Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 27. Feb. 2012 - 2 B 433/11

bei uns veröffentlicht am27.02.2012

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28. November 2011 – 10 L 1499/11 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1957 in South Carolina/ USA geborene Antragsteller war zunächst nach eigenen Angaben von 1980 bis 1983 als Soldat in Baumholder (US-Air Base) stationiert. 1985 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige, mit der er einen 1986 geborenen Sohn hat. Die Ehe wurde 1996 geschieden.

Am 5.7.1985 erhielt er eine bis zum 3.7.1988 befristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1.7.1988 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die ab 1.1.2005 gemäß § 101 I AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgalt.

Zwischen 1997 und 2009 wurde der Antragsteller insgesamt zehnmal vom Amtsgericht A-Stadt wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz oder wegen Diebstahls – vom gemeinschaftlichen Diebstahl im besonders schweren Fall bis zum Diebstahl geringwertiger Sachen – verurteilt. Bis zu seiner letzten Verurteilung wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten war er entweder zu Geldstrafen oder zu Freiheitsstrafen, die auf Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt worden. Nachdem nach der letzten Verurteilung auch die bei den anderen Strafen gewährte Bewährung widerrufen worden war, befand sich der Antragsteller vom 5.12.2008 bis zu seiner Entlassung am 23.9.2011 in Strafhaft.

Auf das Anhörungsschreiben des Antragsgegners vom 20.1.2010 nahm der Antragsteller unter dem 23.2.2010 zu der beabsichtigten Ausweisung Stellung.

Mit Bescheid vom 21.9.2011 wies der Antragsgegner den Antragsteller „für dauernd“ gemäß §§ 53 und 54 AufenthG aus, drohte ihm die Abschiebung in die USA an, sobald er „der Abschiebung zur Verfügung“ stehe; für den Fall der vorzeitigen Haftentlassung setzte er gemäß § 50 II AufenthG eine Ausreisefrist von 8 Tagen ab der Haftentlassung. Gleichzeitig wurde der sofortige Vollzug der Maßnahme aus überwiegendem öffentlichem Interesse angeordnet.

Am 5.10.2011 legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.

Den am 17.10.2011 gestellten Aussetzungsantrag wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28.11.2011 – 10 L 1499/11 -, dem Antragsteller zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am 1.12.2011 zugestellt, zurück.

II.

Die am 13.12.2011 eingelegte und am 29.12.2011 begründete Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28.11.2011 – 10 L 1499/11 -, mit dem sein Aussetzungsantrag zurückgewiesen wurde, ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Zur Begründung seiner Beschwerde hat der Antragsteller im Wesentlichen vorgetragen, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft festgestellt, dass dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung seiner Ausweisung Vorrang gebühre, da von einer aktuell bestehenden Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Er halte sich seit mehr als 30 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf, sei seit 1988 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und genieße besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 AufenthG. Eine Ausweisung sei daher nur aus „schwerwiegenden Gründen“ zulässig. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung habe die Ausländerbehörde eine qualifizierte Wiederholungsprognose anzustellen, woran es vorliegend fehle. Der Antragsgegner habe insoweit ausgeführt, dass es jeder Lebenserfahrung widerspreche, dass ein Drogenabhängiger ohne die erforderliche Aufarbeitung dauerhaft ohne Drogenmissbrauch leben könne. Es sei insofern zu sehen, dass er, der Antragsteller, während seiner gesamten Haftzeit keine Drogen konsumiert habe und auch nach seiner Haftentlassung Termine in der Beratungsstelle der Drogenberatung wahrnehme. Daher sei keinesfalls wahrscheinlich, dass er noch vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens erneut rückfällig werde. Dies ergebe sich auch aus der Stellungnahme der Sozialtherapeutin K. vom 30.5.2011. Zudem wäre er bereit, sich regelmäßig einem sog. „Drogenscreening“ beim Gesundheitsamt zu unterziehen, wozu eine behördliche Anordnung erforderlich wäre. Außerdem habe sich der Antragsgegner nur unzureichend mit seiner Verurteilung auseinandergesetzt und keine Einzelfallprüfung vorgenommen. Die „Akte der strafrechtlichen Angelegenheit“ sei offensichtlich nicht beigezogen worden. So sei etwa außer Acht gelassen worden, dass er teilweise freigesprochen worden sei. Soweit das Gericht darauf verweise, dass auch das Landgericht in der Vollstreckungssache keine günstige Prognose habe stellen können, sei auf den Beschluss des Oberlandesgerichts zu verweisen. Aus diesem gehe hervor, dass der Antragsteller sich um eine Kostenzusage für eine stationäre oder ambulante Therapie bemüht habe. Bedauerlicherweise habe er aber die Voraussetzungen hierfür nicht schaffen können, da der Antragsgegner mehrfach – bereits während der Haftzeit – eine Ausweisungsverfügung angedroht habe. Insofern heiße es in dem OLG-Beschluss, dass es „auf die Gründe, warum der Verurteilte die für eine günstige Entwicklung sprechenden Umstände noch nicht schaffen konnte – so hier wegen der Versagung von Lockerungen wegen drohender Abschiebung und daraus resultierender Flucht- und Missbrauchsgefahr - … dabei nach ständiger, vom Senat geteilter höchstrichterlicher Rechtsprechung“ nicht ankomme. Eine bedingte Entlassung sei ausweislich der Stellungnahme der JVA vom 1.3.2010 an die Staatsanwaltschaft „vor allem“ wegen der „noch ungeklärten ausländerrechtlichen Situation“ nicht befürwortet worden. Der Antragsgegner habe gegenüber der JVA bereits am 29.6.2009 den Erlass einer Ausweisungsverfügung binnen 6 Monaten angekündigt, sie tatsächlich aber erst nach Haftentlassung im September 2011 erlassen. Die Ankündigung des Antragsgegners habe letztlich dazu geführt, dass weder eine stationäre Therapie habe begonnen werden können, noch Vollzugslockerungen oder eine Entlassung nach 2/3-Verbüßung der Haftstrafe möglich gewesen sei. Es sei daher rechtlich bedenklich, wenn sich der Antragsgegner, der dem Antragsteller durch die Ankündigung der Ausweisung die Chance zum Nachweis einer „aufgearbeiteten“ Drogenproblematik oder zur Vorlage einer positiven Stellungnahme von Therapeuten genommen habe, den Sofortvollzug nunmehr mit der „nicht aufgearbeiteten“ Drogenproblematik begründe und ihm damit wiederum hierzu keine Gelegenheit gebe. Insoweit dürfe auch das Verwaltungsgericht die fehlende Möglichkeit einer Aussage über den Therapieerfolg vor dem Hintergrund der Vorgehensweise des Antragsgegners nicht zum Nachteil des Antragstellers werten. Auch berücksichtige das Gericht nicht, dass der Antragsteller erstmalig eine Strafhaft verbüßt habe und dies eine nachhaltige Wirkung auf ihn habe. Unzureichend habe das Gericht schließlich seine familiären Bindungen im Bundesgebiet und die fehlenden Bindungen im Herkunftsstaat berücksichtigt.

Auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung, die den Umfang der Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 IV 6 VwGO begrenzt, kann der Aussetzungsantrag des Antragstellers keinen Erfolg haben. Vorab kann zur Begründung auf die ausführlichen erstinstanzlichen Ausführungen Bezug genommen werden.

Unstreitig erfüllt der Antragsteller mit Blick auf seine letzte Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln(Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 12.6.2009 – 26 Ls 31 Js 1799/08 (206/09), Bl. 168  Ausländerakte) die tatbestandlichen Voraussetzungen der zwingenden Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG. Der Antragsgegner ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG genießt, da er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Somit wird der Antragsteller nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die regelmäßig im Falle des § 53 AufenthG vorliegen (§ 56 I 3 AufenthG), ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regel-Ausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden. Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden.(BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt.(BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts(BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) , der sich der Senat angeschlossen hat(OVG des Saarlandes, Urteil vom 4.2.2010 – 2 A 448/08 -), bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abstellt, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass die Ausweisung des sich von Unterbrechungen in den Jahren 1983/84 und 1984/85 - möglicherweise auch 1997 - abgesehen(Vgl. Bl. 3 RS., 9, 11, 18 und 44 Ausländerakte) seit den 1980er Jahren – und zwar von 1980 bis 1983 als US-Soldat und seit 1985 mit einer Aufenthaltserlaubnis - in Deutschland aufhaltenden Antragstellers zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit eingreift, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR 2007, 443) Zum anderen stellt die Ausweisung jedenfalls einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des Antragstellers auf Privatleben dar,(Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333, und vom 22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Unabhängig davon, ob diese Eingriffe vorliegend gerechtfertigt sind, spricht viel dafür, dass entgegen der Ansicht des Beklagten und des Verwaltungsgerichts das Vorliegen eines Ausnahmefalls, der eine Ermessensprüfung eröffnet, zu bejahen ist. Letztlich kann dies dahinstehen, da der Beklagte hilfsweise auch eine Ermessensentscheidung getroffen hat, die das Verwaltungsgericht zu Recht als ordnungsgemäß bewertet hat. Der Antragsgegner hat dabei die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einbezogen(Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) und auch ansonsten alle erheblichen erkennbaren Umstände gemessen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angemessen berücksichtigt. Es sind auch nach Erlass der Ausweisungsverfügung keine neuen entscheidungserheblichen Umstände vorgetragen worden oder ansonsten ersichtlich, die die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes durchgreifend in Frage stellen könnten(zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Ausweisungen: grundlegend BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20; BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 – 1 C 14/10 -).

Wie das Verwaltungsgericht bereits dargelegt hat, hat der Antragsgegner Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen, den Ausweisungstatbestand erfüllenden Straftat erkannt und zutreffend eine erhebliche Wiederholungsgefahr bejaht. Dem ist entgegen der Meinung des Antragstellers zuzustimmen. Der mittlerweile fast 55 Jahre alte Antragsteller hat nach eigenen Angaben seit seiner Jugend Drogen (Haschisch, Amphetamin und Ecstasy-Tabletten) und seit etwa 2004/05 auch regelmäßig Heroin konsumiert.(Vgl. Amtsgericht Saarbrücken, Urteil vom 10.4.2008 – 28 Ds 11 Js 1344/07 (827/07) -,  Bl. 101 Ausländerakte) Seit 1997, als er erstmals u.a. wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln (Haschisch) zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, hat er - neben Diebstahlsdelikten unterschiedlicher Schwere – ab 2007 eine Reihe von Drogendelikten begangen und dabei eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt. Er hat, nachdem er vom Amtsgericht A-Stadt am 10.4.2008 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain, Heroin) - und Erwerb von solchen – sowie am 30.10.2008 wegen unerlaubten Besitzes und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln jeweils zu einer – auf Bewährung ausgesetzten – Freiheitsstrafe verurteilt worden war, in der Bewährungszeit am 5.12.2008 eine weitere schwerwiegende Drogenstraftat begangen, wegen der er mit Urteil des Amtsgerichts A-Stadt dann am 12.6.2009 wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Heroin) nunmehr zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde. Der Drogenhandel, den der selbst betäubungsmittelabhängige Kläger betrieben hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt - grundsätzlich zur Ausweisung des Straftäters führt. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“(EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333). Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen.(Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443)

Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden, dass von dem Antragsteller aller Wahrscheinlichkeit nach künftig – und zwar nicht nur begrenzt auf die Zeit bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, wie der Antragsteller meint - keine Drogendelikte mehr drohen. Zwar hat der Antragsteller während seiner rund 2 3/4 Jahre umfassenden Haftzeit keine Drogen mehr genommen und vorgetragen, auch künftig ein drogen- und straffreies Leben führen zu wollen. Auch hat er sich nach der Stellungnahme der JVA vom 16.3.2010 während der Haft beanstandungsfrei geführt, regelmäßig und zur vollsten Zufriedenheit des Fremdbetriebs gearbeitet und die Angebote der Drogenberatung von Anfang an und durchgehend wahrgenommen; auch scheine er von seiner ersten Inhaftierung „sichtlich beeindruckt“. Allerdings hat er sich während der Haft keiner Drogentherapie – stationär oder ambulant – unterziehen, sondern mit einer ambulanten Therapie erst nach seiner Haftentlassung beginnen können. Nach der Bescheinigung der Drogenberatung vom 15.12.2011 hat der Antragsteller zwar wie geplant nach seiner Haftentlassung Kontakt zu der Sozialtherapeutin aufgenommen und nimmt er „Termine in der Beratungsstelle wahr“; Ersttermin sei der 26.10.2011 gewesen. Näheres über Stand und Verlauf der Therapie sowie deren Erfolgsaussichten ist dieser Bescheinigung aber nicht zu entnehmen und lässt sich in diesem frühen Stadium wohl auch nicht sagen. Wie sich aber sowohl den Stellungnahmen der JVA als auch dem Beschluss des Landgerichts in der Strafvollstreckungssache vom 21.5.2010(Bl. 216 ff.) entnehmen lässt, wird eine – vollständige - Aufarbeitung der Drogenproblematik zu ihrer Überwindung – nachvollziehbar - als erforderlich angesehen; dies stellt der Antragsteller in der Sache letztlich auch nicht in Abrede. Vielmehr ist er der Meinung, der fehlende Abschluss der Therapie dürfe ihm nicht entgegen gehalten werden, weil gerade die Androhung seiner Ausweisung durch den Antragsgegner dazu geführt habe, dass ihm sowohl Außenlockerungen als auch eine bedingte Entlassung verwehrt worden seien und damit gewissermaßen der Antragsgegner selbst die frühere Aufnahme der Therapie verhindert habe. Mit dieser Rüge kann er keinen Erfolg haben. Zum einen hat ein Ausländer, der so erheblich kriminell in Erscheinung getreten ist, dass er die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 AufenthG erfüllt, nach der ständigen Rechtsprechung des Senats(vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 18.5.2011 – 2 A 314/10 -) keinen Anspruch auf Absolvierung einer Drogentherapie. Zum anderen verkennt der Antragsteller, dass es im Ausweisungsverfahren und damit auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren - ebenso wie in der vom Antragsteller zitierten Entscheidung des OLG – nur darauf ankommt, ob derzeit eine günstige Prognose für eine künftige Straffreiheit gestellt werden kann, während die Gründe, aus denen dies ggf. nicht der Fall ist, unerheblich sind. Ausgehend von der seit langem bestehenden Drogensucht des Antragstellers und angesichts seiner schwerwiegenden Straffälligkeit in der Bewährungszeit stellen das ordnungsgemäße Verhalten des Antragstellers in der Haft, ein erklärter nachhaltiger Eindruck der Haftzeit und seine auf Erwerbstätigkeit und Drogenfreiheit gerichteten Absichtserklärungen jedenfalls ohne erfolgreiche Therapie keine hinreichend belastbaren Tatsachen für die Annahme dar, er habe seine Drogenabhängigkeit dauerhaft überwunden und werde künftig auch nicht mehr dealen, zumal auch die tatsächlichen gegenwärtigen und künftigen Rahmenbedingungen eines auf Drogenfreiheit gerichteten Lebens nicht konkret dargetan sind. So ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, was der Antragsteller nach seiner Haftentlassung zur Verwirklichung seiner Absicht, sich dauerhaft aus dem Drogenmilieu zu lösen und Arbeit zu finden, getan hat. Auch geht aus der Beschwerdebegründung die (weitere) Entwicklung der familiären Kontakte, die nur für die ersten drei Wochen nach der Haftentlassung des Antragstellers in der eidesstattlichen Versicherung des Sohnes dargestellt sind, und deren Rolle bei der Suchtbewältigung nicht hervor. Dass bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen des Antragstellers nicht mehr in Rechnung zu stellen wären, das von ihm ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes wäre, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht(BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 – 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33), also keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe, kann daher nach allem nicht angenommen werden.

Auch soweit der Antragsteller die Berücksichtigung seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet und im Heimatland durch das Verwaltungsgericht als unzureichend beanstandet, ist ihm nicht zu folgen.

Was die familiären Bindungen in Deutschland anlangt, ist zunächst festzustellen, dass der Sohn des Antragstellers 25 Jahre alt und damit erwachsen ist. Dass dieser auf seinen Beistand oder er auf dessen Beistand zwingend angewiesen wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. Seine Ausweisung kann daher nicht gegen die den Schutz der Familie gewährleistenden Art. 6 I GG bzw. Art. 8 I EMRK verstoßen. Gleiches gilt für seine Bindungen an seine geschiedene Ehefrau, die für ihn nicht – mehr - Familienmitglied ist.

Die persönlichen Bindungen des Antragstellers an seinen erwachsenen Sohn und seine geschiedene Ehefrau, die Bestandteil seines ebenfalls von Art. 8 I EMRK geschützten Privatlebens sind, haben sowohl der Antragsgegner als auch das Verwaltungsgericht gewürdigt. Nach Aktenlage sind beide Personen für den Antragsteller von besonderer emotionaler Bedeutung, was sich schon daraus ergibt, dass er ihnen nach seinen Angaben während seiner Haft alle zwei Wochen geschrieben hat, auch wenn der Umstand, dass sich ihr Kontakt zu ihm – der von ihnen schließlich auch durch Telefonate und/ oder Briefe hätte aufrecht erhalten werden können - während der langen Haftzeit auf zwei Besuche des Sohnes beschränkt hat, entgegen des Inhalts der eidesstattlichen Versicherung des Sohnes gegen eine enge persönliche Bindung zwischen Antragsteller einerseits und Sohn und früherer Frau andererseits spricht. Dass der Antragsteller darüber hinaus über weitere soziale Kontakte bzw. persönliche Beziehungen im Bundesgebiet verfügte, ist nicht ersichtlich. Auch dies hat der Antragsgegner im angefochtenen Bescheid eingehend gewürdigt.

Was die vom Antragsteller geltend gemachten fehlenden Bindungen an sein Heimatland angeht, ist zunächst festzustellen, dass er sich nach Aktenlage nicht seit 1980 ununterbrochen in Deutschland aufhält, sondern nach Ende seiner Stationierung in Baumholder ausgereist und am 1.5.1983 aus den USA kommend in das Bundesgebiet wieder eingereist war; danach lebte er jedenfalls ausweislich entsprechender melderechtlicher Ab- und Anmeldungen von Oktober 1983 bis Juli 1984 sowie von Dezember 1984 bis März 1985 wieder in den USA. Ob er nach dem Tod seiner Mutter in 2009 tatsächlich keine Verwandten mehr in den USA leben, ist mit Blick auf die Tatsache, dass er dort ausweislich seiner Angaben bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis vom 3.8.1984 eine 1980 geborene Tochter hat, zweifelhaft, kann jedoch dahinstehen. In jedem Fall ist nicht ersichtlich, dass der in den USA geborene und aufgewachsene und erst als Erwachsener ins Bundesgebiet eingereiste Antragsteller, der zweifellos die Heimatsprache noch spricht und mit der dortigen Lebensweise auch noch hinreichend vertraut sein dürfte, selbst wenn er über keine – aktuellen – Kontakte zum Heimatland mehr verfügte, nicht in der Lage sein sollte, dort wieder Fuß zu fassen.

Insgesamt hat der Antragsgegner sämtliche relevanten Aspekte in seine - hilfsweise getroffene – Ermessensentscheidung eingestellt, die gegenläufigen Interessen abgewogen und ohne Rechtsfehler das entscheidende Gewicht auf die Abwehr von von dem Antragsteller weiterhin drohenden schwerwiegenden Rechtsverletzungen gelegt und dem entsprechenden öffentlichen Interesse gegenüber dem persönlichen Interesse des Antragstellers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet den Vorzug eingeräumt. Begegnet die angefochtene Ausweisungsverfügung somit auch zum jetzigen Zeitpunkt keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, besteht für die Aussetzung des angeordneten Sofortvollzugs keine Veranlassung.

Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 II VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II, 53 II Nr. 2, 52 II, 47 GKG, wobei eine Halbierung des in Ansatz zu bringenden Auffangstreitwerts gerechtfertigt ist.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 54 Ausweisungsinteresse


(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 56 Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit


(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei de

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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 – wird der Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 30.7.1977 in Algerien geborene Kläger begehrt die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Rechtsvorgängers des Beklagten.

Der Kläger reiste 23.1.1985 mit seiner Mutter zu seinem aufenthaltsberechtigten Vater in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Auf seinen Antrag vom 2.8.1993 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Durch Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 22.2.1996 - 24-9/96 / 21 Js 453/95 - wurde er des Diebstahls in drei Fällen, darüber hinaus eines tatmehrheitlich begangenen besonders schweren Falles des Diebstahles für schuldig befunden, von Strafe wurde jedoch abgesehen und ihm wurde aufgegeben, 40 unentgeltliche Arbeitsstunden zu leisten und eine Geldbuße in Höhe von 400,-- DM zu zahlen.

Ferner wurde er durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Daraufhin wies ihn die damals zuständige Ausländerbehörde mit Bescheid vom 5.10.2005 nach vorheriger Anhörung gemäß §§ 53 Nr. 2, 56 I 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG aus, wies auf das Erlöschen der ihm erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes und die damit gegebene Ausreisepflicht hin und drohte ihm die Abschiebung nach Algerien beziehungsweise in einen anderen Staat an, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe. Die Behörde führte hierzu im Wesentlichen aus, von der Setzung einer Ausreisefrist sei mit Blick auf die Inhaftierung des Klägers Abstand genommen worden. Aus der Urteilsbegründung gehe eine langjährige „Drogenkarriere“ hervor, wobei der Kläger nicht nur über einen recht langen Zeitraum hinweg selbst Betäubungsmittel konsumiert, sondern etwa ab Anfang 2004 auch mit Betäubungsmitteln gehandelt habe. Ausdrücklich gewürdigt habe das Strafgericht bei der Strafbemessung zu seinen Gunsten die von ihm geleistete Aufklärungshilfe im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen sowie sein vollumfängliches Geständnis. Durch seine Hinweise hätten weitere Taten aufgeklärt und so Teile der gehandelten Betäubungsmittel noch sichergestellt werden können. Auch seine Einsicht in das Unrechte seines Tuns sei positiv gewürdigt worden. Strafverschärfend sei allerdings gewesen, dass ein Handel in solch großen Mengen erfolgt sei. Insgesamt sei jedoch eine sehr empfindliche Freiheitsstrafe gegen den als Ersttäter eingestuften Kläger verhängt worden. Die Gelegenheit, im Rahmen der Anhörung positive Aspekte in das Verfahren einzubringen, habe er nicht genutzt. Daher müsse es bei seiner Einschätzung verbleiben, dass keine die Regelausweisungsentscheidung überwindenden Ausnahmegründe bei dem Kläger vorlägen und der Ausländerbehörde daher bei der zu treffenden Entscheidung kein Ermessen zustehe. Unabhängig davon sei sie jedoch gehalten, die Vorgaben des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK zu beachten. So bestehe ein Abschiebungshindernis, wenn dem Betroffenen nicht zuzumuten sei, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen. Familiäre Beziehungen seien im Falle des Klägers jedoch nicht zu erkennen, zumindest nicht in einem schutzwürdigen Umfang. Trotz der Einreise des Klägers im frühen Lebensalter und der sich anschließenden rechtmäßigen Aufenthaltsdauer verbunden mit dem Aufwachsen in Deutschland sei seine Entscheidung mit Blick auf die Schwere der vom Kläger begangenen und entsprechend abgeurteilten Straftaten, die bei Drogendelikten enorm hohe Rückfallwahrscheinlichkeit und die Versuchung zu erneutem Tätigwerden im Betäubungsmittelhandel in der Erwartung ungewöhnlich hoher Gewinne verhältnismäßig.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19.10.2005 Widerspruch ein.

Unter dem 20.10.2005 teilte die Staatsanwaltschaft B-Stadt mit, dass ein Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO ab 1.12.2005 möglich sei und die Staatsanwaltschaft sich ab diesem Zeitpunkt mit der Abschiebung des Klägers einverstanden erkläre.

Am 17.1.2006 wurde der Kläger, der sich ab 4.10.2004 zunächst in Untersuchungshaft und danach in Strafhaft befunden hatte, entlassen. Der unverbüßte Rest der Strafe wurde gemäß § 35 BtMG ausgesetzt. Am selben Tag wurde er in den Kliniken Daun zur Behandlung seiner Polytoxikomanie aufgenommen.

Der Widerspruch des Klägers gegen die Ausweisungsverfügung wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2006, ihm zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten zugestellt am 17.3.2006, zurückgewiesen. In der Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass weder Ermessensfehler noch grobe Unverhältnismäßigkeit festzustellen seien. Es seien auch keine ausreichenden Gründe erkennbar, die ein Absehen von der Regelausweisung nahelegen könnten. Der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Stellungnahme des Therapeuten der Klinik könne nach wenigen Wochen Aufenthalt keine übergroße Bedeutung zukommen, da bei Betäubungsmitteldelikten im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit von einer hohen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden müsse, die neben der Abschreckung für andere potentielle Täter eine Ausweisung rechtfertige.

Ab dem 17.7.2006 befand der Kläger sich im Adaptionshaus A-Stadt in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Rehabilitationsmaßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber, Malermeister W., ab dem 31.7. 2006 ein Praktikum ab, an das sich ab dem 4.10.2006 ein Berufsausbildungsverhältnis im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer anschloss.

Unter dem 21.8.2006 ordnete die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung vom 5.10.2005 an.

Auf den Aussetzungsantrag des Klägers vom 23.8.2006 stellte letztlich das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Beschluss vom 22.1.2007 - 2 W 39/06 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her beziehungsweise ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen die Abschiebungsandrohung an. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, zwar bestünden keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung, der der Kläger bei Erlass des Verwaltungsaktes im Oktober 2005 keine beachtlichen schutzwürdigen Belange entgegenzusetzen gehabt hätte. Eine entsprechende zeitnahe Sofortvollzugsanordnung der Abschiebung des Antragstellers aus der Strafhaft heraus hätte seinerzeit keinen ernsthaften rechtlichen Bedenken unterlegen. Stattdessen sei dem Kläger ab Januar 2006 in der bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten Anwendung des § 35 BtMG unter teilweiser Zurückstellung einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eine Therapie zur Behandlung seiner Polytoxikomanie in dem „verhaltensmedizinischen Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen und Psychosomatik“ in Daun ermöglicht worden. Erst acht Monate später, als sich der Kläger bereits nach Abschluss seiner stationären Behandlung zur Vorbereitung einer sozialen und beruflichen Reintegration in das Adaptionshaus in A-Stadt begeben gehabt habe, sei die Sofortvollzugsanordnung erlassen worden. Die insoweit hinsichtlich der Eilbedürftigkeit der Aufenthaltsbeendigung bei Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angestellten fiskalischen Erwägungen seien bei der mit Blick auf die Grundrechte des Betroffenen im konkreten Fall erforderlichen Feststellung eines überwiegenden öffentlichen Vollzugsinteresses für sich genommen nicht nachvollziehbar. Dem Antragsgegner hätte klar sein müssen, dass der Antragsteller sowohl in der Zeit der Inhaftierung als auch der bekannten therapeutischen Maßnahme in Daun beziehungsweise A-Stadt seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestritten habe. Da die Ausländerbehörde ohne ersichtlichen Grund lange zugewartet habe und dem Kläger auf der Grundlage des § 35 BtMG in dieser Zeit umfangreiche öffentlich finanzierte Maßnahmen zur Wiedereingliederung mit dem Ziel künftig straffreier Lebensführung gewährt worden seien, die er allem Anschein nach auch ernsthaft genutzt habe, überwiege sein Interesse, von einem plötzlichen Vollzug bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse zumindest dann, wenn die Beweggründe der Behörde für eine nachträgliche Sofortvollzugsanordnung im Grunde bereits von Anfang an und im Wesentlichen unverändert vorgelegen hätten, im Ergebnis also keine eine abweichende Sicht rechtfertigende Veränderungen eingetreten seien.

Am 21.3.2006 hat der Kläger Klage erhoben (6 K 30/06). Zur Begründung hat er ausgeführt, seit seinem 16. Lebensjahr sei er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung (jetzt: Niederlassungserlaubnis). Seine Eltern lebten im Bundesgebiet und sämtliche Geschwister seien im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Beklagte habe bei seiner auf spezialpräventive Gründe gestützten Ausweisung nicht geprüft, ob Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohe und eine bedeutsame Gefahr auch in der Zukunft von ihm ausgehe. Zu berücksichtigen sei jedoch gewesen, dass der Kläger sich vollumfänglich in seiner Strafsache eingelassen habe und alle Anklagepunkte ausschließlich auf seinen eigenen Einlassungen beruhten. Zudem sei sein Bemühen zu würdigen, seine Suchterkrankung behandeln zu lassen. Auch die Stellungnahme des behandelnden Therapeuten des Klägers in der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen vom 14.2.2006 sei zu würdigen. Unter Berücksichtigung aller Umstände könne keinesfalls eine konkrete schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Zukunft angenommen werden. Rechtsfehlerhaft sei die Ausweisungsverfügung auch aufgrund der fehlenden Befristung. Sie sei zudem in hohem Maße unverhältnismäßig, da der Kläger die arabische Sprache weder lesen noch schreiben könne. Lediglich mit seinen Eltern spreche er arabisch. Auch beherrsche er nicht ansatzweise die französische Sprache.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 und den Widerspruchsbescheid des Stadtverbandsrechtsausschusses vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die angefochtenen Verfügungen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 10. 8.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidungen der Kammer im Eilverfahren - 6 F 66/06 - und im Prozesskostenhilfeverfahren einschließlich der jeweils ergangenen Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts in den Verfahren 2 W 39/06 und 2 D 34/07 hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass vorliegend eine Befristung der Ausweisungsfolgen erforderlich gewesen sei. Es könne offen bleiben, ob der gemäß § 11 I AufenthG erforderliche Antrag des Klägers vorliegend gestellt worden sei. Jedenfalls fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass eine fehlende Befristung der Ausweisungsfolgen schon bei Erlass der Ausweisungsentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK habe darstellen können. Die Kammer habe sich bereits im Verfahren 6 F 66/06 ausführlich mit diesen Fragen unter Berücksichtigung der die persönliche Situation des Klägers prägenden Umständen auseinandergesetzt. Bei dieser Bewertung bleibe es letztlich auch unter Berücksichtigung der weiter vorgetragenen Umstände. Die weitere Entwicklung des Klägers könne vorliegend noch in die Entscheidung einfließen, da es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung und unterlassenen Befristung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 ERMK auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme. Die Bescheinigung über die erfolgreiche Weiterführung der Berufsausbildung und die weitere Unauffälligkeit des Klägers in strafrechtlicher Hinsicht könnten das Ergebnis der Abwägung, das entscheidend von der Schwere der ihm zur Last gelegten Straftaten und der mit ihnen bekanntermaßen einhergehenden Wiederholungsgefahr sowie der unveränderten familiären Situation des Klägers nicht zu seinen Gunsten beeinflussen. Dies gelte gerade für den Umstand, dass die familiären Bindungen des ledigen Klägers zu seinen in Deutschland lebenden Verwandten nicht über die üblichen zwischen Erwachsenen bestehenden Beziehungen hinausgingen, er einen Teil seiner Kindheit in seinem Heimatland verbracht und dort auch noch Verwandte, zumindest die Großmutter habe.

Auf den fristgerecht gestellten Zulassungsantrag wurde die Berufung mit Beschluss vom 1.12.2008 - 2 A 435/07 - zugelassen. Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht habe den Schutzbereich des Art. 8 EMRK verkannt. Die angefochtenen Bescheide seien unter Berücksichtigung des Schutzbereichs dieser Vorschrift rechtsfehlerhaft ergangen, da eine Unterschreitung des Ermessens offensichtlich sei. Der Beklagte habe nach seinen eigenen Ausführungen offensichtlich nicht erkannt, dass bei der Prüfung des Art. 8 EMRK zwischen der Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben und der Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben zu differenzieren sei. Nach der neueren Rechtsprechung des EGMR liege der Auslegung von Art. 8 EMRK eine konzeptionelle Trennung zugrunde. Sowohl der Beklagte als auch das Gericht hätten jedoch lediglich eine mögliche Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben geprüft. Eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit einer möglichen Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben durch die Ausweisung sei nicht erkennbar. Zu dem Privatleben gehöre die Gesamtheit der im Aufenthaltsort gewachsenen Bindungen, wobei das Alter im Zeitpunkt der Einreise, der Stand der Kenntnisse der Sprache des Aufenthaltsstaates, die berufliche Tätigkeit und der Stand der wirtschaftlichen Integration usw. zu berücksichtigen seien. Der Beklagte habe die lange Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet, der als Siebenjähriger eingereist und sich seit 23 Jahren hier aufhalte, ebenso wie die damit offensichtlich gegebene „vollständige Integration“ bei seiner „Ermessensausübung“ gänzlich unberücksichtigt gelassen. Mit der Tatsache, dass es sich bei dem Kläger um einen sogenannten „faktischen Inländer“ handele, dem bereits vor 14 Jahren eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden sei und der einen Einbürgerungsantrag gestellt habe, setze sich weder der Beklagte noch das Gericht auseinander. Der Beklagte gehe vielmehr rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Umstand der Einreise als Minderjähriger und die damit verbundene Aufenthaltsdauer schon bei der Zurückstufung der Ist- zur Regelausweisung berücksichtigt worden sei und daher quasi für die Frage des Vorliegens eines atypischen Falls „als verbraucht“ anzusehen sei. Tatsächlich stelle § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG allein auf den Besitz einer Niederlassungserlaubnis und einen mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ab, nicht hingegen auf das Einreisealter. Indem das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide als ermessensfehlerfrei erachte, weiche es von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab, da im Fall einer ordnungsgemäßen Ermessensabwägung unter Einbeziehung des Rechts des Klägers auf Achtung seines Privatlebens der Beklagte vermutlich eine andere Entscheidung getroffen hätte, nicht zuletzt im Hinblick auf das eingegangene Ausbildungsverhältnis. Auch hinsichtlich der vom Beklagten behaupteten Wiederholungsgefahr sei eine sogenannte „Ermessensunterschreitung“ offensichtlich. Eine individuelle Prüfung der Wiederholungsgefahr sei rechtsfehlerhaft unterlassen worden. Die pauschale Bezugnahme auf die Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG sei unzulässig. Die Ausweisungsverfügung sei auch unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK. Die Schwierigkeit einer „Reintegration“ beziehungsweise „Neuintegration“ des Klägers in Algerien sei bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht beziehungsweise nicht in ausreichendem Maße geprüft worden. Während der Beklagte im Ausgangsbescheid lediglich davon ausgegangen sei, dass der Kläger seine Muttersprache zumindest in Grundzügen noch beherrsche, habe sich weder die Widerspruchsbehörde noch das Verwaltungsgericht mit seinem Vortrag, dass er lediglich einen arabischen Dialekt mit seinen Eltern spreche, diese Sprache weder lesen noch schreiben könne und auch die französische Sprache nicht beherrsche, auseinandergesetzt. Die Frage einer Neuintegration nach Einreise in das Bundesgebiet als Siebenjähriger und nach nahezu dreiundzwanzigjährigem Aufenthalt sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von maßgeblicher Bedeutung. Bei der Prüfung der Bindungen im Herkunftsstaat sei zu berücksichtigen, dass in Algerien lediglich noch eine Großmutter des Klägers lebe und er im Alter von dreißig Jahren sämtliche sozialen Kontakte im Bundesgebiet und auch seine Ausbildungsstelle verlieren würde. Maßgeblich sei auch die Frage des Vertrautseins mit den Verhältnissen im Herkunftsland. Letztendlich ergebe sich die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auch aus der fehlenden Befristung. Diese sei erforderlich, da der Kläger der zweiten Ausländergeneration angehöre. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 I EMRK gemäß dessen Absatz 2 gälten, seien auch hier heranzuziehen und zwar ungeachtet des Systems der Abstufung in Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 - den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts und trägt im Übrigen im Wesentlichen vor, die Ausweisung eines niedergelassenen Einwanderers stelle unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Familienlebens“ einen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines „Privatlebens“ dar. Dieser Eingriff der Ausländerbehörde sei im Falle des Klägers gesetzlich vorgesehen und auch verhältnismäßig. Dieser habe zunächst den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG durch seine Straftaten, die zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten geführt hätten, verwirklicht. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG der Verhältnismäßigkeit auch dadurch Rechnung getragen, dass er die zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 2 AufenthG gemäß § 56 I 4 AufenthG zu einer Regelausweisung herabgestufte und damit den besonderen Verhältnissen bestimmter Ausländergruppen Rechnung getragen und auch die Forderung des Art. 8 EMRK auf Achtung des Privatlebens beachtet habe. Sofern die Voraussetzungen für eine Regelausweisung erfüllt seien, habe die Ausländerbehörde in der Regel auszuweisen. Hierbei habe sie grundsätzlich die Ausweisung zu verfügen, ohne dass ihr dabei ein Ermessensspielraum zustehe. Sie könne nur ausnahmsweise von der Ausweisung absehen, wenn im konkreten Einzelfall besondere Umstände vorlägen, durch die sich dieser von der Menge gleichgelagerter Fälle unterscheide. Ausnahmefälle in diesem Sinne seien durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam sei, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelausweisung beseitige. Solche besonderen Umstände seien beim Kläger weder im Hinblick auf die begangenen Straftaten noch auf die persönlichen Lebensverhältnisse gegeben. Eine Integration möge ihm zwar wirtschaftlich gelungen sein, jedoch nicht sozial. Dies zeigten seine Drogenkarriere und seine Verurteilungen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen. Dadurch lasse der Kläger erkennen, dass er nicht gewillt sei, die deutsche Rechtsordnung zu beachten und er mache dabei auch vor der körperlichen Unversehrtheit anderer, insbesondere der von Jugendlichen nicht Halt, indem er in einem nicht geringen Maße mit Drogen gehandelt habe. Seine Ausweisung sei geeignet, insbesondere andere Ausländer von der Begehung von Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität abzuschrecken. Gleichzeitig diene die Ausweisung der Verhinderung weiterer Straftaten durch den Kläger selber und somit insgesamt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet. Die Ausweisung sei erforderlich, weil kein milderes Mittel gleicher Eignung zur Verfügung stehe, das in gleicher oder in besserer Weise geeignet gewesen wäre, den beabsichtigten Zweck der Ausweisung zu erreichen, den Kläger aber weniger belastet hätte. Der Schutz des Art. 6 I GG greife nur dann ein, wenn die Folgen der Ausweisung für den Betroffenen mit Rücksicht auf seine Familienangehörigen unverhältnismäßig hart wären. Der Kläger sei nicht so weit in die deutsche Gesellschaft integriert, dass man von ihm als einem faktischen Inländer im Sinne des Art. 8 EMRK sprechen könne. Die Ausweisung sei auch angemessen, weil ihre Nachteile nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stünden, die sie bewirke. Wegen der hohen Sozialschädlichkeit des Drogenhandels an sich sei das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers sowohl unter spezial- als auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten entsprechend hoch zu gewichten. Die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ergebe sich auch nicht aus der fehlenden Befristung.

Der Kläger hat auf eine entsprechende gerichtliche Aufklärungsverfügung vom 7.12.2009 unter dem 12.1.2010 mitgeteilt, er habe am 20.6.2009 die Abschlussprüfung bestanden und sei hieran anschließend bei dem Malermeister W. als Bauten-Maler beschäftigt worden. Ab 3.8.2009 habe er für ein Personaldienstleistungsunternehmen bei dem Malerbetrieb H. gearbeitet, der ihn am 5.10.2009 eingestellt habe. Seit ca. zwei Jahren lebe er in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen, mit der er seit August 2009 eine gemeinsame Wohnung bezogen habe. Der Kläger hat hierzu u.a. einen Arbeitsvertrag mit dem Personaldienstleistungsunternehmen, Lohnabrechnungen dieses Unternehmens und der Fa. H. sowie den auch von der Lebensgefährtin unterschriebenen Mietvertrag über die derzeitige Wohnung vorgelegt. Dem Beklagten ist der Schriftsatz des Klägers mit Anlagen unter dem 13.1.2010 übersandt worden.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Gründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1970 geborener irakischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

2

Er kam 2002 nach Deutschland und heiratete im Dezember 2005 eine ukrainische Staatsangehörige, die eine Niederlassungserlaubnis besaß. Im Mai 2006 vergewaltigte der Kläger eine Fünfzehnjährige. Er wurde deshalb zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hat diese Strafe inzwischen vollständig verbüßt. Im Februar 2008 wies die beklagte Ausländerbehörde den Kläger aus, da er mit seiner Straftat die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG für eine zwingende Ausweisung erfülle und keinen besonderen Ausweisungsschutz genieße.

3

Während des Klageverfahrens wurde der Kläger als Flüchtling anerkannt, weil er als Yezide im Irak wegen seiner Religion verfolgt werde. Im Hinblick auf den dadurch begründeten besonderen Ausweisungsschutz übte der Beklagte Ermessen aus und hielt an der Ausweisung fest. In einem Schriftsatz an das Verwaltungsgericht verwies er auf die gewichtigen spezial- und generalpräventiven Zwecke, denen gegenüber die privaten Interessen des Klägers an seinem Verbleib und der Fortführung seiner Ehe in Deutschland zurücktreten müssten. Der Kläger könne seine Ehe auch im Irak bzw. der Ukraine führen; gegebenenfalls sei den Eheleuten auch eine vorübergehende Trennung zumutbar. Solange das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot fortbestehe, werde der Kläger ohnehin nicht in den Irak abgeschoben. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt und hob die Ausweisungsverfügung auf. Eine erstmalige Ermessensausweisung im Verwaltungsprozess sei unzulässig. § 114 Satz 2 VwGO lasse lediglich eine Ergänzung der behördlichen Ermessenserwägungen zu. Im Übrigen sei das Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden. Aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen hätte der Beklagte sich nicht auf generalpräventive Zwecke stützen dürfen.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis und der wesentlichen Begründung nach bestätigt. Maßgeblich sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung. Durch die Flüchtlingsanerkennung und im Hinblick auf die privaten Belange des Klägers komme weder eine zwingende Ausweisung noch eine Regelausweisung, sondern allein eine Ermessensausweisung in Betracht. Die Ermessensentscheidung, die der Beklagte im gerichtlichen Verfahren getroffen habe, sei keine Ergänzung einer bereits getroffenen Ermessensentscheidung, sondern die erstmalige Ausübung von Ermessen. Dies sei der Behörde nach § 114 Satz 2 VwGO nicht gestattet. Unabhängig von ihrer prozessualen Unzulässigkeit könne die Ermessensausweisung auch deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie in materiellrechtlicher Hinsicht zu einer unzulässigen Wesensänderung der Ausweisungsverfügung führe.

5

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass § 114 Satz 2 VwGO einer Berücksichtigung der vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren getroffenen Ermessensentscheidung entgegensteht. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil zur materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ausweisungsverfügung kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7

1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass bei Erlass der Ausweisungsverfügung im Februar 2008 ein Fall der zwingenden Ausweisung ohne behördlichen Ermessensspielraum gegeben war, da der Kläger wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden war (§ 53 Nr. 1 AufenthG). Die nach Klageerhebung erfolgte Flüchtlingsanerkennung des Klägers begründete gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG einen besonderen Ausweisungsschutz, der nicht mehr eine zwingende Ausweisung, sondern lediglich noch eine Regelausweisung zuließ (§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Zu Recht hat das Berufungsgericht - ebenso wie der Beklagte - im Hinblick auf die (damals) schutzwürdigen privaten Belange des Klägers einen Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - angenommen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 4, jeweils Rn. 22 ff.). Schließlich hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, dass für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung nach neuerer Rechtsprechung des Senats nicht mehr - wie früher - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung abzustellen ist, sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. dazu und zu den Gründen der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes: Urteil des Senats vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = Buchholz 402.242 § 55 AufenthG Nr. 7, jeweils Rn. 18 f.).

8

2. Zu Unrecht hat sich das Berufungsgericht allerdings durch § 114 Satz 2 VwGO gehindert gesehen, bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung die von dem Beklagten nachgeschobenen Ermessenserwägungen zu berücksichtigen. Gemäß § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt diese Vorschrift es jedenfalls in den Fällen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, für deren Rechtmäßigkeit es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, nicht aus, dass die Behörde eine Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren trifft und zur gerichtlichen Prüfung stellt. Dies gilt zumindest dann, wenn sich - wie hier - aufgrund neuer Umstände die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ergibt (offen noch im Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 21).

9

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trifft es, wie vom Berufungsgericht angenommen, zwar grundsätzlich zu, dass § 114 Satz 2 VwGO die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür schafft, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. etwa Urteile des Senats vom 5. September 2006 - BVerwG 1 C 20.05 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 115 Leitsatz und Rn. 22 und vom 23. Oktober 2007 a.a.O. jeweils Rn. 30). Diese Rechtsprechung bezieht sich aber auf Entscheidungen, die von vornherein in das Ermessen der Behörde gestellt waren und deren gerichtliche Überprüfung sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Der in der Vorschrift angelegten prozessualen Ermächtigung der Behörde, ihre Ermessenserwägungen auch noch im gerichtlichen Verfahren zu ergänzen, ist kein generelles Verbot zu entnehmen, eine Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren zu treffen. Der systematische Zusammenhang mit § 114 Satz 1 VwGO macht deutlich, dass es um die gerichtliche Nachprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen geht und hierbei - prozessual - auch nachträgliche Ermessenserwägungen der Behörde einbezogen werden dürfen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, jedenfalls bei einer Konstellation wie der vorliegenden eine inhaltliche Einbeziehung auch der erstmals im gerichtlichen Verfahren getroffenen Ermessensentscheidung zuzulassen. Mit der Einführung von § 114 Satz 2 VwGO wollte der Gesetzgeber die Nachbesserung einer unzureichenden Behördenentscheidung erleichtern und nicht erschweren. Es sollte ausdrücklich ermöglicht werden, dass eine defizitäre Ermessensentscheidung aus verfahrensökonomischen Gründen durch nachgeschobene Erwägungen der Behörde nachgebessert und geheilt werden kann (BTDrucks 13/3993 S. 13 und 13/5098 S. 24). So soll vermieden werden können, dass die Entscheidung vom Gericht aufgehoben und durch eine neue behördliche Entscheidung ersetzt wird, die dann in einem weiteren gerichtlichen Verfahren überprüft wird. Auch dies deutet nicht darauf hin, dass die Nachbesserung einer ursprünglich gebundenen Entscheidung ausgeschlossen werden sollte. § 114 Satz 2 VwGO erfasst demnach jedenfalls nicht die Fälle, in denen sich wegen der Zeitpunktverschiebung aufgrund während des gerichtlichen Verfahrens neu eingetretener Umstände erstmals die Notwendigkeit einer Ermessensausübung ergibt (zu Form und Verfahren bei der Nachholung von Ermessenserwägungen vgl. unter 4.).

10

Die Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes von der behördlichen zur gerichtlichen Entscheidung soll aus materiellen Gründen sicherstellen, dass das Gericht eine realitätsnahe und möglichst abschließende Entscheidung treffen und damit weitere Verfahren vermeiden kann. Das Tatsachengericht muss daher im Rahmen seiner Aufklärungspflicht auch neue entscheidungserhebliche Umstände, die nach der behördlichen Entscheidung eingetreten oder bekannt geworden sind, umfassend ermitteln und würdigen. In Gerichtsverfahren gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen hat dies für die Behörden zur Folge, dass sie die Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung ständig verfahrensbegleitend kontrollieren müssen (vgl. hierzu etwa Urteil des Senats vom 15. November 2007 a.a.O. jeweils Rn. 18 ff.). Die hierdurch gebotene fortlaufende Aktualisierung der behördlichen Entscheidung während des Gerichtsverfahrens bezieht sich nicht nur auf die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausweisung, sondern bei Verwirklichung eines Ausweisungsgrundes auch auf die damit verbundenen Rechtsfolgen (Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) und im Falle einer Ermessensausweisung auf die konkrete Ermessensausübung (Wiederholungsgefahr, private Bindungen des Ausländers).

11

Kommt die Ausländerbehörde - wie hier - ihrer im materiellen Recht wurzelnden Verpflichtung zur Aktualisierung durch erstmalige Ausübung des Ausweisungsermessens während des gerichtlichen Verfahrens nach, steht § 114 Satz 2 VwGO der gerichtlichen Berücksichtigung ihrer Ermessenserwägungen nicht entgegen. Denn diese prozessrechtliche Vorschrift stellt lediglich klar, dass ein nach materiellem Recht zulässiges Nachholen von Ermessenserwägungen nicht an prozessualen Hindernissen scheitert (Urteil vom 5. Mai 1998 - BVerwG 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 <364>). Die Einschränkung des § 114 Satz 2 VwGO auf eine Ergänzung von Ermessenserwägungen soll die Heilbarkeit von Ermessensverwaltungsakten, die bereits bei Erlass wegen Ausfall jeglichen Ermessens grob defizitär sind, verhindern und dadurch die Behörde zu einer sorgfältigen Ermessensausübung anhalten. Grundlage dieser Beschränkung seines prozessökonomischen Grundanliegens war für den Gesetzgeber die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 114 Satz 2 VwGO geltende Rechtslage, nach der - nicht nur im Ausländerrecht - für die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich war. Damit lag der gerichtlichen Prüfung ein abgeschlossener Sachverhalt zugrunde und es stand objektiv von vornherein fest, ob eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung zu verfügen war. Seit der Verlagerung des für die gerichtliche Überprüfung aufenthaltsbeendender Maßnahmen maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes sind ausländerrechtliche Gerichtsverfahren in den Tatsacheninstanzen aber insoweit für Veränderungen offen. Daher würde es dem mit § 114 Satz 2 VwGO verfolgten prozessökonomischen Grundanliegen des Gesetzgebers widersprechen, bei entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage jedenfalls dann, wenn sie - wie hier - von einer Ist- zu einer Ermessensausweisung führen, die von der Ausländerbehörde in das Verfahren eingeführten Ermessenserwägungen aus prozessrechtlichen Gründen nicht der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen.

12

Demgegenüber greift der Einwand des Klägers, die Behörde werde unter dem Eindruck des laufenden Prozesses ihr Ausweisungsermessen nicht mehr ergebnisoffen ausüben, nicht durch. Aus Kostengesichtspunkten ist die Behörde nicht zur Verteidigung der bereits verfügten Ausweisung gezwungen. Denn wenn sie aufgrund neuer Umstände nicht an der Ausweisung festhält, hat sie nicht bereits deshalb die Kosten des Verfahrens zu tragen; vielmehr hat das Gericht bei der Kostenentscheidung in dem dann erledigten Verfahren die ursprüngliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Ausweisung mit zu berücksichtigen (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 20). Im Übrigen unterliegt auch die nachgeholte Ermessensausübung der gerichtlichen Überprüfung. Schließlich belegt die Regelung des § 114 Satz 2 VwGO als solche, dass der Gesetzgeber die vom Kläger geäußerten Bedenken angesichts des mit der Vorschrift verfolgten prozessökonomischen Grundanliegens nicht als hinreichend gewichtig angesehen hat.

13

Ob darüber hinaus § 114 Satz 2 VwGO bei Klagen gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch dann eine erstmalige Ermessensausübung zulässt, wenn es von vornherein einer Ermessensentscheidung bedurfte, die Behörde dies aber verkannt hat, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Frage, ob sich aus der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes für die Prüfung der Rechtmäßigkeit auch bei dieser Fallgestaltung für die Auslegung von § 114 Satz 2 VwGO - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - Konsequenzen ergeben, lässt der Senat offen.

14

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Ausweisung des Klägers aufzuheben, erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

15

Der hier gebotene Übergang von einer zwingenden Ausweisung zu einer Ermessensausweisung führt entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht zu einer unzulässigen Wesensänderung der Verfügung. Mit der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes ist typischerweise verbunden, dass sich auch die Ausweisungsgründe und die damit verbundenen Rechtsfolgen im Laufe des Verfahrens verändern können. Die aus Gründen des materiellen Rechts gebotene Berücksichtigung neuer Umstände verändert die Ausweisung nicht in ihrem Wesen, solange die Behörde im Ergebnis trotz der neuen Umstände ihre Entscheidung aufrechterhält.

16

Der Senat kann die Berufungsentscheidung auch nicht aus anderen Gründen bestätigen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Revisionsgericht ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts im Juni 2010. Der Senat könnte die Berufungsentscheidung nur bestätigen, wenn das Berufungsgericht bezogen auf diesen Zeitpunkt tatsächliche Feststellungen zu den privaten Bindungen des Klägers in Deutschland getroffen hätte und diese so gewichtig wären, dass sie - auch unter Berücksichtigung der aktuellen Gefährlichkeit des Klägers - eine Ausweisung nicht zuließen (Art. 8 EMRK, Art. 6 GG). Das Berufungsgericht hätte sich in diesem Zusammenhang vor allem vergewissern müssen, wie wahrscheinlich weitere Straftaten des Klägers sind, ob ihm trotz seiner binationalen Ehe ein Zusammenleben im Ausland möglich ist und ob es für den Kläger und seine Ehefrau im Hinblick auf mögliche Gefahren für die Allgemeinheit nicht zumutbar ist, die Lebensgemeinschaft (vorübergehend) im Ausland fortzusetzen oder eine (vorübergehende) Trennung in Kauf zu nehmen. Diese Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Der Senat kann daher nicht selbst in der Sache entscheiden und die Ausweisung des Klägers nicht abschließend als rechtswidrig oder rechtmäßig beurteilen.

17

4. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

18

Wie das Bundesverwaltungsgericht mehrfach betont hat, darf durch die Änderung der Begründung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden (vgl. Urteil vom 16. Juni 1997 - BVerwG 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 <59> m.w.N.). Daraus folgt, dass bei der Nachholung einer behördlichen Ermessensentscheidung - wie hier -, aber auch allgemein bei der Ergänzung von behördlichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren strenge Anforderungen an Form und Handhabung zu stellen sind. Die Behörde muss klar und eindeutig zu erkennen geben, mit welcher "neuen" Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibt, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen und die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen können. Dafür genügt es sicht, dass die Behörde bei einer nachträglichen Änderung der Sachlage im gerichtlichen Verfahren neue Ermessenserwägungen geltend macht. Sie muss zugleich deutlich machen, welche ihrer ursprünglichen bzw. bereits früher nachgeschobenen Erwägungen weiterhin aufrecht erhalten bleiben und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Auch muss sie im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen sie lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidigt. Aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit muss die Nachholung von Ermessenserwägungen grundsätzlich schriftlich erfolgen. Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung sollten vom Gericht als solche protokolliert werden. Da etwaige Zweifel und Unklarheiten über Inhalt und Umfang nachträglicher Ergänzungen zu Lasten der Behörde gehen, erscheint es sinnvoll, wenn sie bei nachträglichen Ergänzungen die nunmehr maßgebliche Begründung zusammenhängend darstellt.

19

Außerdem hat die Behörde auch die sonstigen gesetzlichen Verfahrensrechte des Betroffenen zu beachten, wenn sie im gerichtlichen Verfahren wegen neu eingetretener Umstände ihre Ermessenserwägungen ergänzen oder - wie vorliegend - erstmals ihr Ermessen ausüben will. Sie muss dem Betroffenen daher grundsätzlich zunächst Gelegenheit geben, sich zu den neuen Tatsachen zu äußern. Unabhängig davon, in welchem Stadium des gerichtlichen Verfahrens sich für die Behörde Anlass bietet, ihre Ermessensausübung nachzubessern, hat das Gericht diesem Umstand Rechnung zu tragen und der Behörde in zeitlicher Hinsicht eine Aktualisierung ihrer Ermessensentscheidung zu ermöglichen. Stützt die Behörde ihre Entscheidung während des gerichtlichen Verfahrens auf neue Ermessenserwägungen, hat das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass auch der Betroffene hinreichend Gelegenheit erhält, seine Rechtsverteidigung hierauf einzustellen. Gegebenenfalls muss das Gericht eine Verhandlung vertagen oder dem Betroffenen eine Frist zur Nachreichung eines Schriftsatzes einräumen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 ZPO).

20

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass bislang noch unklar ist, ob der Beklagte die Ausweisung maßgeblich auch auf generalpräventive Gründe gestützt oder diese lediglich hilfsweise angeführt hat. Eine generalpräventiv begründete Ausweisung des Klägers erscheint mit Blick auf die zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung fortbestehende Flüchtlingsanerkennung des Klägers aber unionsrechtlich problematisch. Damit ist möglicherweise eine Zweifelsfrage verbunden, die nicht ohne Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden kann.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28. September 2010 – 10 K 923/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger, wurde 1970 in Tiko in Kamerun geboren und ist nach eigenen Angaben im August 1993 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Im März 1998 wurde sein Asylantrag, bei dem er angegeben hatte, erst einen Monat zuvor eingereist zu sein, als offensichtlich unbegründet abgelehnt.(vgl. den Bescheid des  Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26.3.1998 – 2318862-232 –, und den einen Aussetzungsantrag des Klägers ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 15.4.1998 – 4 E 20400/98 GE) Ein vom Kläger eingeleitetes Klageverfahren wurde nicht betrieben und eingestellt.(vgl. Verwaltungsgericht Gera, Beschluss vom 27.7.1998 – 4 K 20399/98 GE –)

Im April 1998 erklärte der Kläger gegenüber dem Jugendamt in A-Stadt, er sei der Vater des im August 1996 geborenen deutschen Kindes B.(vgl. die Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft vom 8.4.1998 und die Zustimmungserklärung der Mutter vom selben Tag) Mit der Mutter des Kindes, C, lebte der Kläger in der Folge in eheähnlicher Gemeinschaft zusammen.

Nachdem der Aufenthalt des Klägers bis dahin lediglich geduldet worden war, wurde ihm im Januar 2000 eine Arbeitserlaubnis und im Januar 2001 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt, die später mehrfach, zuletzt als Aufenthaltserlaubnis bis Januar 2008 verlängert wurde.

Im Oktober 2001 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung verurteilt.(vgl. AG Saarbrücken, Urteil vom 29.10.2001 – 35-430/01 –)

Im Januar 2003 wurde die Tochter D geboren. Im September 2005 beantragte Frau C beim zuständigen Jugendamt Unterhaltsvorschussleistungen und teilte mit, dass sie von dem Kläger getrennt lebe, seinen Aufenthaltsort nicht kenne und dass dieser für die Tochter keinen Unterhalt leiste.

Im April 2006 wurde der Kläger wegen Handels mit und Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 11 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde wieder zur Bewährung ausgesetzt.(vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 11.4.2006 – 5-4/06 –)

Nachdem der Kläger im Mai 2007, während der Bewährungsfrist, den Sohn B mit einem Holzkochlöffel verprügelt hatte, so dass dieser wegen der dabei erlittenen Verletzungen, unter anderem einer Platzwunde am Kopf und Hämatomen am Oberkörper, ärztlich versorgt werden musste, wurde er im Februar 2008 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde erneut zur Bewährung ausgesetzt.(vgl. AG Saarbrücken, Urteil vom 18.2.2008 – 117 Ls 22 Js 923/07 (1/08))

Im April 2008 erklärte Frau C gegenüber dem Beklagten, sie lebe seit April 2005 nicht mehr mit dem Kläger zusammen. Dieser habe seither nur noch sporadisch Kontakt mit den Kindern. Seit dem Übergriff gegen den Sohn B gebe es „fast keine Kontakte“ mehr.

Im Februar 2009 wurde der Kläger wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen in 19 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit der Einfuhr unter Einbeziehung der Verurteilung vom Februar 2008 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten und zusätzlich wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen in 5 Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt.(vgl. LG Saarbrücken vom 4.2.2009 – 4 Kls 69/08 –)

Im Mai 2009 wies der Beklagte den Kläger dauerhaft aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm eine gegebenenfalls erforderliche Abschiebung an.(vgl. den Bescheid des Beklagten vom 12.5.2009 – 2.4.3 – Bgh. – 89.898 –) In der Begründung wurde auf seine die Voraussetzungen des § 53 AufenthG erfüllenden strafrechtlichen Verurteilungen verwiesen. Besonderen Ausweisungsschutz genieße der Kläger nicht, da er bereits 2005 seine Familie verlassen habe und von ihr getrennt lebe. Seither gebe es nur noch sporadische Kontakte zu den Kindern. Während des mittlerweile 16 Jahre dauernden Aufenthalts in Deutschland sei dem Kläger, der von Sozialleistungen lebe, eine wirtschaftliche oder soziale Integration nicht gelungen. Da sich auch aus Art. 8 EMRK nichts anderes ergebe, könne mit Blick auf die Ausweisung hier nicht von einem „besonders gelagerten Ausnahmefall“ ausgegangen werden. Unter generalpräventiven Gesichtspunkten sei der dem Bereich der Rauschgiftkriminalität zuzuordnende besondere Charakter der begangenen Straftaten zu berücksichtigen.

Der dagegen erhobene Widerspruch des Klägers wurde im August 2009 vom Beklagten zurückgewiesen.(vgl. den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 7.8.2009 – 98.898 –) Auf diese ausführlich begründete Entscheidung wird Bezug genommen.

Zur Begründung seiner im September 2009 erhobenen Klage hat der Kläger einen Verstoß gegen die Art. 6 GG und 8 EMRK gerügt und geltend gemacht, er lebe seit 1993 in Deutschland und habe auch nach der Trennung von der Lebensgefährtin im Jahre 2005 nicht nur sporadische Kontakte zu seinen beiden Kindern. Solange er auf freiem Fuß gewesen sei, habe er vielmehr ein „sehr inniges und liebevolles Verhältnis“ zu diesen gepflegt. Er habe seine Kinder regelmäßig besucht und auch beaufsichtigt, wenn die Mutter, zu der er nach wie vor einen guten Kontakt habe und die keine Verwandten mehr besitze, nicht zu Hause gewesen sei. Durch gemeinsame „Interaktionen“, unter anderem einen Aufenthalt von zweieinhalb Monaten mit dem Sohn in der Heimat Nigeria habe er wesentlich zur Erziehung der Kinder beigetragen. Der Sohn habe auch nach der Misshandlung durch ihn – den Kläger – die Beziehung nicht abgebrochen, ihm vielmehr die Tat verziehen. Eine Lebensgemeinschaft mit den Kindern könne nur in Deutschland geführt werden und werde durch seine Ausweisung vereitelt. Für seine Kinder sei er als Vater nicht zu ersetzen. Das habe der Beklagte verkannt. Die Kinder liebten ihn so sehr, dass die Mutter es nicht übers Herz gebracht habe, ihnen zu sagen, dass er sich in Haft befinde. Bereits vor seiner Inhaftierung habe er in Frau E eine neue deutsche Lebensgefährtin gefunden, die er nach seiner Entlassung heiraten wolle. Er werde also über einen „gefestigten familiären Halt“ verfügen, so dass keine weiteren Straftaten zu erwarten seien. Aufgrund der Haft habe er viel über seinen früheren Lebenswandel nachgedacht und sich davon „deutlich distanziert“. Er wolle sich einer Drogentherapie unterziehen, so dass die „Chance einer positiven Sozialprognose durchaus möglich“ sei. Das wolle der Beklagte aber offensichtlich nicht abwarten. Er wünsche sich nichts sehnlicher, als seine Kinder auf deren weiterem Werdegang zu begleiten. Nach der Haftentlassung wolle er sich diesen wieder „angemessen widmen“.

In der mündlichen Verhandlung im September 2010 vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger beantragt, seine beiden Kinder und deren Mutter, die frühere Lebensgefährtin, als Zeugen für seine Behauptung zu vernehmen, dass zwischen ihm und den Kindern eine enge persönliche Verbundenheit bestehe und beide Kinder zu ihrem Wohl auf die Aufrechterhaltung dieser Verbundenheit angewiesen seien. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag förmlich zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass es sich zum einen wegen Fehlens konkreter Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Behauptung um einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag handele und dass zum anderen die vom Kläger behauptete enge Verbundenheit mit seinen Kindern als wahr unterstellt werden könne, weil diese der Ausweisung nicht entgegenstehe. Ebenfalls als auf eine unzulässige Beweisermittlung gerichtet zurückgewiesen wurde ferner ein Antrag des Klägers auf Einholung eines „fachärztlichen Gutachtens“ zum Beweis, dass von ihm keine Gefahr weiterer Straftaten ausgehe. Die Beurteilung einer Wiederholungsgefahr sei der zuständigen Ausländerbehörde beziehungsweise den Gerichten überantwortet. Der Einholung von Sachverständigengutachten bedürfe es in dem Zusammenhang grundsätzlich nicht.

Anschließend hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es, die Ausweisung des Klägers sei rechtmäßig. Er erfülle mit Blick auf die strafrechtlichen Verurteilungen die Voraussetzungen des § 53 AufenthG und genieße keinen besonderen Ausweisungsschutz. Das gelte sowohl für eine beabsichtigte Heirat mit einer Deutschen nach der Entlassung als auch im Hinblick auf die beiden deutschen Kinder. Mit diesen lebe er nach der Trennung von ihrer Mutter im Jahr 2005 nicht mehr in familiärer Lebensgemeinschaft. Zwar sei insoweit nicht zwingend eine häusliche Gemeinschaft erforderlich. Fehle diese aber, so bedürfe es besonderer Anhaltspunkte in Form etwa intensiver Kontakte oder einer Übernahme eines erheblichen Anteils an Betreuung und Erziehung der Kinder oder sonstiger vergleichbarer Beistandsleistungen, um gleichwohl eine familiäre Lebensgemeinschaft von Kindern mit dem nichtehelichen Vater annehmen zu können. Dies sei weder im Zeitpunkt der Ausweisung noch gegenwärtig festzustellen. Letzteres ergebe sich bereits aus dem Umstand der Inhaftierung des Klägers. Auch wenn man auf die Zeit vor der Inhaftierung abstellen wollte, sei nicht zuletzt mit Blick auf die Misshandlung des Sohnes zumindest zweifelhaft, dass zwischen dem Kläger und seinen Kindern eine über die bloße Begegnungsgemeinschaft hinausgehende Verbundenheit bestanden habe. Selbst bei der Bejahung eines besonderen Ausweisungsschutzes auf dieser Grundlage bestünden keine durchgreifenden Bedenken gegen die Ausweisung des Klägers. Die in diesem Fall einer dann zulässigen Regelausweisung entgegenstehende Ausnahmesituation liege nicht vor. Vielmehr ergäben sich schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bereits aus der erheblichen Wiederholungsgefahr bei dem mehrfach gravierend wegen Betäubungsmitteldelikten strafrechtlich in Erscheinung getretenen Kläger. Der regelmäßig mit hoher krimineller Energie verbundene Rauschgifthandel sei typischerweise mit hohem Rückfallrisiko verknüpft. Dieses entfalle nicht wegen der Wirkungen seiner Inhaftierung, zumal der Kläger bereits von November 2005 bis April 2006 in Untersuchungshaft gewesen sei, ohne dass dies eine Änderung des Verhaltens bewirkt habe. Das gelte auch für die mehrfachen Verurteilungen, teilweise wegen Taten innerhalb der Bewährungszeit. Auch sein familiäres Umfeld habe den Kläger damals nicht von der Begehung der Taten abhalten können. Hinreichende von der aufenthaltsrechtlichen Regelung nicht abgedeckte Belange des Klägers im Sinne der Art. 6 GG und 8 EMRK, die unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles die Annahme eines Ausnahmefalls geböten, lägen nicht vor. Zwar dränge Art. 6 GG in Fällen, in denen eine nur in Deutschland zu verwirklichende Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind bestehe, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück, zumal der spezifische Erziehungsbeitrag eines Vaters nicht durch Beistandsleistungen der Mutter oder Dritter entbehrlich gemacht werden könne. Solche gewichtigen familiären Belange setzten sich indes gegenüber den öffentlichen Interessen an der Ausweisung des Ausländers nicht zwangsläufig durch. Eine über den Regelfall hinausgehende besondere Schutzwürdigkeit der Beziehung des Klägers zu seinen beiden deutschen Kindern sei nach den Fallumständen nicht anzunehmen. Der Kläger lebe seit 2005 nicht mehr mit diesen zusammen und habe jedenfalls seit der erneuten Inhaftierung im März 2008 nur noch brieflichen und telefonischen Kontakt. Von einer besonderen Verbundenheit mit den Kindern könne daher nicht die Rede sein. Zwar würden künftige Kontakte durch die Aufenthaltsbeendigung deutlich erschwert. Allerdings müssten die Kinder schon wegen der von ihm zu verantwortenden Inhaftierung des Klägers langjährig ohne diesen auskommen. Von daher stelle seine Ausweisung keine derart schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls dar, die Veranlassung geben könnte, eine vom Regelfall eines vergleichbaren Straftäters abweichende Ausnahmekonstellation anzunehmen. Die Ausweisung sei auch am Maßstab des Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Von einer gelungenen sozialen Integration des Klägers in Deutschland könne keine Rede sein. Er verfüge zudem weder über einen Arbeitsplatz noch über ausreichende Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dem Kläger sei auch ein Leben in Nigeria zuzumuten. Er sei 1993 als Erwachsener nach Deutschland gekommen und habe den Großteil seines Lebens, insbesondere die prägenden Jahre seiner Kindheit und Jugend, im Heimatland verbracht. Selbst wenn die Art. 6 GG und 8 EMRK die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigen könnten, erwiese sich die Ausweisung des Klägers zumindest nicht als ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe seine familiäre und persönliche Situation im Rahmen einer hilfsweise vorgenommenen Einzelfallbeurteilung ausreichend gewürdigt. Dass er das öffentliche Interesse an der Vermeidung weiterer schwerer Rauschgiftstraftaten höher gewichtet habe, entspreche eindeutig ordnungsgemäßer Ermessensausübung.

Der Kläger begehrt die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung (§§ 124a Abs. 4, 124 Abs. 1 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28.9.2010 – 10 K 923/09 – muss erfolglos bleiben. Der nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO den gerichtlichen Prüfungsumfang bestimmenden Antragsbegründung kann das Vorliegen eines der in § 124 Abs. 2 VwGO abschließend aufgeführten Zulassungsgründe nicht entnommen werden.

1. Das gilt zunächst, soweit sich der Kläger unter Bezugnahme auf den § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gegen die förmliche Zurückweisung (§ 86 Abs. 2 VwGO) der beiden von ihm in der mündlichen Verhandlung am 28.9.2010 gestellten Beweisanträge wendet.

a. Insoweit macht der Kläger zu Unrecht geltend, das Verwaltungsgericht sei verpflichtet gewesen, entsprechend seinem Beweisantrag die beiden Kinder B und D sowie deren Mutter B zum Bestehen und der Qualität einer persönlichen Verbundenheit mit ihm als Zeugen zu vernehmen. Die Ablehnung dieses Beweisantrags ist entgegen der Ansicht des Klägers verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Hierin liegt weder ein prozessrechtlich zu beanstandender Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) beziehungsweise eine Verletzung des dem Kläger zustehenden Prozessgrundrechts auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG). Letzteres gewährleistet nicht, dass die angegriffene Entscheidung in jeder Hinsicht frei von materiellen Rechtsfehlern ergeht. Ob die dem Gericht obliegende rechtliche Würdigung des Sachvortrags des Beteiligten im Einzelfall im Ergebnis richtig ist oder nicht, ist keine Frage des Verfahrensrechts. Verfahrensmängel liegen vielmehr nur vor, wenn das Verwaltungsgericht gegen eine Vorschrift verstoßen hat, die den äußeren Ablauf des Verfahrens regelt, nicht aber wenn eine Vorschrift missachtet wurde, die den inneren Vorgang richterlicher Rechtsfindung bestimmt.

Das Gehörsgebot schützt einen Verfahrensbeteiligten auch nicht vor jeder nach seiner Meinung unrichtigen Ablehnung eines von ihm in mündlicher Verhandlung gestellten Beweisantrags. Vielmehr kann eine Verletzung des Gehörsgebots erst dann angenommen werden, wenn die Ablehnung des Antrags unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Stütze im Prozessrecht findet, sich das Gericht mit dem Vorbringen eines Beteiligten in völlig unzulänglicher Form auseinandergesetzt hat und die Ablehnung des Beweisersuchens daher erkennbar willkürlich erscheint. Das war hier nicht der Fall. Entscheidend für die im konkreten Fall vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Möglichkeit der „Wahrunterstellung“ hinsichtlich der vom Kläger vorgetragenen Beweistatsache ist seine materielle Rechtsauffassung. Aus dem angegriffenen Urteil ergibt sich eindeutig, dass das Verwaltungsgericht selbst bei unterstellter Zubilligung eines besonderen Ausweisungsschutzes für den Kläger auf der Grundlage des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG wegen einer von ihm behaupteten besonderen persönlichen Verbundenheit mit den Kindern keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ausweisungsverfügung des Beklagten hatte und dass sogar nichts anderes zu gelten hätte, wenn zusätzlich – im Sinne des Klägers – unterstellt würde, dass der von ihm vorgetragene Sachverhalt darüber hinaus sogar („selbst wenn…“) die Annahme eines atypischen Ausnahmefalles im Sinne der §§ 56 Abs. 1 Satz 4, 54 AufenthG (Regelausweisung) rechtfertigte. Da die unter Beweis gestellten Tatsachen daher von dem dabei maßgeblichen rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts für die Beurteilung des Anfechtungsbegehrens des Klägers im Ergebnis nicht entscheidungserheblich waren, kann in der Ablehnung des Beweisantrags keine Verletzung des Gehörsgebots und erst Recht keine Verletzung des im Verwaltungsstreitverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) gesehen werden.

Unabhängig davon muss einem Beweisantrag auch dann nicht entsprochen werden, wenn das ihm zugrunde liegende Vorbringen nach Überzeugung des Gerichts in wesentlichen Punkten offensichtlich unzutreffend oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich oder wenn dieses gänzlich unsubstantiiert ist.(vgl. dazu etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.3.2009 – 2 A 471/08 –, SKZ 2009, 254, Leitsatz Nr. 74) Auch diese vom Verwaltungsgericht mit dem Hinweis auf ein aus seiner Sicht vorliegendes (unbeachtliches) Beweisermittlungsersuchen zusätzlich angesprochenen Voraussetzungen sind hier erfüllt. Mit Blick auf das zuvor Gesagte, bedarf das indes bezogen auf die Verfahrensrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) des Klägers keiner Vertiefung. Insoweit kann vielmehr in der Sache auf die folgenden Ausführungen zur Sachrüge (2.) verwiesen werden.

b. Soweit der Kläger darüber hinaus als im Verständnis des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO verfahrensfehlerhaft beanstandet, dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag abgelehnt hat, ein „fachärztliches Gutachten“ zum Beweis dafür einzuholen, dass von ihm keine Gefahr der Begehung weiterer Straftaten mehr ausgehe, so dass ihm eine „positive Sozialprognose auszustellen“ sei, wird ebenfalls kein durchgreifender Verfahrensfehler aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil zutreffend darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörden beziehungsweise gegebenenfalls die Verwaltungsgerichte bei der Beurteilung der von einem Straftäter – hier einem Intensivtäter mit mehrfachen Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht – nach einer Entlassung ausgehenden Wiederholungsgefahr gehalten sind, eine eigene Beurteilung in umfassender Würdigung des gesamten Akteninhalts und der vorliegenden Erkenntnismöglichkeiten anzustellen.(vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 4.2.2011 – 2 A 227/10 –) Das hat das Verwaltungsgericht getan. Das Ergebnis ist schlüssig begründet und ohne weiteres nachvollziehbar. Der Kläger hat sich in der Vergangenheit weder durch die langjährige, im April 2005 durch seinen Auszug beendete Beziehung mit seiner früheren Lebensgefährtin, noch durch die Existenz seiner minderjährigen Kinder von der Begehung schwerwiegender Straftaten abhalten lassen. Gleiches gilt für die mehrfach gegen ihn verhängten Bewährungsstrafen und für seine erste Inhaftierung von November 2005 bis zum 11.4.2006. Nachdem er an diesem Tag vom Landgericht A-Stadt wegen Handels und Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 11 Monaten verurteilt, er aber sofort wieder entlassen worden war, weil auch diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist er vielmehr spätestens im Jahr 2007 „in großem Stil“ in den Handel mit Kokain und anderen Drogen eingestiegen. Insofern ist auf die tatsächlichen Feststellungen in dem seiner aktuellen Inhaftierung zugrunde liegenden Urteil des Landgerichts A-Stadt vom Februar 2009 zu verweisen.(vgl. LG Saarbrücken vom 4.2.2009 – 4 Kls 69/08 –) Im Ergebnis konnten daher weder die Bindungen zu seinen Kindern noch die gegen ihn verhängten strafrechtlichen Sanktionen oder eine Inhaftierung den Kläger auch nur ansatzweise zu einer Veränderung seines kriminellen Verhaltens veranlassen. Von daher ist es völlig nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht abweichenden Verbalbehauptungen des Klägers, etwa dass er sich in der jetzigen Haft von seinem früheren Verhalten „deutlich distanziert“ habe, im Rahmen der Prognose keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat und keine Veranlassung gesehen hat, seinem Antrag auf Einholung eines „fachärztlichen Gutachtens“ – was auch immer damit konkret gemeint sein sollte – zu entsprechen. Aus dem Sachverhalt ergeben sich überhaupt keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger künftig nicht mehr straffällig werden wird. Zumindest eine im eingangs genannten Verständnis willkürliche Ablehnung dieses Beweisantrags lässt sich daher auch insoweit nicht feststellen. Im Zusammenhang mit der Behauptung, er wolle sich einer Drogentherapie unterziehen, um eine „günstige Sozialprognose möglich“ zu machen, bleibt ergänzend darauf hinzuweisen, dass ein Ausländer, der so erheblich kriminell in Erscheinung getreten ist, dass er – wie der Kläger – die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 AufenthG erfüllt, offensichtlich keinen Anspruch darauf hat, im Rahmen seines Strafvollzugs so lange therapiert zu werden, bis ihm „möglicherweise“ eine günstige Sozialprognose gestellt werden kann. Daher kommt dem Einwand, die Strafvollstreckungsbehörden hätten durch die Vorenthaltung von Therapiemaßnahmen bisher eine günstige Sozialprognose vereitelt, keine Bedeutung zu.(vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, SKZ 2009, 255, Leitsatz Nr. 75, und vom 4.5.2011 – 2 D 210/11 –)

2. Der Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren rechtfertigt ferner nicht die Annahme der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Beklagten und damit der Richtigkeit der erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), mit der seine Klage gegen die mit Bescheid vom 12.5.2009 verfügte dauerhafte Ausweisung aus der Bundesrepublik abgewiesen worden ist. Der allgemein gehaltene Sachvortrag des Klägers, der durch sein Verhalten die tatbestandlichen Voraussetzungen für seine zwingende Ausweisung nach dem § 53 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität erfüllt hat, im Zulassungsverfahren rechtfertigt keine abweichende rechtliche Beurteilung. Das gilt insbesondere, soweit das Verwaltungsgericht unter Würdigung der konkreten Fallumstände eine gelebte familiäre Gemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen beiden Kindern verneint und ihm daher keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zugebilligt hat.

Eine solche Lebensgemeinschaft fordert zwar nicht unbedingt das Vorliegen einer ständigen häuslichen Gemeinschaft, allerdings im Falle einer dauerhaften räumlichen Trennung die Feststellung zusätzlicher Anhaltspunkte, um das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts weitgehend auszugleichen, insbesondere dass die Betroffenen regelmäßigen Kontakt zueinander pflegen, der über bloße Besuche hinausgeht und in dem die besondere persönliche und emotionale Verbundenheit im Sinne einer Beistandsgemeinschaft zum Ausdruck kommt.(vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.8.2010 – 2 B 235/10 –, SKZ 2011, 67, Leitsatz Nr. 52)

Der Kläger, der übrigens für beide Kinder kein eigenes Sorgerecht vorträgt und ein solches nach Aktenlage auch nicht besitzt befindet sich nunmehr seit Anfang 2008, also seit über drei Jahren, in Haft und hat eingestandenermaßen seither überhaupt keinen unmittelbaren persönlichen Kontakt zu den Kindern. Diese wissen – nach seinem eigenen Vortrag – nicht einmal, dass er im Gefängnis ist, sondern gehen davon aus, dass er sich zu Besuchszwecken in seiner Heimat aufhält. Vor dem Hintergrund kommt es letztlich auch nicht darauf an, ob die Kinder und deren Mutter, die den Kläger seit Jahren nicht mehr gesehen und aus welchen Gründen auch immer keinen Kontakt zu ihm gesucht haben, bei einer Zeugenvernehmung bekunden, dass sie sich ihm in besonderer Weise „verbunden“ fühlten oder gar ob es ihnen „lieber“ ist, dass der Kläger in Deutschland bleibt oder auch nicht. Maßgeblich ist eine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse und insoweit spricht der Akteninhalt eine eindeutige Sprache.

Nach Aktenlage spricht – außer pauschalen gegenteiligen Behauptungen des Klägers – im Übrigen auch nichts dafür, dass der Kläger zuvor, insbesondere zwischen seiner Haftentlassung im April 2006 und der erneuten Inhaftierung im März 2008 einen engeren persönlichen Kontakt zu seinen beiden Kindern hatte. Die frühere Lebensgefährtin hat – bezogen (auch) auf diesen Zeitraum im April 2008 gegenüber dem Beklagten erklärt, dass der Kläger sogar seit seinem Auszug im April 2005 nur noch „sporadische“ Kontakte zu den gemeinsamen Kindern habe und dass es nach der Misshandlung des Sohnes B im Mai 2007 „fast gar keine Kontakte“ mehr gegeben habe.(vgl. dazu die Aktenniederschrift vom 15.4.2008, Blatt 245 der Ausländerakte) Die Folgen des die Darstellung des Klägers über das Verhältnis zu seinen Kindern konterkarierenden „sporadischen Kontakts“ mit dem Sohn und des dabei geleisteten „Erziehungsbeitrags“ sind aktenkundig, wurden vom Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung bereits angeführt und bedürfen daher hier keiner Wiederholung. Die Anwesenheit des Klägers in der Wohnung war damals übrigens nach Aktenlage darauf zurückzuführen, dass die Mutter den Kläger telefonisch gebeten hatte, vorbeizukommen und den Sohn wegen seines Verhaltens zur Rede zu stellen. Der in der Klageschrift vom September 2009 angesprochene längere Besuch mit dem Sohn in seiner Heimat fand übrigens nach der Widerspruchsbegründung vom 8.7.2009 bereits im Jahr 2003 statt und damit lange vor der Trennung des Klägers von Lebensgefährtin und Kindern im April 2005. Zumindest ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des dauerhaften Nichtbestehens eines in den Schutzbereich des Art. 6 GG fallenden und damit einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG begründenden familiären Zusammenlebens begründet der Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren vor dem Hintergrund nicht.

Wie bereits im Zusammenhang mit der Verfahrensrüge des Klägers ausgeführt, hat das Verwaltungsgericht zudem einen – nach dem Gesagten zu Recht verneinten – Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG im Ergebnis für die Beurteilung des Anfechtungsbegehrens des Klägers als nicht entscheidend angesehen und zusätzlich sogar noch einen Ausnahmefall bei Anwendung der Vorschriften über die Regelausweisung unterstellt (§ 54 AufenthG). Letzteres erscheint allerdings, wie das Verwaltungsgericht selbst herausgestellt hat,(vgl. dazu die Ausführungen auf Seiten 21 unten und 23 des angegriffenen Urteils) sehr fernliegend, da nicht ansatzweise erkennbar ist, inwiefern sich die Situation des Klägers im Vergleich mit der anderer langjährig inhaftierter Straftäter mit deutschen Kindern als „atypisch“ kennzeichnen lassen sollte.

Das Verwaltungsgericht hat auch berücksichtigt, dass der Kläger seit seiner Inhaftierung Anfang 2008 (nur) „noch in telefonischem bzw. brieflichem Kontakt“ mit den Kindern steht. Auch im Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 7.8.2009 ist übrigens ausdrücklich von einem brieflichen Kontakt des Klägers mit den Kindern die Rede (Seite 4 oben). Von daher trifft die Behauptung des Klägers nicht zu, dass der Beklagte bei seinen Erwägungen davon ausgegangen sei, dass der Kläger „keinerlei Kontakt“ mit den Kindern habe. Auch in der Klageerwiderung vom 7.10.2009 ist der Beklagte ausdrücklich auf diesen Vortrag des Klägers eingegangen, indem er – in der Sache zutreffend – darauf hingewiesen hat, dass allein ein brieflicher und telefonischer Kontakt mit den Kindern sich gegebenenfalls auch vom Heimatland aus aufrechterhalten lasse.(vgl. dazu etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 28.2.2008 – 2 B 158/08 –, SKZ 2008, 228, Leitsatz Nr. 57, wonach eine auf gelegentlichen Besuchen und ansonsten auf  einem täglichen Kontakt über das Internet („Webcam“) beruhende Beziehung zwischen einem Ausländer und seinen in Deutschland lebenden Kindern keine tatsächlich gelebte und dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfallende Beziehung darstellt; dazu auch EGMR, Urteil vom 8.1.2009 – 10606/07 –, InfAuslR 2010, 89, zur Zulässigkeit der Verweisung eines nicht mit seinen minderjährigen Kindern zusammenlebenden ausländischen Mehrfachtäters auf Kontakte per Telefon oder per E-Mail von seinem Heimatland aus und Besuche des Kindes in seinem Heimatland) Nicht nachzuvollziehen ist angesichts der haftbedingten jahrelangen Trennung von den Kindern und dem Unterbleiben jeglicher Besuche durch die Kinder während der Haft die Darstellung des Klägers, dass er durch seine Ausweisung „aus seinem familiären Umfeld herausgerissen“ werde. Das Verwaltungsgericht hat ferner überzeugend ausgeführt, dass selbst für den Fall, dass man die Ausweisungsentscheidung des Beklagten ungeachtet der Wertungsvorgaben durch die §§ 53 oder 54 AufenthG an den allgemeinen Anforderungen für behördliche Ermessensentscheidungen messen wollte, diese im Ergebnis vorliegend einer gerichtlichen Überprüfung im Rahmen des § 114 VwGO standhielte. Der Vorwurf des Klägers, der Beklagte habe nicht die gebotene „wirkliche Verhältnismäßigkeitsprüfung“ vorgenommen, trifft nach dem Inhalt der Entscheidungen nicht zu. In dem für die Prüfung der Ermessensentscheidung maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 7.8.2009 wird die persönliche Situation des Klägers auch hinsichtlich des Umgangs mit seinen Kindern beschrieben und in die Bewertung eingestellt. Dass dem Kläger eine andere Gewichtung der beteiligten Belange, insbesondere seiner eigenen, lieber gewesen wäre, ist nachvollziehbar, rechtfertigt aber nicht die Annahme einer Rechtsfehlerhaftigkeit der Entscheidung des Beklagten.

Eine schützenswerte Rechtsposition ergibt sich im Falle des Klägers auch nicht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, so dass es hier keiner Vertiefung bedarf, in welcher Form dessen Vorgaben im Rahmen der einzelnen Kategorien der aufenthaltsrechtlichen Ausweisungstatbestände (§§ 53 ff. AufenthG) dogmatisch Rechnung getragen werden muss. Unter dem Aspekt des „Familienlebens“ ergeben sich dabei keine über das zu Art. 6 GG hinaus Gesagte hinausgehenden Rechte.

Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines in Deutschland geborenen und hier aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des durch Art. 8 Abs. 1 EMRK ebenfalls geschützten „Privatlebens“ kommt allenfalls ausnahmsweise in Betracht, wenn von einer abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Ausreisehindernisses auf dieser Grundlage ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist hingegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist, dem ein Leben in dem Staat seiner Herkunft, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht zugemutet werden kann.(vgl. dazu zuletzt etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 18.1.2011 – 2 A 293/10 –, vom 15.4.2011 – 2 B 195/11 – und vom 20.4.2011 – 2 B 208/11 –, st. Rspr.)

Nach diesen Grundsätzen kommt dem in der Begründung des Zulassungsantrags enthaltenen Hinweis des Klägers, der – wie bereits das Verwaltungsgericht festgestellt hat – erst im Erwachsenenalter eingereist ist, er lebe bereits seit 17 Jahren in Deutschland keine entscheidende Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, dass in seinem Fall von einer gelungenen Integration nicht ansatzweise die Rede sein kann. Das gilt in sozialer Hinsicht mit Blick auf die über einen langen Zeitraum hin begangenen schweren Straftaten des Klägers, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht, da er offenbar bis heute nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus legaler Betätigung sicherzustellen.

Da Zulassungsgründe nicht gegeben sind, ist der Antrag zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 52, 47 GKG, wobei der so genannte Auffangwert in Ansatz zu bringen war.

Der Beschluss ist unanfechtbar.