle kaum denkbar, in denen sich für eine bestimmte Erkrankung, die - wie die Laktoseintoleranz - Einfluss auf die Ernährung haben, ein besonderer Kostenaufwand abschließend als generelle Tatsache (Rechtstatsache) mit Gültigkeit für jeden Einzelfall verneinen lässt(vgl bereits BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10). Ohnehin lassen die Ausführungen des SG, eine Laktoseintoleranz sei in allen denkbaren Fällen ohne höheren Kostenaufwand zu kompensieren, in keiner Weise erkennen, worauf es diese Schlussfolgerung stützt. Für das von ihm genannte Gutachten eines "Prof. Dr. H." lässt sich eine Quelle nicht finden; auch im Übrigen lassen sich die von dem SG getroffenen Schlüsse nicht auf allgemeinkundige Tatsachen zurückführen. Zwar ist denkbar, dass mit zunehmendem Alter eines Kindes sich Nahrungsmittel, die Milchzucker enthalten, besser vermeiden lassen. Je weiter außerdem eine Erkrankung, die eine besondere Ernährung erfordert, verbreitet ist, umso mehr wird dies das Ernährungsverhalten der gesamten Bevölkerung beeinflussen. Dies mag zu günstigeren Preisen für Ersatz- oder Ergänzungsnahrungsmittel (wie etwa die vom SG genannten laktosefreien Milchprodukte) führen und - sofern ein bestimmtes Ernährungsverhalten allgemein üblich wird - ggf auch die Höhe des Regelbedarfs mitbestimmen. Ob der Klägerin im Einzelfall nicht gleichwohl ein Mehrbedarf zusteht, lässt sich aber allein mit solchen Annahmen nicht ausschließen.

18

Das SG wird außerdem über die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005.

2

Die 1959 geborene Klägerin ist alleinstehend und bewohnt eine Ein-Zimmer-Wohnung, die durch zwei Gas-Einzelöfen und einen Heizlüfter im Bad beheizt wird. Im Oktober 2004 beantragte sie bei dem Beklagten die Gewährung von Alg II und legte dabei eine Bescheinigung ihrer Hausärztin vor, wonach bei ihr aufgrund eines Diabetes mellitus Typ I Krankenkost (Diabeteskost) erforderlich sei.

3

Mit Bescheid vom 13.11.2004 bewilligte der Beklagte Alg II von Januar bis Mai 2005 in Höhe von 794,56 Euro und für Juni 2005 in Höhe von 777,16 Euro, wobei er neben einem befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 134 Euro einen monatlichen Mehrbedarf von 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung wegen Diabetes mellitus Typ I berücksichtigte. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu gering sei und ihr einschließlich Praxisgebühr und Zuzahlung monatliche Kosten in Höhe von mindestens 50 Euro entstünden. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.2.2005 bewilligte der Beklagte daraufhin für die Zeit von Januar bis Mai 2005 monatlich 795,23 Euro und für Juni 2005 775,18 Euro. Den darüber hinausgehenden Widerspruch wies er als unbegründet zurück.

4

Am 1.3.2005 erhob die Klägerin Klage zum SG und begründete ihre Klage insbesondere damit, dass eine Anpassung des seit 1997 nicht erhöhten Mehrbedarfsbetrages zu erfolgen habe, die Regelleistung in Höhe von 345 Euro zu gering sei und zusätzliche Stromkosten von monatlich 11 Euro zu berücksichtigen seien, weil sie ihr Bad mit einem Heizlüfter beheize. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 4.3.2005, 7.9.2005 und 15.11.2005 zuletzt Leistungen für Januar und Februar in Höhe von monatlich 806,33 Euro, für März 689,26 Euro, für April 810,33 Euro, für Mai 802,82 Euro und für Juni 2005 782,72 Euro bewilligt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Beklagte am 29.6.2006 ein Teilanerkenntnis abgegeben und sich bereit erklärt, der Klägerin über die mit Bescheid vom 15.11.2005 zuerkannten Leistungen hinaus für März 2005 Leistungen in Höhe von 795,23 Euro (gemäß dem Widerspruchsbescheid), für Mai 2005 in Höhe von 807,56 Euro und für Juni 2005 in Höhe von 784,46 Euro (gemäß dem Bescheid vom 4.3.2005) zu bewilligen. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen. Mit Urteil vom 29.6.2006 hat das SG die darüber hinausgehende Klage abgewiesen.

5

Mit Urteil vom 15.12.2006 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie einen Bedarf habe, der in der Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Insofern werde auf die Entscheidungsgründe des SG verwiesen, wonach ein Mehrbetrag für kostenaufwändige Ernährung nach dem Krankheitsbild der Klägerin nicht gerechtfertigt sei und die Kosten für Arztbesuche und Zuzahlungen im Regelbetrag enthalten seien.

6

Auf die Revision der Klägerin hat das BSG mit Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R - das Urteil des LSG vom 15.12.2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, da es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehle, insbesondere für die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für eine kostenaufwändige Krankenernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II.

7

Das LSG hat hierauf die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Außerdem hat das LSG ein gerichtliches Sachverständigengutachten bei dem Internisten Dr. S. eingeholt. Mit Urteil vom 23.10.2009 hat das LSG der Klägerin einen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung zugesprochen. Insoweit sei bei den Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) ein Anteil an den Stromkosten, der für eine angemessene Beheizung des Bades mittels des vorhandenen Heizlüfters erforderlich sei, ergänzend zu berücksichtigen. Der konkrete Stromverbrauch des Heizlüfters zur Beheizung des Bades - etwa über einen getrennten Zähler - werde nicht erfasst. Die vom SG berücksichtigte Betriebsdauer des Heizlüfters von einer halben Stunde täglich sei sehr knapp bemessen, weshalb zu Gunsten der Klägerin im Rahmen der Schätzung eine volle Stunde zugrunde gelegt werde. Insgesamt belaufe sich die der Klägerin zustehende Nachzahlung für Kosten der Unterkunft und Heizung für den streitgegenständlichen Zeitraum auf 60,69 Euro. Im Übrigen hat das LSG die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Es bestehe unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Wegen des Verbots der reformatio in peius verbleibe es jedoch bei dem von der Beklagten zuerkannten Mehrbedarf in Höhe von 25,56 Euro monatlich. Eine Verrechnung mit dem Nachzahlungsanspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung komme nicht in Betracht.

8

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 21 Abs 5 SGB II. Das Tatbestandsmerkmal "medizinische Gründe" in § 21 Abs 5 SGB II umfasse auch nicht krankheitsbedingte und in der körperlichen Verfassung eines Menschen liegende Umstände, die ärztlich festgestellt werden könnten. Vorliegend bestehe ein erhöhter Grundumsatz bzw ein erhöhter Kalorienverbrauch, der zu einer finanziellen Mehrbelastung führe, welche die bereits monatlich gewährten 25,56 Euro deutlich übersteige. Weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzesbegründung würden die Beschränkung auf Gesundheitsschäden hergeben. Ausgehend von ihren Angaben, wonach sie bereits seit ihrer Kindheit habe sehr viel essen müssen, hätte das LSG eine individuelle Kaloriemetrie zur Ermittlung ihres erhöhten Grundbedarfs durchführen müssen. Der Hinweis des LSG auf die Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gehe fehl, da ein pauschaler Regelleistungsbetrag nur den durchschnittlichen Bedarf decke. Die vorliegend erforderliche Vollkost lasse sich nicht aus dem Regelsatz finanzieren. Auch hierzu fehle es an Feststellungen des LSG. Es liege eine Verletzung des § 170 Abs 5 SGG vor, da das LSG insoweit entgegen der Rechtsprechung des BSG die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 herangezogen und hieraus abgeleitet habe, dass Vollkost aus dem Regelsatz finanzierbar sei. Hilfsweise bestehe ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarfs, der nicht von den Leistungen nach § 20 SGB II erfasst werde, jedoch zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zwingend zu decken sei. Schließlich sei der vom LSG errechnete Betrag für die Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen fehlerhafter Anwendung der Rundungsregel des § 41 Abs 2 SGB II um 1 Euro zu niedrig.

9

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 abzuändern und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seiner Bescheide vom 13. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2005, dieser in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 4. März 2005, 7. September 2005 und 15. November 2005 zu verurteilen, ihr höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 zu gewähren.

10

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen im streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005.

12

1. Die Klägerin ist im streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005 nach den Feststellungen des LSG leistungsberechtigt als erwerbsfähige Hilfebedürftige iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Damit hat sie Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 SGB II, idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954).

13

2. Die Klägerin hat weder wegen eines erhöhten Kalorienbedarfs noch aufgrund einer etwaigen Ernährung mit sog "Vollkost" einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

14

a) Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten nach § 21 Abs 5 SGB II einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Dieser ergänzt die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 21 SGB II idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Er umfasst Bedarfe, die nicht durch die Regelleistung abgedeckt sind (§ 21 Abs 1 SGB II).

15

Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Gewährung des Mehrbedarfs allein kann damit nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

16

b) Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist (BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 19). Es muss also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor.

17

aa) Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 21 Abs 5 SGB II bewusst an den Rechtszustand des § 23 Abs 4 BSHG angeknüpft. Danach war für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen. Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur war ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs (Hofmann in: LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 28; vgl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 21 RdNr 43). Unter der Geltung des BSHG wurde die kostenaufwändige Ernährung gemäß § 23 Abs 4 BSHG deshalb auch als "Krankenkostzulage" bezeichnet(vgl Knopp/Fichtner, BSHG, 5. Aufl 1983, § 23 RdNr 22; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl 1997, § 23 RdNr 30; Schoch, Sozialhilfe, 3. Aufl 2001, S 167; Hofmann in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 28; Linhart, BSHG § 23 RdNr 14 - Stand 39. EL, Juli 2004).

18

Wie in der früheren Sozialhilfe, dem Referenzsystem für das SGB II (BT-Drucks 15/1514 S 1), wollte der Gesetzgeber auch im Rahmen des Alg II einen Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung vorsehen. In der Gesetzesbegründung ist unter Bezugnahme auf den Rechtszustand des BSHG zum Tatbestandsmerkmal "aus medizinischen Gründen" ausgeführt worden: "Wie in der Sozialhilfe ist auch im Rahmen des Arbeitslosengeldes II ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung vorgesehen. Hierbei ist eine Präzisierung dahin gehend vorgenommen worden, dass der Mehrbedarf nur bei Nachweis des Bedarfs aus medizinischen Gründen anzuerkennen ist. Zur Angemessenheit des Mehrbedarfs können die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden." (BT-Drucks 15/1516, S 57).

19

Auch die vergleichende Betrachtung der Vorschriften des § 21 Abs 5 SGB II und des § 30 Abs 5 des SGB XII bestätigt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung erforderlich ist. Die Definition des Kreises der Anspruchsberechtigten ist in § 21 Abs 5 SGB II zwar anders formuliert als in § 30 Abs 5 SGB XII, der dem früheren § 23 Abs 4 BSHG nachgebildet ist. Gemäß § 30 Abs 5 SGB XII in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Hingegen sind auch anspruchsberechtigt erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer aufwendigen Ernährung bedürfen. Wie aufgezeigt, sollte nach der Gesetzesbegründung zu § 21 Abs 5 SGB II(BT-Drucks 15/1516, S 57) mit der Formulierung klargestellt werden, dass der Mehrbedarf nur bei Nachweis des Bedarfs aus medizinischen Gründen anzuerkennen sei.

20

Folglich hat der Gesetzgeber inhaltliche Unterschiede zwischen § 21 Abs 5 SGB II und § 30 Abs 5 SGB XII nicht beabsichtigt. Sinn und Zweck der Leistungen ist es in beiden Fällen, durch die krankheitsbedingte besondere Ernährung drohende oder bestehende Gesundheitsschäden abzuwenden oder zu verhindern (Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 49 f; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 31; O. Loose in GK-SGB II § 21 RdNr 32, 34; Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 25; Simon in: jurisPK-SGB XII, § 30 RdNr 92; vgl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 21 RdNr 43). Anspruchsvoraussetzung bei § 21 Abs 5 SGB II ist daher immer das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung. Dementsprechend hat auch das BSG bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 Abs 5 SGB II bislang stets von "Krankenernährung" oder "krankheitsbedingtem Mehrbedarf" gesprochen(BSG vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R) und ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nur vorliegen, wenn eine oder mehrere Erkrankungen eine kostenaufwändige Ernährung bedingen (BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5; vgl auch BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

21

bb) Der von der Klägerin behauptete erhöhte Kalorienbedarf ist nach den Feststellungen des LSG nicht auf eine Krankheit, also auf einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, zurückzuführen. Nach diesen Feststellungen liegen bei der Klägerin zwar verschiedene Krankheiten, insbesondere ein Diabetes mellitus Typ I vor; diese verursachen jedoch weder einen erhöhten Kalorienbedarf noch einen anderen Ernährungsmehrbedarf iS des § 21 Abs 5 SGB II. Das LSG hat den Sachverhalt vollständig und ausreichend ermittelt, indem es sachverständige Zeugenauskünfte sowie ein internistisches ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt hat, um sich die erforderliche Sachkunde zu verschaffen. Damit hat das LSG von den Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung gestanden haben, Gebrauch gemacht (vgl BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B; BSG vom 11.12.1969 - GS 2/68 - BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO). Ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) liegt nicht vor.

22

Nach den Feststellungen, die das LSG nach ausreichenden Ermittlungen des Sachverhalts getroffen hat, liegen keine begründeten Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Krankenkost vor. Das LSG konnte nach der vorgenommenen eigenständigen Aufklärung des Sachverhalts und der Prüfung der Umstände des Einzelfalles dahinstehen lassen, ob die überarbeiteten, aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind (zum Meinungsstand siehe Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 40). Auch durch die aktuellen Empfehlungen wird die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären ( § 20 SGB X bzw § 103 SGG ), nicht aufgehoben. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (abgedruckt in NDV 2008, 503 ff) ersetzen nicht eine ggf erforderliche Begutachtung im Einzelfall.

23

Unabhängig von der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob die Empfehlungen 2008 als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind (bejahend zB Sächsisches LSG vom 27.8.2009 - L 3 AS 245/08 - und vom 22.6.2009 - L 7 AS 250/08; Bayerisches LSG vom 23.4.2009 - L 11 AS 124/08; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08; offen gelassen: LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2010 - L 19 <20> AS 50/09 - und vom 4.10.2010 - L 19 AS 1140/10), können die Empfehlungen 2008 jedenfalls als Orientierungshilfe dienen und es sind weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Empfehlungen abweichende Bedarfe, substantiiert geltend gemacht werden (so bereits zu den Empfehlungen 1997: BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 7 f). Da die Empfehlungen des Deutschen Vereins keine Rechtsnormqualität aufweisen (BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 89 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 44 und - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 6 f), gibt es auch keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse auch mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen bzw in diese einfließen zu lassen, wenn diese Zeiträume betreffen, die vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen am 1.10.2008 lagen (so bereits Sächsisches LSG vom 26.2.2009 - L 2 AS 152/07; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08). Wenn dann - wie vorliegend - nach dem Ergebnis der im Einzelfall durchgeführten Amtsermittlung eine Abweichung von den Empfehlungen nicht festzustellen ist (vgl zu diesem Gesichtspunkt auch BVerfG vom 20.6.2006 - 1 BvR 2673/05 - juris RdNr 19), ist eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich.

24

cc) Da nur für eine krankheitsbedingt erforderliche kostenaufwändige Ernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II ein Mehrbedarf zu gewähren ist, hat das LSG zu Recht davon abgesehen, den individuell angemessenen Ernährungsbedarf bzw den tatsächlichen individuellen Grundumsatz und Kalorienbedarf der Klägerin zu ermitteln. Auf die Gewährung eines individuell angemessenen Bedarfs für Ernährung besteht kein Anspruch. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlich zulässigen System der Gewährung einer statistisch ermittelten Regelleistung als Festbetrag. Maßgeblich für die Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II sind in diesem System stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, ist § 21 Abs 5 SGB II jedoch kein Auffangtatbestand(Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 24).

25

dd) Die Ernährung mit einer sog "Vollkost" bei Diabetes mellitus I/II unterfällt nicht § 21 Abs 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt.

26

Die Vollkost ist jedoch aus der Regelleistung zu bestreiten. Auch insoweit gilt, dass für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, § 21 Abs 5 SGB II kein Auffangtatbestand ist.

27

3. Der Sache nach ist das Begehren der Klägerin demnach darauf gerichtet, für ihren geltend gemachten individuellen Ernährungsbedarf eine höhere Regelleistung zu erstreiten. Dieses Begehren hat gleichfalls keinen Erfolg.

28

a) Im streitgegenständlichen Zeitraum besteht lediglich ein Anspruch auf eine monatliche Regelleistung in Höhe von 345 Euro. Zwar hat das BVerfG die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung, ua die des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II, mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Daraus folgt aber nicht, dass einem Hilfebedürftigen ein höherer Anspruch auf Leistungen zusteht. Vielmehr gilt die Vorschrift des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der jeweils anzuwendenden Fassung bis zum 31.12.2010 fort. Der Gesetzgeber wurde lediglich verpflichtet, die Regelleistung für die Zukunft neu festzusetzen (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 ff - juris RdNr 210 ff; BVerfG vom 18.2.2010 - 1 BvR 1523/08; BVerfG vom 24.3.2010 - 1 BvR 395/09; BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 17/10 R). Folglich ist im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass die der Klägerin im Jahre 2005 bewilligte Regelleistung in Höhe von 345 Euro für den hier streitigen Zeitraum hinzunehmen ist (vgl BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 17/10 R - juris RdNr 16).

29

b) Zudem hat das BVerfG ausgeführt, die Regelleistung reiche zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums aus: "Für den Betrag der Regelleistung von 345 Euro nach § 20 Abs 2 1. Halbsatz SGB II aF kann eine evidente Unterschreitung nicht festgestellt werden, weil die Regelleistung zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums zumindest ausreicht und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der sozialen Seite des Existenzminimums weiter ist. So kommt beispielsweise eine Untersuchung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu dem Ergebnis, dass die Beträge des § 2 Abs 2 Regelsatzverordnung für 'Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren' sowie für 'Beherbergungsdienstleistungen, Gaststättenbesuche' die Ernährung eines Alleinstehenden mit Vollkost decken können (vgl seine Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 3. Aufl., sub III 2 )" (RdNr 152 des Urteils vom 9.2.2010).

30

c) Eine abweichende Bedarfsermittlung kommt nicht in Betracht. Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung nicht vorgesehen (vgl dazu BSG 18.6.2008 - B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 76 f = SozR 4-4200 § 11 Nr 11 S 65 f). Dies gilt sowohl zu Gunsten wie auch zu Lasten des Grundsicherungsempfängers. Bei der Ernährung handelt es sich um einen Grundbedarf, der von der Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gedeckt werden soll. Es ist konstitutiver Bestandteil des Systems des SGB II, eine abweichende Festsetzung der Bedarfe, wie sie § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII zulässt, gerade nicht vorzusehen. Folglich gestattet es das SGB II nicht, außerhalb von § 21 Abs 5 SGB II einen individuellen Ernährungsbedarf bedarfserhöhend geltend zu machen.

31

Der Verzicht auf eine individuelle Bedarfsbestimmung entspricht im Übrigen auch dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit einer Pauschalierung der Regelleistung im SGB II verband. Die pauschalierte Regelleistung sollte gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 11 RdNr 24). Diese sind darauf angewiesen, mit dem in der Regelleistung pauschaliert enthaltenen Betrag ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken. Außerhalb der gemäß § 21 SGB II gewährten Mehrbedarfe und der gemäß § 23 Abs 3 SGB II aF - in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung - gewährten einmaligen Leistungen sind monetäre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Das System des SGB II ist insofern abschließend (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 91 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 45).

32

In diesem vom Gesetzgeber in zulässiger Weise gewählten System der pauschalierten Regelleistung ist weder - wie von der Klägerin begehrt - eine individuelle Kaloriemetrie vorzunehmen, noch durch eine isolierte Herausnahme und Überprüfung einzelner Bedarfspositionen zu prüfen, ob eine bestimmte individuell gewünschte Ernährungsweise von einer bestimmten Bedarfsposition der Regelleistung direkt erfasst und abgebildet wird. Das BVerfG hat hierzu im Urteil vom 9.2.2010, aaO, RdNr 205 ausgeführt: "Die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag ist grundsätzlich zulässig. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber typisierende und pauschalierende Regelungen treffen (vgl BVerfGE 87, 234 <255 f>; 100, 59 <90>; 195 <205>). Dies gilt auch für Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Allerdings verlangt Art 1 Abs 1 GG , der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schützt, dass das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt wird. Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, kann über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen. Dies ist ihm auch zumutbar. Dass sich der Gesamtbetrag aus statistisch erfassten Ausgaben in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zusammensetzt, bedeutet nicht, dass jedem Hilfebedürftigen die einzelnen Ausgabenpositionen und -beträge stets uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssen. Es ist vielmehr dem Statistikmodell eigen, dass der individuelle Bedarf eines Hilfebedürftigen vom statistischen Durchschnittsfall abweichen kann. Die regelleistungsrelevanten Ausgabepositionen und -beträge sind von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert, die nicht bei jedem Hilfebedürftigen exakt zutreffen müssen, sondern erst in ihrer Summe ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Wenn das Statistikmodell entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angewandt und der Pauschalbetrag insbesondere so bestimmt worden ist, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen möglich ist […], kann der Hilfebedürftige in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskommt; vor allem hat er bei besonderem Bedarf zuerst auf das Ansparpotenzial zurückzugreifen, das in der Regelleistung enthalten ist.“

33

Folglich ist nicht individuell zu ermitteln, ob eine bestimmte Ernährungsweise, die nicht von § 21 Abs 5 SGB II umfasst wird, sondern aus der Regelleistung zu bestreiten ist, im Einzelnen von der entsprechenden Bedarfsposition gedeckt wird. Denn es ist Sache des Hilfebedürftigen selbst, über die Verwendung des bewilligten Festbetrages im Einzelnen zu bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen.

34

4. Ansprüche auf Gewährung einer von der Regelleistung abweichenden Leistung auf der Grundlage sonstiger Anspruchsgrundlagen bestehen gleichfalls nicht.

35

a) Die Klägerin kann keinen Anspruch aus einer entsprechenden Anwendung des § 73 SGB XII herleiten. Nach Satz 1 dieser Vorschrift können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Voraussetzung eines Anspruchs nach § 73 SGB XII ist nach der Rechtsprechung des 7b. Senats, der sich auch der 14. Senat des BSG angeschlossen hat, eine besondere Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Zugleich muss auch der Bereich der Grundrechtsausübung tangiert sein (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 250 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 22 f; BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 13/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 19 f). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil es sich bei der Ernährung mit ausgewogener Mischkost bzw sog "Vollkost" um einen typischen, innerhalb des SGB II zu befriedigenden Bedarf handelt.

36

b) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht im Hinblick auf die durch eine Anordnung des BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (aaO) geschaffene Härtefallregelung, die der Gesetzgeber mittlerweile mWv 3.6.2010 in § 21 Abs 6 SGB II geregelt hat(Gesetz vom 27.5.2010, BGBl I 671). Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 9.2.2010 (insbesondere RdNr 207) klargestellt, dass der von ihm verfassungsrechtlich abgeleitete, zusätzliche Anspruch immer dann notwendig werde, wenn ein bestimmter fortlaufender atypischer Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II nicht gedeckt werden könne. Nach den Feststellungen des LSG kann die Klägerin keinen derartigen besonderen Bedarf geltend machen.

37

5. Schließlich hat die Klägerin keinen Anspruch auf einen höheren Leistungsbetrag mit Rücksicht auf die fehlerhafte Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II durch das LSG. Hierbei geht der Senat davon aus, dass der Ansatz des LSG hinsichtlich der hier ausnahmsweise als KdU anteilig zu berücksichtigenden Stromkosten nicht zu beanstanden ist. Das LSG hat jedoch nicht beachtet, dass lediglich Endzahlbeträge der monatlichen Leistung nach § 41 Abs 2 SGB II zu runden sind, Zwischenberechnungsschritte aber von der Rundung ausgenommen sind(vgl BSG SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25).

38

Aus einer fehlerhaften Anwendung der Rundungsregelung folgt hier schon deshalb kein höherer Zahlbetrag, weil der Beklagte - wie bereits ausgeführt worden ist - bei der Leistungsbewilligung einen Betrag von monatlich 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung in Ansatz gebracht hatte, auf den die Klägerin keinen Anspruch hatte. Zwar folgt hieraus nicht, dass die Bescheide durch den erkennenden Senat zu Lasten der Klägerin zu ändern waren, denn einer solchen Änderung steht das Verbot der reformatio in peius entgegen (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 8; BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 48/08 R - BSGE 102, 274, 281 = SozR 4-4200 § 22 Nr 18 S 130). Da jedoch im Verfahren der Anspruch auf Alg II einschließlich der angemessenen KdU insgesamt streitig ist, kann die Klägerin einen höheren Zahlbetrag nur beanspruchen, wenn der Verfügungssatz der Bewilligung von Alg II sich insoweit der Höhe nach als unrichtig erweist. Insoweit ist die Höhe der Leistung unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen.

39

Dem steht nicht entgegen, dass das BSG eine Beschränkung des Klagebegehrens auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw die Kosten für Unterkunft für zulässig erachtet hat (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 18), denn die Klägerin hat eine Beschränkung ihres Klagebegehrens nicht vorgenommen. Eine (Teil-)Bestandskraft ist hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des zuerkannten Mehrbedarfs folglich nicht eingetreten.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).

3

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.

4

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.

8

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).

9

1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).

10

a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.

11

Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen ). F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".

12

Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz ) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).

13

b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).

14

Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.

15

Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).

16

Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.

17

Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).

18

Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).

19

c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).

20

2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).

21

a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.

22

Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

23

Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.

24

In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.

25

Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).

26

b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.

27

3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.

28

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

29

Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).

30

Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.

31

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Für Personen, die

1.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder
2.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind
und durch einen Bescheid der nach § 152 Absatz 4 des Neunten Buches zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 152 Absatz 5 des Neunten Buches die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

(2) Für werdende Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

(3) Für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist, soweit kein abweichender Bedarf besteht, ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für ein Kind unter sieben Jahren oder für zwei oder drei Kinder unter sechzehn Jahren, oder
2.
in Höhe von 12 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für jedes Kind, wenn die Voraussetzungen nach Nummer 1 nicht vorliegen, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28.

(4) § 42b Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden auf Leistungsberechtigte, die das 15. Lebensjahr vollendet haben.

(5) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, wenn deren Ernährungsbedarf aus medizinischen Gründen von allgemeinen Ernährungsempfehlungen abweicht und die Aufwendungen für die Ernährung deshalb unausweichlich und in mehr als geringem Umfang oberhalb eines durchschnittlichen Bedarfs für Ernährung liegen (ernährungsbedingter Mehrbedarf). Dies gilt entsprechend für aus medizinischen Gründen erforderliche Aufwendungen für Produkte zur erhöhten Versorgung des Stoffwechsels mit bestimmten Nähr- oder Wirkstoffen, soweit hierfür keine vorrangigen Ansprüche bestehen. Die medizinischen Gründe nach den Sätzen 1 und 2 sind auf der Grundlage aktueller medizinischer und ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse zu bestimmen. Dabei sind auch die durchschnittlichen Mehraufwendungen zu ermitteln, die für die Höhe des anzuerkennenden ernährungsbedingten Mehrbedarfs zugrunde zu legen sind, soweit im Einzelfall kein abweichender Bedarf besteht.

(6) Die Summe des nach den Absätzen 1 bis 5 insgesamt anzuerkennenden Mehrbedarfs darf die Höhe der maßgebenden Regelbedarfsstufe nicht übersteigen.

(7) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Wohnung, in der besonderen Wohnform oder der sonstigen Unterkunft nach § 42a Absatz 2 installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und denen deshalb kein Bedarf für Warmwasser nach § 35 Absatz 5 anerkannt wird. Der Mehrbedarf beträgt für jede leistungsberechtigte Person entsprechend der für sie geltenden Regelbedarfsstufe nach der Anlage zu § 28 jeweils

1.
2,3 Prozent der Regelbedarfsstufen 1 und 2,
2.
1,4 Prozent der Regelbedarfsstufe 4,
3.
1,2 Prozent der Regelbedarfsstufe 5 oder
4.
0,8 Prozent der Regelbedarfsstufe 6.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) § 42b Absatz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(9) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(10) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein einmaliger, unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht, der auf keine andere Weise gedeckt werden kann und ein Darlehen nach § 37 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2006 in Gestalt der Bescheide vom 01.06.2006, vom 19.07.2006 und vom 15.05.2007 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate August, September und Oktober 2006 weitere Leistungen in Höhe von monatlich 3,27 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger - teilweise im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 hat. Streitig ist insbesondere, ob der Kläger Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung hat.

2

Der am ...1956 geborene Kläger bewohnte bis zum 31.07.2006 eine 44,97 m² große Wohnung in der B in S . Die Kaltmiete belief sich bis zum 30.09.2005 auf 196,58 €. Daneben war ein Nebenkostenabschlag in Höhe von 50,13 Euro monatlich (insgesamt 247,71 €) zu zahlen. Zum 01.10.2005 erhöhte sich die Kaltmiete aufgrund einer Staffelmietvereinbarung auf 202,33 €. Die Beheizung und die Erwärmung des Warmwassers in der Wohnung erfolgten über Gas. Der Gasabschlag belief sich bis zum 31.07.2005 auf 60,00 € monatlich, vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 auf 63,00 € monatlich und ab dem 01.02.2006 auf 66,00 € monatlich.

3

Zum 01.08.2006 verzog der Kläger in eine 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 41,69 m² in der B in B . Die Kaltmiete belief sich auf 173,00 € monatlich. Daneben war für Nebenkosten und Heizung ein einheitlicher Abschlag in Höhe von 103,00 € monatlich zu zahlen. Ab dem 01.11.2006 nahm der Kläger wegen Mängeln der Mietsache eine Mietminderung in Höhe von 60,55 € monatlich und ab dem 01.02.2007 in Höhe von 43,25 € monatlich vor.

4

Seit dem 15.12.2007 wohnt der Kläger in N .

5

Bis zum 31.12.2004 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von zuletzt wöchentlich 123,83 €. Arbeitslosengeld (Alg) bezog der Kläger zuletzt im Jahr 1993.

6

Auf seinen Antrag vom 30.09.2004 bewilligte die Agentur für Arbeit Mayen dem Kläger mit Bescheid vom 02.11.2004 in der Gestalt des Änderungsbescheides der Rechtsvorgängerin des Beklagten, der Arbeitsgemeinschaft Landkreis Mayen-Koblenz (im Folgenden: ARGE), vom 26.04.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 652,71 € monatlich.

7

Dem Bescheid vom 02.11.2004 war ein Hinweisschreiben beigefügt, dass der tatsächliche Mietzins des Klägers den angemessenen Betrag um 5,33 € überschreite. Für einen 1-Personen-Haushalt werde eine Gesamtwohnfläche von 45 m² als angemessen angesehen. Im hiesigen Raum werde ein Mietzins von 4,25 € je m² als angemessen anerkennt. Der Kläger werde aufgefordert, seine Kosten der Unterkunft bis zum 30.06.2005 durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise zu reduzieren. Danach würden nur noch die angemessenen Kosten der Unterkunft anerkannt.

8

Mit Bescheid vom 26.04.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 30.06.2005 monatliche Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €), für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.07.2005 Leistungen in Höhe von 647,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 302,38 €) und für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 650,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 305,38 €).

9

Mit Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 650,38 € monatlich. Eine mit Bescheid vom 06.02.2006 erfolgte Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 01.02.2006 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit wurde mit Änderungsbescheid vom 07.02.2006 wieder zurückgenommen; mit diesem Bescheid wurden dem Kläger erneut Leistungen in Höhe von 650,38 € monatlich für die Zeit vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 bewilligt. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 20.04.2006 wurden die Leistungen aufgrund der Erhöhung des Gasabschlages für die Zeit vom 01.02.2006 bis zum 30.04.2006 auf 653,38 € monatlich erhöht. Der auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2006 zurückgewiesen.

10

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 19.05.2006 wurde auch der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 07.02.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, der sich ebenfalls gegen die Höhe der belegten Leistungen wandte, als unbegründet zurückgewiesen.

11

Betreffend die Höhe der Kosten der Unterkunft vom 01.05.2005 bis zum 30.06.2006 erhob der Kläger Klagen zum Sozialgericht (SG) Koblenz (S 13 AS 280/06 und 281/06), die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 13 AS 281/06 verbunden wurden.

12

Mit Bescheid vom 20.04.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 653,38 € monatlich. Hiergegen legte der Kläger am 03.05.2006 Widerspruch ein.

13

Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er zum 01.08.2006 nach B verziehe, beschränkte die ARGE mit Bescheid vom 14.07.2006 die zuvor bis zum 31.10.2006 bewilligten Leistungen in Höhe von 653,38 € monatlich auf den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006. Mit Bescheid vom 19.07.2006 bewilligte sie dem Kläger im Übrigen für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 611,73 € ausgehend von Kosten für die neue Wohnung in Höhe von 266,73 € monatlich.

14

Auch für den Bewilligungsabschnitt vom 01.02.2007 bis zum 30.04.2007 bewilligte die ARGE dem Kläger mit Bescheid vom 10.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 611,73 € monatlich. Mit Bescheid vom 21.03.2017 wurden für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.10.2007 Leistungen in Höhe von 568,48 € und mit Bescheid vom 19.10.2007 für die Zeit vom 01.11.2007 bis zum 31.12. 2007 Leistungen in Höhe von 570,48 € (Regelleistungen in Höhe von 347,00 € und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 223,48 €) bewilligt. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

15

Eine am 19.03.2007 vom Kläger vorgelegte Nebenkostennachforderung in Höhe von 44,04 € aus dem Mietverhältnis B in S übernahm die ARGE mit Bescheid vom 23.03.2007.

16

In dem Klageverfahren vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06 gab die ARGE am 04.03.2008 ein Anerkenntnis dahingehend ab, dass für den Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 Arbeitslosengeld II unter Ansatz der tatsächlichen Kaltmiete gewährt werde. Das Anerkenntnis wurde von dem Kläger angenommen. Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE daraufhin dem Kläger für Juli 2005 Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €). Mit weiterem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte sie für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 655,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 310,71 €) monatlich, mit drittem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.01.2006 ebenfalls Leistungen in Höhe von 655,71 € sowie mit viertem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 313,71 €) monatlich. Mit einem fünften Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE im Übrigen über das abgegebene Anerkenntnis hinausgehend auch für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € monatlich.

17

Gegen die Änderungsbescheide vom 25.09.2008 legte der Kläger Widerspruch ein, da sich seine Kaltmiete aufgrund der Staffelmietvereinbarung mit Wirkung zum 01.10.2005 auf 202,33 € monatlich belaufe. Mit Bescheid vom 06.02.2009 erklärte die ARGE daraufhin, dass sie die Bescheide vom 25.09.2008 aufhebe und in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.07.2006 eine Kaltmiete in Höhe von monatlich 202,33 € berücksichtige. Dies wurde schließlich mit vier Änderungsbescheiden vom 05.03.2009 umgesetzt. Als Kosten der Unterkunft wurden nunmehr in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.01.2006 316,46 € und in der Zeit vom 01.02.2006 bis zum 31.07.2006 319,46 € berücksichtigt.

18

Am 11.08.2005 beantragte der Kläger, der Vegetarier ist und kein Fleisch, Fisch oder Produkte, die Gelatine enthalten, verzehrt, unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin Dr. S vom 15.07.2004 (hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler, es muss 2005 heißen) einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen Laktoseintoleranz. Der Bescheinigung beigefügt war ein Attest des Dermatologen Dr. N vom 04.08.2005, der eine abortive atypische Dermatitis mit Juckreiz sowie eine Typ I Allergie auf Hausstaubmilben diagnostizierte und als Therapie die Anwendung von Antihistaminika nach Bedarf (z.B. Telfast 180), das Meiden von Nahrungsmitteln mit hohem Tyramingehalt und ggf. eine schwache Steroidsalbe für die Beine empfahl. Die ARGE holte eine Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 19.05.2006 ein und lehnte mit Bescheid vom 01.06.2006 den Antrag auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab. Grundlage für die Bewertung des Mehraufwandes für Krankenkost bildeten zum einen die Empfehlungen für die Krankenkostzulage der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge in der Auflage von 1997 und zum anderen der Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, Stand 1/2002. Aus diesen Empfehlungen sei zu ersehen, dass für die Ernährung von Menschen mit Laktoseintoleranz eine ausreichend große Anzahl an laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Ein Widerspruch gegen den Bescheid befindet sich nicht in den Akten.

19

Am 08.11.2006 ging bei der ARGE eine Widerspruchsbegründung des derzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf einen Widerspruch vom 21.06.2006 ein. Die Beteiligten einigten sich darauf, die Widerspruchsbegründung als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.

20

Mit Bescheid vom 15.05.2007 lehnte die ARGE eine Änderung ihres Bescheides vom 01.06.2006 ab. Sie wiederholte dabei im Wesentlichen ihre Begründung aus dem genannten Bescheid. Den Widerspruch des Klägers vom 20.06.2007 wies die ARGE mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 als unbegründet zurück.

21

Am 30.01.2008 hat der Kläger Klage zum SG Koblenz erhoben und u.a. mehrere Quittungen über den Einkauf von Lebensmitteln vorgelegt.

22

Das SG hat ein internistisches Gutachten des Dr. A vom 30.05.2008 aus dem Klageverfahren vor dem SG mit dem Az.: S 10 R 778/07 beigezogen, eine Stellungnahme der Frau Dr. S vom 20.07.2009 eingeholt und die Klage mit Urteil vom 28.10.2009 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs wegen seiner Laktoseintoleranz. Mittlerweile liege eine im Jahr 2008 völlig neu bearbeitete Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vor. Auch wenn diesen Empfehlungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Feststellung des angemessenen Mehrbedarfs im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II lediglich der Charakter einer Orientierungshilfe zukäme (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R), könnten sie zur Sachverhaltsbeurteilung im Hinblick auf die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe der Mehrbedarf anzuerkennen sei, herangezogen werden. Ihnen sei im Regelfall zu folgen (Hinweis auf Sächsisches LSG, Urteil vom 22.06.2009 - L 7 AS 250/08). Nach den Empfehlungen vom 01.10.2008 sei nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin ein krankheitsbedingter Mehrbedarf bei verzehrenden Erkrankungen bzw. gestörter Nahrungsaufnahme bzw. Nährstoffverwertung in der Regel daher nur bei schweren Verläufen zu bejahen oder wenn besondere Umstände vorlägen. Hierfür lägen im Fall des Klägers keinerlei Anzeichen vor. Das beigezogene internistische Gutachten des Dr. A belege, dass bezüglich der Laktoseintoleranz gerade nicht von einem schweren Verlauf ausgegangen werden könne. Da im Übrigen aus der festgestellten Körperlänge von 1,80 m und dem Körpergewicht von 95 kg auch nicht auf besondere Umstände hinsichtlich einer gestörten Nährstoffaufnahme geschlossen werden könne, sei hier von einem Regelfall auszugehen. Das Urteil war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, dass dieses Urteil nicht mit der Berufung angefochten werden könne, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden sei. Die Nichtzulassung der Berufung könne mit der Beschwerde angefochten werden. Das Urteil ist dem Kläger am 06.11.2009 zugestellt worden.

23

Am 07.12.2009 (einem Montag) hat der Kläger Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 eingelegt (Az.: L 3 AS 576/09 NZB). Nach einem Hinweis des 3. Senats, dass die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig sei, hat der Kläger am 11.06.2010 die Beschwerde zurückgenommen.

24

Am 17.06.2010 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Koblenz eingelegt.

25

Der Kläger trägt vor, es treffe nicht zu, dass eine ausreichend große Anzahl von laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Laktosefreie Lebensmittel seien in etwa doppelt so teuer wie laktosehaltige Lebensmittel. Auch könne das Sachverständigengutachten des Dr. A nicht Entscheidungsgrundlage sein, ob ihm ein Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz zu gewähren sei. Das Gutachten sei erstattet worden zur Beurteilung des ihm verbliebenen Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Ihm sei von Frau Dr. S , nachdem diese seine Laktoseintoleranz festgestellt habe, lediglich empfohlen worden, sich laktosefrei zu ernähren, was er in der Folgezeit getan habe. Die Ärztin habe ihm nicht mitgeteilt, dass evtl. eine spätere Überprüfung seiner Laktoseintoleranz erforderlich sei. Vor der Feststellung einer Laktoseintoleranz habe er an krampfhaften Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten gelitten. Nach der Umstellung der Ernährung auf laktosefreie Milch und Milchprodukte seien die Beschwerden verschwunden. Er ernähre sich von Obst, rohem und gekochtem Gemüse, Vollkornprodukten, selbst zusammengestelltem Müsli und Hülsenfrüchten sowie laktosefreien Milchprodukten, vor allem Joghurt und Schnittkäse. Seit März 1988 sei er Vegetarier. Lebensmittel, die Fleisch oder Fisch oder Gelatine enthielten, verzehre er nicht. Sein Bedarf an laktosefreien Milchprodukten sei deutlich höher als bei Nichtvegetariern, u.a. deshalb, weil er laktosefreie Sahne zum Kochen von Suppen und Soßen verwende.

26

Der Beklagte hat auf Hinweis des Senats mit Schreiben vom 04.03.2013 ein Teilanerkenntnis dahin gehend abgegeben, dass für die Monate August und September 2005 ein (aufgerundeter) Leistungsanspruch in Höhe von 656,00 € monatlich gewährt werde. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.03.2013 dieses Teilanerkenntnis angenommen.

27

Der Kläger beantragt,

28

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 01.06.2006, des Bescheides vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2005 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009, und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006 und vom 19.07.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009 sowie unter Abänderung der weiteren Bescheide zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

29

Der Beklagte beantragt,

30

die Berufung zurückzuweisen.

31

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Eine Deckung des Eiweißbedarfes des Klägers durch tierische und pflanzliche Eiweiße stelle bei Laktoseintoleranz kein Problem dar. Eine Deckung des Eiweißbedarfes durch Milcheiweiß sei nicht zwingend. Nach seiner Auffassung bestehe ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II daher nur dann, wenn die Deckung des Eiweißbedarfs durch Vollkost entsprechend der Empfehlung des Deutschen Vereins bedingt durch einen schweren Verlauf der Laktoseintoleranz nicht mehr möglich sei und daher eine erhöhte Substitution durch Sojaprodukte notwendig werde. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.

32

Der Senat hat schriftliche Stellungnahmen der Frau Dr. S vom 15.08.2011 und vom 02.03.2012 sowie ein Sachverständigengutachten des Ernährungsberaters C M betreffend die Mehrkosten laktosefreier und tyraminarmer Lebensmittel vom 05.11.2012 eingeholt.

33

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des SG Koblenz - S 13 ER 392/07 AS -, der Leistungsakten des Beklagten (drei Bände) sowie der Leistungsakten des Jobcenters N (zwei Bände) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

34

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger höhere Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

35

Streitgegenstand (vgl. § 95 SGG) des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 11.08.2005 (Eingang der Bescheinigung der Frau Dr. S bei dem Beklagten) bis zum 31.10.2006. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Die Regelungen des Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lassen sich (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft, soweit dies ausdrücklich beantragt ist) in rechtlich zulässiger Weise nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 10 Rn. 13 mit weiteren Nachweisen).

36

Vorliegend hat der Beklagte mit Bescheid vom 01.06.2006 zwar gesondert, d.h. getrennt von seinen Entscheidungen über die "übrigen" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte entschieden. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass damit der gesamte Zeitraum bis zum 14.12.2007, in dem der Kläger im Zuständigkeitsbereich des Rechtsvorgängers des Beklagten wohnte, umfasst ist. Da Leistungen hier nicht komplett versagt worden sind und lediglich die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitig ist, kann einer Entscheidung des Grundsicherungsträgers wegen der in § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte zukommen. Zwar enthält der Bescheid vom 01.06.2006 keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt. Dies allein lässt jedoch nicht den Schluss zu, der Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Vielmehr ist der Bescheid dahingehend auszulegen, dass hier die allein rechtlich zulässige Regelung, nämlich eine ablehnende Regelung über eine höhere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw. der Gegenwart lagen, getroffen werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, a.a.O. Rn. 14; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 16).

37

Vorliegend hat der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung am 11.08.2005 und damit während des laufenden Bewilligungsabschnittes vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2005 (Bescheid vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) gestellt. Die Entscheidung des Rechtsvorgängers des Beklagten erging erst im Juni 2006 und damit nachdem ein weiterer Bewilligungsabschnitt vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 (Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) abgelaufen und ein neuer Bewilligungsabschnitt vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 (Bescheid vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006, vom 19.07.2006 , vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 sowie vom 05.03.2009) begonnen hatte. Damit umfasste das Klageverfahren aber von Anfang an mindestens den Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 31.10.2006 und damit einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

38

Da das Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, war die am 17.06.2010 und damit innerhalb eines Jahres ab Zustellung des Urteils eingelegte Berufung des Klägers auch noch rechtzeitig (vgl. § 66 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG).

39

Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist das Jobcenter (§§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen ARGE getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war daher durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr. 4 Rn. 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21; vgl. auch zuletzt BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R).

40

Die Berufung ist nur zum Teil begründet.

41

Soweit der Kläger mit seiner Klage höhere Leistungen auch für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis zum 14.12.2007, d.h. bis zu seinem Fortzug aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten begehrt, ist die Klage unzulässig. Dieser Zeitraum war, wie oben bereits ausgeführt wurde, nicht Gegenstand des Bescheides vom 01.06.2006 sowie des Bescheides vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008. Es ist auch nicht ersichtlich, dass bezüglich dieses Zeitraumes ein Widerspruchsverfahren betreffend die Höhe der Leistungen durchgeführt worden ist, so dass die konkludente Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs bestandskräftig geworden ist.

42

Dagegen ist die Klage betreffend die Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 30.04.2006 nicht bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig (vgl. § 202 SGG iVm. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG). Diese waren zwar als abtrennbarer Streitgegenstand für den oben genannten Zeitraum bereits Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06. Mit der Beendigung des Verfahrens durch das angenommene Anerkenntnis der ARGE vom 04.03.2008 endete jedoch die Sperrwirkung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 94 Rn. 4; vgl. auch BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 22/10 R, juris Rn. 13).

43

Allerdings hat das SG im Ergebnis zu Recht die Klage betreffend den Zeitraum bis zum 31.07.2006 abgewiesen. Dem Kläger stehen höhere Leistungsansprüche als von der Rechtsvorgängerin des Beklagten bewilligt nicht zu. Lediglich betreffend den Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat der Kläger einen höheren Leistungsanspruch, da die ARGE für die neue Wohnung zu niedrige Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt hat.

44

Soweit der Zeitraum bis zum 30.04.2006 betroffen ist, waren die Bewilligungsbescheide mit Ausnahme des Verfügungssatzes über die Leistungen für Unterkunft und Heizung, die Gegenstand des Klageverfahrens S 13 AS 281/06 waren, bei Erlass des Bescheides vom 01.06.2006 bestandskräftig geworden, so dass es sich hier um einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X handelt.

45

Nach dieser Vorschrift ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind, ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Vorliegend ist jedoch im besagten Zeitraum weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Der angegriffene Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008, mit dem sie es abgelehnt hat, den Bescheid vom 01.06.2006 sowie die die jeweiligen Bewilligungsabschnitte betreffenden Leistungsbescheide aufzuheben, erweist sich für diesen Zeitraum als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

46

Den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 betreffend lagen dagegen aufgrund des Widerspruchs des Klägers, über den noch nicht per Widerspruchsbescheid entschieden war, keine bestandskräftigen Bescheide vor. Erst durch den Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 ist letztlich hinsichtlich diesen Abschnitts durch die Behörde abschließend entschieden worden, dass dem Kläger keine höheren Leistungen zustehen bzw. dass die Absenkung der Leistungen aufgrund des Wohnungswechsels zutreffend erfolgt sei.

47

Der demnach für diesen Zeitraum als Anfechtungs- und Leistungsklage auszulegende Antrag des Klägers hat insofern Erfolg, als er Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat. Die ARGE hätte mit Bescheid vom 19.07.2006 die dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bewilligten monatlichen Leistungen nicht auf 611,73 € absenken dürfen.

48

Grundsätzlich war die Rechtsvorgängerin des Beklagten berechtigt, aufgrund des Wohnungswechsels des Klägers und den hieraus resultierenden niedrigeren Mietkosten die Leistungen nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X abzusenken. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dies war hier der Fall. Jedoch hätte die Absenkung nicht in diesem Umfang erfolgen dürfen.

49

Der Kläger war zunächst im streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt. Er erfüllte die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (hier: in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003, BGBl. I S. 2954): Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, er war erwerbsfähig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und war auch hilfebedürftig. Anhaltspunkte für einen Ausschluss von Leistungen sind nicht gegeben. Nach § 19 Abs. 1 SGB II (ebenfalls in der Fassung des oben genannten Gesetzes) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte wie der Kläger als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (Satz 1 Nr. 1). Ein Anspruch auf einen befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld nach § 24 SGB II (hier in der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung; vgl. § 19 Satz 1 Nr. 2 SGB II) kam hier nicht in Betracht, da der Kläger zuletzt 1993 Arbeitslosengeld bezogen hat.

50

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003 (a.a.O.) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass die von dem Kläger zu erbringende Kaltmiete oder die Vorauszahlungen für Nebenkosten und Heizung unangemessen wären. Die ARGE als Rechtsvorgängerin des Beklagten hat selbst in dem dem Bescheid vom 02.11.2004 beigefügten Hinweisschreiben erläutert, sie gehe in ihrem Zuständigkeitsbereich von einer angemessenen Kaltmiete von 4,25 € pro m² aus. Multipliziert mit der für angemessenen gehaltenen 45 m² Wohnfläche ergibt dies einen Betrag in Höhe von 191,25 €. Die Kaltmiete des Klägers belief sich jedoch lediglich auf 173,00 €. Von der Vorauszahlung für Heiz- und Nebenkosten in Höhe von 103,00 € monatlich war für die über die Heizung erfolgte und nicht von einem gesonderten Zähler erfasste Erwärmung des Warmwassers ein Abzug vorzunehmen. Dieser darf jedoch nicht über die Kosten für Warmwasserbereitung, wie sie in der Regelleistung enthalten sind, hinausgehen, so dass im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 lediglich ein Betrag in Höhe von 6,22 € abzuziehen war (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R, BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 Rn. 25). Der Leistungsanspruch des Klägers errechnete sich daher für die Monate August bis Oktober 2006 wie folgt: Regelleistung in Höhe von 345,00 €, Kosten für Unterkunft in Höhe von 269,78 € (276,00 € - 6,22 € Warmwasserpauschale) = 614,78 € monatlich, gerundet (vgl. § 41 Abs. 2 SGB II in der bis 31.03.2011 geltenden Fassung) somit 615,00 € monatlich. Bewilligt wurden mit dem Änderungsbescheid vom 19.07.2006 jedoch lediglich 611,73 €, so dass er im Umfang von 3,27 € monatlich für die drei betreffenden Monate aufzuheben war.

51

Über diesen Betrag hinaus hat der Kläger, nachdem der Beklagte auch hinsichtlich der Rundung des Leistungsanspruchs für die Monate August und September 2005 ein (Teil-)Anerkenntnis abgegeben und der Kläger dieses angenommen hat, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf höhere Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf aufgrund seiner Laktoseintoleranz.

52

Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 Rn. 15; Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12 Rn. 16 ff.).

53

Bei dem Kläger liegt zwar insoweit eine Krankheit vor, als aufgrund eines oralen Laktosetoleranztests am 16.07.2005 bei der Fachärztin für Innere Medizin/Diabetologin Dr. S die Diagnose einer Laktoseintoleranz gestellt wurde. Jedoch ergibt sich aufgrund dieser Laktoseintoleranz im konkreten Fall des Klägers kein gegenüber einem Hilfebedürftigen ohne Milchzuckerunverträglichkeit erhöhter ernährungsbedingter Mehrbedarf.

54

Dabei kann offen bleiben, wie der Umstand zu bewerten ist, dass der Kläger nach der Feststellung seiner Laktoseintoleranz und nach der Teilnahme an einer Ernährungsberatung wegen dieser Krankheit keine weitere ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Nach den Ausführungen sowohl der behandelnden Ärztin Dr. S in ihrer Stellungnahme vom 02.03.2012 als auch des Sachverständigen M in seinem Gutachten vom 05.11.2012 handelt es sich bei einer Laktoseintoleranz nicht um eine statische Erkrankung. Erfahrungsgemäß ist grundsätzlich eine Verlaufskontrolle erforderlich. Auch ist die Toleranz von gewissen laktosearmen Lebensmitteln individuell sehr unterschiedlich und kann nicht allein anhand des bei dem Kläger durchgeführten oralen Laktosetests ermittelt werden. Vielmehr ist, so der Sachverständige M , eine individuelle auf die persönliche Bekömmlichkeit der Lebensmittel angepasste Kost erforderlich. Hierzu wird in der Regel eine Kosteinschulung durchgeführt, in der nach Einführung einer laktosearmen Basiskost und der Überprüfung deren Verträglichkeit ein Kostaufbau durchgeführt wird, mit dem die individuelle Laktosetoleranzschwelle herausgefunden werden soll. Einen solchen Kostaufbau hat der Kläger nicht durchgeführt, er hat vielmehr, seitdem ihm seine Laktoseintoleranz aufgrund des Oraltests bekannt war, auf sämtliche laktosehaltigen Lebensmittel verzichtet. Letztlich kann damit nicht abschließend gesagt werden, ob die vollkommen laktosefreie Diät, die der Kläger im hier streitgegenständlichen Zeitraum durchgeführt hat, tatsächlich medizinisch notwendig gewesen ist. Möglicherweise hätte der Kläger aufgrund seiner individuellen Gegebenheiten durchaus geringe Mengen laktosehaltiger Lebensmittel zu sich nehmen können, wobei der Sachverständige M auch darauf hinweist, dass laktosehaltige Mahlzeiten regelmäßig besser toleriert werden, wenn sie zusammen mit anderen Lebensmitteln konsumiert werden (vgl. Seite 6 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang kann auch dahinstehen, welche Empfehlung Frau Dr. S tatsächlich gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat, da eine evtl. Fehlberatung durch die behandelnde Ärztin hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren Behandlung nicht dem Beklagten zuzurechnen wäre und daher auch nicht zu seinen Lasten gehen könnte. Der Kläger ist selbst dafür verantwortlich, herauszufinden, welche Diät tatsächlich aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung erforderlich ist und sich entsprechend bei Ärzten oder im Internet zu informieren.

55

Für den Ausschluss eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung kann - anders als das SG meint - vorliegend allerdings nicht auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (hier: Stand 01.10.2008) zurückgegriffen werden. Eine Aussage zu einem krankheitsbedingtem Mehrbedarf bei Laktoseintoleranz lässt sich den Empfehlungen nicht entnehmen. Vielmehr weist der Deutsche Verein unter II.2 Nr. 2 ("Ziel der Empfehlungen") ausdrücklich darauf hin, dass ein eventuell abweichender Bedarf bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht geprüft worden sei. An gleicher Stelle wird betont, dass die Gewährung von Zulagen bei in den Empfehlungen nicht berücksichtigten Erkrankungen nicht ausgeschlossen werde.

56

Letztlich muss damit eine individuelle Prüfung erfolgen, in welchem Umfang dem Kläger aufgrund seiner Laktoseintoleranz Mehrkosten entstehen (vgl. auch SG Hildesheim, Gerichtsbescheid vom 31.05.2010 - S 54 AS 1649/09). Solche Mehrkosten konnten jedoch durch das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen M vom 05.11.2012 für den sich vegetarisch ernährenden Kläger nicht belegt werden.

57

Nach den Feststellungen des Sachverständigen M besteht bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte meiden muss, sogar eine Ersparnis gegenüber den normalen Ausgaben, unter der Voraussetzung dass nur die preiswertesten Lebensmittel genommen werden. Diese Ersparnis beziffert er mit 2,42 € im Monat bzw. 0,56 € pro Woche. Lediglich bei der Berücksichtigung von Durchschnittspreisen einer größeren Lebensmittelvariationsbreite seien Mehrkosten in Höhe von durchschnittlich 3,41 € pro Monat bzw. 0,79 € pro Woche zu erwarten. Selbst bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte und tyraminhaltige Lebensmittel meiden müsse, wäre noch eine Ersparnis von 1,64 € pro Monat bzw. 0,38 € pro Woche auf der Basis des jeweils billigsten verfügbaren Lebensmittels zu erwarten. Nur wenn eine abwechslungsreichere Kost erfolge, die nicht immer auf die wenigen preiswertesten Lebensmittel zurückgreife, sei von einem Mehrbedarf von durchschnittlich 20,04 € pro Monat bzw. 6,47 € pro Woche auszugehen. Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass gerade gereifte Käsesorten, die bei einer Tyraminunverträglichkeit zu meiden sind, laktosearm sind. Auch Bohnenprodukte, welche für die Eiweißversorgung bei einem Laktoseintoleranten günstig sind, sind nach den Aussagen des Sachverständigen bei einer konsequenten tyraminarmen Kost grundsätzlich zu meiden. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Kläger nach eigenen Angaben durchaus Hülsenfrüchte verzehrt und auch verträgt, da unter dieser Diät die vorher beklagten Beschwerden (insbesondere krampfhafte Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten) verschwunden sind. Dem Kläger steht damit auch unter Beachtung einer tyraminarmen Kost eine ausreichende Bandbreite an Produkten zur Verfügung, um seinen Nährstoffbedarf, insbesondere an Eiweiß und Kalzium, ohne laktosehaltige Milchprodukte zu decken. Da das Gesetz auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf abstellt, kann in diesem Zusammenhang allein darauf abgestellt werden, ob die mögliche Ernährung, den Nährstoffbedarf des Klägers ausreichend abdeckt. Ob der Kläger aus persönlichen Gründen auf bestimmte Produkte, wie z.B. laktosefreie Sahne oder laktosefreien Käse zurückgreifen möchte, insbesondere um in seiner Ernährung mehr Abwechslung zu haben, ist dagegen im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern ist es dem Kläger - wie jedem anderen Hilfebedürftigen auch, der eine besondere Ernährung wünscht - zuzumuten, sich durch Umschichtungen innerhalb der in der Regelleistung enthaltenen Beträge eine abwechslungsreichere, aber teurere Ernährung zu verschaffen.

58

Im Hinblick auf die Tyraminproblematik des Klägers hat der Sachverständige Meinhold im Übrigen ausgeführt, dass das Meiden von Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt des biogenen Amins Tyramin bei abortiver atypischer Dermatitis mit Juckreiz keine allgemeinwissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode sei. Hier sei eher der Einsatz von Antihistaminika sinnvoll und zielführend. Letztendlich entspricht dies auch der Empfehlung des Dermatologen Dr. Nolte. Hieraus folgt, dass dem Kläger bereits ohne Antihistaminika eine Diät zur Verfügung steht, welche ausreichend erscheint und keine Mehrkosten verursacht, wenn man berücksichtigt, dass er offensichtlich Hülsenfrüchte toleriert. Unter dem Einsatz der Antihistaminika wäre es sogar möglich, gereifte und damit laktosearme Käsesorten zu konsumieren und so ein breiteres Lebensmittelangebot zur Verfügung zu haben. Eventuelle Kosten für derartige Medikamente können dabei im Rahmen des Ernährungsmehrbedarfs nicht berücksichtigt werden, da es sich bei dem von Dr. Nolte erwähnten Antihistaminikum Telfast 180 um ein verschreibungspflichtiges Medikament und nicht um ein Lebensmittel handelt (zur Nichtberücksichtigung von Medikamenten im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235- = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 20; vgl. auch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rn. 31). Grundsätzlich wird die notwendige Krankenbehandlung des Klägers, der im streitigen Zeitraum als Leistungsempfänger nach dem SGB II in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert war, durch seine Krankenkasse sichergestellt. Soweit bestimmte Präparate zwar medizinisch notwendig, aber unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der GKV-Versicherten nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckt sind, sind diese aus der Regelleistung zu zahlen (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, a.a.O. Rn. 25, welches auch darauf hinweist, dass in der Regelleistung im streitigen Zeitraum für die Abteilung 06 auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 ein Gesamtbetrag in Höhe von 13,19 € berücksichtigt worden ist). Raum, z.B. für einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ist damit ebenfalls nicht (vgl. BSG, a.a.O.). Damit kann hier offen bleiben, in welchem Umfang dem Kläger möglicherweise durch die Einnahme von Antihistaminika Mehrkosten entstanden sind.

59

Im Ergebnis ist damit ein krankheitsbedingter Mehraufwand nicht nachgewiesen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass ein sich mit Fleisch und Fisch ernährender Hilfebedürftiger Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung hätte. Im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II können nur die dem Kläger tatsächlich entstehenden Mehrkosten berücksichtigt werden und nicht etwa Mehrkosten, die bei einer (fiktiv zugrunde gelegten) nicht vegetarischen Ernährung entstünden.

60

Auch im Übrigen sind die Leistungen des Klägers nicht zu niedrig bemessen worden. Die Kosten der Unterkunft sind im Zeitraum bis zum 31.07.2005 in Ausführung des vor dem SG Koblenz (S 13 AS 281/06) abgegebenen Anerkenntnisses vollständig übernommen worden, obwohl auch hier wohl ein Abzug für die Warmwasserbereitung vorzunehmen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die der Höhe der Regelleistungen ergibt sich kein höherer Leistungsanspruch. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 09.02.2010 die Regelleistungen mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, den Gesetzgeber jedoch lediglich verpflichtet, diese für die Zukunft neu festzusetzen und ihm eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2010 gesetzt (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 12 Rn. 16 f.). Im Übrigen hat das BVerfG mit Beschluss vom 24.3.2010 auch klargestellt, dass die in diesem Urteil geschaffene Härtefallregelung nicht rückwirkend für Zeiträume, die vor der Verkündung dieses Urteils liegen, gilt (1 BvR 395/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1).

61

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

62

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Die Ablehnung eines Mehrbedarfs beruht hier auf der individuellen Konstellation des Klägers, dass dieser als Vegetarier nicht nur Mehrkosten für laktosearme Lebensmittel sondern auch Einsparpotential durch den Verzicht auf Fisch und Fleisch hat.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005.

2

Der 1982 geborene Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung von 100 sowie die Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H"). Bis einschließlich Januar 2005 zahlte sein Vater Unterhalt. Der Kläger erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III und bewohnt mit seiner Mutter eine gemeinsame Wohnung. Bis 31.12.2004 bezog er Leistungen der Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) und ab 1.1.2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff SGB XII(Bescheid vom 28.4.2005 für Januar 2005, vom 4.4.2005 für Februar bis Juni 2005, vom 23.6.2005 für Juli 2005 und vom 12.7.2005 für August 2005 bis Juni 2006, alle Bescheide erlassen von der Stadt Bad Schwartau im Namen und im Auftrag des Beklagten; Widerspruchsbescheid des Beklagten nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 5.10.2005).

3

Die Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, "dem Kläger seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch, insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten, des Regelsatzes eines Haushaltsvorstands und der korrespondierenden Mehrbedarfe sowie unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von jedenfalls 100 Euro im Monat zu gewähren", hatte teilweise Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Schleswig hat den Beklagten verurteilt, "dem Kläger für den Zeitraum seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft zu gewähren" und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 21.1.2008). Die Berufung mit dem Antrag, "den Beklagten zu verurteilen, ihm - dem Kläger - seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes/Alleinstehenden sowie unter Berücksichtigung des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von mindestens 100 Euro im Monat und unter Berücksichtigung der Beiträge für Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Kfz-Haftpflichtversicherung zu gewähren" hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 9.12.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Berufung sei hinsichtlich der geltend gemachten Versicherungsbeiträge schon unzulässig, weil der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren den Streitgegenstand auf die Kosten der Unterkunft, die Höhe des Regelsatzes und die Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung beschränkt habe. Die Berufung im Übrigen sei unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf den Eckregelsatz eines Haushaltsvorstandes, weil er weder dem zusammen mit seiner Mutter bestehenden Haushalt vorstehe noch neben seiner Mutter einen eigenen Haushalt in der gemeinsam mit ihr bewohnten Wohnung führe. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei insoweit nicht zu folgen. Dem Kläger stehe auch kein über den bereits bewilligten Betrag von 27,50 Euro (wegen Psoriasis) hinausgehender Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung wegen der geltend gemachten Allergien zu. Den Empfehlungen des Deutschen Vereins sei ein Mehrbedarf nicht zu entnehmen, sodass sein tatsächlicher Mehrbedarf konkret festzustellen sei. Ein Mehrbedarf wegen der Kuhmilch- sowie der Hühnereiweißallergie sei im Alter des Klägers unwahrscheinlich; letztere könne auch durch Weglassen des Nahrungsmittels therapiert werden. Die pauschale Bescheinigung des Hausarztes sei zum Nachweis des Mehrbedarfs ungeeignet. Der Kläger selbst habe nicht dargelegt, auf welche Lebensmittel er verzichten und welche er an deren Stelle erwerben müsse und dass damit Mehrkosten verbunden seien.

4

Mit seiner Revision macht der Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats eine Verletzung der §§ 42 Satz 1, 28 SGB XII iVm der Regelsatzverordnung (RSV) sowie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) geltend. Wegen der nach Art 3 GG gebotenen Gleichbehandlung könne eine den reduzierten Eckregelsatz begründende Haushaltsersparnis nur dann angenommen werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) oder eine Einsatzgemeinschaft nach § 19 SGB XII bildeten. Daneben rügt der Kläger Verfahrensfehler sowie einen Verstoß gegen § 33 SGB XII. Zu Unrecht habe das LSG hinsichtlich der Versicherungsbeiträge die Berufung als unzulässig angesehen. Mangels Beschränkung des Streitgegenstandes hätte das LSG über die geltend gemachten Versicherungsbeiträge materiell entscheiden müssen. Übernahmefähig seien jedenfalls die Beiträge für die Sterbegeldversicherung nach § 33 SGB XII. Soweit es den ernährungsbedingten Mehrbedarf betreffe, rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 42 Satz 1 Nr 3, 30 Abs 5 SGB XII. Der ernährungsbedingte Mehraufwand lasse sich betragsmäßig nicht verallgemeinern. Zu diesem Schluss komme zwar auch das LSG; es habe dann aber die ihm obliegende Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, weil es kein Sachverständigengutachten zu der von ihm angezweifelten Kuhmilchallergie des damals anwaltlich nicht vertretenen Klägers eingeholt habe, das einen Mehrbedarf von zumindest 100 Euro bestätigt hätte.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben, das Urteil des SG abzuändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und die Bescheide vom 4.4.2005, 28.4.2005 und 23.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.10.2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.7.2005 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Entgegen der Auffassung des LSG war die Berufung insgesamt zulässig. Ob der Kläger in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen hat, kann aber mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen durch das LSG zu Grund und Höhe der Leistungen - auch des ernährungsbedingten Mehraufwands - sowie zur Zuständigkeit des Beklagten nicht abschließend entschieden werden, auch wenn ihm entgegen den Ausführungen des LSG im streitbefangenen Zeitraum der Regelsatz für einen Haushaltsvorstand und für Alleinstehende in Höhe von 100 vH (Eckregelsatz) an Stelle des Regelsatzes für Haushaltsangehörige in Höhe von 80 vH des Eckregelsatzes zusteht.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind (nur noch) die Bescheide vom 4.4.2005, vom 28.4.2005 und vom 23.6.2005, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2005 (§ 95 SGG), soweit (höhere) Leistungen für die Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 abgelehnt worden sind. Der Bescheid vom 28.4.2005 betrifft die Grundsicherungsleistung für den Monat Januar 2005, der Bescheid vom 4.4.2005 die Grundsicherungsleistung für die Zeit vom Februar 2005 bis 30.6.2005. Insoweit ersetzen diese Bescheide durch jeweils höhere Leistungsbewilligungen als zuvor den Bescheid vom 23.12.2004, mit dem ursprünglich die Leistung für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 30.6.2005 bewilligt worden war, aber auch die Bescheide vom 10.2.2005 (Grundsicherungsleistung für Januar 2005) und vom 3.2.2005 (Grundsicherungsleistung für Februar 2005), die sich damit erledigt haben (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -). So wird in den Bescheiden vom 4.4.2005 und vom 28.4.2005 auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Bescheide "alle vorhergehenden Bescheide über die Höhe der Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII" aufheben, "soweit sie sich auf gleiche Zeiträume beziehen". Der Bescheid vom 4.4.2005 nennt zwar nur die Leistung für den Monat Februar 2005 in Höhe von 602,92 Euro; Maßstab für die Inhaltsbestimmung der getroffenen Regelung ist aber der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). Danach regelt der Bescheid die Leistung nicht nur für den Monat Februar 2005, sondern für die Zeit bis zum Ende des ursprünglich durch den Bescheid vom 23.12.2004 vorgesehenen Bewilligungszeitraums bis 30.6.2005. Dies zeigt schon die Bezeichnung als "Bescheid über die Änderung von laufenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung", die, ginge es nur um den vergangenen Monat Februar 2005, nicht nachvollziehbar wäre. Auch der Änderungsgrund, nämlich "Anerkennung des Mehrbedarfs für kostenaufwändigere Ernährung ab dem 1.2.2005" zeigt, dass nicht nur der Monat Februar 2005, sondern die gesamte Zeit ab 1.2.2005 bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts gemeint ist. Gleiches gilt auch für die Anlage zum Bescheid, die die Bedarfsberechnung "ab dem Monat 02/05" mitteilt.

10

Gegenstand des Verfahrens ist auch der Bescheid vom 23.6.2005, der Leistungen für den Monat Juli 2005 regelt. Dieser ist nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden(vgl dazu Urteil des Senats vom 14.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - RdNr 10). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist hingegen nicht der Bescheid vom 12.7.2005, der die Leistungen für den Zeitraum vom 1.8.2005 bis 30.6.2006 regelt. Zwar war auch dieser Bescheid nach der Rechtsprechung des Senats (aaO) Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 SGG und nicht - wie das LSG meint - mangels Widerspruch bestandskräftig geworden. Mit seiner Revision hat der Kläger aber den Streitgegenstand ausdrücklich auf die Zeit vom 1.1.2005 bis zum 31.7.2005 begrenzt.

11

Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger den Streitgegenstand nicht auf Kosten der Unterkunft, die Höhe des Regelsatzes und die Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung beschränkt. Wenn er in der ersten Instanz beantragt hat, den Beklagten zu höheren Leistungen zu verurteilen, "insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten, des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes und der korrespondierenden Mehrbedarfe sowie unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von jedenfalls 100 Euro", so ist hierin nicht eine Beschränkung des Streitgegenstandes zu sehen, sondern nur eine - entbehrliche - Beschreibung des von ihm für einschlägig erachteten Leistungsgrundes (vgl dazu BSG, Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 19/09 R). Erst recht wird dies vorliegend durch das Wort "insbesondere" deutlich, das der Annahme einer abschließenden Aufzählung (oder Begrenzung) des Begehrens entgegensteht. Auch haben die Beteiligten einzelne Teile des Anspruchs gerade nicht durch Teilvergleich oder -anerkenntnis geregelt (vgl dazu: BSGE 97, 217 ff RdNr 18 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 1 RdNr 14). Mangels entsprechender Beschränkung des Streitgegenstandes ist damit die vom LSG gezogene Schlussfolgerung, die Berufung sei hinsichtlich der Versicherungsbeiträge unzulässig, falsch.

12

Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG). Richtiger Beklagter ist der Landrat des Kreises Ostholstein als beteiligtenfähige Behörde iS von § 70 Nr 3 SGG. Danach sind Behörden beteiligtenfähig, sofern das Landesrecht dies bestimmt (Behördenprinzip). Eine entsprechende Bestimmung enthält § 5 des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 2.11.1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt 144, in der Bekanntmachung vom 4.8.1965, GVBl 53, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 14.3.2011 - GVBl 72). Behörde in diesem Sinne ist der Landrat (vgl: BSGE 99, 137 ff RdNr 11 f = SozR 4-1300 § 44 Nr 11; BSGE 100, 131 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3). Hieran ändert auch nichts, dass die Leistungsbescheide von der Stadt Bad Schwartau erlassen wurden, die nach der Satzung des Kreises Ostholstein über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten, Gemeinden und Ämtern zu Aufgaben der Sozialhilfe vom 15.1.2003 tätig geworden ist; denn die Heranziehung durch die genannte Satzung erfolgt nicht in einem auftragsähnlichen Verhältnis zum Handeln in eigenem Namen (zu dieser Voraussetzung: BSGE 99, 137 ff RdNr 11 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11; BSG SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 13 f), sondern nach § 1 der Heranziehungssatzung wurde diese vielmehr "beauftragt" und wurde erkennbar "im Namen des Kreises Ostholstein" und damit für dessen beteiligtenfähige Behörde, den Landrat, tätig.

13

Bei der Entscheidung, ob dem Kläger höhere Leistungen zustehen, sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen über Grund und Höhe der Leistungen (vgl dazu BSGE 99, 262 ff RdNr 12 mwN = SozR 4-3500 § 82 Nr 3) gemäß § 19 Abs 2 SGB XII iVm § 41 Abs 1 SGB XII(beide idF, die die Normen durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten haben) in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 zu prüfen. Danach können Personen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 65. Lebensjahr vollendet haben (Nr 1) oder das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann(Nr 2), auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhalten. Der Anspruch besteht nur, sofern der Leistungsberechtigte seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann (§ 19 Abs 2 Satz 1 SGB XII).

14

Der Senat vermag schon nicht zu beurteilen, ob der Kreis Ostholstein der hier örtlich und sachlich zuständige Träger der Sozialhilfe ist (§ 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Nach § 2 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XII) vom 15.12.2005 (GVBl 568) iVm § 97 SGB XII ist der örtliche Träger der Sozialhilfe sachlich für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zuständig; örtliche Träger der Sozialhilfe sind nach § 1 AG-SGB XII die Kreise und kreisfreien Städte. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich dabei gemäß § 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten, zu dem jegliche Feststellungen des LSG fehlen. Diese wird es ggf nachzuholen haben, zumal - wie sich aus dem Akteninhalt ergibt - der Kläger Mitte 2004 seinen Hauptwohnsitz in Hamburg genommen hat und seine Mutter angibt, man halte sich (nur) "in den Ferien und am Wochenende in Bad Schwartau auf".

15

Unberücksichtigt bleiben kann allerdings, wenn der Beklagte der zuständige Leistungsträger ist, dass die Heranziehungssatzung vom 15.1.2003 naturgemäß keine Regelungen über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten und Gemeinden zu den Aufgaben nach dem noch nicht existierenden SGB XII treffen konnte. Nach dem Willen des Landesgesetzgebers sollte die Rechtsgrundlage für den Erlass der Satzung (§ 4 Abs 3 Nr 1 GSiG iVm § 2 des Gesetzes zur Ausführung des GSiG vom 30.11.2002 - GVBl 239) nämlich zunächst nicht entfallen. Dies zeigt schon Art 15 Haushaltsstrukturgesetz (vom 15.12.2005 - GVBl 568), mit dem das AG-GSiG aufgehoben wurde. Die Aufhebung erfolgte nach Art 17 Haushaltsstrukturgesetz nicht rückwirkend zum 1.1.2005 oder zumindest mit dem Tag nach der Veröffentlichung, sondern erst zum 1.1.2007. Dementsprechend ist die abweichend (vgl § 37 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -) von § 88 Abs 1 Satz 2 SGB X auf der gesetzlichen Ermächtigung des § 99 Abs 1 SGB XII iVm § 4 AG-SGB XII vom 15.12.2005 (GVBl 568) zulässigerweise ergangene Satzung des Kreises Ostholstein über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten, Gemeinden und Ämtern zu Aufgaben der Sozialhilfe nach dem SGB XII vom 13.12.2006 erst am 1.1.2007 in Kraft getreten ist (§ 6 der Heranziehungssatzung vom 13.12.2006) und die alte Satzung behielt bis zu diesem Zeitpunkt ihre gesetzliche Grundlage. Die Satzung vom 15.1.2003 erfasst nach ihrem Sinn und Zweck dann unabhängig von der Bezeichnung des Gesetzes alle Aufgaben im Zusammenhang mit Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - also auch die nach §§ 41 ff SGB XII für die Zeit ab dem 1.1.2005. Welche rechtlichen Konsequenzen eine Beauftragung ohne gesetzliche Ermächtigung hätte, kann deshalb dahinstehen. Der Senat ist nicht gehindert, die dem Grunde nach nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Vorschriften anzuwenden und auszulegen, weil das LSG diese Vorschriften bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen hat (vgl nur BSGE 102, 10 ff RdNr 28 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2).

16

Das LSG hat auch zu den materiellrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs keine Feststellungen getroffen; diese wird es nachholen müssen. In der Sache geht es dem Kläger um insgesamt höhere Leistungen (siehe oben). Insoweit hat das LSG jedenfalls zu Unrecht den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen bei der Bemessung der Leistung zugrunde gelegt. Der Umfang der Leistungen bestimmt sich nach dem maßgeblichen Regelsatz (§ 42 Satz 1 Nr 1 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch iVm § 28 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 9.12.2004 - BGBl I 3305) und ggf dem auf diesen Bedarf anzurechnenden Einkommen (§§ 82 ff SGB XII idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch), hier den an den Kläger erbrachten tatsächlichen Unterhaltsleistungen (vgl dazu BSGE 99, 137 ff RdNr 23 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11).

17

Der maßgebliche Regelsatz beträgt 345 Euro, nicht aber - wovon der Beklagte zu Unrecht ausgeht - 276 Euro. Nach § 28 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm §§ 2, 3 Abs 1 Satz 2 der auf der Grundlage des § 40 SGB XII erlassenen RSV(idF vom 3.6.2004 - BGBl I 1067) hat ein Haushaltsvorstand Anspruch auf 100 % des Regelsatzes; dieser betrug nach § 1 der Schleswig-Holsteinischen Regelsatzverordnung nach § 28 Abs 2 SGB XII vom 15.12.2004 (GVBl 505) bzw (für Juli 2005) nach § 1 der Landesverordnung über die Festsetzung der Regelsätze nach § 28 Abs 2 SGB XII vom 15.8.2005 (GVBl 331) 345 Euro; der Regelsatz für den Haushaltsvorstand gilt auch für Alleinstehende (§ 3 Abs 1 Satz 3 RSV). Die Regelsätze für sonstige Haushaltsangehörige betragen nach § 3 Abs 2 RSV bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 vH (Nr 1) und nach Vollendung des 14. Lebensjahres 80 vH des Eckregelsatzes (Nr 2).

18

Der Kläger ist kein Haushaltsangehöriger im Sinne der RSV. Die abgestufte Regelsatzhöhe beruht auf der Erwägung, dass bei einer gemeinsamen Haushaltsführung Ersparnisse die Annahme eines geringeren Bedarfs rechtfertigen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hielt vor dem 1.1.2005 die Zuordnung als Haushaltsvorstand oder Haushaltsangehöriger in allen Konstellationen des Zusammenlebens für möglich und machte dies allein von einer gemeinsamen Wirtschaftsführung im Sinne einer "Wirtschaftsgemeinschaft" abhängig, deren Vorliegen allerdings bei nicht miteinander verwandten oder verschwägerten Personen besonders sorgfältig zu prüfen war (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1965 - V B 152.65 -, FEVS 14, 241, 242). Bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen in der RSV muss ab 1.1.2005 aber berücksichtigt werden, dass die Annahme einer Haushaltsersparnis nach den Regelungen des SGB II einer gegenüber den bisherigen Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bzw GSiG abweichenden gesetzgeberischen Konzeption folgt. Der Gesetzgeber des SGB II hat die Annahme einer Haushaltsersparnis und Kürzung der Regelleistung nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden, sondern in § 20 SGB II typisierend prozentuale Abschläge von der Regelleistung wegen Haushaltsersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft vorgenommen und insofern bewusst auf die Normierung der Rechtsfigur eines "Haushaltsvorstandes" verzichtet(BSGE 97, 211 ff RdNr 19 = SozR 4-4200 § 20 Nr 2). Da aber bezogen auf die Minderung des Regelsatzes bzw der Regelleistung wegen Annahme einer Haushaltsersparnis für eine unterschiedliche Behandlung zwischen der Personengruppe der SGB-XII- und SGB-II-Leistungsempfänger im Hinblick auf die identische sozialrechtliche Funktion beider Leistungen (Sicherstellung des Existenzminimums) keine sachlichen Gründe erkennbar sind, hat der Senat bereits früher entschieden (BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2; BSGE 106, 62 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6; Gutzler in juris Praxiskommentar SGB XII , § 28 SGB XII RdNr 42), dass seit dem 1.1.2005 mit dem Systemwechsel durch das Inkrafttreten des SGB XII (Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) und des SGB II (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 - BGBl I 2954) nach Maßgabe des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII Einsparungen bei gemeinsamer Haushaltsführung nur dann anzunehmen sind, wenn die zusammenlebenden Personen bei Bedürftigkeit eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft iS des § 19 SGB XII bilden bzw bilden würden(anders für das bis zum 31.12.2004 geltende Recht des BSHG BSGE 104, 207 ff RdNr 18 f = SozR 4-3530 § 6 Nr 1).

19

Der Kläger war im streitigen Zeitraum bereits volljährig. Er lebte deshalb nicht in einer eine Bedarfs- oder Einsatzgemeinschaft rechtfertigenden Beziehung zu seiner Mutter. Nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II(in der hier maßgebenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) gehören nur die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder (der in § 7 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGB II genannten Personen) zur Bedarfsgemeinschaft. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II in der ab dem 1.7.2006 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006 (BGBl I 558) auch volljährige bedürftige Kinder bis zum 25. Lebensjahr - wie der Kläger im streitigen Zeitraum - in Bedarfsgemeinschaften einbezogen wurden (vgl BT-Drucks 16/688 S 13). Betroffen ist hier ein Zeitraum vor der Änderung des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II. Die Regelung gilt nicht rückwirkend, was nicht zuletzt § 68 Abs 1 SGB II belegt, wonach § 7 SGB II in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung sogar weiterhin für Bewilligungszeiträume anzuwenden ist, die vor dem 1.7.2006 beginnen (Senatsurteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 15/08 R - RdNr 15).

20

Ebenso wenig lebt der Kläger mit seiner Mutter in einer Einsatzgemeinschaft iS des SGB XII. Nach § 19 SGB XII bilden Kinder, die dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils angehören, mit diesen nur dann eine Einsatzgemeinschaft, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, sodass dem Kläger - unterstellt, er hat dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.7.2005 durchgängig statt 276 Euro (80 % des Eckregelsatzes für Haushaltsangehörige vom Beginn des 15. Lebensjahres an) nominal 345 Euro zustehen (vgl auch BSGE 106, 62 ff RdNr 17 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 6).

21

Die vom LSG hiergegen erhobene Kritik, die sich insbesondere auf die Regelungen der RSV stützt, verkennt die Tragweite von Art 3 GG. Es kann insbesondere nicht eingewandt werden, der Gesetzgeber habe auch die Möglichkeit, die Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 SGB II auf erwerbsfähige Hilfebedürftige ab dem 25. Lebensjahr zu erweitern. Bis zu einer etwaigen Änderung ist eine verfassungsrechtlich gebotene Harmonisierung nur möglich, indem der Kläger als Alleinstehender im Sinne der RSV zu behandeln ist, nicht aber, indem die RSV die Auslegung des SGB II diktiert. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010, wonach der Regelbedarf durch den Gesetzgeber selbst zu verankern ist (BVerfGE 125, 175 ff, 223 und 256; vgl auch Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 40 SGB XII RdNr 18). Ob für die Zeit ab 1.1.2011 im Hinblick auf die Regelungen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes vom 24.3.2011 (BGBl I 453) eine andere Wertung vorzunehmen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.

22

Entgegen der Auffassung des LSG ist auch nicht erkennbar, dass sich aus der Gewährung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Klägers im Sinne einer Besserstellung gegenüber Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II ergäbe. Wenn in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird, dass eine Mutter und ihr in Haushaltsgemeinschaft lebendes erwachsenes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, insgesamt nur 180 % des Regelsatzes bzw der Regelleistung erhielten, so bezieht sich das nur auf die seit dem 1.7.2006 geltende Rechtslage (Gesetz vom 24.3.2006 - BGBl I 558), die ab diesem Zeitpunkt ggf auf das SGB XII zu übertragen wäre. Ebenso falsch ist die Auffassung des LSG, dass die Mutter, wenn sie Leistungsbezieherin nach dem SGB II wäre, nur 80 % des Eckregelsatzes beanspruchen könnte. Die Auffassung des LSG schließlich, es gebe keinen sachlichen Grund für einen höheren Leistungsanspruch des Klägers im Verhältnis zu einem in Bedarfsgemeinschaft oder in gemischter Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehepaares, weil hier wie da von einer Haushaltsersparnis auszugehen sei, verkennt die gesetzgeberische Entscheidung zu den Personenbeziehungen, bei denen im Falle eines Zusammenlebens von Einsparungen auszugehen ist. Der Senat hat nicht die sozialpolitische Sinnhaftigkeit der gesetzgeberischen Entscheidung zu bewerten und ggf eine Korrektur vorzunehmen.

23

Soweit es die Versicherungsbeiträge betrifft, wird das LSG jedenfalls für den Monat Januar, in dem der Kläger Unterhaltsleistungen bezogen hat, zu prüfen haben, inwieweit die Beiträge als mögliche Abzüge vom Einkommen gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind (vgl § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII; dazu BSGE 104, 207 ff RdNr 20 ff = SozR 4-3530 § 6 Nr 1). Für die Zeit ab Februar 2005 ist - sieht man von der Sterbegeldversicherung ab - mangels Einkommens des Klägers eine "Berücksichtigung" der Versicherungsbeiträge im Sinne einer Übernahme durch den Beklagten nicht möglich. Soweit Versicherungsbeiträge Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts und die Beiträge angemessen sind, werden sie im Übrigen in der Regel pauschal durch den Regelsatz abgegolten. Etwas anderes gilt nach § 33 Abs 2 SGB XII allerdings für ein angemessenes Sterbegeld. Nach § 33 SGB XII(idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) können die erforderlichen Kosten übernommen werden, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld zu erfüllen. Zwar umfasste die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 42 SGB XII(in den hier maßgebenden Fassungen des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch bzw ab 30.3.2005 des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005) bis 31.12.2008 nicht Leistungen nach § 33 SGB XII(erst mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21.12.2008 - BGBl I 2008, 2933 - wurden mit Wirkung vom 1.1.2009 die Vorsorgebeiträge entsprechend § 33 SGB XII in den Katalog des § 42 Satz 1 SGB XII aufgenommen). Die Übernahme der Kosten für ein angemessenes Sterbegeld scheidet deswegen aber nicht aus. Soweit § 19 Abs 2 Satz 3 SGB XII einen Vorrang der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung regelt, gilt dies nur, soweit §§ 41 ff SGB XII Leistungen auch tatsächlich vorsehen; einen Ausschluss von Leistungen des Dritten Kapitels regelt § 19 Abs 2 Satz 3 SGB XII nicht(Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 43 ff). Ob die Voraussetzungen des § 33 SGB XII vorliegen, wird das LSG deshalb ggf prüfen müssen.

24

Das LSG wird auch prüfen müssen, ob dem Kläger (höhere) Leistungen wegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs zustehen. Dabei wird es - ohne dass es wegen der ohnehin erforderlichen Zurückverweisung der Sache darauf ankommt, ob ein Verfahrensmangel ordnungsgemäß gerügt wurde - weitere Ermittlungen anzustellen haben. Nach § 42 Nr 3 iVm § 30 Abs 5 SGB XII wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Liegen bei einem Leistungsempfänger mehrere Erkrankungen vor, für die jeweils ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen geltend gemacht wird, so ist der Ernährungsaufwand aufgrund des gesamten Krankheitsbildes konkret zu ermitteln (BSGE 100, 83 ff RdNr 39 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 6). Maßgeblich ist stets der Betrag, mit dem der medizinisch begründete, tatsächliche Kostenaufwand für eine Ernährung ausgeglichen werden kann, der von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Er ist im Einzelfall im Wege der Amtsermittlung durch Einholung medizinischer und/oder ernährungswissenschaftlicher Stellungnahmen oder Gutachten zu klären (BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 28). Das LSG hat zu der behaupteten Kuhmilch- sowie der Hühnereiweißallergie lediglich ausgeführt, diese seien im Alter des Klägers unwahrscheinlich, Letztere könne auch durch Weglassen des Nahrungsmittels therapiert werden. Abgesehen davon, dass nicht deutlich wird, woher das LSG ausreichende Sachkunde über Therapiemöglichkeiten von Allergien besitzt, ist es für einen ernährungsbedingten Mehraufwand nicht entscheidend, ob ein bestimmtes Nahrungsmittel bei der Ernährung weggelassen werden kann; dies ist bei einer Allergie gegen ein bestimmtes Nahrungsmittel selbstverständlich. Entscheidend ist vielmehr, ob und durch welche Nahrungsmittel es ersetzt werden muss und ob hierdurch Mehrkosten entstehen. Wenn - wovon das LSG zu Recht ausgeht - insoweit eine pauschale Bescheinigung des Hausarztes zum Nachweis des Mehrbedarfs ungeeignet ist, hätte es sich aufgedrängt, weitere Ermittlungen zu einem etwaigen Mehrbedarf anzustellen und dabei nicht die einzelne Allergie isoliert betrachten. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Ernährungsaufwands das gesamte Krankheitsbild unter Berücksichtigung wechselseitiger Auswirkungen der Erkrankungen (Allergien) auf die Ernährung einzubeziehen. Im Hinblick auf die Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) durfte das LSG die erforderlichen Ermittlungen auch nicht ohne weiteres mit der Begründung unterlassen, der Kläger selbst habe nicht dargelegt, auf welche Lebensmittel er verzichten und welche er an deren Stelle erwerben müsse und dass damit Mehrkosten verbunden seien. Hier hätte es nahegelegen, ggf ein ernährungswissenschaftliches Sachverständigengutachten einzuholen.

25

Das LSG wird schließlich auch prüfen müssen, ob - unterstellt, der Kläger hat einen Anspruch auf Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII - aus anderen Gründen eine höhere Leistung zu erbringen ist und ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Juli 2009 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung höherer Leistungen nach dem SGB II infolge eines vom Kläger geltend gemachten krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarfs in den Zeiträumen vom 1.12.2005 bis 30.6.2006 und 1.1.2007 bis 31.12.2007.

2

Die Agentur für Arbeit bewilligte dem Kläger im Dezember 2004 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 30.4.2005. Ab dem 1.1.2005 war der Kreis K als zugelassener kommunaler Träger nach § 6a SGB II zuständiger Träger. Die Beklagte ist vom Kreis K durch Satzung gemäß § 6 Abs 2 S 1 SGB II iVm § 5 Abs 2 des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004 (AG SGB II NRW) zur Aufgabenerfüllung in eigenem Namen herangezogen. Sie lehnte den Fortzahlungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 20.4.2005 zunächst ganz ab und bewilligte auf den Widerspruch des Klägers mit Änderungsbescheid vom 5.7.2005 die Regelleistung nach dem SGB II zunächst für die Monate Mai bis Juli 2005 und mit Bescheid vom 22.7.2005 vom 1.8.2005 bis 31.12.2005. Mit Bescheid der Beklagten vom 20.12.2005 wurden dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelleistung) für den Zeitraum 1.1.2006 bis 30.6.2006 bewilligt.

3

Am 23.12.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II. Er legte eine ärztliche Bescheinigung auf dem hierfür von der Verwaltung vorgesehenen Formular vor, wonach er an Hyperlipidämie, Hyperuricämie/Gicht sowie Hypertonie (kardiale/renale Ödeme) leide und auf lipidsenkende, purinreduzierte und natriumdefinierte Kost angewiesen sei. Der Kläger übergab der Beklagten in der Folge in einem versiegelten Umschlag ärztliche Unterlagen, welche diese verschlossen an den Amtsarzt Sch beim Kreis K weiterleitete. Nachdem der Amtsarzt der Beklagten mitgeteilt hatte, aus den ihm vorliegenden Unterlagen würden sich unter Berücksichtigung des üblicherweise zugrunde gelegten Begutachtungsleitfadens kein Mehrbedarf ergeben, lehnte diese den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 28.2.2006 ab. Der Kreis K wies den hiergegen gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.5.2006 zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum SG "wegen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II § 21, ab Dezember 2005". Er benötige wegen der vorliegenden Erkrankungen kostenaufwändige Ernährung, was eine finanzielle Mehrbelastung darstelle. Er nahm zur Begründung außerdem Bezug auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Stand 1997).

4

Mit Bescheid der Beklagten vom 3.1.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Kreises K vom 16.4.2007 wurde ein erneuter Antrag des Klägers auf Berücksichtigung eines krankheitsbedingten Ernährungsaufwandes vom 28.12.2006 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum SG. Mit Bescheid der Beklagten vom 15.12.2006 in der Gestalt eines weiteren Widerspruchsbescheids des Kreises K vom 16.4.2007 wurden dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (nur Regelleistung, ohne KdU) für den Zeitraum 1.1.2007 bis 31.12.2007 bewilligt. Hiergegen erhob der Kläger ebenfalls Klage zum SG mit dem Begehren, "Leistungen in gesetzlicher Höhe nach § 22 SGB II zu erbringen".

5

Das SG hat mit Urteilen vom 11.3.2008 die Klagen abgewiesen, da im Zeitraum 1.5.2005 bis 31.12.2007 kein Anspruch auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf bestehe. Die hiergegen am 26.6.2008 und 30.6.2008 eingelegten Berufungen hat das LSG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Beschluss vom 22.7.2009 hat das LSG die Berufungen des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur höheren Leistungsgewährung sei für die Zeiträume vom 1.5.2005 bis 30.11.2005 und 1.6.2006 bis 31.12.2006 unzulässig. Soweit der Kläger für die Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 sowie ab dem 1.1.2007 höhere Leistungen begehre, seien die zulässigen Klagen unbegründet. Nach den Mehrbedarfsempfehlungen des Deutschen Vereins 2008 erforderten die beim Kläger bestehenden Erkrankungen - Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie - sämtlich lediglich eine Vollkost, deren Beschaffung keine erhöhten Kosten verursache. Zu diesem Ergebnis sei auch der von der Beklagten gehörte Arzt Sch gelangt, dessen Darlegungen der Senat urkundsbeweislich würdige.

6

Mit der hiergegen vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, durch die Mehrbedarfsempfehlungen des Deutschen Vereins werde die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, nicht aufgehoben. Außerdem hätten die Mehrbedarfsempfehlungen des Deutschen Vereins (Stand 1997) Berücksichtigung finden müssen, da die überarbeiteten Empfehlungen erst nach dem vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum veröffentlicht worden seien. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins 1997 sei für die beim Kläger bestehenden Erkrankungen Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie ein krankheitsbedingter Mehrbedarf anzuerkennen. Aufgrund der divergierenden Ergebnisse der Mehrbedarfsempfehlungen 1997 und 2008 sei in jedem Fall eine Sachaufklärung im Einzelfall geboten, die auch die unterschiedlichen Auffassungen der Mehrbedarfsempfehlungen 1997 und 2008 miteinbeziehen und würdigen müsse. Nachdem das LSG offen gelassen habe, ob die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen seien und diese lediglich als Orientierungshilfe angesehen habe, habe das Gericht die in Anspruch genommene Sachkunde nachvollziehbar darlegen müssen.

7

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Juli 2009 und die Urteile des Sozialgerichts Duisburg vom 11. März 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 22. Juli 2005, 20. Dezember 2005 und 8. Februar 2006, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2006 und vom 15. Dezember 2006 und 3. Januar 2007, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. April 2007 zu verurteilen, ihm für die Zeiträume vom 1. Dezember 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2007 höhere Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren, unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet(§ 170 Abs 2 SGG). Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in den Zeiträumen 1.12.2005 bis 30.6.2006 und 1.1.2007 bis 31.12.2007.

10

1. Die beklagte Stadt G ist im vorliegenden Fall passiv legitimiert. Die Stadt G ist gegenüber den Hilfebedürftigen im Außenverhältnis materiell zur Erbringung der Leistungen nach dem SGB II verpflichtet (§ 5 Abs 2 AG-SGB II NRW idF vom 16.12.2004, GVBl NRW 2004, 821 iVm § 6 Abs 2 S 1 SGB II, § 6a Abs 2 SGB II iVm § 1 Abs 1 Kommunalträger-Zulassungsverordnung idF vom 24.9.2004, BGBl I 2349; vgl auch BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 56/06 R - RdNr 15 f). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist derjenige Rechtsträger passiv legitimiert, der auch materiell verpflichtet ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 69 RdNr 4),ohne dass an dieser Stelle erörtert werden muss, in welchem Umfang eine Heranziehung zur "Durchführung" der Aufgaben nach dem SGB II möglich ist (vgl Luthe in: Hauck/Noftz, SGB II, § 6 RdNr 16 Stand 37. Ergänzungslieferung VI/11; Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 6 RdNr 11).

11

2. Die Beteiligten haben den Streitgegenstand bereits im Verwaltungsverfahren in rechtlich zulässiger Weise getrennt, als die KdU gesondert behandelt wurden und daher in anderen Verfahren zu prüfen sind. Nachdem die Beklagte dem Kläger mit den Bewilligungsbescheiden vom 22.7.2005 und 20.12.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1.8.2005 bzw ab 1.1.2006 sowie mit Bewilligungsbescheid vom 15.12.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1.1.2007 jeweils nur in Form der Regelleistung bewilligt hatte und der Kläger in den laufenden Widerspruchsverfahren weiterhin einen krankheitsbedingten Mehrbedarf geltend machte, war es insoweit zulässig, dass der Kreis K in den laufenden Widerspruchsverfahren zunächst entschied, dass keine höhere Regelleistung zu gewähren war (Widerspruchsbescheide vom 19.5.2006 und 16.4.2007). Insbesondere ist der Antrag des Klägers vom 23.12.2005 auf Gewährung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs auch als Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.12.2005 auszulegen, gerichtet auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im dortigen Bewilligungszeitraum 1.1.2006 bis 30.6.2006.

12

Die Entscheidungen der Verwaltung zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts können allerdings jeweils nicht in weitere unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (vgl BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 9 mwN). Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II und kann damit nicht allein Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (Senatsurteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R, s auch BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R, jeweils zur Veröffentlichung vorgesehen). Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass das Begehren des Klägers im Rahmen der jeweiligen Widerspruchsverfahren auf Gewährung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs gemeinsam mit der Regelleistung zu behandeln und insoweit auf die jeweiligen Bewilligungszeiträume (§ 41 Abs 1 S 4 SGB II) abzustellen und zu prüfen ist, ob in den hier streitigen Zeiträumen insgesamt Anspruch auf Gewährung einer höheren Leistung besteht (vgl BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - RdNr 14 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

13

3. a) Die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 9 mwN). Ob dem Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen höhere Leistungen zum Lebensunterhalt zustehen, kann der Senat wegen fehlender Feststellungen des LSG nicht beurteilen. Es fehlen insoweit bereits Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II(idF des Gesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014) in den jeweiligen streitgegenständlichen Zeiträumen.

14

b) Auch zur Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Mehrbedarf wegen Krankenkost hat, fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Die von dem Kläger erhobene Verfahrensrüge ist zulässig und begründet (§ 103 SGG).

15

Nach § 21 Abs 5 SGB II(idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954) erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (s dazu das Urteil des Senats vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl auch Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 19). Ob diese Voraussetzungen bei dem Kläger vorliegen, kann anhand der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden.

16

Es liegt insoweit ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) vor. Das LSG hat von den Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung gestanden haben (vgl zu diesem Maßstab BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B; BSG Beschluss des Großen Senats vom 11.12.1969 - GS 2/68 - BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO), keinen ausreichenden Gebrauch gemacht, indem zB sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte des Klägers oder medizinische Sachverständigengutachten eingeholt wurden (vgl BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

17

Die Vorinstanzen sind vorliegend davon ausgegangen, dass zwar beim Kläger verschiedene Krankheiten vorliegen, diese jedoch keinen Mehrbedarf bedingen, ohne dass ausreichend deutlich ist, worauf diese Feststellungen bzw die Sachkunde beruht. Der Kläger hat angegeben, er leide an Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie und vorgetragen, ihm sei vom behandelnden Arzt lipidsenkende, purinreduzierte und natriumdefinierte Kost verordnet worden, was eine finanzielle Mehrbelastung darstelle. Er hat außerdem hausärztliche Bescheinigungen vorgelegt, wonach er Krankenkost benötige. Dieses Vorbringen ist ausreichend substantiiert, um die Verpflichtung zur Amtsermittlung auszulösen. Weder das SG noch das LSG haben den Kläger befragt, welche Krankheiten vorliegen und bei welchen Ärzten er in Behandlung ist. Der Kläger wurde auch nicht aufgefordert, seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, damit die Gerichte sachverständige Zeugenauskünfte einholen können, nach denen dann zu entscheiden gewesen wäre, ob ggf medizinische oder ernährungswissenschaftliche Sachverständigengutachten einzuholen sind. Während des Verwaltungsverfahrens ist zwar eine amtsärztliche Stellungnahme eingeholt worden. Das vom LSG herangezogene Schreiben des Amtsarztes Sch vom 25.1.2006 ist nicht allein zur Überzeugungsbildung geeignet, weil es dort lediglich heißt, dass aufgrund vorliegender hausärztlicher Angaben die Gewährung eines Mehrbedarfs nach dem üblicherweise zugrunde gelegten Begutachtungsleitfaden nicht in Betracht komme. Mangels Mitteilung der Tatsachengrundlage ist die vom Amtsarzt Sch mitgeteilte Würdigung nicht nachvollziehbar.

18

Auch mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 (<vgl NDV 2008, 503 ff> Mehrbedarfsempfehlungen 2008) allein konnte das LSG die Frage nicht beantworten. Die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 sind keine antizipierten Sachverständigengutachten, weshalb die Gerichte sie nicht in normähnlicher Weise anwenden können. Antizipierte Sachverständigengutachten geben über den konkreten Einzelfall hinaus die Erfahrungen und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine bestimmte Frage wieder. Voraussetzung für eine gerichtliche Verwertung ist, dass das antizipierte Sachverständigengutachten auf wissenschaftlicher Grundlage von Fachgremien ausschließlich aufgrund der zusammengefassten Sachkunde und Erfahrung ihrer sachverständigen Mitglieder erstellt worden ist, dass es immer wiederkehrend angewendet und von Gutachtern, Verwaltungsbehörden, Versicherungsträgern, Gerichten sowie Betroffenen anerkannt und akzeptiert wird (BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R = SozR 3-2200 § 581 Nr 8 mwN; vgl auch Gusy, NuR 1987, 156 ff; Keller, SGb 2003, 254 ff; Siefert, ASR 2011, 45 ff).

19

Ob die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind, wird nicht einheitlich beantwortet (zum Meinungsstand siehe Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 40). Teilweise wird die Annahme eines antizipierten Sachverständigengutachtens befürwortet (vgl etwa LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 3.2.2009 - L 9 B 339/08 AS; LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 19.12.2008 - L 8 B 386/08), teilweise wird dies verneint (Krauß in Hauck/Noftz, § 21 RdNr 64, 36. Ergänzungslieferung V/11; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 40, 40. Ergänzungslieferung November 2010; Siefert, ASR 2011, 45 <49>; Kohte in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 21 RdNr 17).

20

Die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 sind schon ihrer Konzeption nach keine antizipierten Sachverständigengutachten. Sie erheben selbst nicht diesen Anspruch, indem sie zu Recht betonen, dass es auf den jeweiligen Einzelfall ankomme (zu diesem Aspekt vgl Krauß in Hauck/Noftz, § 21 RdNr 64, 36. Ergänzungslieferung V/1), dass insoweit die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung bestehe, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 20 SGB X), dass der Katalog der Krankheiten in den Empfehlungen nicht abschließend sei, dass es bei der Bestimmung und Anerkennung eines Mehrbedarfs naturgemäß Beurteilungs- und Bewertungsdifferenzen in Wissenschaft und Praxis der Medizin gebe und dass sich ernährungswissenschaftliche und diätetische Anschauungen und Erkenntnisse wandeln könnten (vgl die Erläuterungen Löher, NDV 2008, 503 <504, 506, 509>). Die Verwaltung und die Gerichte dürfen daher die Aussagen in den Empfehlungen weder normähnlich anwenden noch als allgemeingültige Tatsachen heranziehen. Allgemeinkundige Tatsachen sind nur solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne Weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unschwer überzeugen können oder auch solche, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (vgl BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R unter Hinweis auf BSG Urteil vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - ZfS 2002, 237).

21

Es fehlt außerdem an der immer wiederkehrenden Anwendung und langfristigen allgemeinen Akzeptanz der Empfehlungen. Dies ergibt sich schon aus der wechselvollen Entstehungsgeschichte der Mehrbedarfsempfehlungen, die binnen eines Jahrzehnts in der überarbeiteten Fassung zu deutlich geänderten Ergebnissen kommen und die erforderliche allgemeine Akzeptanz (noch) gar nicht entwickeln konnten. Bei der Erstellung der Mehrbedarfsempfehlungen, die schon im früheren Recht der Sozialhilfe nach § 23 Abs 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Anwendung fanden(vgl BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 25), haben Wissenschaftler aus medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Fachbereichen zusammengearbeitet. Die Mehrbedarfsempfehlungen wurden 1997 in überarbeiteter Form ausgegeben und sahen seinerzeit - unter Berufung auf eine einheitliche Auffassung der medizinischen Wissenschaft und auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse - medizinische Krankenkost für eine Reihe von Erkrankungen vor. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten zur Konkretisierung der Angemessenheit des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II die Mehrbedarfsempfehlungen 1997 herangezogen werden(BT-Drucks 15/1516, S 57). Hierauf wurde den Mehrbedarfsempfehlungen 1997 zunächst der auch von der Beklagten angewandte "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung (Krankenkostzulagen) gem. § 23 Abs 4 BSHG"(Verlag Landschaftsverband Westfalen-Lippe 2002 ), entwickelt von Ärzten der kommunalen Gesundheitsämter, gegenübergestellt, der für deutlich weniger Erkrankungen Krankenkost anerkannte, und auf den das SG seine Entscheidung wesentlich stützte. Jedoch hat das BVerfG eine Abweichung von den Mehrbedarfsempfehlungen 1997 zu Lasten der Rechtsuchenden als begründungspflichtig angesehen und überdies ausgeführt, dass der auch von der Beklagten verwendete Begutachtungsleitfaden 2002 hierfür nicht ausreichend sei (BVerfG Beschluss vom 20.6.2006 - 1 BvR 2673/05 - RdNr 8 f; zur Kritik am Begutachtungsleitfaden s auch OVG Niedersachen Beschluss vom 13.10.2003 - 12 LA 385/03 = NDV-RD 2003, 130 m Anm Höft-Dzemski). Die überarbeiteten Mehrbedarfsempfehlungen 2008 sahen dann - wiederum unter Berufung auf eine einheitliche Auffassung der medizinischen Wissenschaft und auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse - für deutlich weniger Erkrankungen Krankenkost vor, als die Mehrbedarfsempfehlungen 1997.

22

Auch durch die überarbeiteten, aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 wird deshalb die Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären (§ 20 SGB X bzw § 103 SGG), nicht aufgehoben. Mithin haben die Instanzgerichte jeweils den genauen krankheitsbedingten Mehrbedarf der Kläger im Einzelnen aufzuklären (so bereits BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R). Dies haben die Vorinstanzen nicht in ausreichendem Maße getan.

23

Die Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 ersetzen daher nicht allein eine ggf erforderliche Begutachtung im Einzelfall, sondern dienen nur als Orientierungshilfe, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen; Behrend in jursPK-SGB II, 3. Aufl 2011, § 21 RdNr 64). Sie stehen nicht am Anfang, sondern erst am Ende der von Amts wegen durchzuführenden Einzelfallermittlungen und können insbesondere zu einem Abgleich mit den Ergebnissen der Amtsermittlung führen. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind dann ggf weitere Ermittlungen medizinischer und ggf ernährungswissenschaftlicher Art (vgl dazu BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen) entbehrlich, wenn die Ergebnisse der individuellen behördlichen und gerichtlichen Amtsermittlungen keine Abweichungen von den Empfehlungen des Deutschen Vereins erkennen lassen. Da die Empfehlungen des Deutschen Vereins keine Rechtsnormqualität aufweisen (Senatsurteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen, so auch bereits BSG Urteile vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 89 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 44 und - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 6 f), gibt es keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen bzw in diese einfließen zu lassen, wenn der streitgegenständliche Zeitraum vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen am 1.10.2008 lag. Auch dies hat der Senat bereits entschieden (Urteil vom 10.5.2011, aaO).

24

4. Das LSG wird auch den Kreis K am Verfahren zu beteiligen haben. Soweit ein Vorverfahren stattfindet, ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 95 SGG). Entgegen den Ausführungen des LSG hat nicht die Beklagte, sondern jeweils der Kreis K die Widerspruchsbescheide erlassen (§ 6 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II idF des Gesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014). Eine Entscheidung kann nur einheitlich gegenüber der Beklagten und dem Leistungsträger, dem Kreis K, ergehen.

25

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Mai 2008 aufgehoben, der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung an das Landessozialgericht zurückverwiesen, soweit der Rechtsstreit den Zeitraum vom 1. Juni 2006 bis 31. Mai 2007 umfasst.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

2

Die 1958 geborene, alleinstehende Klägerin bezog von der Beklagten als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) laufend eine Regelleistung in Höhe von 345 Euro ua für die Zeit vom 1.6.2006 bis zum 30.11.2006 (Bescheid vom 3.5.2006), vom 1.12.2006 bis zum 31.5.2007 (Bescheid vom 28.11.2006) und vom 1.6.2007 bis zum 30.11.2007 (Bescheid vom 25.4.2007), daneben bezog sie von dem Rhein-Neckar-Kreis Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II. Vom 13.9.2007 bis zum 16.12.2007 befand sie sich in Haft, woraufhin die Beklagte die Bewilligung von Leistungen mit Wirkung vom 13.9.2007 aufhob (Bescheid vom 28.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.1.2008; hiergegen ist eine Klage vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim anhängig ). Außerdem hob die Beklagte die Entscheidung vom 25.4.2007 über die Bewilligung von Leistungen im September 2007 wegen der Inhaftierung gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch in Höhe von 208,20 Euro auf und forderte diesen Betrag von der Klägerin zurück(Bescheid vom 11.1.2008). Mit Bescheid vom 20.12.2007 bewilligte die Beklagte erneut Leistungen in Höhe von 347 Euro monatlich vom 17.12.2007 bis zum 31.5.2008 (für Dezember 2007 anteilig für die Zeit ab 17.12.2007).

3

Am 30.5.2006 legte die Klägerin bei der Beklagten eine ärztliche Bescheinigung zur Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung von Dr. W/Dr. B vor, wonach sie wegen einer Allergie gegen Konservierungsstoffe ausschließlich biologische Kost von Biobauern benötige. Nach Einholung einer Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 13.11.2006, wonach ein Mehrbedarf für Ernährung wegen der vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht erforderlich sei, lehnte die Beklagte die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ab (Bescheid vom 21.12.2006; Widerspruchsbescheid vom 8.1.2007). Die Klage zum SG Mannheim, mit der die Klägerin einen ernährungsbedingten Mehrbedarf von mindestens 200 Euro monatlich geltend gemacht hatte, blieb ohne Erfolg (Urteil vom 28.11.2007). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei aufgrund ihrer durch zwei Allergiepässe nachgewiesenen Allergie zwar in ihrer Lebensführung eingeschränkt und müsse ihre Ernährungsgewohnheiten entsprechend anpassen. Für die Stoffe, auf die die Klägerin allergisch reagiere, bestehe aber eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht, sodass sie sich ohne Zusatzkosten geeignete Lebensmittel aus dem Warenangebot heraussuchen könne. Dass die Klägerin bei unbehandelten Produkten, die überhaupt nicht durch Zusatzstoffe verändert seien, auf besondere Kost angewiesen sei, habe sie weder dargetan noch sei dies ersichtlich. Mangelerscheinungen seien offenbar nicht aufgetreten, wie sich aus den beigezogenen medizinischen Unterlagen ergebe. Das vorgelegte Attest, wonach "biologische Kost vom Biobauern ausschließlich" angezeigt sei, sei nicht nachvollziehbar, denn nicht konservierte Lebensmittel könnten nicht nur beim Biobauern, sondern in jedem Supermarkt erworben werden.

4

Mit ihrer Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg trug die Klägerin unter Wiederholung ihres Vorbringens vor, die bisherigen ärztlichen Gutachten seien unzureichend, da sie alle keine Angaben über ihr Untergewicht enthielten. Es bedeute einen erhöhten Kostenaufwand, wenn sie auf nicht konservierte Lebensmittel zurückgreifen müsse. Hierzu sei ein Gutachten einzuholen, wenn nötig mithilfe eines Ernährungsberaters.

5

Mit Urteil vom 9.5.2008 änderte das LSG das Urteil des SG und verurteilte die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25.4.2007 für die Zeit vom 1.7.2007 bis zum 31.8.2007 zur Zahlung von weiteren 2 Euro monatlich und für die Zeit vom 1.9.2007 bis zum 12.9.2007 zur Zahlung von 1 Euro. Den Bescheid vom 28.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.1.2008 und des Bescheides vom 11.1.2008 hob es auf, soweit der Erstattungsbetrag auf mehr als 207 Euro festgesetzt worden sei. Die weitergehende Berufung und die Klage der Klägerin blieben ohne Erfolg. Streitgegenstand sei der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf höhere Leistungen für die Zeit vom 30.5.2006 bis zum 31.5.2008. Die Beklagte habe über den geltend gemachten Mehrbedarf nicht isoliert mit Bescheid vom 21.12.2006 entscheiden dürfen, da eine Beschränkung des Streitgegenstands auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung nicht zulässig sei. Gegenstand des Verfahrens seien vielmehr sämtliche Bescheide, die die dem Antrag folgenden Bewilligungszeiträume beträfen (Bescheide vom 3.5.2006, vom 28.11.2006, vom 25.4.2007 und vom 20.12.2007). Gegenstand nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien ebenfalls die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 28.9.2007 und vom 11.1.2008, mit denen die Beklagte in Änderung des Bescheides vom 25.4.2007 im Hinblick auf die Inhaftierung der Klägerin vom 13.9.2007 bis zum 16.12.2007 die ihr gewährten Leistungen mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft aufgehoben habe. Ein Anspruch auf höhere Leistungen ergebe sich nur in geringfügiger Höhe, weil der Klägerin für die Zeit vom 1.7.2007 bis zum 13.9.2007 eine Regelleistung in Höhe von 347 Euro statt lediglich 345 Euro zustehe. Ein Anspruch auf den begehrten Mehrbedarf ergebe sich aus den vom SG ausgeführten Gründen nicht. Im Übrigen werde die Auffassung des SG durch eine von ihm eingeholte telefonische Auskunft des Dr. T bestätigt, über die der Senat die Klägerin zuvor schriftlich in Kenntnis gesetzt hatte. Vor dem Hintergrund dieser Auskunft halte der Senat den maßgeblichen Sachverhalt für geklärt, weshalb kein Anlass zu weiteren Ermittlungen insbesondere durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bestehe. Die Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei unbegründet, da die Voraussetzungen für die Aufhebung der Leistungen mit Wirkung für die Vergangenheit vorlägen, was das LSG unter Bezugnahme auf den Inhalt beigezogener Akten im Einzelnen ausgeführt hat.

6

Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das LSG habe in unzulässiger Weise unter dem Gesichtspunkt des "Heraufholens von Prozessresten" den Streitstoff erweitert. Ihr sei so eine Tatsacheninstanz abgeschnitten worden. Es habe ferner mit der Bezugnahme auf eine vom SG eingeholte telefonische Auskunft des Dr. T gegen das Verbot der antizipierten Beweiswürdigung verstoßen. Die Verwertung einer telefonischen Auskunft verstoße gegen das Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Indem das LSG unter Hinweis auf diese, vom SG eingeholte Auskunft den Beweisantrag der Klägerin abgelehnt habe, habe es gegen § 103 SGG verstoßen. Sie habe wegen der verspäteten Zusendung einer Fahrkarte an dem Termin vor dem Berufungsgericht nicht teilnehmen können. Insoweit habe das Berufungsgericht auch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Mai 2008 und das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. November 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2007 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 3. Mai 2006 und vom 28. November 2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Juni 2006 bis zum 31. Mai 2007 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich 200 Euro zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bestehe nur, wenn wegen einer Erkrankung aus medizinischen Gründen zwingend eine besondere Ernährung einzuhalten sei und diese teurer sei als eine sogenannte Vollkost. Bei einer Allergie gegen Stoffe aus der Gruppe der "paraben mix" würden keine besonderen Lebensmittel erforderlich, sondern lediglich eine Vollkost. Das Allergen könne durch gezielten Einkauf gut vermieden werden. Dies habe auch die Untersuchung durch ihren ärztlichen Dienst ergeben.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, soweit er den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 31.5.2007 betrifft, Erfolg. Bei Auslegung des klägerischen Vorbringens vor dem SG richtet sich das im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgte Begehren allein auf höhere laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in diesem Zeitraum. Soweit das LSG dennoch über Ansprüche für folgende Bewilligungsabschnitte entschieden hat, hat es den Streitgegenstand verkannt und damit § 123 SGG verletzt. Sein Urteil war schon deshalb insoweit aufzuheben (vgl § 170 Abs 2 Satz 1 SGG; hierzu unter 1). Die Feststellungen des LSG lassen im Übrigen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch besteht und ihr im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 31.5.2007 über die Regelleistung in Höhe von 345 Euro hinaus ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs 5 SGB II zusteht(vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG; hierzu unter 2).

11

1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens waren bei zutreffender Auslegung des klägerischen Vortrags von Klageerhebung an ausschließlich Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 30.5.2006 (Einreichung des Attests bei der Beklagten) bis zum 31.5.2007, soweit sie von der Beklagten erbracht werden (vgl § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II), wobei die Klägerin Ansprüche für den 30. und 31.5.2006 im Revisionsverfahren zuletzt nicht mehr geltend gemacht hat.

12

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG). Im Übrigen muss dann, wenn der Wortlaut eines Antrags nicht eindeutig ist, im Wege der Auslegung festgestellt werden, welches das erklärte Prozessziel ist. In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften; die Auslegung von Anträgen richtet sich vielmehr danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (stRspr, zuletzt etwa BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 3).

13

a) Auf dieser Grundlage ist das LSG im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin mit ihrem Klageantrag höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung begehrt. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Die Regelungen der Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft, über die vorliegend vom zuständigen Landkreis in getrennter Trägerschaft entschieden worden ist) lassen sich in rechtlich zulässiger Weise nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (vgl etwa BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2, jeweils RdNr 11; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 11).

14

b) Unzutreffend ist allerdings die weitergehende Auslegung durch das LSG, damit habe die Klägerin (in zulässiger Weise) einerseits den gesamten Zeitraum vom 30.5.2006 bis zur Entscheidung des SG am 28.11.2007 und andererseits auch den anschließenden Zeitraum bis zum 31.5.2008, über den das LSG kraft Klage zu entscheiden gehabt habe, zur gerichtlichen Überprüfung gestellt. Lediglich sofern der Träger der Grundsicherung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gänzlich ablehnt, kann zulässiger Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens - je nach Klageantrag - die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit sein (stRspr seit BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 30). Ist dagegen - wie hier - lediglich die Höhe der laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitig, kann einer Entscheidung des Trägers der Grundsicherung wegen der in § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte zukommen(so ausdrücklich zum Mehrbedarf BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 16). Der Bescheid der Beklagten vom 21.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.1.2007 lässt zwar eine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt nicht erkennen. Dies allein lässt aber - aus der insoweit für die Auslegung maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann (BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11) -nicht den Schluss zu, die Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Vernünftigerweise ergibt sich für den Bescheidempfänger in diesem Fall vielmehr die Auslegung, die rechtlich die einzig zulässige ist, mithin eine (ablehnende) Regelung der Beklagten über eine höhere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw der Gegenwart lagen. Nur auf diesen Zeitraum bezieht sich damit der im Wege der Auslegung gewonnene Klageantrag.

15

c) Gegenstand des Verfahrens sind damit neben dem ausdrücklich angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 21.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.1.2007 der Bescheid vom 3.5.2006 betreffend den Bewilligungsabschnitt vom 1.6.2006 bis zum 30.11.2006 und der Bescheid vom 28.11.2006 betreffend den Bewilligungsabschnitt vom 1.12.2006 bis zum 31.5.2007. Diese Bescheide regeln für den jeweiligen Bewilligungsabschnitt die laufenden, von der Beklagten zu erbringenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und bilden deshalb mit dem ausdrücklich angefochtenen Bescheid eine Einheit.

16

Die übrigen Bescheide, die die anschließenden Bewilligungszeiträume ab dem 1.6.2007 regeln, sind entgegen der Annahme des LSG aus den dargestellten Gründen nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl bereits BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 30). Dem Vorbringen der Klägerin in den Instanzen lässt sich auch nicht entnehmen, sie hätte wegen der Zeiträume ab dem 1.6.2007 im Wege der Klageerweiterung eine Klage gegen Folgebescheide erheben wollen unabhängig davon, ob insoweit die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Klageänderung und die dann geänderte Klage vorgelegen hätten (dazu BSG aaO). Sie hat insbesondere den Bescheid vom 28.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.1.2008 gesondert mit einer Klage zum SG Mannheim (Az S 8 AS 90/08) angefochten. Im Revisionsverfahren hat sie schließlich - nunmehr rechtskundig vertreten - den Leistungsantrag ausdrücklich begrenzt und wegen der Zeiträume ab dem 1.6.2007 lediglich die Aufhebung des Urteils des LSG beantragt, soweit ihr nicht weitergehende Leistungen zugesprochen worden sind.

17

Da bei verständiger Würdigung des klägerischen Vortrags Ansprüche für Zeiträume nach dem 31.5.2007 nicht Streitgegenstand des Verfahrens vor dem SG waren und das SG zutreffend nur für Zeiträume davor eine Entscheidung getroffen hat, ist unerheblich, in welchem Umfang ein so genanntes "Heraufholen von Prozessresten" zulässig sein kann. Das Berufungsurteil war für Zeiträume nach dem 31.5.2007 schon deshalb aufzuheben, weil das LSG unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu einer Entscheidung über Folgebescheide befugt war (vgl etwa BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 13).

18

2. Die Revision im Übrigen ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die Feststellungen des LSG lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Klägerin im streitigen Zeitraum über die Regelleistung in Höhe von 345 Euro hinaus ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs 5 SGB II zusteht.

19

a) Die Beklagte ist nach den zum 1.1.2011 in Kraft getretenen Änderungen des SGB II durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) weiterhin passiv legitimiert. Im Rhein-Neckar-Kreis, in dem die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, werden die Aufgaben nach dem SGB II nach wie vor in getrennter Trägerschaft wahrgenommen; eine gemeinsame Einrichtung zur Aufgabenwahrnehmung (vgl § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II in der seither geltenden Fassung) ist bislang noch nicht gebildet. Dies ist übergangsweise noch bis Ende des Jahres 2011 zulässig (vgl § 76 Abs 1 SGB II).

20

b) Ein Anspruch insbesondere für den zweiten streitigen Bewilligungsabschnitt scheitert nicht daran, dass die Klägerin lediglich am 30.5.2006 gegenüber der Beklagten ausdrücklich auf den geltend gemachten Mehrbedarf hingewiesen hat. Ausreichend ist, dass sie wegen der Folgezeiträume, für die ein Fortzahlungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist (dazu BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 99/10 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), angegeben hat, maßgebliche Änderungen in ihren persönlichen Verhältnissen hätten sich nicht ergeben. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung, bei dem es sich um eine laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, muss nicht gesondert beantragt werden (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN).

21

c) Nach § 21 Abs 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Das Gesetz begründet damit beim medizinischen Erfordernis kostenaufwändiger Ernährung einen Rechtsanspruch des Hilfebedürftigen. Voraussetzung ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl Düring in Gagel, SGB II/SGB III, Stand November 2010, § 21 SGB II RdNr 31; O. Loose in GK-SGB II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 34 f; Münder in ders, SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 25). Ein solches besonderes, medizinisch begründetes Ernährungsbedürfnis führt zu einem Anspruch auf einen Mehrbedarf in angemessener Höhe (zum Ganzen bereits BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6, jeweils RdNr 39 und BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 24).

22

Das LSG hat sich zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung im Hinblick auf den begehrten Mehrbedarf unter Hinweis auf § 153 Abs 2 SGG "voll umfänglich" den Entscheidungsgründen des SG im angefochtenen Urteil angeschlossen. Damit ist dem Erfordernis an eine Begründung des Urteils aus § 136 Abs 1 Nr 6 SGG(dazu zuletzt Urteil des Senats vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07AS 3/07 R - Juris RdNr 13) noch Genüge getan. Ein Berufungsgericht kann dann pauschal auf die Begründung des angefochtenen Urteils nach § 153 Abs 2 SGG verweisen, wenn es dem Urteil des SG nichts hinzuzufügen hat und es keinen neuen Vortrag tatsächlicher oder rechtlicher Art gibt(BSGE 87, 95, 99 f = SozR 3-2500 § 35 Nr 1 mwN). So liegt der Fall hier. Der klägerische Vortrag im Berufungsverfahren ist gegenüber dem Vortrag im Klageverfahren unverändert. Dies schließt insbesondere die Beweisanträge ein, die die Klägerin bereits in der ersten Instanz hinreichend zum Ausdruck gebracht hat.

23

Die damit in Bezug genommenen Feststellungen des SG genügen jedoch zur abschließenden Entscheidung über den geltend gemachten Mehrbedarf nicht. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das SG davon aus, dass bei der Klägerin als gesundheitliche Beeinträchtigung, die Auswirkungen auf ihre Ernährungsweise hat, eine Allergie gegen Paraben besteht. Es handelt sich nach den Feststellungen des SG insoweit um eine Allergie gegen para-Hydroxybenzoesäure (kurz PHB-Ester; auch Parahydroxybenzoat), die insbesondere in Kosmetika und bestimmten Lebensmitteln häufig als Konservierungsmittel eingesetzt werden. Zutreffend hat das SG schließlich unter Bezugnahme auf die Verordnung über Anforderungen an Zusatzstoffe und das Inverkehrbringen von Zusatzstoffen für technologische Zwecke (vom 29.1.1998 , zuletzt geändert mit Verordnung vom 11.6.2009 ) dargelegt, dass die entsprechenden Konservierungsstoffe (also die Verbindungen, die Parahydroxybenzoat enthalten) bei ihrer Verwendung in der Lebensmittelverarbeitung eine Kennzeichnungspflicht auslösen.

24

Die dargestellten Ausgangsannahmen konnte das SG allesamt als allgemeinkundige Tatsachen bei seiner Entscheidung zugrunde legen. Allgemeinkundige Tatsachen sind solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unschwer überzeugen können oder auch solche, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (vgl BSG Urteil vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - ZfS 2002, 237). Die Klassifizierung von Parahydroxybenzoat als Konservierungsmittel, das in den Zusatzstoffen E 214 bis E 219 nach der Anlage Liste B Teil I zur Verordnung über Anforderungen an Zusatzstoffe und das Inverkehrbringen von Zusatzstoffen für technologische Zwecke enthalten ist, ist eine solche allgemeinkundige Tatsache. Entsprechende Informationen sind etwa über die Internetpräsenz des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz allgemein verfügbar (http://www.aktionsplan-allergien.de; Suchbegriff "Parabene"). Über besondere Sachkunde musste das Gericht insoweit nicht verfügen.

25

Die auf Grundlage dieser Ausgangsannahmen getroffene abschließende Würdigung des SG, die Klägerin könne durch aufmerksames und lediglich zeitaufwändiges, aber nicht kostenintensives Verbraucherverhalten das Allergen gut vermeiden, sodass die erforderliche Ernährungsweise sich nicht als kostenaufwändig darstelle, ist dagegen weder eine allgemeinkundige Tatsache im dargestellte Sinne noch wird aus dem Urteil sonst erkennbar, worauf das SG diese Schlussfolgerung stützt. Die Annahme, auch bei strikter Vermeidung von Lebensmitteln, die Parahydroxybenzoat enthielten, würden keine weitergehenden Kosten im Hinblick auf eine ausgewogene Ernährung entstehen, kann nicht als allgemeines Erfahrungswissen des Gerichts unterstellt werden. Es ist durchaus denkbar, dass eine so große Anzahl von Lebensmitteln vermieden bzw ersetzt werden muss, dass dies nicht kostenneutral erfolgen kann. Auch aus der ärztlichen Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Beklagten wird nicht erkennbar, auf welchen ernährungswissenschaftlichen Erfahrungen und Grundannahmen sie beruht. Dies gilt schließlich auch für die vom LSG ergänzend in Bezug genommene telefonische Auskunft eines Dr. T Ohnehin kann nach der älteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine sachkundige Einschätzung zum streitigen Sachverhalt im sozialgerichtlichen Verfahren regelmäßig nur durch Begutachtung durch einen Sachverständigen (§ 106 Abs 3 Nr 5 SGG) oder seine Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung bzw - in eng begrenzten, geeigneten Fällen - im Wege der Vernehmung durch den Kammervorsitzenden erfolgen (vgl § 106 Abs 3 Nr 4 SGG; dazu bereits BSGE 2, 197, 199). Ob daneben die Verwertung einer telefonisch von einem Arzt eingeholten Auskunft iS des § 106 Abs 3 Nr 3 SGG in jedem Fall ausscheidet(so ausdrücklich BSG, aaO und im Anschluss Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 106 RdNr 11), kann offen bleiben. Entscheidend ist vorliegend auch insoweit, dass unklar geblieben ist, über welche Sachkunde Dr. T verfügte und auf welche medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Grundlagen er seine Aussagen stützt.

26

Das LSG wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits eine gutachterliche Stellungnahme (ggf nach Aktenlage) einholen müssen, wobei der Sachverständige in erster Linie über besondere Kenntnisse auf ernährungswissenschaftlichem Gebiet verfügen sollte. Erst wenn geklärt ist, wie konsequent die Klägerin die fraglichen Konservierungsstoffe vermeiden muss, um gesundheitliche Beeinträchtigungen auszuschließen, wie häufig die fraglichen, von der Klägerin ggf strikt zu vermeidenden Konservierungsmittel eingesetzt werden, welche Möglichkeiten bestehen, auf andere Lebensmittel auszuweichen bzw auf welche Lebensmittel bei einer ausgewogenen Ernährung verzichtet werden kann, kann entschieden werden, ob und ggf welche Mehrkosten für eine solche Ernährungsweise entstehen.

27

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts mit seiner am 2006 geborenen Tochter für den hier streitigen Zeitraum vom 1.7. bis zum 30.11.2010.

2

Das beklagte Jobcenter bewilligte dem alleinstehenden Kläger mit Bescheid vom 27.4.2010 für die Zeit vom 1.7.2010 bis zum 30.11.2010 Leistungen in Höhe von monatlich 696 Euro (359 Euro Regelleistung - jetzt Regelbedarf - plus tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 337 Euro). In der Zeit vom 20.7. bis Ende September 2010 übte der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aus, der Aushilfslohn betrug nach den Abrechnungen von August und September 2010 jeweils 31,50 Euro, nach der Abrechnung von Oktober 2010 112,10 Euro.

3

Nachdem das Sozialamt der Stadt Bielefeld zum 30.6.2010 die bisher dem Kläger erbrachten Zahlungen zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter eingestellt hatte, beantragte der Kläger am 8.7.2010 bei dem Beklagten einen "laufenden, nicht vermeidbaren, besonderen Bedarf zur Ausübung des Umgangsrechts". Das Umgangsrecht stand ihm ua auch in der streitgegenständlichen Zeit regelmäßig alle zwei Wochen samstags von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu. Er holte seine Tochter um 12.00 Uhr bei der Mutter ab und brachte sie um 17.00 Uhr wieder dorthin zurück. Für die Wegstrecke nutzte er seinen eigenen Pkw, die einfache Fahrtstrecke betrug ca 17 km.

4

Mit Bescheid ebenfalls vom 8.7.2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil die begehrte monatliche Zahlung unter 10 % der Regelleistung liege. Die Entfernung zum Wohnort der Tochter betrage 17 km und bei zweimaliger Hin- und Rückfahrt pro Umgangstag ergäben sich, ausgehend von einer Pauschale von 0,20 Euro je Entfernungskilometer, nur 13,60 Euro im Monat. Der Kläger sei vorrangig darauf zu verweisen, seinen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Im Übrigen sei ihm die Bestreitung der nicht übernommenen Kosten aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen zumutbar. Der dagegen gerichtete Widerspruch ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 25.11.2010).

5

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Änderung der genannten Bescheide verurteilt, dem Kläger zur Ausübung des Umgangsrechts weitere 27,20 Euro monatlich zu gewähren und eine Wegstreckenentschädigung von 0,20 Euro je Kilometer nach dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) zugrunde gelegt (Urteil vom 23.2.2012). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach deren Zulassung die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 21.3.2013). Aus der Regelung über die Rückzahlung von Darlehen sei keine allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ableitbar. Der Kläger könne auch weder auf seinen im streitigen Zeitraum erzielten Nebenverdienst verwiesen werden, noch sei ihm wegen der Zeitdauer seines Umgangsrechts die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

6

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt die fehlerhafte Auslegung von § 21 Abs 6 SGB II durch das LSG. Der Bedarf des Klägers für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter sei nicht unabweisbar, denn bei diesem Tatbestandsmerkmal sei eine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der maßgeblichen Regelleistung zu berücksichtigen. Diese Grenze von 10 % ergebe sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010, in der davon ausgegangen werde, dass von Hilfebedürftigen erwartet werden könne, dass sie diese Teile des Regelbedarfs ansparen. Auch der Gesetzgeber gehe davon aus, dass eine 10 %ige Reduzierung der Regelleistung möglich sei, was das BVerfG nicht beanstandet habe. Dem stehe auch nicht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entgegen, denn dieses habe speziell zu der Regelung von § 21 Abs 6 SGB II noch nicht Stellung genommen, sondern habe im Rahmen einer Entscheidung über einen Hygienemehrbedarf noch auf § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abgestellt.

7

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 und des Sozialgerichts Detmold vom 23. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Ausführungen des SG und des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Beklagten (§ 160 Abs 1, § 164 Sozialgerichtsgesetz) ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, denn die Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II war rechtswidrig.

11

1. Gegenstand des Verfahrens sind neben den Urteilen des LSG und des SG der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010, mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 27.4.2010 den zusätzlich zur Regelleistung (jetzt Regelbedarf) geltend gemachten Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts zu gewähren. Der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010 lässt zwar keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt erkennen, die Auslegung des Bescheids aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten lässt aber allein den Schluss zu, dass der Beklagte die rechtlich einzig zulässige Regelung treffen wollte, über höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte zu entscheiden, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw der Gegenwart lagen und keine abschließende Entscheidung für die Zukunft treffen wollte (so bereits BSG Urteile vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 14; vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 15).

12

2. Die Vorinstanzen sind insofern zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts begehrt, denn die Gewährung eines Mehrbedarfs kann nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (stRspr, siehe nur BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 13; Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14). Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Die Berufung gegen das Urteil des SG ist zulässig, ohne dass es auf die Beschwerdesumme ankommt (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 SGG), denn das LSG hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hin die Berufung mit Beschluss vom 26.9.2012 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

13

3. Ebenfalls zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 27.4.2010 unter dem Blickwinkel des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu ändern ist(vgl dazu BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 10). § 44 Abs 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist vorliegend einschlägig. Es liegt kein Fall des § 48 SGB X wegen des Wegfalls der Zahlungen des Sozialamts und der Antragstellung des Klägers beim Beklagten am 8.7.2010 vor, denn insofern handelt es sich nicht um eine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen während des Bewilligungsabschnitts, vielmehr ist der Bescheid vom 27.4.2010 in der Sache von Anfang an rechtswidrig gewesen. Da es sich bei dem Mehrbedarf um eine laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, musste dieser grundsätzlich nicht besonders beantragt werden (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN).

14

a) Der Kläger hatte bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten am 27.4.2010 für den hier streitbefangenen Leistungszeitraum einen Anspruch gegen das beklagte Jobcenter auf den geltend gemachten Mehrbedarf dem Grunde nach, nachdem das BVerfG es mit Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen hat, dass für einen atypischen Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II und bestimmter zusätzlicher Hilfen das SGB II keinen Anspruch des Hilfebedürftigen auf einen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf vorsieht, der zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist. Da Urteile des BVerfG gemäß § 31 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) iVm § 13 Nr 8a BVerfGG bindend sind und in Gesetzeskraft erwachsen(s dazu Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 93 RdNr 65), hatte der Kläger bereits am 27.4.2010 dem Grunde nach einen Anspruch auf Mehrbedarf gegen den Beklagten. Dem stand nicht entgegen, dass der Bedarf bis dahin von einem zu diesem Zeitpunkt unzuständigen Träger, nämlich der Stadt Bielefeld als Sozialhilfeträger, gedeckt worden ist. Ebenso ohne Bedeutung ist, dass der Beklagte von dem Bedarf keine Kenntnis hatte, weil es für den Beurteilungszeitpunkt bezüglich der Frage, ob ein Verwaltungsakt wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit zurückzunehmen ist, nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (vgl nur Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 10 mwN).

15

b) Die weitere Voraussetzung, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist ebenfalls gegeben. Der Kläger erfüllte nach den Feststellungen des LSG in dem streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II hinsichtlich des Alters, der Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts. Im Übrigen ist er hilfebedürftig gewesen und hatte in der Zeit vom 1.7. bis zum 30.11.2010 einen Anspruch auf die Regelleistung in Höhe von damals 359 Euro gemäß § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der seinerzeit gültigen Fassung sowie auf Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 337 Euro gemäß § 22 Abs 1 SGB II.

16

Daneben stand ihm ein Anspruch auf Leistungen für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts zu. Dass Eltern im Rahmen des Arbeitslosengelds II (Alg II) grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit von ihnen getrennt lebenden Kindern haben, ergibt sich aus dem Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und dem daraufhin durch Gesetz vom 27.5.2010 (BGBl I 671) geschaffenen § 21 Abs 6 SGB II, bei dem der Gesetzgeber ua auch speziell die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern als Anwendungsfall der Härtefallklausel des § 21 Abs 6 SGB II vor Augen hatte(BT-Drucks 17/1465, S 9).

17

4. Nach § 21 Abs 6 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 27.5.2010 erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige (jetzt: Leistungsberechtigte) einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (dazu a.). Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen (Leistungsberechtigten) gedeckt ist (dazu b.) und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (dazu c.).

18

Die genannten Tatbestandsmerkmale sind hinsichtlich der Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts erfüllt. Dem Kläger stehen zumindest Fahrtkosten in Höhe von 27,20 Euro pro Monat als Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II zu.

19

a) Es handelt sich zunächst um einen laufenden Mehrbedarf im Einzelfall, weil die Bedarfslage eine andere ist, als sie bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen vorliegt. Es ist insofern ein Mehrbedarf im Verhältnis zum "normalen" Regelbedarf gegeben, anders als der Einzelfall in § 23 Abs 1 SGB II alte Fassung (aF) bzw in § 24 Abs 1 SGB II in der seit 1.1.2011 gültigen Fassung, der für alle SGB II-Empfänger gleichermaßen gilt, die einen zum Regelbedarf gehörenden Bedarf ausnahmsweise nicht decken können.

20

Bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts handelt es sich ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist, um einen besonderen Bedarf, weil er nicht nur die üblichen Fahrten im Alltag betrifft, sondern eine spezielle Situation darstellt, weil die Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander liegen (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 22).

21

Es handelt sich vorliegend auch um einen regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen Bedarf (dazu eingehend S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 67 und 68; zur Frage, ob der Mehrbedarf regelmäßig und in kürzeren Abständen auftreten muss, siehe auch von Boetticher/Münder in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 21 RdNr 42). Durch die regelmäßige Ausübung des Umgangsrechts - hier alle zwei Wochen an einem Samstag - entsteht der besondere Bedarf laufend, wobei die Einzelfallbetrachtung mit dem Ziel abzuwägen, ob die Fahrtkosten zur Abholung des Kindes erforderlich sind oder ob sie im Hinblick auf das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes nicht (mehr) in Frage kommen (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 73) ergibt, dass der besondere Bedarf zunächst auf unabsehbare Zeit entstehen wird, weil bei einem im streitigen Zeitraum vierjährigen Kind nicht vorhergesagt werden kann, wann es in der Lage sein wird, die Wegstrecke eigenständig zu bewältigen.

22

b) Der Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts ist vorliegend auch unabweisbar. Das Merkmal der Unabweisbarkeit wird auch in anderen Zusammenhängen verwendet (§ 23 Abs 1 Satz 1 SGB II aF, jetzt § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II; und § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII aF, jetzt § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII), ohne dass in den genannten Vorschriften das Merkmal näher definiert wäre. In § 21 Abs 6 SGB II findet sich jedoch eine nicht abschließende Aufzählung ("insbesondere") von Voraussetzungen (Deckung des Mehrbedarfs durch Zuwendungen Dritter oder Einsparmöglichkeiten), bei deren Vorliegen die Unabweisbarkeit zu verneinen bzw zu bejahen ist.

23

aa) Die Möglichkeit der Bedarfsdeckung durch Zuwendungen Dritter scheidet nach den Feststellungen des LSG vorliegend aus.

24

bb) Ebenso wenig liegen nach den Feststellungen des LSG Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger Einsparmöglichkeiten hatte. Dies gilt zunächst für Einsparmöglichkeiten im engeren Sinne des Wortes, also für den Fall, dass der Kläger an den Bedarfen selbst sparen konnte. Solche Einsparmöglichkeiten müssten ausdrücklich festgestellt werden, ein Leistungsberechtigter muss die Möglichkeiten tatsächlich haben, also zB im Besitz einer Monatskarte sein. Hypothetische Einsparmöglichkeiten reichen insoweit nicht aus. Zu Recht hat das LSG in diesem Zusammenhang auch dem Ansinnen, der Kläger könne öffentliche Verkehrsmittel nutzen, eine Absage erteilt, denn allein durch die zusätzliche Fahrzeit würde sein ohnehin nur fünf Stunden dauerndes Umgangsrecht um eine weitere Stunde verkürzt, was angesichts der verfassungsrechtlichen Absicherung dieses Rechts unzumutbar ist.

25

cc) Die im Grundsatz gegebene Einsparmöglichkeit durch "Umschichtung", also einer Präferenzentscheidung dahingehend, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen (BT-Drucks 17/1465, S 6 und 8) scheidet vorliegend aus, denn dieser Gedanke kommt nur zum Tragen bei Bedarfen, die dem Grunde nach vom Regelbedarf umfasst sind, was aber gerade hinsichtlich des hier im Streit stehenden Mehrbedarfs nicht der Fall ist.

26

dd) Ein Verweis auf den Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen (§ 12 Abs 2 Nr 4 SGB II) kann nicht herangezogen werden, denn dieser dient nur dazu, einmalige Bedarfe abzufangen. Müsste dieser Ansparbetrag für laufende Aufwendungen abgezweigt werden, stünde er gerade als Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen nicht mehr zur Verfügung. Ebenso ist auch das Bestreiten des Bedarfs durch ein Darlehen (§ 24 Abs 1 SGB II) ausgeschlossen, denn insofern ist aufgrund der Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175, 255 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 208) davon auszugehen, dass nur einmalig auftretende "Bedarfsspitzen" über die Darlehensregelung erfasst werden können, sodass dies kein denkbarer Weg ist, um die laufend auftretenden Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts abzufangen.

27

ee) Der Kläger kann auch nicht zur Deckung seiner Kosten auf sein (geringfügiges) Einkommen verwiesen werden. Ohnehin führen die einen Freibetrag übersteigenden Einkommensanteile durch Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung zu verminderten Leistungen. Die Freibeträge selbst müssen nicht für die Wahrnehmung des Umgangsrechts eingesetzt werden, weil die vollständige Anrechnung von Erwerbseinkommen auf das Alg II zur Folge hätte, dass Arbeitslosen kein finanzieller Anreiz zur Arbeitsaufnahme verbliebe, was der gesetzlichen Funktion der Freibeträge bei Einkommen aus Erwerbstätigkeit zuwiderlaufen würde (vgl nur Behrend, in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 21 RdNr 89; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 72). Dies findet seinen Niederschlag auch in den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Anwendung des SGB II, in denen zu § 21 unter Ziff 6.2 Abs 5 vermerkt ist, dass für den Fall, dass Erwerbseinkommen erzielt wird, dieses auch bei der Berechnung von Leistungen für besondere laufende Bedarfe in Höhe des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs 3 SGB II außer Betracht zu bleiben hat.

28

c) Das Merkmal der Erheblichkeit gemäß § 21 Abs 6 SGB II ist vorliegend ebenfalls erfüllt. Der Bedarf des Klägers zur Aufwendung der Fahrtkosten für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter weicht seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab und unterfällt insofern nicht der speziellen Bagatellgrenze, die in § 21 Abs 6 SGB II selbst durch das Tatbestandsmerkmal "erheblich" festgelegt worden ist. Es handelt sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang überprüfbar ist. Erheblich ist nach der Systematik der Norm ein atypischer Bedarf dann, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (vgl BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R - BSGE 99, 252 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3, RdNr 28). Anknüpfungspunkt ist letztlich die genannte Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und damit die Frage, ob das menschenwürdige Existenzminimum durch die Mehraufwendungen nicht mehr gewährleistet ist (vgl BT-Drucks 17/1465, S 8). Eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf ist vorliegend sowohl hinsichtlich der Regelleistung von damals 359 Euro insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 Euro zu bejahen, zumal in der letztgenannten Position die Ausgaben für Pkw nicht berücksichtigt wurden. Der Kläger musste zur Ausübung seines Umgangsrechts alle zwei Wochen je 17 km für zweimal eine Hin- und Rückfahrt zurücklegen, sodass sich eine Gesamtkilometerzahl von 136 km ergibt. Selbst wenn nur eine Kilometerpauschale von 20 Cent zugrunde gelegt wird, wie sie in § 5 Abs 1 BRKG ausgewiesen ist, ergibt sich ein Betrag von zumindest 27,20 Euro pro Monat. Da auch die 20 Cent nach dem BRKG eine gegriffene Größe sind, die nicht die tatsächlichen Kosten in vollem Umfang widerspiegeln, sind die zugesprochenen 27,20 Euro pro Monat unter dem Blickwinkel der Sicherung des Existenzminimums jedenfalls nicht zu hoch gegriffen.

29

Eine Anknüpfung an § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst b Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V), wonach nur die Entfernungskilometer, also die einfache Strecke, maßgeblich sind, verbietet sich in Fällen wie dem vorliegenden. Die Alg II-V hat schon vom Ansatz her eine andere Zielrichtung, sie ist nicht maßgebend für den Bedarf, sondern regelt als Anreiz für die Aufnahme einer Beschäftigung lediglich, welche Beträge bei dem Leistungsberechtigten belassen und nicht bei der Leistungsberechnung berücksichtigt werden. Dass bei einem tatsächlich zu deckenden Bedarf neben der Alg II-V auch das BRKG herangezogen werden kann, hat das BSG bereits in anderem Zusammenhang entschieden (BSG Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 27/12 R - SozR 4-4225 § 6 Nr 2 - "Spesen").

30

5. Der Anspruch des Klägers scheitert auch nicht an einer - unabhängig von der Regelung des § 21 Abs 6 SGB II bestehenden - allgemein gültigen Bagatellgrenze. Eine Rechtsgrundlage für die vom Beklagten vertretene allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ist nicht zu erkennen.

31

a) Zwar hat der erkennende Senat im Anschluss an eine Entscheidung des 7b-Senats (Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 25)mit Urteil vom 19.8.2010 (B 14 AS 13/10 R - SozR 4-3500 § 73 Nr 3 RdNr 20) bekräftigt, dass unter dem Prüfungsgesichtspunkt der Rechtfertigung des Einsatzes öffentlicher Mittel im Rahmen der Ermessenserwägungen sowohl Kosten (für das Umgangsrecht) beschränkt werden können, als auch daraus gefolgert, dass zu geringe Kosten ggf einen Einsatz öffentlicher Mittel nicht mehr rechtfertigen. In dem damals zu entscheidenden Fall, in dem der Kläger zusätzliche Hygienekosten auf 20,45 Euro monatlich beziffert hatte, hat der Senat jedenfalls ein Scheitern des Klagebegehrens bereits unter dem Gesichtspunkt einer in der Rechtfertigung des Mitteleinsatzes enthaltenen "Bagatellgrenze" nicht gesehen.

32

Anerkannt worden ist auch in der Rechtsprechung des BSG das gesetzgeberische Ziel, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden (BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 35/12 R - BSGE 111, 234 = SozR 4-1500 § 54 Nr 28; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35). Dabei ist Ausgangspunkt allerdings, dass auch geringfügige Eingriffe in die Rechtsposition eines Leistungsberechtigten nicht grundsätzlich allein mit dem gesetzgeberischen Ziel der Verwaltungsvereinfachung abgewiesen werden können. Es verbleibt danach aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung (in dem entsprechenden Fall ging es um die Regelungen zur "Rundung") entsprechende Regelungen erlässt. Dieser Entscheidung kann als Grenze aber lediglich entnommen werden, dass jedenfalls Leistungen im Centbereich unter eine Bagatellgrenze fallen würden.

33

b) Mit einer Rundungsregelung, die maximal 49 Cent abrundet, ist aber eine Bagatellgrenze, die nach den Vorstellungen des Beklagten bei 10 % des Regelbedarfs liegen soll (vgl Durchführungshinweise der BA zu § 21 SGB II unter 6.2 Abs 3), also derzeit bei 39 Euro pro Monat, nicht vergleichbar. Eine solche Bagatellgrenze kann insbesondere nicht über die Regelung des im streitigen Zeitraum maßgeblichen § 23 Abs 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung bzw nach § 42a SGB II neue Fassung (nF) begründet werden, wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs getilgt werden können. Die genannten Regelungen passen schon im Ansatz nicht auf die Fälle, in denen es um nicht erfüllten Mehrbedarf geht, denn bei einer Darlehensgewährung haben die Betroffenen zur Deckung von Bedarfen das Geld tatsächlich erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen müssen, und nur im Rahmen der Tilgung wird davon ausgegangen, dass in Anbetracht der Ansparkonzeption des Gesetzgebers eine vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung (des Regelbedarfs) in Höhe von 10 % im Grundsatz nicht zu beanstanden ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 150). Bei Annahme einer allgemeinen Bagatellgrenze würden dagegen Betroffenen Leistungen vorenthalten, obwohl sie einen Anspruch darauf haben. Im Übrigen sind die Grundsätze zur Rückzahlung von Darlehen auch deshalb nicht auf Fälle übertragbar, bei denen es um laufende, nicht nur einmalige Bedarfe geht, weil wiederkehrende Bedarfe einer darlehensweisen Gewährung grundsätzlich nicht zugänglich sind (BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 20; vgl § 24 SGB II nF; Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 24 RdNr 16). § 21 Abs 6 SGB II geht - wie aufgezeigt - bei seinen Tatbestandsmerkmalen (Einzelfall) davon aus, dass der Mehrbedarf abseits vom Regelbedarf des typischen SGB II-Empfängers entsteht, während die Darlehensregelungen Einzelfälle von Bedarfen umfassen, die im Regelbedarf enthalten sind und nur vorübergehend nicht gedeckt werden können.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2006 in Gestalt der Bescheide vom 01.06.2006, vom 19.07.2006 und vom 15.05.2007 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate August, September und Oktober 2006 weitere Leistungen in Höhe von monatlich 3,27 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger - teilweise im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 hat. Streitig ist insbesondere, ob der Kläger Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung hat.

2

Der am ...1956 geborene Kläger bewohnte bis zum 31.07.2006 eine 44,97 m² große Wohnung in der B in S . Die Kaltmiete belief sich bis zum 30.09.2005 auf 196,58 €. Daneben war ein Nebenkostenabschlag in Höhe von 50,13 Euro monatlich (insgesamt 247,71 €) zu zahlen. Zum 01.10.2005 erhöhte sich die Kaltmiete aufgrund einer Staffelmietvereinbarung auf 202,33 €. Die Beheizung und die Erwärmung des Warmwassers in der Wohnung erfolgten über Gas. Der Gasabschlag belief sich bis zum 31.07.2005 auf 60,00 € monatlich, vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 auf 63,00 € monatlich und ab dem 01.02.2006 auf 66,00 € monatlich.

3

Zum 01.08.2006 verzog der Kläger in eine 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 41,69 m² in der B in B . Die Kaltmiete belief sich auf 173,00 € monatlich. Daneben war für Nebenkosten und Heizung ein einheitlicher Abschlag in Höhe von 103,00 € monatlich zu zahlen. Ab dem 01.11.2006 nahm der Kläger wegen Mängeln der Mietsache eine Mietminderung in Höhe von 60,55 € monatlich und ab dem 01.02.2007 in Höhe von 43,25 € monatlich vor.

4

Seit dem 15.12.2007 wohnt der Kläger in N .

5

Bis zum 31.12.2004 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von zuletzt wöchentlich 123,83 €. Arbeitslosengeld (Alg) bezog der Kläger zuletzt im Jahr 1993.

6

Auf seinen Antrag vom 30.09.2004 bewilligte die Agentur für Arbeit Mayen dem Kläger mit Bescheid vom 02.11.2004 in der Gestalt des Änderungsbescheides der Rechtsvorgängerin des Beklagten, der Arbeitsgemeinschaft Landkreis Mayen-Koblenz (im Folgenden: ARGE), vom 26.04.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 652,71 € monatlich.

7

Dem Bescheid vom 02.11.2004 war ein Hinweisschreiben beigefügt, dass der tatsächliche Mietzins des Klägers den angemessenen Betrag um 5,33 € überschreite. Für einen 1-Personen-Haushalt werde eine Gesamtwohnfläche von 45 m² als angemessen angesehen. Im hiesigen Raum werde ein Mietzins von 4,25 € je m² als angemessen anerkennt. Der Kläger werde aufgefordert, seine Kosten der Unterkunft bis zum 30.06.2005 durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise zu reduzieren. Danach würden nur noch die angemessenen Kosten der Unterkunft anerkannt.

8

Mit Bescheid vom 26.04.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 30.06.2005 monatliche Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €), für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.07.2005 Leistungen in Höhe von 647,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 302,38 €) und für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 650,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 305,38 €).

9

Mit Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 650,38 € monatlich. Eine mit Bescheid vom 06.02.2006 erfolgte Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 01.02.2006 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit wurde mit Änderungsbescheid vom 07.02.2006 wieder zurückgenommen; mit diesem Bescheid wurden dem Kläger erneut Leistungen in Höhe von 650,38 € monatlich für die Zeit vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 bewilligt. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 20.04.2006 wurden die Leistungen aufgrund der Erhöhung des Gasabschlages für die Zeit vom 01.02.2006 bis zum 30.04.2006 auf 653,38 € monatlich erhöht. Der auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2006 zurückgewiesen.

10

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 19.05.2006 wurde auch der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 07.02.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, der sich ebenfalls gegen die Höhe der belegten Leistungen wandte, als unbegründet zurückgewiesen.

11

Betreffend die Höhe der Kosten der Unterkunft vom 01.05.2005 bis zum 30.06.2006 erhob der Kläger Klagen zum Sozialgericht (SG) Koblenz (S 13 AS 280/06 und 281/06), die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 13 AS 281/06 verbunden wurden.

12

Mit Bescheid vom 20.04.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 653,38 € monatlich. Hiergegen legte der Kläger am 03.05.2006 Widerspruch ein.

13

Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er zum 01.08.2006 nach B verziehe, beschränkte die ARGE mit Bescheid vom 14.07.2006 die zuvor bis zum 31.10.2006 bewilligten Leistungen in Höhe von 653,38 € monatlich auf den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006. Mit Bescheid vom 19.07.2006 bewilligte sie dem Kläger im Übrigen für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 611,73 € ausgehend von Kosten für die neue Wohnung in Höhe von 266,73 € monatlich.

14

Auch für den Bewilligungsabschnitt vom 01.02.2007 bis zum 30.04.2007 bewilligte die ARGE dem Kläger mit Bescheid vom 10.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 611,73 € monatlich. Mit Bescheid vom 21.03.2017 wurden für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.10.2007 Leistungen in Höhe von 568,48 € und mit Bescheid vom 19.10.2007 für die Zeit vom 01.11.2007 bis zum 31.12. 2007 Leistungen in Höhe von 570,48 € (Regelleistungen in Höhe von 347,00 € und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 223,48 €) bewilligt. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

15

Eine am 19.03.2007 vom Kläger vorgelegte Nebenkostennachforderung in Höhe von 44,04 € aus dem Mietverhältnis B in S übernahm die ARGE mit Bescheid vom 23.03.2007.

16

In dem Klageverfahren vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06 gab die ARGE am 04.03.2008 ein Anerkenntnis dahingehend ab, dass für den Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 Arbeitslosengeld II unter Ansatz der tatsächlichen Kaltmiete gewährt werde. Das Anerkenntnis wurde von dem Kläger angenommen. Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE daraufhin dem Kläger für Juli 2005 Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €). Mit weiterem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte sie für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 655,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 310,71 €) monatlich, mit drittem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.01.2006 ebenfalls Leistungen in Höhe von 655,71 € sowie mit viertem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 313,71 €) monatlich. Mit einem fünften Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE im Übrigen über das abgegebene Anerkenntnis hinausgehend auch für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € monatlich.

17

Gegen die Änderungsbescheide vom 25.09.2008 legte der Kläger Widerspruch ein, da sich seine Kaltmiete aufgrund der Staffelmietvereinbarung mit Wirkung zum 01.10.2005 auf 202,33 € monatlich belaufe. Mit Bescheid vom 06.02.2009 erklärte die ARGE daraufhin, dass sie die Bescheide vom 25.09.2008 aufhebe und in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.07.2006 eine Kaltmiete in Höhe von monatlich 202,33 € berücksichtige. Dies wurde schließlich mit vier Änderungsbescheiden vom 05.03.2009 umgesetzt. Als Kosten der Unterkunft wurden nunmehr in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.01.2006 316,46 € und in der Zeit vom 01.02.2006 bis zum 31.07.2006 319,46 € berücksichtigt.

18

Am 11.08.2005 beantragte der Kläger, der Vegetarier ist und kein Fleisch, Fisch oder Produkte, die Gelatine enthalten, verzehrt, unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin Dr. S vom 15.07.2004 (hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler, es muss 2005 heißen) einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen Laktoseintoleranz. Der Bescheinigung beigefügt war ein Attest des Dermatologen Dr. N vom 04.08.2005, der eine abortive atypische Dermatitis mit Juckreiz sowie eine Typ I Allergie auf Hausstaubmilben diagnostizierte und als Therapie die Anwendung von Antihistaminika nach Bedarf (z.B. Telfast 180), das Meiden von Nahrungsmitteln mit hohem Tyramingehalt und ggf. eine schwache Steroidsalbe für die Beine empfahl. Die ARGE holte eine Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 19.05.2006 ein und lehnte mit Bescheid vom 01.06.2006 den Antrag auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab. Grundlage für die Bewertung des Mehraufwandes für Krankenkost bildeten zum einen die Empfehlungen für die Krankenkostzulage der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge in der Auflage von 1997 und zum anderen der Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, Stand 1/2002. Aus diesen Empfehlungen sei zu ersehen, dass für die Ernährung von Menschen mit Laktoseintoleranz eine ausreichend große Anzahl an laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Ein Widerspruch gegen den Bescheid befindet sich nicht in den Akten.

19

Am 08.11.2006 ging bei der ARGE eine Widerspruchsbegründung des derzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf einen Widerspruch vom 21.06.2006 ein. Die Beteiligten einigten sich darauf, die Widerspruchsbegründung als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.

20

Mit Bescheid vom 15.05.2007 lehnte die ARGE eine Änderung ihres Bescheides vom 01.06.2006 ab. Sie wiederholte dabei im Wesentlichen ihre Begründung aus dem genannten Bescheid. Den Widerspruch des Klägers vom 20.06.2007 wies die ARGE mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 als unbegründet zurück.

21

Am 30.01.2008 hat der Kläger Klage zum SG Koblenz erhoben und u.a. mehrere Quittungen über den Einkauf von Lebensmitteln vorgelegt.

22

Das SG hat ein internistisches Gutachten des Dr. A vom 30.05.2008 aus dem Klageverfahren vor dem SG mit dem Az.: S 10 R 778/07 beigezogen, eine Stellungnahme der Frau Dr. S vom 20.07.2009 eingeholt und die Klage mit Urteil vom 28.10.2009 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs wegen seiner Laktoseintoleranz. Mittlerweile liege eine im Jahr 2008 völlig neu bearbeitete Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vor. Auch wenn diesen Empfehlungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Feststellung des angemessenen Mehrbedarfs im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II lediglich der Charakter einer Orientierungshilfe zukäme (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R), könnten sie zur Sachverhaltsbeurteilung im Hinblick auf die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe der Mehrbedarf anzuerkennen sei, herangezogen werden. Ihnen sei im Regelfall zu folgen (Hinweis auf Sächsisches LSG, Urteil vom 22.06.2009 - L 7 AS 250/08). Nach den Empfehlungen vom 01.10.2008 sei nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin ein krankheitsbedingter Mehrbedarf bei verzehrenden Erkrankungen bzw. gestörter Nahrungsaufnahme bzw. Nährstoffverwertung in der Regel daher nur bei schweren Verläufen zu bejahen oder wenn besondere Umstände vorlägen. Hierfür lägen im Fall des Klägers keinerlei Anzeichen vor. Das beigezogene internistische Gutachten des Dr. A belege, dass bezüglich der Laktoseintoleranz gerade nicht von einem schweren Verlauf ausgegangen werden könne. Da im Übrigen aus der festgestellten Körperlänge von 1,80 m und dem Körpergewicht von 95 kg auch nicht auf besondere Umstände hinsichtlich einer gestörten Nährstoffaufnahme geschlossen werden könne, sei hier von einem Regelfall auszugehen. Das Urteil war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, dass dieses Urteil nicht mit der Berufung angefochten werden könne, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden sei. Die Nichtzulassung der Berufung könne mit der Beschwerde angefochten werden. Das Urteil ist dem Kläger am 06.11.2009 zugestellt worden.

23

Am 07.12.2009 (einem Montag) hat der Kläger Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 eingelegt (Az.: L 3 AS 576/09 NZB). Nach einem Hinweis des 3. Senats, dass die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig sei, hat der Kläger am 11.06.2010 die Beschwerde zurückgenommen.

24

Am 17.06.2010 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Koblenz eingelegt.

25

Der Kläger trägt vor, es treffe nicht zu, dass eine ausreichend große Anzahl von laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Laktosefreie Lebensmittel seien in etwa doppelt so teuer wie laktosehaltige Lebensmittel. Auch könne das Sachverständigengutachten des Dr. A nicht Entscheidungsgrundlage sein, ob ihm ein Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz zu gewähren sei. Das Gutachten sei erstattet worden zur Beurteilung des ihm verbliebenen Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Ihm sei von Frau Dr. S , nachdem diese seine Laktoseintoleranz festgestellt habe, lediglich empfohlen worden, sich laktosefrei zu ernähren, was er in der Folgezeit getan habe. Die Ärztin habe ihm nicht mitgeteilt, dass evtl. eine spätere Überprüfung seiner Laktoseintoleranz erforderlich sei. Vor der Feststellung einer Laktoseintoleranz habe er an krampfhaften Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten gelitten. Nach der Umstellung der Ernährung auf laktosefreie Milch und Milchprodukte seien die Beschwerden verschwunden. Er ernähre sich von Obst, rohem und gekochtem Gemüse, Vollkornprodukten, selbst zusammengestelltem Müsli und Hülsenfrüchten sowie laktosefreien Milchprodukten, vor allem Joghurt und Schnittkäse. Seit März 1988 sei er Vegetarier. Lebensmittel, die Fleisch oder Fisch oder Gelatine enthielten, verzehre er nicht. Sein Bedarf an laktosefreien Milchprodukten sei deutlich höher als bei Nichtvegetariern, u.a. deshalb, weil er laktosefreie Sahne zum Kochen von Suppen und Soßen verwende.

26

Der Beklagte hat auf Hinweis des Senats mit Schreiben vom 04.03.2013 ein Teilanerkenntnis dahin gehend abgegeben, dass für die Monate August und September 2005 ein (aufgerundeter) Leistungsanspruch in Höhe von 656,00 € monatlich gewährt werde. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.03.2013 dieses Teilanerkenntnis angenommen.

27

Der Kläger beantragt,

28

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 01.06.2006, des Bescheides vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2005 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009, und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006 und vom 19.07.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009 sowie unter Abänderung der weiteren Bescheide zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

29

Der Beklagte beantragt,

30

die Berufung zurückzuweisen.

31

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Eine Deckung des Eiweißbedarfes des Klägers durch tierische und pflanzliche Eiweiße stelle bei Laktoseintoleranz kein Problem dar. Eine Deckung des Eiweißbedarfes durch Milcheiweiß sei nicht zwingend. Nach seiner Auffassung bestehe ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II daher nur dann, wenn die Deckung des Eiweißbedarfs durch Vollkost entsprechend der Empfehlung des Deutschen Vereins bedingt durch einen schweren Verlauf der Laktoseintoleranz nicht mehr möglich sei und daher eine erhöhte Substitution durch Sojaprodukte notwendig werde. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.

32

Der Senat hat schriftliche Stellungnahmen der Frau Dr. S vom 15.08.2011 und vom 02.03.2012 sowie ein Sachverständigengutachten des Ernährungsberaters C M betreffend die Mehrkosten laktosefreier und tyraminarmer Lebensmittel vom 05.11.2012 eingeholt.

33

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des SG Koblenz - S 13 ER 392/07 AS -, der Leistungsakten des Beklagten (drei Bände) sowie der Leistungsakten des Jobcenters N (zwei Bände) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

34

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger höhere Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

35

Streitgegenstand (vgl. § 95 SGG) des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 11.08.2005 (Eingang der Bescheinigung der Frau Dr. S bei dem Beklagten) bis zum 31.10.2006. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Die Regelungen des Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lassen sich (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft, soweit dies ausdrücklich beantragt ist) in rechtlich zulässiger Weise nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 10 Rn. 13 mit weiteren Nachweisen).

36

Vorliegend hat der Beklagte mit Bescheid vom 01.06.2006 zwar gesondert, d.h. getrennt von seinen Entscheidungen über die "übrigen" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte entschieden. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass damit der gesamte Zeitraum bis zum 14.12.2007, in dem der Kläger im Zuständigkeitsbereich des Rechtsvorgängers des Beklagten wohnte, umfasst ist. Da Leistungen hier nicht komplett versagt worden sind und lediglich die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitig ist, kann einer Entscheidung des Grundsicherungsträgers wegen der in § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte zukommen. Zwar enthält der Bescheid vom 01.06.2006 keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt. Dies allein lässt jedoch nicht den Schluss zu, der Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Vielmehr ist der Bescheid dahingehend auszulegen, dass hier die allein rechtlich zulässige Regelung, nämlich eine ablehnende Regelung über eine höhere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw. der Gegenwart lagen, getroffen werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, a.a.O. Rn. 14; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 16).

37

Vorliegend hat der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung am 11.08.2005 und damit während des laufenden Bewilligungsabschnittes vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2005 (Bescheid vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) gestellt. Die Entscheidung des Rechtsvorgängers des Beklagten erging erst im Juni 2006 und damit nachdem ein weiterer Bewilligungsabschnitt vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 (Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) abgelaufen und ein neuer Bewilligungsabschnitt vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 (Bescheid vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006, vom 19.07.2006 , vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 sowie vom 05.03.2009) begonnen hatte. Damit umfasste das Klageverfahren aber von Anfang an mindestens den Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 31.10.2006 und damit einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

38

Da das Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, war die am 17.06.2010 und damit innerhalb eines Jahres ab Zustellung des Urteils eingelegte Berufung des Klägers auch noch rechtzeitig (vgl. § 66 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG).

39

Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist das Jobcenter (§§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen ARGE getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war daher durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr. 4 Rn. 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21; vgl. auch zuletzt BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R).

40

Die Berufung ist nur zum Teil begründet.

41

Soweit der Kläger mit seiner Klage höhere Leistungen auch für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis zum 14.12.2007, d.h. bis zu seinem Fortzug aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten begehrt, ist die Klage unzulässig. Dieser Zeitraum war, wie oben bereits ausgeführt wurde, nicht Gegenstand des Bescheides vom 01.06.2006 sowie des Bescheides vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008. Es ist auch nicht ersichtlich, dass bezüglich dieses Zeitraumes ein Widerspruchsverfahren betreffend die Höhe der Leistungen durchgeführt worden ist, so dass die konkludente Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs bestandskräftig geworden ist.

42

Dagegen ist die Klage betreffend die Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 30.04.2006 nicht bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig (vgl. § 202 SGG iVm. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG). Diese waren zwar als abtrennbarer Streitgegenstand für den oben genannten Zeitraum bereits Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06. Mit der Beendigung des Verfahrens durch das angenommene Anerkenntnis der ARGE vom 04.03.2008 endete jedoch die Sperrwirkung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 94 Rn. 4; vgl. auch BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 22/10 R, juris Rn. 13).

43

Allerdings hat das SG im Ergebnis zu Recht die Klage betreffend den Zeitraum bis zum 31.07.2006 abgewiesen. Dem Kläger stehen höhere Leistungsansprüche als von der Rechtsvorgängerin des Beklagten bewilligt nicht zu. Lediglich betreffend den Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat der Kläger einen höheren Leistungsanspruch, da die ARGE für die neue Wohnung zu niedrige Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt hat.

44

Soweit der Zeitraum bis zum 30.04.2006 betroffen ist, waren die Bewilligungsbescheide mit Ausnahme des Verfügungssatzes über die Leistungen für Unterkunft und Heizung, die Gegenstand des Klageverfahrens S 13 AS 281/06 waren, bei Erlass des Bescheides vom 01.06.2006 bestandskräftig geworden, so dass es sich hier um einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X handelt.

45

Nach dieser Vorschrift ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind, ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Vorliegend ist jedoch im besagten Zeitraum weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Der angegriffene Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008, mit dem sie es abgelehnt hat, den Bescheid vom 01.06.2006 sowie die die jeweiligen Bewilligungsabschnitte betreffenden Leistungsbescheide aufzuheben, erweist sich für diesen Zeitraum als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

46

Den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 betreffend lagen dagegen aufgrund des Widerspruchs des Klägers, über den noch nicht per Widerspruchsbescheid entschieden war, keine bestandskräftigen Bescheide vor. Erst durch den Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 ist letztlich hinsichtlich diesen Abschnitts durch die Behörde abschließend entschieden worden, dass dem Kläger keine höheren Leistungen zustehen bzw. dass die Absenkung der Leistungen aufgrund des Wohnungswechsels zutreffend erfolgt sei.

47

Der demnach für diesen Zeitraum als Anfechtungs- und Leistungsklage auszulegende Antrag des Klägers hat insofern Erfolg, als er Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat. Die ARGE hätte mit Bescheid vom 19.07.2006 die dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bewilligten monatlichen Leistungen nicht auf 611,73 € absenken dürfen.

48

Grundsätzlich war die Rechtsvorgängerin des Beklagten berechtigt, aufgrund des Wohnungswechsels des Klägers und den hieraus resultierenden niedrigeren Mietkosten die Leistungen nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X abzusenken. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dies war hier der Fall. Jedoch hätte die Absenkung nicht in diesem Umfang erfolgen dürfen.

49

Der Kläger war zunächst im streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt. Er erfüllte die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (hier: in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003, BGBl. I S. 2954): Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, er war erwerbsfähig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und war auch hilfebedürftig. Anhaltspunkte für einen Ausschluss von Leistungen sind nicht gegeben. Nach § 19 Abs. 1 SGB II (ebenfalls in der Fassung des oben genannten Gesetzes) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte wie der Kläger als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (Satz 1 Nr. 1). Ein Anspruch auf einen befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld nach § 24 SGB II (hier in der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung; vgl. § 19 Satz 1 Nr. 2 SGB II) kam hier nicht in Betracht, da der Kläger zuletzt 1993 Arbeitslosengeld bezogen hat.

50

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003 (a.a.O.) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass die von dem Kläger zu erbringende Kaltmiete oder die Vorauszahlungen für Nebenkosten und Heizung unangemessen wären. Die ARGE als Rechtsvorgängerin des Beklagten hat selbst in dem dem Bescheid vom 02.11.2004 beigefügten Hinweisschreiben erläutert, sie gehe in ihrem Zuständigkeitsbereich von einer angemessenen Kaltmiete von 4,25 € pro m² aus. Multipliziert mit der für angemessenen gehaltenen 45 m² Wohnfläche ergibt dies einen Betrag in Höhe von 191,25 €. Die Kaltmiete des Klägers belief sich jedoch lediglich auf 173,00 €. Von der Vorauszahlung für Heiz- und Nebenkosten in Höhe von 103,00 € monatlich war für die über die Heizung erfolgte und nicht von einem gesonderten Zähler erfasste Erwärmung des Warmwassers ein Abzug vorzunehmen. Dieser darf jedoch nicht über die Kosten für Warmwasserbereitung, wie sie in der Regelleistung enthalten sind, hinausgehen, so dass im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 lediglich ein Betrag in Höhe von 6,22 € abzuziehen war (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R, BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 Rn. 25). Der Leistungsanspruch des Klägers errechnete sich daher für die Monate August bis Oktober 2006 wie folgt: Regelleistung in Höhe von 345,00 €, Kosten für Unterkunft in Höhe von 269,78 € (276,00 € - 6,22 € Warmwasserpauschale) = 614,78 € monatlich, gerundet (vgl. § 41 Abs. 2 SGB II in der bis 31.03.2011 geltenden Fassung) somit 615,00 € monatlich. Bewilligt wurden mit dem Änderungsbescheid vom 19.07.2006 jedoch lediglich 611,73 €, so dass er im Umfang von 3,27 € monatlich für die drei betreffenden Monate aufzuheben war.

51

Über diesen Betrag hinaus hat der Kläger, nachdem der Beklagte auch hinsichtlich der Rundung des Leistungsanspruchs für die Monate August und September 2005 ein (Teil-)Anerkenntnis abgegeben und der Kläger dieses angenommen hat, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf höhere Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf aufgrund seiner Laktoseintoleranz.

52

Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 Rn. 15; Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12 Rn. 16 ff.).

53

Bei dem Kläger liegt zwar insoweit eine Krankheit vor, als aufgrund eines oralen Laktosetoleranztests am 16.07.2005 bei der Fachärztin für Innere Medizin/Diabetologin Dr. S die Diagnose einer Laktoseintoleranz gestellt wurde. Jedoch ergibt sich aufgrund dieser Laktoseintoleranz im konkreten Fall des Klägers kein gegenüber einem Hilfebedürftigen ohne Milchzuckerunverträglichkeit erhöhter ernährungsbedingter Mehrbedarf.

54

Dabei kann offen bleiben, wie der Umstand zu bewerten ist, dass der Kläger nach der Feststellung seiner Laktoseintoleranz und nach der Teilnahme an einer Ernährungsberatung wegen dieser Krankheit keine weitere ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Nach den Ausführungen sowohl der behandelnden Ärztin Dr. S in ihrer Stellungnahme vom 02.03.2012 als auch des Sachverständigen M in seinem Gutachten vom 05.11.2012 handelt es sich bei einer Laktoseintoleranz nicht um eine statische Erkrankung. Erfahrungsgemäß ist grundsätzlich eine Verlaufskontrolle erforderlich. Auch ist die Toleranz von gewissen laktosearmen Lebensmitteln individuell sehr unterschiedlich und kann nicht allein anhand des bei dem Kläger durchgeführten oralen Laktosetests ermittelt werden. Vielmehr ist, so der Sachverständige M , eine individuelle auf die persönliche Bekömmlichkeit der Lebensmittel angepasste Kost erforderlich. Hierzu wird in der Regel eine Kosteinschulung durchgeführt, in der nach Einführung einer laktosearmen Basiskost und der Überprüfung deren Verträglichkeit ein Kostaufbau durchgeführt wird, mit dem die individuelle Laktosetoleranzschwelle herausgefunden werden soll. Einen solchen Kostaufbau hat der Kläger nicht durchgeführt, er hat vielmehr, seitdem ihm seine Laktoseintoleranz aufgrund des Oraltests bekannt war, auf sämtliche laktosehaltigen Lebensmittel verzichtet. Letztlich kann damit nicht abschließend gesagt werden, ob die vollkommen laktosefreie Diät, die der Kläger im hier streitgegenständlichen Zeitraum durchgeführt hat, tatsächlich medizinisch notwendig gewesen ist. Möglicherweise hätte der Kläger aufgrund seiner individuellen Gegebenheiten durchaus geringe Mengen laktosehaltiger Lebensmittel zu sich nehmen können, wobei der Sachverständige M auch darauf hinweist, dass laktosehaltige Mahlzeiten regelmäßig besser toleriert werden, wenn sie zusammen mit anderen Lebensmitteln konsumiert werden (vgl. Seite 6 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang kann auch dahinstehen, welche Empfehlung Frau Dr. S tatsächlich gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat, da eine evtl. Fehlberatung durch die behandelnde Ärztin hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren Behandlung nicht dem Beklagten zuzurechnen wäre und daher auch nicht zu seinen Lasten gehen könnte. Der Kläger ist selbst dafür verantwortlich, herauszufinden, welche Diät tatsächlich aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung erforderlich ist und sich entsprechend bei Ärzten oder im Internet zu informieren.

55

Für den Ausschluss eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung kann - anders als das SG meint - vorliegend allerdings nicht auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (hier: Stand 01.10.2008) zurückgegriffen werden. Eine Aussage zu einem krankheitsbedingtem Mehrbedarf bei Laktoseintoleranz lässt sich den Empfehlungen nicht entnehmen. Vielmehr weist der Deutsche Verein unter II.2 Nr. 2 ("Ziel der Empfehlungen") ausdrücklich darauf hin, dass ein eventuell abweichender Bedarf bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht geprüft worden sei. An gleicher Stelle wird betont, dass die Gewährung von Zulagen bei in den Empfehlungen nicht berücksichtigten Erkrankungen nicht ausgeschlossen werde.

56

Letztlich muss damit eine individuelle Prüfung erfolgen, in welchem Umfang dem Kläger aufgrund seiner Laktoseintoleranz Mehrkosten entstehen (vgl. auch SG Hildesheim, Gerichtsbescheid vom 31.05.2010 - S 54 AS 1649/09). Solche Mehrkosten konnten jedoch durch das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen M vom 05.11.2012 für den sich vegetarisch ernährenden Kläger nicht belegt werden.

57

Nach den Feststellungen des Sachverständigen M besteht bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte meiden muss, sogar eine Ersparnis gegenüber den normalen Ausgaben, unter der Voraussetzung dass nur die preiswertesten Lebensmittel genommen werden. Diese Ersparnis beziffert er mit 2,42 € im Monat bzw. 0,56 € pro Woche. Lediglich bei der Berücksichtigung von Durchschnittspreisen einer größeren Lebensmittelvariationsbreite seien Mehrkosten in Höhe von durchschnittlich 3,41 € pro Monat bzw. 0,79 € pro Woche zu erwarten. Selbst bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte und tyraminhaltige Lebensmittel meiden müsse, wäre noch eine Ersparnis von 1,64 € pro Monat bzw. 0,38 € pro Woche auf der Basis des jeweils billigsten verfügbaren Lebensmittels zu erwarten. Nur wenn eine abwechslungsreichere Kost erfolge, die nicht immer auf die wenigen preiswertesten Lebensmittel zurückgreife, sei von einem Mehrbedarf von durchschnittlich 20,04 € pro Monat bzw. 6,47 € pro Woche auszugehen. Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass gerade gereifte Käsesorten, die bei einer Tyraminunverträglichkeit zu meiden sind, laktosearm sind. Auch Bohnenprodukte, welche für die Eiweißversorgung bei einem Laktoseintoleranten günstig sind, sind nach den Aussagen des Sachverständigen bei einer konsequenten tyraminarmen Kost grundsätzlich zu meiden. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Kläger nach eigenen Angaben durchaus Hülsenfrüchte verzehrt und auch verträgt, da unter dieser Diät die vorher beklagten Beschwerden (insbesondere krampfhafte Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten) verschwunden sind. Dem Kläger steht damit auch unter Beachtung einer tyraminarmen Kost eine ausreichende Bandbreite an Produkten zur Verfügung, um seinen Nährstoffbedarf, insbesondere an Eiweiß und Kalzium, ohne laktosehaltige Milchprodukte zu decken. Da das Gesetz auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf abstellt, kann in diesem Zusammenhang allein darauf abgestellt werden, ob die mögliche Ernährung, den Nährstoffbedarf des Klägers ausreichend abdeckt. Ob der Kläger aus persönlichen Gründen auf bestimmte Produkte, wie z.B. laktosefreie Sahne oder laktosefreien Käse zurückgreifen möchte, insbesondere um in seiner Ernährung mehr Abwechslung zu haben, ist dagegen im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern ist es dem Kläger - wie jedem anderen Hilfebedürftigen auch, der eine besondere Ernährung wünscht - zuzumuten, sich durch Umschichtungen innerhalb der in der Regelleistung enthaltenen Beträge eine abwechslungsreichere, aber teurere Ernährung zu verschaffen.

58

Im Hinblick auf die Tyraminproblematik des Klägers hat der Sachverständige Meinhold im Übrigen ausgeführt, dass das Meiden von Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt des biogenen Amins Tyramin bei abortiver atypischer Dermatitis mit Juckreiz keine allgemeinwissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode sei. Hier sei eher der Einsatz von Antihistaminika sinnvoll und zielführend. Letztendlich entspricht dies auch der Empfehlung des Dermatologen Dr. Nolte. Hieraus folgt, dass dem Kläger bereits ohne Antihistaminika eine Diät zur Verfügung steht, welche ausreichend erscheint und keine Mehrkosten verursacht, wenn man berücksichtigt, dass er offensichtlich Hülsenfrüchte toleriert. Unter dem Einsatz der Antihistaminika wäre es sogar möglich, gereifte und damit laktosearme Käsesorten zu konsumieren und so ein breiteres Lebensmittelangebot zur Verfügung zu haben. Eventuelle Kosten für derartige Medikamente können dabei im Rahmen des Ernährungsmehrbedarfs nicht berücksichtigt werden, da es sich bei dem von Dr. Nolte erwähnten Antihistaminikum Telfast 180 um ein verschreibungspflichtiges Medikament und nicht um ein Lebensmittel handelt (zur Nichtberücksichtigung von Medikamenten im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235- = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 20; vgl. auch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rn. 31). Grundsätzlich wird die notwendige Krankenbehandlung des Klägers, der im streitigen Zeitraum als Leistungsempfänger nach dem SGB II in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert war, durch seine Krankenkasse sichergestellt. Soweit bestimmte Präparate zwar medizinisch notwendig, aber unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der GKV-Versicherten nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckt sind, sind diese aus der Regelleistung zu zahlen (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, a.a.O. Rn. 25, welches auch darauf hinweist, dass in der Regelleistung im streitigen Zeitraum für die Abteilung 06 auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 ein Gesamtbetrag in Höhe von 13,19 € berücksichtigt worden ist). Raum, z.B. für einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ist damit ebenfalls nicht (vgl. BSG, a.a.O.). Damit kann hier offen bleiben, in welchem Umfang dem Kläger möglicherweise durch die Einnahme von Antihistaminika Mehrkosten entstanden sind.

59

Im Ergebnis ist damit ein krankheitsbedingter Mehraufwand nicht nachgewiesen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass ein sich mit Fleisch und Fisch ernährender Hilfebedürftiger Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung hätte. Im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II können nur die dem Kläger tatsächlich entstehenden Mehrkosten berücksichtigt werden und nicht etwa Mehrkosten, die bei einer (fiktiv zugrunde gelegten) nicht vegetarischen Ernährung entstünden.

60

Auch im Übrigen sind die Leistungen des Klägers nicht zu niedrig bemessen worden. Die Kosten der Unterkunft sind im Zeitraum bis zum 31.07.2005 in Ausführung des vor dem SG Koblenz (S 13 AS 281/06) abgegebenen Anerkenntnisses vollständig übernommen worden, obwohl auch hier wohl ein Abzug für die Warmwasserbereitung vorzunehmen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die der Höhe der Regelleistungen ergibt sich kein höherer Leistungsanspruch. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 09.02.2010 die Regelleistungen mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, den Gesetzgeber jedoch lediglich verpflichtet, diese für die Zukunft neu festzusetzen und ihm eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2010 gesetzt (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 12 Rn. 16 f.). Im Übrigen hat das BVerfG mit Beschluss vom 24.3.2010 auch klargestellt, dass die in diesem Urteil geschaffene Härtefallregelung nicht rückwirkend für Zeiträume, die vor der Verkündung dieses Urteils liegen, gilt (1 BvR 395/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1).

61

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

62

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Die Ablehnung eines Mehrbedarfs beruht hier auf der individuellen Konstellation des Klägers, dass dieser als Vegetarier nicht nur Mehrkosten für laktosearme Lebensmittel sondern auch Einsparpotential durch den Verzicht auf Fisch und Fleisch hat.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 20.04.2006 in Gestalt der Bescheide vom 01.06.2006, vom 19.07.2006 und vom 15.05.2007 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate August, September und Oktober 2006 weitere Leistungen in Höhe von monatlich 3,27 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger - teilweise im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 hat. Streitig ist insbesondere, ob der Kläger Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung hat.

2

Der am ...1956 geborene Kläger bewohnte bis zum 31.07.2006 eine 44,97 m² große Wohnung in der B in S . Die Kaltmiete belief sich bis zum 30.09.2005 auf 196,58 €. Daneben war ein Nebenkostenabschlag in Höhe von 50,13 Euro monatlich (insgesamt 247,71 €) zu zahlen. Zum 01.10.2005 erhöhte sich die Kaltmiete aufgrund einer Staffelmietvereinbarung auf 202,33 €. Die Beheizung und die Erwärmung des Warmwassers in der Wohnung erfolgten über Gas. Der Gasabschlag belief sich bis zum 31.07.2005 auf 60,00 € monatlich, vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 auf 63,00 € monatlich und ab dem 01.02.2006 auf 66,00 € monatlich.

3

Zum 01.08.2006 verzog der Kläger in eine 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 41,69 m² in der B in B . Die Kaltmiete belief sich auf 173,00 € monatlich. Daneben war für Nebenkosten und Heizung ein einheitlicher Abschlag in Höhe von 103,00 € monatlich zu zahlen. Ab dem 01.11.2006 nahm der Kläger wegen Mängeln der Mietsache eine Mietminderung in Höhe von 60,55 € monatlich und ab dem 01.02.2007 in Höhe von 43,25 € monatlich vor.

4

Seit dem 15.12.2007 wohnt der Kläger in N .

5

Bis zum 31.12.2004 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von zuletzt wöchentlich 123,83 €. Arbeitslosengeld (Alg) bezog der Kläger zuletzt im Jahr 1993.

6

Auf seinen Antrag vom 30.09.2004 bewilligte die Agentur für Arbeit Mayen dem Kläger mit Bescheid vom 02.11.2004 in der Gestalt des Änderungsbescheides der Rechtsvorgängerin des Beklagten, der Arbeitsgemeinschaft Landkreis Mayen-Koblenz (im Folgenden: ARGE), vom 26.04.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 652,71 € monatlich.

7

Dem Bescheid vom 02.11.2004 war ein Hinweisschreiben beigefügt, dass der tatsächliche Mietzins des Klägers den angemessenen Betrag um 5,33 € überschreite. Für einen 1-Personen-Haushalt werde eine Gesamtwohnfläche von 45 m² als angemessen angesehen. Im hiesigen Raum werde ein Mietzins von 4,25 € je m² als angemessen anerkennt. Der Kläger werde aufgefordert, seine Kosten der Unterkunft bis zum 30.06.2005 durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise zu reduzieren. Danach würden nur noch die angemessenen Kosten der Unterkunft anerkannt.

8

Mit Bescheid vom 26.04.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 30.06.2005 monatliche Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €), für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.07.2005 Leistungen in Höhe von 647,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 302,38 €) und für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 650,38 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 305,38 €).

9

Mit Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 650,38 € monatlich. Eine mit Bescheid vom 06.02.2006 erfolgte Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 01.02.2006 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit wurde mit Änderungsbescheid vom 07.02.2006 wieder zurückgenommen; mit diesem Bescheid wurden dem Kläger erneut Leistungen in Höhe von 650,38 € monatlich für die Zeit vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 bewilligt. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 20.04.2006 wurden die Leistungen aufgrund der Erhöhung des Gasabschlages für die Zeit vom 01.02.2006 bis zum 30.04.2006 auf 653,38 € monatlich erhöht. Der auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2006 zurückgewiesen.

10

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 19.05.2006 wurde auch der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 07.02.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, der sich ebenfalls gegen die Höhe der belegten Leistungen wandte, als unbegründet zurückgewiesen.

11

Betreffend die Höhe der Kosten der Unterkunft vom 01.05.2005 bis zum 30.06.2006 erhob der Kläger Klagen zum Sozialgericht (SG) Koblenz (S 13 AS 280/06 und 281/06), die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 13 AS 281/06 verbunden wurden.

12

Mit Bescheid vom 20.04.2006 bewilligte die ARGE dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von unverändert 653,38 € monatlich. Hiergegen legte der Kläger am 03.05.2006 Widerspruch ein.

13

Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er zum 01.08.2006 nach B verziehe, beschränkte die ARGE mit Bescheid vom 14.07.2006 die zuvor bis zum 31.10.2006 bewilligten Leistungen in Höhe von 653,38 € monatlich auf den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006. Mit Bescheid vom 19.07.2006 bewilligte sie dem Kläger im Übrigen für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 611,73 € ausgehend von Kosten für die neue Wohnung in Höhe von 266,73 € monatlich.

14

Auch für den Bewilligungsabschnitt vom 01.02.2007 bis zum 30.04.2007 bewilligte die ARGE dem Kläger mit Bescheid vom 10.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 611,73 € monatlich. Mit Bescheid vom 21.03.2017 wurden für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.10.2007 Leistungen in Höhe von 568,48 € und mit Bescheid vom 19.10.2007 für die Zeit vom 01.11.2007 bis zum 31.12. 2007 Leistungen in Höhe von 570,48 € (Regelleistungen in Höhe von 347,00 € und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 223,48 €) bewilligt. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

15

Eine am 19.03.2007 vom Kläger vorgelegte Nebenkostennachforderung in Höhe von 44,04 € aus dem Mietverhältnis B in S übernahm die ARGE mit Bescheid vom 23.03.2007.

16

In dem Klageverfahren vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06 gab die ARGE am 04.03.2008 ein Anerkenntnis dahingehend ab, dass für den Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 Arbeitslosengeld II unter Ansatz der tatsächlichen Kaltmiete gewährt werde. Das Anerkenntnis wurde von dem Kläger angenommen. Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE daraufhin dem Kläger für Juli 2005 Leistungen in Höhe von 652,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 307,71 €). Mit weiterem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte sie für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 655,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 310,71 €) monatlich, mit drittem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.01.2006 ebenfalls Leistungen in Höhe von 655,71 € sowie mit viertem Änderungsbescheid vom 25.09.2008 für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten der Unterkunft in Höhe von 313,71 €) monatlich. Mit einem fünften Änderungsbescheid vom 25.09.2008 bewilligte die ARGE im Übrigen über das abgegebene Anerkenntnis hinausgehend auch für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.07.2006 Leistungen in Höhe von 658,71 € monatlich.

17

Gegen die Änderungsbescheide vom 25.09.2008 legte der Kläger Widerspruch ein, da sich seine Kaltmiete aufgrund der Staffelmietvereinbarung mit Wirkung zum 01.10.2005 auf 202,33 € monatlich belaufe. Mit Bescheid vom 06.02.2009 erklärte die ARGE daraufhin, dass sie die Bescheide vom 25.09.2008 aufhebe und in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.07.2006 eine Kaltmiete in Höhe von monatlich 202,33 € berücksichtige. Dies wurde schließlich mit vier Änderungsbescheiden vom 05.03.2009 umgesetzt. Als Kosten der Unterkunft wurden nunmehr in der Zeit vom 01.10.2005 bis 31.01.2006 316,46 € und in der Zeit vom 01.02.2006 bis zum 31.07.2006 319,46 € berücksichtigt.

18

Am 11.08.2005 beantragte der Kläger, der Vegetarier ist und kein Fleisch, Fisch oder Produkte, die Gelatine enthalten, verzehrt, unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin Dr. S vom 15.07.2004 (hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler, es muss 2005 heißen) einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen Laktoseintoleranz. Der Bescheinigung beigefügt war ein Attest des Dermatologen Dr. N vom 04.08.2005, der eine abortive atypische Dermatitis mit Juckreiz sowie eine Typ I Allergie auf Hausstaubmilben diagnostizierte und als Therapie die Anwendung von Antihistaminika nach Bedarf (z.B. Telfast 180), das Meiden von Nahrungsmitteln mit hohem Tyramingehalt und ggf. eine schwache Steroidsalbe für die Beine empfahl. Die ARGE holte eine Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 19.05.2006 ein und lehnte mit Bescheid vom 01.06.2006 den Antrag auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab. Grundlage für die Bewertung des Mehraufwandes für Krankenkost bildeten zum einen die Empfehlungen für die Krankenkostzulage der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge in der Auflage von 1997 und zum anderen der Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, Stand 1/2002. Aus diesen Empfehlungen sei zu ersehen, dass für die Ernährung von Menschen mit Laktoseintoleranz eine ausreichend große Anzahl an laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Ein Widerspruch gegen den Bescheid befindet sich nicht in den Akten.

19

Am 08.11.2006 ging bei der ARGE eine Widerspruchsbegründung des derzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf einen Widerspruch vom 21.06.2006 ein. Die Beteiligten einigten sich darauf, die Widerspruchsbegründung als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.

20

Mit Bescheid vom 15.05.2007 lehnte die ARGE eine Änderung ihres Bescheides vom 01.06.2006 ab. Sie wiederholte dabei im Wesentlichen ihre Begründung aus dem genannten Bescheid. Den Widerspruch des Klägers vom 20.06.2007 wies die ARGE mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 als unbegründet zurück.

21

Am 30.01.2008 hat der Kläger Klage zum SG Koblenz erhoben und u.a. mehrere Quittungen über den Einkauf von Lebensmitteln vorgelegt.

22

Das SG hat ein internistisches Gutachten des Dr. A vom 30.05.2008 aus dem Klageverfahren vor dem SG mit dem Az.: S 10 R 778/07 beigezogen, eine Stellungnahme der Frau Dr. S vom 20.07.2009 eingeholt und die Klage mit Urteil vom 28.10.2009 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs wegen seiner Laktoseintoleranz. Mittlerweile liege eine im Jahr 2008 völlig neu bearbeitete Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vor. Auch wenn diesen Empfehlungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Feststellung des angemessenen Mehrbedarfs im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II lediglich der Charakter einer Orientierungshilfe zukäme (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R), könnten sie zur Sachverhaltsbeurteilung im Hinblick auf die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe der Mehrbedarf anzuerkennen sei, herangezogen werden. Ihnen sei im Regelfall zu folgen (Hinweis auf Sächsisches LSG, Urteil vom 22.06.2009 - L 7 AS 250/08). Nach den Empfehlungen vom 01.10.2008 sei nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin ein krankheitsbedingter Mehrbedarf bei verzehrenden Erkrankungen bzw. gestörter Nahrungsaufnahme bzw. Nährstoffverwertung in der Regel daher nur bei schweren Verläufen zu bejahen oder wenn besondere Umstände vorlägen. Hierfür lägen im Fall des Klägers keinerlei Anzeichen vor. Das beigezogene internistische Gutachten des Dr. A belege, dass bezüglich der Laktoseintoleranz gerade nicht von einem schweren Verlauf ausgegangen werden könne. Da im Übrigen aus der festgestellten Körperlänge von 1,80 m und dem Körpergewicht von 95 kg auch nicht auf besondere Umstände hinsichtlich einer gestörten Nährstoffaufnahme geschlossen werden könne, sei hier von einem Regelfall auszugehen. Das Urteil war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, dass dieses Urteil nicht mit der Berufung angefochten werden könne, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden sei. Die Nichtzulassung der Berufung könne mit der Beschwerde angefochten werden. Das Urteil ist dem Kläger am 06.11.2009 zugestellt worden.

23

Am 07.12.2009 (einem Montag) hat der Kläger Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 eingelegt (Az.: L 3 AS 576/09 NZB). Nach einem Hinweis des 3. Senats, dass die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig sei, hat der Kläger am 11.06.2010 die Beschwerde zurückgenommen.

24

Am 17.06.2010 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG Koblenz eingelegt.

25

Der Kläger trägt vor, es treffe nicht zu, dass eine ausreichend große Anzahl von laktosefreien Lebensmitteln zur Verfügung stehe, die eine individuelle Ernährungszusammenstellung ohne wesentliche Mehrkosten möglich mache. Laktosefreie Lebensmittel seien in etwa doppelt so teuer wie laktosehaltige Lebensmittel. Auch könne das Sachverständigengutachten des Dr. A nicht Entscheidungsgrundlage sein, ob ihm ein Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz zu gewähren sei. Das Gutachten sei erstattet worden zur Beurteilung des ihm verbliebenen Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Ihm sei von Frau Dr. S , nachdem diese seine Laktoseintoleranz festgestellt habe, lediglich empfohlen worden, sich laktosefrei zu ernähren, was er in der Folgezeit getan habe. Die Ärztin habe ihm nicht mitgeteilt, dass evtl. eine spätere Überprüfung seiner Laktoseintoleranz erforderlich sei. Vor der Feststellung einer Laktoseintoleranz habe er an krampfhaften Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten gelitten. Nach der Umstellung der Ernährung auf laktosefreie Milch und Milchprodukte seien die Beschwerden verschwunden. Er ernähre sich von Obst, rohem und gekochtem Gemüse, Vollkornprodukten, selbst zusammengestelltem Müsli und Hülsenfrüchten sowie laktosefreien Milchprodukten, vor allem Joghurt und Schnittkäse. Seit März 1988 sei er Vegetarier. Lebensmittel, die Fleisch oder Fisch oder Gelatine enthielten, verzehre er nicht. Sein Bedarf an laktosefreien Milchprodukten sei deutlich höher als bei Nichtvegetariern, u.a. deshalb, weil er laktosefreie Sahne zum Kochen von Suppen und Soßen verwende.

26

Der Beklagte hat auf Hinweis des Senats mit Schreiben vom 04.03.2013 ein Teilanerkenntnis dahin gehend abgegeben, dass für die Monate August und September 2005 ein (aufgerundeter) Leistungsanspruch in Höhe von 656,00 € monatlich gewährt werde. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.03.2013 dieses Teilanerkenntnis angenommen.

27

Der Kläger beantragt,

28

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.10.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 01.06.2006, des Bescheides vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2005 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009, und vom 05.03.2009, des Bescheides vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006 und vom 19.07.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009 sowie unter Abänderung der weiteren Bescheide zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 14.12.2007 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

29

Der Beklagte beantragt,

30

die Berufung zurückzuweisen.

31

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Eine Deckung des Eiweißbedarfes des Klägers durch tierische und pflanzliche Eiweiße stelle bei Laktoseintoleranz kein Problem dar. Eine Deckung des Eiweißbedarfes durch Milcheiweiß sei nicht zwingend. Nach seiner Auffassung bestehe ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II daher nur dann, wenn die Deckung des Eiweißbedarfs durch Vollkost entsprechend der Empfehlung des Deutschen Vereins bedingt durch einen schweren Verlauf der Laktoseintoleranz nicht mehr möglich sei und daher eine erhöhte Substitution durch Sojaprodukte notwendig werde. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.

32

Der Senat hat schriftliche Stellungnahmen der Frau Dr. S vom 15.08.2011 und vom 02.03.2012 sowie ein Sachverständigengutachten des Ernährungsberaters C M betreffend die Mehrkosten laktosefreier und tyraminarmer Lebensmittel vom 05.11.2012 eingeholt.

33

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des SG Koblenz - S 13 ER 392/07 AS -, der Leistungsakten des Beklagten (drei Bände) sowie der Leistungsakten des Jobcenters N (zwei Bände) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

34

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger höhere Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

35

Streitgegenstand (vgl. § 95 SGG) des vorliegenden Verfahrens sind Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 11.08.2005 (Eingang der Bescheinigung der Frau Dr. S bei dem Beklagten) bis zum 31.10.2006. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Die Regelungen des Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lassen sich (mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft, soweit dies ausdrücklich beantragt ist) in rechtlich zulässiger Weise nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 10 Rn. 13 mit weiteren Nachweisen).

36

Vorliegend hat der Beklagte mit Bescheid vom 01.06.2006 zwar gesondert, d.h. getrennt von seinen Entscheidungen über die "übrigen" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte entschieden. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass damit der gesamte Zeitraum bis zum 14.12.2007, in dem der Kläger im Zuständigkeitsbereich des Rechtsvorgängers des Beklagten wohnte, umfasst ist. Da Leistungen hier nicht komplett versagt worden sind und lediglich die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitig ist, kann einer Entscheidung des Grundsicherungsträgers wegen der in § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte zukommen. Zwar enthält der Bescheid vom 01.06.2006 keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt. Dies allein lässt jedoch nicht den Schluss zu, der Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Vielmehr ist der Bescheid dahingehend auszulegen, dass hier die allein rechtlich zulässige Regelung, nämlich eine ablehnende Regelung über eine höhere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw. der Gegenwart lagen, getroffen werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R, a.a.O. Rn. 14; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 16).

37

Vorliegend hat der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung am 11.08.2005 und damit während des laufenden Bewilligungsabschnittes vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2005 (Bescheid vom 26.04.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.10.2005, des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) gestellt. Die Entscheidung des Rechtsvorgängers des Beklagten erging erst im Juni 2006 und damit nachdem ein weiterer Bewilligungsabschnitt vom 01.11.2005 bis zum 30.04.2006 (Bescheid vom 21.10.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.11.2005, des Änderungsbescheides vom 07.02.2006, des Änderungsbescheides vom 20.04.2006, des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 sowie der Änderungsbescheide vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 und vom 05.03.2009) abgelaufen und ein neuer Bewilligungsabschnitt vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 (Bescheid vom 20.04.2006 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 14.07.2006, vom 19.07.2006 , vom 25.09.2008, vom 06.02.2009 sowie vom 05.03.2009) begonnen hatte. Damit umfasste das Klageverfahren aber von Anfang an mindestens den Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 31.10.2006 und damit einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

38

Da das Urteil des SG Koblenz vom 28.10.2009 mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, war die am 17.06.2010 und damit innerhalb eines Jahres ab Zustellung des Urteils eingelegte Berufung des Klägers auch noch rechtzeitig (vgl. § 66 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG).

39

Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist das Jobcenter (§§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen ARGE getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war daher durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr. 4 Rn. 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21; vgl. auch zuletzt BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R).

40

Die Berufung ist nur zum Teil begründet.

41

Soweit der Kläger mit seiner Klage höhere Leistungen auch für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis zum 14.12.2007, d.h. bis zu seinem Fortzug aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten begehrt, ist die Klage unzulässig. Dieser Zeitraum war, wie oben bereits ausgeführt wurde, nicht Gegenstand des Bescheides vom 01.06.2006 sowie des Bescheides vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008. Es ist auch nicht ersichtlich, dass bezüglich dieses Zeitraumes ein Widerspruchsverfahren betreffend die Höhe der Leistungen durchgeführt worden ist, so dass die konkludente Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs bestandskräftig geworden ist.

42

Dagegen ist die Klage betreffend die Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 11.08.2005 bis zum 30.04.2006 nicht bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig (vgl. § 202 SGG iVm. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG). Diese waren zwar als abtrennbarer Streitgegenstand für den oben genannten Zeitraum bereits Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG Koblenz mit dem Az. S 13 AS 281/06. Mit der Beendigung des Verfahrens durch das angenommene Anerkenntnis der ARGE vom 04.03.2008 endete jedoch die Sperrwirkung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 94 Rn. 4; vgl. auch BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 22/10 R, juris Rn. 13).

43

Allerdings hat das SG im Ergebnis zu Recht die Klage betreffend den Zeitraum bis zum 31.07.2006 abgewiesen. Dem Kläger stehen höhere Leistungsansprüche als von der Rechtsvorgängerin des Beklagten bewilligt nicht zu. Lediglich betreffend den Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat der Kläger einen höheren Leistungsanspruch, da die ARGE für die neue Wohnung zu niedrige Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt hat.

44

Soweit der Zeitraum bis zum 30.04.2006 betroffen ist, waren die Bewilligungsbescheide mit Ausnahme des Verfügungssatzes über die Leistungen für Unterkunft und Heizung, die Gegenstand des Klageverfahrens S 13 AS 281/06 waren, bei Erlass des Bescheides vom 01.06.2006 bestandskräftig geworden, so dass es sich hier um einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X handelt.

45

Nach dieser Vorschrift ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind, ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Vorliegend ist jedoch im besagten Zeitraum weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Der angegriffene Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008, mit dem sie es abgelehnt hat, den Bescheid vom 01.06.2006 sowie die die jeweiligen Bewilligungsabschnitte betreffenden Leistungsbescheide aufzuheben, erweist sich für diesen Zeitraum als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

46

Den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 betreffend lagen dagegen aufgrund des Widerspruchs des Klägers, über den noch nicht per Widerspruchsbescheid entschieden war, keine bestandskräftigen Bescheide vor. Erst durch den Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 ist letztlich hinsichtlich diesen Abschnitts durch die Behörde abschließend entschieden worden, dass dem Kläger keine höheren Leistungen zustehen bzw. dass die Absenkung der Leistungen aufgrund des Wohnungswechsels zutreffend erfolgt sei.

47

Der demnach für diesen Zeitraum als Anfechtungs- und Leistungsklage auszulegende Antrag des Klägers hat insofern Erfolg, als er Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 hat. Die ARGE hätte mit Bescheid vom 19.07.2006 die dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bewilligten monatlichen Leistungen nicht auf 611,73 € absenken dürfen.

48

Grundsätzlich war die Rechtsvorgängerin des Beklagten berechtigt, aufgrund des Wohnungswechsels des Klägers und den hieraus resultierenden niedrigeren Mietkosten die Leistungen nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X abzusenken. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dies war hier der Fall. Jedoch hätte die Absenkung nicht in diesem Umfang erfolgen dürfen.

49

Der Kläger war zunächst im streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt. Er erfüllte die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (hier: in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003, BGBl. I S. 2954): Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, er war erwerbsfähig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und war auch hilfebedürftig. Anhaltspunkte für einen Ausschluss von Leistungen sind nicht gegeben. Nach § 19 Abs. 1 SGB II (ebenfalls in der Fassung des oben genannten Gesetzes) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte wie der Kläger als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (Satz 1 Nr. 1). Ein Anspruch auf einen befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld nach § 24 SGB II (hier in der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung; vgl. § 19 Satz 1 Nr. 2 SGB II) kam hier nicht in Betracht, da der Kläger zuletzt 1993 Arbeitslosengeld bezogen hat.

50

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 24.03.2003 (a.a.O.) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass die von dem Kläger zu erbringende Kaltmiete oder die Vorauszahlungen für Nebenkosten und Heizung unangemessen wären. Die ARGE als Rechtsvorgängerin des Beklagten hat selbst in dem dem Bescheid vom 02.11.2004 beigefügten Hinweisschreiben erläutert, sie gehe in ihrem Zuständigkeitsbereich von einer angemessenen Kaltmiete von 4,25 € pro m² aus. Multipliziert mit der für angemessenen gehaltenen 45 m² Wohnfläche ergibt dies einen Betrag in Höhe von 191,25 €. Die Kaltmiete des Klägers belief sich jedoch lediglich auf 173,00 €. Von der Vorauszahlung für Heiz- und Nebenkosten in Höhe von 103,00 € monatlich war für die über die Heizung erfolgte und nicht von einem gesonderten Zähler erfasste Erwärmung des Warmwassers ein Abzug vorzunehmen. Dieser darf jedoch nicht über die Kosten für Warmwasserbereitung, wie sie in der Regelleistung enthalten sind, hinausgehen, so dass im Zeitraum vom 01.08.2006 bis zum 31.10.2006 lediglich ein Betrag in Höhe von 6,22 € abzuziehen war (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R, BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 Rn. 25). Der Leistungsanspruch des Klägers errechnete sich daher für die Monate August bis Oktober 2006 wie folgt: Regelleistung in Höhe von 345,00 €, Kosten für Unterkunft in Höhe von 269,78 € (276,00 € - 6,22 € Warmwasserpauschale) = 614,78 € monatlich, gerundet (vgl. § 41 Abs. 2 SGB II in der bis 31.03.2011 geltenden Fassung) somit 615,00 € monatlich. Bewilligt wurden mit dem Änderungsbescheid vom 19.07.2006 jedoch lediglich 611,73 €, so dass er im Umfang von 3,27 € monatlich für die drei betreffenden Monate aufzuheben war.

51

Über diesen Betrag hinaus hat der Kläger, nachdem der Beklagte auch hinsichtlich der Rundung des Leistungsanspruchs für die Monate August und September 2005 ein (Teil-)Anerkenntnis abgegeben und der Kläger dieses angenommen hat, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf höhere Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf aufgrund seiner Laktoseintoleranz.

52

Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 Rn. 15; Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12 Rn. 16 ff.).

53

Bei dem Kläger liegt zwar insoweit eine Krankheit vor, als aufgrund eines oralen Laktosetoleranztests am 16.07.2005 bei der Fachärztin für Innere Medizin/Diabetologin Dr. S die Diagnose einer Laktoseintoleranz gestellt wurde. Jedoch ergibt sich aufgrund dieser Laktoseintoleranz im konkreten Fall des Klägers kein gegenüber einem Hilfebedürftigen ohne Milchzuckerunverträglichkeit erhöhter ernährungsbedingter Mehrbedarf.

54

Dabei kann offen bleiben, wie der Umstand zu bewerten ist, dass der Kläger nach der Feststellung seiner Laktoseintoleranz und nach der Teilnahme an einer Ernährungsberatung wegen dieser Krankheit keine weitere ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Nach den Ausführungen sowohl der behandelnden Ärztin Dr. S in ihrer Stellungnahme vom 02.03.2012 als auch des Sachverständigen M in seinem Gutachten vom 05.11.2012 handelt es sich bei einer Laktoseintoleranz nicht um eine statische Erkrankung. Erfahrungsgemäß ist grundsätzlich eine Verlaufskontrolle erforderlich. Auch ist die Toleranz von gewissen laktosearmen Lebensmitteln individuell sehr unterschiedlich und kann nicht allein anhand des bei dem Kläger durchgeführten oralen Laktosetests ermittelt werden. Vielmehr ist, so der Sachverständige M , eine individuelle auf die persönliche Bekömmlichkeit der Lebensmittel angepasste Kost erforderlich. Hierzu wird in der Regel eine Kosteinschulung durchgeführt, in der nach Einführung einer laktosearmen Basiskost und der Überprüfung deren Verträglichkeit ein Kostaufbau durchgeführt wird, mit dem die individuelle Laktosetoleranzschwelle herausgefunden werden soll. Einen solchen Kostaufbau hat der Kläger nicht durchgeführt, er hat vielmehr, seitdem ihm seine Laktoseintoleranz aufgrund des Oraltests bekannt war, auf sämtliche laktosehaltigen Lebensmittel verzichtet. Letztlich kann damit nicht abschließend gesagt werden, ob die vollkommen laktosefreie Diät, die der Kläger im hier streitgegenständlichen Zeitraum durchgeführt hat, tatsächlich medizinisch notwendig gewesen ist. Möglicherweise hätte der Kläger aufgrund seiner individuellen Gegebenheiten durchaus geringe Mengen laktosehaltiger Lebensmittel zu sich nehmen können, wobei der Sachverständige M auch darauf hinweist, dass laktosehaltige Mahlzeiten regelmäßig besser toleriert werden, wenn sie zusammen mit anderen Lebensmitteln konsumiert werden (vgl. Seite 6 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang kann auch dahinstehen, welche Empfehlung Frau Dr. S tatsächlich gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat, da eine evtl. Fehlberatung durch die behandelnde Ärztin hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren Behandlung nicht dem Beklagten zuzurechnen wäre und daher auch nicht zu seinen Lasten gehen könnte. Der Kläger ist selbst dafür verantwortlich, herauszufinden, welche Diät tatsächlich aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung erforderlich ist und sich entsprechend bei Ärzten oder im Internet zu informieren.

55

Für den Ausschluss eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung kann - anders als das SG meint - vorliegend allerdings nicht auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (hier: Stand 01.10.2008) zurückgegriffen werden. Eine Aussage zu einem krankheitsbedingtem Mehrbedarf bei Laktoseintoleranz lässt sich den Empfehlungen nicht entnehmen. Vielmehr weist der Deutsche Verein unter II.2 Nr. 2 ("Ziel der Empfehlungen") ausdrücklich darauf hin, dass ein eventuell abweichender Bedarf bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht geprüft worden sei. An gleicher Stelle wird betont, dass die Gewährung von Zulagen bei in den Empfehlungen nicht berücksichtigten Erkrankungen nicht ausgeschlossen werde.

56

Letztlich muss damit eine individuelle Prüfung erfolgen, in welchem Umfang dem Kläger aufgrund seiner Laktoseintoleranz Mehrkosten entstehen (vgl. auch SG Hildesheim, Gerichtsbescheid vom 31.05.2010 - S 54 AS 1649/09). Solche Mehrkosten konnten jedoch durch das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen M vom 05.11.2012 für den sich vegetarisch ernährenden Kläger nicht belegt werden.

57

Nach den Feststellungen des Sachverständigen M besteht bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte meiden muss, sogar eine Ersparnis gegenüber den normalen Ausgaben, unter der Voraussetzung dass nur die preiswertesten Lebensmittel genommen werden. Diese Ersparnis beziffert er mit 2,42 € im Monat bzw. 0,56 € pro Woche. Lediglich bei der Berücksichtigung von Durchschnittspreisen einer größeren Lebensmittelvariationsbreite seien Mehrkosten in Höhe von durchschnittlich 3,41 € pro Monat bzw. 0,79 € pro Woche zu erwarten. Selbst bei einem Vegetarier, der laktosehaltige Produkte und tyraminhaltige Lebensmittel meiden müsse, wäre noch eine Ersparnis von 1,64 € pro Monat bzw. 0,38 € pro Woche auf der Basis des jeweils billigsten verfügbaren Lebensmittels zu erwarten. Nur wenn eine abwechslungsreichere Kost erfolge, die nicht immer auf die wenigen preiswertesten Lebensmittel zurückgreife, sei von einem Mehrbedarf von durchschnittlich 20,04 € pro Monat bzw. 6,47 € pro Woche auszugehen. Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass gerade gereifte Käsesorten, die bei einer Tyraminunverträglichkeit zu meiden sind, laktosearm sind. Auch Bohnenprodukte, welche für die Eiweißversorgung bei einem Laktoseintoleranten günstig sind, sind nach den Aussagen des Sachverständigen bei einer konsequenten tyraminarmen Kost grundsätzlich zu meiden. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Kläger nach eigenen Angaben durchaus Hülsenfrüchte verzehrt und auch verträgt, da unter dieser Diät die vorher beklagten Beschwerden (insbesondere krampfhafte Leibschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, Blähungen und Völlegefühl nach Mahlzeiten) verschwunden sind. Dem Kläger steht damit auch unter Beachtung einer tyraminarmen Kost eine ausreichende Bandbreite an Produkten zur Verfügung, um seinen Nährstoffbedarf, insbesondere an Eiweiß und Kalzium, ohne laktosehaltige Milchprodukte zu decken. Da das Gesetz auf einen krankheitsbedingten Mehrbedarf abstellt, kann in diesem Zusammenhang allein darauf abgestellt werden, ob die mögliche Ernährung, den Nährstoffbedarf des Klägers ausreichend abdeckt. Ob der Kläger aus persönlichen Gründen auf bestimmte Produkte, wie z.B. laktosefreie Sahne oder laktosefreien Käse zurückgreifen möchte, insbesondere um in seiner Ernährung mehr Abwechslung zu haben, ist dagegen im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II ohne Belang. Insofern ist es dem Kläger - wie jedem anderen Hilfebedürftigen auch, der eine besondere Ernährung wünscht - zuzumuten, sich durch Umschichtungen innerhalb der in der Regelleistung enthaltenen Beträge eine abwechslungsreichere, aber teurere Ernährung zu verschaffen.

58

Im Hinblick auf die Tyraminproblematik des Klägers hat der Sachverständige Meinhold im Übrigen ausgeführt, dass das Meiden von Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt des biogenen Amins Tyramin bei abortiver atypischer Dermatitis mit Juckreiz keine allgemeinwissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode sei. Hier sei eher der Einsatz von Antihistaminika sinnvoll und zielführend. Letztendlich entspricht dies auch der Empfehlung des Dermatologen Dr. Nolte. Hieraus folgt, dass dem Kläger bereits ohne Antihistaminika eine Diät zur Verfügung steht, welche ausreichend erscheint und keine Mehrkosten verursacht, wenn man berücksichtigt, dass er offensichtlich Hülsenfrüchte toleriert. Unter dem Einsatz der Antihistaminika wäre es sogar möglich, gereifte und damit laktosearme Käsesorten zu konsumieren und so ein breiteres Lebensmittelangebot zur Verfügung zu haben. Eventuelle Kosten für derartige Medikamente können dabei im Rahmen des Ernährungsmehrbedarfs nicht berücksichtigt werden, da es sich bei dem von Dr. Nolte erwähnten Antihistaminikum Telfast 180 um ein verschreibungspflichtiges Medikament und nicht um ein Lebensmittel handelt (zur Nichtberücksichtigung von Medikamenten im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R, BSGE 108, 235- = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 Rn. 20; vgl. auch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rn. 31). Grundsätzlich wird die notwendige Krankenbehandlung des Klägers, der im streitigen Zeitraum als Leistungsempfänger nach dem SGB II in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert war, durch seine Krankenkasse sichergestellt. Soweit bestimmte Präparate zwar medizinisch notwendig, aber unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der GKV-Versicherten nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckt sind, sind diese aus der Regelleistung zu zahlen (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, a.a.O. Rn. 25, welches auch darauf hinweist, dass in der Regelleistung im streitigen Zeitraum für die Abteilung 06 auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 ein Gesamtbetrag in Höhe von 13,19 € berücksichtigt worden ist). Raum, z.B. für einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ist damit ebenfalls nicht (vgl. BSG, a.a.O.). Damit kann hier offen bleiben, in welchem Umfang dem Kläger möglicherweise durch die Einnahme von Antihistaminika Mehrkosten entstanden sind.

59

Im Ergebnis ist damit ein krankheitsbedingter Mehraufwand nicht nachgewiesen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass ein sich mit Fleisch und Fisch ernährender Hilfebedürftiger Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung hätte. Im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II können nur die dem Kläger tatsächlich entstehenden Mehrkosten berücksichtigt werden und nicht etwa Mehrkosten, die bei einer (fiktiv zugrunde gelegten) nicht vegetarischen Ernährung entstünden.

60

Auch im Übrigen sind die Leistungen des Klägers nicht zu niedrig bemessen worden. Die Kosten der Unterkunft sind im Zeitraum bis zum 31.07.2005 in Ausführung des vor dem SG Koblenz (S 13 AS 281/06) abgegebenen Anerkenntnisses vollständig übernommen worden, obwohl auch hier wohl ein Abzug für die Warmwasserbereitung vorzunehmen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die der Höhe der Regelleistungen ergibt sich kein höherer Leistungsanspruch. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 09.02.2010 die Regelleistungen mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, den Gesetzgeber jedoch lediglich verpflichtet, diese für die Zukunft neu festzusetzen und ihm eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2010 gesetzt (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 12 Rn. 16 f.). Im Übrigen hat das BVerfG mit Beschluss vom 24.3.2010 auch klargestellt, dass die in diesem Urteil geschaffene Härtefallregelung nicht rückwirkend für Zeiträume, die vor der Verkündung dieses Urteils liegen, gilt (1 BvR 395/09, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1).

61

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

62

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Die Ablehnung eines Mehrbedarfs beruht hier auf der individuellen Konstellation des Klägers, dass dieser als Vegetarier nicht nur Mehrkosten für laktosearme Lebensmittel sondern auch Einsparpotential durch den Verzicht auf Fisch und Fleisch hat.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung für die Zeit ab dem 1. März 2009.
Die 1962 geborene Klägerin stand im Bezug laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - bei der Beklagten. Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 11. Februar 2009 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 6. März 2009 für den Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in monatlicher Höhe von 643,50 EUR (351,-- EUR Regelleistung und 292,50 EUR Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung). Zur näheren Erläuterung hieß es im Bescheid weiter: Nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen habe aufgrund der Erkrankung der Klägerin erhöhter Ernährungsbedarf bestanden, so dass ein pauschaler Mehrbedarf bewilligt worden sei. Nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen sei indes nicht mehr von einem erhöhten Ernährungsbedarf auszugehen. Diese Erkenntnisse seien in die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1. Oktober 2008 eingeflossen. Bei der Zahlung des Mehrbedarfs orientiere sich die Beklagte an den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Diese seien im Internet einsehbar, ebenso aber auch bei der Beklagten.
Darauf erwiderte die Klägerin unter dem 17. März 2009 schriftlich, ihr Mehrbedarf für Ernährung sei anerkannt; ein entsprechendes ärztliches Attest liege der Beklagten vor. Daher beantrage sie weiter den Ernährungsmehrbedarf zu bewilligen. Mit Schreiben vom 20. März 2009 erwiderte die Beklagte wegen des abermals geltend gemachten Mehrbedarfs werde auf das Schreiben vom 5. März 2009 (gemeint 6. März 2009) Bezug genommen.
Den daraufhin von der Klägerin am 2. April 2009 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es, aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung der Klägerin sei zu ersehen, dass diese an Hyperlipidämie erkrankt sei. Angezeigt sei deshalb eine cholesterinarme Kost. Ein krankheitsbedingter erhöhter Ernährungsaufwand sei durch eine cholesterinarme Ernährung aber nicht gegeben. Vielmehr reiche das Weglassen cholesterinreicher Nahrungsmittel aus. Ein krankheitsbedingter erhöhter Ernährungsaufwand lasse sich auf der Grundlage der maßgeblichen Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1. Oktober 2008 nicht begründen. Der Widerspruchsbescheid wurde am 19.05.2009 an die Klägerin abgesandt.
Am 16. Juni 2009 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erheben lassen.
Die Klägerin ist weiter der Auffassung, die bei ihr vorliegende Hyperlipidämie, die die Beklagte ja anerkenne, löse einen krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf aus. Dies ergebe sich aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung von Dr. L.. Sie leide zudem an einer Lactoseintoleranz. Ca. 30 Minuten nach Zufuhr von Lactose komme es bei ihr zu einem spürbaren Anstieg der Wasserstoffatemgaskonzentration. Dies spreche für das Vorliegen einer Milchzuckerunverträglichkeit. Außerdem bedürfe sie kostenaufwendiger probiotischer Nahrungsergänzungsmittel. Weitere Beweiserhebung durch die Einholung ärztlicher Auskünfte sei angezeigt.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 6. März 2009 und 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf für den Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 gemäß § 21 Abs. 5 SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Sie bezieht sich auf die den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegenden Ausführungen.
12 
Das Gericht hat die von der Klägerin als behandelnde Ärzte benannten Mediziner im Wege schriftlicher sachverständiger Zeugenaussagen vernommen.
13 
Der Allgemeinmediziner Dr. Z. hat dem Gericht unter dem 18. Dezember 2009 berichtet, die Klägerin im Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2008 ambulant behandelt zu haben. Bezüglich der bei ihr vorliegenden Refluxkrankheit sei Schonkost im Sinne einer Minderung der Säurebelastung sinnvoll. Bei fortgesetztem Nikotinabusus, wie er bei der Klägerin vorliege, sei jedoch die Wirksamkeit einer solchen Magenschonkost nur bedingt effektiv.
14 
Der Allgemeinmediziner und Anästhesiologe Dr. L. hat dem Gericht unter dem 17. März 2010 mitgeteilt, die Klägerin erstmalig am 6. Dezember 2008 und letztmalig am 30. November 2009 behandelt zu haben. Er habe bei ihr ein Reizdarmsyndrom bei Dysbiose (Gleichgewichtsstörung der Darmflora), eine Hypercholesterinämie, Nikotinabusus, ein Brust- und Halswirbelsäulen-Syndrom, Brustschmerzen links, Verdacht auf Endometriose, Gastroenteritis und Lactoseintoleranz diagnostiziert. Eine Besserung der Beschwerden durch die Dysbiose sei bei Einhaltung einer besonderen Kostform oder das Weglassen bestimmter Nahrungsmittel oder eine Nikotinkarenz nicht wahrscheinlich. Lediglich bezüglich der durch die Lactoseintoleranz verursachten Beschwerden sei eine Besserung durch Weglassen von lactosehaltigen Nahrungsmitteln zu erwarten. Eine Ernährungstherapie bezüglich der Hypercholesterinämie sei bei der Klägerin durch das Weglassen cholesterinhaltiger Lebensmittel möglich. Aus medizinischen Gründen halte er bei der Klägerin aber die Einnahme von probiotischen Nahrungsergänzungsmitteln für erforderlich.
15 
In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende zwei Studien zur Milchzucker-unverträglichkeit (Prof. Dr. H., Juli 2004 und Dr. L.2009) auszugsweise verlesen und den Beteiligten ausgehändigt.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakten und den Inhalt der Prozessakte (S 4 AS 2626/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
18 
Die Bescheide der Beklagten vom 6. März 2009 und 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2009 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann von der Beklagten für den vorliegenden streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 keinen krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf verlangen. Krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf gemäß § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Der Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II, der zum notwendigen Existenzminimum gehört, setzt voraus, dass die hilfebedürftige Personwegen einer Krankheit oder Behinderung eine besondere Ernährung benötigt und dass diese Ernährung tatsächlich kostenaufwändiger als die eines Gesunden oder Nichtbehinderten ist. Der Kostenvergleich bezieht sich auf den in der Pflegeleistung anerkannten Betrag für Ernährung und Getränke. Die Anerkennung eines Mehrbedarfs ist begrifflich immer nur in Bezug auf diesen Regelbedarfsbetrag möglich.
19 
Wie sich der Mehrbedarf konkret zusammensetzt und welche Mehrkosten er verursacht, ist eine Tatsachenfrage (vgl. Landessozialgericht Sachsen, Beschluss vom 13. Februar 2009, L 3 B 428/08 AS - NZW), die im Schwerpunkt von der Ernährungswissenschaft unter Zugrundelegung ernährungsmedizinischer Erkenntnisse sowie unter Berücksichtigung der Preisentwicklung für die benötigen Nahrungsmittel zu beantworten ist.
20 
Den Gesetzesmaterialien zur analogen Regelung in § 30 Abs. 5 SGB XII (Bundestagsdrucksache 15/1516, Seite 57) können bei der Bestimmung der Angemessenheit des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung dazu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge an typisierten Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen für die dort gelisteten Gesundheitsstörungen zumindest als Orientierungs- und Auslegungshilfe herangezogen werden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juli 2009, L 12 AS 3241/08, JURIS Rn. 26 und Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2007, L 7 SO 2196/07, JURIS). Auf die aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Auflage, 1. Oktober 2008) wird Bezug genommen. Aus Gründen der Gleichbehandlung - Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - aller Hilfebedürftigen mit Anspruch auf krankheitsbedingtem Ernährungsmehrbedarf legt das erkennende Gericht die Empfehlungen des Deutschen Vereins für Krankenkostzulagen seiner Entscheidung zugrunde.
21 
Auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins greift sowohl die Gesetzgebung (vgl. Bundestagsdrucksache, a. a. O.) als auch nach wie vor ganz überwiegend die Literatur zurück (vgl. nur Grube, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2010, § 30 Rn. 44 ff m. w. N.). Ein Abweichen von diesen Empfehlungen ist unabhängig von ihrer Rechtsnatur begründungsbedürftig und setzt entsprechende Fachkompetenz voraus, die im sozialgerichtlichen Verfahren entweder einzuholen oder im Falle eigener Sachkunde des Gerichts darzulegen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 20. Juni 2006, 1 BvR 2673/05, JURIS, Rn. 19).
22 
An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, kann ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf der Klägerin gemäß § 21 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab dem 1. März 2009 nicht anerkannt werden. Hinsichtlich der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung an Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie ergibt sich dies bereits aus Nummer 4.1 der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen vom 1. Oktober 2008, wonach bei diesen Erkrankungen ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand grundsätzlich zu verneinen ist. Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie erfordern keinen höheren Aufwand für eine Vollkost, als durch den auf der Grundlage der EVS 2003 dafür bemessenen Regelsatzanteil im Rahmen der Grundsicherungsleistungen.
23 
Hinsichtlich der Refluxkrankheit der Klägerin empfiehlt der die Klägerin bis Juni 2008 behandelnde Allgemeinmediziner Dr. Z.zwar eine Schonkost zur Minderung der Säurebelastung, fügt aber gleichzeitig einschränkend hinzu, dass auch eine solche Schonkost wegen des Nikotinabusus der Klägerin nur bedingt effektiv ist. Schon deshalb hat das erkennende Gericht Zweifel an der konkreten Geeignetheit der Erforderlichkeit einer Schonkost. Diese Zweifel verdichten sich unter Berücksichtigung der weiteren Tatsache, dass sich die Klägerin bereits seit Juli 2008 nicht mehr in Behandlung von Dr. Z. befindet, zur Gewissheit. Streitgegenständlich ist vorliegend für die Gewährung von krankheitsbedingtem Ernährungsmehrbedarf erst der Zeitraum ab dem 1. März 2009. Für diesen Zeitraum aber ist eine Refluxstörung der Klägerin durch die sie behandelnden Ärzte nicht mehr gerichtsfest dokumentiert (vgl. insbesondere sachverständige Zeugenaussage von Dr. L. vom 17. März 2010).
24 
Auch die erstmals von Dr. L. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 17. März 2010 dokumentierte Lactoseintoleranz rechtfertigt vorliegend nicht die Gewährung eines krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II. In den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1. Oktober 2008 finden sich zwar keine Ausführungen über einen Mehrbedarf bei Lactoseunverträglichkeit. Unter Nummer 5 der Ausführungen des Deutschen Vereins wird aber für Erkrankungen, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Humanmedizin keiner spezifischen Diät, sondern einer sogenannten „Vollkost“ bedürfen, ein Mehrbedarf regelmäßig verneint. Ausgenommen hiervon sind nach Nummer 4.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins verzehrende Erkrankungen, die mit gestörter Nährstoffaufnahme oder Nährstoffernährung einhergehen. Beispielsweise aufgezählt werden in diesem Zusammenhang fortschreitende oder fortgeschrittene Krebsleiden, HIV- und Aids-Erkrankungen, Erkrankungen an Multipler Sklerose sowie schwere Verläufe entzündlicher Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
25 
Mit solchen regelmäßig schweren Krankheitsbildern ist eine bloße Lactoseintoleranz in keiner Weise vergleichbar. Bei der Lactoseunverträglichkeit handelt es um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit (vgl. ebenso Sozialgericht Berlin, Urteil vom 9. Oktober 2006, S 101 AS 862/06, JURIS, Rn. 16). In Deutschland leiden schätzungsweise 15 v.H. der Bevölkerung an einer Laktoseintoleranz (Dr. L., www.netdoktor.de unter Hinweis auf Hutyra et al: Lactose intolerance: pathophysiology, clinical symptoms, diagnosis and treatment, 2009, S. 148-152). Der Milchzuckerunverträglichkeit kann durch die Vermeidung von lactosehaltiger Kost begegnet werden. Lactosefreie Kost für Erwachsene ist tatsächlich auch keineswegs kostenaufwändiger als lactosehaltige Nahrung. Der Klägerin ist deshalb ein Ausweichen auf die in vielen Discountern inzwischen angebotene kostengünstige lactosefreie Kost und insbesondere auch auf sojabasierte Produkte zuzumuten. Lactosefrei sind neben Sojaprodukten insbesondere folgende Nahrungsmittel: lactosefreie Milch, Fleisch und Fisch, roher und gekochter Schinken, Braten, Rauchfleisch, alle Pflanzenöle, Pflanzenmargarine, alle Getreide- und Mehlsorten, Reis, Mais, Haferflocken, Brot- und Gebäcksorten (soweit ohne Kuhmilch gebacken), Kartoffeln, alle Gemüse und Hülsenfruchtsorten, alle Obstsorten, Nüsse sowie Fruchtbonbons, Gummibärchen und Marmelade (vgl. Prof. Dr. H., Essen und Trinken bei Laktoseintoleranz, Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin, TU München, 2004). Damit steht der Klägerin ein weites Feld an zum Teil sehr kostengünstigen Nahrungsmitteln für eine in jeder Hinsicht ausgewogene Ernährung offen, so dass sich ein krankheitsbedingter Mehrbedarf nicht begründen lässt. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass auch Dr. L. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 17. März 2010 körperliche Folgen der Lactoseintoleranz der Klägerin, etwa durch vermehrte Diarrhoen oder Ostipationen, nicht mitteilt.
26 
Schließlich ist auch ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf im Hinblick auf die von Dr. L. (sachverständige Zeugenaussage vom 17. März 2010) für erforderlich gehaltene „Therapie der Einnahme von probiotischen Nahrungsergänzungsmitteln“ abzulehnen. § 21 Abs. 5 SGB II ist schon dem Grunde nach auf den Ausgleich der Kosten für Ernährung beschränkt (vgl. Breitkreuz, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, SGB II, 01.03.2011, § 21 Rn. 16; Düring, in Gagel, SGB II, Kommentar, 2010, § 21 Rn. 32; Lang/Kniekrehm, in Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2008, § 21 Rn. 51); einer Erweiterung des Anspruchs im Wege der Auslegung auf andere medizinisch bedingte Bedarfe in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, Appetitzüglern oder Abführmitteln steht die Subsidiaritätsklausel des § 3 Abs. 3 SGB II entgegen (wie hier: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. April 2007, L 19 B 400/07 B, JURIS).
27 
Danach hat die Klage keinen Erfolg haben können.
28 
Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin beruht auf § 193 SGG.
29 
Im Hinblick auf den monatlich geltend gemachten Mehraufwand für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 33,06 EUR wird gerechnet auf den maßgeblichen streitgegenständlichen Zeitraum von sechs Monaten (1. März 2009 bis 31. August 2009) der Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,-- EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) nicht erreicht. Demzufolge bedürfte die Berufung der Zulassung. Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG vermag das Gericht aber nicht zu erkennen. Dementsprechend ist die Zulassung der Berufung zu versagen gewesen.

Gründe

 
17 
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
18 
Die Bescheide der Beklagten vom 6. März 2009 und 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2009 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann von der Beklagten für den vorliegenden streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 keinen krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf verlangen. Krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarf gemäß § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Der Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II, der zum notwendigen Existenzminimum gehört, setzt voraus, dass die hilfebedürftige Personwegen einer Krankheit oder Behinderung eine besondere Ernährung benötigt und dass diese Ernährung tatsächlich kostenaufwändiger als die eines Gesunden oder Nichtbehinderten ist. Der Kostenvergleich bezieht sich auf den in der Pflegeleistung anerkannten Betrag für Ernährung und Getränke. Die Anerkennung eines Mehrbedarfs ist begrifflich immer nur in Bezug auf diesen Regelbedarfsbetrag möglich.
19 
Wie sich der Mehrbedarf konkret zusammensetzt und welche Mehrkosten er verursacht, ist eine Tatsachenfrage (vgl. Landessozialgericht Sachsen, Beschluss vom 13. Februar 2009, L 3 B 428/08 AS - NZW), die im Schwerpunkt von der Ernährungswissenschaft unter Zugrundelegung ernährungsmedizinischer Erkenntnisse sowie unter Berücksichtigung der Preisentwicklung für die benötigen Nahrungsmittel zu beantworten ist.
20 
Den Gesetzesmaterialien zur analogen Regelung in § 30 Abs. 5 SGB XII (Bundestagsdrucksache 15/1516, Seite 57) können bei der Bestimmung der Angemessenheit des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung dazu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge an typisierten Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen für die dort gelisteten Gesundheitsstörungen zumindest als Orientierungs- und Auslegungshilfe herangezogen werden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juli 2009, L 12 AS 3241/08, JURIS Rn. 26 und Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2007, L 7 SO 2196/07, JURIS). Auf die aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Auflage, 1. Oktober 2008) wird Bezug genommen. Aus Gründen der Gleichbehandlung - Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - aller Hilfebedürftigen mit Anspruch auf krankheitsbedingtem Ernährungsmehrbedarf legt das erkennende Gericht die Empfehlungen des Deutschen Vereins für Krankenkostzulagen seiner Entscheidung zugrunde.
21 
Auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins greift sowohl die Gesetzgebung (vgl. Bundestagsdrucksache, a. a. O.) als auch nach wie vor ganz überwiegend die Literatur zurück (vgl. nur Grube, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2010, § 30 Rn. 44 ff m. w. N.). Ein Abweichen von diesen Empfehlungen ist unabhängig von ihrer Rechtsnatur begründungsbedürftig und setzt entsprechende Fachkompetenz voraus, die im sozialgerichtlichen Verfahren entweder einzuholen oder im Falle eigener Sachkunde des Gerichts darzulegen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 20. Juni 2006, 1 BvR 2673/05, JURIS, Rn. 19).
22 
An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, kann ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf der Klägerin gemäß § 21 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab dem 1. März 2009 nicht anerkannt werden. Hinsichtlich der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung an Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie ergibt sich dies bereits aus Nummer 4.1 der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen vom 1. Oktober 2008, wonach bei diesen Erkrankungen ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand grundsätzlich zu verneinen ist. Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie erfordern keinen höheren Aufwand für eine Vollkost, als durch den auf der Grundlage der EVS 2003 dafür bemessenen Regelsatzanteil im Rahmen der Grundsicherungsleistungen.
23 
Hinsichtlich der Refluxkrankheit der Klägerin empfiehlt der die Klägerin bis Juni 2008 behandelnde Allgemeinmediziner Dr. Z.zwar eine Schonkost zur Minderung der Säurebelastung, fügt aber gleichzeitig einschränkend hinzu, dass auch eine solche Schonkost wegen des Nikotinabusus der Klägerin nur bedingt effektiv ist. Schon deshalb hat das erkennende Gericht Zweifel an der konkreten Geeignetheit der Erforderlichkeit einer Schonkost. Diese Zweifel verdichten sich unter Berücksichtigung der weiteren Tatsache, dass sich die Klägerin bereits seit Juli 2008 nicht mehr in Behandlung von Dr. Z. befindet, zur Gewissheit. Streitgegenständlich ist vorliegend für die Gewährung von krankheitsbedingtem Ernährungsmehrbedarf erst der Zeitraum ab dem 1. März 2009. Für diesen Zeitraum aber ist eine Refluxstörung der Klägerin durch die sie behandelnden Ärzte nicht mehr gerichtsfest dokumentiert (vgl. insbesondere sachverständige Zeugenaussage von Dr. L. vom 17. März 2010).
24 
Auch die erstmals von Dr. L. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 17. März 2010 dokumentierte Lactoseintoleranz rechtfertigt vorliegend nicht die Gewährung eines krankheitsbedingten Ernährungsmehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II. In den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1. Oktober 2008 finden sich zwar keine Ausführungen über einen Mehrbedarf bei Lactoseunverträglichkeit. Unter Nummer 5 der Ausführungen des Deutschen Vereins wird aber für Erkrankungen, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Humanmedizin keiner spezifischen Diät, sondern einer sogenannten „Vollkost“ bedürfen, ein Mehrbedarf regelmäßig verneint. Ausgenommen hiervon sind nach Nummer 4.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins verzehrende Erkrankungen, die mit gestörter Nährstoffaufnahme oder Nährstoffernährung einhergehen. Beispielsweise aufgezählt werden in diesem Zusammenhang fortschreitende oder fortgeschrittene Krebsleiden, HIV- und Aids-Erkrankungen, Erkrankungen an Multipler Sklerose sowie schwere Verläufe entzündlicher Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
25 
Mit solchen regelmäßig schweren Krankheitsbildern ist eine bloße Lactoseintoleranz in keiner Weise vergleichbar. Bei der Lactoseunverträglichkeit handelt es um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit (vgl. ebenso Sozialgericht Berlin, Urteil vom 9. Oktober 2006, S 101 AS 862/06, JURIS, Rn. 16). In Deutschland leiden schätzungsweise 15 v.H. der Bevölkerung an einer Laktoseintoleranz (Dr. L., www.netdoktor.de unter Hinweis auf Hutyra et al: Lactose intolerance: pathophysiology, clinical symptoms, diagnosis and treatment, 2009, S. 148-152). Der Milchzuckerunverträglichkeit kann durch die Vermeidung von lactosehaltiger Kost begegnet werden. Lactosefreie Kost für Erwachsene ist tatsächlich auch keineswegs kostenaufwändiger als lactosehaltige Nahrung. Der Klägerin ist deshalb ein Ausweichen auf die in vielen Discountern inzwischen angebotene kostengünstige lactosefreie Kost und insbesondere auch auf sojabasierte Produkte zuzumuten. Lactosefrei sind neben Sojaprodukten insbesondere folgende Nahrungsmittel: lactosefreie Milch, Fleisch und Fisch, roher und gekochter Schinken, Braten, Rauchfleisch, alle Pflanzenöle, Pflanzenmargarine, alle Getreide- und Mehlsorten, Reis, Mais, Haferflocken, Brot- und Gebäcksorten (soweit ohne Kuhmilch gebacken), Kartoffeln, alle Gemüse und Hülsenfruchtsorten, alle Obstsorten, Nüsse sowie Fruchtbonbons, Gummibärchen und Marmelade (vgl. Prof. Dr. H., Essen und Trinken bei Laktoseintoleranz, Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin, TU München, 2004). Damit steht der Klägerin ein weites Feld an zum Teil sehr kostengünstigen Nahrungsmitteln für eine in jeder Hinsicht ausgewogene Ernährung offen, so dass sich ein krankheitsbedingter Mehrbedarf nicht begründen lässt. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass auch Dr. L. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 17. März 2010 körperliche Folgen der Lactoseintoleranz der Klägerin, etwa durch vermehrte Diarrhoen oder Ostipationen, nicht mitteilt.
26 
Schließlich ist auch ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf im Hinblick auf die von Dr. L. (sachverständige Zeugenaussage vom 17. März 2010) für erforderlich gehaltene „Therapie der Einnahme von probiotischen Nahrungsergänzungsmitteln“ abzulehnen. § 21 Abs. 5 SGB II ist schon dem Grunde nach auf den Ausgleich der Kosten für Ernährung beschränkt (vgl. Breitkreuz, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, SGB II, 01.03.2011, § 21 Rn. 16; Düring, in Gagel, SGB II, Kommentar, 2010, § 21 Rn. 32; Lang/Kniekrehm, in Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2008, § 21 Rn. 51); einer Erweiterung des Anspruchs im Wege der Auslegung auf andere medizinisch bedingte Bedarfe in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, Appetitzüglern oder Abführmitteln steht die Subsidiaritätsklausel des § 3 Abs. 3 SGB II entgegen (wie hier: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. April 2007, L 19 B 400/07 B, JURIS).
27 
Danach hat die Klage keinen Erfolg haben können.
28 
Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin beruht auf § 193 SGG.
29 
Im Hinblick auf den monatlich geltend gemachten Mehraufwand für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 33,06 EUR wird gerechnet auf den maßgeblichen streitgegenständlichen Zeitraum von sechs Monaten (1. März 2009 bis 31. August 2009) der Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,-- EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) nicht erreicht. Demzufolge bedürfte die Berufung der Zulassung. Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG vermag das Gericht aber nicht zu erkennen. Dementsprechend ist die Zulassung der Berufung zu versagen gewesen.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.