Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 01. Apr. 2014 - 13 C 3/14
Gericht
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Die zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe befindet, ist unbegründet.
2Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig zum Studium im Studiengang „Bildungswissenschaften - Lehramt an Grundschulen -" nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2012/13 zuzulassen. Dazu hat es ausgeführt, es sei glaubhaft gemacht worden, dass der Antragsgegnerin zumindest 5 Studienplätze mehr als festgesetzt zur Verfügung stünden. Ob die Antragsgegnerin die Anzahl der Studienplätze mit 140 zutreffend berechnet habe, könne dahinstehen. Sie habe als freiwillige Überlast 90 zusätzliche Studienplätze zur Verfügung gestellt. Unter Einbeziehung eines Sicherheitszuschlages für Bachelor-Studierende, denen ein erfolgreicher Abschluss des Studiums nicht gelinge, sei die Zulassungszahl schließlich auf 250 festgesetzt worden. Mit Schriftsatz vom 28. Januar 2013 habe die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass für das 1. Fachsemester nach dem 4. Nachrückverfahren 255 Studierende eingeschrieben worden seien. All dies zeige, dass die von der Antragsgegnerin errechnete Kapazität keine Belastungsgrenze darstelle. Die Frage, mit welchen Kapazitäten die zusätzlichen Studierenden ausgebildet würden, sei nicht aufklärbar. Nach Angaben der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 13. November 2013 lägen dazu keine Berechnungen vor.
31. Anders als die Antragsgegnerin meint, musste der Antrag der Antragstellerin nicht deshalb erfolglos bleiben, weil diese, obwohl sie bereits am 27. August 2012 eine Klage mit dem Begehren auf außerkapazitäre Zulassung zum WS 2012/13 erhoben hatte (4 K 3867/12 VG Gelsenkirchen), erst am 10. September 2013 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht hat. Zwar kann sie die Veranstaltungen der vergangenen Semester nicht mehr besuchen. Nach der Rechtsprechung des Senats hängt der Erfolg eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der auf die Zuweisung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Kapazität gerichtet ist, aber nicht davon ab, ob im Zeitpunkt seiner Rechtshängigkeit ein sinnvoller Einstieg in das Bewerbungssemester noch möglich ist.
4OVG NRW, Beschluss vom 4. März 2014 - 13 B 200/14 -, juris (Änderung der Senatsrechtsprechung).
52. Soweit die Antragsgegnerin ausführt, die Antragstellerin habe im Wintersemester 2010/11 den Studienplatz im Bachelorstudiengang mit vermittlungswissenschaftlichem Profil (BvP-Studienfach Didaktisches Grundlagenstudium) nicht angenommen, ist nicht dargetan, weshalb dies die Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung entfallen lässt.
63. Die Antragsgegnerin macht weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin schon deshalb nicht bestehe, weil ihrem Antrag auf außerkapazitäre Zulassung die nach § 23 Abs. 5 VergabeVO NRW in der bis zum Inkrafttreten der Siebten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 24. Juni 2013 geltenden Fassung (im Folgenden: § 23 Abs. 5 Vergabe VO NRW a.F.) erforderlichen Unterlagen nicht beigefügt gewesen seien. Die Antragstellerin habe weder das Hochschulzeugnis im Original noch in beglaubigter Kopie vorgelegt.
7Hiermit bleibt das Beschwerdevorbringen ebenfalls erfolglos. Der Antragsgegnerin ist eine Kopie des Hochschulzeugnisses vom Gericht als Anlage zur Klageschrift zugesandt worden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie vor Ablauf der in § 23 Abs. 5 VergabeVO NRW a.F. geregelten Ausschlussfrist (1. Oktober 2012) über einen Nachweis der Hochschulberechtigung der Antragstellerin verfügte. Da die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren keine ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Hochschulberechtigung aufgezeigt hat, ist nicht ersichtlich, weshalb dem Zweck des § 23 Abs. 5 VergabeVO a.F. nicht in einer die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebietenden Weise Rechnung getragen wird. Das Erfordernis, stets die eine beglaubigte Kopie des Zeugnisses zu übersenden hat, ist den von der Antragsgegnerin zitierten Beschlüssen des Senats,
8vgl. Beschlüsse vom 21. Mai 2013 - 13 B 341/13 - und vom 22. Mai 2013 - 13 C 40/13 -, jeweils juris,
9auch nicht zu entnehmen.
104. Erfolglos wendet die Antragsgegnerin ferner ein, die Erhöhung der Zulassungszahl auf 250 sei nicht missbräuchlich oder willkürlich, sondern aus sachlichen Gründen auf normativer Grundlage erfolgt. Eine über die nach der KapVO NRW 2010 zutreffend ermittelte Aufnahmekapazität von 140 Studierenden hinausgehende Kapazität sei nicht geschaffen worden. Mit dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen sei am 23. Januar 2012 eine Sonderziel- und Leistungsvereinbarung 2011-2013 getroffen worden. Zur Erfüllung dieser Vereinbarung seien zusätzlich Studenten aufgenommenen worden, die außerhalb der ermittelten Aufnahmekapazität ausgebildet würden. § 1 Abs. 3 der Sonderziel- und Leistungsvereinbarung enthalte ein verbindliches Leistungsziel i. S. d. § 6 Abs. 2 HG NRW, das gem. § 1 HZG NRW bei der Festsetzung von Zulassungszahlen zu beachten sei.
11Dies verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.
12Sofern der Zugang zum Hochschulstudium beschränkt wird, müssen die kapazitätsbestimmenden Regelungen ebenso wie ihre Anwendung durch die Hochschule dem aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Gebot erschöpfender Kapazitätsauslastung genügen.
13Vgl. BVerfG Beschluss vom 22. Oktober 1991 - 1 BvR 393, 610/85, - BVerfGE 85, 36.
14Voraussetzung einer effektiven verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sind Darlegungen der Wissenschaftsverwaltung, die die maßgebenden Gesichtspunkte bei der Ausübung ihres Gestaltungsspielraums erkennen lassen.
15Daran fehlt es hier. Ob die Kapazität erschöpft ist, lässt sich vorliegend nicht feststellen, weil die Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin nicht nachvollziehbar ist (a). Die hieraus resultierende Erschwerung der gerichtlichen Kontrolle geht zu Lasten der Antragsgegnerin (b).
16a) Die Antragsgegnerin hat als freiwillige Überlast über die von ihr errechnete Kapazität (140 Studienplätze) zusätzlich 115 Studenten aufgenommen. Dass und inwieweit hierfür zusätzliche Lehrkapazitäten zur Verfügung stehen und welche organisatorischen Maßnahmen zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ausbildungsbetriebs getroffen wurden, hat die Antragsgegnerin nicht plausibel gemacht.
17Anders als die Antragsgegnerin meint, ist sie nicht auf Grund der Sonderziel- und Leistungsvereinbarung Lehramtsausbildung 2011- 2013 zwischen der Technischen Universität Dortmund und dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 2012 von ihrer Darlegungsobliegenheit entbunden. Nach der Zielvereinbarung ist für den Master of Education (Grundschule) eine Mindestaufnahmekapazität von 222 verabredet worden. Zugleich hat sich die Hochschule verpflichtet, ihre Bachelorkapazitäten dergestalt anzupassen, dass eine optimale Auslastung der vereinbarten Lehramtsmasterkapazitäten gewährleistet ist. Aus dieser Zielvereinbarung folgt jedoch weder, dass die Vorgaben der KapVO NRW 2010 zur Berechnung der Kapazität insoweit keine Geltung beanspruchen, noch, dass die Antragsgegnerin berechtigt wäre, Studienplätze ohne Rücksicht auf vorhandene Ausbildungskapazitäten anzubieten. Das Ministerium verzichtet lediglich, wie auch die in § 2 der Zielvereinbarung erfolgte Bezugnahme auf die Ziel- und Leistungsvereinbarung IV (ZLV 2012–2013) zeigt, wegen der Gestaltungsfreiheit der Hochschule auf Vorgaben dazu, wie die Antragsgegnerin zusätzliche Ausbildungskapazitäten zwecks Realisierung der Zielvereinbarung schafft.
18Für eine „außerkapazitäre Ausbildung“, wie sie der Antragsgegnerin offensichtlich vorschwebt, bieten auch weder die KapVO NRW 2010 noch das HZG NRW Raum.
19Nach § 3 KapVO NRW 2010 ergibt sich die jährliche Aufnahmekapazität aus der Gegenüberstellung von Lehrangebot und Lehrnachfrage. Dies gilt auch für Kapazitäten, die auf Grund der Zielvereinbarungen geschaffen werden. Eine Regelung, wonach diese bei der Ermittlung der Aufnahmekapazität (vorübergehend) unberücksichtigt bleiben können oder gesondert auszuweisen sind, enthält weder die KapVO NRW 2010 noch § 1 HZG NRW.
20b) Zwar vermittelt die Zielvereinbarung dem einzelnen Studienbewerber ebenso wie der Hochschulpakt II kein subjektives Recht auf Schaffung oder Beibehaltung von Ausbildungskapazitäten in einzelnen Studienfächern. Auch kann einem Studienbewerber grundsätzlich kein subjektives Recht auf Zulassung zuerkannt werden, wenn die Hochschule – studienbewerberfreundlich – bereits mehr Studenten aufgenommen hat, als ihre Kapazität hergibt. Dies hat im vorliegenden Fall aber nicht zur Folge, dass der Antrag der Antragstellerin erfolglos bleiben müsste. Die Antragsgegnerin hat es in der Hand, in nachvollziehbarer Weise darzulegen, dass und in welchem Umfang sie die in die Berechnung der Grundkapazität eingestellten Größen wegen des Erfordernisses der Ausbildung zusätzlicher Studenten tatsächlich nicht als variabel betrachtet. Da es an einem solchen Vortrag fehlt, ist die Entscheidung über die Aufnahme des Studienplatzbewerbers aufgrund einer Interessenabwägung vorzunehmen. Die Nachteile der Antragstellerin wiegen im Falle des Unterbleibens der einstweiligen Anordnung, aber späteren Obsiegens in der Hauptsache schwerer als die von der Hochschule zu tragenden Nachteile. Dass die Ausbildung der Antragstellerin zu unüberwindbaren organisatorische Belastungen führt oder eine sinnvolle Ausbildung der bereits eingeschriebenen Studenten in Frage stellt, ist weder ersichtlich, noch von der Antragsgegnerin behauptet worden.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
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(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.