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Die Beschwerdeführerin wurde durch Urteil der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts H. wegen (heimtückischen und gemeinschaftlich begangenen) Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Ihre hiergegen gerichtete Revision hat der Bundesgerichtshof gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
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Mit Anwaltsschriftsatz stellte die Beschwerdeführerin beim Landgericht He. einen Wiederaufnahmeantrag.
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Das Landgericht He. verwarf diesen Wiederaufnahmeantrag als unzulässig. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Verurteilten.
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Die der Verurteilung zugrunde liegende Tat - die Tötung ihres damaligen Ehemanns - hatte nicht die Beschwerdeführerin selbst, sondern der Mitverurteilte H. ausgeführt, gegen den gleichfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wurde. Mit ihrem Wiederaufnahmeantrag stellt die Verurteilte nicht die Ausführung der Tat, also die heimtückische Begehungsweise, in Abrede; auch trägt sie keine Tatsachen und Beweismittel vor, aus denen sich ergibt, dass sie von der Art der Tatausführung nichts gewusst habe und ihr aus diesem Grunde das Handeln des Mittäters nicht zugerechnet werden könne (§ 25 Abs. 2 StGB). Vielmehr macht sie geltend, ihre Ehe sei für sie ein "Martyrium" gewesen. Deshalb hätte sie nur zu einer zeitigen Freiheitsstrafe verurteilt werden dürfen. Sei es, dass lediglich ein Totschlag (§ 212 StGB) vorliege, sei es, dass außergewöhnliche schuldmindernde Umstände angenommen werden müssten, die es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebieten würden, von der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abzusehen...
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Auch unter der Annahme, dass die im Wiederaufnahmeantrag aufgeführten Aussagen der Zeugen erwiesen und diese als "außergewöhnliche Umstände" im Sinne der vom Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs entwickelten Rechtsprechung zur Heimtücke (BGHSt 30, 105 ff) bewertet würden, wäre das Oberlandesgericht aus Rechtsgründen gehindert, dem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben.
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1. Zwar sind die zitierten Zeugen "neue Beweismittel" im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO. Insbesondere sind auch die Kinder bislang im Einvernehmen sämtlicher Verfahrensbeteiligter nicht als Zeuginnen gehört worden.
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a) Dass die beiden Mädchen schon während der Hauptverhandlung als Beweismittel bekannt waren und zur Verfügung standen, vermag ihre rechtliche Qualität als "neue Beweismittel" nicht zu schmälern (vgl. dazu BGH NStZ 2000, 218; OLG Frankfurt MDR 1984, 74 = JR 1984, 40; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., 2003, § 359 Rn. 33).
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b) Auch der Umstand, dass auf den Beweisantrag der Verurteilten die Kinderbetreuerin F. in der Hauptverhandlung als Zeugin über die ihr mitgeteilten Wahrnehmungen der zwei Mädchen gehört wurde, ändert hieran nichts.
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2. Nachträglich geltend gemachte "außergewöhnliche Umstände" im Sinne der genannten Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen sind jedoch kein "milderes Strafgesetz" gemäß § 359 Nr. 5, 2. Alt. StPO, sondern "dasselbe Strafgesetz" im Sinne des § 363 Abs. 1 StPO. Die Spezialvorschrift des § 359 Nr. 5, 2. Alt. StPO geht insoweit dem inhaltsgleichen § 363 Abs. 1 StPO als allgemeinem Unzulässigkeitsgrund für ein Wiederaufnahmeverfahren vor (LR-Gössel, StPO, 25. Aufl., 1998, § 359 Rn. 54 und 124; Meyer-Goßner a.a.O. § 363 Rn. 1). Der Gesetzgeber hat ausdrücklich eine Wiederaufnahme zum Zwecke einer Strafmaßänderung aufgrund desselben Strafgesetzes für unzulässig erklärt. ...
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Das Vorliegen des vom Landgericht H. festgestellten und vom Bundesgerichtshof als Revisionsgericht bestätigten Mordmerkmals der Heimtücke bei der Beschwerdeführerin wird weder durch den Wiederaufnahmeantrag noch durch das Beschwerdevorbringen entkräftet. Auch bei Annahme "außergewöhnlicher Umstände" bliebe es bei der Anwendung des Straftatbestandes des Mordes gemäß § 211 StGB. Für die Annahme eines Totschlags (§ 212 StGB) ist entgegen dem Vorbringen der Verurteilten kein Raum.
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Der Große Senat für Strafsachen hat sich in der genannten Entscheidung nach der ihm durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 45, 187) eröffneten Wahlmöglichkeiten bewusst gegen die sogenannte Tatbestandslösung - einengende Korrektur des Tatbestandsmerkmals "heimtückisch" - ausgesprochen und stattdessen zur Verwirklichung des Verfassungsgebots der Verhältnismäßigkeit mit Hilfe der sogenannten Rechtsfolgenlösung die Rechtsfolgenseite des § 211 StGB ergänzt. § 213 StGB ist damit nicht anwendbar, da diese Bestimmung dem Tatbestand des Totschlags (§ 212 StGB) zugeordnet ist. Stattdessen ist die lebenslange Freiheitsstrafe unter Anwendung von § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB in eine zeitige Freiheitsstrafe umzuwandeln (BGH a.a.O. S.120).
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Zwar steht § 363 Abs. 1 StPO einer Wiederaufnahme dann nicht entgegen, wenn ein benannter Strafmilderungsgrund geltend gemacht wird. Beispielsfälle hierfür sind §§ 23 Abs. 2, 27 Abs. 2 Satz 2, 21, 239 a Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB oder gesetzliche Bestimmungen wie §§ 23 Abs. 3, 113 Abs. 4, 157, 158 Abs. 1 StGB, die es dem Richter gestatten, die Strafe beim Vorliegen bestimmter tatsächlicher Umstände nach seinem Ermessen zu mildern, insbesondere den Strafrahmen des § 49 Abs. 2 StGB anzuwenden. Ein benannter Strafmilderungsgrund ist insofern als "milderes Strafgesetz" i.S.d. § 359 Nr. 5, 2. Alt. StPO und als ein anderes Strafgesetz i.S.d. § 363 Abs. 1 StPO anzuerkennen (BGH NJW 1952, 1150; BGH NJW 1968, 2206; LR-Gössel a.a.O. § 363 Rn. 10, Meyer-Goßner a.a.O. § 363 Rn. 4).
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Ein unbenannter minder schwerer Fall stellt hingegen kein "anderes Strafgesetz" im Sinne der §§ 359 Nr. 5, 2. Alt., 363 Abs. 1 StPO dar. Die Wiederaufnahme mit dem Ziel, eine mildere Bestrafung durch Annahme eines minder schweren Falls zu erwirken, ist unzulässig (LR-Gössel a.a.O. § 359 Rn 147; Meyer-Goßner a.a.O. § 359 Rn. 41); gleichgültig ist, ob der Strafrahmen für den minder schweren Fall in demselben oder in einem anderen Paragraphen bestimmt ist (LR-Gössel a.a.O. § 363 Rn. 8).
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Obgleich der Bundesgerichtshof § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Anwendung bringt, können die von ihm beispielhaft umschriebenen "außergewöhnlichen Umstände" einem benannten Strafmilderungsgrund nicht gleichgestellt werden. Dieser zeichnet sich durch im Gesetz tatbestandsähnlich umschriebene Merkmale aus, wie die oben aufgeführten Bestimmungen belegen.
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Vielmehr bedürfen die von der Rechtsprechung geschaffenen "außergewöhnlichen Umstände" näherer Konkretisierung. Sie können erst aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung des Tatgeschehens und der zur Tat hinführenden Umstände angenommen werden (BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2, 3 = NStZ 1995, 231). Dies ist typisch für unbenannte Strafmilderungsgründe, denen sie deshalb vergleichbar sind (ebenso OLG Bamberg NJW 1982, 1714). Eine abschließende Definition oder Aufzählung der in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der absoluten Strafdrohung des § 211 Abs. 1 StGB führenden außergewöhnlichen Umstände ist nicht möglich, wie der Große Senat für Strafsachen in seinem Grundsatzbeschluss ausdrücklich betont hat (BGH a.a.O. S. 119). Lediglich exemplarisch führt der Bundesgerichtshof Konstellationen an, die "außergewöhnliche Umstände" begründen können:
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"Durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motivierte, in großer Verzweiflung begangene, aus tiefem Mitleid oder aus 'gerechtem Zorn' (vgl. BGH MDR 1961, 1027) aufgrund einer schweren Provokation verübte Taten" oder solche, "die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbendem Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben".
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Die "außergewöhnlichen Umstände" wurden von der höchstrichterlichen Rechtsprechung dieser Entscheidung folgend nicht als abschließend eingestuft, sondern lediglich als beispielhafte Hinweise auf in Betracht kommende Fallgestaltungen (BGH NStZ 1982, 69; BGH NJW 1983, 54, 55). Insbesondere wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass der Tatrichter das Tatgeschehen und die zur Tat hinführenden Umstände umfassend zu würdigen und insbesondere auch zu prüfen hat, ob sich der Täter in einer nahezu ausweglosen Situation befand oder diese mitverschuldet hat (BGH NJW 1983, 54; BGH NStZ 1984, 20).
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Im Hinblick auf diese im Rahmen der Strafzumessung durchzuführende Gesamtwürdigung handelt es sich bei den "außergewöhnlichen Umständen" lediglich um einen unbenannten Strafmilderungsgrund, der allenfalls einem minder schweren Fall - wie etwa § 211 Abs. 3 StGB a.F. - entspricht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., 2003, § 211 Rn. 22).
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Selbst wenn man - entgegen der Rechtsprechung des Großen Senats für Strafsachen (BGH a.a.O. S. 120) und mit Teilen der Literatur (vgl. dazu SS-Eser, 26. Aufl. 2001, § 213 Rn. 3) - § 213 StGB nicht nur bei § 212 StGB, sondern auch bei § 211 StGB für anwendbar hielte, wäre eine Wiederaufnahme unzulässig, weil vorliegend kein benannter "provozierter" Totschlag (§ 213, 1. Alt. StGB) geltend gemacht wird, sondern lediglich ein unbenannter "sonst minder schwerer Fall" gemäß § 213, 2. Alt. StGB (LR-Gössel a.a.O., § 363 Rn. 11).
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Allein aus dem Umstand, dass benannte Strafmilderungsgründe zur Herabsetzung des Strafrahmens nach § 49 Abs. 1 StGB führen und auch der Bundesgerichtshof bei Vorliegen "außergewöhnlicher Umstände" diese Bestimmung für anwendbar erklärt hat, folgt nicht, dass deshalb die Rechtsfolgen denen eines benannten minder schweren Falles entsprechen. Die Rechtsprechung musste an § 49 Abs. 1 StGB anknüpfen, weil mangels einer gesetzlichen Regelung des minder schweren Falls nur durch den Verweis auf diese rechtstechnische Vorschrift eine Herabsetzung des Strafrahmens ermöglicht werden konnte.
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Das Oberlandesgericht Bamberg (NJW 1982, 1714) gelangt für den Fall nachträglich geltend gemachter "außergewöhnlicher Umstände" zum selben Resultat der Unzulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags, wenn auch als Hilfserwägung § 363 Abs. 2 StPO analog herangezogen wurde.
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Die Frage, ob dem Wiederaufnahmeantrag, dessen Ziel darin besteht, unter Berufung auf die vom Großen Senat aufgestellten Grundsätze die verhängte lebenslange Freiheitsstrafe durch eine zeitige Freiheitsstrafe zu ersetzen, § 363 Abs. 2 StPO in entsprechender Anwendung entgegensteht (so insbesondere OLG Bamberg a.a.O.; ihm folgend Meyer-Goßner a.a.O. § 363 Rn. 6; KK-Schmidt, 4. Aufl., 1999, § 363 Rn. 12), kann deshalb offen bleiben. Nach dieser Bestimmung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu dem Zweck ausgeschlossen, eine Milderung der Strafe wegen verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 des Strafgesetzbuches) herbeizuführen. Für eine entsprechende Anwendung könnte die bereits in der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen angesprochene Nähe der "außergewöhnlichen Umstände" zu § 21 StGB sprechen, dagegen der Grundsatz eng auszulegender Ausnahmevorschriften.
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Im Übrigen wäre ein Wiederaufnahmegesuch mit dem Ziel einer milderen Bestrafung - selbst für den Fall einer mit dem Wiederaufnahmebegehren nicht geltend gemachten erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Verurteilten - gemäß §§ 21, 49 StGB auch bei lebenslanger Freiheitsstrafe nach § 363 Abs. 2 StPO unzulässig (OLG Düsseldorf JMBl. NW 1990, 46).
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